Titel:
Bedeutung und Gestaltung von Übergängen in der Lehrerbildung – Praxiserfahrungen und theoretische Reflexionen zur Professionalisierung angehender Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen
Beitrag von Thomas DIEHL & Jana KRÜGER (Pädagogische Hochschule Freiburg)
Angehende Lehrerinnen und Lehrer für das Lehramt an beruflichen Schulen haben im Laufe ihres Bildungsweges mehrere Übergänge zu bewältigen. Diese betreffen sowohl den Wechsel zwischen den einzelnen Ausbildungsphasen als auch den Eintritt in die eigentliche berufliche Tätigkeit als Lehrerin und Lehrer an einer beruflichen Schule. Ziel des Beitrages soll es sein, die Lehrerbildung und damit auch die Übergänge aus einer professionstheoretischen Perspektive darzustellen. Dazu wird zunächst das Lehrerbildungssystem für das Lehramt an beruflichen Schulen kurz skizziert. Auf der Grundlage einschlägiger professionstheoretischer Ansätze werden im Anschluss Konsequenzen für eine professionelle Lehrerbildung und der zu bewältigenden Übergangsphasen dargestellt.
Die zu bewältigenden Übergänge in der Lehrerbildung für berufliche Schulen in Deutschland ergeben sich aus der grundlegenden Struktur dieses Lehrerbildungskonzeptes. Zunächst erfolgt in der ersten Phase die Grundlegung der wissenschaftlichen Basis in den Fachwissenschaften der beiden Unterrichtsfächer und den Bildungs- bzw. Erziehungswissenschaften mit angrenzenden Fächern wie beispielsweise der pädagogischen Psychologie. Auch nach Einführung von Bachelor- und Master-Studiengangskonzepten ändert sich an diesen grundlegenden Aufgaben wenig. In der Regel wird die erste Phase der Lehrerbildung mit dem Ersten Staatsexamen bzw. in den neuen Studiengangmodellen mit dem Master (of Education) abgeschlossen. An diese Studienabschlüsse schließt sich in der Lehrerbildung als zweite Phase das Referendariat an. Damit ergibt sich der erste zu bewältigende Übergang vom Studium in den Vorbereitungsdienst.
Von einem gestuften Bildungsgangmodell ist zu erwarten, dass die in der ersten Phase von den Studierenden entwickelten Kompetenzen aufgegriffen und im Sinne einer berufsbiografischen Professionalisierung der angehenden Lehrenden weiter ausdifferenziert und ergänzt werden. Einschlägige Studien und Untersuchungen belegen jedoch, dass der hier angesprochene Übergang nicht immer reibungslos und ohne Komplikationen verläuft. (z. B. TERHART 2000; REINTJES 2006; SCHUBARTH 2007). Es wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass
Der Vorbereitungsdienst dient der Einführung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer in die berufliche Handlungspraxis. Die Ausbildung erfolgt an den beiden Lernorten Studienseminar und berufliche Schule. Am Studienseminar werden die Referendarinnen und Referendare von den Lehrerbildnern, an der Schule von erfahrenen Lehrerinnen und Lehrern betreut. Das an der Ausbildung beteiligte Personal beider Lernorte kooperiert beispielsweise in der Form, dass die Lehrerbildner des Studienseminars die angehenden Lehrenden im Unterricht an den Schulen besuchen und im Anschluss daran Auswertungs- und Beratungsgespräche stattfinden.[1]
Der Vorbereitungsdienst wird mit der Zweiten Staatsprüfung abgeschlossen. Danach erfolgt der eigentliche Einstieg in den Beruf als Lehrerin oder Lehrer an einer beruflichen Schule. Hiermit ergibt sich der zweite Übergang in der Lehrerbildung der gestaltet und bewältigt werden muss.
