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bwp@ Ausgabe Nr. 16 | Juni 2009
Selbstverständnis der Disziplin
Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 16 sind Karin Büchter, Jens Klusmeyer & Martin Kipp

MOSES MENDELSSOHNs Bildungsverständnis zwischen Philanthropismus und Neuhumanismus oder Das Problem der Genese des berufsbildungstheoretischen Denkstils

Beitrag von Alfons BACKES-HAASE (Universität Hohenheim)

Abstract

HERWIG BLANKERTZ hat die Denkform der Berufsbildungstheorie historisch-systematisch aus dem Widerspruch zwischen Philanthropismus und Neuhumanismus heraus entwickelt. Die Merkmale dieser Denkform werden im Anschluss an die Metatheorie der Denkstile von LUDWIK FLECK zu¬nächst rekonstruiert. Der berufsbildungstheoretische Denkstil ist, so wird dargelegt, besonders durch apriorisches und geschichtsphilosophisches Denken gekennzeichnet. Die anschließende Darstellung geht von der Beobachtung aus, dass sich historisch neben Philanthropismus und Neuhumanismus im Bereich der jüdischen Aufklärung (Haskala) ein alternativer Denkstil entwickelte, der sich unter Berück¬sichtigung des aktuellen interdisziplinären Forschungsstandes aus dem Werk MOSES MENDELSSOHNs rekonstruieren lässt. Sein Denkstil widersetzt sich Universalitätsansprüchen des geschichts¬philosophischen Denkens in Antinomien ebenso wie Dominanzvorstellungen in Bezug auf das Verhältnis von Aufklärung und Kultur und favorisiert statt dessen ein Denken in Pluralität und wechselseitigen Bedingungsverhältnissen. Der Beitrag präsentiert ein komplexes Bild der historischen Ausgangslage neuzeitlichen Denkens über die Konstellation von individueller und gesellschaftlicher (beruflicher) Bildung in Deutschland, das die historisch-systematische Struktur berufsbildungstheore¬tischen Denkens ebenso herausfordert wie möglicherweise Impulse für die alternative Formulierung aktueller Problemstellungen enthält.


MOSES MENDELSSOHN’s understanding of education between philanthropism and new humanism or: The problem of the genesis of the vocational education and training theoretical way of thinking

HERWIG BLANKERTZ developed the way of thinking of the theory of vocational education historically and systematically from the contradiction between philanthropism and new humanism. Firstly, the characteristics of this way of thinking are reconstructed in connection with LUDWIK FLECK’s meta theory of ways of thinking. The way of thinking of the theory of vocational education, this paper explains, is particularly characterised by a priori and historical and philosophical thinking. The ensuing presentation begins with the observation that historically, alongside philanthropism and new humanism in the area of the Jewish Enlightenment (Haskala), an alternative way of thinking developed, which can be reconstructed taking account of the latest current inter-disciplinary research from the work of MOSES MENDELSSOHN. His way of thinking opposes the demands of universality of the historical-philosophical thinking in antinomies as well as the dominance ideas concerning the relationship of enlightenment and culture, and favours, instead, a thinking in plurality and mutually conditional relationships. The paper presents a complex picture of the historical starting point of modern thinking about the constellation of individual and societal (vocational) education in Germany, which challenges the historical-systematic structures of theoretical thinking about vocational education and also possibly contains impulses for the alternative formulation of ways of looking at current problems.

1 Einleitung und Problemstellung

Vor zweihundert Jahren, in der Zeit vom 20. Februar 1809 bis zum 23. Juni 1810, leitete WILHELM VON HUMBOLDT die Sektion Kultus und Unterricht im preußischen Innenmi­nisterium. Diese 16 Monate gelten als Schlüssel für die Erfolgsgeschichte des allgemeinbil­denden Schulwesens und des Hochschulwesens in (Preußen-)Deutschland. Sie markieren aber zugleich auch den Ursprung des noch heute strittigen „deutschen Bildungs-Schismas“ (M. BAETHGE) zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung, das als Grund für eine anhal­tende Fehlstruktur des deutschen Bildungswesens gilt.

Genau einhundert Jahre nach der folgenreichen Episode HUMBOLDTs als Sektionsleiter, in den Jahren 1909 und 1910, legte EDUARD SPRANGER in rascher Folge seine beiden für die HUMBOLDT-Rezeption bedeutenden Bücher über den preußischen Bildungsreformer und den Bildungsphilosophen vor: zu dessen bildungsphilosophischem Werk „Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee“ (1909), SPRANGERs Berliner Habilitationsschrift, und zu seinem bildungspolitischen Wirken „Wilhelm von Humboldt und die Reform des Bil­dungswesens“ (1910); beide Werke bereiteten, so HERWIG BLANKERTZ, SPRANGERs spätere „kulturphilosophische Sicherung der für die Berufsschule vorausgesetzten Möglich­keit von Bildung durch den Beruf“ vor (BLANKERTZ 1985 (1963), 126, Anm. 2; vgl. KUT­SCHA 2008 u. BACKES-HAASE 2007).

Und weitere 50 Jahre später, 1959, promovierte HERWIG BLANKERTZ bei seinem Lehrer ERICH WENIGER, seinerzeit Haupt der Göttinger Schule der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, mit einer Arbeit über den „Begriff der Pädagogik im Neukantianismus“ (BLAN­KERTZ 1959; vgl. RUHLOFF 1989) und präsentierte im Folgejahr 1960 erstmals seine epo­chemachende Neubewertung des Zusammenhangs von Neuhumanismus und Berufsschule in einem kleinen Beitrag für „Die berufsbildende Schule“ (BLANKERTZ 1960). Mit seiner kri­tisch-genetischen Historiographie (so DIETER LENZEN 1989, 219f. im Anschluss an JÖRN RÜSEN) dieses Verhältnisses beansprucht BLANKERTZ, durch „rationale Rekonstruktion“ (so das Verständnis von JÜRGEN ZABECK 2009a, 15f. u. 712 im Anschluss an RUDOLF CARNAP) die Behandlung der (beruflichen) Bildungsfrage durch HUMBOLDT und SPRANGER historisch authentisch in einen Zusammenhang zu setzen und zugleich gültig systematisch abzusichern (vgl. KUTSCHA 1983, 815). BLANKERTZ verfolgt damit die weiterreichende politisch-praktische Intention (vgl. z.B. LENZEN 1989, 216), Orientierung für eine Reform des bundesdeutschen Bildungswesens aus dem wahren Geist WILHELM VON HUMBOLDTs und von wahrhaft HUMBOLDTschen Ausmaßen zu schaffen. Bekann­termaßen zielte der Kollegschulversuch NW auf die Lösung eben jenes Bildungs-Schismas als Problem von Allgemein- und Berufsbildung durch ein emanzipatorisch akzentuiertes (berufs-)bildungstheoretisch begründetes Bildungsgangkonzept mit einer entsprechenden cur­ricularen Struktur und einer Gliederung des Bildungswesens in Stufen jenseits des Dualismus von allgemeinbildendem und berufsbildendem Schulwesen (vgl. FINGERLE 2009, KUT­SCHA 2008 u. ELSTER 2007, bes. 132-145).

2009/10 müssen wir nun feststellen, dass „die“ Berufsbildungstheorie ihren Verächtern unter den Berufs- und Wirtschaftspädagogen – mit einem Wort LESSINGs über die Missachtung BARUCH DE SPINOZAs im 18. Jahrhundert – als „toter Hund“ gilt; sie präferieren dagegen Zielformulierungen des arbeitsmarktbezogenen Lernens, die ausdrücklich, wenn nicht gar polemisch vom Anspruch beruflicher Bildungstheorie abrücken. Aber auch Berufs- und Wirt­schaftspädagogen, die das berufsbildungstheoretische Denken zumindest prinzipiell (noch) achten, hegen offenbar vermehrt Zweifel an der Orientierungskraft dieser Denkform und hal­ten Ausschau nach alternativen theoretischen Optionen; diese sollen aus ihrer Sicht jedoch zumindest noch Gelegenheit bieten, den konstitutiven Anspruch berufsbildungstheoretischen Denkens in sich aufzuheben, nämlich, dass Arbeit und Beruf dem Individuum auch als Sinn­erfahrung zugänglich sein müssen (vgl. KUTSCHA 2008 sowie LISOP/ SCHLÜTER 2009 passim).

Der vorliegende Beitrag greift nicht unmittelbar in diese Diskussion ein. Er bezieht sich vielmehr auf die historiographische Ableitung dieser Denkform durch HERWIG BLAN­KERTZ in seiner allgemeinpädagogischen Habilitationsschrift aus dem Jahr 1962 an der vor­maligen Wirtschaftshochschule Mannheim (BLANKERTZ 1985; vgl. auch BLANKERTZ 1982a). Darin entwickelt er aus dem Widerspruch zwischen Philanthropismus und Neuhuma­nismus seine historisch-systematische Re‑Konstruktion der berufsbildungstheoretischen Denkform, die in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik schon bald kanonisch wurde (vgl. KUTSCHA 1983, 816.). Auf dem gegenwärtigen interdisziplinären Erkenntnisstand zum Zeitalter der Spätaufklärung in Preußen-Deutschland stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht jenseits des polemisch-exkludierenden Diskurses um Nützlichkeit oder Humanität historisch eine systematisch relevante alternative, „dritte“ Position gab, die ihrerseits eine anspruchs­volle Reflexion der Aporien im Verhältnis von individueller und gesellschaftlicher Bildung in die Diskussion einbrachte, insofern sie die Priorität von Gesellschaft oder Individualität in frage stellte und entschieden auf Enthierarchisierung und wechselseitige Bedingung setzte? Eine solche Position findet sich im Umfeld der Haskala, der jüdischen Aufklärung, und zwar speziell bei ihrem Vordenker MOSES MENDELSSOHN, zumindest wenn man die neueste MENDELSSOHN-Forschung zu Rate zieht, die ihn als Philosophen versteht, der in para­doxaler Weise „gerade weil er so kompromisslos für die Aufklärung einsteht, […] ihre Schwächen wie kein anderer zu bezeichnen“ vermag (GOETSCHEL 1996, 172 ; vgl. auch GOETSCHEL 2004 u. 2007 sowie bes. HILFRICH 2000, 2002 u. ERLIN 2002, 85).

