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bwp@ Spezial 17 - Mai 2020
Zukunftsdiskurse - berufs- und wirtschaftspädagogische Reflexionen eines Modells für eine nachhaltige Wirtschafts- und Sozialordnung
Hrsg.:
, , &Die nachhaltige Schülergenossenschaft „Kauflust“ an den berufsbildenden Schulen Haarentor der Stadt Oldenburg. Ein Interview
Berufsbildende Schulen übernehmen nicht nur in einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung eine zentrale Rolle, sondern sind auch sehr bedeutend, wenn es um eine gesamtgesellschaftliche Transformation in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung geht. Sie sind einerseits Orte der kritischen Auseinandersetzung und der Reflexion und andererseits Orte handlungsorientierten Lernens. Dies geschieht beispielsweise in nachhaltigen Schülergenossenschaften. Im Interview mit Petra Jünke berichtet sie über die nachhaltige Schülergenossenschaft „Kauflust“ an den berufsbildenden Schulen Haarentor der Stadt Oldenburg und gibt darüber hinaus interessante Einblicke und Ansatzpunkte für eine Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung.
Interview:
Bitte stellen Sie sich und die Genossenschaft Kauflust vor.
Mein Name ist Petra Jünke. Ich bin seit über 25 Jahren Lehrerin an berufsbildenden Schulen. Ich war erst in Wilhelmshaven und jetzt bin ich seit 2001 in Oldenburg. Von Beginn an bin ich in unserer nachhaltigen Schülergenossenschaft „Kauflust“ aktiv. Sie wurde 2012 als fünfzigste Schülergenossenschaft in Niedersachsen in Zusammenarbeit mit dem Weser-Ems-Genossenschaftsverband und unserem Partner der Volksbank Oldenburg eG gegründet.
Wir haben damals die Schülergenossenschaft im Zuge der Reform der Berufsfachschule (früher: Höhere Handelsschule) in Niedersachsen gegründet. Die Berufsfachschulen mussten berufsspezifisch ausgerichtet werden, bspw. in mit den Schwerpunkten Büro, Handel usw. Damals haben wir beschlossen, dass das klassische Lernbüro nicht mehr ausreicht. Die Schülerinnen und Schüler sollten jetzt auch real unternehmerisches Denken und Handeln erfahren und erleben. Und das geschieht natürlich am besten über das Arbeiten und Lernen in Schülerfirmen. Um jetzt ökonomisch vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen, sind wir auf die Idee gekommen, eine Schülergenossenschaft zu gründen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wir werden als Schülergenossenschaft vom Genossenschaftsverband begleitet. Auch die wirtschaftliche Prüfung wird vom Verband vorgenommen. Jedes Jahr kommt ein Wirtschaftsprüfer, der unsere Buchhaltung prüft.
Das Besondere in Oldenburg ist, dass mittlerweile sieben Klassen mit insgesamt über 140 Schülern in sechs verschiedenen Firmen teilnehmen, die allesamt der Schülergenossenschaft angehören. Das ist eine wirkliche Herausforderung, da die Schülerinnen und Schüler ja immer nur für ein Schuljahr teilnehmen und in dieser Zeit auch die ganz typischen Angelegenheiten einer Genossenschaft, wie bspw. Mitgliederversammlungen, durchgeführt werden müssen. Dabei werden auch immer die Vorstände aus den einzelnen Klassen gewählt, der Aufsichtsrat wird benannt und es finden regelmäßig Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen statt. Und natürlich wird auch fleißig in den Firmen selbst gearbeitet. Die Arbeit zahlt sich für alle Beteiligten aus. So wurden wir schon mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
Lassen Sie uns gerne noch ein wenig über den Aufbau der Schülergenossenschaft sprechen. Sie haben ja gerade gesagt, es gibt einen Aufsichtsrat und es gibt einen Vorstand, wie passen Sie da jetzt genau rein?