Einschlägige Studien (bspw. TERHART 2000; HERICKS 2006) zeigen, dass auch der Übergang vom Vorbereitungsdienst in den eigentlichen Lehrerberuf teilweise mit Problemen behaftet ist. So ist nach TERHART (2000, 127) nicht davon auszugehen, dass mit dem Abschluss der formellen Ausbildung eine wirkliche und unmittelbar umzusetzende Berufsfertigkeit vorhanden ist. Vielmehr geschieht die eigentliche und volle Herausbildung der Lehrerkompetenz in den ersten Jahren der Berufstätigkeit. Im Einklang mit der psychologischen Expertiseforschung dauert dies etwa acht bis zehn Jahre. Wird diese eigentliche Berufseinstiegsphase nicht kontinuierlich begleitet, zieht dies unerwünschte Folgen nach sich. So besteht die Gefahr des Stehenbleibens bei reinen Überlebensstrategien bzw. der Herausbildung problematischer methodisch-didaktischer sowie auch kommunikativ-interaktionsbezogener Haltungen und Handlungsmuster. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer schulnahen, kompetenzbezogenen und kollegial kooperativen Begleitung sowie einschlägiger Fortbildungen für Berufsanfänger. Diese Forderungen wurden bisher jedoch nur in Ansätzen verwirklicht. So bemängelte TERHART noch im Jahr 2000, dass es zu den Paradoxien der Bildungslandschaft gehört, dass in der Berufskultur der Lehrerschaft, in der doch die eigentlichen Experten für Lehren und Lernen zusammengefasst sind, die Prinzipien kontinuierlichen, individuellen, selbst- und fremdorganisierten beruflichen Weiterlernens immer noch nicht breit verankert sind.
Die Aufgaben im Rahmen der Gestaltung der Übergänge werden noch deutlicher, wenn der Gesamtprozess der pädagogischen Professionalisierung betrachtet wird (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Professionalisierungsprozess angehender Lehrerinnen und Lehrer für das Lehramt an beruflichen Schulen (SLOANE 2001, 261)
Wie aus der Grafik ersichtlich ist die Ausbildungszeit für die Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen von nicht unerheblicher Dauer. Nach dem allgemeinen Schulabschluss absolvieren viele der zukünftigen Lehrenden eine Berufsausbildung. Oft fällt die Entscheidung für den Lehrerberuf an beruflichen Schulen während dieser Berufsausbildungsphase, da viele Abiturienten erst in dieser Zeit die beruflichen Schulen kennenlernen und den Lehrerberuf an dieser Schulart als mögliche Perspektive wahrnehmen. Wurde keine Berufsausbildung absolviert, ist ein relativ umfangreiches Berufs- bzw. Betriebspraktikum im Kontext des Studiums nachzuweisen.
In der Grafik wird weiterhin noch einmal die Vielzahl der Übergänge deutlich. Dies birgt natürlich die Gefahr, dass der Professionalisierungsprozess nicht kontinuierlich verläuft, sondern aus einzelnen Phasen besteht, die einen Zusammenhang vermissen lassen. Oft bleibt es den angehenden Lehrenden selbst überlassen, aus den einzelnen Ausbildungsabschnitten Zusammenhänge für den eigenen Professionalisierungsprozess herzustellen.
Diese Problematik des kontinuierlichen Professionalisierungsprozesses wird in der Ausbildung für das Lehramt an beruflichen Schulen dadurch verschärft, dass diese Lehrerinnen und Lehrer in ihrer beruflichen Praxis – im Vergleich mit anderen Lehrämtern – besonderen Anforderungen gerecht werden müssen. Dies betrifft vor allem ein breites Feld fachlicher als auch pädagogischer Anforderungen in den unterschiedlichsten Schulformen.
Zur Beantwortung der Frage, welche Anforderungen an eine Gestaltung der Übergänge im Lehrerbildungsprozess gestellt werden müssen, um die Entwicklung pädagogischer Professionalität zu ermöglichen bzw. zu unterstützen, ist es notwendig den pädagogischen Professionalisierungsprozess anhand einschlägiger professionstheoretischer Ansätze zu betrachten. Im Folgenden werden daher grundlegende professionstheoretische Ansätze vorgestellt und Konsequenzen für die Lehrerbildung wie auch die Gestaltung der Übergänge dargestellt.
Derzeit werden bezüglich der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern theoretische Diskurse geführt, die sich nicht aufeinander beziehen, sondern in der wissenschaftlichen Diskussion aus unterschiedlichen Perspektiven geführt werden: „Die Diskussion über die professionelle Handlungskompetenz von Lehrkräften – ihre Dimensionen, Struktur und Genese – verläuft in Deutschland in sehr unterschiedlichen, sich praktisch nicht berührenden Bahnen. Entsprechend divergent sind die Ergebnisse, aber auch die Folgerungen, die daraus für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften gezogen werden.“ (BAUMERT/ KUNTER 2006, 469). NITTEL (2000, 74) identifiziert zwei theoretische Grundpositionen:
Ziel der folgenden Ausführungen ist es, beide Theoriestränge darzustellen und entgegen der aktuell getrennt verlaufenden Diskussionen nach möglichen Anschlussstellen in den theoretischen Ansätzen zu suchen, um daraus gewinnbringende Schlussfolgerungen für eine professionelle Lehrerbildung und damit für die Gestaltung der Übergänge abzuleiten.
