bwp@ 31 - Dezember 2016

Entwicklungsperspektiven des beruflichen Schulwesens. Institutionen, Steuerung und Innovationen in der beruflichen Bildung

Hrsg.: Martin Fischer, Tade Tramm & Eveline Wittmann

Governance mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) zwischen neuer Instrumentenlogik und tradierter Strukturlogik – Eine Dokumentenanalyse zur Entwicklung des beruflichen Bildungssystems

Beitrag von Karl-Heinz Gerholz & Bernd Gössling
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Seit 2011 gibt es den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR). Mit diesem Instrument sollen in Deutschland erworbene Qualifikationen international vergleichbar gemacht werden. An der von intensiven Kontroversen begleiteten Konstruktion des DQRs wurden über einen Arbeitskreis Vertreter aller Bildungsbereiche beteiligt. Das war in Deutschland ein Novum. Seitdem sind einige Jahre vergangen und schon damals wurde vermutet, dass der DQR nicht nur ein Transparenzinstrument für die internationale Kommunikation nationaler Strukturen ist, sondern dass sich Rückkopplungseffekte vom DQR auf das Bildungssystem einstellen können. Ausgehend von dieser These werden im vorliegenden Beitrag anhand von drei Fallstudien aus dem berufsbildenden Bereich die Steuerungsmechanismen analysiert, die bei der DQR-Einordnung von Übergangssystem, Gesundheitsfachberufen und der kaufmännischen Fortbildung sichtbar werden. Die Auswahl der Fälle orientiert sich an Punkten, an denen Übergangsprobleme zwischen den Bildungsbereichen und/oder zwischen den Niveaustufen des DQRs auftreten und decken eine Bandbreite innerhalb der beruflichen Bildung ab. Methodisch stützt sich der Beitrag auf eine Dokumentenanalyse, die Ordnungsmittel, Dokumente des Arbeitskreises DQR und Dokumente der Bildungspraxis umfasst. Am Ende der Analyse stellen wir die Ambivalenzen von Steuerungsmechanismen im Zusammenhang mit dem Governance-Instrument DQR dar und erläutern Entwicklungsperspektiven die sich daraus für das berufliche Bildungssystem ergeben.

Governance by means of the German Qualifications Framework (DQR) between New Logic of Instruments and Traditional Logic of Structure – a Document Analysis on the Development of the Vocational Education and Training System

English Abstract

The German qualifications framework (Deutscher Qualifikationsrahmen – DQR) was established in 2011. It was designed to make the qualifications obtained in Germany comparable internationally. Representatives of all educational sectors were involved in the construction of the DQR, which was accompanied by intense controversies. This presented a novelty in Germany. Several years have passed since, and it was assumed even then that the DQR would not only be a transparency instrument for the international communication of national structures, but DQR feedback effects could influence the education system. On the basis of these assumptions, this article by the example of three case studies from the vocational sector will analyse the governance mechanisms that become obvious in the DQR approach on the transition system, health professions and advanced commercial training. The choice of cases is geared to aspects where transition problems between educational sectors and/or DQR levels appear and cover a range within vocational education and training. Methodically, the article is based on a document analysis comprising regulations, documents of the DQR working group and documents from educational practice. At the end of the analysis, we will show the ambivalences of governance mechanisms in relation to the DQR tool of governance and explain development perspectives resulting for the vocational education and training system.

1 Hinführung oder zum Zusammenhang von Konstruktion und Vision beim Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR)

Eines der berühmtesten Zitate des französischen Schriftstellers Saint-Exupéry macht das Spannungsverhältnis zwischen der Sehnsucht nach und der Umsetzung von Zielen deutlich: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Im Zitat wird das Lehren der Sehnsucht nach einem Ziel zum Weg der Zielerreichung. Es geht um Inspiration. Gleichzeitig – und das wissen alle, die einmal auf einem Schiff unterwegs gewesen sind – ist die Konstruktion des Schiffes ein relevanter Aspekt, damit die Fahrt auf dem Meer funktioniert. Ist die Konstruktion ungeeignet, besteht die Gefahr Unterzugehen, manövrierunfähig zu werden oder das gesetzte Ziel zu verfehlen. Es gilt somit beides in Beziehung zu setzen: die Sehnsucht oder Vision und die Konstruktion bzw. Umsetzung.

Das Zitat und das damit angesprochene Wechselspiel zwischen Konstruktion und Vision kann als Spiegelbild für den Prozess der Entwicklung und Etablierung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) gesehen werden. Die Vision ist hierbei die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Bildungsraumes. Mit nationalen Qualifikationsrahmen, die über den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) als Referenzrahmen miteinander verbunden sind, werden die jeweiligen Bildungssysteme zueinander in Beziehung gesetzt (vgl. dazu u. a. EG 2005, 4ff.). Nationale Qualifikationsrahmen – wie der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) – sollen die Ergebnisse eines Bildungssystems international vergleichbar machen. Zentraler Governance-Ansatz ist dabei eine Outcome-Orientierung. D. h. mit dem DQR wird der Anspruch erhoben, Bildungsprozesse aus Ergebnisperspektive zu steuern. Wird der Konstruktions- und Umsetzungsprozess betrachtet, so zeigt sich allerdings, dass bei der Systematisierung und Zuordnung der Bildungsprogramme im DQR nicht nur von Lernergebnissen ausgegangen wurde, sondern diese auch durch tradierte Strukturmerkmale des deutschen Bildungssystems, wie Lernorte, Berufsbilder und Prozessfaktoren, überlagert wurden. Instrumentenlogik des DQRs und tradierte Strukturlogik wirken also gleichzeitig.

Wir wollen diesem Wechselspiel zwischen Vision und Konstruktion des DQRs nachfolgend auf Basis von drei Fallstudien nachgehen, um aufzuzeigen, welche Folgen sich durch die Überlagerung unterschiedlicher Steuerungsmechanismen hinsichtlich der Steuerungswirkung des DQRs ergeben. Hierzu wird zunächst der Entwicklungs- und Konstruktionsprozesses des DQRs dargestellt (Abschnitt 2). Auf dieser Basis werden im Anschluss daran drei ausgewählte Bereiche des beruflichen Bildungssystems dokumentenbasiert analysiert, um Steuerungsmechanismen, die im Kontext der DQR-Implementation eine Rolle spielen, aufzudecken (Abschnitt 3). Am Ende werden diese Analyseergebnisse für eine Darstellung von Inkonsistenzen und Ambivalenzen bei der Steuerung genutzt und zur Skizzierung von Entwicklungsperspektiven für das berufliche Bildungssystem fortgeführt (Abschnitt 4).

2 Entwicklungsprozess des DQRs

2.1 Ziele und Struktur des Deutschen Qualifikationsrahmens

Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) ist ein Klassifikationsinstrument für die Zuordnung von Qualifikationen auf 8 Kompetenzniveaustufen gemäß allgemeiner Deskriptoren. Deskriptoren nehmen kompetenzbasierte Präzisierungen dazu vor, was am Ende eines Bildungsprozesses erreicht sein soll. Es geht um die Lernergebnisse in Bezug auf zukünftige gesellschaftliche und berufliche Handlungsfelder. Im DQR sollen so Lernergebnisse aus allen Bereichen des Bildungssystems Berücksichtigung finden, ohne dass es notwendig ist Unterschiede zwischen Lernvoraussetzungen, Lernorten, Lernbedingungen und -verfahren anzugleichen.[1] Eine solche Angleichung nationaler Strukturen an einen europäischen Standard ist im Bildungssektor durch das „Harmonisierungsverbot“ in den EU-Verträgen formal verboten (Art. 149 Abs. 4 und 150 Abs. 4 EGV). Formell sollte der DQR somit lediglich durch eine Referenzierung mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) auch mit allen anderen nationalen Qualifikationsrahmen in der EU sowie assoziierten Staaten verbunden werden. Zielsetzungen sind u. a. eine Verbesserung der Arbeitsmobilität und Bildungsmobilität sowie die Anerkennung und Sichtbarmachung von formal, non-formal und informell erworbenen Kompetenzen, mit der Intention, das lebenslange Lernen zu fördern (vgl. Hanf 2006, 54ff.).

Mit Blick auf den Europäischen Qualifikationsrahmen wurde bei der Konstruktion des DQRs entschieden, die gleiche Anzahl an Niveaustufen wie im EQR zu übernehmen, sodass ein Raster mit 8 Kompetenzniveaus bzw. -stufen entstand. Beim Kompetenzbegriff wurde allerdings eine Anpassung vorgenommen, die sich u. a. darin ausdrückt, dass statt der drei Kompetenzdimensionen des EQRs „Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenz “[2], für den DQR von zwei Dimensionen ausgegangen wird: ‚Fachkompetenz’ und ‚Personale Kompetenz’, die sich jeweils in zwei Unterkategorien aufteilen ‚Wissen und Fertigkeiten’ sowie ‚Sozialkompetenz und Selbstständigkeit’. Innerhalb dieser Struktur werden die einzelnen Kompetenzniveaus allgemein und differenziert nach den Kompetenzdimensionen anhand von Deskriptoren beschrieben (vgl. AK DQR 2013a, insb. 69-74). Tabelle 1 spiegelt die Struktur des DQR wider und nennt auf Niveaustufe 6 exemplarisch die Deskriptoren, die zur Präzisierung der Kompetenzstufen entwickelt wurden.

Tabelle 1:     Struktur des DQR und Deskriptoren der Niveaustufe 6

Niveau Fachkompetenz Personale Kompetenz
Wissen Fertigkeiten Sozialkompetenz Selbstständigkeit
6 Über Kompetenzen zur Planung, Bearbeitung und Auswertung von umfassenden fachlichen Aufgaben- und Problemstellungen sowie zur eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen in Teilbereichen eines wissenschaftlichen Faches oder in einem beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen. Die Anforderungsstruktur ist durch Komplexität und häufige Veränderungen gekennzeichnet.

