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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

Kurzvorträge
Herausgeberin: Margit Ebbinghaus


Titel:
Facettenvielfalt der Übergänge in der beruflichen Bildung


„Verlierer im Lernen?“ Übergangsproblematiken sowie die Rolle der Lehrkräfte in der beruflichen Bildung der V.R. China

Beitrag von Alexander SCHNARR (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)

Abstract

Im Zuge der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung in der V.R. China hat das Berufsbildungssystem des Landes in den vergangenen Jahren einen starken Bedeutungszuwachs erfahren. Neben strukturellen Reformen rückte auch die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften, unter anderem im Rahmen der Berufsbildungszusammenarbeit zwischen Deutschland und der V.R. China, verstärkt in den Fokus. Die Ergebnisse dieser Weiterbildungsmaßnahmen können überwiegend als positiv bewertet werden; dennoch sind auch Schwierigkeiten zu verzeichnen, die unter anderem auch auf mangelnde empirische Erkenntnisse über die Arbeitsrealität der Lehrkräfte aus deren Binnenperspektive zurückgeführt werden können. Ein Forschungsprojekt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg widmet sich diesem Forschungsdesiderat mit dem Ziel, die Orientierung chinesischer BerufsschullehrerInnen auf ihre Profession zu erfassen. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass die Informanten neben reflektierten Überlegungen z.B. zu Charakteristika (professioneller) Lehrkräfte auch Übergangsfragen thematisieren, aus denen sich besondere Anforderungen an das professionelle Handeln ableiten. Diese ersten Befunde bestimmen nicht nur die Richtung der weiterführenden Analyse, sondern werfen auch neue Fragen auf und eröffnen mögliche weitere Forschungsperspektiven in Bezug auf das professionelle Handeln von Lehrkräften in der beruflichen Bildung.

1 Einführung

In den vergangenen Jahren hat das Berufsbildungssystem der V.R. China im Zuge sowohl gesellschaftlicher als vor allem auch wirtschaftlicher Veränderungen einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Früher als „Weg der Verlierer“ stigmatisiert, entwickelt sich die berufliche Bildung heutzutage zu einer ernsthaften Alternative zum einstigen ‚Königsweg‘ der akademischen Ausbildung. Dementsprechend intensiv investiert das chinesische Bildungsministerium in Reformen der beruflichen Bildung inklusive der Aus- und Weiterbildung von Berufsschullehrerinnen und -lehrern auf allen Ebenen des chinesischen Berufsbildungssystems. Das deutsche Berufsbildungs- und vor allem das ‚duale System‘ steht der V.R. China diesbezüglich in vielerlei Hinsicht Pate, insbesondere bei der Frage der Kooperation zwischen Berufsschulen und Unternehmen sowie der schülerzentrierten, handlungsorientierten Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen. In diesem Zusammenhang wurde in den vergangenen Jahren unter anderem auch am Standort Magdeburg chinesisches Berufsbildungspersonal der Ebene der ‚mittleren Berufsbildung‘ (strukturell vergleichbar mit der beruflichen Erstausbildung in Deutschland) sowie der ‚höheren beruflichen Bildung‘ (strukturell vergleichbar mit der Ebene der deutschen Fachschul- und Fachhochschulausbildung) zu Fragen der arbeitsprozessorientierten Gestaltung von Curricula sowie der Umsetzung handlungsorientierter Unterrichtskonzepte weitergebildet. Bei allen Reformbemühungen (zu denen die Weiterbildungsmaßnahmen zweifelsohne gehören) seitens der Akteure im chinesischen Berufsbildungssystem und den damit verbundenen sichtbaren Erfolgen sind hier auch Problemlagen zu vermuten, die insbesondere die Lernenden in der beruflichen Bildung sowie die Rolle der Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen im Zuge von Umstrukturierungen und der angestrebten Umgestaltungen (berufs)schulischen Lernens betreffen. Leider fehlen diesbezüglich empirische Befunde aus der (internationalen) Berufsbildungsforschung, die sich diesen Bereichen widmen.

Grundlage des vorliegenden Beitrags ist ein Forschungsprojekt am Institut für Berufs- und Betriebspädagogik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, dessen Fokus auf Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrern auf der Ebene der ‚mittleren Berufsbildung‘ Chinas und der Frage liegt, welche Orientierungen auf ihre Profession diese besitzen, entwickeln und teilen. Um den Kontext zu veranschaulichen, in dem die Studie verortet ist, wird im folgenden Abschnitt zunächst das Bildungs- und Berufsbildungssystem der V.R. China näher vorgestellt und hier auch auf Besonderheiten im Zusammenhang mit Übergängen zwischen Allgemein- und Berufsbildung hingewiesen. Es folgen Ausführungen zur bereits erwähnten Kooperation zwischen der V.R. China und Deutschland in der Weiterbildung von chinesischem Berufsbildungspersonal, bevor sich der Fokus des Beitrags auf theoretische Bezugspunkte und die Anlage des Forschungsprojektes sowie erste Befunde richtet. Offene Fragen und Forschungsperspektiven, die sich im Rahmen der Bearbeitung des bisher erhobenen Datenmaterials auch für die berufliche Bildung in Deutschland eröffnet haben, bilden den Abschluss des vorliegenden Beitrags.

