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Demografische Entwicklung im Blickwinkel der beruflichen Bildung
Hrsg.:
, , &Die potenziellen Fachkräfte sind da – wenn ausländische Personen besser in Bildung und Erwerb integriert werden
Dieser Beitrag widmet sich der Schöpfung des inländischen Fachkräftepotenzials unter besonderer Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit. Wir verdeutlichen mit der Szenariotechnik, dass 1,1 Mio. zusätzliche Fachkräfte im Jahr 2040 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, wenn in den beruflichen Bildungsstätten die höchste Erfolgsquote der deutschen Schülerinnen und Schüler der letzten 20 Jahre erreicht und die Abbruchquoten in den Hochschulen halbiert würden (Szenario „Erfolgsquoten“). Würden Personen ausländischer Nationalität im selben Maße am Erwerbsleben teilnehmen wie Deutsche gleichen Alters, Geschlechts und gleicher Qualifikation (Szenario „Erwerbsquoten“) würde die Zahl der qualifizierten Erwerbspersonen um 0,97 Mio., die der unqualifizierten um 0,55 Mio. gegenüber einem Referenzszenario (bisheriger Trend) im Jahr 2040 steigen, darunter vor allem Frauen. Dies verdeutlicht, dass es für die Fachkräftesicherung lohnenswert ist, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Integrationschancen in Bildung und Erwerb erhöhen.
The foreign skilled labour potential of today or the domestic potential of tomorrow?
This article is dedicated to the creation of domestic skilled labour potential with special consideration of nationality. Using the scenario technique, we illustrate that 1.1 million additional skilled workers would be available to the labour market in 2040 if the highest success rate of German students in vocational training institutions in the last 20 years were achieved and drop-out rates at universities were halved (“success rates” scenario). If people of foreign nationality were to participate in the labour force to the same extent as Germans of the same age, gender and qualifications (“employment rates” scenario), the number of qualified workers would increase by 0.97 million and the number of unqualified workers by 0.55 million compared to a reference scenario (previous trend) in 2040, including mainly women. This makes it clear that it is worth taking measures to increase the chances of integration into education and employment in order to secure a skilled workforce.
1 Einleitung
Die Bevölkerung Deutschlands geht langfristig zurück – trotz voraussichtlicher Netto-Wanderungsgewinne. Dies zeigen die Qualifikations- und Berufsprojektionen (QuBe-Projekt) des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS). Zwar wird die Bevölkerung Deutschlands nur leicht von rund 83,16 Mio. im Jahr 2020 auf rund 82,52 Mio. Personen im Jahr 2040 absinken, die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 74 Jahren geht jedoch um 3,5 Mio. von 62,5 Mio. auf 58,9 Mio. zurück (Maier et al., 2022). Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Die Zahl der Erwerbspersonen und damit auch die Zahl der Erwerbstätigen schrumpft. Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, gilt die Fachkräfteeinwanderung als eine unmittelbar wirkende Maßnahme. Tatsächlich wird die reine Konzentration auf Zuwanderung die Engpassproblematik am Arbeitsmarkt jedoch nicht (zufriedenstellend) lösen können. Dies hat drei wesentliche Gründe: Erstens ist davon auszugehen, dass langfristig nur jede zweite zugezogene Person in Deutschland verweilt (Maier et al., 2021). Zweitens unterscheiden sich die Erwerbsquoten zwischen Personen deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit (Zika et al., 2024) und drittens, bestehen im Bildungssystem signifikante Unterschiede zwischen den Erfolgsquoten deutscher und nichtdeutscher Schülerinnen und Schüler (Kalinowski & Maier, 2023). Alle drei Punkte stehen in direktem Zusammenhang mit der beruflichen Qualifizierung. Sie bestimmt das Ausmaß der Erwerbsbeteiligung und wirkt somit auch auf die Integration am Arbeitsmarkt und der Gesellschaft.
Dieser Beitrag widmet sich der Schöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials unter besonderer Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit, wobei wir nur zwischen Deutschen und Nichtdeutschen unterscheiden. Wir stützen uns in unseren Analysen auf die Szenario-Technik (Zika, Hummel et al., 2023). Dabei wird ein Referenzszenario für die Arbeitsmarktentwicklung bis zum Jahr 2040 mit zwei Alternativszenarien vergleichen. Als Referenzszenario wird die Basisprojektion der 7. Projektionswelle des QuBe-Projektes (Maier et al., 2022) in seiner aktualisierten Form (Datenstand Juni 2023) verwendet (Zika, Schneemann et al., 2023). Die Alternativszenarien unterscheiden sich nur bei zwei zentralen Entwicklungen von dieser Basisprojektion. Im Szenario „Erfolgsquoten“ wird das Potenzial an Fachkräften errechnet, das dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünde, wenn in den beruflichen Bildungsstätten alle Schülerinnen und Schüler die höchste Erfolgsquote der deutschen Schülerinnen und Schüler der letzten 20 Jahre erreichen und die Abbruchquoten in den Hochschulen halbiert würden. Im Szenario „Erwerbsquoten“ wird eine Angleichung der Erwerbsquoten von Personen ausländischer Nationalität auf das Niveau von Deutschen gleichen Alters, Geschlecht und Qualifikation unterstellt. Im Ergebnis können wir beobachten, wie sich das Arbeitsangebot nach Qualifikationen verändert, wenn Maßnahmen ergriffen würden, welche die Hebung dieses inländischen Potenzials ermöglichen würden.