Als methodologische Grundlage des vorliegenden Beitrags dient ein Wissenschaftssoziologie mit Wissenschaftsgeschichte verschränkender Ansatz aus der Mitte 30er Jahre des 20. Jahr­hunderts, der aufgrund der zeithistorischen Umstände (Nationalsozialismus) und der wissen­schaftlichen Konkurrenzsituation (Frontstellung gegen die seinerzeit dominante Wiener Schule des Logischen Empirismus) zunächst keine Resonanz fand. Wie tief diese Konzeption THOMAS S. KUHNs epochemachende wissenschaftshistorische Vorstellung vom Paradig­menwechsel beeinflusst hat, ist heute nicht mehr abschließend zu klären; KUHN weist im Vorwort jedenfalls auf ihren Urheber hin (vgl. SCHÄFER/ SCHNELLE 1980, XLVI). Die Rede ist von LUDWIK FLECK (1896-1961), der als Mediziner im galizischen Lwów wirkte. Seine Metatheorie der Genese wissenschaftlicher Erkenntnis präsentierte er in seiner Schrift „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ (FLECK 1980) am Bei­spiel der medizinischen „Konstruktion“ von Krankheitsbildern, besonders des nicht zuletzt durch kulturelle Einflüsse bestimmten Krankheitsbildes der Syphilis. FLECK gewann die Grundbegriffe „Denkstil“ und „Denkkollektiv“ aus gestalt- und ethnopsychologischen sowie soziologischen und evolutionstheoretischen Voraussetzungen. Eine Denkgemeinschaft, so FLECK, bringt kooperativ einen Denkstil hervor, der in einer Art von, wie FLECK dies psy­chologisierend nennt, „Denkzwang“ (ebd., 124) festlegt, was ihre Mitglieder in der Folge als wissenschaftliche Tatsache  wahrnehmen (vgl. FLECK 1980). Dabei ist FLECK zum einen an den (kultur‑)historischen Bedingungen interessiert, die das Entstehen eines Denkstils begünstigen. Sein besonderes Augenmerk richtet sich aber auf die Frage der stilmäßigen Ausbildung einer Denkform unter den sozialen Bedingungen eines wissenschaftlichen Denk­kollektivs. FLECK unterscheidet eine Phase der Ausnahmen und eine Phase der Klassizität (TH.S. KUHNs Stadium normaler Wissenschaft; vgl. ebd., 42); die Phase der Klassizität ist nach FLECK erreicht, wenn ein Denken dazu nötigt, „bei bestimmten aktiv vorgenommenen Voraussetzungen die zwangsmäßig, passiv sich ergebenden Zusammenhänge festzustellen“ (ebd., 85). Die Ausbildung stilmäßigen Denkens ist für FLECK kein Spezifikum der Natur­wissenschaften, sie findet ebenso in den Geisteswissenschaften wie auch in der Entwicklung alltäglicher Denkformen statt (vgl. ebd., 58).

Der vorliegende Beitrag unterstellt nun, dass das berufsbildungstheoretische Denken als ein solcher Denkstil aufgefasst und in seiner Stilmäßigkeit näher bestimmt werden kann. Dies geschieht nicht im Gestus materialistischer Reduktion (vgl. GONON 2002, 124-134) oder wissenschaftstheoretischer Widerlegung (vgl. ZABECK 2009b). Vielmehr soll durch den Blick auf die spezifische Stilmäßigkeit der (soziale) Konstruktionscharakter der Theoriege­nese und ‑struktur betont werden, dies nicht zuletzt, um Anschluss an ein weiteres zentrales Argument Flecks zu gewinnen: nämlich dass ein solcher kollaborativer Konstruktionsprozess in einer Wissenschaftlergemeinschaft abweichende Möglichkeiten der Konstruktion wissen­schaftlicher Tatsachen in dem betreffenden Feld entweder „übersieht“ oder die Mitglieder einer Denkgemeinschaft diese, evtl. auch mit einer gewissen Absicht, nicht wahrnehmen (vgl. FLECK 1980, 43f.). Ziel des Beitrages ist es, die Aufmerksamkeit auf einen alternativen Denkstil zu lenken, der sich in bewusster Auseinandersetzung mit Voraussetzungen des berufsbildungstheoretischen Denkstils um eine abweichende Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen in Bezug auf das uns „vertraute“ Gegenstandsfeld bemühte.

2 HERWIG BLANKERTZ oder Der Denkstil historisch-systematischer Notwendigkeit

BLANKERTZ’ Projekt, den Gedankengang der Bildung durch den Beruf aus der Entwick­lung der Bildungsphilosophie in Preußen-Deutschland seit dem „pädagogischen Jahrhundert“ herauszuarbeiten, setzt bei dem (historisch wie systematisch verstandenen) Widerspruch zwi­schen Philanthropismus und Neuhumanismus an (vgl. BLANKERTZ 1985). Geistesge­schichtlicher Hintergrund dieser Konstellation ist die Ablösung der „popularen Philosophie der deutschen Spätaufklärung“ (BÖHR 2003), welche auf der LEIBNIZschen Metaphysik und ihrer Ausarbeitung in der WOLFFschen Schulphilosophie beruhte, durch den Kritizismus IMMANUEL KANTs, der die Voraussetzungen menschlichen Erkennens revolutionierte. Für die pädagogische Theorieentwicklung war speziell KANTs Kritik des Konzepts der Eudämo­nie, die auch BLANKERTZ übernimmt (vgl. BLANKERTZ 1985, 66), von Bedeutung. Die­ses praktisch-philosophische Konzept in aristotelischer Tradition diente der Popularphiloso­phie unter dem Begriff der Glückseligkeit als Abschlussformel für die Reflexion praxisbezo­gener wie z.B. pädagogischer Probleme, bei denen eine Vermittlung von Selbst- und Fremd­bezug (in der Terminologie der Zeit von Vollkommenheit und Brauchbarkeit) zu leisten war: Im Selbstgenuss konnten in dieser Konzeption von Eudämonie, entgegen dem Vorwurf KANTs, durchaus auch leidende Anteile eingeschlossen sein sowie auf ethische Gesichtspunkte Rücksicht genommen werden (vgl. SCHWAIGER 1995).

Charakteristisch für den Modus des Wechsels der Denkstile im Übergang zur kritischen Phi­losophie ist, wie KANT sich mit der Eudämonie auseinandersetzt. In der neueren Philoso­phiegeschichtsschreibung wird darauf verwiesen, dass KANT „den“ Eudämonismus zunächst eindimensional stilisiert, bevor er ihn dann global als ungeeignet zurückweist und damit alle seine Vertreter, speziell auch WOLFF, als „Popularphilosophen“ brandmarkt (vgl. z.B. SALA 2004). Die Wende von der Aufklärungsphilosophie zum KANTischen kritischen Den­ken vollzog sich also auch in Bezug auf zentrale Stücke der Theoriebildung eher im Gestus der Polemik und weniger der sachlichen Auseinandersetzung etwa um die bessere Eignung von Theorieangeboten zur Konzipierung von Praxisproblemen; mit ihr waren theoriepoliti­sche und in der Folge auch praktische politische Ziele verbunden.

NIKLAS LUHMANN hat dies zum Gegenstand seiner Analyse der „Theoriesubstitution“ (LUHMANN 1981) des Philanthropismus durch den Neuhumanismus als dominante Reflexi­onstheorie des neu entstehenden Erziehungssystems gemacht. LUHMANN führt die Bereit­schaft der Schüler eines FRIEDRICH AUGUST WOLF, rasch und umfassend auf einen neuen, noch weitgehend ungeprüften philosophisch-pädagogischen Denkstil in Gestalt des auf der kritischen Philosophie beruhenden Neuhumanismus für den Aufbau des Bildungswe­sens nach dem Zusammenbruch Preußens zu setzen, auf einen – vermeintlichen – Autono­miegewinn pädagogischer Reflexion unter den Bedingungen eines unübersichtlicher werden­den politischen und gesellschaftlichen Umfeldes in der Folge der Französischen Revolution zurück (vgl. ebd.).

BLANKERTZ hat den polemischen Charakter der seinerzeitigen Diskussion durchaus erkannt, ja er baut seine Argumentation zur Umwertung des Verhältnisses von Neuhumanis­mus und Berufsschule nicht zuletzt auf diese Erkenntnis auf (vgl. zum Folgenden BLAN­KERTZ 1985 passim). Nachdem er im ersten Teil seiner „problemgeschichtlichen Untersu­chung“ „Berufsbildung und Utilitarismus“ den Status quo des (Nicht‑)Verhältnisses zwischen Berufsschule und Neuhumanismus in den 50er/60er Jahren des 20. Jahrhunderts kritisch auf­gegriffen hat, verweist er auf polemische Übersteigerungen der „utilitaristische[n] Berufsbil­dungstheorie der Aufklärungspädagogik“. So zitiert er CAMPEs Ausfall in einem Reisebe­richt von 1785, in dem dieser den Erfinder des Tretspinnrades aus dem 14. Jahrhundert, JOHANN JÜRGEN aus Watenbüttel (Braunschweig), aufgrund der Nützlichkeit seiner Inno­vation der Jugend als Vorbild empfiehlt statt des HOMER, des Sängers – nutzloser – Epo­peen (vgl. BLANKERTZ 1985, 100f.), der für die gräzistische Inspiration eines praxisfernen Bildungsideals steht. Auch im Teil „Bildung und Beruf im Neuhumanismus“ knüpft BLAN­KERTZ kritisch an die pädagogisch-historisch legendäre anti-philanthropische Polemik von ERNST AUGUST EVERS „Über die Schulbildung zur Bestialität“ aus dem Jahr 1807 an, der er vorhält, sie tauge als Muster „eines sich absolut setzenden Humanismus, der auch den lei­sesten Versuch einer gerechten Würdigung des Gegners verschmäht“ (72). Argumentations­strategisch schließt BLANKERTZ die „radikalen“ Positionen resp. unsachlichen Ausfälle ebenso wie die „bloßen [persönlich-historischen] Meinungen“ (vgl. kritisch ZEDLER 1989, 63) der Vertreter beider Seiten aus der weiteren Betrachtung aus und konzentriert sich für seine Reduktion des gedanklichen Gehalts auf die „sachliche Substanz“ der Diskussion, wobei diese nicht einmal explizit formuliert worden sein muss, sondern vielmehr von BLANKERTZ auch in die Worte dieser Vertreter hinein gelegt werden kann (vgl. BLAN­KERTZ 1985, 96; dazu kritisch ZEDLER 1989, 93). So gelingt es ihm, den „wahren“ Argu­mentationsgang vom Verdacht der Unsachlichkeit zu reinigen – und möglichen. Zweifeln an den Voraussetzungen des Vorgetragenen, etwa bei KANT selbst, vorzubeugen.