2 Bildung und Berufsbildung in der V.R. China

Wie der Abbildung 1 zu entnehmen ist, gliedert sich das chinesische Bildungssystem in einen Primar-, einen Sekundar- und einen Tertiärbereich. Die Berufsausbildung ist dabei vor allem in die Mittelschulausbildung integriert (vgl. AULIG 2006, 86) und stellt damit eine Form der (vollzeit)schulischen Berufsausbildung dar. Darin können weiterhin eine Ebene der ‚unteren‘ Berufsbildung im Sekundarbereich I und eine Ebene der ‚mittleren‘ Berufsbildung im Sekundarbereich II unterschieden werden. ‚Höhere‘ Berufsbildung findet dann auf der Ebene der Berufshochschulen statt, mithin im Tertiärbereich. „Obwohl das chinesische Bildungsgesetz vorsieht, dass die neunjährige Schulpflicht im Rahmen des allgemeinen (akademischen) Schulsystems absolviert wird, besteht schon auf der unteren Mittelschulstufe [Sekundarstufe I, A.S.] die Möglichkeit, eine Berufsmittelschule zu besuchen. Das größte Angebot an Berufsbildungsschulen besteht jedoch auf der Stufe der oberen Mittelschule“ (NOWAK-SPEICH 2006, 81). Auf dieser Stufe (im Sekundarbereich II) ist auch das diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsprojekt verortet.

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Abb. 1:   Bildungssystem der V.R. China (entnommen aus NOWAK-SPEICH 2006, 61)

Im Sekundarbereich II, auch das ist der Abbildung zu entnehmen, existieren für den berufsbildenden Bereich drei verschiedene Schulformen: die Facharbeiterschule, die Fachmittelschule und die Berufsmittelschule Oberstufe, die im weiteren Verlauf der Lesbarkeit halber vereinfacht als ‚Berufsmittelschule‘ bezeichnet wird. Facharbeiterschulen haben mit schlechter Ausstattung, mangelnder Ausbilderqualität und sehr heterogenen Standards zu kämpfen (vgl. AULIG 2006, 87) und verlieren in der beruflichen Bildung in China zunehmend an Bedeutung. Die Fachmittelschulen, die häufig von Unternehmen getragen und von einzelnen Fachministerien und ihren lokalen Behörden verwaltet werden, bieten die anspruchsvollste berufliche Ausbildung unterhalb der Hochschulebene an. In der Vergangenheit wurden die Absolventen dieser Schulen häufig von den Unternehmen beschäftigt, die auch Träger der entsprechenden Schule waren (vgl. ebd., 88). In gewisser Weise sind Fachmittelschulen also strukturell vergleichbar mit den Betriebsberufsschulen in der ehemaligen DDR (vgl. PÄTZOLD/ WAHLE 2009, 84). Bei politischen Bestrebungen zur weiteren Entwicklung und zum Ausbau der beruflichen Bildung stehen allerdings vor allem die Berufsmittelschulen im Fokus, da sie den lokalen und regionalen Bildungsbehörden direkt unterstellt sind. Die wachsende Bedeutung dieser Schulform wird auch anhand der Entwicklung der Schülerzahlen deutlich: „In 2004, China's regular senior middle schools recruited 8.2 million students, while mid-level vocational schools recruited 5.5 million students. The new aim is to recruit a further 1 million students into mid-level vocational schools by 2006. By 2010, over 8 million students will be studying in mid-level vocational schools, matching the number of students in regular senior middle schools. To achieve this aim, government departments at all levels will increase spending on vocational education." (YANG 2007, 270)