2 Unterschiede im Bildungs- und Erwerbsverhalten zwischen Deutschen und Nichtdeutschen
Betrachtet man die Erwerbsbevölkerung im Alter zwischen 15 und 74 Jahren, so zeigen sich signifikante Unterschiede in der Qualifikationsstruktur nach der International Standard Classification of Education (ISCED – siehe OECD, 2015) zwischen Personen mit deutscher und nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, wie Tabelle 1 verdeutlicht. Schließt man die rund 7 Mio. Personen aus, die sich in diesem Alter noch in allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, sowie Hochschulen befinden, so weisen rund 15 Prozent aller Personen keinen beruflichen Abschluss aus. Rund 45 Prozent haben ihren höchsten beruflichen Abschluss im dualen System, an einer Berufsfachschule oder einer Schule des Gesundheitswesens erworben. Rund 27 Prozent haben eine Aufstiegsfortbildung (Meister-, Techniker-, Fachschulabschluss), einen Bachelorabschluss oder ein Diplom einer Fachhochschule (FH). Am geringsten ist der Anteil an Personen mit einem Masterabschluss an einer (Fach-)Hochschule (ohne Bachelorabschluss oder Diplom (FH)). Interessant sind die Unterschiede nach Nationalität: Während der Anteil der Hochqualifizierten sowohl bei Deutschen, als auch bei Ausländerinnen und Ausländern bei jeweils rund 13 Prozent liegt, ist der Anteil an Personen mit einem Berufsabschluss und Aufstiegsfortbildung/Bachelorabschluss/Diplom (FH) bei Personen ausländischer Nationalität mit 48 Prozent vs. 30 Prozent bzw. 29 Prozent vs. 17 Prozent weitaus geringer als bei Deutschen. Hingegen sind rund vier von zehn Personen ausländischer Nationalität ohne Abschluss, bei Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit nur eine.
Tabelle 1: Erwerbsbevölkerung (15 bis unter 75 Jahren) nach Qualifikationsstruktur, getrennt zwischen Deutschen und Nichtdeutschen im Jahr 2021
Quelle: QuBe-Projekt, Welle 7.1, eigene Berechnungen
Tabelle 1 verdeutlicht nicht die Umstände, wie es zu den Unterschieden in der Qualifikationsstruktur kommt. Wir wissen deshalb nicht, wo die Qualifikationen (nicht) erworben wurden. So können die Personen bereits ohne Abschluss nach Deutschland eingewandert sein, sie können aber auch im nichterwerbsfähigen Alter zugewandert oder in Deutschland geboren sein. Während im Falle einer Zuwanderung im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union (EU) oder aufgrund eines Asylgesuchs die Handlungsfähigkeit Deutschland im Hinblick auf die erworbene Qualifikation zunächst beschränkt ist, bietet sich bei Personen mit einer längeren Aufenthaltsdauer und insbesondere jüngeren Alters die Chance einer beruflichen Qualifizierung. Im Folgenden betrachten wir deshalb, welchen Beitrag das Bildungssystem zum oben gezeigten Bild liefert.
2.1 Entwicklungen des Bildungssystems
Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Schulabgänger/-innen aus allgemeinbildenden Schulen sowie die Anfänger/-innen im dualen System und im Studium in den Jahren 2000 bis 2023. Zu sehen ist, dass sich das demografische Potenzial für einen beruflich voll qualifizierenden Abschluss nahezu kontinuierlich reduziert. Vom Höchstwert von rund 986.000 Schulabgänger/-innen im Jahr 2004 ging die Zahl um rund 210.000 Personen auf 776.000 Abgänger/-innen im Jahr 2023 zurück. Am stärksten war der Rückgang bei Personen mit Hauptschulabschluss. Die Zahl an Schulabgänger/-innen mit (Fach-)Hochschulreife nahm hingegen zu. Im Jahr 2023 hatten rund 34 Prozent der Schulabgänger/innen eine (Fach-Hochschulreife) erworben, im Jahr 2000 waren es noch rund 26 Prozent.
Die zunehmende Anzahl an Abiturientinnen und Abiturienten überträgt sich auch auf die Zahl der Studienanfänger/-innen. Begannen im Studienjahr 2000 nur 315.000 Personen ein Studium, waren es während der doppelten Abiturientenjahrgänge im Jahr 2011 rund 519.000 Personen. Im gesamten Jahrzehnt lag die Anzahl der Studienanfänger/-innen knapp über einer halben Million. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge sank hingegen von rund 622.000 im Jahr 2000 auf rund 467.000 in 2020 ab. Seit dem demografischen Einbruch und dem Ausbruch von COVID-19 liegen sowohl die Zahl der Anfänger/-innen im dualen System, als auch der Studienanfänger/-innen nah beieinander. Damit wird deutlich, dass angesichts der demografischen Entwicklung seit 2020 keine weitere Abkehr der Jugendlichen vom dualen System erkennbar ist. Dies zeigt auch der zunehmende Anteil an Personen mit einer Hochschulzugangsberechtigung an den Anfängerinnen und Anfängern im dualen System (Kroll, 2023). Zumal zu berücksichtigen gilt, dass auch andere Ausbildungsformen des beruflichen Bereichs, die nicht nach Handwerksordnung (HWO) bzw. Berufsbildungsgesetz (BBIG) ausbilden – insbesondere im Gesundheitswesen – an Bedeutung gewinnen (Dionisius & Illiger).