Im Grunde genommen gibt es ja viele Schülerfirmen, die von nur einer Klasse betreut werden. Bei uns ist die Besonderheit, dass wir sieben Klassen haben, die in verschiedenen Schülerfirmen arbeiten. Im Vorstand der Schülergenossenschaft sollten eigentlich nur Schüler/-innen sitzen, das ist aber bei uns aus organisatorischen Gründen nicht realisierbar. Deswegen sitzen auch drei Lehrkräfte im Vorstand. Und ich wurde als Vorstandsvorsitzende gewählt und bin der zentrale Ansprechpartner, zum Beispiel gegenüber dem Genossenschaftsverband. Die Mehrheit im Vorstand haben jedoch immer die Schüler/-innen inne.
Und im Aufsichtsrat sitzen auch Personen, die nicht in das operative Geschäft der Schülergenossenschaft eingebunden sind. Hierzu gehören beispielsweise unsere Bankberaterin als schulexterne Person oder auch der stellvertretende Schulleiter.
Sie haben sich ja damals bewusst dazu entschieden, die Schülergenossenschaft nachhaltig auszurichten. Welche Gründe haben damals dafürgesprochen und sprechen heute noch dafür?
Wir haben zwar schon von Anfang an den Nachhaltigkeitsaspekt berücksichtigt, so richtig in den Fokus gerückt ist das Thema Nachhaltigkeit aber erst in den letzten Jahren. Also zunächst war uns dieses Konstrukt Schülergenossenschaft ganz wichtig. Unter der Schülergenossenschaft vereinigen sich verschiedene Firmen, die unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgen, beispielsweise Catering, Handel mit nachhaltigen Waren usw. In anderen Klassen beschäftigen wir uns zum Beispiel mit dem Thema „Upcycling“, indem wir aus altem Plastik Beauty-Bags herstellen. Dass das Thema „Nachhaltigkeit“ in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt ist, hängt sicherlich auch mit den Fairdays zusammen, bei der sich die Schülergenossenschaft stark einbringt.
Erzählen Sie gern mehr über die Fairdays.
Die Fairdays sind eine Projektwoche rund um das Thema „Nachhaltigkeit“ (siehe auch: https://www.bbs-haarentor.de/news/fairdays-2019). Es geht dabei um die Frage, wie fairer Handel gefördert werden kann und nachfolgenden Generationen genügend Ressourcen überlassen werden, damit sie ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen können. Am Ende der Projektwoche findet eine zentrale Abschlussveranstaltung statt. Zum einen präsentieren dort Schüler/-innen ihre Projekte und Ideen, die sie während der Projektwoche erarbeitet haben. Zum anderen sind auch externe Partner eingeladen, wie zum Beispiel Unternehmen, die über nachhaltige Siegel informieren. Auch Ehrenamtliche und Verbände sind vertreten. Die Firmen der Schülergenossenschaft präsentieren sich und ihre Produkte auch auf der Abschlussveranstaltung. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel Bienenwachstücher selbst hergestellt und dort verkauft.
Mittlerweile sind wir auch eine Kooperation mit einem regionalen Bio-Hof eingegangen. Eine Schülerfirma verkauft dann regionale Produkte des Hofs. Eine andere Schülerfirma hat aus alten Aktenordnern Garderoben hergestellt oder auch aus alten Büchern Kästen für Stifte oder Ähnlichem. Daneben gibt es auch noch eine Schülerfirma, die sich nur mit Handel von Waren auseinandersetzt. Hier werden zur Weihnachtszeit Adventskränze usw. eingekauft, die in der Jugendwerkstätte VHS Oldenburg angefertigt wurden.
Die Erfassung der Waren- und Finanzströme erfolgt dann in den Handelsklassen. Alle Belege werden gesammelt und diesen Klassen übergeben. Die Schüler/-innen buchen dann die ganzen Vorgänge und ermitteln am Ende des Jahres den Gewinn. Daraus wird ein Jahresabschluss erstellt, der vom Genossenschaftsverband kontrolliert wird. Der Vorstand arbeitet immer einen Vorschlag für die Gewinnverwendung aus. In allen beteiligten Klassen wird dann über diesen Vorschlag abgestimmt. In der Regel handelt es sich um einen Ausflug oder eine gemeinsame Aktion, bei der alle Schüler/-innen beteiligt sind. Letztes Jahr ging es beispielsweise nach Groningen, in diesem Jahr wollen wir alle gemeinsam in Oldenburg ins Kino gehen.