Über breites und integriertes Wissen einschließlich der wissenschaftlichen Grundlagen, der praktischen Anwendung eines wissenschaftlichen Faches sowie eines kritischen Verständnisses der wichtigsten Theorien und Methoden (...))

oder

über breites und integriertes berufliches Wissen einschließlich der aktuellen fachlichen Entwicklungen verfügen.

Kenntnisse zur Weiterentwicklung eines wissenschaftlichen Faches

oder

eines beruflichen Tätigkeitsfeldes besitzen.

Über einschlägiges Wissen an Schnittstellen zu anderen Bereichen verfügen.

Über ein sehr breites Spektrum an Methoden zur Bearbeitung komplexer Probleme in einem wissenschaftlichen Fach, (entsprechend der Stufe 1 [Bachelor-Ebene] des Qualifikationsrahmens für Deutsche Hochschulabschlüsse), weiteren Lernbereichen

oder

einem beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen.

Neue Lösungen erarbeiten und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Maßstäbe beurteilen, auch bei sich häufig ändernden Anforderungen.

In Expertenteams verantwortlich arbeiten

oder

Gruppen oder Organisationen verantwortlich leiten.

Die fachliche Entwicklung anderer anleiten und vorausschauend mit Problemen im Team umgehen.

Komplexe fachbezogene Probleme und Lösungen gegenüber Fachleuten argumentativ vertreten und mit ihnen weiterentwickeln.

Ziele für Lern- und Arbeitsprozesse definieren, reflektieren und bewerten und Lern- und Arbeitsprozesse eigenständig und nachhaltig gestalten.

 

2.2 Governance-Logik des DQRs

Abbildung 1: Governance-Ansätze zur Regulierung von BildungsprozessenAbbildung 1: Governance-Ansätze zur Regulierung von Bildungsprozessen 

Governance kann allgemein als Anwendung und Entwicklung gesellschaftlicher Regulierungen verstanden werden (vgl. Mayntz 2009, 10). Im Kontext dieses Beitrages geht es um die Steuerung von Bildungsprozessen.[3] Um die Frage zu beantworten, an welchem Punkt solche Steuerungen ansetzen, kann das Modell einer Wertschöpfungskette herangezogen werden (vgl. Dubs 1998, 34). Gemäß dieser sicherlich verkürzten Vorstellung von Bildungsprozessen können Input, Prozess, Output, Outcome und Impact als Phasen unterschieden werden (vgl. so ähnlich u. a. Sloane 2010, 216ff.).

Inputbasierte Governance-Ansätze machen Vorgaben über die Voraussetzungen des Lernens, wie z. B. Eingangsvoraussetzungen, Lerninhalte, Rahmenbedingungen, Ausstattung oder Lernorte. Prozessbasierte Governance-Ansätze beziehen sich auf methodische Aspekte bei der Gestaltung von Bildungsprozessen, wie z. B. handlungsorientiertes oder kompetenzbasiertes Unterrichten, selbstreguliertes Lernen, oder auch die Dauer eines solchen Prozesses. Output-basierte Ansätze machen Vorgaben dafür, was das Ziel eines Bildungsprozesses sein soll, beziehen sich dabei jedoch auf Zielgrößen innerhalb des Horizonts von Bildungsprozessen – lernzielbasierte Lehrpläne wären hier ein Beispiel. Ansätze zur Input-, Prozess- und Outputsteuerung fassen wir als Kontextsteuerung[4] zusammen und verstehen darunter Vorgaben, die unmittelbar an Faktoren innerhalb des Bildungssystems ansetzen. Outcome-basierte Ansätze hingegen gehen über den unmittelbaren Lern- und Bildungskontext hinaus und fragen nach der Wirkung von Bildungsprozessen im Hinblick auf zukünftige Handlungsfelder, z. B. ein zukünftiges berufliches oder gesellschaftliches Tätigkeitsfeld. Hierunter können Konzepte wie ‚Employability’ oder ‚berufliche Handlungskompetenz’ subsumiert werden. Der Impact-basierte Governance-Ansatz geht noch weiter und bezieht sich auf Transformationsprozesse der Gesamtgesellschaft. So wird beispielsweise mit der Förderung inklusiver Bildung die Hoffnung verknüpft, dass mit der Zeit auch die Gesellschaft insgesamt inklusiver wird. Outcome- und Impact-Steuerung fassen wir zur Wirkungssteuerung zusammen.

Im deutschen Berufsbildungssystem wird die Regulierung traditionell über die Festlegung von Kontextbedingungen vorgenommen. In den letzten Dekaden wurden allerdings auch Outcome-basierte Steuerungsansätze (z. B. lernfeldbasierte Lehrpläne) eingeführt. Die Logik dieses Governance-Ansatzes kann somit Allgemein wie folgt beschrieben werden: Wenn die Qualität der Kontextbedingungen institutionell gesichert wird, dann kann auch davon ausgegangen werden, dass die gewünschten Bildungsziele erreicht werden. Beim Konzept der Qualifikationsrahmen wird hingegen von einer Wirkungssteuerung ausgegangen. Die Logik dieses Governance-Ansatzes ist es, die Erreichung des Ziels zu prüfen und die Gestaltung der Kontextbedingungen zu delegieren bzw. offen zu halten.

Schon lange vor der Verabschiedung des DQRs wurde allerdings diskutiert, inwiefern es wahrscheinlich ist, dass in einem Umfeld, das durch Kontextsteuerung geprägt ist, Qualifikationsrahmen tatsächlich als Wirkungsinstrumente eingeführt werden (vgl. Young 2002, 43f., Sloane 2007, 69; Gössling 2013, 23ff.). Je nachdem, wie in einem Bildungssystem mit ‚Qualifikationen’ umgegangen wird, sind mit Sloane 2008 (145f.) zwei idealtypische Umsetzungsvarianten für Qualifikationsrahmen denkbar:

Eine konsequente Orientierung am Prinzip der Wirkungssteuerung führt zur Umsetzung von Qualifikationsrahmen im Sinne eines Diagnosemodells. Hier wird von den individuell tatsächlich erreichten Kompetenzniveaus ausgegangen, die dann einzeln zu testen sind. In Bildungssystemen mit formalisierten Strukturen werden Qualifikationen allerdings nicht als eigenständige Einheiten behandelt, die individuell zertifiziert werden, sondern innerhalb bestehender Strukturen bewertet. Mit anderen Worten: Qualifikationen werden mit spezifischen Bildungswegen verbunden, die i. d. R. curricular und ordnungspolitisch geregelt sind. Qualifikationsrahmen, die im Sinne einer solchen Kontextsteuerung umgesetzt werden entsprechen dann einem Akkreditierungsmodell. Die Idee ist dabei, dass Bildungsanbieter (z.B. beruflichen Schulen) die von ihnen vergebenen Qualifikationen (i. S. v. Abschlüsse) für eine bestimme Kompetenzniveaustufe akkreditieren lassen, indem sie mithilfe von  Ordnungsmitteln aufzeigen, dass das Niveau einer bestimmten Kompetenzstufe im Qualifikationsrahmen erfüllt ist.

Wird die Umsetzung in Deutschland betrachtet, zeigt sich, dass der Ansatz des Akkreditierungsmodells umgesetzt wurde. Dies kann am Umgang mit dem ‚Qualifikationsbegriff’ deutlich gemacht werden: Nach den Unterlagen des EQR werden Qualifikationen (‚qualifications’) definiert als „a formal outcome of an assessment and validation process which is obtained when a competent body determines that an individual has achieved learning outcomes to given standards“ (Europäisches Parlament und Rat 2008, 4)[5]. Qualifikationen werden demnach durch eine Stelle als formal anerkanntes Bündel von individuellen Lernergebnissen zertifiziert. Dies entspricht einer eher angelsächsischen Berufsbildungsidee, die im Zusammenhang steht mit einem geringen Maß an Institutionalisierung und Formalisierung. In Deutschland demgegenüber werden formal anerkannte Lernergebnisse in der Regel als „Abschluss“ eines curricular und institutionell geregelten Bildungsweges verstanden. Qualifikationen sind somit weniger individuelle Kompetenzbündel, sondern vielmehr ein Abschluss eines formalen Bildungsweges, woraus Berechtigungen abgeleitet werden (z. B. vom Sekundarabschluss zur Berufsausbildung). So heißt es im Referenzierungsbericht des Arbeitskreis DQR, dass die Kompetenzniveaustufen für Qualifikationen gruppenweise anhand der „relevanten Ordnungsmittel“ (AK DQR 2013a, 63) festgestellt wurden, was dem Akkreditierungsmodell entspricht. Damit wird der konzeptionell als Outcome-basiertes Instrument angelegte Qualifikationsrahmen in Deutschland tendenziell wie ein Input-Instrument genutzt. Tendenziell deshalb, weil einige der herangezogenen „Ordnungsmittel“ selbst Outcome-basiert vorliegen. Diese Formulierungen stellen jedoch lediglich curriculare Ansprüche dar und nicht durch Kompetenzdiagnose evidenzbasiert gesicherte Ergebnisse (vgl. auch Gössling 2013, insb. 255ff.). Auch in diesem Fall bleibt es also bei einer Umsetzung als Akkreditierungsmodell.

2.3 Entwicklungsprozess des DQRs

Für die Entwicklung des DQRs wurde ein Arbeitskreis (AK DQR) ins Leben gerufen, in dem Vertreter aller Bildungsbereiche aufgenommen wurden. Der Entwicklungsprozess war dabei von zwei Prinzipien geleitet.

(i) Konsensuale Entscheidungen gemäß dem Prinzip des Korporatismus

Entscheidungen im beruflichen Bildungssystem werden korporatistisch organisiert. Die gesellschaftlichen Interessensgruppen werden in Korporationen gebündelt, um gemeinsam eine Entscheidung herbeizuführen. Ziel ist es zu einem für alle Beteiligten tragbaren Konsens zu kommen, damit das Ergebnis der Entscheidung eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz erfährt (vgl. Kutscha 2010, 312; Gerholz/Brahm 2014, 149f.). Dieses „Konsensprinzip“ wurde auch innerhalb des Arbeitskreis DQR (vgl. AK DQR 2013, 65) angewandt.