Zur Fachkräftegewinnung ist jedoch nicht nur die Anzahl an Anfänger/-innen im beruflichen und akademischen Bildungssystem entscheidend, sondern auch die Anzahl derer, die es erfolgreich beenden. Hier ist die Erfolgsquote entscheidend. Um diese Anzunähern setzen wir die Anzahl der erfolgreich absolvierten Abschlussprüfungen ins Verhältnis zur Anzahl an Abgängen des entsprechenden Schultyps. Abbildung 1 zeigt für die Jahre 2000 bis 2022 die somit ermittelten Erfolgsquoten getrennt nach Nationalität. Auffällig sind vor allem die großen Unterschiede in den Erfolgsquoten zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, sowie ihre Veränderung im Zeitverlauf. Der geringste Unterschied zwischen Deutschen und Nichtdeutschen zeigt sich in den Schulen des Gesundheitswesens, die insgesamt auch die höchsten Erfolgsquoten aufweisen. In den Fachschulen, als Einrichtung der beruflichen Weiterbildung, gelingt es die große Lücke zwischen beiden Nationalitäten von rund 8 Prozentpunkten im Jahr 2010 auf rund 4 Prozentpunkte in 2022 zu halbieren. Auch in den Berufsfachschulen erfolgt zwischen den Jahren 2000 und 2022 eine Halbierung in der Lücke der Erfolgsquoten von 16 auf 8 Prozentpunkte. In beiden Schulformen kann auch insgesamt eine Steigerung der Erfolgsquoten in den letzten Jahren erreicht werden.
Bei Fachoberschulen und im dualen System konnte die Erfolgsquote von Personen ausländischer Nationalität bis zum Beginn der 2010er Jahre erhöht werden, seitdem nimmt sie aber wieder kontinuierlich ab. Lediglich in Fachgymnasien sind die Erfolgsquoten sowohl bei den Deutschen als auch den Nichtdeutschen rückläufig. Auffällig ist zudem, dass auch Deutsche im Dualen System Probleme haben ihre Ausbildung erfolgreich zu Ende zu führen. Im Schnitt verlassen hier weniger als 4 von 5 Personen die Berufliche Schule mit einem Abschluss, bei den nichtdeutschen sind es sogar nur drei. Dies hat langfristige Folgen:
Die Zahl der jungen Erwachsenen ohne formalen Berufsabschluss im Alter von 20 bis unter 35 Jahren ist in den vergangenen Jahren angestiegen. Im Jahr 2021 waren dies 2,6 Mio. Personen und damit der höchste Wert seit mehr als 25 Jahren. Der Anteil junger Erwachsener ohne formalen Berufsabschluss an der gleichaltrigen Bevölkerung lag im Jahr 2021 bei 17,8 Prozent (Kalinowski, 2023a) Somit ist der Anteil unter den Jüngeren höher als unter der Erwerbsbevölkerung (15,1% – siehe Tabelle 1). Der Anteil unter Personen mit ausländischer Nationalität war dabei um mehr als dreimal so hoch (37,4%) als bei Personen mit deutschem Pass (11,7%) (Kalinowski, 2023a). Durch die zu erwartenden Wanderungsgewinne wird der Anteil an Personen ausländischer Nationalität von rund 13 Prozent in 2020 auf voraussichtlich 18 Prozent in 2040 zunehmen (Maier et al., 2022). Ohne die Integration zugewanderter Personen und ihrer Nachkommen in Bildung wird Deutschland seine Fachkräfteengpässe deshalb nur begrenzt lösen können.
Anmerkung: Die Erfolgsquoten in beruflichen Schulen entsprechen dem Anteil der Abgänger/-innen mit Abschlusszeugnis an allen Abgängen, im Dualen System der Relation von Prüfungsteilnehmenden mit bestandener Abschlussprüfung zu den Abgängen insgesamt, die indirekt aus den Beständen und neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen berechnet wurden.
Quelle: Fachserie 11 Reihe 1, 2 und 3 (ab 2021 Statistische Berichte) des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2000 bis 2022, eigene Berechnungen. Werte bis 2021 werden als gleitender 5-jähriger Mittelwert abgebildet.
2.2 Entwicklungen der Erwerbsquoten
Neben den Erfolgsquoten im Bildungssystem ist für das tatsächliche Arbeitsangebot auch entscheidend, in welchem Maße die Fachkräfte ihre Arbeitskraft am Arbeitsmarkt anbieten. Auch hier zeigen sich Unterschiede nach Nationalität, insbesondere bei jenen ohne vollqualifizierenden beruflichen Abschluss.
Abbildung 3 verdeutlicht dies anhand der Erwerbsquoten von Deutschen und Nichtdeutschen nach Qualifikationsniveau und Altersgruppen. Personen ohne voll qualifizierenden Berufsabschluss nehmen am geringsten am Erwerbsleben Teil. Im Durchschnitt über die Altersgruppen von 20 bis 64 Jahren üben rund 78 Prozent der Personen ohne Berufsabschluss deutscher Nationalität eine Erwerbstätigkeit aus oder suchen eine. Unter den Nichtdeutschen ist der Anteil mit durchschnittlich rund 67 Prozent rund 11 Prozentpunkte geringer. Die Differenz in der Erwerbsbeteiligung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen schrumpft auf 8 Prozentpunkte bei Personen mit Berufsabschluss (91 Prozent vs. 83 Prozent), beträgt bei Personen mit Aufstiegsfortbildung/Bachelorabschluss/Diplom (FH) bzw. Hochschulabschluss (ohne Bachelor/ Diplom (FH)) im Durchschnitt aber wieder 10 bzw. 12 Prozentpunkte.
Damit sind die Differenzen in den Erwerbsquoten zwischen den Nationalitäten größer als zwischen den Geschlechtern, wie Abbildung 4 verdeutlicht. Im Durchschnitt über die Altersgruppen ist die Erwerbsquote von unqualifizierten Männern rund 18 Prozentpunkte über jener der Frauen. In der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen liegt der Unterschied sogar bei 29 Prozentpunkten. Bei allen anderen Qualifikationsstufen beträgt die durchschnittliche Differenz in der Erwerbsbeteiligung lediglich sechs Prozentpunkte. Dies liegt auch an der unterschiedlichen Erwerbsbeteiligung der Hochqualifizierten nach Geschlecht und Nationalität. Während die Erwerbsquote der ausländischen Männer mit Fortbildungs- oder Hochschulabschluss im Schnitt nur 5 Prozentpunkte unterhalb der deutschen Männer liegt, liegt die Erwerbsquote der ausländischen Frauen 15 Prozentpunkte unterhalb der gleichqualifizierten deutschen Frauen.