Zugang zur Berufsmittelschule erhalten Schüler, die die Sekundarstufe I erfolgreich abgeschlossen haben und eine Aufnahmeprüfung an der entsprechenden Schule bestehen. Dabei wird nicht unterschieden, ob die Schüler vorher die Unterstufe der allgemeinen Mittelschule oder die Unterstufe der Berufsmittelschule absolviert haben. Die Ausbildungsdauer beträgt zwei bis vier Jahre, das Eintrittsalter ist mit dem in der Erstausbildung im deutschen Berufsbildungssystem vergleichbar. Eine Besonderheit des chinesischen Bildungssystems besteht darin, dass man jederzeit vom allgemeinbildenden in den berufsbildenden ‚Pfad‘ wechseln kann; umgekehrt ist dies jedoch nicht möglich. Das bedeutet, dass Schüler, die bereits in der Unterstufe der Mittelschule den berufsbildenden Pfad gewählt haben, ihre Ausbildung nur an Schulen der mittleren Berufsbildung fortsetzen können; eine Rückkehr in den allgemeinbildenden Bereich ist in der Regel nicht möglich. Ähnlich verhält es sich mit Schülern, die zwar die Unterstufe der Mittelschule absolviert haben, aber die Prüfung zur Aufnahme an die Oberstufe der Mittelschule nicht bestehen und dann in den berufsbildenden Bereich wechseln. „Unter anderem wird die Berufsbildung in China auch aus diesem Grund oftmals als eine Art Auffangbecken für diejenigen, die im allgemeinen System nicht weiter kommen, gesehen." (NOWAK-SPEICH 2006, S. 81). Verstärkt wird diese Sichtweise auf berufliche Bildung in China durch die konfuzianische Tradition, die bereits seit Jahrtausenden das chinesische Weltbild prägt. Menzius, ein Schüler von Konfuzius, tätigte einst die Aussage, dass Menschen, die mit dem Herzen bzw. dem Kopf arbeiten, andere Menschen beherrschen, während diejenigen, die körperliche Arbeiten verrichten, beherrscht werden. Angesichts dieser Sichtweise, die bereits um 300 vor Christus im chinesischen Bewusstsein verankert wurde, „ist es nicht verwunderlich, dass die handwerkliche Bildung als inferiore Lernaufgabe in den Hintergrund gedrängt wird." (ebd., 80). Trotz dieser vor allem aus der gesellschaftlichen Haltung zur beruflichen Bildung entstehenden Problemlagen legt die politische Führung der V.R. China großen Wert auf den weiteren Ausbau der Berufsbildung. Im 1995 erlassenen Bildungsgesetz wird ihre Entwicklung in den Artikeln 19 und 40 bereits festgeschrieben (vgl. ebd., 60), im Jahr 1996 durch die Verabschiedung des ersten Berufsbildungsgesetzes des Landes weiter legislativ verankert. Darüber hinaus wurde im Rahmen verschiedener Reformen die Anzahl möglicher Ausbildungsberufe von über 1.000 auf nur noch 270 reduziert (vgl. AULIG 2006, 79). Wie oben bereits dargestellt, bildet die Erhöhung der Schülerzahlen in Berufsmittelschulen bzw. die Anpassung der Schülerzahlen an das Niveau der allgemeinbildenden Mittelschulen ein weiteres wichtiges politisches Ziel.

Die dargestellten aktuellen Entwicklungen und Reformen in der beruflichen Bildung in der V.R. China beeinflussen auch die Ausbildung der an Berufsschulen tätigen Lehrkräfte. PAINE/ FANG dazu: „Such a shift in the orientation of secondary and post-secondary education has created a need to recruit and train qualified teachers who not only can support academic learning but also know and are able to teach vocational and technical education in a practical field." (PAINE/ FANG 2007, 179) Neben der zunehmenden Professionalisierung der grundständigen Berufsschullehrerausbildung (siehe z.B. ZHAO 2003; CHEN 2005) dienen Weiterbildungsmaßnahmen (sowohl im Land als auch in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern) für bereits in der beruflichen Bildung tätige Lehrkräfte als Mittel, um dem von PAINE/ FANG angesprochenen und von der chinesischen Regierung identifizierten Bedarf an gut ausgebildetem Bildungspersonal Rechnung zu tragen. Auch Deutschland ist an solchen Fortbildungsmaßnahmen beteiligt.

3 Zusammenarbeit zwischen der V.R. China und Deutschland in der Weiterbildung chinesischer Berufsbildungsfachkräfte

Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit können die V.R. China und Deutschland bereits auf langjährige Kooperationsbeziehungen zurückblicken (vgl. DEUTSCHE BOTSCHAFT PEKING 2011). Auch im Bereich der beruflichen Bildung fand in den vergangenen Jahren zwischen den beiden Ländern ein fruchtbarer Austausch statt (vgl. z.B. ZIEM 2000, 225 ff.).