(ii) Ordnungsmittel-basierte Zuordnung zu den Niveaustufen

Gemäß der Tradition Bildungsprozesse kontextbasiert zu steuern wurde der DQR als Akkreditierungsmodell umgesetzt (vgl. Abschnitt 2.2.). Auch hier spielte der AK DQR eine zentrale Rolle, weil in Unterausschüssen des AK DQR Ordnungsmittel – also Gesetze, Verordnungen, Lehrpläne etc. – der jeweiligen Qualifikationen bzw. Abschlüsse typweise geprüft wurden (vgl. AK DQR 2013a, 63). Die Prüfung wurde über zwei Verfahren vorgenommen (vgl. AK DQR 2013a, 106). Beim sogenannten ‚induktiven Verfahren’ wurden die Ordnungsmittel gemäß der dort vorzufindenden Struktur geprüft und dann ein „Schluss“ auf die zuzuordnenden Lernergebnisse vorgenommen. Beim ‚deduktiven Verfahren’ stellten Hypothesen über die Kompetenz, die mit einer Qualifikation erworben werden sollen, den Ausgangspunkt dar. Ausgehend von diesen Kompetenzvermutungen wurden die Ordnungsmittel nach Hinweisen auf diese Kompetenzen untersucht. In beiden Verfahren wurde dabei ein Abgleich zwischen den Analyseergebnissen der Ordnungsmittel und den Deskriptoren des DQR vorgenommen. Dabei wird im Referenzierungsreport des AK DQR festgehalten, „dass eine eindeutige Zuordnung zu einem Niveau [trotz der beiden Verfahren, KHG & BG] schwer möglich war und eine gewisse Unschärfe bestehen blieb“ (AK DQR 2013a, 106).

Die Entscheidung, Qualifikationen einer bestimmten DQR-Niveaustufe zuzuordnen, kann somit als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen den Experten bzw. Stakeholdern im AK DQR gesehen werden.

2.4 Aktueller Stand und Konstruktionsergebnisse des DQRs

Als übergreifendes Raster soll der DQR Allgemeinbildung, Berufsbildung, Hochschulbildung sowie Ergebnisse informellen und non-formalen Lernens berücksichtigen sowie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen durch eine Orientierung an den Lernergebnissen überwinden (vgl. AK DQR 2011, 4ff.). Insgesamt wurde aufgrund der Tradition der Kontextsteuerung in Deutschland der DQR als Akkreditierungsinstrument umgesetzt, was zu einer Reihe von Besonderheiten bei der Konstruktion des DQRs führte:

  • Ausgehend von sogenannten „Ankerqualifikationen“ (AK DQR 2013b, 5) wurden Qualifikationen typspezifisch zugeordnet. Das führte dazu, dass z. B. alle 2-jährigen Berufsausbildungen auf Niveaustufe 3 und alle 3 und 3,5-jährigen Berufsausbildungen auf Niveaustufe 4 zugeordnet wurden. Ob es Kompetenzniveauunterschiede zwischen den einzelnen Berufen gab wurde unabhängig von der Ausbildungsdauer ausdrücklich nicht untersucht.
  • Gemäß des konsensualen Prinzips im AK DQR wurden nur die Qualifikationen im DQR aufgenommen, deren Niveaustufenzuordnung von allen Beteiligten befürwortet wurde. Ein solcher Konsens wurde bisher für die allgemeinbildenden Schulabschlüsse nicht erreicht (AK DQR 2013a, 8). Allerdings konnte man sich – durchaus im Sinne der Lernergebnisorientierung – darauf verständigen, dass die Kompetenzniveaustufen 6 bis 8 sowohl auf beruflichem Wege als auch über die Hochschulbildung erreichbar sind (AK DQR 2013a, u. a. 107). In vielen anderen europäischen Ländern sind diese Stufen exklusiv der Hochschulbildung vorenthalten. Dieser Umstand wird jedoch nicht mit einer konsequenten Wirkungssteuerung verbunden, sondern eher mit deutschlandspezifischen Debatten über die Gleichwertigkeit beruflicher und hochschulischer Bildung, die im AK DQR konsensfähig war (vgl. insb. Gössling 2013, insb. 219).
  • Da die Entscheidungen über Kompetenzniveaustufen auf der Analyse von Ordnungsmitteln basiert, wurden Lernergebnisse, die nicht im Rahmen von durch Ordnungsmittel geregelten Bildungsprogrammen entstanden sind bisher nicht dem DQR zugeordnet. Das gilt insbesondere für alle Formen informellen und non-formalen Lernens, die außerhalb des formalen Bildungssystems stattfinden (vgl. AK DQR 2013b, 46ff.).
  • Da der konzeptionell auf Wirkungssteuerung hin angelegte DQR durch die Umsetzung im Sinne eines Akkreditierungsmodells eher wie ein Instrument der Input-Steuerung genutzt wird, kommen zwei entgegengesetzte Steuerungsmechanismen gleichzeitig zum Einsatz. Das wiederum kann zu Widersprüchen führen. So wurde durch die Berücksichtigung der institutionellen Kontexte das Berechtigungssystem in den DQR importiert, soll aber nicht im Sinne der DQR-Ziele geändert werden. So heißt es im Arbeitskreis DQR (2011, 5, Herv. i. O.): dass „die Zuordnung der Qualifikationen des deutschen Bildungswesens zu den Niveaus des DQR nicht das bestehende System der Zugangsberechtigung ersetzt.“. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit von hochschulischer und beruflicher Bildung durch gemeinsame Zuordnungen z. B. auf Stufe 6 soll daher – so die Intention des AK DQR – nicht zu einer gegenseitigen Anerkennung führen.

Inwiefern sich die Konstruktion des DQRs auf Ebene einzelner Bildungsprogramme bzw. Qualifikationen auswirkt, wird nun im Folgenden auf Basis dreier Fallstudien untersucht.

3 Fallstudien zur Steuerungslogik des DQRs

3.1 Methodik und Kontext der Fallstudien

Zielstellung der Fallstudien ist es, die unterschiedlichen Steuerungsmechanismen, den Diskussionsprozess der Einordnung in den DQR und die schlussendliche Einordnung zu analysieren. Dies ist von Relevanz, da über den DQR nicht zuletzt in der Referenzierung zum EQR die internationale Leistungsfähigkeit des beruflichen Bildungssystems abgebildet werden soll und deshalb eine kohärente Zuordnung bedeutsam ist. Die Fallstudien repräsentieren dabei drei Kontexte des beruflichen Bildungssystems: (1) das Übergangssystem (Abschnitt 3.2), (2) die Berufsausbildung (Abschnitt 3.3) und (3) die Fortbildung (Abschnitt 3.4), womit eine Breite des beruflichen Bildungssystems exemplarisch abgedeckt wird.

Methodisch wurde in den Fallstudien eine Dokumentenanalyse in Form der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (vgl. Mayring 2015, 92ff.) vorgenommen. Die Analysekategorien wurden deduktiv auf Basis der Governance-Ansätze – Input, Prozess, Output, Outcome und Impact (vgl. Abschnitt 2.2) – abgeleitet und die Dokumente jeweils nach Hinweisen zu den Steuerungsansätzen analysiert. Dabei wurden drei Arten von Dokumenten für die Analyse zugrunde gelegt:

  1. Ordnungsmittel: Ordnungsmittel regeln in formaler und inhaltlicher Hinsicht Bildungsprogramme. Sie werden auch im AK DQR für den Zuordnungsprozess herangezogen (vgl. Abschnitt 2.3). Zu Ordnungsmitteln gehören gesetzliche Regelungen, Verordnungen, Lehrpläne u. Ä.
  2. Dokumentationen des Arbeitskreises DQR: Die Entwicklung des DQRs kann als Diskurs betrachtet werden, in dem unterschiedliche Interessensgruppen durch ausgewählte Vertreter im AK DQR an der Konstruktion des Qualifikationsrahmens beteiligt waren. Beschlüsse und Ergebnisse, teilweise auch Hinweise zur Erarbeitung, wurden vom AK DQR online veröffentlicht. Diese Dokumente wurden jeweils für die relevanten Kontexte der Fallstudien analysiert.
  3. Dokumente der Bildungspraxis: Neben Ordnungsmitteln und der Dokumentation des AK DQRs wurden drittens Dokumente der Bildungspraxis für die Analyse herangezogen. Diese spiegeln entstehende und praktizierte Prozesse in Bildungsorganisationen wider, beispielsweise Anrechnungsregelungen.

Die Darstellung der Fallstudien bzw. Ergebnisse der Dokumentenanalyse werden jeweils in der Gliederung (a) Einordnung des Kontextes im beruflichen Bildungssystem, (b) Ergebnisse der Analyse der Dokumente und (c) Einordnung der Analyseergebnisse in die Steuerungslogik des DQR vorgestellt.

3.2 Fallstudie 1: Übergangssystem

3.2.1 Einordnung in das berufliche Bildungssystem

Ziel von Maßnahmen im Übergangssystem ist es für junge Menschen, die nach dem Austritt aus dem allgemeinbildenden Schulwesen nicht mit einer Berufsausbildung begonnen haben, eine Vorbereitung auf eine Berufsausbildung anzubieten. Das Übergangssystem ist dabei weniger ein System als ein Bündel an Maßnahmen von berufsbildenden Schulen, der Agentur für Arbeit, diverser Träger, der beruflichen Rehabilitation, regionaler Netzwerke und von Betrieben (vgl. Biermann 2010). Aufgrund dieser Heterogenität wird nur ein Teilbereich für die Dokumentenanalyse ausgewählt: Das Berufsgrundschuljahr mit der Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen.

