bwp@ Profil 5 - Mai 2017

Entwicklung, Evaluation und Qualitätsmanagement von beruflichem Lehren und Lernen

Profil 5: Digitale Festschrift für HERMANN G. EBNER

Hrsg.: Sabine Matthäus, Carmela Aprea, Dirk Ifenthaler & Jürgen Seifried

Von Prinzen, Schiffsreisen und Abenteuern: Hermann G. Ebner als akademischer Mentor

In der modernen Karriereforschung bezeichnet der Begriff Mentor eine einflussreiche, höherrangige Person im Arbeitsumfeld einer jüngeren Arbeitskraft, welche üblicherweise als Mentee bezeichnet wird. Der Mentor verfügt im jeweiligen Umfeld über große Erfahrung sowie großes Wissen, und ihm ist daran gelegen, die berufliche Entwicklung der jüngeren Kraft zu fördern und ihren Aufstieg zu unterstützen. Dabei nimmt er verschiedene Funktionen wahr: Der Mentor gibt Orientierung, fördert die Talente des Mentees, erteilt strategische Ratschläge und leistet auch Beistand bei Zweifeln oder Rückschlägen. Er hilft bei inhaltlichen Fragen, gewährt Einblicke in berufliche Kniffe und macht formale und informale Regeln deutlich. Ferner unterstützt er bei der Karriereplanung, ermöglicht neue Kontakte, macht Leistungen und Potenziale des Mentees für andere einflussreiche Personen sichtbar und schützt bei drohenden Schäden. Einige Autoren fügen außerdem den Aspekt hinzu, dass Mentoren Rollenmodelle sein können. Ein Mentor verbindet damit die Rollen eines Lehrers, eines Coaches, eines Förderers und eines Vorbilds (vgl. Blickle/Schneider 2007, 395f.).

Der Ursprung des Mentoring findet sich in der griechischen Mythologie, denn Mentor ist eine Gestalt aus der Odyssee, in welcher der antike Dichter Homer (8. Jh. v. Chr.) in 24 Gesängen mit rund 12.000 Hexameterversen die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka, Sohn des Laertes, schildert, der nach dem zehnjährigen Trojanischen Krieg weitere zehn Jahre umherirrt und nach zahlreichen Widerfahrnissen schließlich heimkehrt. Bei seiner Heimkehr findet Odysseus sein Haus voller habgieriger und verschwendungssüchtiger Aristokraten – den so genannten Freiern – vor, die sein Eigentum aufzehren und seiner Frau Penelope nachstellen. In seinem letzten Abenteuer muss er daher den Kampf mit diesen Freiern aufnehmen (vgl. Köhlmeier 2003, 167ff.).

Ein Parallelstrang der Odyssee – die Telemachie (Homer 2015, 1.-4. Gesang) – erzählt, wie Prinz Telemachos, der mittlerweile zum jungen Mann herangewachsene Sohn von Odysseus und Penelope, sich angesichts der Belagerung durch die Freier auf die Suche nach dem vermissten Vater begibt, um endlich Klarheit über dessen Schicksal zu erhalten. Auf dieser Reise, welche ihn zu alten Weggefährten von Odysseus führen soll – nämlich zu dem sagenhaften Nestor, Herrscher der Stadt Pylos, sowie zu Menelaos, dem König von Sparta – wird Telemachos von Mentor begleitet, einem angesehenen Ithaker von adeliger Herkunft und langjährigen Freund von Odysseus, dem dieser seine Familie und seinen Hausstand vor seinem Aufbruch anvertraut hat. Das Besondere dabei ist, dass es sich bei Mentor um eine der Inkarnationsfiguren handelt, derer sich Pallas Athene, Tochter des Zeus und Göttin der Weisheit, der Strategie, des Kampfes und der Kunst (vgl. Grant/Hazel 2001, 79f.) bedient, um mit schützender Hand in das Schicksal der Mitglieder des Königshauses von Ithaka einzugreifen (was Telemachos gottgewollt natürlich nicht weiß).

Unter dem Einfluss von Mentor (alias Athene) setzt sich Telemachos zum ersten Mal gegen die Freier zur Wehr. Er beruft eine Volksversammlung ein und fordert die Schmarotzer auf, den Hof seines Vaters zu verlassen. Bei dieser von den Adressaten vorhersehbar wenig goutierten Versammlung ergreift Mentor für seinen Schützling das Wort, ohne freilich Gehör zu finden. Vielmehr verspotten die überheblichen Freier Telemachos, dem sie nicht zutrauen, die Reise tatsächlich anzutreten. Erbost verlassen sie die Versammlung, welche sich damit auflöst. In dieser Situation rät Mentor/Athene dem vom Ausgang der Geschehnisse wenig angetanen Telemachos, nicht aufzugeben und sich seiner Stärken zu besinnen. Mehr noch, Mentor beschafft ihm ein Schiff und eine Mannschaft, und gemeinsam stechen sie in See.