Für den hier zu betrachtenden Bereich der Lehrerfort- und Weiterbildung erscheint vor allem das Projekt „Aufbau eines nationalen Lehrer- und Schulleiterfortbildungssystems für die mittlere und höhere Berufsbildung in der VR China“ der InWEnt gGmbH (heute Teil der GIZ GmbH) und des Ministry of Education (MoU, Bildungsminsterium) der V.R. China bedeutsam. Im Rahmen dieses Fortbildungsprogramms absolvierten im Zeitraum 2007-2009 etwa 300 LehrerInnen bzw. Multiplikatoren der beruflichen Mittelschulen sowie ca. 120 LehrerInnen/Multiplikatoren der höheren Berufsbildung einen sechswöchigen Aufenthalt an 5 Standorten in Deutschland. Ziel der Fortbildung mit 35 Einzelmaßnahmen in 7 Fachrichtungen der mittleren Berufsbildung (Elektrotechnik, CNC/Mechatronik, Kfz-Mechatronik, CNC-Technik, Mechatronik, Bautechnik, Methodik/Didaktik) sowie 6 Fachrichtungen der höheren Berufsbildung (Kfz-Technik, Logistik, Mechatronik, CNC-Technik, Elektrotechnik, Bautechnik) war es, die TeilnehmerInnen in die Lage zu versetzen, den sich ändernden Anforderungen der beruflichen Bildung in der V.R. China qualifiziert begegnen zu können (vgl. FORSCHUNGSPORTAL SACHSEN-ANHALT, 2009). Dabei wurde vor allem die Vermittlung handlungsorientierter Unterrichtsmethoden, die Entwicklung arbeitsprozessorientierter Curricula sowie die Erstellung exemplarischer Lehr- / Lernsituationen für die entsprechenden Fachbereiche in den Mittelpunkt gestellt. Die letztgenannten Aspekte stehen im Zuge des Beschlusses des Staatsrates der V.R. China und der Nationalen Chinesischen Arbeitskonferenz vom Oktober 2005 zunehmend im Fokus der Berufsbildungspolitik des Landes. Wie einleitend bereits erwähnt, kann festgehalten werden, dass die Bedeutung der Berufsbildung in China im Kontext der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung erheblich aufgewertet wird. Der Berufsbildung werden seitens der politischen Führung der V.R. China in den nächsten Jahren bedeutende Aufgaben in qualitativer und quantitativer Hinsicht zugewiesen (vgl. SCHNARR/ SUN/ GLEIßNER 2008, 36). Das Institut für Berufs- und Betriebspädagogik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg war als einer der fünf Standorte in das besagte Weiterbildungsprojekt eingebunden. Dem Dozententeam kam dabei vor allem die Aufgabe zu, den chinesischen Berufsbildungsfachkräften der mittleren und höheren Berufsbildung Kenntnisse und Fähigkeiten im Themenbereich ‚Handlungsorientierte Unterrichtsmethoden‘ zu vermitteln (zum Begriff des handlungsorientierten Unterrichts vgl. BADER 1990, 18 ff.). Die an der Weiterbildungsmaßnahme teilnehmenden Lehrkräfte sollten befähigt werden, für ihre spezifischen Fachrichtungen Unterrichtskonzepte erstellen zu können, welche den Leitlinien handlungsorientierten Unterrichts folgten und den an den Einrichtungen der Lehrkräfte herrschenden spezifischen Rahmenbedingungen Rechnungen trugen.

In der Wahrnehmung der Dozentinnen und Dozenten sowie aus Teilnehmersicht können die erzielten Ergebnisse im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahme am Standort Magdeburg insgesamt als positiv bewertet werden (vgl. SCHNARR 2009, 61 ff.). Dennoch fiel im Rahmen der Projektarbeit auf, dass es an verschiedenen Stellen auf Seiten der WeiterbildungsteilnehmerInnen der V.R. China zu Aneignungsschwierigkeiten der Lehrinhalte kam, was auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden konnte. So wurden beispielsweise die sich nur langsam wandelnde ‚Berufskultur‘ der Lehrkräfte, der nach wie vor starke Einfluss konfuzianischer Tugenden sowie die sehr heterogenen grundständigen Qualifizierungswege (und damit verbundenen Ausbildungsinhalte) für Berufsbildungsfachkräfte in der V.R. China als mögliche Gründe für Aneignungsschwierigkeiten expliziert (vgl. ECKERT 2010, 50 ff). Diese Erkenntnis und die damit verbundene Frage, über welches Berufs- bzw. Professionsverständnis chinesische Berufsbildungsfachkräfte eigentlich verfügen und welche spezifischen Problemlagen sich aus der Binnenperspektive der Lehrkräfte in der täglichen Arbeit ergeben waren Grundlage und Anlass für das diesem Beitrag zugrunde liegenden Forschungsvorhaben.

4 Informationen zum Forschungsprojekt

4.1 Theoretische Bezugspunkte, Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen

Die Frage, was Berufe zu Professionen macht und welche Aspekte professionelles Handeln kennzeichnen (sollten) wurde im deutschsprachigen Raum insbesondere in der Soziologie (vgl. z.B. SCHÜTZE 1996, OEVERMANN 1996, 2008) und der Erziehungswissenschaft (vgl. exemplarisch NITTEL 2002) sowohl theoretisch als auch empirisch bearbeitet. Mit der spezifischen Frage der Lehrerprofessionalität haben sich unter anderem BECK (vgl. BECK 2006, 2009), TENORTH (vgl. TENORTH 2006) und TERHART (vgl. TERHART 2000, 2001) beschäftigt. In einer strukturtheoretischen bzw. interaktionistischen Lesart sind vor allem die theoretischen Arbeiten von Werner HELSPER (vgl. exemplarisch HELSPER 1996, 2004) wegweisend. Im Bereich der Berufspädagogik wurde die Frage des Lehrerberufs als Profession und damit verbunden die Frage des professionellen Lehrerhandelns aus einer professionstheoretischen Perspektive heraus bislang allenfalls randständig bearbeitet (vgl. z.B. DIEHL 2003; DIEHL/ UNGER 2007; BAUER 2006, UNGER 2007). Im internationalen Kontext wird vor allem die Frage der „Professionalisation of teachers“ (vgl. z.B. DITTRICH 2006, RAUNER 2005) als ‚Ermöglichungsmechanismus‘ diskutiert. Als international-vergleichende Referenzarbeit zur Professionalität von Berufsbildnern kann die Studie von GROLLMANN (vgl. GROLLMANN 2005) gelten, der allerdings die Interaktion zwischen Professionellem (Lehrer) und Klienten (Schüler), also die Ebene des tatsächlichen Lehrerhandelns weitestgehend außer Acht lässt. Für den chinesischen Kontext gilt die Arbeit von ZHAO (vgl. ZHAO 2003) in Bezug auf die Professionalität und Professionalisierung von Berufsbildungsfachkräften nach wie vor als Referenzarbeit, auch CHEN (vgl. CHEN 2005) sowie CHEN/ RÜTZEL/ ZHOU (vgl. CHEN/ RÜTZEL/ ZHOU 2010) haben zur Gruppe der BerufsschullehrerInnen in der V.R. China empirisch gearbeitet.

