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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT02 - Arbeitslehre
Herausgeberinnen: Marianne Friese & Ilka Benner

Titel:
Konzepte und Erfahrungen zur Berufsorientierung im Übergang


Editorial zu Workshop 16: Individuelle Förderung – Konzepte und Erfahrungen zur Berufsorientierung im Übergang

1 Ausgangslage

Der Übergang von Schule in Ausbildung und Beschäftigung stellt sich in der heutigen Zeit als schwierig dar. Jugendliche und junge Erwachsene, denen dieser Übergang an irgendeiner Stelle nicht problemlos gelingt, gelten als Benachteiligte. Ein Großteil dieser sogenannten Benachteiligten mündet nach dem Abgang von allgemeinbildenden Schulen in berufsorientierende, -vorbereitende und -grundbildende Schulformen und Klassen beruflicher Schulen. Diese weisen jedoch häufig eher den Charakter einer Warteschleife auf und führen zu keinem qualifizierten beruflichen Abschluss. Aufgrund der vielfältigen, sowohl in der Person der Jugendlichen als auch in arbeitsmarktlichen Faktoren liegenden Gründe für den missglückten Übergang kennzeichnet sich diese Zielgruppe durch eine hohe Heterogenität (ENGGRUBER 2001, 197; ENGGRUBER 2005, 35; BOJANOWSKI 2006, 342).

Lehrkräfte in den beruflichen Schulen sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, individuelle Förder- und Entwicklungskonzepte zu konzipieren und umzusetzen, die der Heterogenität und besonderen Problemlage dieser Benachteiligten gerecht werden und sie in ihrer beruflichen Orientierung stärken. Berufliche Orientierung wird hier nicht als einmalige Maßnahme verstanden. Vielmehr stellt sie sich den Jugendlichen als eine dauerhafte Herausforderung, da mit diskontinuierlichen Berufsbiographien zu rechnen ist. Mit der Beruflichkeit wird auf die weiterhin für die jungen Benachteiligten notwendige Basis-Perspektive verwiesen. Es wird zudem der Anspruch erhoben, dass die berufliche Integration und die Persönlichkeitsentwicklung dabei Hand in Hand gehen sollen (vgl. KREMER 2010; BOJANOWSKI 2006, 346; ECKERT 2004, 3f.).

2 Perspektiven des Workshops

Im Workshop wurde insbesondere die Perspektive von beruflichen Schulen und Justizvollzugsanstalten (JVA) aufgegriffen, die die entsprechenden Benachteiligten (d. h. Jugendliche in Klassen des berufsbildenden schulischen Übergangssystems bzw. Jungtäter in JVA) individuell fördern und somit im Übergang in Ausbildung und Beschäftigung unterstützen sollen. Individuelle Förderung wird dabei verstanden als Perspektive von Lehrenden. Sie zielt auf die individuelle Kompetenzentwicklung, welche die Perspektive der Lernenden kennzeichnet. Die individuelle Förderung stellt Fragen und Gestaltungsaufgaben an Lehrende in Bezug auf Lernumgebung (z. B. Kompetenzerfassung), Curriculum (z. B. Basiskompetenzen und berufliche Handlungskompetenz) und Organisation (z. B. Stundenpläne und Unterrichtstaktung, Teamzeiten). Diese drei Zugänge sind in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander zu verstehen und individuelle Förderung ist in diesem Spannungsfeld entsprechend zu planen und zu gestalten (vgl. KREMER/ ZOYKE 2010, 20ff.).

In Tandems aus Praxis und Wissenschaft wurden theoretische Konzepte und praktische Erprobungsvarianten vorgestellt. Diese sind aus zwei innovativen Forschungs- und Entwicklungsprojekten (InLab und Tandem) mit Berufskollegs und Justizvollzugsanstalten, wo sehr ähnliche Problemlagen und Zielgruppen vorzufinden sind, hervorgegangen. Das Projekt InLab zielt auf individuelle Förderung und selbstgesteuerte Kompetenzentwicklung für multikulturelle Lebens- und Arbeitswelten in der berufsschulischen Grundbildung. Diese Problemlagen werden in drei Arbeitsbereichen aufgenommen: (I) Übergang Schule – Berufskolleg, (II) Praxisphasen als Erfahrungs- und Entwicklungsraum und (III) Übergang in Ausbildung und Arbeit. In diesen Arbeitsbereichen werden Lösungsansätze resp. Prototypen entwickelt und erprobt, die eine individuelle Kompetenzentwicklung der Jugendlichen ermöglichen (vgl. BEUTNER/ FREHE/ KREMER/ ZOYKE 2009). Das Projekt Tandem zielt auf die Förderung der Ausbildungsfähigkeit, Berufsorientierung und Beschäftigungsfähigkeit von jungen Gefangenen mit besonderem Fokus auf die Befähigung zu einer selbstverantwortlichen und gewaltfreien Lebensführung (vgl. BEUTNER/ GEBBE/ KREMER 2009).