Der Professionalisierungsansatz von OEVERMANN (1996, 2002, 2008) rekonstruiert die interne Handlungslogik professioneller Tätigkeiten und zeigt, dass Professionen in der modernen Gesellschaft nicht obsolet geworden und durch neue Programmierungen ersetzt worden sind. Die Lebenspraxis konstituiert sich nach OEVERMANN (1996, 77 f.) durch folgende Punkte:
Ein Überleben in Natur und Kultur ist nur möglich, wenn aus der Summe aller möglichen Handlungen eine begründete Auswahl getroffen wird. Daher liegen unabhängig von den konkreten Wünschen der Individuen Sequenzierungsregeln vor, die als Algorithmen operieren und den Spielraum für die tatsächlich ausführbaren Handlungen festlegen. Von diesem festgelegten Handlungsspielraum abweichende Handlungen werden in der Regel gesellschaftlich sanktioniert. Während ein großer Teil dieser Handlungen sich wiederholt und damit Handlungsroutinen ausgeführt werden, stehen in bestimmten Situationen nicht immer solche bewährten Routinen zur Verfügung. Würde alles gesellschaftliche Handeln nur aus Routinen bestehen, wäre eine Weiterentwicklung und Veränderung des sozialen Zusammenlebens nicht möglich. Dort, wo bewährte Routinen scheitern, handelt es sich um eine Krise. Es ist die Aufgabe der Professionen auch dort eine Entscheidung zu treffen, wo die bewährten Entscheidungsregeln versagen. Eine Entscheidung muss auch dann erfolgen, wenn diese in der Situation noch nicht begründet werden kann. Der Anspruch auf eine Begründung der Entscheidung wird allerdings nicht aufgegeben sondern in die Zukunft verschoben. Professionelles Handeln beinhaltet die nachträgliche Rekonstruktion. Im Prozess der Krisenbewältigung sind demnach zwei Phasen zu unterscheiden: In der ersten Phase muss spontan und intuitiv unter Handlungszwang eine Entscheidung zu einer Aktion getroffen werden, die in diesem Moment noch nicht begründbar ist. Für die Profession der Ärzte bedeutet dies, dass ein Notarzt auch dann handeln muss, wenn ihm Informationen fehlen. Auch ein Lehrer muss in einer unüberschaubaren Konfliktsituation in seiner Klasse handeln und gegebenenfalls eine Entscheidung treffen, auch wenn ihm wesentliche Informationen fehlen. In der zweiten Phase erfolgen die Rekonstruktion und die Begründung dieser spontanen ersten Entschließung. Indem sich der Professionelle der nachträglichen Begründungsverpflichtung unterwirft, produziert er neue Erkenntnisse und Erfahrungen über die Effizienz von Techniken.
Wie wird nun der Professionelle dieser Begründungsverpflichtung gerecht? Auf der ersten Ebene erfolgt die Anwendung einer ingenieuralen Wissensbasis, die es erlaubt, den Fall unter wissenschaftlich fundierte Modelle und Begrifflichkeiten zu subsumieren. Dies allein ist für eine professionelle Krisenbewältigung nicht ausreichend. Auf einer zweiten Ebene muss die Betrachtung des Falles unter der Beachtung und Rekonstruktion der spezifischen Lebenssituation des Klienten erfolgen. OEVERMANN (1996, 2002, 2008) bezeichnet dies als die Anwendung einer „interventionspraktischen Wissensbasis“. Dies bedeutet, dass dem Experten eine ingenieurale Wissensbasis genügt. Der Professionelle hingegen benötigt auch die ingenieurale Wissensbasis muss aber zusätzlich eine interventionspraktische Wissensbasis durch eine praktische Tätigkeit im Handlungsfeld erwerben.