Mittlerweile ist auch die Berufsfachschule IT eingebunden. Die Schüler arbeiten dort daran, dass wir in Zukunft mal einen Online-Shop erhalten.
Lassen Sie uns gern über die Organisation der Schülerfirmenarbeit sprechen. Wieviel Zeit verbringen die Schüler in einer Schülerfirma?
Bei uns ist das nicht so, dass die Schüler/-innen an einem festen Tag in der Woche in der Schülerfirma arbeiten und an den anderen Tagen nicht. In der Regel arbeiten sie zwischen vier und sechs Stunden pro Woche in der Schülerfirma, meistens aufgeteilt auf zwei Schultage in der Woche. Wir haben zwei speziell ausgestattete Räume, in denen die Schüler arbeiten können. Außerdem haben wir noch einen Lagerraum, in dem wir unsere Vorräte aufbewahren.
Wie werden denn die Leistungen der Schüler bewertet, die in den verschiedenen Schülerfirmen lernen und arbeiten?
Das ist unterschiedlich. In meiner Klasse mit dem Schwerpunkt Industrie ist es so, dass die Schüler/-innen immer etwas produzieren sollen, das am Ende verkauft wird. Am Anfang müssen sie hierfür eine Produktidee entwickeln. Dann müssen sie für ihre Produktidee das Material zusammenstellen und die Kosten ermitteln. Danach fertigen sie einen Prototypen und überlegen sich einen Verkaufspreis. Am Ende verkaufen sie ihre Produkte und ermitteln, wieviel Gewinn sie erwirtschaftet haben. Und alle Prozesse müssen sie dokumentieren. Hierfür erhalten sie eine Vorlage, bei der sie unter anderem angeben, wann sie was erledigen wollen. Das ist vergleichbar mit den Tätigkeitsberichten in der Ausbildung. Ganz am Ende des Schuljahres stellen sie noch ihr Projekt vor. Beurteilt werden dann verschiedene Aspekte: die Abschlusspräsentation, ihr Verhalten und ihr Engagement während der Schülerfirmenarbeit, die Tätigkeitsberichte und auch das eigentliche Produkt. Haben sie sich Mühe gegeben oder nicht? War das eine eigene Idee die sie entwickelt haben oder ist das eine Idee von uns Lehrkräften gewesen? Aus all diesen Aspekten ermitteln wir dann eine Note. Ergänzend schreiben die Schüler noch eine Theoriearbeit, beispielsweise auch zum Thema Nachhaltigkeit.
Die KollegInnen in den anderen Schülerfirmen machen das analog hierzu. Auch hier werden alle Prozesse von den Schülerinnen und Schülern selbstorganisiert durchlaufen und dokumentiert. Darum geht es ja letztendlich. Die Schüler/-innen sollen unternehmerisches Handeln in der Praxis erfahren und reflektieren. Dabei geht es um typische Fragen: Wie wurden die Produkte auf dem Markt angenommen? Wie erfolgreich war ich eigentlich? Warum hat vielleicht ein Plan mal nicht geklappt?
Das klingt insgesamt recht anspruchsvoll für die Schüler. Wie schätzen sich das Arbeits- und Lernverhalten der Schüler in den Schülerfirmen ein?
Das ist in der Tat interessant. Es gibt Schüler/innen, die teilweise im traditionellen Unterricht nicht besonders leistungsstark sind, die leben in der Schülerfirma richtig auf. Sie nehmen das selbstständige Arbeiten und die hiermit verbundene Verantwortung an. Sie entwickeln tolle Ideen, werden kreativ, sind engagiert und helfen sich untereinander. Sie machen also die Schülerfirma zu ihrem ganz eigenen Projekt. Wir Lehrkräfte unterstützen sie dabei und halten uns während der Schülerfirmenarbeit eher zurück. Dazu muss man noch erwähnen, dass wir immer zu zweit unterrichten.