Als ein besonders bedeutender Gegenstand in beiden Kontexten wird die Förderung einer beruflichen Orientierung der Jugendlichen gesehen. Diese kann über vier Handlungsfelder ausdifferenziert werden: (1) Ich – Selbstentdeckung, (2) Beruf – Entdecke deine Möglichkeiten, (3) Individuelle Chancen und Möglichkeiten und (4) Von der Idee zur Realisierung. Über sie soll den Jugendlichen eine Orientierung und Positionsbestimmung sowie eine Bestimmung und Entwicklung von Chancen und schließlich die Vorbereitung und Umsetzung des Einstiegs in Ausbildung und Beschäftigung ermöglicht werden (vgl. KREMER 2010). Neben der Begleitung der Jugendlichen innerhalb der Schulformen und Klassen stellen sich Schnittstellenaufgaben im Übergang von allgemeinbildenden Schulen zu den beruflichen Schulen. Darüber hinaus ist bereits frühzeitig der Übergang in Ausbildung oder Beschäftigung in den Blick zu nehmen.

Dem Publikum wurden Vorschläge zur Gestaltung sowie Chancen und Grenzen von individueller Förderung und Berufsorientierung von Benachteiligten angeboten. Hierbei handelt es sich sowohl um Instrumente, die auf der Mikroebene von Unterricht anzusiedeln sind, als auch um Kurskonzepte, die curriculare Gestaltungsaspekte aufgreifen sowie schulorganisatorische Ansätze zum Schnittstellenmanagement.

3 Zu den Beiträgen

ZOYKE/ HENSING skizzieren in ihrem Beitrag ein Steuerungs- und Qualitätssicherungsinstrument zur Professionalisierung der individuellen Förderung. Der Qualitätskompass Individuelle Förderung wurde im Arbeitsbereich I des Projektes InLab entwickelt. Er soll Lehrkräfte dabei unterstützen, individuelle Förderung ausgehend von der Phase des Übergangs in das berufsschulische Übergangssystem als durchgängiges Prinzip bzw. Daueraufgabe über den gesamten Bildungsgang hinweg zu gestalten. Dabei wird im Wesentlichen auf die Idee einer Förder- und Entwicklungsplanung rekurriert und diese über Leitlinien und handlungsleitende Prinzipien ausdifferenziert. Die theoretisch-konzeptionelle Darstellung wird im Beitrag durch die Skizzierung eines ganzheitlichen Ansatzes an einem Berufskolleg abgerundet.

FREHE/ RAAB nehmen in ihrem Beitrag den Übergang von Bildungsgängen des schulisch-strukturierten Übergangssystems in Ausbildung und Arbeit in den Blick. Sie stellen ein Rahmeninstrument zur individuellen Entwicklung von Berufsorientierungskompetenz – die Rollenbasierte Kompetenzbilanz – vor, welche im Arbeitsbereich III des Projektes InLab entwickelt wurde. Darin werden Rollen aus den Lebenswelten der Jugendlichen mit denen aus charakteristischen Situationen der Berufsorientierung zusammengeführt. Kompetenzerfassung und -entwicklung sollen hierüber konstruktiv miteinander verbunden werden. Neben einer konzeptionellen Grundlegung stellen sie ein Umsetzungsbeispiel an einem Berufskolleg dar.