Nach dieser „Glättung“ der Ausgangslage kann BLANKERTZ sein (berufliches) Bildungs­verständnis am Apriorismus der regulativen Ideen KANTs ausrichten. Der entscheidende Schritt vom Philanthropismus zum Neuhumanismus besteht für ihn in der Reformulierung der Bildungsfrage durch die neuhumanistische Bildungstheorie im Medium des apriorischen Denkens unter Nutzung der Unterscheidung von Form und Materie (ebd., 99). Form und Materie bedingen einander danach zwar wechselseitig und (formale) Bildung des Menschen ist ohne den Bezug auf Materie nicht möglich. Allerdings wird die Formbildung – als „Ursprung“ und Zweck – der Materie – als bloßes Mittel – übergeordnet, genauer vor­aus‑gesetzt: im Individuum ist ein Allgemeines a priori anzunehmen, unter dem das Indivi­duum die besonderen Erscheinungsweisen des Materiellen im Bildungsprozess als durch seine Individualität bestimmt wahrnimmt. Mit Bezug auf HUMBOLDT schreibt BLAN­KERTZ: „Dieses Allgemeine ist gemeint im Begriff der Individualität, deren empirische Wirklichkeit wohl das Individuum vertritt, doch als Voraussetzung sich dem Rückschluss von der Erscheinung her entzieht. Die ‚eine unbekannte Größe’, ‚das ursprüngliche Ich’, steht in seiner majestätischen Unableitbarkeit am Anfang wie am Ziel dieser Bildungsphilosophie“ (BLANKERTZ 1985, 90). Und weiter: „Ist es nun die Aufgabe unseres Daseins, ‚dem Begriff der Menschheit in unserer Person … einen so großen Inhalt als möglich zu verschaffen’ und löst sich diese Aufgabe allein durch die ‚Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt’, so muss die Menschheitsidee unter dem Gesichtspunkt der Individualität als Ideal antizipiert werden“ (ebd.). Dieses bei HUMBOLDT vorgefundene, KANTisch begründete Bildungsverständnis legt BLANKERTZ – in einem eigenmächtigen Schritt – dem Verständnis von Bildung durch den Beruf zugrunde, wenn er postuliert, „dem Menschen [auch] im Beruf die Freiheit des Menschseins zu garantieren“ (ebd., 116). Ziel sei es, „dass das Ich seine Freiheit bewährt, indem es die zu bewältigenden Inhalte als irgendwelche Inhalte seiner selbst vor sich bringt und damit Bildung als Form, als absolute Form statuiert“ (ebd.).

Diese Engführung des (beruflichen) Bildungsverständnisses über einen streng individuali­tätstheoretisch begründeten Formgedanken hat schon bald Kritiker auf den Plan gerufen. Zwei Monita seien benannt; sie verdeutlichen zugleich noch einmal die spezifische  Profilie­rung des berufsbildungstheoretischen Denkstils durch BLANKERTZ. HERMANN LANGE hat eine fehlende „zeitlich-soziale Vermittlung“ zwischen Vernunft und Geschichte, zwi­schen Rationalität und Empirie bei BLANKERTZ bemängelt: „Es werden […] überzeitliche Vernunftkriterien, die den Menschen schlechthin konstituieren, mit den Forderungen und Produkten der geschichtlich-empirischen Wirklichkeit konfrontiert, und die Vernunft stiftet die Einheit“ (LANGE 1982, 740). Und 1999 kennzeichnet er BLANKERTZ’ Position als „radikal subjektbezogen-erkenntnistheoretisch angeleitet“ und damit gesellschaftsentrückt (LANGE 1999, 13) und folgert: „Bildung in dieser Sicht ist individuell-menschliche (‚sub­jektive’) Form, eine Form, die zeitlos-transzendental begründet erscheint“ (ebd.). Diese Kri­tik verfolgt PETER ZEDLER von der Seite der gesellschaftlichen Realität her weiter, wenn er bezweifelt, „ob sich die Annahme als richtig erweist, dass die Idee der Mündigkeit mit den funktionalen Anforderungen der Gesellschaft in Einklang zu bringen ist, und das heißt zugleich […], ob es gelingt, praktische Vernunft, Urteil und Kritik im Medium ökonomisch-technischer und politisch-sozialer Anforderungen an das Bildungswesen zu entbinden“ (ZEDLER 1989, 66; vgl. ähnlich auch KUTSCHA 2009, 33). Charakteristisch für den Denk­stil der KANTisch begründeten Berufsbildungstheorie modo BLANKERTZ und damit des berufsbildungstheoretischen Denktstils im Stadium seiner „Klassizität“ nach dem 2. Welt­krieg scheint also zu sein, dass eine Aufhebung von (empirischen) Widersprüchen der Idee nach unter Voraussetzung einer Idee a priori und unter Verweis auf eine (potentielle) Zukunft geleistet wird; diese ruft BLANKERTZ später wiederholt unter einem Wort ADORNOs aus der „Theorie der Halbbildung“ auf, wenn er formuliert, es gehe um die Realisierung, „der Idee der Egalität, einer Menschheit ohne Status und Übervorteilung“ (BLANKERTZ 1982b, 336; vgl. auch z.B. BLANKERTZ 1969, 168), wobei BLANKERTZ von ADORNO jedoch nicht dessen negative Dialektik übernimmt (vgl. ZEDLER 1989, 55). Der hier zusammenfas­send vorgetragene Gedanke der „Aufhebung“ von (empirischen) Widersprüchen in einer (höheren) Idee (die erst in einer gedachten Zukunft zu verwirklichen ist) als Kennzeichen des berufsbildungstheoretischen Denkstils verweist jedoch nur in einer Dimension auf KANT, nämlich der systematischen – historisch-prozessual betrachtet verweist er auf eine spezifische Auslegung des geschichtsphilosophischen Denkens HEGELs auf die Bildungsfrage hin.

Nicht zufällig mündet BLANKERTZ’ – wie er selbst einräumt – „etwas überanstrengte Inter­pretation der neuhumanistisch-sprangerschen Berufsbildungstheorie“ (BLANKERTZ 1985, 121) in einer letzten Überbietung in Gestalt einer „Radikalisierung der Fragestellung“ (ebd., 119) in der Form der HEGELschen Dialektik unter Bezug auf dessen Kapitel zum Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft in der „Phänomenologie des Geistes“ (HEGEL 1970, Bd. 3). Blickt man von diesem Kapitel noch einmal zurück auf die Entwicklung des Gedanken­gangs, so wird deutlich, dass dieser durchgängig auf einer Terminologie und einem Denken beruht, die sich wesentlich aus einer sehr spezifischen Auslegung des Bildungsproblems im Kontext der dialektischen Geschichtsphilosophie HEGELs speisen. BLANKERTZ geht hierzu von dessen Grundgedanken aus, dass sich in „HEGELs Philosophie […] die Gegen­sätze der Wirklichkeit in der Idee […] einander abarbeiten“ (BLANKERTZ 1985, 119). Der berufsbildungstheoretische Denkstil ist – über den KANTischen Apriorismus hinaus – wesentlich durch die geschichtsphilosophische Denkform dialektischer Notwendigkeit geprägt: Geschichtliche Widersprüche müssen in diesem Sinne geschichtsphilosophisch inter­pretiert werden. Hieraus leitet sich unmittelbar eine ebenso streng dialektisch verfasste Bil­dungsidee ab: Im Gedanken klassischer Humanität als außerhistorische Zielformulierung in der Form einer regulativen Idee auf den Begriff gebracht (später bei BLANKERTZ: Eman­zipation), entwickelt sie sich fortschreitend im historischen Prozess, ein Denken, das so zur Grundlage für das systematische Denken über Beruf und Bildung wurde, wie es BLAN­KERTZ im Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft bei HEGEL herausarbeitet und das in der Folge den berufsbildungstheoretischen Denkstil prägte und damit die Wahrnehmung von wissenschaftlichen „Tatsachen“ durch Berufs- und Wirtschaftspädagogen.

Aus dem prozesshaften Charakter des dialektisch-historischen Geschehens ergibt sich für BLANKERTZ der Schlüsselbegriff beruflicher Bildung: Arbeit. BLANKERTZ findet, ganz HEGELsch, „das bewegende Zentrum der Bildung in der Arbeit“ (BLANKERTZ 1985, 119) und nutzt nun das Prinzip der Arbeit, als treibender Kern der HEGELschen Geschichtsphilo­sophie betrachtet (vgl. DIERSE/ SCHOLTZ 1974, Sp. 428), für die begriffliche Verabsolutie­rung des Verhältnisses von Allgemeinbildung und Berufsbildung, wie er es schon aus seiner Relektüre des Neuhumanismus gewonnen hatte. Bemerkenswert ist, dass BLANKERTZ sich in seinem gesamten Diskurs gerade nicht auf HEGELs Bildungstheorie als „‚ethische Pflich­tenlehre’“ (WIGGER2003) bezieht, sondern vielmehr, in ähnlicher Weise, wie er bei seiner HUMBOLDT-SPRANGER-Interpretation vorgegangen ist, ohne weitere Begründung, einen Aspekt besonders akzentuiert, aufgrund dessen er den „wahren“ HEGEL bzw. dessen Rele­vanz für die Begründung des beruflichen Bildungsgedankens modo BLANKERTZ glaubt fassen zu können, um so seiner eigenen Re‑Konstruktion durch die „Anstrengung des Begriffs“ (BLANKERTZ 1985, 123 mit HEGEL; vgl. HEGEL 1970, Bd. 3) quasi „die Kro­ne“ verabsolutierenden Denkens aufzusetzen. Bekanntermaßen führt dieser Schritt zur These der Selbsterkenntnis und Selbsterschaffung des sich bildenden, „knechtischen“, Bewusstseins durch Abarbeiten an den Widerständen, die ihm durch die Herrschaft entge­gengesetzt wer­den, kulminierend in dem Satz: „Die Wahrheit des selbständigen Selbstbe­wusstseins im knechtischen Selbstbewusstsein bedeutet die Wahrheit der Allgemeinbildung in besonderer oder beruflicher Bildung“ (BLANKERTZ 1985, 121).