Die Unterschiede in der Qualifikationsstruktur zwischen den Geschlechtern, wie auch die ungleiche Erwerbsbeteiligung, führt dazu, dass die Unterschiede im Erwerbsverhalten zwischen deutschen und ausländischen Frauen und Männern mitunter stark ausfallen, wie Abbildung 4zeigt. Über alle Qualifikationen und Altersgruppen hinweg liegt die Erwerbsquote der deutschen Männer um sieben Prozentpunkte oberhalb derer der ausländischen Männer, bei den Frauen ist der Unterschied bei rund 22 Prozentpunkten. Bei den 45- bis 49-Jährigen sind es lediglich 16 Prozentpunkte, bei den 20- bis 24-Jährigen hingegen 30 Prozentpunkte.
Betrachten wir die Entwicklung der Erwerbsquoten über die Zeit (Abbildung 6), zeigt sich ein starker Anstieg bei deutschen Frauen und Männern in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen, während bei den ausländischen Erwerbspersonen ab dem Jahr 2014 in allen Altersgruppen – bis auf die Frauen zwischen 50 und 64 Jahren – ein Einbruch in der Erwerbsquote zu sehen ist. Dieser lässt sich hauptsächlich mit der Fluchtmigration ab diesem Jahr begründen. Geflüchtete stehen dem Arbeitsmarkt erst nach Erlangen einer Arbeitserlaubnis zur Verfügung. Ab dem Jahr 2018 stiegen die Erwerbsquoten dieser Personengruppen wieder an. Insgesamt lässt sich aber erkennen, dass wir im Inland ein Arbeitskräftepotenzial haben, dass in der Vergangenheit nur ungleich gehoben werden konnte.
3 Die Szenario-Technik
Im Folgenden möchten wir aufzeigen, welches inländische Fachkräftepotenzial durch eine mangelnde Integration ausländischer Staatsbürger/-innen im Bildungssystem und im Arbeitsmarkt brach liegt. Hierzu greifen wir auf die Szenario-Technik (Zika, Hummel et al., 2023) zurück, die in Abbildung 7 veranschaulicht ist. Sie wird genutzt, um Wirkungen von einem oder mehreren Einflussfaktoren auf Detail- und Gesamtergebnisse sichtbar zu machen. Die Aussagen können im Sinne einer „Was-wäre-wenn“-Fragestellung interpretiert werden.
Grundlage unserer Analyse ist die Angebotsprojektion des QuBe-Modellverbundes (Kalinowski, 2023b). Als Referenz-Szenario ziehen wir die QuBe-Basisprojektion der 7. Welle mit ihrem Aktualisierungsstand bis zum Juni 2022 (Zika, Schneemann et al., 2023) heran. Für das Bildungssystem wird auf eine Bildungsgesamtrechnung zurückgegriffen, um das künftige Neuangebot aus dem Bildungssystem differenziert nach Qualifikationen (und Berufen) abzuschätzen. Die Basisprojektion unterstellt hier für die (zeitlich volatilen) Erfolgsquoten, dass diese auf ihrem letzten Stand (Status-Quo) verharren. Bei den Erwerbsquoten wird hingegen ein Fortführen des bisherig beobachtbaren Trends – getrennt nach Alter, Geschlecht, Qualifikationsniveau und Nationalität – unterstellt. Davon abweichend greifen wir mit unterschiedlichen Annahmen in die Fortschreibung der „Erfolgsquoten“ und der „Erwerbsquoten“ ein. Diese Annahmen werden nun folgend dargestellt.
3.1 Annahmen zum Szenario „Erfolgsquoten“
Kalinowski und Maier (2023) haben zur Verdeutlichung des Potenzials, das in einer Reduktion der Abbruchsquoten der beruflichen Schulen und Hochschulen schlummern, die Abbruchquoten in den beruflichen Schulen und Hochschulen – getrennt nach Nationalität – bis zum Jahr 2030 halbiert. Damit lag die Erfolgsquote der Deutschen, in etwa auf ihrem historisch höchsten Wert und die der Nichtdeutschen in etwa auf dem Wert der Deutschen. Wir präzisieren nun diese Modellierung und fragen uns, was wäre, wenn alle Personen in den beruflichen Schulen die höchste Erfolgsquote der deutschen Schülerinnen und Schüler der letzten 20 Jahre erreichen würden? Für das duale System würde das beispielhaft bedeuten, dass wie im Jahr 2004 rund 84 Prozent der Abgänger/-innen auch eine erfolgreiche Prüfung absolviert haben, statt der 77 Prozent (Deutsche) bzw. 61 Prozent (Nichtdeutsche) im Jahr 2022. Bei den Berufsfachschulen bleibt die Erfolgsquote der Deutschen bei 82 Prozent, hingegen erhöht sich die der Nichtdeutschen von aktuell 74 Prozent auf eben jenen Wert (Fachschule: 93%, Schule des Gesundheitswesens: 95%, Fachoberschule: 82%, Fachgymnasium: 86%). Für die Hochschulen liegen leider keine Informationen zu den Erfolgsquoten getrennt nach Nationalität vor. Aufgrund der Bologna-Reform und Studienwechsel ist auch die Darstellung von Erfolgsquoten im Zeitverlauf erschwert. Wir bleiben deshalb bei der von Kalinowski und Maier (2023) vorgeschlagenen Berechnungsmethode und Halbieren die Abbrecherquoten an allen Studiengängen.