Auf Pylos angekommen fragt sich der Prinz nun, wie er als „Greenhorn“ dem großen und altehrwürdigen Nestor entgegentreten soll. Einmal mehr ist es Mentor, der ihn anspornt, an sich zu glauben, und in der Tat ist Nestor derartig von Telemachos begeistert, dass er ihm sogar seinen Sohn zur Seite stellt, welcher ihn nach Sparta begleiten soll. Dort erfahren die beiden jungen Männer von König Menelaos, dass Odysseus lebt und bald nach Ithaka zurückkehren wird, woraufhin Telemachos umgehend die Heimreise antritt. In der Zwischenzeit haben allerdings die rachsüchtigen Freier von seiner Reise erfahren. Sie beschließen, sein Schiff in einen Hinterhalt zu locken und den Prinzen zu ermorden. Dieser Plan wird jedoch durch Mentor vereitelt, der das Schiff sicher in einer abgelegenen Bucht am Strand von Ithaka einfahren lässt. Prinz Telemachos kehrt somit unbeschadet in seine Heimat zurück, wo er seinen Vater trifft und ihm dabei hilft, das Treiben der dreisten Freier – erwartungsgemäß auf recht gewaltsame Art und Weise – zu unterbinden. Mentor/Athene kommt hernach die besondere Ehre zu, das Gemetzel gegen die Freier ebenso wie das gesamte homerische Epos mit den folgenden Worten zu beschließen: „Edler Sohn des Laertes, erfindungsreicher Odysseus! Mache ein Ende mit dem Krieg, der alles zugrunde richtet!“ (Homer 2015, 24. Gesang, 429). Odysseus gehorcht und der (innere wie auch äußere) Frieden ist nach langer Zeit endlich wieder hergestellt.

Der Philosoph und ehemalige französische Erziehungsminister Luc Ferry interpretiert die Odyssee als Initiations- und Reifungsprozess, welcher vom Chaos zur Ordnung führt, und bei dem es darum geht, trotz Herausforderungen den von jedem Menschen selbst und stets aufs Neue zu bestimmenden eigenen Weg zu finden (Ferry 2009, 184f.). In Ferrys Lesart weist die Odyssee meines Erachtens einige Parallelen zu einer wissenschaftlichen Laufbahn auf, und wohl dem, der wie Telemachos einen erfahrenen und klugen Mentor zur Seite hat. Dieses Glück ist mir mit Hermann Ebner als meinem akademischen Mentor zuteil geworden, was ich im Folgenden an einigen, für viele andere stehende persönlichen Erlebnissen und Beobachtungen beispielhaft verdeutlichen möchte.

Ähnlich wie sein antikes ‚Pendant‘ versteht es Hermann Ebner, auch bei den komplexesten und vertracktesten Problemen stets einen Ausweg zu finden und die entsprechende Orientierung zukommen zu lassen. Unübertroffen und wegweisend ist hierbei vor allem seine Befähigung, die betreffenden Sachverhalte ohne Umschweife auf den Punkt zu bringen und mögliche Lösungsperspektiven aufzuzeigen, welche er in der Regel auf maximal drei Aspekte fokussiert. Seine Überlegungen untermauert er dann üblicherweise durch die aktive und äußerst zielführende Nutzung gestischer Repräsentationsformen, bestehend aus dem parallel zur mündlichen Rede erfolgenden Anheben von Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Ebenso darf auch eine Graphik nicht fehlen, in welcher die zündenden und oftmals rettenden Ideen in statu nascendi festgehalten und damit verfüg- und diskutierbar gemacht werden. Sollte nun eine wissenschaftliche Fragestellung über die drei Aspekte hinausgehende bedenkenswerte Nuancen aufweisen (– was bei Hermann Ebners umfassendem Überblick nicht nur über die Berufs- und Wirtschaftspädagogik, sondern auch über angrenzende Disziplinen eigentlich immer der Fall ist) greift die sogenannte „Ohrenstrategie“, was so viel heißt wie, dass man diese interessanten ‚Nebengleise‘ später, wenn die prioritäre Arbeit getan ist, wieder aufgreifen kann. Bei aller strategischen Ausrichtung ist Hermann Ebners Denken und Handeln aber immer von einer für alle Beteiligten spürbaren Leidenschaft für die Sache getragen, was ich an ihm nicht nur sehr schätze, sondern auch bewundere.