Versuche, das Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft in der „Phänomenologie“ im Kon­text von HEGELs Werk zu „lesen“, gibt es in größerer Zahl. Zu nennen sind neben BLAN­KERTZ’ subjektivitätstheoretischem insbesondere der materialistische (GEORG LUKÁCS) sowie der anerkennungstheoretische (AXEL HONNETH im Anschluss an JÜRGEN HABERMAS und ALEXANDRE KOJÈVE; vgl. BRUMLIK 2000, 220f.). MICHA BRUM­LIK schlägt eine bildungstheoretisch relevante „religionstheoretische“ (ebd., 220) Lektüre vor, die ein weiteres kritisches Licht auf die „etwas überanstrengte“ Auslegung von BLAN­KERTZ und damit den sich aus seiner Argumentation speisenden berufsbildungstheoreti­schen Denkstil wirft. Nach BRUMLIK thematisiert der berühmte Absolvent des Tübinger Stifts das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft schon früh in seinem Werk in einem völlig anderen Kontext. In „Der Geist des Christentums und sein Schicksal“ (1798/99) behandelt HEGEL das Schicksal des jüdischen Volkes, nicht unbedingt mit Sympathie. Hier wird zunächst deutlich, dass Hegel die Begriffe Herr und Knecht ebenso wie Arbeit, und zwar als Dienst (hebr. awoda), im biblischen Kontext denkt, Gott als Herr, das jüdische Volk als sein Knecht und der Dienst als Einhaltung der Gebote. Unterstellt man diese begrifflichen Anknüpfungen führt dies im Blick auf das Herr-Knecht-Kapitel zur Einsicht, dass es hier offenbar um ein existentielles Verhältnis zwischen Herr und Knecht geht (vgl. den Begriff der „absoluten Furcht“, und das „Zittern“, bes. das Ende des Kapitels, HEGEL 1970, Bd 3), in dem der Formierungsprozess des knechtischen Bewusstseins nur unter der „Zucht des Dienstes und Gehorsams“ (ebd.) gelingt: „Im Gewahrwerden der eigenen Endlichkeit und Sterblichkeit […] glaubt sich die einzelne Individualität nur erhalten zu können, indem sie sich im Dienst unterwirft“ (BRUMLIK 2000, 222). Unter dieser Voraussetzung kann dann „ein in aktivem Gehorsam gegenüber Gott und seiner Weisung geführtes Leben […] als ‚gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden’ oder bildendes Werk dargestellt“ werden (ebd., 223). Die Selbsterschaffung (Bildung) des knechtischen Selbst‑Bewusstseins geschieht als Überwindung eines Gefühls absoluter Nichtigkeit durch Bindung an einen Dienst. Hierin sah HEGEL auch die historische Charakteristik des jüdischen Volkes, so dass das Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft „eine Dialektik religiöser Erfahrung artikuliert, die dem knechtischen Bewusstsein per excellence, dem jüdischen, widerfahren sei“ (BRUMLIK 2000, 221). Wollte man HEGEL für eine Bildungstheorie der Selbstentäußerung und Überwindung in Anspruch nehmen, so wäre es zumindest erforderlich, sich mit einer solchen Auslegung dieser zentralen Stelle seiner „Phänomenologie“ eingehend auseinanderzusetzen.

Aus KANT resp. HUMBOLDT und HEGEL gewinnt BLANKERTZ also für die Schärfung des berufsbildungstheoretischen Denkstils die Denkfigur der Notwendigkeit, die Individuum und Geschichte in einem Fortschrittsprozess miteinander liiert zeigt. Beide sind in einer gerichteten Schicksalhaftigkeit so aneinander „gekettet“, dass sich alle Anfragen nach Alter­nativen zu dieser „notwendigen“ Liaison und der Zwangsläufigkeit des sie bedingenden Pro­zesses zu verbieten scheinen. Dieser spezifische „Denkzwang“ eines ontophylogenetischen Fortschritts hat nicht zuletzt dazu geführt, „Alternativen“ in der weiteren Entwicklung der berufs- und wirtschaftspädagogischen Theoriebildung entweder im Modus weiterer Überbie­tung des einmal formulierten Prinzips oder im Modus des Defizits zu formulieren. Beide Varianten sind jedoch nur als abhängig vom skizzierten berufsbildungstheoretischen Denkstil zu verstehen – worauf hier nicht näher eingegangen werden kann. Stattdessen wird der Blick auf einen alternativen Denkstil aus der historischen Bezugszeit, dem „pädagogischem Jahr­hundert“, gerichtet.

3 MOSES MENDELSSOHN oder Ein alternativer Denkstil zum Verhält­nis von individueller und gesellschaftlicher Bildung

„Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum“ (TOURY 1977; vgl. LÄSSIG 2004) oder besser, weil den weiten Bedingungskontext ansprechend: der Eintritt des aschkenasischen Judentums in die Moderne vollzog sich im Ausnahme- wie Musterfall Berlin (vgl. bes. ERLIN 2002, LOWENSTEIN 1990) in der Wahrnehmung der Zeitgenossen des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts sehr schnell binnen weniger Jahrzehnte. Dies gilt auch, wenn man der These von JACOB KATZ von der weitgehenden Außenverursachung dieses Umbruchs nicht zustimmt (vgl. KATZ 2002), aber auch in den durchaus bemerkenswerten, jedoch vereinzel­ten (vgl. FEINER 2007) Vorläuferfällen von jüdischer Frühaufklärung, die es auch im aschkenasischen Bereich gab,  nicht die verursachende Größe sieht (vgl. FEINER/ SORKIN 2001). Vielmehr scheint ein spezifischer, selbstbestimmter (vgl. GOTZMANN 2002) Prozess der Neuvermittlung von (jüdischer) Tradition und Moderne der Motor für das schnelle Ent­stehen der „kleinen“ (LAUER 2008) jüdischen Aufklärung (Haskala) gewesen zu sein. Aus­druck der davon ausgehenden Dynamik sind die geradezu extremen Differenzen zwischen den sog. zwei Generationen von Vertretern der Haskala (Maskilim) (vgl. FEINER 2007) sowie die sich im 19. Jahrhundert vollziehende Herausbildung von Richtungen im Judentum, die je eigene Vermittlungsformen von Tradition und Moderne repräsentieren. Eine besondere Herausforderung für die Neuvermittlung bildeten zahlreiche Phänomene der „Ungleichzeitig­keit des Gleichzeitigen“ (vgl. DIETSCHY 1988), die zeitgenössisch teilweise sehr unter­schiedlich von Juden selbst und von der Umgebungsgesellschaft wahrgenommen wurden.

Aus jüdischer Sicht dominiert in der Außenperspektive das Missverhältnis zwischen der Wertschätzung – einer geringen Zahl – von ökonomisch erfolgreichen Juden für die merkan­tilistische Wirtschaft des absolutistischen Staates und der Nichtgewährung von Bürgerrechten bzw. der Willkürherrschaft, die dieser Staat ihnen gegenüber ausübte (vgl. SCHENK 2009) – worin heute ein wichtiger politischer Erklärungsansatz für die Radikalisierung der zweiten Generation der Maskilim gesehen wird (vgl. FEINER 2007). Gleichzeitigkeit des Ungleich­zeitigen beherrscht aber auch die Binnenperspektive: Jüdische Religionsauffassung und damit eng verbunden auch Erziehung erscheinen solchen Juden, die aufgrund ihres beruflichen Engagements immer stärker mit der Umgebungsgesellschaft in Austausch treten, als statisch, repräsentiert im Typus des traditionellen chassidischen polnischen Wanderlehrers, Melamed, und seiner Lehrpraxis (Talmudzentrierung, Auswendiglernen und große erzieherische Strenge; vgl. ELIAV 2001, 184f., BEHM 2002, 38f. u. KATZ 2002). Neue Erziehungspraxen entwickeln sich besonders bei den wohlhabenden Kaufleuten im Rahmen von Privatunterricht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; die dominante Rolle der religiösen Erziehung tritt hier zurück und  säkulare Inhalte, vermittelt durch Vertreter einer neu entstehenden aufge­klärten Intelligenz (vgl. FEINER 2007), werden wichtiger, und zwar berufliche wie nicht­berufliche. Diese Tendenz bahnt die Reform auch des niederen jüdischen Erziehungswe­sens in den 70er/80er Jahren an (vgl. ELIAV 2001, BEHM 2002, LOHMANN u.a. 2001, BACKES-HAASE im Druck).

Die Umgebungsgesellschaft deutete diese Phänomene der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeiti­gen allerdings durchaus anders, belegte sie mit Generalisierungen und Wertungen, die selbst von radikalen jüdischen Neuerern oft nicht akzeptiert werden konnten. In diesem Zusammen­hang steht die (teilweise) Transformation der seit LUTHER spezifischer gewordenen (vgl. PENSLAR 2001 u. SEUBERT 2009) religiösen in ökonomische Vorurteile gegenüber Juden, wobei das Mischungsverhältnis zwischen Vorwürfen religiöser Rückständigkeit und ökono­mischer Unzuverlässigkeit resp. übergroßer Fortschrittlichkeit je „pragmatisch“ gehandhabt wurde. Als Hindernisse für die bürgerlich-rechtliche Anerkennung von Juden und damit ihre Integration in die staatliche Ordnung galten die Überholtheit ihrer rechtlichen Autonomie und das – von außen so qualifizierte – Verständnis des Judentums als heteronome „Gesetzesreli­gion“, eine Wahrnehmung, die selbst bei Zeitgenossen den Verdacht der sittlichen Unzuver­lässigkeit begründete, die grundsätzlich Sympathie für Juden hegten (vgl. zum rechtsphiloso­phischen Lösungsvorschlag MENDELSSOHNs TWELLMANN 2007). Diese kritische Wahrnehmung stand im Hintergrund des folgenreichen konditionalen „aufgeklärt-etatisti­schen“ Erziehungsprogramms als (preußisch‑)deutsche Emanzipationskonzeption (im Unter­schied zur „liberal-revolutionären“ französischen und englischen Emanzipationsform; vgl. RÜRUP 1975), 1781 in die öffentliche Diskussion gebracht durch CHRISTIAN W. DOHMs Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (vgl. HEINRICH 2004). Unter der Perspektive der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen galt das Judentum als Musterfall eines Ungleichzeitigen, das vom Christentum überholt war und das von Verfassung und Ethik her keine Basis für den Aufbruch in die Moderne bot.

In diesen, hier nur angedeuteten, äußerst spannungsreichen historischen Kontext tritt MOSES MENDELSSOHN als Vertreter der jüdischen Minderheit selbstbewusst ein und bemüht sich als Leitfigur der ersten Phase der Haskala um eine spezifische Neuaushandlung von Tradition und Moderne, die einerseits Juden erlauben soll, ihrem Judentum in der Moderne treu bleiben zu können, und zugleich der Umgebungsgesellschaft die spezifische Modernität des Juden­tums kommunizieren soll (vgl. SORKIN 2008, 190 u. GOETSCHEL 2007, 474). Ob MEN­DELSSOHN diese Ziele erfolgreich realisiert hat, ist durch die Rezeptionsgeschichte der Haskala hindurch umstritten. Frühe, aber auch neue Historiographen sehen in ihm den Weg­bereiter des Neuen (z.B. HEINRICH GRAETZ) bzw. die Gestalt des Übergangs (SIMON DUBNOW; vgl. näher BRENNER 2006). Dieses Urteil geriet mit dem Aufkommen des Zio­nismus und dann besonders dem offensichtlichen Scheitern der deutsch-jüdischen Symbiose (M.BUBER) mit dem Nationalsozialismus stark in die Kritik. In der Forschungsliteratur der Nachkriegszeit herrschte das Bild eines doppelten MENDELSSOHN vor (vgl. dazu kritisch GOETSCHEL 2007, 473 u. HILFRICH 2000, 20), der einerseits – und in der Wahrnehmung durch deutsche Wissenschaftler hauptsächlich – am Diskurs der allgemeinen Aufklärung teil­genommen hatte und zu diesem Beiträge in (eher konservativer) Fortentwicklung der deut­schen Frühaufklärung (besonders LEIBNIZ und WOLFF vgl. ALTMANN 1969) geleistet hat, und der andererseits, so die jüdische Forschungsliteratur, mit den Kommentaren zu den für Juden zentralen Büchern der Bibel, dem Tanach, und mit seinen Übersetzungen, beson­ders des Pentateuch und der Psalmen, zur (sprachlichen) Bildung seiner Glaubensgenossen im Übergang zur Moderne beitrug (vgl. BEHM 2002, 156-165). Der Denkstil MENDELS­SOHNs gilt als gespalten oder er wird mit den Stichworten „Balance“ oder „Mittelweg“ belegt (vgl. GOETSCHEL 2007), womit häufig die Kritik verbunden ist, dieser „Mittelweg“ sei in seinem wahren Gehalt kaum fassbar – und habe damit der Radikalisierung seiner „Schüler“ (vgl. FEINER 2002) nur Vorschub geleistet. So galten MENDELSSOHNs Lösun­gen als „ephemer“ und sein wichtigster Biograph weist ihn als „Prototyp“ eines modernen Juden explizit  „for better or worse“ aus (ALTMANN zit. n. HILFRICH 2000, 18; vgl. BERGHAHN 2001, 151).