Wir beginnen mit der Anhebung der Erfolgsquoten im Jahr 2024 und erreichen die gesetzten Zielwerte im Jahr 2030. Ab dem Jahr 2030 verharren sie auf den hohen Werten. Üblicherweise kann eine Ausschöpfung des Potenzials nicht ohne ein verändertes Handeln gelingen. Eine genaue Präzisierung ist aber schwierig, mehr Personal – was über höhere Kosten in Lehre und Erziehung zu simulieren wäre – führen nicht zwangsweise zu einer höheren Erfolgsquote. Wir verzichten an dieser Stelle deshalb auf entsprechende zusätzliche Annahmen, diskutieren mögliche Ansätze aber im Fazit (Abschnitt 5).
3.2 Annahmen zum Szenario „Erwerbsquoten“
Im Referenzszenario, der QuBe-Basisprojektion (Maier et al., 2022) wird wie beschrieben, von einem weiteren Anstieg der Erwerbsquoten entsprechend der empirischen Trends ausgegangen (siehe Abbildung 6). Eine Erhöhung bzw. Festschreibung der Erwerbsquoten auf den historischen Höchststand nach Alter, Geschlecht und Qualifikationsniveau würde deshalb zu keinem nennenswerten Effekt führen, bzw. sogar zu einem geringeren Arbeitskräfteangebot. Stattdessen wird eine Angleichung der Erwerbsquoten von Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit auf das Niveau von Personen deutscher Staatsangehörigkeit simuliert (Zika et al., 2024).
Betrachtet man die Erwerbsquoten nach Geschlecht (siehe Abbildung 6) wird deutlich, dass das größte Potenzial bei Frauen ausländischer Nationalität zu heben ist. Auswertungen anhand des Mikrozensus 2019 zeigen, dass rund 409.000 Personen ausländischer Nationalität aus Gründen der Kinderbetreuung keine Arbeit suchen (Zika et al., 2024, S. 17). Dabei handelt es sich jeweils fast ausschließlich um Frauen. Darüber hinaus zeigt das Sozio-ökonomischen Panel (SOEP), dass Frauen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit insgesamt auch mehr Zeit für Kinderbetreuung aufwenden, als deutsche Frauen. Soll die Erwerbsbeteiligung ausländischer Frauen erhöht werden, dann müssen ihre aktuellen Leistungen in der Kinderbetreuung institutionell erbracht werden und das Angebot auch in entsprechendem Maße in Anspruch genommen werden. Dies würde zu einem entsprechenden Mehrbedarf an Lohn- und Betriebskosten führen und auch den Bau neuer Kinderbetreuungseinrichtungen erfordern, sowie die Nachfrage nach Erwerbstätigen auch entsprechend erhöhen. Eine Zunahme der Erwerbspersonen würde somit auch zu einer zunehmenden Nachfrage nach Erwerbstätigen sorgen. Mit dieser Analyse liegt unser Fokus aber weniger auf der Dynamik des Arbeitsmarktes, als auf der Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzial durch Bildung: Zum einen durch eine erfolgreiche Qualifizierung junger Menschen im Bildungssystem, zum anderen durch die Ermöglichung von freien Zeiten zur Erwerbsteilnahme durch einen Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
4 Ergebnisse
Die nachfolgenden Tabellen stellen die Unterschiede in der Anzahl an Erwerbspersonen nach Qualifikation in den beiden Szenarien „Erfolgsquoten“ und „Erwerbsquoten“ dar. Tabelle 2 legt dar, wie viele qualifizierte Erwerbspersonen wir mehr hätten, wenn bis zum Jahr 2030 alle Schülerinnen und Schüler in den Beruflichen Schulen die jeweils höchste Erfolgsquote der deutschen Schülerinnen und Schüler in den letzten 20 Jahre erreichen würden. Die Ergebnisse dieser Annahme schlagen sich direkt im Fachkräfteangebot mit einem beruflichen Abschluss nieder:
Insgesamt würde eine höhere Effizienz im Bildungssystem, gemessen an den erfolgreichen Abschlussprüfungen, die Zahl der nicht beruflich qualifizierten Erwerbspersonen um rund eine Mio. Personen im Jahr 2040 verringern. Dies hätte auch entsprechende Effekte auf die Anzahl an Personen, die ihre Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen: aufgrund der höheren Qualifikation besteht ein höheres Interesse an einer Arbeitsmarktteilhabe (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4), wodurch das Angebot an Fachkräften am Arbeitsmarkt im Jahr 2040 um rund 96.000 Personen oberhalb der Basisprojektion liegen würde. Es stehen dadurch rund 1,1 Mio. Personen mehr mit einem mindestens voll qualifizierenden Berufsabschluss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Bei den (Fach-)Hochschulen wurde analog zu Kalinowski und Maier (2023) eine Halbierung der Abbruchquoten unterstellt. Der Anstieg von rund 626.000 Fachkräften mit Hochschulabschluss gegenüber der Basisprojektion ist allein dieser Annahme geschuldet. Das zusätzlich zur Verfügung stehende Fachkräfteangebot mit Berufsabschluss im Jahr 2040 ist mit rund 370.000 Personen etwas geringer, als wenn eine Halbierung der Abbruchquoten in den Beruflichen Schulen nach Nationalität unterstellt worden wäre (vgl. Kalinowski & Maier, 2023: + 500.000 im Jahr 2040). Bei der Erhöhung der Erwerbspersonen mit Aufstiegsfortbildung oder Bachelorabschluss handelt es sich um einen Mischeffekt zwischen einer Abbruchquotenhalbierung an (Fach)Hochschulen und besseren Integration ausländischer Schülerinnen und Schüler in den beruflichen Schulen, wie den Fachschulen.