Zu den Aufgaben des Lehrerberufs gehört nach OEVERMANN im Rahmen der pädagogischen Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern die Wissensvermittlung. Dieser Punkt dürfte unstrittig sein. Als zweite wesentliche Funktion pädagogisch-methodischer Unterweisung lässt sich die Normenvermittlung bestimmen. Die Normenvermittlung beschränkt sich dabei nicht auf das „Vorbeten“ normativer Inhalte, sondern schließt die Bedeutung normativer Inhalte im sozialen Zusammenleben ein. Insofern schließt die Normenvermittlung die Vermittlung eines „Habitus“ ein und läuft auf „Bildung“ hinaus.
Wäre das Handeln der Lehrenden auf die Wissens- und Normenvermittlung beschränkt, könnte allein aus diesen beiden Aufgaben die Notwendigkeit der Professionalisiertheit pädagogischen Handelns noch nicht begründet werden. Um pädagogische Professionalität im Lehrerhandeln zu begründen, muss das pädagogische Verhältnis von Lehrer und Schüler durch weitere Aufgabenbereiche gekennzeichnet sein. OEVERMANN führt hier die therapeutische Funktion ein. In seinem 1996 veröffentlichten Aufsatz „Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns“ beschränkt OEVERMANN die Reichweite seiner Theorie von der Seite der Klienten auf Schülerinnen und Schüler bis zum Abschluss der Pubertät. Die Lernenden sind bis zum Ende dieser Entwicklungsphase nicht in der Lage widersprüchliche Rollenzumutungen und -verpflichtungen der Gesellschaft auf der Basis einer gefestigten personalen Identität zu übernehmen. Damit besteht in der Latenzphase potentiell die Gefahr einer gesundheitsgefährdenden Überforderung der zu Erziehenden durch widersprüchliche Rollenzumutungen. Die therapeutische Funktion pädagogischen Handelns ergibt sich nach OEVERMANN in der Latenzphase notwendigerweise daraus, dass die anlässlich der Wissens- und Normenvermittlung notwendige Lehrer-Schüler-Beziehung aufgrund der eingeschränkten Rollenhandlungsfähigkeit der Schüler immer auch folgenreich für die Entwicklung des Schülers als ganze Person wird. Solange die Schüler sich noch in der Latenzphase befinden, sind in der spezifischen Sozialbeziehung des Schülers mit dem Lehrer immer Strukturmomente der diffusen, nicht rollenförmigen Sozialbeziehung eingemischt. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis besteht bis zum Abschluss der Pubertät immer aus der widersprüchlichen Einheit von diffusen und spezifischen Sozialbeziehungen.
Bezüglich der therapeutischen Funktion sind wir an einem kritischen Punkt angelangt. Durch seine Argumentationsweise beschränkt OEVERMANN die Professionalisierungsbedürftigkeit des Lehrerberufs auf solche Lehrende, die es mit Schülerinnen und Schülern bis zur Bewältigung der Adoleszenzkrise zu tun haben. Die Lernenden sind in dieser Phase nicht in der Lage ihre entwicklungs- und bildungsbedingten Krisen selbständig zu bewältigen. Daher ist es ihnen nicht möglich, für sich eine autonome Lebenspraxis herzustellen und aufrecht zu erhalten.
Dieser kritische Punkt der Beschränkung der Professionalisierungsbedürftigkeit des Lehrerberufs wird von anderen Autoren aufgegriffen und konstruktiv weiterentwickelt.
WAGNER (1998) geht einen anderen Weg in der Begründung der Professionalisierungsbedürftigkeit pädagogischen Handelns. Obwohl er OEVERMANS Ausführungen weitgehend folgt, kommt er bezüglich der Notwendigkeit eines professionalisierten pädagogischen Handelns zu einem anderen Begründungsmuster: Er bezieht sich auf die „emergierende pädagogische Handlung unter der Perspektive des Lernens von Neuem“. Durch das Miteinander von Klasse und Lehrer entsteht eine neue Qualität des Wissenserwerbs. Der Verlauf dieses Prozesses ist nicht vorhersehbar. Dies hat zur Folge, dass der Unterrichtsverlauf durch eine Zukunftsoffenheit gekennzeichnet ist. Infolge dessen ist Unterricht als „Krise“ im Sinne einer Abwesenheit von „Routinen“ anzusehen. Für die alltägliche Unterrichtspraxis bedeutet die professionalisierungstheoretische Betrachtung von WAGNER, dass nicht die Routine der unterrichtliche Normalfall ist, sondern der Unterricht durch eine Krisenhaftigkeit – im Sinne der Abwesenheit von Routine – bestimmt wird.