Weitgehend unerforscht bleibt im Bereich der beruflichen Bildung nach wie vor die Ebene des Lehrerhandelns und die sich dort möglicherweise ergebenden Spannungsmomente und Problemlagen aus der Perspektive der Akteure. Dieser Forschungslücke widmet sich das hier vorgestellt Forschungsprojekt am Beispiel der beruflichen Bildung in der V.R. China. Die forschungsleitenden Fragestellungen im Rahmen der Studie lauten: Welche Antinomien/Paradoxien des Lehrerhandelns treten aus der Perspektive der Lehrkräfte in der Berufsbildung der V.R. China zutage? Welchen Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich für das eigene (professionelle) Handeln? Inwieweit wirken Modernisierungsprozesse auf das professionelle Handeln chinesischer BerufsschullehrerInnen? Von besonderem Erkenntnisinteresse ist, wie eingangs bereits erwähnt, welche gemeinsamen Orientierungen hinsichtlich ihrer Profession chinesische BerufsschullehrerInnen auf der Ebene der ‚mittleren Berufsbildung‘ besitzen und entwickeln.

Der Aspekt der Übergänge im Berufsbildungssystem der V.R. China und die damit möglicherweise in Verbindung stehenden Problemlagen auf der Handlungsebene der Lehrkräfte standen bei der Entwicklung des Forschungsvorhabens nicht explizit im Fokus. Dennoch lässt sich im erhobenen Datenmaterial gut zeigen, dass die befragten Lehrkräfte Übergangsthematiken im Blick haben und diese, beispielsweise im Rahmen von Gruppendiskussionen, auch in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisieren. In Abschnitt fünf wird dieser Aspekt noch einmal aufgegriffen.

4.2 Datenerhebung

Für die Studie wurden 2009 sowohl ExpertInneninterviews als auch Gruppendiskussionen mit chinesischen Berufsschullehrerinnen und -lehrern geführt. Zusätzlich stellten die befragten Lehrkräfte für das Forschungsprojekt eigene Fotografien zur Verfügung, die Szenen aus ihrem beruflichen Alltag zeigen und ebenfalls als Datengrundlage genutzt werden können. Alle Informanten hielten sich zum Zeitpunkt der Erhebung für einen Zeitraum von insgesamt sechs Wochen in Deutschland auf und nahmen an der im vorangegangenen Abschnitt bereits beschriebenen Weiterbildungsmaßnahme teil. Nachdem unterschiedlichen Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern das Forschungsvorhaben vorgestellt wurde, erklärten insgesamt 16 Lehrkräfte ihre Bereitschaft zur Teilnahme. Aus diesem Grundsample wurden vier Diskussionsgruppen gebildet, drei Lehrkräfte wurden einzeln mit der Methode des Experteninterviews (vgl. MEUSER/ NAGEL 2005) befragt. Da in der Auswertung bisher aus forschungspraktischen Gründen lediglich mit den Gruppendiskussionen gearbeitet wurde, beziehen sich die weiteren Aussagen auf diese Erhebungsform.

Gemeinsam war allen Diskussionsgruppen, dass sie sich aus Lehrkräften zusammensetzten, die in technischen Fachrichtungen unterrichteten, eine homogene Altersstruktur aufwiesen und, dem Fokus der Studie entsprechend, im Bereich der ‚mittleren Berufsbildung‘ eingesetzt waren.

Die Gruppendiskussionen wurden in den Räumen des Instituts für Berufs- und Betriebspädagogik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg geführt. Als Erzählimpuls bzw. Ausgangsfragestellung für die Gruppendiskussionen dienten die von den DiskussionsteilnehmerInnen zur Verfügung gestellten Fotografien. Zu Beginn der Gruppendiskussion wurden die TeilnehmerInnen aufgefordert, den Inhalt des Bildes zu beschreiben und auszuführen, was sie mit dem Dargestellten verbinden. Diese Art der Intervieweröffnung lehnt sich an ein Verfahren an, welches insbesondere von Douglas HARPER (vgl. HARPER 2008) entwickelt wurde und von ihm selbst als ‚fotogeleitete Hervorlockung‘ bezeichnet wird. Die Gruppendiskussionen im Rahmen der Studie wurden auf Chinesisch mit Dolmetscherin geführt. Die Dolmetscherin agierte somit als 2. Forscherin und war auch entsprechend in der Methode sowie im theoretischen Hintergrund und der Zielsetzung der Arbeit geschult. In Dolmetschertätigkeiten im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahme war sie nicht eingebunden. Um eine Selbstläufigkeit der Diskussion gewährleisten zu können und den GruppenteilnehmerInnen die Möglichkeit zu geben, den Diskurs untereinander zu entwickeln, erfolgte keine wörtliche bzw. simultane Übersetzung der Diskussionsbeiträge. Vielmehr wurde im Verlauf des Interviews an geeigneten Stellen immer wieder eine zusammenfassende Übersetzung des Gesagten gegeben, sodass der Diskussionsleiter die ‚Lenkung‘ der Gruppendiskussion durch Nachfragen bzw. die Einführung neuer Fragestellungen entsprechend der Anforderungen an die Durchführung von Gruppendiskussionen (vgl. hierzu v.a. BOHNSACK 2008) gewährleisten konnte. Die Diskussionen wurden digital aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Transkription erfolgte zunächst direkt auf Chinesisch. Im Anschluss wurde das chinesische Transkript in die deutsche Sprache übersetzt, gemeinsam mit der Übersetzerin überarbeitet und anschließend zur Auswertung verwendet.