Natürlich gibt es auch andere Schüler/innen, die lehnen sich eher ein bisschen zurück – vor allem wenn sie merken, dass es einige gibt, die sich besonders stark engagieren. In der Regel macht es den Schülern in der Schülerfirma aber immer viel Spaß, weil es eine andere Art von Unterricht ist. Beispielsweise hören die Schüler auch Musikwährend sie produktiv sind. Solche Dinge unterscheiden sich schon stark vom traditionellen Unterricht.
Jetzt legen sie mit der Schülergenossenschaft ja einen besonderen Wert auf das Thema „Nachhaltigkeit“. Wie nehmen die Schüler es auf, wenn Sie sie zu Beginn des Schuljahres in die nachhaltige Schülergenossenschaft einführen?
Die Schüler/innen in den Berufsfachschulen kommen von allgemeinbildenden Schulen und haben dort nicht unbedingt schon in einer Schülerfirma gearbeitet, so dass am Anfang der Schülerfirmenarbeit für die meisten alles noch sehr komplex ist. Sie können ja kaum etwas mit unternehmerischem Denken anfangen. Wenn wir dann die Schüler/-innen darüber aufklären, dass sie nun alle Teil einer Schülergenossenschaft sind, dann wissen sie gar nicht, was eine Genossenschaft ist und mit dem Begriff „nachhaltig“ können sie auch noch nicht viel anfangen. Es dauert ein bisschen, bis sich die Schüler/-innen eine Vorstellung davon machen, wie die Arbeit in den Schülerfirmen überhaupt abläuft. Der Nachhaltigkeitsaspekt wird natürlich im Unterricht aufgenommen. Dieses Thema ist für die Jugendlichen durchaus wichtig. Umweltprobleme werden in den Medien ja immer präsenter, auch Fridays for Future ist bei den Schülern angekommen.
In diesem Zusammenhang würde ich gern den Blick erweitern, von der konkreten Schülergenossenschaft der BBS Haarentor auf allgemeinere Bildungsanliegen im Hinblick auf die Ausbildung von jungen Menschen. Dazu würde ich zuerst einmal ganz gerne wissen, was Sie selbst unter nachhaltigem Wirtschaften oder einer nachhaltigen Wirtschaftsweise verstehen?
Hier spielen natürlich verschiedene Aspekte eine Rolle: einmal natürlich ökologische, bei denen es vorrangig um Umweltschutz geht. Aber auch soziale Aspekte sind wichtig, wenn es um das Miteinander unter globaler Perspektive geht. Hier erhält die Ökonomie dann auch ihre besondere Bedeutung, denn es ist ja allen klar, dass Unternehmen sich umstellen müssen, um künftig nachhaltiger zu wirtschaften.
Ich versuche Nachhaltigkeit in meinen Unterricht einzubinden. Ich hatte neulich beispielsweise einen Umweltaktivisten aus Ghana zu Gast in meinem Unterricht. Er hat auch die Schülerfirma, die ich betreue, besucht. Er hat eindrucksvoll erklärt, welche Probleme es in Ghana gibt, beispielsweise mit dem Plastikmüll. Daraufhin entstand eine lebhafte Diskussion, in der es darum ging, was Unternehmen denn machen können, um nachhaltig zu wirtschaften. Da konnten die Schüler/innen auch einige gute Beispiele aus der Unternehmenspraxis einbringen. Auf der anderen Seite versuche ich den Schülerinnen und Schülern natürlich auch bewusst zu machen, dass die Umweltprobleme auch direkt vor unserer Haustür existieren. Ich habe zum Beispiel erst vor kurzem einen Film mit meinen Schülern geguckt, in dem es um Plastikmüll in der Nordsee geht. Und so versuche ich das Thema „Nachhaltigkeit“ immer wieder in meinen Unterricht zu integrieren.