In neuester Zeit sind Zweifel aufgekommen, ob ein solches Urteil der Stellung MENDELS­SOHNs in den Spannungen und der Dynamik seiner Zeit gerecht wird und ob es jenseits des „doppelten MENDELSSOHN“ nicht doch einen komplexen MENDELSSOHNschen Denk- oder Diskusstil erst noch zu entdecken gilt, den, speziell aufgrund der Erfahrungen des schnellen Übergangs in Berlin (vgl. ERLIN 2004), schon Moderneprobleme beschäftigen, die er dann weit jenseits frühaufklärerischer Bahnen reflektiert. So besteht heute die Aufgabe darin, MENDELSSOHN als Zeitgenossen der Zukunft in unzeitgemäßem Gewand zu begreifen und, in paradoxer Weise, sein „Werk gerade auch dort als das eines genuin kriti­schen Denkers [zu] begreifen, wo dieses dem dominanten Zeitgeist des 18. Jahrhunderts widersprechend, als Exempel rückständiger Unzeitgemäßheit aufgefasst werden könnte“ (GOETSCHEL 1996, 163). Dabei ist MENDELSSOHNs Denkstil als Verwahrung zu lesen gegen eine aus seiner Sicht gefährliche Allianz zwischen gesellschaftlicher und geistiger „Modernisierung“, die sich, so CAROLA HILFRICH, in „wahnhaften“ Denkstilen der Ver­einheitlichung äußert, die keinen Platz für Alterität vorsehen und vorgefasste Ideen über die Entwicklung der Zukunft enthalten: „Mendelssohns Theorie revoltiert auf vielfache Weise gegen den Wahn von Denkstilen, die gegebene Differenzen in der Herstellung von Einheit aufheben wollen und weder Einzigartigkeit noch Pluralismus denken können“ (HILFRICH 2000, 13).

Dieser Neuorientierung wird auch die folgende Rekonstruktion von MENDELSSOHNs Bil­dungsverständnis folgen. Dabei sind Einflüsse auf seinen Diskursstil zu berücksichtigen, die aus den Bedingungen jüdischer Existenz in einem absolutistischen Staat resultieren und aus seiner Sonderstellung innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. MENDELSSOHN reagierte darauf mit einer Vielzahl diskursiver Strategien. Sein Schreiben ist ein modifizierendes Kommentieren von Traditionen, wobei er allerdings Neues in diese Traditionen „einschreibt“ (vgl. GOETSCHEL 2004) bzw. sie „reiterativ umschreibt“ (HILFRICH 2000). So kann ein Text von LEIBNIZ-WOLFFscher Terminologie geprägt sein, im Subtext aber, wie wir sehen werden, avancierte Argumentationsstrukturen SPINOZAs enthalten. Zudem nutzt MEN­DELSSOHN klassische Verfahren des Schreibens unter Zensur, auf die er teilweise auch indirekt selbst hinweist, so z.B., wie man einen Herrscher so lobt, dass ein „Kluger“ die ver­folgte „Neben-Absicht“ des Tadels oder der Drohung gegen den Herrscher zu entschlüsseln vermag  (vgl. JubA 20, 1, 186). Gerne bedient er sich auch des bewussten Auslassens von kritischen Teilen aus Bezugswerken oder – in der jüdischen Kommentartradition ebenfalls sehr beliebt – des Zitierens von Stellen (aus der Bibel oder von älteren jüdischen Gelehrten), die auf weitere Bedeutungen der Textstelle verweisen (vgl. z.B. das Schlusszitat von „Jeru­salem“, JubA 8, 204). Häufig muss MENDELSSOHNs Diskursstil aber auch unmittelbar als Praxis in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext „gelesen“ und seine Texte resp. Äußerungen als Beiträge zur Veränderung der historischen Praxis im Sinne des kulturwissenschaftlichen dis­kursiven Konzepts der Performativität dechiffriert werden (vgl. HILFRICH 2000 u. BACKES-HAASE im Druck). Bei der Entschlüsselung ist zudem stets sein Grundsatz vom „Zusammenhang aller Dinge“ zu beachten (zit.n. GOETSCHEL 2004, 88), was bedeutet, dass theoretische, praktische, intellektuelle und politische Fragen bei MENDELSSOHN eine „intimate connection of all of his concerns“ (ebd.) bilden bzw. sein Denken als ein Denken „aus mehreren Gründen, das verschiedene Disziplinen und Traditionen und Philosophie und Exegese mit- und gegeneinander denkt“ (HILFRICH 2000, 27), aufgefasst werden muss.

Soll MENDELSSOHNs Denkstil als Alternative zu einem „wahnhaften“ (HILFRICH 2000) Denken betrachtet werden, das nur in Antinomien und Notwendigkeiten zu „denken“ vermag, so ist bei seiner Kritik der Geschichtsphilosophie avant la lettre anzusetzen. Diese schärft sich zunächst in der Auseinandersetzung mit ROUSSEAU und kulminiert in Einlassungen zur Geschichtsphilosophie seines Freundes LESSING und der seines großen philosophischen Widersachers der späten Jahre aus Königsberg, des, so MENDELSSOHN, „Alles-Zermalmers“ IMMANUEL KANT. MENDELSSOHN hat J.-J.ROUSSEAUs zweiten Dis­cours über die Ungleichheit, ein Jahr nach seinem Erscheinen 1755, ins Deutsche übertragen und inhaltlich im beigefügten „Sendschreiben an den Magister Lessing in Leipzig“ kommen­tiert (JubA 2, 81-109). Mit ROUSSEAUs Konzeption des Naturzustands des Menschen kann er sich ebenso wenig anfreunden wie mit dessen Stilisierung, das sittlich Schlechte sei ein notwendiger Ausfluss der Wirkungen der schönen Künste und Wissenschaften (vgl. ROUS­SEAU 2000). Dagegen setzt MENDELSSOHN die Vorstellung einer ursprünglichen Gesel­ligkeit des Menschen, die scharf mit dem von ROUSSEAU in kritischer Absicht radikalisier­ten Individualitätstheorem kontrastiert (vgl. ERLIN 2002, 90). MENDELSSOHNs Widerle­gung ROUSSEAUs beweist seine Sensibilität für diskursive Strategien. Der mitdenkende Übersetzer empfindet so lange „Unwille über den Schriftsteller“ (JubA  2, 85) ROUSSEAU, bis seine „Augen auf die Zueignungsschrift an die Republik zu Genf, auf dieses Meisterstück der Wohlredenheit“ (ebd.) blicken. Diese nämlich erst bringt den Sinn des Textes hervor: Es kann, so MENDELSSOHN, dem stolzen „Bürger von Genf“ nur um die Kritik falscher Nut­zungen der schönen Künste und Wissenschaften gegangen sein; steht dagegen deren Gebrauch mit der Richtschnur der Vernunft in Einklang (wie offenbar in ROUSSEAUs Hei­matstadt Genf), tritt dieser Effekt nicht ein. MENDELSSOHN stimmt so nicht in den kultur­kritischen Gedanken notwendiger Dekadenz ein, sondern setzt diesem eine für seine frühe, durchaus optimistische Einstellung charakteristische, zumindest tendenziell aufsteigende geschichtliche Linie entgegen, wenn er in der „Nachschrift“ zum „Sendschreiben“ feststellt, dass die Erziehung eines Wilden „zu unserer Lebensart […] muss fruchtlos seyn, wenn wir nicht eine Reihe von Vätern und Kindern allmählich die Stufe hinaufsteigen lassen, die wir in so viel Jahrhunderten durchreiset sind“ (JubA 2, 103). In der Gestalt ROUSSEAUs kämpft MENDELSSOHN gegen die französische Radikalaufklärung und versucht diese kommentie­rend in seine Argumentationslinie einzubeziehen. Als Kontinuität zu seiner späteren Kritik der Geschichtsphilosophien von LESSING und KANT kann gelten, dass er auch bei ROUS­SEAU schon die Gefahren eines antisozialen Reduktionismus auf eine vor- und damit zugleich a-kulturelle Naturvorstellung und der Konstruktion historischer Notwendigkeit erkennt.