Zentrale Dokumente für die Analyse dieser Fallstudie sind:

  • BBiG 2005 §1(1+2) und §§68-70
  • KMK 1978: Rahmenlehrplan für den berufsfeldbezogenen Lernbereich im Berufsgrundbildungsjahr Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung
  • KMK 2013: Rahmenvereinbarung über die Berufsfachschulen
  • Richtlinien zur Erprobung für das Berufsgrundschuljahr und für die Bildungsgänge der Berufsfachschule der Anlage B der APO-BKK
  • Referenzierungsbericht des AK DQRs von 2013
3.2.2 Analyse der Ordnungsgrundlagen

Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) regelt Grundlagen zur beruflichen Bildung in Deutschland. Als Bundesgesetz betrifft es allerdings formal nicht die berufsbildenden Schulen, die unter Landesgesetze fallen. Generell ist das Übergangssystem erst seit der Gesetzesnovelle von 2005 unter dem Begriff „Berufsausbildungsvorbereitung“ Teil dieses Gesetzes. Für den schulischen Teil des Übergangssystems, zu dem auch das Berufsgrundschuljahr (BGJ) zählt, gilt dieses Gesetz formal jedoch nicht.

Der KMK Rahmenlehrplan für den berufsfeldbezogenen Lernbereich im Berufsgrundbildungsjahr Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung ist die erste bundesweite Regelung für das BGJ von 1978, aus der Zeit der ersten großen Ausbildungsplatzkrise, in der das BGJ geschaffen wurde. Dieser Lehrplan hat den Anspruch „lernzielorientiert“ zu sein. Er richtet sich an Hauptschulabsolventen ohne Berufsausbildungsplatz mit dem Ziel eine Vorbereitung und Heranführung an eine Berufsausbildung zu gestalten. Wie bei allen lernzielorientierten Lehrplänen werden taxonomisch Verhaltensparameter (z. B. Kenntnisse, Fähigkeiten, Einsichten) mit einem Inhaltstichpunkt (z. B. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs) oder Geschäftsprozesse) verbunden.

Die Rahmenvereinbarung für Berufsfachschulen der KMK von 2013 umfasst Regelungen für berufsbildende, schulische Bildungsgänge auf Sekundarstufe II, die sich auf verschiedene Bildungsgänge beziehen und mit denen mehrere Ziele erreicht werden sollen. Relevante Ziele für das Übergangssystem sind: Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit, Vermittlung von Grundqualifikationen in anerkannten Ausbildungsberufen, die ggf. anerkannt werden sowie allgemeinbildende Schulabschlüsse vom Hauptschulabschluss bis Fachhochschulreife. Das Berufsgrundschuljahr fällt unter die Kategorie „Bildungsgänge, die Grundqualifikationen vermitteln“, ohne dass Details geregelt wären.

Die Richtlinien zur Erprobung für das Berufsgrundschuljahr sind der derzeitig gültige Lehrplan für die Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. Angeboten wird das Erreichen eines allgemeinbildenden Schulabschlusses (Hauptschulabschluss, Fachoberschulreife, sowie Qualifikation für den Besuch von Bildungsgängen, die zur allgemeinen Hochschulreife führen). Ferner kann eine berufliche Grundbildung erworben werden, die auf eine sich anschließende Berufsausbildung im Umfang von 6-12 Monaten anzurechnen ist. Anders als im Berufsbildungsgesetz vorgesehen, lautet hier das Ziel, berufliche Orientierung und Grundbildung durch „Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz“ herzustellen und nicht nur die „Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit“ (BBiG 2005, § 1 (2)) anzustreben. Für die einzelnen Schwerpunkte wie beispielswiese „Bürowirtschaft und kaufmännische Verwaltung“ werden im weiteren Verlauf sogenannte „Lernfelder“ aufgeführt, die jedoch anders als bei der Lernfeldkonzeption für Ausbildungsberufe im dualen System nicht berufsspezifisch sind, sondern sehr breit auf ein Berufsfeld gerichtet sind. Ein typisches Lernfeld heißt „Aufträge bearbeiten“. Für jedes Lernfeld sind dann fachbezogene Inhalte ausgewiesen, womit sogenannte „berufsbezogene Fächer“ wie Betriebswirtschaftslehre, Rechnungswesen, Informationswirtschaft und Volkswirtschaftslehre gemeint sind. Eine Überwindung des Fachprinzips durch eine konsequente Situationsorientierung, wie im Lernfeldkonzept der Ausbildungsberufe, findet sich hier also nicht.

Im Referenzierungsbericht des Arbeitskreises DQR wird das Berufsgrundschuljahr exemplarisch auf Stufe 2 eingeordnet. Auf der DQR-Homepage heißt es zur Begründung: „Der erfolgreiche Besuch wird z. T. auf die Ausbildungszeit in anerkannten Ausbildungsberufen angerechnet, z. T. aber auch nicht. Das Abschlusszeugnis schließt die Berechtigung des Hauptschulabschlusses ein.“

3.2.3 Einordnung der Analyseergebnisse in die Steuerungslogik des DQR

Wird die Analyse der oben genannten Ausgangsdokumente zusammengeführt, erkennt man, dass für das Berufsgrundschuljahr Regelungen gelten, die an unterschiedlichen Punkten ansetzen und teilweise nicht konsistent sind. Besonders deutlich wird das bezogen auf die Einordnung im DQR:

  • Verhältnis von allgemeinbildenden und beruflichen Abschlüssen: Bei der Zuordnung zum DQR wurden die allgemeinbildenden Schulabschlüsse bisher nicht berücksichtigt. Allerdings sind die Qualifikationen des schulischen Übergangssystems meist mit einem allgemeinbildenden Schulabschluss verbunden, das BGJ z. B. mit dem Hauptschulabschluss. Nachdem das BGJ auf Stufe 2 eingeordnet ist, stellt sich die Frage, auf welcher Stufe der damit verbundene Hauptschulabschluss liegen soll. Soll der allgemeinbildende Schulabschluss auf der gleichen Stufe liegen oder auf einer anderen?
  • Zielebene: In der Beschreibung der DQR Kompetenzniveaustufe 2 geht es um das erfüllen von Anforderungen, die bei Arbeiten anfallen, die weitgehend angeleitet erfolgen (vgl. AK DQR 2011, 8). Es ist jedoch fraglich, ob das BGJ dies überhaupt anstrebt. So wird gemäß BBiG gar nicht das Ziel verfolgt berufliche Handlungsfähigkeit zu fördern, sondern es sollen nur Grundlagen gelegt werden für eine anschließende Berufsausbildung. Das liegt letztlich an der dominanten Stellung des dualen Systems innerhalb der Berufsbildung. Eigentlich soll das BGJ kein Abschluss sein, der für sich in eine Tätigkeit im Erwerbssystem führt, sondern einen Übergang in eine Berufsausbildung ermöglichen. Ob das BGJ im Sinne des DQRs also als eigenständiger Abschluss anzusehen ist, ist in unseren Augen daher fraglich.
  • Anrechnungen: Ferner soll eine Grundqualifikation im BGJ mit bis zu 12 Monaten auf eine Berufsausbildung angerechnet werden. In der DQR-Logik ist eigentlich offen, wie das begründet werden soll, da dann ein „Abschluss“ auf Niveau-Stufe 2 auf Lernleistungen auf Stufe 3 oder 4 angerechnet werden würden. In der Praxis werden Anrechnungen ohnehin faktisch fast nicht vorgenommen, da dazu Auszubildende und Ausbilder bei der zuständigen Stelle einen Antrag stellen müssen (NRW Verordnung § 1 (2)) und es zu einer Zustimmung dieser drei meist nicht kommt. Insofern bezieht sich die Begründung für die Stufenzuordnung auf eine faktische nicht-Anrechnung, die rechtlich jedoch vorgesehen ist.

3.3 Fallstudie 2: Berufliche Ausbildung in den Gesundheitsberufen

3.3.1 Einordnung in das berufliche Bildungssystem

Die berufliche Ausbildung in den Gesundheitsberufen stellt eine Sonderform im beruflichen Bildungssystems dar, da sie sich als Teil des Gesundheitswesens außerhalb des Berufsbildungssystem etabliert hat (vgl. Kraus 2006, 273). Sie ist somit nicht Teil des dualen Systems. Nachfolgend werden die therapeutischen Gesundheitsberufe (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) betrachtet, da bei diesen durch die Modellklausel von 2009 die Möglichkeit eines akademischen Profils (Ausbildung an einer Hochschule) besteht. Als zentrale Dokumente für die Analyse der Ausbildung in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen fungieren:

  • die Berufsgesetze (z. B. Ergotherapeutengesetz, ErgThG), welche auf Bundesebene über die entsprechenden Fachministerien erlassen werden.
  • die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen (z. B. Ergotherapeuten-Ausbildungs-Prüfungsverordnung, ErgThAPrV),
  • die zum Teil in einzelnen Bundesländern erlassenen Lehrpläne für die Ausbildung an den Schulen,
  • das Gesetz über die Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze (GEBK 2009), was die Möglichkeit eröffnet, die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen neben den Schulen auch an Hochschulen durchzuführen sowie
  • Dokumentationen des DQR-Entwicklungsprozesses der Arbeitsgruppe Gesundheit.
3.3.2 Analyse der Dokumente

Die Berufsgesetze regeln die Rahmenbedingungen der Ausbildung, wozu u. a. Berufsbild, Zugangsvoraussetzungen, Ausbildungsdauer u. Ä. zählen. Die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen ist 3-jährig (vgl. § 2 Abs. 1 ErgThG und LogopG, § 9 I MPhG) und hat an einer staatlich anerkannten Schule zu erfolgen (§ 4 Abs. 1 ErgThG und LogopG, § 9 Abs. 1 MPhG). Im Sinne der Modellklausel kann die Ausbildung an einer Hochschule stattfinden und dann von der 3-jährigen Dauer abweichen (§ 4 Abs. 5 ErgThG und LogopG, § 9 Abs. 2 MPhG).

Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen regeln u. a. die Ausbildungsinhalte, Prüfungsformen und -bedingungen sowie Zuständigkeiten während der Ausbildung. So wird in den Verordnungen jeweils zwischen theoretischem und praktischem Unterricht am Lernort Schule und praktischer Ausbildung am Lernort Praxiseinrichtung (z. B. Krankenhäuser) differenziert (vgl. § 1 Abs. 1 ErgThAPrV und LogopG, § 9 Abs. 1 PhysTh-APrV). Die zu absolvierenden Stunden unterscheiden sich zwischen den untersuchten Berufen. Theoretischer und praktischer Unterricht betragen 2.900 Stunden (Physiotherapie), 2.700 Stunden (Ergotherapie) bzw. 1.740 Stunden (Logopädie). Die Dauer der praktischen Ausbildung (Lernort Praxiseinrichtung) beträgt 1.600 Stunden (Physiotherapie), 1.700 Stunden (Ergotherapie) bzw. 2.100 Stunden (Logopädie) (vgl. § 1 Abs. 1 ErgThAPrV und PhysTh-APrV, Anlage 1 und 2 LogAPrO). Curricular wird in den Verordnungen eine fachsystematische Struktur abgebildet, welche als Input-Steuerung zu deuten ist: Es wird nicht beschrieben, welche Kompetenzen bzw. Lernergebnisse die Auszubildenden am Ende der Ausbildung erreicht haben sollen, sondern es werden die Inhalte des Unterrichts (z. B. Ergotherapie: Desinfektion und Sterilisation, Stütz- und Bewegungsapparat) angegeben. Beim Teil der praktischen Ausbildung ist von einer Prozesssteuerung auszugehen, da die Einsatzbereiche in den Praxiseinrichtungen genannt werden (z. B. Ergotherapie: psychosozialer Bereich; Physiotherapie: Innere Medizin).

Hinsichtlich der Lehrpläne ist zu bemerken, dass nach dem Prinzip des Bildungsförderalismus zwar Bildung im Verantwortungsbereich der Bundesländer liegt, allerdings sind die sog. ‚Schulen des Gesundheitswesens’ zum Teil an den Gesundheitseinrichtungen direkt angegliedert und in diesem Sinne nicht gleichzusetzen mit staatlichen Berufsfachschulen, an denen auch in den Gesundheitsfachberufen ausgebildet wird. Die Lehrpläne für den theoretischen und praktischen Unterricht, welche auf Länderebene erlassen werden, haben somit z. T. empfehlenden Charakter (z. B. ‚empfehlende Ausbildungsrichtlinie’ im Bundesland NRW). Die Lehrpläne zwischen den Bundesländern unterscheiden sich. Häufig finden sich Lehrpläne die eine Lernfeldstrukturierung aufweisen (u. a. Bayern (vgl. LPPhyBY 2013), Berlin (vgl. LPErgB 2005) oder NRW (vgl. LPPhyNRW 2013)). In der Terminologie der KMK sind diese kompetenzbasiert, womit diese als outcomeorientierte Steuerung zu deuten sind. In diesen Lehrplänen wird eine Zuordnung der Lernfelder zu den jeweiligen Inhaltsbereichen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen vorgenommen. Es existieren auch Lehrpläne, welche einen fachsystematischen Aufbau haben, allerdings die Inhalte zu Clustern zusammenführen, denen dann kompetenzbasierte Zielformulierungen voranstehen (vgl. u. a. LPLogoS 2005). Innerhalb der Lehrpläne werden – auch wieder je nach Bundesland unterschiedlich – Hinweise zur Didaktik gegeben (z. B. Förderung des selbstregulierten Lernens (LPPhyBY 2013, 5), welche als Elemente der Prozesssteuerung eingeordnet werden können.

Das Gesetz über die Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze (GEBK 2009), eröffnete die Möglichkeit, die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen auf Hochschulebene durchzuführen. Zielsetzung ist ein Professionalisierungsprozess der Berufsbilder im Gesundheitssektor und damit ein stärker wissenschaftlich orientierter Kompetenzentwicklungsprozess (vgl. Gerholz/Walkenhorst 2016). Mit der Modellklausel geht aber keine formale Veränderung des Berufsbildes einher, sondern die berufsgesetzlichen Regelungen und damit auch die Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen bleiben als Ordnungsmittel bestehen. Die Hochschulen, welche den Bildungsregelungen der Länder unterliegen, sind somit angehalten, diese Anforderungen der Ordnungsmittel innerhalb der Studiengänge abzubilden. Gleichzeitig ist aber eine Heterogenität in der Ausbildung auf Hochschulebene entstanden. So zeigen Darmann-Finck et al. (2014, 103ff.) in ihrem Gutachten zu den Modellstudiengängen in Nordrhein-Westfalen auf, dass Umfänge von Modulen und Verteilung von Workloads auf inhaltliche Schwerpunkte – i. d. R. bezogen auf die Verordnungen – zwischen den existierenden Studiengängen variieren. Auch zeigt sich selten ein einheitliches curriculares Gestaltungsprinzip, da input- als auch outcomeorientierte Strukturierungen auf Studiengangebene vorgenommen werden. Die Heterogenität führt zu einer geringen Vergleichbarkeit der Studiengänge und es ist zu vermuten, dass dadurch unterschiedliche Kompetenzprofile in einem gleichen Berufsbild entstehen.

Hinsichtlich der Dokumente des AK DQR werden die therapeutischen Gesundheitsfachberufe auf Niveaustufe 4 eingeordnet bzw. als akademisches Profil auf Bachelor-Ebene der Niveaustufe 6 (vgl. www.dqr.de). In der Dokumentation des AK DQR – Bereich Gesundheit – wurde exemplarisch der Physiotherapeut (nicht als akademisches Profil) zugeordnet. Im Ergebnis wird hier auf Basis der Ordnungsmittel und den Anforderungen der Berufspraxis für die Zuordnung in Niveaustufe 5 plädiert; in einzelnen Aspekten (z. B. Bereich Selbstkompetenz) wurde sich auch für eine Zuordnung auf Niveaustufe 6 ausgesprochen (vgl. ExpVot-Gesundheit 2011, 36ff.).

3.3.3 Einordnung der Analyseergebnisse in die Steuerungslogik des DQR

Führt man die Analyse der Dokumente für die Ausbildung in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen zusammen, so zeigen sich unterschiedliche Steuerungslogiken. Die berufsgesetzlichen Vorgaben (Berufsgesetze, Verordnungen) spiegeln Input- und Prozesssteuerungsfaktoren wider. Outcomeorientierte Steuerungsfaktoren finden sich zum Teil in den Lehrplänen auf Länderebene, wobei jedoch keine Einheitlichkeit unter diesen gegeben ist. Setzt man die Analyseergebnisse in Zusammenhang mit dem Governance-Instrument des DQRs, ergeben sich folgende Inkonsistenzen:

  • Fachliche Inputvorgaben vs. Wirkungssteuerung: Die Berufsgesetze und Verordnungen machen fachliche Inputvorgaben aus denen sich keine Outcome-Orientierung im Sinne der Beschreibung von beruflichen Handlungen ergibt. Dieses spiegelt sich indirekt z. T. auch in den lernfeldstrukturieren Lehrplänen auf Länderebene wider, die zwar outcomeorientiert aufgebaut sind, in denen aber jeweils eine Zuordnung anhand der Inhalte in den Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen vorgenommen wurde, die wiederum inputorientiert ist. Eine Zuordnung der Profile der Gesundheitsfachberufe wird im DQR auf Niveaustufe 4 vorgenommen, womit davon ausgegangen wird, dass dies den performativen Deskriptoren auf dieser DQR Stufe entspricht (vgl. AK DQR 2011, 10). In der Bildungspraxis liegt aber mit den zentralen Ordnungsmittel, mit denen eine Zuordnung begründet wurde, vielmehr eine Inputsteuerung vor.
  • Kompetenzprofile vs. Lernorte: Die Berufsgesetze bilden den ordnungspolitische Rahmen sowohl beim Lernort Schule als auch beim Lernort Hochschule. Beim Lernort Schule wird der Berufsabschluss auf Niveaustufe 4 und beim Lernort Hochschule auf Niveaustufe 6 eingeordnet. Obwohl die Ordnungsmittel dieselben sind, führt dies zu einem Unterschied von zwei Niveaustufen. Faktisch wird hiermit eine Zuordnung des Berufsprofils im DQR auf Basis der Lernorte vorgenommen. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass unterschiedliche Kompetenzprofile bei den beiden Lernorten entstehen, allerdings wird dies in den Ordnungsmitteln nicht näher spezifiziert und damit nur indirekt über die Unterschiede bei den Deskriptoren der jeweiligen Niveaustufen im DQR beschrieben. Nach dieser Lesart nimmt der DQR eine stärkere Relevanz als die eigentlichen Ordnungsmittel ein.
  • Zuordnung Niveaustufe vs. ‚tatsächliches’ Kompetenzprofil: Es zeigt sich in den Ergebnisdokumenten der Expertengruppen des AK DQR, dass die Kompetenzprofile der schulischen Ausbildung auch eine höhere Zuordnung als die schlussendlich vorgenommene Zuordnung im DQR auf Niveaustufe 4 zulassen würden. Innerhalb der Expertengruppe gab es unterschiedliche Einschätzungen dazu. Im Fall der therapeutischen Gesundheitsberufe – schulische Ausbildung – fällt auf, dass mit der Einordnung auf Stufe 4 die gleiche Stufe gewählt wurde, wie für die 3- und 3,5-jährigen Ausbildungsberufe im dualen System.