Tabelle 2: Erwerbsperson nach Qualifikationen durch erhöhte „Erfolgsquoten“ gegenüber der Basisprojektion von 2023 bis 2040
Quelle: QuBe-Projekt, Welle 7.1, QuBe-Basisprojektion – Szenario „Erfolgsquoten“; eigene Berechnung und Darstellung
Das Szenario „Erwerbsquoten“ unterstellt eine Angleichung der Erwerbsquoten der Nichtdeutschen an die der Deutschen gleicher Qualifikation und gleichen Alters und Geschlechts. Gegenüber der Basisprojektion, welche für alle Gruppen die bisherigen Entwicklungen (Abbildung 6) in die Zukunft fortschreibt, könnten bei einer Angleichung über 1,5 Mio. Personen dem Arbeitsmarkt im Jahr 2040 zusätzlich zur Verfügung stehen. Rund 552.000 wären jedoch ohne beruflichen Abschluss, da hier das Steigerungspotenzial höher ist, als bei bereits beruflich oder hochschulisch qualifizierten Personen (vgl. Abbildung 3). Rund 967.000 Personen würden jedoch auch mit einem mindestens voll qualifizierenden Berufsabschluss zur Verfügung stehen.
Tabelle 3: Erwerbspersonen nach Qualifikation durch Angleichung der „Erwerbsquoten“ von Deutschen und Nichtdeutschen gegenüber der Basisprojektion von 2023 bis 2040
Quelle: QuBe-Projekt, Welle 7.1, QuBe-Basisprojektion – Szenario „Erfolgsquoten“; eigene Berechnung und Darstellung
Interessant ist, dass für das Arbeitsangebot an Personen mit Berufsabschluss im Jahr 2040 eine Angleichung der Erfolgsquoten in den beruflichen Schulen, sowie eine höhere Erfolgsquote im Bildungssystem insgesamt einen nachhaltigeren Effekt hat, als eine Angleichung der Erwerbsquoten zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. wenngleich berücksichtigt werden muss, dass das Szenario Erwerbsquoten nur eine Angleichung zwischen den Nationalitäten in der gleichen Qualifikationsstufe, gleichen Alters und gleichen Geschlechts unterstellt. Eine ebenfalls mögliche Steigerung der Erwerbsquoten im langfristigen Trend wird bereits in der Basisprojektion unterstellt (Zika et al., 2024).
5 Fazit
Wenn wir über Fachkräftesicherung sprechen, dann wird der Fachkräfteeinwanderung in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte eine hohe Priorität eingeräumt. Durch die wahrscheinlich zu erwartenden Wanderungsgewinne wird der Anteil an Personen ausländischer Nationalität in Deutschland voraussichtlich steigen
Mit diesem Beitrag wollen wir aufzeigen, wie hoch das aktuelle und womöglich zukünftige inländische Fachkräftepotenzial ist, dass durch eine bessere Integration von Personen ausländischer Nationalität im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt geschöpft werden könnte. Hierfür betrachteten wir zunächst die Unterschiede in den Erfolgsquoten in den Beruflichen Bildungsstätten (Abschnitt 2.2) sowie in der Erwerbsbeteiligung (Abschnitt 2.3).
Bei Erfolgsquoten im Bildungssystem ist immer zu berücksichtigen, dass wir auf keine Verlaufsdaten zurückgreifen können und nicht jede Vertragslösung automatisch ein Ausbildungsabbruch ist (Uhly, 2015). Junge Erwachsene, die eine Ausbildung abgebrochen haben, können auch eine Ausbildung in einem anderen Betrieb oder Beruf beginnen. In diesem Beitrag haben wir die Anzahl der erfolgreich absolvierten Abschlussprüfungen ins Verhältnis zur Anzahl an Abgängen des entsprechenden Schultyps gesetzt, um die Erfolgsquoten in den Bildungsstätten anzunähern und zwischen den Schultypen zu vergleichen. Dabei stellen wir fest, dass in allen Beruflichen Schulen Personen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit höhere Erfolgsquoten aufweisen, als Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit, die Differenz aber unterschiedlich hoch ist. Am größten sind die Unterschiede im dualen System, indem auch die Deutschen die geringsten Erfolgsquoten aufweisen. So hatten im Jahr 2021 rund 76 Prozent der Abgänger/-innen eine Abschlussprüfung erfolgreich absolviert, im Jahr 2004 waren es noch rund 84 Prozent.
Das erreichte Qualifikationsniveau wirkt sich auch auf die Erwerbsbeteiligung aus. So wird deutlich, dass Personen ohne voll qualifizierenden Berufsabschluss in geringerem Maße am Arbeitsmarkt teilnehmen. Aber über alle Qualifikationsstufen und Altersgruppen hinweg zeigt sich auch, dass die Erwerbsbeteiligung von Personen ausländischer Nationalität geringer ist, als bei Personen deutscher Nationalität – insbesondere bei den Frauen.
Um das Potenzial zu verdeutlichen, das im Inland brach liegt, weil sowohl die Erfolgswahrscheinlichkeiten in den Beruflichen Schulen als auch die Erwerbsbeteiligung zwischen Personen deutscher und ausländischer Nationalität ungleich sind, haben wir die Szenario-Technik genutzt (Abschnitt 3). Grundlage unserer Analyse ist die Angebotsprojektion des QuBe-Modellsystems (Kalinowski, 2023b), die von einem Fortbestehen aktueller Verhaltensweisen ausgeht.