Diese Gefahren sollten sich im Zeichen dezidiert fortschrittsorientierter Geschichtsphiloso­phien noch verschärfen. MENDELSSOHNs Kritik der Geschichtsphilosophie wie auch seine eigene Position sind nur verständlich, wenn man den Bedrohungsgehalt solcher Szenarien für das Judentum, was für MENDELSSOHN stets zugleich hieß: für Pluralität überhaupt, einbe­zieht (vgl. HILFRICH 2000, 52f.). Sehr deutlich wird er an LESSINGs „Erziehung des Men­schengeschlechts“,  in dem dieser die Erziehung des Einzelmenschen mit dem Fortschreiten der Offenbarung bei den Völkern parallelisiert: Auf eine Stufe der sinnlichen Strafen und Belohnungen (Altes Testament, Kindheit) folgt eine Stufe, in der der Gedanke der Unsterb­lichkeit vorherrscht und Belohnung und Bestrafung im Jenseits stattfinden (Neues Testament, Jugend) sowie eine – noch offenstehende – millenaristische, in der die Menschen das Gute um seiner selbst willen tun („Ewiges Evangelium“, Mannesalter) (LESSING 1985ff, Bd 9; vgl. BERGHAHN 2001, 148-168 u. HILFRICH 2000, 83). Das Judentum figuriert in einem solchen Modell nur als unvollkommene Vorstufe und für einen Juden wie MENDELSSOHN, der solche strukturellen Bedrohungen sensibel registrierte, bedeutete dies eine Gefahr. Die Überlegungen glichen zudem solchen von christlicher Seite, die auf „Glaubensvereinigung“ hinausliefen. Zumutungen dieser Art hielt MENDELSSOHN in  „Jerusalem“ entgegen: „[…] Glaubensvereinigung ist nicht Toleranz; ist der wahren Duldung grade entgegen!“ (JubA 8, 203; vgl. ebd. 13, 612, 134 u. HILFRICH 2000, 83)

Für mindestens ebenso gefährlich wie religiös gefärbte „Vereinigungssysteme“ hielt er jedoch säkulare Geschichtsphilosophien, wie sie etwa IMMANUEL KANT vorschlug. NOR­BERT HINSKE hat dargelegt (HINSKE 1994), dass KANT seine wirkungsmächtige geschichtsphilosophische Position als Lösung einer Problemstellung entwickelte, die sich aus der seinerzeit öffentlich stark wahrgenommenen Diskussion zwischen MENDELSSOHN und seinem Freund THOMAS ABBT über die Bestimmung des Menschen ergeben hatte (vgl. JubA 6, 1). ABBT und MENDELSSOHN standen einander in dieser Frage kontrovers gegen­über. MENDELSSOHN verteidigte – wie stets – an der Oberfläche eine eher konserva­tive Position zur Bestimmungsfrage, die von dem evangelischen Theologen JOHANN J. SPAL­DING in seiner für die deutschsprachige Aufklärung epochemachenden Schrift „Bestimmung des Menschen“ formuliert worden war (vgl. DEHRMANN 2008): Von einer Bestimmung des Menschen kann nur unter Annahme einer jenseitigen Weiterentwicklung („Unsterblichkeit der Seele“; vgl. bes. „Phädon“,  JubA 3, 1, 1-159) die Rede sein; nur dann können alle noch so unplausiblen diesseitigen Ereignisse (z.B. früher Tod) gerechtfertigt werden. Der radikale Skeptiker ABBT streitet dies heftig ab; nach ihm hat sich der Mensch damit abzufinden, seine „Bestimmung“ im Diesseits zu finden – und muss mit allen Schick­salsschlägen leben. HINSKE legt dar, „dass Kant mit seiner Wendung zur Geschichtsphilo­sophie den Versuch macht, die Positionen von Mendelssohn und Abbt auf höherer Ebene miteinander zu versöh­nen“ (HINSKE 1994, 145). KANTs Formulierung lautet: „‚Jedes Thier erreicht einzeln seine Bestimmung. Beym Menschen erreicht die Gattung nur in einer Folge von Zeugungen ihre Bestimmung als Vernünftig Geschopf. Endliche Entwikelung aller Anla­gen, sowohl der Talente der Denkungsart’“ (KANT zit. n. HINSKE 1994, 150).

Die spätere Rezeption dieser Geschichtsphilosophie (z.B. bei HEGEL) hat allerdings das ent­schiedene „Nein!“ MENDELSSOHNs zu ihr nicht mehr beachtet. Schon 1782 hatte er an den dänischen Literaten und Staatsmann AUGUST ADOLPH VON HENNINGS geschrieben: „Nicht die Vervollkommnung des Menschengeschlechts ist die Absicht der Natur. Nein! Die Vervollkommnung des Menschen, des Individui.“ (JubA 13, 571, 65) MENDELSSOHN hat, so HINSKE, scharf erkannt, dass in einer geschichtsphilosophischen Konstruktion der Mensch zum Mittel wird, nicht mehr Zweck ist: „Der Endzweck ist nicht Fortgang der Gesellschaft, sondern der Menschen“ (JubA 6, 1, 146) bestimmte er mit aller Schärfe. „Men­delssohn weist den Grundgedanken der Kantischen Geschichtsphilosophie also mit den ernstesten Gründen zurück.“ (HINSKE 1994, 155;  was möglicherweise bei KANT selbst eine spätere Revision seiner Position bewirkte; vgl. MUSLOFF/ HELLEKAMPS 2006, 73)

Entscheidend für das Verständnis von MENDELSSOHNs Alternativposition, speziell auch im Blick auf sein Bildungsverständnis, ist nun seine eigene abweichende Fassung des Ver­hältnisses von Geschichte und Individuum. Schon auf LESSINGs Vorstellung von einer „Erziehung des Menschengeschlechts“ hatte er die paradoxe Antwort bereit, „das menschli­che Geschlecht [sei] fast in allen Jahrhunderten […] Kind, Mann und Greis zugleich […].“ (JubA ; 8, 163; vgl. LIEBESCHÜTZ 1979). Und weiter: „[…] die Menschheit schwankt beständig zwischen festgesetzten Schranken, auf und nieder […]“ (ebd.). MENDELSSOHN rechtfertigt seine paradoxe Vorstellung, die Zyklizität (der Geschichte) mit Aufstieg (des Individuums) verschränkt und die KANT als „Stein des Sisyphos“ bezeichnet hat, vielfach. In einem Votum für die Mittwochsgesellschaft unter dem Titel „Ueber die beste Staatsverfas­sung“ aus dem Jahr 1785 stellt er fest, „die Bestimmung des Menschen in ihrer größten All­gemeinheit [… umfasse] alle möglichen Staatsverfassungen“, und zwar in „unendliche[r] Abwechslung“ (JubA 6, 1, 147). Und weiter: „Der höchste Grad der Vollkommenheit droht Rückfall, damit die Feder wieder einige Spannung erhalte“ (ebd., 145).

Diese Kritik der Geschichtsphilosophie prägt MENDELSSOHNs Denkstil in der Bildungs­frage: Individuum und Gesellschaft stehen nicht unter einer hegemonialen Idee; in „konser­vativer“ Weise verlegt MENDELSSOHN den Fluchtpunkt eines Ausgleichs zwischen beiden vielmehr unter dem Stichwort „Vorsehung“ aus der Reichweite des Menschen hinaus. Die Bildung des Individuums darf nicht von einer „phantasmatischen“ (HILFRICH) Idee über den Entwicklungsgang „der“ Geschichte abhängig gemacht werden. Vielmehr dient der gesellschaftliche Zustand in all seiner Vielfalt und auch seinen Defiziten dem Individuum als je historisch singulärer Ort und  Widerstand der Ausbildung seiner Kräfte. Damit steht das Individuum nicht unter der Regentschaft einer kollektiven Idee, es wird aber auch nicht selbst zum Regulativ der Sinngebung des geschichtlichen Prozesses. Aus der Kritik MENDELS­SOHNs an der Geschichtsphilosophie folgt ein Bildungsverständnis, das weder mit der Staatsorientierung des Philanthropismus harmoniert noch mit einer idealistischen Kopplung von Individuum und Geschichte über einen Einheitsgedanken, der sich in der Geschichte „verwirklicht“. Geschichte und Individuum werden so aus einer Logik der Notwendigkeit herausgelöst und in ein je singuläres, wandelbares wechselseitiges Bedingungsverhältnis gerückt.

MENDELSSOHNs Denkstil in der Bildungsfrage liegt einerseits seine Kritik der Geschichts­philosophie zugrunde; andererseits prägt ihn seine Konzeption der menschlichen Affekte. Auch hier geht es MENDELSSOHN um Probleme von Enthierarchisierung und Pluralität. Nach GOETSCHEL muss MENDELSSOHNs Affektenlehre als Ein- und Umschreibung tra­ditioneller Vorstellungen der LEIBNIZ-WOLFF-BAUMGARTENschen Schule (vgl. NEW­MARK 2008) unter den Bedingungen der Moderne gelesen werden (vgl. GOETSCHEL 2004, 95). Dies bewährt sich schon an seiner Redefinition (ebd.) des Vollkommenheitsbe­griffs. In der Schultradition wurde Vollkommenheit tendenziell statisch als Herstellung eines harmonischen Gleichgewichts der Kräfte sowie als Realisation eines von außen gegebenen Zwecks verstanden. MENDELSSOHN modifiziert dies deutlich in Formulierungen wie: „Allein die wahre [sic!] Vollkommenheit ist eine lebendige Flamme, die immer um sich greift, und immer stärker wird, je mehr sie um sich greifen kann“ (zit.n. GOETSCHEL 1996, 168). Hier sind Selbstreferenz  und Dynamik Merkmale von Vollkommenheit. Beide Aspekte, insbesondere die Selbstbezüglichkeit, referieren mit BARUCH DE SPINOZA auf einen Autor, der das Werk MENDELSSOHNs von den „Philosophischen Gesprächen“ 1755, einer „Rettung“ SPINOZAs, bis hin zur postumen Schrift „An die Freunde Lessings“, einer „Rettung“ LESSINGs vor dem Vorwurf des Spinozismus, umschließt. SPINOZA übte, so GOETSCHEL, auch aufgrund seiner Biographie, einen stärkeren Einfluss als LEIBNIZ auf MENDELSSOHN aus (GOETSCHEL 2004, 90) – wenn auch die Differenzen zwischen bei­den in Bezug auf die Stellung des Judentums deutlich sind (vgl. HILFRICH 2000, 84f.). SPI­NOZA baut seine Anthropologie monistisch auf der Vorstellung von einem Grundtrieb des Menschen, den er conatus nennt, auf (vgl. GOETSCHEL 2004, 30). Dieser kennt die drei Erscheinungsformen Wille, Trieb, Begierde und orientiert sich in seiner Aktivität an der Selbsterhaltung, der Mensch agiert so in reiner Selbstdetermination. Entsprechend definiert SPINOZA Freiheit in seiner „Ethik“: „Frei heißt ein Ding, das lediglich aus der Notwendig­keit seiner eigenen Natur existiert und bloß durch sich selbst sein Handeln bestimmt“ (Ethik I, Def. 7 SPINOZA 2006, Bd 1). Indem MENDELSSOHN das schulaufklärerische Konzept der Vollkommennheit aus diesem Geist SPINOZAs modifiziert, stellt es auf die Erfordernisse der Moderne ein.