Die Planung von Unterricht und weitgehend auch das unterrichtliche Handeln können dabei von einem routinisierbaren Verlauf des Unterrichts ausgehen, da ein großer zeitlicher Anteil des Unterrichtsgeschehens in Routinen verläuft. Bei diesen Routinen handelt es sich bei genauer Betrachtung jedoch um „Pseudo-Routinen“, da latent immer die Möglichkeit besteht, dass sich der eigentlich krisenhafte Charakter der Unterrichtssituation zeigt und damit der routinierte Unterrichtsablauf nicht mehr möglich ist. Hier müssen die professionellen Lehrenden dann eine „Krisenbewältigung“ leisten. Krisenbewältigung ist hier nicht unbedingt als eine negativ konnotierte Belastungs- und Ausnahmesituation zu betrachten, sondern fordert ein bewusst offenes Handeln, da Routinen versagen. Die Lehrerinnen und Lehrer haben in solchen Situationen die Möglichkeit, durch ihr spontan notwendiges Handeln und die im Anschluss erfolgende theoretisch basierte Reflexion die eigene Professionalität weiter zu entwickeln und auszudifferenzieren. „Krise“ ist in diesem Sinne nicht notwendigerweise negativ zu bewerten, sondern stellt für den Professionellen eine berufliche Herausforderung dar.
Die dargelegten Ausführungen sollen nicht zu dem Schluss führen, dass Unterricht durch Beliebigkeit gekennzeichnet und nicht technologisierbar ist. Allerdings sollten bei der Planung des Unterrichts Alternativen mit bedacht werden. Zudem ist dennoch grundsätzlich damit zu rechnen, dass möglicherweise im Unterrichtsgeschehen auch ungeplante – und möglicherweise fehlerhafte – Wege beschritten werden.
Die Überlegungen zur Nichtstandardisierbarkeit pädagogischen Handelns (Krisencharakter) werden auch im Professionalisierungsansatz von SCHÜTZE u. a. (1996) deutlich. Wie er in seiner Professionalisierungstheorie zeigt, zeichnet sich das professionelle Handeln auch durch den Umgang mit Paradoxien aus. Paradoxien des professionellen Handelns entstammen der Problematik, dass an zentralen Schnittstellen des gesellschaftlichen Konstitutionsprozesses durch das professionelle Handeln grundlegende Unvereinbarkeiten sozialer Prozesse miteinander vermittelt werden müssen. In allen Professionen können solche Paradoxien identifiziert werden. Diese haben die Eigenschaft, im Kern miteinander unvereinbare Anforderungen aufeinanderprallen zu lassen, denen die professionell Handelnden „irgendwie“ gleichzeitig gerecht werden müssen. Damit kann ein wesentliches Merkmal professioneller Arbeit bestimmt werden: Die umsichtige, situationsflexible Vermittlung von grundlegenden Unvereinbarkeiten im „hier und jetzt“, d. h. für den jeweils konkreten Fall.
Die Paradoxien erzeugen Antinomien, die den Handelnden in Dilemmasituationen führen. So haben die Lehrenden beispielsweise die Aufgabe, die einzelnen Schülerinnen und Schüler – soweit es der Kontext der Organisation Schule zulässt – individuell zu fördern. Gleichzeitig haben Lehrende im Bildungssystem die Aufgabe, Selektionsprozesse vorzunehmen bzw. zu unterstützen. Solche Dilemmasituationen verlangen Entscheidungen und Handlungen, obwohl eine „optimale“ Lösung nicht möglich, und damit ein „optimaler Handlungsweg“ nicht begehbar ist. Vielmehr führt die Auflösung der Antinomie zu einem Pol hin grundsätzlich zu systematischen Fehlern. Professionelles Handeln zeichnet sich nun dadurch aus, diese einseitigen Auflösungsstrategien zu vermeiden und stattdessen die gegensätzlichen Pole der Antinomie in den gegebenen Handlungssituationen angemessen auszubalancieren.