Eine weitere Parallele lässt sich zur Geschichte von Telemachos und seinem Mentor ziehen, nämlich dass eine gute Beziehung zwischen Mentor und Mentee von Vertrauen, Verbindlichkeit, Wohlwollen und gegenseitigem Respekt geprägt ist. Auch in dieser Hinsicht konnte ich mich auf Hermann Ebner stets uneingeschränkt verlassen, unabhängig davon, um welche Art von Frage es sich handelte (– und in vielen Fällen auch unabhängig davon, zu welcher Tages- bzw. Nachtzeit diese Frage auftauchte). Hermann Ebner kommt hier vor allem zugute, dass er ein begnadeter Zuhörer ist, der mit Ruhe und Gelassenheit vernimmt, bevor er redet, dabei zuallererst versuchend, das Problem zu verstehen, und zwar aus der Perspektive dessen, dem oder der es sich gerade stellt, um einem dann mit jener Zuversicht entgegenzutreten, die vermittelt, dass man „das schon schaffen werde“. Und er hat nie belehrt, nie den Zeigefinger des Älteren und Erfahreneren erhoben, auch und insbesondere dann nicht, wenn etwas mal „nicht so gut“ lief.

Eine letzte Analogie zu Homers Mentor sei mir erlaubt, denn wie im hellenischen Beispiel ist auch hier eine Schiffsreise im Spiel. Im Jahre 1999 führte uns die Konferenz der European Association for Research on Learning and Instruction (EARLI) nach Göteborg. Da wir beschlossen, mit dem Auto anzureisen, war eine Überfahrt mit der Fähre nach Dänemark erforderlich. Unglücklicherweise stellte sich just in dem Moment, als wir losschipperten, ein heftiges Unwetter ein – ein Umstand, der auf einem Katamaran für die meisten Menschen nur bedingt ein Vergnügen ist. Anders für Hermann Ebner, der auch bei dieser Gelegenheit (aber nicht nur hier!) ein mustergültiges Beispiel geliefert hat, wie man selbst beim stärksten Seegang eine elegante Figur macht (– in scharfem Gegensatz zu uns anderen, die wir doch eher recht blass um die Nase waren, um es vorsichtig auszudrücken). Diese Begebenheit ist im Übrigen fotographisch verbürgt, so dass sich jede/r ein eigenes Bild von der Richtigkeit meiner Einschätzung machen kann.

Hermann Ebner hat also alle oben genannten Mentoringfunktionen in vortrefflicher Weise erfüllt. Unsere gemeinsame Zeit war immer und in jeder Hinsicht „abenteuerlich“ im besten Sinne des Wortes, nämlich: intellektuell inspirierend, nie langweilig und hat sehr viel Spaß gemacht. Lieber Hermann, ich danke dir aufs Herzlichste für all dies und wünsche dir für die Zukunft noch viele spannende Abenteuer!

Literatur

Blickle, G./Schneider, P. B. (2007): Mentoring. In: Schuler, H./Sonntag, K. (Hrsg.): Handbuch der Arbeits- und Organisationspsychologie, Göttingen u.a.: Hogrefe, 395-402.

Ferry, L. (2009): Leben lernen: Die Weisheit der Mythen. München: Kunstmann.

Grant, M./Hazel, J. (2001): Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. München: DTV.

Homer (2015): Odyssee. In Prosa übertragen von Karl Ferdinand Lempp; Herausgegeben von Michael Schröder. Frankfurt am Main: Insel Verlag.

Köhlmeier, M. (2003): Das große Sagenbuch des klassischen Altertums. München: Pieper.

Zitieren des Beitrags

Aprea, C. (2017): Von Prinzen, Schiffsreisen und Abenteuern: Hermann G. Ebner als akademischer Mentor. In: bwp@ Be­rufs- und Wirtschaftspädago­gik – online, Profil 5: Entwicklung, Evaluation und Qualitätsmanagement von beruflichem Lehren und Lernen. Digi­tale Festschrift für HER­MANN G. EBNER, hrsg. v. Matthäus, S./ Aprea, C./Ifenthaler, D./Seifried, J., 1-4. Online: http://www.bwpat.de/profil5/aprea_profil5.pdf (23-05-2017).