4.3 Die Dokumentarische Methode als Auswertungsstrategie

Die Auswertung der Gruppendiskussionstranskripte erfolgt mittels der Dokumentarischen Methode. Ihre theoretische und methodologische Fundierung erfährt sie in der praxeologischen Wissenssoziologie. Eine ausführliche Einordnung wurde bereits in vielen Arbeiten geleistet (vgl. z.B. BOHNSACK 1983, BOHNSACK 2001; BOHNSACK 2003, LOOS/ SCHÄFFER 2001; SCHÄFFER 1996) und würde den Rahmen dieses Beitrages bei weitem übersteigen. Allerdings erscheint es für das Verständnis der Auswertungsschritte der Methode sinnvoll, auf die – im Sinne Karl MANNHEIMS (vgl. MANNHEIM et al. 2003) – Unterscheidung zweier Sinnebenen einzugehen, die auch die Vorgehensweise bei der Datenauswertung strukturieren. In der praxeologischen Wissenssoziologie und damit auch in der Dokumentarischen Methode wird grundsätzlich der immanente Sinn vom Dokumentsinn unterschieden. „Als immanent sind Sinngehalte zu verstehen, die sich auf ihre Richtigkeit –unabhängig von ihrem Entstehungszusammenhang – überprüfen lassen.“ (PRZYBORSKI 2004, 22) Wenn Menschen beispielsweise von ihren Erfahrungen berichten, können diese Schilderungen auf ihren wörtlichen, expliziten Sinngehalt hin untersucht werden. Innerhalb des immanenten Sinns kann darüber hinaus noch zwischen dem intentionalen Ausdruckssinn (gemeint sind Absichten und Motive des Erzählenden) und dem Objektsinn (die allgemeine Bedeutung eines Textinhalts bzw. einer Handlung) differenziert werden (vgl. NOHL 2006, 8). Der Freilegung des immanenten Sinns entspricht der Arbeitsschritt der ‚formulierenden Interpretation‘ im Rahmen der Dokumentarischen Methode. Beim Dokumentsinn als zweiter Sinnebene hingegen „wird die geschilderte Erfahrung als Dokument einer Orientierung rekonstruiert, die die geschilderte Erfahrung strukturiert. Der Dokumentsinn verweist auf die Herstellungsweise, auf den „modus operandi“ (BOHNSACK 2003, 255) der Schilderung.“ (ebd.) Es geht also beim Dokumentsinn darum, wie ein Text bzw. die darin berichtete Handlung aufgebaut/strukturiert und in welchen Rahmen sie eingebettet ist. Die Fragestellung lautet an dieser Stelle: Was dokumentiert sich im Diskurs über die soziale Handlungspraxis der Akteure? Die Rekonstruktion dieser Sinnebene erfolgt im Arbeitsschritt der ‚reflektierenden Interpretation‘. Die Dokumentarische Methode wurde als Auswertungsmethode im Rahmen der Studie zunächst aus forschungspragmatischen Gründen gewählt, weil sie sich sowohl für die Auswertung von Gruppendiskussionen (vgl. BOHNSACK/ PRZYBORSKI/ SCHÄFFER 2006), als auch für die Auswertung weiterer Diskurse wie z.B. Einzelinterviews (vgl. NOHL 2006) und zur Bildinterpretation eignet. Alle im Rahmen des Forschungsprojektes erhobenen Daten können somit mit dieser Methode ausgewertet werden. Darüber hinaus zielt die hier zugrunde liegende Studie darauf ab, aus der Binnenperspektive chinesischer BerufsschullehrerInnen technischer Fachrichtungen deren Orientierungen auf ihr Lehrerhandeln zu rekonstruieren, unter professionstheoretischen Gesichtspunkten zu erklären und somit theoretische Vorstellungen zum professionellen Lehrerhandeln gesichert weiter zu differenzieren. Für diese Zielsetzung erscheint die Dokumentarische Methode mit ihrem Fokus auf die Rekonstruktion gemeinsamer, „konjunktiver Erfahrungsräume“ (MANNHEIM et al. 2003, 216) und der handlungsleitenden Orientierungsrahmen der Akteure sehr gut geeignet.