Im Szenario „Erfolgsquoten“ wird das Potenzial an Fachkräften errechnet, das dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünde, wenn in den beruflichen Bildungsstätten die höchste Erfolgsquote der deutschen Schülerinnen und Schüler der letzten 20 Jahre erreicht und die Abbruchquoten in den Hochschulen halbiert würden. Im Szenario „Erwerbsquoten“ wird eine Angleichung der Erwerbsquoten von Personen ausländischer Nationalität auf das Niveau von Deutschen gleichen Alters, Geschlecht und Qualifikation unterstellt.
In den Ergebnissen (Abschnitt 4) zeigt sich, dass eine Steigerung der Erfolgsquoten die Zahl der Erwerbspersonen mit einem mindestens vollqualifizierenden Abschluss im Jahr 2040 um rund 1,1 Mio. gegenüber der Basisprojektion (keine Veränderung der Erfolgsquoten) erhöhen würde. Allein durch die Höherqualifizierung der Personen im erwerbsfähigen Alter, würde das Arbeitsangebot um rund 96.000 Personen steigen. Die Zahl der Personen ohne Berufsabschluss würde um rund 1 Mio. zurückgehen. Eine Anhebung der Erwerbsquoten von Personen ausländischen Geschlechts auf das der Deutschen würde die Zahl der Erwerbspersonen sogar um rund 1,5 Mio. Personen erhöhen, darunter befänden sich rund 967.000 Personen mit einem mindestens vollqualifizierenden Berufsabschluss.
Konzentriert man sich nur auf Fachkräfte mit Berufsabschluss, in denen mittel- und langfristig Knappheiten (Maier et al., 2022; Zika, Schneemann et al., 2023) aufgrund des Ausscheidens der Baby-Boomer-Generation bestehen, so wirkt die Steigerung der Erfolgsquoten im Bildungssystem nachhaltiger: Hier stehen im Szenario „Erwerbsquoten“ im Jahr 2040 rund 370.000 Personen mehr zur Verfügung, im Szenario „Erwerbsquoten“ hingegen rund 100.000 Personen weniger. Eine Rückkehr auf die höchsten Erfolgsquoten der jeweiligen Bildungsstätten in den letzten 20 Jahren ist damit weniger anspruchsvoll als die von Kalinowski und Maier (2023) unterstellte Halbierung der Abbruchquoten. Sie berechneten, dass eine Halbierung der Abbruchquoten in den Bildungsstätten nach Nationalität das Fachkräfteangebot im beruflichen Bereich um rund 500.000 Personen im Jahr 2040 steigern könnte.
Was könnte also getan werden?
Die aufgezeigten Entwicklungen offenbaren, dass zur künftigen Fachkräftesicherung vor allem an den Erfolgschancen im Bildungssystem angesetzt werden muss. In den beruflichen Schulen zeigt sich, dass die Integrationsfähigkeit des dualen Systems offenbar an seine Grenze gekommen ist: Es gelingt den Betrieben, Praxen und Verwaltungen weniger die einmal unter Vertrag genommenen Jugendlichen zu einem Abschluss zu führen. Gerade zu Beginn des Jahrtausends, in der Blütezeit des „Übergangssystems“, konnten Betriebe noch unter mehreren Jugendlichen auswählen. Dennoch können die Veränderungen in den Erfolgsquoten nicht nur über entsprechende Selbstselektion der Jugendlichen erklärt werden. Blickt man auf die Unterschiede in den Erfolgsquoten zwischen den Bildungsstätten, so stellt man fest, dass gerade in den landesrechtlich geregelten Berufsfachschulen, die Erfolgsquoten in der jüngeren Vergangenheit angestiegen sind. Die dort angebotenen Bildungsgänge sind im Schnitt etwas kürzer als im dualen System.
Eventuell könnte eine Ausweitung von Teilqualifizierungen im dualen System den Anteil der erfolgreichen Abgänge erhöhen. Das volle Spektrum berufsfachlicher Kompetenzen wird für den selbstständigen Einsatz in Unternehmen häufig nicht benötigt. Für Jugendliche mit geringeren schulischen Vorkenntnissen hätte es den Vorteil, dass die Komplexität, die zu einem Ausbildungsabbruch führen kann, verringert würde (Wink, 2022), sie schneller im Erwerbsleben stünden und damit mehr als während der Ausbildung verdienen könnten. Gleichzeitig kann es eine Motivation für die Weiterführung des Bildungsweges hin zu einem vollqualifizierenden Abschluss sein, wenn dieser mit beruflichen Aufstiegschancen verknüpft ist.
In den Beruflichen Schulen sehen wir in den Schulen des Gesundheitswesens die höchsten Erfolgswahrscheinlichkeiten. Dies mag an den Fähigkeiten der Jugendlichen liegen. Es könnte aber auch zu Teilen auf die pädagogische Ausstattung der Bildungsgänge im Gesundheitswesen zurückzuführen sein, in welchen die Anforderungen an das betriebliche Bildungspersonal hoch sind – gemessen an den Aufwandsstunden für eine berufspädagogische Weiterbildung im Vergleich zum Lehrgang für die Ausbildungseignungsverordnung im dualen System. Zudem verbringen die Auszubildenden trotz hoher Praxisanteile mehr Zeitanteile in den Schulen und damit bei pädagogisch geschultem Personal. Womöglich muss über eine Stärkung der pädagogischen Ausstattung in der beruflichen Ausbildung nachgedacht werden. Denn wenn die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen aus Sicht der Betriebe abnimmt, dann müssen die pädagogischen Kompetenzen des Ausbildungspersonals gestärkt werden, so dass Faktoren die häufiger zum Ausbildungsabbruch führen, wie bspw. wenig Spaß bei der Arbeit und körperliche Überlastung reduziert werden, sofern die berufliche Tätigkeit dies zulässt (Beckmann et al., 2023; Siembab et al., 2023). Dafür spricht, dass bei einer Erhöhung der Erfolgsquoten insgesamt, wie in den Fachschulen und Berufsfachschulen geschehen (Abbildung 2), auch der Unterschied in den Erfolgsquoten zwischen Deutschen und Nichtdeutschen abnimmt.