GEBBE stellt in seinem Beitrag eine webbasierte Selbst- und Fremdeinschätzung vor. Dieses didaktische Instrument, welches in einem Forschungs- und Entwicklungsprozess des Autors entwickelt wurde, soll zum einen Lernende in ihrer Reflexivität in kooperativen Lernprozessen unterstützen. Zugleich soll es Lehrkräften ein Instrument bieten, diese Prozesse in der beruflichen Bildungspraxis begleiten zu können. Als Rahmen für die Beschreibung werden ausgewählte Gestaltungsfelder und Gestaltungsprinzipien der individuellen Förderung in der beruflichen Bildung herangezogen und die Diskussionen aus dem Workshop aufgenommen.

Der Beitrag von BEUTNER/ KREMER/ WIRTH wendet sich der Förderung von Jungtätern im Justizvollzug zu. Es werden Erfahrungen aus einer berufsorientierenden Bildungsmaßnahme im Strafvollzug vorgestellt, die in Form standortbezogener Konzepte von TANDEMS aus Justizvollzugsanstalten und Berufsbildenden Schulen als Förderangebot für die Gefangenen in den Jungtäterabteilungen der Justizvollzugsanstalten Aachen, Bielefeld-Senne, Gelsenkirchen und Schwerte entwickelt wird. Diese Konzepte zielen vorrangig auf die Entwicklung und Erprobung von niedrigschwelligen modularen Lernangeboten zur Steigerung der Ausbildungsfähigkeit, Berufsorientierung und Beschäftigungsfähigkeit von jungen Gefangenen sowie zur Reduzierung ihrer Gewaltbereitschaft. Neben den Prinzipien individueller Förderung werden dabei der auch der zugrunde gelegte curriculare Rahmen, die Besonderheiten und Herausforderungen des Lernens im Kontext des Strafvollzugs und in Kooperation mit Berufsbildenden Schulen thematisiert.

Literatur

BEUTNER, M./ GEBBE, M./ KREMER, H.-H. (2009): http://pbfb5www.uni-paderborn.de/icons/ecblank.gif http://pbfb5www.uni-paderborn.de/icons/ecblank.gifBerufsbildung im Justizvollzug. Das Projekt TANDEM. In: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik. 24, H. 47, 39-70.

BEUTNER, M./ FREHE, P./ KREMER, H.-H./ ZOYKE, A. (2009): http://pbfb5www.uni-paderborn.de/icons/ecblank.gif http://pbfb5www.uni-paderborn.de/icons/ecblank.gifIndividuelle Förderung - Einblicke in Strukturen und erste empirische Ergebnisse des Modellprojektes InLab. In: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik. 24, H. 47, 15-38.

BOJANOWSKI, A. (2006): Ergebnisse und Desiderata zur Förderung Benachteiligter in der Berufspädagogik - Versuch einer Bilanz. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 102, H. 3, 341-359.

ECKERT, M. (2004): Wohin entwickelt sich die Benachteiligtenförderung? Reflexionen im Horizont neuer Arbeits-, Bildungs- und Sozialpolitik. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik online, Ausgabe 6, 1-15. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe6/eckert_bwpat6.pdf  (20-01-2010).

ENGGRUBER, R. (2001): Überlegungen zur Professionalität in der Beruflichen Bildung benachteiligter Jugendlicher. In: ENGGRUBER, R. (Hrsg.): Berufliche Bildung benachteiligter Jugendlicher. Empirische Einblicke und sozialpädagogische Ausblicke. Münster, 197-218.

ENGGRUBER, R. (2005): Zur Vielfalt benachteiligter junger Menschen. In: Berufsbildung Zeitschrift für Praxis und Theorie in Betrieb und Schule, 59, H. 93, 35-37.

KREMER, H.-H. (2010): Berufsorientierung – Neue Profilierung als Chance und Herausforderung der Bildungsgänge im Übergangssystem. Grundlagentext zur Entwicklungsarbeit. InfoLab 2. Paderborn. Online: http://groups.uni-paderborn.de/cevet/cevetblog/wp-content/uploads/2010/06/InfoLab2_Online.pdf  (30-05-2011).

KREMER, H./ ZOYKE, A. (2010): Individuelle Förderung zur Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung – Überlegungen zur Grundlegung eines Forschungs- und Entwicklungsbereichs. In: KREMER, H.-H./ ZOYKE, A. (Hrsg.): Individuelle Förderung in der beruflichen Bildung. Grundlegung und Annäherung im Kontext von Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Paderborn, 9-27.


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