Analog verfährt MENDELSSOHN mit der Affektenlehre. Auch hier präsentiert er gegen hie­rarchisch-mechanistische Vorstellungen eine alternative, auf dem Denkstil SPINOZAs basie­rende Variante. Er entwickelt dabei eine Auffassung von den Affekten als reine dynamische „Ökonomie der Affekte“ (vgl. GOETSCHEL 1996, 166) und enthierarchisiert die Affekte zugleich: Er trennt die Vernunft nicht mehr von den sog. unteren Affekten ab, sondern postu­liert vielmehr einen inneren Zusammenhang von Gleichberechtigten (vgl. GOETSCHEL 2004, 97f.). MENDELSSOHNs differenzierte Konzeptualisierung wird schon früh an einer Stelle aus dem zweiten der Briefe „Über die Empfindungen“ (1755) deutlich, wo es heißt: „Wenn wir den Sturm einer unangenehmen Leidenschaft besänftigen wollen; so befiehlt uns die Vernunft, über die Ursachen unsres Mißvergnügens nachzudenken, und die Begriffe auf­zuklären. Nur diese finstere Wolken sind es, aus denen das Ungewitter entsteht; und so bald es in unserer Seele heiter wird, so verschwindet das Toben der Leidenschaft“ (zit.n. GOET­SCHEL 1996, 166). Die Stelle lässt sich im Sinne der Tradition lesen: die Vernunft befiehlt etc. Von hinten gelesen, ergibt sich jedoch eine gegenläufige Deutung der aufklärerischen „meteorologischen Metaphorik“: Die Affekte werden „durch die Erkenntnis der Affekte geklärt; nicht aufgehoben oder beseitigt, sondern eben geläutert“ (GOETSCHEL 1996, 166; Hervorh. A.B.-H.). Für MENDELSSOHNs Lehre von den Vorurteilen folgt daraus, dass diese aufgrund ihrer festen Verbindung mit den Affekten nur „beleuchtet“, nicht aber „bekämpft“ werden dürfen (vgl. Vogt 2005, 77-80).

Diese selbstorganisatorisch-prozessuale Lehre von einer schrittweisen „Klärung“ der Affekte, die im Aufklärungsaufsatz fälschlich den Eindruck erweckt, MENDELSSOHN rede einer etatistischen Mündigkeitseinschränkung das Wort (vgl. JubA 6, 1, 113-119), führt bei ihm zu einer spezifischen Didaktik eines kulturell eingebetteten moralischen Lernens, eines „situier­ten“ Lernens. Dieses ist so einzurichten, dass die „moralischen Wahrheiten“ „sich unserem Gemüthe in Verknüpfung mit unzählichen andern Wahrheiten, mit unzählichen kleinen Handlungen vor[stellen], die wir nach ihrer Veranlassung ausgeübt haben“ (zit. n. GOET­SCHEL 1996, 167). MENDELSSOHNs Modell moralischen Lernens im kulturellen Kontext zielt darauf, „durch die Erregung der Affekte [hervorzurufen], dass die Dynamik der Affekt­regulierung erst einmal in Gang gesetzt wird. Dadurch kann sich dann die anschauende Erkenntnis bilden, welche den Weg zur Erkenntnis des Guten freilegt“ (ebd.; vgl. HAASE 2009). Erkennbar geht es MENDELSSOHN bei der Grundlegung einer Affektenlehre ebenso wie bei ihrer didaktischen Konzeptualisierung um Selbstorganisation und Dynamik, vor­nehmlich aber um die Ablösung von teleologischen Denkmustern, die „vom Ergebnis her“ denken und Affektregulierung nur unter Dominanz regulierender Maximen denken können. Beides, a-teleologische Geschichtsphilosophie wie Theorie und Didaktik der Affekte sind Konstituentien von MENDELSSOHNs performativer Manifestation eines Bildungsverständ­nisses. Dieses ist seinem Aufklärungsaufsatz (1784) sowie der Schrift „Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum“ (1783) zu entnehmen.

„Jerusalem“ entstand als Reaktion auf eine öffentliche Aufforderung mit fingierter Autor­schaft an MENDELSSOHN, im Gefolge einer apologetischen Schrift aus dem Vorjahr (vgl. JubA 8, 1-71), endlich „sein ganzes Angesicht zu zeigen“ (vgl. bes. HILFRICH 2000, 49-58) und sich vom Judentum zu distanzieren. Vor diesem Hintergrund sind MENDELSSOHNs Einlassungen seiner letzten Jahre zu lesen. Das betrifft auch seinen Denkstil in der Bildungs­frage. MENDELSSOHN zeichnet in „Jerusalem“ das Bild einer Gesellschaft, in der der Staat in seine Schranken gewiesen ist (vgl. GOETSCHEL 2007), und, in einem dezidiert modernen Sinn, auf Unterstützung durch partikulare Einrichtungen angewiesen, um die gesellschaftli­chen Ziele zu erreichen. Dieser Ausgangspunkt weist auf das Verhältnis von Universalität und Partikularität im Sinne eines „alternativen Universalismus“ (GOETSCHEL 2004, vgl. auch MACK 2003) als Kern von MENDELSSOHNs Bildungsverständnis hin.

MENDELSSOHNs Argumentation zur Bildungsfrage in „Jerusalem“ setzt bei einer anthro­pologischen und metaphysischen Qualifizierung des menschlichen Glücksstrebens an, die aus seiner Bestimmung des Menschen als geselliges Wesen fließt (vgl. VOLLHARDT2001): „Ohne Erfüllung unserer Obliegenheiten ist für uns weder hier noch da; weder auf Erden, noch im Himmel, ein Glück zu erwarten“ (JubA 8, 110). Entscheidend für MENDELS­SOHNs Fassung des Problems der Bildung ist, dass dieser Zustand nur dann erreicht wird, wenn der Mensch „aus ächten Bestimmungsgründen“ (Gesinnungen) (ebd., 111) handelt. Es ist daher die Aufgabe der Gesellschaft, „die Handlungen der Mitglieder zum gemeinschaftli­chen Besten zu lenken, und Gesinnungen zu veranlassen, die zu diesen Handlungen führen“ (ebd.). Bildung ist für ihn so ein gesellschaftlicher Prozess: „Unter Bildung verstehe ich die Bemühung, beides, Gesinnungen und Handlungen so einzurichten, dass sie zur Glückseligkeit übereinstimmen; die Menschen erziehen und regieren“ (ebd.). Als gesellschaftliche Bildung ist sie darauf gerichtet, den Menschen zur Einsicht zu leiten, dass er, um seinerseits glücklich zu werden, „von seinen Rechten zum allgemeinen Besten Verzicht thun [muss]; oder wie man es nennen kann, sehr oft seinen eigenen Nutzen dem Wohlwollen aufopfern. Nun ist er glücklich, wenn diese Aufopferung eigenen Triebes geschiehet, und er jedes Mal wahrnimmt, daß sie blos zum Behuf des Wohlwollens von ihm geschehen sey. Wohlwollen macht im Grunde glücklicher als Eigennutz; aber wir müssen uns selbst und die Aeusserung unserer Kräfte dabey empfinden“ (ebd.; Hervorh. 1, 2 A.B.-H.).

Modern ist dieser Zugang zum Problem gesellschaftlicher Bildung zunächst wieder in seiner streng selbstbezüglichen Konzeption, in der (Selbst‑)Zwang nur kontraproduktiv wäre. Ein weiterer Aspekt von Modernität kommt hinzu, wenn man die plurale Aufgabenteilung einbe­zieht, die MENDELSSOHN als institutionelle Grundlage vorschlägt, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Staat und Kirche treten in eine Art föderale Gewaltenteilung ein. Der Staat hat in Bezug auf den Menschen nur insofern einen Anspruch, als er ihn zu Handlungen ver­pflichten kann, seine Gesinnungen darf er nur durch Gründe beeinflussen, nicht erzwingen (vgl. JubA 8, 110). Als Ort kultureller Pluralität bietet die Kirche dagegen einen Raum, in dem der Mensch seine Gesinnungen bezüglich seines Verhältnisses zu Gott und zu anderen Menschen entwickeln kann; die Auseinandersetzung mit ihren Traditionen verfügt über das insofern stets partikular verankerte Potential, den Menschen „von der Wahrheit edler Grund­sätze und Gesinnungen zu überführen“; so wird die Kirche gerade als partikulare Einrichtung – modern gedeutet: als Ausdruck von Pluralität – zur „Stütze der bürgerlichen Glückselig­keit“ (ebd.). Als eine Institution der (zwanglosen) Förderung von Gesinnungen verfügt die Kirche ihrerseits jedoch nicht über (weltliche) Macht. GOETSCHEL bilanziert: „[…] the state’s claim to sovereignty is checked by the claims of ‚religious power,“ which Mendels­sohn describes as a non-compulsory but persuasive force. Religion, in other words, is instru­mental for the Bildung – i.e., formation, education, and development – of modern individual­ity” (GOETSCHEL 2007, 484). MENDELSSOHN hat mit seinem hebräischen Werk genau auf diese gesinnungsbildende Aufgabe des Judentums als „Kirche“ in seinem Verständnis gewirkt. Seine Kommentare zu verschiedenen Schriften des Judentums verweben in pluraler Art und Weise aufklärerische und religiöse Argumentationen. Sie bilden gewissermaßen die Schnittstelle der „Übersetzung“ (vgl. KROCHMALNIK 2000) von heiligen Schriften, älteren Kommentaren, insbesondere von Autoren der mittelalterlichen jüdischen Aufklärung, mit Erläuterungen MENDELSSOHNs, die häufig LEIBNIZ-WOLFFche oder auch auf SPINOZA zurück gehende Argumente einbeziehen. Ziel ist stets, den Einzelnen zur Entwicklung indivi­dueller „Bewegungsgründe“ für sein Handeln zu befähigen. In diesem Kontext steht auch sein Konzept des „lebendigen Unterrichts“, das er in „Jerusalem“ aus seiner Kritik religiöser Dogmen, die ihrerseits auf einer Kritik des Zeichengebrauchs beruhen (vgl. HILFRICH 2000), heraus entwickelt. Dogmen rechnen für MENDELSSOHN zu den „phantasmatischen Ideen“; in seinem Verständnis verfügt das Judentum nicht über offenbarte Dogmen, sondern nur über „offenbarte Gesetze“ (JubA 8, 165), die den Menschen nur zu Handlungen ver­pflichten. „Lebendiger Unterricht“ dient der mit jeder Generation neu entstehenden Diskus­sion um Begründungen und Auslegungen dieser Vorschriften. Dieser Unterricht ist „leben­dig“, weil er mündlich zwischen Menschen stattfindet (nicht schriftlich) und weil er als Aus­handlungsprozess dem Ziel nach offen bleibt, wandelbar zwischen den Generationen (vgl. BEHM 2002).

MENDELSSOHN generalisiert diesen Gedanken in seinem Aufklärungsaufsatz unter Nut­zung der Unterscheidung Aufklärung/ Kultur. Der kurze Beitrag für die „Berlinische Monats­schrift“ 1784 muss als performative Manifestation seines weiten und pluralen Bildungs- und Kulturverständnisses gelesen werden. Sie baut sowohl auf der Abgrenzung von Staat und Kirche in „Jerusalem“ wie auf MENDELSSOHNs Kritik der Geschichtsphilosophie wie auch auf seiner spinozistisch inspirierten Affektenlehre auf (vgl. BACKES-HAASE im Druck). Indem sich MENDELSSOHN hier an die sich aufklärende Gesellschaft wendet, die im Wesentlichen aus christlichen Staatsbediensteten besteht, kann er zwar nicht „frei sprechen“, bemüht sich aber mit um so größerem Nachdruck den spezifischen Charakter seines Bil­dungsverständnisses im Horizont von Kultur- und Praxisbezug sowie Pluralität performativ zu kommunizieren.