5 Erste (Zwischen-)Ergebnisse

Die hier zugrunde gelegte Studie ist zum Entstehungszeitpunkt des Beitrags ‚work in progress‘, sodass an dieser Stelle lediglich in Auszügen erste Zwischenergebnisse vorgestellt werden können. Diese liefern aber bereits erste Hinweise auf die Blickrichtung der weiterführenden Analyse und offenbaren Anschlüsse an Übergangs- und Professionalitätsfragen, die auch im Bereich der beruflichen Bildung der V.R. China virulent erscheinen.

Aus den Gruppendiskussionen konnte bisher rekonstruiert werden, dass sowohl Aspekte ‚moderner‘ Unterrichtsgestaltung als auch ‚traditionelle‘ Normen und Werte in Hinblick auf die Lehrerprofession gleichermaßen in die Handlungspraxis der Lehrkräfte eingelassen sind. So wird in Schilderungen täglicher Unterrichtspraxis auf handlungsorientierte Unterrichtsmethoden ebenso Bezug genommen wie auf ‚klassische‘ chinesische Lehrsätze von Pädagogen und Philosophen des chinesischen Altertums. Hieraus ergeben sich für die Lehrkräfte mitunter antinomische Handlungsaufforderungen im Unterricht, die durch die in Abschnitt 2 beschriebenen Rahmenbedingungen (und hier insbesondere durch die Veränderungsdynamik) in der chinesischen Berufsbildung verstärkt werden.

Im Zusammenhang mit diesen Spannungsmomenten werden von den GruppendiskussionsteilnehmerInnen Persönlichkeits- und Fähigkeitsmerkmale von ‚professionalisierten‘ Lehrkräften diskutiert. Orientierung bietet den Lehrkräften eine breite Fachwissensbasis, die auch hinsichtlich der Lehrerprofessionalität aus Sicht der Befragten grundlegend ist. Hinzu kommen persönliche Dispositionen der Lehrer, die für „Beliebtheit bei den Schülern“ (Gruppe Marketing) sorgen und zielgerichtetes pädagogisches Handeln erst ermöglichen. Als professionell gilt eine Lehrkraft in der V.R. China aus Sicht der befragten Akteure dann, wenn sie auch über den Klassenraum hinaus eine positive Wirkung entfaltet und somit als ‚erfolgreich‘ wahrgenommen wird (exemplarisch: „So betrifft einen professionalisierten Lehrer nicht nur das fachliche, sondern er ist ein Komplex. Er soll übergreifende Kompetenzen haben. Wenn die Schüler arbeiten, können sie sich den Lehrer als Vorbild nehmen. Das heißt, der Lehrer hat einen positiven Einfluss auf die Klasse, die Region, das Feld. So meine ich (.)“, Gruppe „Marketing“). Der bisher erarbeitete ‚Professionalitätsentwurf‘ der chinesischen BerufsschullehrerInnen ist in Abbildung 2 dargestellt.

 

Abb. 2:   Professionalitätsentwurf, rekonstruiert in der Gruppe „Marketing“

Wie bereits dargestellt, werden auch Übergangsfragen und damit verbundene Anforderungen an die Lehrkräfte von den Diskussionsgruppen thematisiert. Dabei erfolgt gruppenübergreifend eine Reflexion und Diskussion darüber, wie trotz des vermeintlichen sozialen Stigmas, welches BerufsschülerInnen anhaftet („Deshalb wird er normalerweise (.) der Schüler von der beruflichen Mittelschule als ein VERLIERER im Lernen betrachtet, wir meinen so. Aus chinesischem Aspekt ist es so.“, Gruppe „Kfz“), plan- und sinnvolles sowie zielgerichtetes pädagogisches Handeln möglich wird. Dafür entwickeln die Lehrkräfte verschiedene Strategien und orientieren sich dabei an unterschiedlichen Leitbildern: ein eher ‚militärisches‘ Leitbild („Er ist wie der (.) FÜHRER, wie der General und führt eine Schlacht. Solche Kompetenz.“, Gruppe „Kfz“) konnte ebenso rekonstruiert werden wie beispielsweise ein eher an Ganzheitlichkeit ausgerichtetes, welches neben der fachlichen Ausbildung auch die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler in den Blick nimmt (Gruppen „Kfz“ und „Wasser“). Übergangsfragen rücken auch dort in den Blick der Diskussionsgruppen, wo Themen wie die Passung zwischen beruflicher Ausbildung und Anforderungen des Arbeitsmarktes sowie die Passung zwischen eigenen Qualifikationen der Lehrkräfte und Anforderungen der Berufsschulen verhandelt werden. Auch in diesen Spannungsfeldern sehen sich die Lehrkräfte gruppenübergreifend antinomischen Anforderungen gegenüber, die sich verschiedenartig ausformen und die durch Legitimationszwänge des eigenen Handelns gegenüber unterschiedlichen Instanzen und Akteuren (Schülern, Kollegen, der Institution ‚Schule‘, der regionalen Wirtschaft etc.) bedingt sind.