Auch die theoretischen Ausführungen von SCHÜTZE u. a. verdeutlichen, dass pädagogisches Handeln nicht routinisierbar ist, da Paradoxien in der jeweiligen Handlungssituation unter den aktuellen Bedingungen bearbeitet werden müssen und damit eine vorausgehende Handlungsplanung zur „Bearbeitung“ der Paradoxien nicht möglich ist.
Ausgangspunkt des Expertenansatzes bildet die Frage, welche Anforderungen Unterricht an die Lehrenden stellt und welches Wissen und Können die Lehrenden benötigen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Dazu werden die Anforderungen, welche Unterricht an die Lehrenden stellt, systematisch analysiert und beschrieben. BROMME (1992, 1997) – als ein Hauptvertreter dieses Ansatzes – stellt Ergebnisse der Lehr- und Lernforschung in den Mittelpunkt. Dabei beschränkt er sich auf die Anforderungen an Lehrende, die sich aus der Zielsetzung der Vermittlung von Wissen und Können an die Schüler ergeben. Dies sind:
Lehrerinnen und Lehrer werden als Experten (Fachleute) für die Gestaltung von Lernumgebungen und Lerngelegenheiten betrachtet, die für die Bewältigung dieser Aufgabe eine Expertise benötigen. Lehrerexpertise bezeichnet das berufsbezogene Wissen und Können, das in der Ausbildung theoretisch und praktisch erworben und während der beruflichen Tätigkeit weiter ausgebaut wird. Doch welches Wissen und Können benötigen die Lehrenden für ihre berufliche Praxis, der Tätigkeit des Unterrichtens? Eine der ersten und wohl auch bekanntesten Darstellungen zur Konzeptualisierung professionellen Wissens findet sich bei SHULMAN (1991). SHULMANS Taxonomie umfasst folgende zentralen Elemente:
Insbesondere die von SHULMAN vorgenommene Unterscheidung in allgemein pädagogisches Wissen, Fachwissen und fachdidaktisches Wissen hat sich in der Forschung zur Lehrerbildung etabliert. Auch BROMME (1992, 1997) greift in seiner Topologie des Lehrerwissens auf diese Unterteilung zurück, ergänzt diese aber um den Wissensbereich einer Philosophie des Fachinhalts. Damit wird gekennzeichnet aus welcher Perspektive bzw. Weltanschauung heraus die Lehrenden die Inhalte des Unterrichtsfaches betrachten und bewerten.
In den Ansätzen von OEVERMANN und SCHÜTZE u. a. ist der Lehrerberuf durch Krisenhaftigkeit, Zukunftsoffenheit und eine nicht Standardisierbarkeit gekennzeichnet. Werden diese Merkmale des Unterrichtsprozesses und der Aufgaben der Lehrenden im Bildungssystem nicht explizit berücksichtigt und diskutiert, kann von einem „Professionalisierungsdefizit“ des Lehrerberufs ausgegangen werden. Dies führt dann dazu, dass die Krise bei Referendaren wie auch Lehrerinnen und Lehrern als Krise befürchtet und als Zeichen des individuellen Versagens erlebt wird. OEVERMANN (2002, 51) führt dazu aus: „Hingegen gilt bei Lehrern das Scheitern, obwohl beständiger Alltag, als unbedingt zu vermeiden und wird entsprechend verleugnet oder externalisiert z. B. auf die Verwaltung, jedoch unausgesprochen als persönlich bedingtes erlebt, weil das berufliche Handeln primär als der Möglichkeit nach erfolgreiche standardisierte Routine und nicht als stellvertretende Krisenbewältigung gilt.“
Für die Lehrerausbildung bedeutet dies: Werden die angeführten Merkmale des professionalisierten Lehrerhandelns in der Lehrerbildung nicht berücksichtigt und thematisiert, besteht die Gefahr, dass die beteiligten Akteure in der Lehrerbildung die Krisenhaftigkeit des Lehrerhandelns negieren und Unterricht als erlernbare Routine propagieren. Wäre Unterricht allein durch Routinen gestaltbar, würde den Lehrenden der „Expertenstatus“ genügen. Dieser ist jedoch in der Realität eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für professionelles pädagogisches Handeln. Der Professionellenstatus setzt den Expertenstatus voraus, beinhaltet aber die Fähigkeit in der beruflichen Praxis mit Krisensituationen umzugehen. Diese Fähigkeit kann nur durch Agieren im pädagogischen Handlungsfeld und möglichst unter Begleitung erfahrener Lehrerbildner und Lehrerbildnerinnen erworben werden.