Der Aufklärungsaufsatz beginnt: „Die Worte Aufklärung, Kultur, Bildung sind in unsrer Sprache noch neue Ankömmlinge“ (JubA 6, 1, 115). Mit diesem Hinweis auf den „Fremden­status“ der drei Worte manifestiert MENDELSSOHN, so HILFRICH, (kulturelle) Pluralität und eröffnet den Weg zu ihrer neuen „experimentellen Bedeutungskonstruktion“ (vgl. HILF­RICH 2002; vgl. auch BACKES-HAASE im Druck). In seiner Definition von Bildung greift MENDELSSOHN auch hier den gesellschaftlich-kulturellen Charakter von Bildung auf: „Bildung, Kultur und Aufklärung sind Modifikationen des geselligen Lebens; Wirkungen des Fleißes und der Bemühungen der Menschen ihren geselligen Zustand zu verbessern. Je mehr der gesellige Zustand eines Volks durch Kunst und Fleiß mit der Bestimmung des Menschen in Harmonie gebracht worden; desto mehr Bildung hat dieses Volk“ (ebd., 115f.). Als „Modi­fikationen des geselligen Lebens“, ein zentraler Terminus SPINOZAs, stehen Aufklärung, Kultur und Bildung hier nicht im Verhältnis des Widerspruchs, sie bedingen sich vielmehr wechselseitig, stehen in einer spinozistisch gedachten Implikationsbeziehung. Auch was die Entwicklungsperspektive des Verhältnisses betrifft, nimmt MENDELSSOHN frühere Über­legungen auf: Zwar kann man einen „höheren“ von einem „minderen“ Status geselliger Bil­dung unterscheiden; dies bedeutet aber nicht einen „Progress ins Unendliche“: Einer sehr gebildeten Nation, heißt es vielmehr, droht „eben dadurch Gefahr […], weil sie nicht höher steigen kann“ (JubA 6, 1, 118f.).

Diese Positionierungen MENDELSSOHNs spiegeln sich auch in seinen Bestimmungen des für den Bildungsbegriff zentralen Verhältnisses von Aufklärung und Kultur. Der Herausgeber der „Berlinischen Monatsschrift“, JOHANN ERICH BIESTER, hatte die Frage nach den „Grenzen der Aufklärung“ aufgeworfen. MENDELSSOHN versteht dies als Aufgabe, das prekäre Verhältnis von Aufklärung und Kultur in Bezug auf den Bildungsbegriff zu klären. Dazu unterscheidet er „Bestimmung des Menschen als Mensch“ und „Bestimmung des Men­schen als Bürger“ (ebd., 117) und spitzt diese Differenz dann, scheinbar unnötig, weiter zu: „Der Mensch als Mensch bedarf keiner Kultur, aber er bedarf Aufklärung“ (ebd., 117). In der Auslegung von MACK zielt diese scharfe Trennung auf eine antiidealistische Separierung von Aufklärung und Kultur, die vor einer Überformung von Partikularitäten durch dominante Ideen bewahren soll (vgl. MACK 2003). Entsprechend kennt MENDELSSOHN auch zwei Formen von Bildung, die er, etwas missverständlich, „Menschenaufklärung“ und „Bürgerauf­klärung“ nennt. Im Zentrum seines Beitrags stehen Grenzziehungen und mögliche Konflikte zwischen beiden: Vor dem Hintergrund des Dargestellten müssen sie allerdings als wechsel­seitige Bedingung begriffen werden, die allererst zur Profilierung des jeweils anderen führen – ohne ineinander aufzugehen, einander zu überwinden o.ä.  (vgl. BAL 1979, 1249 u. BAL 2001). Diese Darlegungen MENDELSSOHNs können, wie dies heute häufig geschieht (vgl. z.B. ERLIN 2004), durchaus als Kritik am Status quo, besonders an der gesellschaftlichen Stellung von Juden, gelesen werden. Sie müssen aber besonders auch, performativ, als Kon­zipierung der Konstellation von individueller und gesellschaftlicher Bildung als offener problematischer, aber von wechselseitiger Bedingung geprägter Prozess gelesen werden, der weder nach der Seite des Individuums noch nach der Seite der Gesellschaft einseitig aufgelöst werden darf. Insofern kann der Bilanz von GOETSCHEL zugestimmt werden: MENDELS­SOHN „avoids the Scylla of false individualism and the Charybdis of misguided collectivism. For Mendelssohn, the individual cannot be reduced to a given identity or a set of properties. Neither can he or she be considered a simple extension of the function of the state” (GOET­SCHEL 2007, 487). Damit bietet MENDELSSOHNs Denkstil, in dem Bildung als offenes, dynamisches, dabei durchaus spannungsreiches wechselseitiges Bedingungs- und Reibungs­verhältnis (vgl. HILFRICH 2000, 42) von Individuum und Gesellschaft, von Aufklärung und Kultur, von Universalität und Partikularität vorgestellt wird, eine theoretisch profilierte Alternative zu zeitgenössischen Positionen, die sich von normativen und geschichtsphiloso­phischen Präferenzen in der einen oder der anderen Richtung abhängig machen.

4 Schluss

Im Zentrum des vorliegenden Beitrags stand die Differenz zwischen Denkstilen zum Problem der Bildung im gesellschaftlichen und damit beruflichen Kontext. Zunächst wurde die spezi­fische Stilmäßigkeit des berufsbildungstheoretischen Denkstils näher bestimmt. Die Zuspit­zung dieses Stils im Bildungsdenken von HERWIG BLANKERTZ machte die spezifischen Kennzeichen seiner Stilmäßigkeit deutlich. Sie wurden im Bezug auf den Apriorismus KANTs und dessen Übertragung auf ein Bildungsdenken entlang der Unterscheidung Form und Materie sowie in der Aufnahme des Gedankens historischer und daraus resultierend sys­tematischer Notwendigkeit, basierend auf der Geschichtsphilosophie HEGELs, gesehen. Im berufsbildungstheoretischen Denkstil wird so der ursprüngliche Gegensatz zwischen einer individualitäts- und einer gesellschaftsbezogenen Bildung durch „Aufhebung“ des Wider­spruchs in der Idee der Mündigkeit im Kontext beruflicher Bildung „überwunden“. Dabei verwirklicht sich die individuelle Form im Abarbeiten der Widersprüche.

Aus der Perspektive eines alternativen Ansatzes zum Verhältnis von Individuum und gesell­schaftlicher Bildung, der aus dem Werk MOSES MENDELSSOHNs rekonstruiert werden kann, stellte sich schon die Ursituation berufsbildungstheoretischen Denkens, die BLAN­KERTZ im Gegensatz von Philanthropismus und Neuhumanismus gesehen hatte, als dilem­matisch dar. Der Ursprung dieses Dilemmas lag aus Sicht des alternativen Ansatzes einerseits in der geschichtsphilosophischen Überhöhung auf beiden Seiten und andererseits in einer Fassung des Bildungsproblems, die die Möglichkeit eines widerspruchsfreien, dabei aber Plu­ralität betonenden Denkens grundsätzlich ausschloss. Das vorliegende Beispiel stellt so einen Musterfall des Ausschlusses alternativer Konstruktionen aus einem mehrheitlich praktizierten Denkstil dar. Historische Gründe für diesen Ausschluss gibt es zweifellos viele, die nicht zuletzt aus dem deutsch-jüdischen Verhältnis resultieren. Ein wichtiger, eher theoriepoliti­scher Grund dürfte gewesen sein, dass der zweite (MENDELSSOHNsche) Denkstil dezidiert und demonstrativ als Alternativposition zum ersten ((berufs‑)bildungstheoretischen) entwi­ckelt wurde und insofern als grundlegende Kritik hätte verstanden werden müssen.

Damit ergibt sich als Ergebnis der vorliegenden Darstellung, dass die Ursprungssituation, aus der der berufsbildungstheoretische Denkstil abgleitet wurde, historisch einer Neubewertung unterzogen werden sollte: Jenseits eines Denkens des geschichtlichen und damit auch des Bildungsprozesses als zielgerichteter Überwindungsprozess bot sich von Anfang an eine Alternative zur Begründung des Bildungsverhältnisses von Individuum und Gesellschaft, die auf Partikularität und Zyklizität basierte, dies aber ausdrücklich nicht in der Intention, die Gültigkeit universal gerechtfertigter Ansprüche (etwa der Gesellschaft an den Menschen) kritisch zu verwerfen, sondern vielmehr in einer paradoxen Geste, die Partikularität selbst zum Ausgangs‑ und Prüfpunkt für die Bewährung der beanspruchten Universalität an der Praxis zu machen (vgl. HILFRICH 2000 u. LOHMANN 1998). Diese Erkenntnis fordert zum einen die Ideengeschichtsschreibung zur Entwicklung des berufsbildungstheoretischen Denk­stils heraus, insofern diese von einer komplexeren Ausgangslage her denken muss – und evtl. auch nach Bedingungen und Rückwirkungen des historischen Ausschlusses zu fragen hätte. Zum anderen enthält die alternative Position möglicherweise auch Impulse für die gegenwär­tige Diskussion um die künftige Relevanz des berufsbildungstheoretischen Denkstils. Ein sol­cher Impuls könnte sein, die Denkfiguren des alternativen Ansatzes daraufhin zu überprüfen, inwiefern sie zumindest eine zusätzliche Hilfe bieten, aktuelle Problemlagen in veränderter Weise zu formulieren. Besondere Bedeutung könnte so, z.B. beim Umgang mit Multikultura­lität, der Überlegung der Entwicklung von Motiven aufgrund der (Selbst‑)Behauptung von Pluralität zukommen oder, in gleichem Kontext, der Differenzierung zwischen Handlungen und Gesinnungen oder, wenn es um die Aushandlung von individuellen und gesellschaftli­chen Ansprüchen geht, dem Gedanken der wechselseitigen Bedingtheit anstelle eines Den­kens in Widerspruchskonstellationen; von Interesse könnten auch didaktische Anregungen sein, die aus den Prinzipien der schrittweisen Klärung von Vorstellungen und Motiven statt kognitiver Dominanz oder des „lebendigen Unterrichts“ als verhandelnder offener intergene­rationeller Lernstruktur folgen.


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Zitieren dieses Beitrages

BACKES-HAASE, A. (2009): MOSES MENDELSSOHNs Bildungsverständnis zwischen Philanthropismus und Neuhumanismus oder Das Problem der Genese des berufsbildungs­theoretischen Denkstils. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 16, 1-27. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe16/backes-haase_bwpat16.pdf  (19-11-2009).

 

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