3.4 Fallstudie 3: kaufmännische berufliche Fortbildung nach BBiG

3.4.1 Einordnung in das berufliche Bildungssystem

Nach dem Berufsbildungsgesetz hat die berufliche Aufstiegsfortbildung das Ziel, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erweitern und damit einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen (vgl. § 4 IV BBiG).[6] Dies führt zu öffentlich-anerkannten Fortbildungsabschlüssen, die durch Rechtsverordnung des Bundes geregelt sind (vgl. § 53 I BBiG). Bei der beruflichen Aufstiegsfortbildung werden drei Fortbildungsniveaus hinsichtlich der Anforderungen unterschieden: Niveau 1 befähigt zur Übernahme von Aufgaben, die die erworbenen Kompetenzen der Berufsausbildung erweitern und vertiefen (z. B. Geprüfter Fachberater für Finanzdienstleistungen). Niveau 2 befähigt zu Fach- und Führungsfunktionen, bei denen Leistungsprozesse im Unternehmen eigenständig verantwortet werden (z. B. geprüfter Handelsfachwirt). Niveau 3 umschließt die verantwortliche Führung von Organisationen oder die Bewältigung von neuen komplexen Aufgabenstellungen (z. B. staatlich geprüfter Betriebswirt) (vgl. StrQuaBeFB 2014, 2ff.). In der nachfolgenden Analyse wird der Fokus auf kaufmännische berufliche Fortbildungsabschlüsse des Niveaus 2 gelegt – Fachwirte – da diese im DQR auf Stufe 6 eingeordnet werden, und damit in dieser Struktur auf der gleichen Stufe stehen wie der Bachelor-Abschluss als erster Abschluss auf Hochschulebene. Konkret werden der ‚geprüfte Handelsfachwirt’, der ‚geprüfte Versicherungsfachwirt’ und der ‚geprüfte Wirtschaftsfachwirt’ analysiert.[7]  Als zentrale Dokumente in der kaufmännischen beruflichen Fortbildung fungieren:

  • Prüfungsverordnung zum geprüften Fortbildungsabschluss (z. B. Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Fortbildungsabschluss ‚Geprüfter Handelsfachwirt‘, HdlFachwPrV),
  • Rahmenpläne von den zuständigen Stellen, den Industrie- und Handelskammern (z. B. Rahmenplan mit Lernzielen ‚Geprüfter Wirtschaftsfachwirt‘)
  • Dokumentationen des DQR-Entwicklungsprozesses der Expertengruppe Handel
  • Praxisdokumente der Bildungsorganisationen
3.4.2 Analyse der Dokumente

Die Prüfungsverordnungen regeln nach BBiG die Bezeichnung des Fortbildungsabschlusses, die Ziele und Anforderungen der Prüfung, die Zulassungsvoraussetzungen sowie das Prüfungsverfahren (vgl. § 53 II BBiG). Die Zielformulierungen in den Prüfungsverordnungen Handels- und Versicherungsfachwirt zeigen eine Outcome-Orientierung auf, da die am Ende der Fortbildung zu erreichenden Kompetenzen mit Blick auf die betrieblichen Handlungsbereiche formuliert werden. So wird beim Handelsfachwirt zwischen acht betrieblichen Handlungsbereichen differenziert (z. B. Unternehmensführung und -steuerung), in denen jeweils die zu erreichenden Kompetenzen beschrieben werden (z. B. Gestalten der Unternehmensorganisation unter Berücksichtigung der Vor- und Nachteile von Kooperationen) (vgl. § 4 I HdlFachwPrV 2014; auch § 4 VersFachwPrV 2008). Beim Wirtschaftsfachwirt liegt demgegenüber eine Inputorientierung vor, da die zu vermittelnden Inhalte fachsystematisch strukturiert werden (z. B. Kosten- und Leistungsrechnung, Betriebsorganisation, Finanzierungsarten) (vgl. § 4,5 WFachwPrV 2008).[8] Hinsichtlich der Lernorte, an denen die Fortbildung durchzuführen ist, und der Dauer der Fortbildung wird keine Aussage in den Verordnungen getroffen, allerdings dazu, dass die Prüfung von der zuständigen Stelle – den Kammern – durchzuführen ist (vgl. § 1 WFachwPrV 2008, § 1 HdlFachwPrV 2014, § 1 VersFachwPrV 2008).

Die Rahmenpläne der analysierten Fortbildungen unterscheiden sich in ihrem Aufbau. Der Rahmenplan des Versicherungsfachwirtes ist in Handlungsbereiche gegliedert. Diese werden in einzelne Handlungssituationen aufgegliedert, in denen die zu erreichenden Kompetenzen in Orientierung zu den damit im Zusammenhang stehenden betrieblichen Leistungsprozessen beschrieben werden.[9] Es liegt eine Outcome-Orientierung vor. In den Vorbemerkungen werden didaktisch-methodische Hinweise gegeben, indem eine handlungsorientierte Vermittlung vorgenommen werden soll (vgl. RP-VFachw 2016, 9ff.). Die Rahmenpläne des Wirtschaftsfachwirtes und Handelsfachwirtes folgen stärker einer Fachsystematik. So wird z. B. der Bereich ‚Recht und Steuern’ beim Wirtschaftsfachwirt inhaltlich gegliedert nach Rechtssubjekte, Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Produkthaftung etc. Bei den Inhalten wird ebenfalls eine taxonomische Einordnung in den Bereichen Wissen, Verstehen und Anwenden vorgenommen (vgl. RP-WFachw 2008, 11). Insgesamt liegt eine Inputorientierung vor.

Hinsichtlich der Dokumente des AK DQR werden die Fortbildungsabschlüsse Handelsfachwirt, Wirtschaftsfachwirt und Versicherungsfachwirt der Niveaustufe 6 zugeordnet. In den Dokumenten der Expertengruppe Handel des AK DQR finden sich Hinweise auf den Zuordnungsprozess des Handelsfachwirtes. Dabei wurde kein konsensuales Ergebnis gefunden, da sowohl Argumente für die Einordnung auf Niveaustufe 6 (u. a. mit Bezug auf den Einsatz der Absolventen im Betrieb auf mittlerer Führungsebene) als auch auf Stufe 5 (u. a. begründet mit Bezug zu fehlendem wissenschaftlichen Anspruch der Fortbildung) plädiert wurde (vgl. ExpVot-Handel 2011, 62f.). Grundlage der Zuordnung war die Prüfungsverordnung der Handelsfachwirte (Stand 2006). Der Zuordnungsprozess des Wirtschafts- und Versicherungsfachwirt wurde in den Expertenvoten, die lediglich exemplarische „Ankerqualifikationen“ bearbeiteten, nicht vorgenommen.

Die Fortbildungsabschlüsse des Fachwirtes werden wie der Bachelor-Abschluss auf Niveaustufe 6 des DQR eingeordnet. Dies spiegelt die Gleichwertigkeit der Abschlüsse wider, aber es wird nicht von einer Gleichartigkeit ausgegangen (vgl. Tabelle 1 Deskriptoren Niveaustufe 6), da ein Fortbildungsabschluss in den meisten Bundesländern (u. a. Nordrhein-Westfalen)[10] erst eine Hochschulzugangsberechtigung impliziert. Es finden sich aber bei Anrechnungsregelungen in der Bildungspraxis auch Varianten, in denen die Fortbildung des Handelsfachwirts auf ein Bachelor-Studium mit 2 Semestern oder auch 4 Semestern angerechnet wird.[11] Es handelt sich hierbei meist um staatliche anerkannte private Fachhochschulen.

3.4.3 Einordnung der Analyseergebnisse in die Steuerungslogik des DQR

Die Prüfungsverordnungen der analysierten Fachwirtfortbildungen spiegeln eine Outcome-Orientierung wider. Die Lehrpläne wiederum sind stärker – mit Ausnahme des Versicherungsfachwirts – inputorientiert strukturiert. Hinweise auf eine Prozesssteuerung finden sich im Lehrplan des Versicherungsfachwirtes im Prinzip des handlungsorientierten Unterrichts. Zusammenführend ergeben sich folgende Passungsprobleme:

  • Heterogene Ordnungsgrundlagen vs. gleiche Einordnung im Qualifikationsrahmen: Die Expertengruppe hat eine Einordnungsempfehlung auf Basis der Prüfungsverordnungen laut DQR-Dokumenten vorgenommen, welche Outcome-orientiert formuliert sind und somit eine Passung zur Steuerungslogik des DQR vorliegt. Gleichzeitig sind die Lehrpläne bis auf den Versicherungsfachwirt weiterhin Input-orientiert aufgebaut. Geht man von der Annahme aus, dass die Dozenten die Lehrpläne als Ordnungsgrundlage für die Gestaltung der Fortbildung sehen, können sich Passungsprobleme daraus ergeben, dass die didaktische Gestaltung nicht auf das intendierte Ergebnis der Fortbildung abgestimmt ist. Trotz der Heterogenität in den Ordnungsgrundlagen wird für alle Fachwirte die gleiche Niveauzuordnung im DQR vorgenommen.
  • Ordnungspolitische Regelung vs. Wirkung in der Bildungspraxis: Die Anrechnungsmöglichkeiten des Fortbildungsabschlusses auf ein Bachelor-Studium von bis zu vier Semestern ergeben faktisch nahezu auch eine Gleichartigkeit der Gewichtung zwischen Fachwirt- und akademischem Bachelorabschluss.
  • Zuordnung Niveaustufe vs. ‚tatsächliches’ Kompetenzprofil: Auch hier zeigte sich – wie bei Fallstudie 2 –, dass die Expertengruppe zu unterschiedlichen Einordnungen des Handelsfachwirtes in die Kompetenzniveaustufen des DQR – 5 vs. 6 – gekommen ist und im Ergebnis kein Konsens in der Expertengruppe erzielt worden ist. Schlussendlich wurde der Handelsfachwirt – wie alle anderen Fachwirtfortbildungen – auf Niveaustufe 6 im DQR eingeordnet, womit möglicherweise gegebene Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Kompetenzprofil eines speziellen Fachwirts und der typweisen Standardeinordnung nicht berücksichtigt wurden.

3.5 Synopse und Ergebnisse der Fallstudien

Die jeweiligen Fallstudien spiegeln exemplarisch einzelne Bereiche des beruflichen Bildungssystems wider. Nachfolgend werden die Ergebnisse der Fallstudien zusammengeführt und die sich ergebenden Inkonsistenzen mit der Governance-Logik des DQRs (vgl. Abschnitt 2.2 und 2.3) verdichtet.