Wie der strukturtheoretische Ansatz von OEVERMANN und der interaktionistische Ansatz von SCHÜTZE u. a. zeigen, ist der Expertenstatus der Lehrerinnen und Lehrer, eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für professionelles Lehrerhandeln. Damit sollen keineswegs die Leistungen der Ansätze geschmälert werden, welche die Wissensbereiche und Kompetenzen der Lehrenden in den Mittelpunkt stellen. In der Lehrerbildung ist es notwendig zu wissen, welche Kompetenzen die Lehrenden im Fach, in der Fachdidaktik und den weiteren angeführten Fachgebieten lernen, wissen und können müssen. Die Erkenntnis, dass das Unterrichtsgeschehen durch Krisenhaftigkeit im Sinne der (latenten) Abwesenheit von Routine gekennzeichnet ist, kann nicht als Leitbild einer Beliebigkeit des von den zukünftig Lehrenden zu erlangenden Wissens und Könnens herangezogen werden. Darüber hinaus sollten jedoch ebenso die Spannungen, Unsicherheiten und Paradoxien im Lehrerhandeln thematisiert und im Bildungssystem auf der institutionellen Ebene wahrgenommen sowie in allen drei Phasen der Lehrerbildung berücksichtigt werden.
Damit wird gleichfalls der Gefahr begegnet, dass mit der Setzung von Standards in der universitären Phase der Lehrerbildung der Eindruck vermittelt wird, das professionelles Handeln als Applikation universitären Wissens im Handlungsfeld zu verstehen ist. Wie bei OEVERMANN beschrieben, ist es notwendig im Rahmen des Vorbereitungsdienstes, die angehenden Lehrerinnen und Lehrer an ihr zukünftiges Handlungsfeld heranzuführen und mit den Paradoxien, den Unwägbarkeiten und der Bedeutung des Hochschulwissens als Reflexionswissen vertraut zu machen. Hierbei muss die individuelle Betrachtung des Einzelfalls im Mittelpunkt stehen. Dieses Fallverstehen führt im Berufsfeld zu einem erfahrungsgebundenen qualifizierten Fallwissen, auf dessen Grundlage sich wiederum das Expertenwissen von Lehrkräften bildet.
Zusammenfassend betrachtet, zeigen beide theoretischen Grundpositionen wesentliche Schlussfolgerungen und Argumente für eine professionelle Lehrerbildung auf. WERNER-BENTKE (2010, 73f.) stellt hierzu folgerichtig fest: „Der Professionstheorie gelingt überzeugend der Nachweis, dass der bewusste theoretisch-reflexive Umgang mit den im Berufshandeln erzeugten Wissensbeständen Kernbestandteil pädagogischer Professionalität sein muss. Dieses Berufshandeln ist wenig technologisierbar und wird unter strukturbestimmenden Unsicherheiten, die nicht zu umgehen sind, vollzogen. […] Die Kompetenztheorie stellt den Unterricht und die mit ihm verbundenen berufsspezifischen Kompetenzen in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Dabei gelingt ihr sehr plausibel eine Wissenstopologie, die alle wesentlichen Dimensionen des Lehrerhandelns enthält.
Da beide Theorieansätze entscheidende Aspekte für eine professionelle Lehrerbildung liefern, ist es aus machttheoretischer Perspektive zwar nachvollziehbar, dass hier de Facto derzeit zwei Lager von Wissenschaftlern konkurrieren, jedoch erfordert die Sache beide Perspektiven, um sowohl den notwendigen Expertenstatus sicher zu stellen, aber auch die über den Expertenstatus hinausführende Entwicklung pädagogischer Professionalität zu gewährleisten.
Gerade um die Übergänge zwischen den Phasen der Lehrerbildung in angemessener Weise zu gestalten, ist die Betrachtung beider Perspektiven der zwei grundlagentheoretischen Ansätze unbedingt notwendig.
BAUMERT, J./ KUNTER, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9, H. 4, 469-520.
BROMME, R. (1992): Der Lehrer als Experte. Bern.
BROMME, R. (1997): Kompetenzen, Funktionen und unterrichtliches Handeln des Lehrers. In: WEINERT, F. E. (Hrsg.): Psychologie des Unterrichts und der Schule. Enzyklopädie der Pädagogik. Pädagogische Psychologie. Göttingen, 177-212.