Vorzeitige Vertragslösungen stehen neben wenig Spaß und körperlichen Belastungen aber auch häufig im Zusammenhang mit starken Kompromissen in der Berufswahl (Beckmann et al., 2023). Hier könnte auch eine bessere Berufsorientierung helfen – die sich nicht auf bestimmte Gruppen und Ausbildungswege beschränkt. Denn auch im Hochschulbereich zeigt sich, dass Abbrüche wahrscheinlicher sind, wenn das Studienfach nicht zum Wunschberuf passt (Ebert & Heublein, 2017). Die Berufsorientierung sollte deshalb auch an den Gymnasien gestärkt werden. Darüber hinaus ist bekannt, dass Migrantinnen und Migranten eine angesichts der schulischen Leistungen zu ambitionierte Studienfachwahl treffen (Ebert & Heublein, 2017). Studienaussteigende müssen deshalb aufgefangen werden. In der DZHW-Studienabbruchstudie 2016 haben rund 43 Prozent der Abbrecherinnen und Abbrecher ein halbes Jahr nach Exmatrikulation eine Berufsausbildung begonnen (Heublein et al., 2017, S. 187–189). Dies ist sowohl für die Individuen als auch die Berufsausbildung von Vorteil. Dennoch ist die Anzahl junger Erwachsener zwischen 20 und unter 35 Jahren ohne voll qualifizierenden beruflichen Abschluss aber mit Hochschulzugangsberechtigung mit rund 671.000 im Jahr 2023 (Kalinowski, 2024) zu hoch.
Neben Maßnahmen, die direkt am Bildungserfolg in den beruflichen Schulen und Hochschulen ansetzen, gilt es aber auch die Jugendlichen auf die weiterführenden Bildungswege vorzubereiten. So ist
bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit keinen beruflichen Abschluss zu erhalten bereits mit dem Niveau des allgemeinbildenden Abschlusses vorbestimmt ist: Nur jede vierte Person ohne Hauptschulabschluss kann einen beruflichen Abschluss vorweisen. Bei Personen mit Haupt- und Realschulabschluss sind es hingegen rund 4 von 5 Personen (Kalinowski & Pfeifer, 2023). Vor allem bei Personen ausländischer Nationalität, aber auch bei Personen mit deutschem Pass und Migrationshintergrund ist die Förderung der deutschen Sprache essentiell. Allerdings hat die Deutschkompetenz unter den Neuntklässler/-innen in den allgemeinbildenden Schulen seit 2009 abgenommen. Sowohl unter Personen mit Zuwanderungshintergrund, deren Anteil um 12 Prozentpunkte auf 38% zugenommen hat, als auch unter Personen ohne Zuwanderungshintergrund. Zudem ist der Abstand in der Deutschkompetenz zwischen beiden Gruppen angewachsen (Henschel et al., 2023).
Ebenfalls bekannt ist, dass sich im institutionalisierten Kontext bei Kindern von Migrantinnen und Migranten größere Lernerfolge im Spracherwerb zeigen (z.B. Becker, 2010). Ein weiterer Ausbau aber auch eine frühere Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsangeboten, insbesondere bei Kindern unter drei Jahren, kann deshalb ebenfalls dazu beitragen, die späteren Erfolgschancen in den allgemeinen und berufsbildenden Bildungsstätten zu verbessern. Die Ausweitung institutioneller Kinderbetreuungseinrichtungen würde es aber auch ermöglichen, das ebenfalls brachliegende Potenzial an Arbeitskräften an ausländischer Nationalität, insbesondere unter den Frauen zu heben. So liegt die Erwerbsbeteiligung von Ausländerinnen wie in Abbildung 5 gezeigt, zwischen 20 und 34 Jahren bis zu 30 Prozentpunkte unterhalb der gleichalten deutschen Frauen.
Zika et al. (2024, S. 17) zeigen, dass im Jahr 2019 rund 409.000 Personen ausländischer Nationalität aus Gründen der Kinderbetreuung keine Arbeit suchten, dabei handelt es sich jeweils fast ausschließlich um Frauen. Darüber hinaus wenden Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit auch mehr Zeit für Kinderbetreuung auf, als deutsche Frauen. Um die Erwerbsbeteiligung ausländischer Frauen zu erhöhen, müsste zunächst das Angebot für institutionelle Kinderbetreuung erhöht, aber auch das Maß der Inanspruchnahme gesteigert werden. Aus der Perspektive der Fachkräftesicherung ist es auf jeden Fall lohnend in den Ausbau frühkindlicher Betreuungsangebote, den frühzeitige Erwerb von Deutschkompetenz bei Zugewanderten aber auch in der allgemeinbildenden Schule zu investieren. Zudem sollte eine breite Berufsorientierung stattfinden und die duale Ausbildung durch einen Ausbau von Teilqualifizierungen flexibilisiert und durch Stärkung der pädagogischen Ausstattung in der Ausbildungsqualität verbessert werden. Diese Maßnahmen sind nicht als Alternativen zur Fachkräfteeinwanderung zu sehen. Die Schöpfung des inländischen Fachkräftepotenzials durch Bildung ist mit zunehmenden Wanderungsgewinnen umso wichtiger als sie es sowieso schon war und ist.
Literatur
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Zitieren des Beitrags
Maier, T., Kalinowski, M. & Krinitz, J. (2024). Die potenziellen Fachkräfte sind da – wenn ausländische Personen besser in Bildung und Erwerb integriert werden. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 46, 1–19. https://www.bwpat.de/ausgabe46/maier_etal_bwpat46.pdf