Tabelle 2:       Synoptische Zusammenfassung der Ergebnisse der Fallstudien

Steuerungs-mechanismen Input Prozess Output Outcome Impact
Übergangs-system Fachbezogene Vorgaben im NRW Lehr­plan Stundentafel zur Verteilung zeitlicher Res­sourcen (NRW Lehrplan) Lernzielorien­tierte Vorga­ben mit Ver­hal­­tens- und Inhaltskomponente nach KMK Rah­menvorgaben (1978) Formulierung allgemeiner, berufsbereich-bezogener Lernfelder Lösungsansatz für die Probleme am Übergang von Schule und Beruf
Gesundheits-fachberufe

Inhaltliche Vorgaben auf Basis der Ausbildungs- und Prüfungs­verordnungen

Lernorte: Schule, Praxis­einrichtungen, i.S.d. Modell­klausel Hochschulen

Lehrpläne der Länder sind z T. fachlich orientiert

Theoretischer und prakti­scher Unter­richt sowie praktische Ausbildung

Verteilung der Stunden auf Unterrichtsformen und Praxisanteile

Lehrpläne der Länder geben z.T. Empfehl­un­gen zu didaktischer Gestaltung

Tätigkeitsfelder in praktischer Ausbildung bei Logopäden Lehrpläne der Länder sind z. T. Lernfeld-basiert Substitution und/oder Verlagerung durch Bachelor-Studiengänge
Berufliche Fortbildung z.T. fach-systematische Lehrpläne z. T. Prinzip der Handlungs­orientierung in Lehrplan Ver­sicherungs­fachwirt   Prüfungs-verordnungen kompetenz­orientiert hin­sichtlich beruf­licher Tätig­keits­felder punktuell Gleichwertigkeit beruflicher Fortbildungsabschluss und hochschuli­scher Bache­lor-Abschluss

In Tabelle 2 wurden stichpunktartig die Ergebnisse der Fallstudien und den darin identifizierten Governance-Ansätzen zusammengeführt. Hierbei zeigt sich, dass in nahezu allen Fallstudien eine Heterogenität zwischen Ordnungsgrundlagen und den sich daraus erbenden Governance-Logiken entsteht. Die dadurch entstehenden Inkonsistenzen in der Steuerungswirkung des DQRs können über drei Schlussfolgerungen zusammengefasst werden:

  1. Nationale Rückkopplungseffekte
  2. Diversität der Steuerungsmechanismen
  3. Politische Konsensorientierung statt Einzelfallprüfung von Kompetenzniveaus

(ad 1) Nationale Rückkopplungseffekte

Die Entstehung des DQRs geht auf Impulse der europäischen Bildungspolitik zurück, die von der Zielsetzung geleitet sind Leistungen der nationalen Bildungssysteme international vergleichbar zu machen. Die nationalen Strukturen sollen dadurch nicht verändert werden, weshalb z. B. im Entwicklungsprozess des DQRs ausgeschlossen worden ist, dass das formale Berechtigungswesen und die Ordnungsmittel ersetzt bzw. verändert werden (vgl. Abschnitt 2.3.2). Unsere Analyse der Fallstudien zeigt jedoch, dass trotzdem stärkere Rückkopplungen vom DQR auf das berufliche Bildungssystem zu erkennen sind. So konnten wir zeigen, dass die dokumentenbasierten DQR-Niveaustufenzuordnung für die jeweiligen Qualifikationen oft nicht eindeutig und kohärent sind; was sich auch in den Dokumenten der Expertenvoten widerspiegelt. Das führte auf Makro-Ebene jedoch nicht dazu, dass das verfolgte Akkreditierungsmodell, nach dem basierend auf Ordnungsgrundlagen begründet wurde, welches Kompetenzniveau für einen Abschlusstypen gelten soll, als solches in Frage gestellt wird. So wurden z. B. auf Empfehlung des BiBB-Hauptausschusses die Niveaus der beruflichen Fortbildung so angepasst, dass sich eine Übertragbarkeit für den DQR ergibt (vgl. Abschnitt 3.4.1, StrQuaBeFB 2014, Abs. 2.1). Ordnungsmittel auf der Makro-Ebene werden so an den DQR angepasst. Rückkopplungseffekte finden sich auch auf der Meso-Ebene, also auf Ebene der Bildungsorganisationen. So wird der Fortbildungsabschluss Handelsfachwirt mit bis zu 4 Semestern auf ein Bachelor-Studium angerechnet, womit faktisch von einer Gleichartigkeit zwischen beiden Abschlüssen ausgegangen wird. Die Rückkopplungseffekte wurden national durch Rezeption geschaffen und weniger auf europäischen ‚Druck’ zur Anpassung des beruflichen Bildungssystems.[12] Dadurch kann die paradoxe Situation entstehen, dass der DQR, der angetreten war, Kontextsteuerung zu überwinden, zu einem Raster für die Systematisierung der ordnungspolitischen Dokumente wird. Anstatt den sogenannten Paradigmenwechsel von der Kontext- zur Wirkungssteuerung zu vollziehen, wird eine auf Akkreditierung von Typen von Qualifikationen hin angelegte Form der Kontextsteuerung weiter ausgebaut. Das ist besonders problematisch, wenn schon bei der (Neu-)Entwicklung von Ordnungsunterlagen Formulierungen gewählt werden, die die Zuordnung zu einem DQR-Niveau nahelegen, wodurch dann der Anspruch ein bestimmtes Kompetenzniveau zu erreichen zur Entscheidungsgrundlage wird, ohne dass die Erreichung dieses Ziels, im Sinne einer Wirkungssteuerung, diagnostisch geprüft wird (vgl. dazu auch Gössling 2013, 264). Neuere Forschungsergebnisse zur Kompetenzdiagnose weisen im Übrigen darauf hin, dass die Erreichung der in den Curricula von beruflichen Abschlüssen aufgebauten Ansprüche sich im Aggregat oft nicht nachweisen lässt (vgl. z. B. Klotz/Winther 2012).

(ad 2) Diversität der Steuerungsmechanismen

Der DQR ist konzeptionell Outcome-orientiert angelegt. Die Umsetzung als Akkreditierungsmodell erfolgte jedoch eher im Sinne einer Kontextsteuerung. Dementsprechend war beabsichtigt die Zuordnung von Qualifikationen zum DQR auf Basis von Ordnungsmitteln vorzunehmen (vgl. Abschnitt 2.3 und 2.4). Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass mit den Ordnungsunterlagen auch die Steuerungsmechanismen in den Ordnungsmitteln in den DQR übertragen wurden. Da diese Steuerungsmechanismen häufig unterschiedlich organisiert sind, ergeben sich, wie gezeigt, Widersprüche. So soll der Abschluss des Berufsgrundschuljahrs im Übergangssystem (DQR Stufe 2) auf eine Berufsausbildung angerechnet werden, die auf DQR Stufe 3 oder 4 liegt. Innerhalb der kaufmännischen beruflichen Fortbildung spiegeln die Ordnungsmitteln Steuerungsmechanismen wider, die Bezüge zu input-, prozess- und outcome-orientierten Governance-Ansätzen aufweisen, ohne dass jedoch eindeutig klar wird, wie daraus ein Kompetenzprofil der Niveaustufe 6 abgeleitet wird. Bei den therapeutischen Gesundheitsfachberufen wird die Einordnung in den Kompetenzniveaus faktisch über die Lernorte Schule und Hochschule vorgenommen, auch wenn die Ausbildung an beiden Orten auf den gleichen beruflichen Ordnungsmitteln basiert. Fasst man zusammen, welche Steuerungsmechanismen bei der Zuordnung leitend waren, fällt auf, wie selten die Lernergebnisse in Bezug auf die zukünftigen Handlungsfelder berücksichtigt wurden.

(ad 3) Politische Konsensorientierung statt Einzelfallprüfung von Kompetenzniveaus

Die Übernahme korporatistischer Prinzipien durch den AK DQR sichert eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, macht aber abhängig vom Konsens und damit verbundenen Kompromissen. Konsensual wurde u. a. vereinbart, eine Zuordnung im DQR auf Basis der bestehenden Ordnungsmittel im Sinne des Akkreditierungsmodells vorzunehmen. Möglich gewesen wäre hier eine Einzelfallprüfung jeder Qualifikation mit dem zu vermutenden Kompetenzniveau.[13] Stattdessen wurden Qualifikationen jedoch typweise zugeordnet, was ebenfalls konsensfähig war und weitgehend den bisherigen Status Quo sichert. Mit diesem Verfahren wurden Diskussionen um Kompetenzniveauunterschiede innerhalb der Typen von Bildungsprogrammen unterbunden. Es wäre durchaus zu fragen, ob das Unterbinden von „Wertigkeitsdiskussionen“ konsensual so wichtig war, dass auch Kompetenzniveauunterschiede, die in einzelnen Fällen innerhalb der Expertengruppen identifiziert wurden, im AK DQR mit Blick auf die großen institutionellen Zusammenhänge geglättet wurden: So wurde die Ausbildung in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen auf die gleiche DQR-Stufe wie die 3 und 3,5-jährigen Ausbildungen im Dualen System eingeordnet, obwohl sich in der Expertengruppe andere Voten finden. Auch wurde bei dem Typ Fachwirt eine Einordnung auf Niveaustufe 6 vorgenommen und das trotz ebenfalls divergenten Voten innerhalb der Expertengruppe und den divergenten Governance-Ansätzen in den Ordnungsmitteln. Es ist allerdings vorgesehen, dass ab 2017 auch Anpassungen bei den bisherigen Zuordnungen vorgenommen werden (AK DQR 2013b, 12). Ob dies eine Abkehr von der Typen- zur Einzelzuordnung bedeutet ist jedoch offen. Es kann aber konstatiert werden, dass das Prinzip der politischen Konsensorientierung eine eigentliche Zuordnung der Kompetenzniveaus überlagert.