Im Hinblick auf nachhaltiges Wirtschaften besteht ja die Herausforderung für Unternehmen darin, weiterhin ökonomisch erfolgreich zu sein und gleichzeitig einen Beitrag zur Lösung ökologischer und sozialer Probleme zu leisten. Was kann Ihrer Meinung nach die Berufsbildung grundsätzlich tun, um eine nachhaltige Wirtschaftsweise stärker zu befördern?
Das ist natürlich eine komplexe Angelegenheit. Es gibt gerade bei uns in der Region zahlreiche Unternehmen, die in Sachen Nachhaltigkeit bereits viel machen. Dort werden die Auszubildenden schon mit dem Thema konfrontiert. Prinzipiell gilt für berufsbildende Schulen aber Stand heute, dass wir nur immer wieder versuchen können, vereinzelte Anknüpfungspunkte für Nachhaltigkeitsthemen im Unterrichtsgeschehen zu finden. Wenn die Auszubildenden bei uns im Unterricht diese Themen aufnehmen, dann tragen sie sie in die Betriebe rein. Das Thema „Nachhaltigkeit“ ist aber noch nicht grundsätzlich an berufsbildenden Schulen angekommen. Das liegt vor allem daran, dass das Thema in den Rahmenlehrplänen nur eine Randnotiz darstellt. Hier gibt es noch viel Nachholbedarf, aber die Mühlen im Bildungsbereich mahlen eben sehr langsam. Eigentlich geht es in den Lehrplänen immer noch ausschließlich um Gewinnmaximierung. Immerhin haben die Schulbücher das Thema „Nachhaltigkeit“ ein wenig ausgedehnt und schenken ihm mehr Beachtung.
Wer trägt denn aus Ihrer Sicht die Verantwortung, dass die Ordnungsmittel im Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit überarbeitet werden?
Ich denke, hier ist schon vor allem die Politik gefordert.
Wir haben uns in unserem Projekt ausgiebig mit der Frage beschäftigt, wer eigentlich in einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung die Verantwortung für die Bildung trägt. Eine Forderung war, dass an der Curriculumentwicklung nicht nur Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter mitwirken, sondern auch NGOs einbezogen werden. Was halten Sie von dieser Idee?
Ich finde die Idee grundsätzlich gut, auch wenn ich nicht absehen kann, wie die Verbände auf diese Forderung reagieren würden. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es auch Widerstände geben würde – insbesondere aus der Wirtschaft. Die Unternehmen stehen ja unter dem Druck, kurzfristig Gewinne zu generieren. Das unternehmerische Handeln ist ja leider oft nicht langfristig angelegt. Insofern kann ich mir denken, dass mehr Raum für Nachhaltigkeit in den Lehrplänen bspw. zu Lasten anderer Themen blockiert werden würde. Dabei bin ich mir aber eigentlich sicher, dass das Thema Nachhaltigkeit in vielen Unternehmen bereits angekommen ist. Und es lässt sich mit nachhaltigen Geschäftsmodellen mit Sicherheit auch Geld verdienen. Wenn ich nur daran denke, wie viel noch in Bezug auf Kreislaufsysteme geändert werden muss.
Dass Nachholbedarf bei den Ordnungsmitteln besteht, darüber sind wir uns einig. Fraglich ist ja aber zum Beispiel auch, was als Lernziele in diesen Ordnungsmitteln vorgesehen sein soll. Hierzu müsste man die Frage kläre, welche Kompetenzen für nachhaltiges Wirtschaften erforderlich sind.
Das ist richtig. Hier ist vor allem erst einmal wichtig, dass die Lernenden ein Bewusstsein für Problemlagen im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung erlangen. Kürzlich haben wir eine Bewusstseinsschärfung bei Auszubildenden zum Thema Mobilität anvisiert. Hier ging es um das Beispiel Luxemburg, wo der Personennahverkehr ja nun kostenlos angeboten wird. Vor diesem Hintergrund habe ich mit der ganzen Klasse diskutiert, ob dies auch in Deutschland umgesetzt werden sollte. Ich denke, durch die Diskussion ist allen klargeworden, dass sich in Sachen Mobilität noch einiges ändern muss.