HERICKS, U. (2006): Professionalisierung als Entwicklungsaufgabe. Rekonstruktion zur Berufseingangsphase von Lehrerinnen und Lehrern. Wiesbaden.
KRÜGER, J./ DIEHL, T.: Pädagogische Professionalität und Lehrerbildung. Stellenwert des Bildungspersonals im Professionalisierungsprozess angehender Lehrerinnen und Lehrer für das Lehramt an beruflichen Schulen. In: Die berufsbildende Schule, 63, H. 4, 127-130.
MURRAY, J./ MALE, T. (2005): Becoming a teacher educator: evidence from the field. In: Teaching and Teacher Education, 21, H. 2, 125-142.
NITTEL, D. (2000): Von der Mission zur Profession? Stand und Perspektiven der Verberuflichung in der Erwachsenenbildung. Bielefeld.
OEVERMANN, U. (1996): Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In: COMBE, A./ HELSPER, W. (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Eine Untersuchung zum Typus pädagogischen Handelns. Frankfurt a. M., 70-182.
OEVERMANN, U. (2002): Professionalisierungsbedürftigkeit und Professionalisiertheit pädagogischen Handelns. KRAUL, M./ MAROTZKI,W./ SCHWEPPE, C. (Hrsg.): Biographie und Profession. Bad Heilbrunn/Obb., 19-63.
OEVERMANN, U. (2008): Profession contra Organisation? Strukturtheoretische Perspektiven zum Verhältnis von Organisation und Profession in der Schule. In: HELSPER, W. (Hrsg.): Pädagogische Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel der Schule. Wiesbaden, 56-77.
REINTJES, C. (2006): Wie beurteilen die Ausbilder der zweiten Phase die pädagogischen Kenntnisse der Absolventen der ersten Phase? Eine empirische Studie mit Hauptseminarleitern in Nordrhein-Westfalen. In: ALLEMANN-GHIONDA, C. (Hrsg.): Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern: Ausbildung und Beruf. Zeitschrift für Pädagogik, Sonderheft Nr. 51. Beiheft. Weinheim/Basel, 182-198.
SCHUBARTH W./ SPECK, K./ SEIDEL, A. (2007): Endlich Praxis! Die zweite Phase der Lehrerbildung. Potsdamer Studien zum Referendariat. Frankfurt a. M.
SCHÜTZE, F./ BRÄU, K./ LIERMANN, H./ PROKOPP, K./ SPETH, M./ WIESEMANN, J. (1996): Überlegungen zu Paradoxien des professionellen Lehrerhandelns in den Dimensionen der Schulorganisation. In: HELSPER, W./ KRÜGER, H.-H./ WENZEL, H. (Hrsg.): Schule und Gesellschaft im Umbruch. Band 1: Theoretische und internationale Perspektive. Weinheim, 333-377.
SHULMANN, L. S. (1991): Von einer Sache etwas verstehen: Wissensentwicklung bei Lehrern. In: TERHART, E. (Hrsg.): Unterrichten als Beruf. Neuere amerikanische und englische Arbeiten zur Berufskultur und Berufsbiographie von Lehrern und Lehrerinnen. Köln, 145-160.
SLOANE, P. (2001): Modularisierte Aus- und Weiterbildung für Lehrer an berufsbildenden Schulen. In: Die berufsbildende Schule, 53, H. 9, 259-265.
TERHART, E. (2000): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission. Weinheim.
WAGNER, H. J. (1998): Eine Theorie pädagogischer Professionalität. Weinheim.
WERNER-BENTKE, F. (2010): Lehrerausbildung aus der Perspektive von GymnasialreferendarInnen. Eine Deutungsmusteranalyse vor dem Hintergrund der Professionalisierungsdebatte. Hamburg.
[1] Zur Beschreibung und dezidierten Darstellung der Aufgaben von Lehrerbildnern sei an dieser Stelle auf den Übersichtsartikel von KRÜGER/ DIEHL (2011) verwiesen.
DIEHL, T./ KRÜGER, J. (2011): Anforderungen an die Lehrerbildung und die Gestaltung von Übergängen aus professionstheoretischer Perspektive. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 14, hrsg. v. DIEHL, T./ KRÜGER, J./ VOGEL, T., 1-12, Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws14/diehl_krueger_ws14-ht2011.pdf (26-09-2011).