Weiterhin wird am erhobenen Datenmaterial deutlich, dass Lehrkräfte auch nach dem Übergang der Schülerinnen und Schüler in Beschäftigung, gewissermaßen als ‚Übergangsberater‘, als Ansprechpartner der Schüler bei Schwierigkeiten in der täglichen (Fach-)Arbeit zur Verfügung stehen und von diesen auch kontaktiert werden. Hierin dokumentiert sich eine Orientierung der InformantInnen auf eine Lehrerprofession, die neben der Schüler-Lehrer-Beziehung im institutionellen Rahmen ‚Schule‘ bzw. ‚Berufsausbildung‘ eine ‚quasi-familiale‘ Beziehung der Lehrkräfte zu ihren Schülern (über den institutionellen Rahmen hinaus) einschließt. Offen bleibt bisher, inwiefern diese Orientierung sich auf die geschilderte Handlungspraxis der Lehrkräfte auswirkt. Diese Frage und die weitere Entwicklung des bislang an der Gruppe „Marketing“ rekonstruierten ‚Professionalitätsentwurfs‘ der befragten Lehrerinnen und Lehrer über alle Diskussionsgruppen hinweg sind Gegenstand der weiterführenden Analyse im Rahmen des Forschungsprojektes.

6 Fazit und weiterführende Fragen

Auf Grundlage der im vorangegangenen Abschnitt geschilderten ersten Befunde ergeben sich aus meiner Sicht auch Fragen und mögliche Forschungsdesiderata hinsichtlich des professionellen Lehrerhandelns im deutschen Kontext sowie hinsichtlich einer möglichen zukünftigen Ausgestaltung von Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung.

Zusammenfassend kann zunächst festgehalten werden, dass Antinomien des Lehrerhandelns, wie sie für die deutschen interaktionistischen sowie strukturtheoretischen Professionsmodelle konstitutiv sind, auch von den im Rahmen des Forschungsprojektes befragten Lehrkräften thematisiert werden. Somit erscheinen sie auch für das Lehrerhandeln im chinesischen Berufsbildungskontext zentral. Wie und auf welchen Ebenen sich die vorfindbaren widersprüchlichen Handlungsanforderungen im chinesischen Kontext konkret ausformen, wird Gegenstand der weiterführenden Auswertungsarbeit der Gruppendiskussionen sein, ebenso wie die Frage, welche weiteren Orientierungen auf die Profession des Berufsschullehrers/der Berufsschullehrerin expliziert werden können. Dennoch ergeben sich hier aus meiner Sicht die folgenden Fragen, die möglicherweise Anlass geben für weiterführende Diskussionen, Forschungsvorhaben und Entwicklungsprogramme:

Wenn Lehrerinnen und Lehrer in (internationalen) Weiterbildungsmaßnahmen konstitutive Paradoxien des Lehrerhandelns (vgl. SCHÜTZE 1996/ HELSPER 2004) in ihrer täglichen Arbeit im Rahmen von Gruppendiskussionen thematisieren und reflektieren, welche Konsequenzen ergeben sich hieraus möglicherweise für eine adressatengerechte(re) Konzeptionierung von Fortbildungen im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit?

Sehen sich (was naheliegt) auch deutsche Berufsbildner mit möglicherweise widersprüchlichen Handlungsanforderungen in der täglichen Arbeit konfrontiert? Welche Bearbeitungsstrategien entwickeln sie und welche Konsequenzen hätte ein solcher Befund für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für das Lehramt an berufsbildenden Schulen?

Bezogen auf das Thema der Übergänge in der beruflichen Bildung kann auf Grundlage des bisher ausgewerteten Datenmaterials konstatiert werden, dass der Umgang mit in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen in der täglichen Arbeit eine zusätzliche Dimension professionellen Lehrerhandelns darstellt. Hier sind für den deutschen sowie den internationalen Kontext noch Forschungsdesiderata identifizierbar, welche die aus Übergangsfragen entstehenden Handlungsanforderungen an Berufsbildungsfachkräfte aus Akteurssicht noch wesentlich stärker als bisher in den Blick nehmen sollten.

Literatur

AULIG, T. G. (2006): Wirtschaft und Bildung in der VR China. Die Qualifikationsanforderungen des Kfz-Handwerks in der VR China - aufgezeigt an Fallstudien in Lanzhou und Weifang. Online: http://edoc.ub.uni-muenchen.de/7390/1/Aulig_Thomas_G.pdf  (31-08-2010).

BADER, R. (1990): “Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz in der Berufsschule: Zum Begriff „Berufliche Handlungskompetenz“ und zur didaktischen Strukturierung handlungsorientierten Unterrichts“. Dortmund.

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Zitieren dieses Beitrages

SCHNARR, A. (2011): „Verlierer im Lernen?“ Übergangsproblematiken sowie die Rolle der Lehrkräfte in der beruflichen Bildung der V.R. China. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Kurzvorträge, hrsg. v. EBBINGHAUS, M., 1-16. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/kv/schnarr_kv-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/