Die Erweiterung des Bewusstseins und der Wahrnehmung muss natürlich gekoppelt werden mit Wissen über nachhaltiges Wirtschaften. Hierzu gehören zum Beispiel auch alternative Konzepte zur Beurteilung von Wohlstand. Im VWL-Unterricht haben wir hierzu das Thema „Kauflos glücklich“ behandelt. Dabei ging es um die kritische Frage, ob das Bruttoinlandsprodukt den Wohlstand einer Volkswirtschaft abbilden kann. Es gibt ja alternative Konzepte, wie beispielsweise das „Brutto-Sozial-Glück“ in Bhutan. Das ständige Konsumieren spielt dort ja nur eine untergeordnete Rolle. In der Klasse kamen natürlich jede Menge Fragen auf, die zeigen, dass Konsum in Deutschland selbstverständlich ist. Wir haben dieses Alternativkonzept dann ausführlich reflektiert und Ideen entwickelt, wie man denn die Umwelt in Deutschland schonen könnte. Das waren zwar nur kleinere Ansätze, wie das Vermeiden von Plastiktüten, aber es waren Ideen, die unternehmerisches Handeln mit privatem Konsum verbunden haben. Ich glaube, die Reflexion des eigenen Verhaltens ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig.
Und ich möchte noch ergänzen, dass kreatives Denken auch zu den wichtigen Kompetenzen für nachhaltiges Wirtschaften gehört. Leider sind wir hier durch die straffen curricularen Vorgaben etwas eingeschränkt. Aber gerade die Fairdays sind der richtige Ort, um kreative Ideen für eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu entwickeln. Hier haben alle Schüler/-innen die Möglichkeit, Ideen einzubringen. Eine Idee war zum Beispiel, dass eine App entwickelt werden soll, in der alle Schüler/-innen unserer Schule Mitfahrgelegenheiten finden und Fahrgemeinschaften bilden können. Der Einzugsbereich unserer Schule ist ja relativ groß, da war das schon eine clevere und kreative Idee.
Solch eine regionale Perspektive ist natürlich wichtig. Es geht aber auch darum, überregionale und internationale Zusammenhänge zu verstehen. Hierzu führen wir gerade ein Erasmus+-Projekt mit Partnerschulen aus der Türkei und Rumänien durch. Wir sind auf einer gemeinsamen Internetplattform miteinander vernetzt und bearbeiten das Thema „Reduce und Reuse“. Im Speziellen geht es dabei um Plastikmüll. Und im Rahmen dieses Projekts haben die Schüler/innen zum Beispiel ermittelt, wie viele Plastikflaschen in unserer Schule weggeworfen werden und haben davon etliche Fotos gemacht. Hieraus können positive Impulse für die Schulgemeinschaft entstehen. Und durch den Austausch auf der Plattform erfahren die Schüler/-innen zusätzlich, wie es in anderen Schulen in anderen Ländern aussieht.
Sie setzen bei Ihren Aktivitäten im Hinblick auf Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung ja schon sehr stark auf Kooperationen mit externen Partnern. Wie verhält es sich da im Rahmen der Lernortkooperation mit Ausbildungsbetrieben?
Zunächst einmal glaube ich, dass Auszubildende sowohl in der Schule als auch in den Ausbildungsbetrieben mit Fragen der Nachhaltigkeit in Berührung kommen. In den Betrieben in unserer Region werden solche Fragen ja auch bearbeitet. Wenn wir uns jetzt mal soziale Aspekte einer nachhaltigen Unternehmensführung anschauen, das sind zum Beispiel Fragen nach einem geeigneten Gesundheitsmanagement, nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf usw., die ja gerade sehr aktuell sind. Viele Ausbildungsbetriebe kooperieren ja auch mit Hansefit oder nehmen am IHK-Ausbildungslauf rund um das Zwischenahner Meer teil.
Gerade mit den Industriebetrieben hier vor Ort stehen wir in einem guten Austausch – nicht nur über Nachhaltigkeitsthemen, sondern eigentlich über alle aktuellen Themen. Die Ausbilder und Lehrkräfte treffen sich regelmäßig, um sich gegenseitig zu informieren. Wir tauschen uns über alle möglichen Projekte in beiden Lernorten aus und versuchen Hand in Hand zu arbeiten. Beispielsweise unternehmen wir auch Betriebsbesichtigungen, um Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Und viele Unternehmen beteiligen sich ja auch an schulischen Projekten, wie zum Beispiel den Fairdays.
Wenn wir jetzt zum Abschluss des Interviews noch einmal in die Zukunft schauen, was würden Sie sich für den Unterricht an berufsbildenden Schulen wünschen, wenn es um Nachhaltigkeit geht?
Das momentan vorherrschende Thema ist die Digitalisierung. Hier werden in naher Zukunft große Veränderungen stattfinden. Beispielsweise werden wir schon bald keine Tafeln mehr in den Klassenräumen sehen, sondern nur noch interaktive Boards. Wir Lehrkräfte müssen jetzt erst einmal geschult werden. Zwar setzen wir digitale Medien im Unterricht schon häufig ein, das wird in Zukunft aber noch mehr werden und ganz andere Dimensionen einnehmen. Wenn ich jetzt an Nachhaltigkeit in der Institution Schule denke, dann würde ich mir wünschen, dass wir bald plastikfrei wären. Und die Schulverpflegung könnte sich noch ändern: noch mehr Bioprodukte, noch mehr regionale Produkte.
Allein durch die erlebbaren Veränderungen in Sachen Klima wird Nachhaltigkeit weiter in den Fokus kommen, wenn es jetzt um den konkreten Unterricht geht. Sicherlich wird Nachhaltigkeit nicht in alle Lernfelder in allen Berufen schnell implementiert werden. Das würde mich zumindest sehr wundern, wenn es so wäre. Wir müssen aber auch bedenken, dass gerade in Lernfeldern, in denen es um Beschaffung geht, oder auch im VWL-Unterricht gehören Nachhaltigkeitsaspekte schon fest in den Unterricht. Hier wird sich zukünftig sicherlich auch noch etwas in den Lernfeldern verändern, in denen Absatz und Marketing behandelt werden. Es ist zu beobachten, dass sich Unternehmen immer mehr um umweltgerechte Verpackungen kümmern, Produkte im Hinblick auf Recyclingfähigkeit entwickeln und sich generell dem ganzen Plastikproblem annehmen. Das wird sicherlich auch in der Schule zukünftig verstärkt ein Thema werden. In anderen Bereichen sieht es aber anders aus. Im Rechnungswesenunterricht geht es quasi immer noch einzig und allein um die klassische Bilanzmethode. Insgesamt würde ich mir aber wünschen, dass Nachhaltigkeit sukzessive in allen Lernfeldern und Fächern Berücksichtigung findet.
Ich würde gerne ganz am Ende den Kreis schließen und noch einmal auf Ihre Schülergenossenschaft zurückkommen. Wie soll es in Ihren Augen mit der Schülergenossenschaft weitergehen?
Zunächst einmal könnte ich mir vorstellen, dass die Schülergenossenschaft digitaler wird, beispielsweise indem wir mehr Apps entwickeln, mit denen sich die Arbeitsprozesse besser steuern lassen. In Bezug auf Nachhaltigkeit unternehmen wir bereits sehr viel. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Genossenschaft in Zukunft so weitergeführt wird wie bisher. Wir sind da auf einem guten Weg.
Zitieren des Beitrags
Jünke, P. (2020): Die nachhaltige Schülergenossenschaft „Kauflust“ an den berufsbildenden Schulen Haarentor der Stadt Oldenburg. Ein Interview. In: bwp@ Spezial 17: Zukunftsdiskurse – berufs- und wirtschaftspädagogische Reflexionen eines Modells für eine nachhaltige Wirtschafts- und Sozialordnung, hrsg. v. Slopinski, A./Panschar, M./Berding, F./Rebmann, K., 1-8. Online: https://www.bwpat.de/spezial17/juenke_spezial17.pdf (18.5.2020).