4 Ausblick

Gemäß der Umsetzung des DQRs als Akkreditierungsmodell wurde die Zuordnung von Qualifikationen des deutschen Bildungssystems anhand von Ordnungsmitteln (Lehrplänen, Prüfungsordnungen, Gesetzen etc.) vorgenommen. Mit der Orientierung an den bestehenden Ordnungsmitteln erfolgte auch eine Orientierung an den bisher gültigen Steuerungsmechanismen. In diesem Zusammenhang konnte anhand von drei Fallstudien im Übergangssystem, bei den therapeutischen Gesundheitsfachberufen und der kaufmännischen beruflichen Fortbildung gezeigt werden, dass Entscheidungen zur Festlegung von DQR-Niveaustufen eher tradierten Formen der Kontextsteuerung folgten und sich entsprechend an Lernorten, Ausbildungszeiten und Typen von Bildungsprogrammen orientierten als im Sinne der Wirkungssteuerung an den Lernergebnissen in Bezug zu gesellschaftlichen Handlungsfeldern. Fraglich ist oft, ob eindeutige Kompetenzniveaustufenentscheidungen zwischen Stakeholdern überhaupt möglich sind. Oft dienten Einordnungsentscheidungen u. E. eher dazu einen tragfähigen Kompromiss innerhalb des AK DQR herzustellen als konzeptionelle Kohärenz zu erzeugen. Organisationstheoretisch ist bei widersprüchlichen Steuerungsversuchen durchaus zu erwarten, dass sich die Aktivitätsstruktur von den Steuerungsversuchen entkoppelt und die festgelegten Vorgaben nur zeremoniell eingehalten werden (vgl. Meyer/Rowan 1977, 340ff.). Dadurch stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Wirkungen von Steuerungsinstrumenten, wie Curricula, Prüfungen, Standards und eben auch Qualifikationsrahmen auf die Lehr-Lernpraxis der einzelnen Bildungsorganisationen. Diese Frage lässt sich mit der vorliegenden Studie nicht beantworten. Hier werden die Limitationen einer dokumentenbasierten Analyse sichtbar. Daraus ergibt sich das Forschungsdesiderat, das Handeln der pädagogischen Akteure (z. B. Lehrkräfte, Weiterbildner), auf die sich die Steuerungsansätze beziehen, direkt zu untersuchen. Erst dann könnten Aussagen dazu gemacht werden, inwiefern die Ordnungsgrundlagen auch leitend bei der mikrodidaktischen Gestaltung der Lehr-Lernprozesse sind und inwiefern diese auf der makrodidaktischen Planungsebene Berücksichtigung finden.

Hinsichtlich der zukünftigen (Weiter)Entwicklung der Ordnungsgrundlagen auf der Makro-Ebene zeichnet sich ab, dass der DQR zu einem Raster für die Systematisierung und Weiterentwicklung von Curricula werden könnte, da bei dem derzeitigen Akkreditierungsmodell für die Zuordnung von Qualifikationen eine Passung zwischen Ordnungsmitteln und DQR Deskriptoren gefunden werden muss. Auf der Meso-Ebene ergeben sich dadurch über unsere ausgewählten Fallstudien hinaus interessante Entwicklungsperspektiven. So konnten Vertreter der Erzieher/innen Ausbildung zeigen, dass ihre Curricula auf die Kompetenzniveau-Stufe 6 verweisen, sodass diese Ausbildung nicht auf Stufe 4 zugeordnet wurde (vgl. zusf. u. a. Sloane/Gössling 2012, 355). Bei Berufen, wie den therapeutischen Gesundheitsfachberufen wird sich vor diesem Hintergrund zukünftig wohl stärker die Frage stellen, welche Relevanz den Lernorten zukommen soll und inwiefern es gelingt, die Ordnungsmittel systematischer hinsichtlich eines akademischen und beruflichen Profils weiterzuentwickeln (vgl. dazu Gerholz/Walkenhorst 2016), was bereits im Zuge der geplanten Generalistik in der Pflegeausbildung vorgesehen ist.

Zurück zum Eingangszitat: Es gibt nur ein Meer, aber Schiffe werden unterschiedlich konstruiert. Ausgehend von der Vision Transparenz und Vergleichbarkeit in Europa zu erhöhen können auch Qualifikationsrahmen unterschiedlich konstruiert werden. Unabhängig von der Frage, was zielführender ist, gilt es anzuerkennen, dass es derzeit unterschiedliche nationale Umsetzungen für Qualifikationsrahmen gibt. Wir haben gezeigt, wo sich beim DQR Inkonsistenzen ergeben und welche Probleme das mit sich bringen kann. Manchmal muss man sich seines Zieles wieder vergewissern, bevor man weiß, wie man an der Sache weiter arbeiten und die Sache re-konstruieren kann.

Literatur

AK DQR (2011): Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Online: http://www.dqr.de/media/content/Der_Deutsche_Qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_Lernen.pdf (10.11.2016)

AK DQR (2013a): Deutscher EQR-Referenzierungsbericht. Online: http://www.dqr.de/media/content/Deutscher_EQR_Referenzierungsbericht.pdf (10.11.2016).

AK DQR (2013b): DQR Handbuch. Online: http://www.dqr.de/media/content/DQR_Handbuch_01_08_2013.pdf (10.11.2016).

Biermann, H. (2010): Berufsvorbereitung. In: Nickolaus, R./Pätzold, G./Reinisch, H./Tramm, T. (Hrsg.): Handbuch Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Bad Heilbrunn, 326-330.

Darmann-Finck et al. (2014). Inhaltliche und strukturelle Evaluation der Modellstudiengänge zur Weiterentwicklung der Pflege- und Gesundheitsfachberufe in NRW. Abschlussbericht. Online: http://www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/pflege/20150528_NRW-Abschlussbericht-End-26_05_2015.pdf (10.11.2016).

EG, Europäische Gemeinschaft (2005): Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen.

Europäisches Parlament und Rat (2008): Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (Text von Bedeutung für den EWR). Amtsblatt der Europäischen Union (AblEU) Nr. C 111/01. Online: http://eur-lex.europa.eu/%20LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:111:0001:0007:DE:PDF (10.11.2016).

ErgThAPrV – Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Ergotherapeuten. Online: https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/ergthaprv/gesamt.pdf (10.11.2016).

ErgThG – Ergotherapeutengesetz. Online: https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bearbthg/gesamt.pdf (10.11.2016).

ExpVot-Gesundheit (2011): Expertenvotum zur zweiten Erarbeitungsphase des Deutschen Qualifikationsrahmens Einführung – Votum AG Gesundheit.

ExpVot-Handel (2011): Expertenvotum zur zweiten Erarbeitungsphase des Deutschen Qualifikationsrahmens Einführung – Votum AG Handel.

GEBK (2009): Gesetz über die Einführung einer Modellklausel in die Berufsgesetze der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten vom 25. September 2009, verkündet in BGBl I Jahrgang 2009 Nr. 64 vom 2.10.2009.

Gerholz, K.-H./Walkenhorst, U. (2016): Gestaltungsfragen zur Akademisierung der beruflichen Bildung am Beispiel der Gesundheitsfachberufe. In: Seifried, J./Seeber, S./Ziegler, B. (Hrsg.): Jahrbuch der berufs- und wirtschaftspädagogischen Forschung 2016. Opladen u.a.

Gerholz, K.-H./Brahm, T. (2014): Apprenticeship and Vocational Education. In: Harteis, C./Rausch, A./Seifried, J. (Eds.): Discourses on professional learning: On the boundary between learning and working. Dordrecht, 143-158.

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[1] Trotz dieser Grundidee sind bereits schon früh nicht intendierte Rückkopplungseffekte vermutet worden (vgl. Sloane 2007, 69).

[2] Es gehört zu den konzeptionellen Unschärfen des EQRs, dass zur Spezifizierung von „Kompetenz“ der Begriff „Kompetenz“ auch als Subkategorie auftaucht. Bei Letzterem wird Kompetenz im Sinne von „Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit“ beschrieben. Kompetenz i. w. S. wird im EQR definiert als „die nachgewiesene Fähigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und/oder persönliche Entwicklung zu nutzen.“ (Europäisches Parlament und Rat 2008, 4).

[3] Wir sprechen an dieser Stelle von Bildungsprozessen, was berufliche und akademische Aus- und Weiterbildungsprozesse einschließt. Der Begriff ‚Bildung’ bezieht sich somit auf institutionalisierte Prozesse und nicht auf die Frage, was Bildung ist bzw. sein kann (z. B. in der Unterscheidung von formaler und materialer Bildung). Prinzipiell kann in einer institutionellen Perspektive auch von der Steuerung von Lernprozessen gesprochen werden. Das ist allerdings von einer lerntheoretischen Perspektive zu trennen, in der Lernprozesse durch den Lernenden selbst reguliert bzw. organisiert werden.. Um im weiteren Verlauf diese Unterscheidung deutlich zu machen, sprechen wir von der Steuerung von Bildungsprozessen anstatt von Lernprozessen.

[4] Unsere Begriffsverwendung unterscheidet sich hier teilweise von der, wie sie der System- und Steuerungstheoretiker Willke (2005, 192, insb. 244) nutzt. Er geht, wie wir, davon aus, dass in komplexe Systeme nicht direkt eingegriffen werden kann, diese nur durch Selbststeuerung oder Kontextsteuerung adäquat reguliert werden können. Mit Kontextsteuerung meint er die Festlegung der Parameter, die einem operativ geschlossenen System den Rahmen für die Nutzung eigener Möglichkeiten vorgeben. Diese Parameter sollten dabei nicht einseitig festgelegt werden, sondern vielmehr eine Sache von Verhandlungen sein. In diesem Verständnis wäre Input-, Prozess-, Output-, Outcome- und Impact-Steuerung als Kontextsteuerung zu bezeichnen, weil damit Parameter für Eigenaktivitäten des Systems gemeint sind. Und hier weicht unsere Begriffsverwendung ab. Uns geht es darum, Logiken verschiedener Typen von Parametern zu unterscheiden. Wir trennen daher Vorgaben innerhalb des Bildungssystems (Kontextsteuerung) von Vorgaben, die auf Ziel- und Ergebnisebene gemacht werden (Wirkungssteuerung) (vgl. dazu auch Young 2002, Sloane 2010).

[5] Die amtliche Übersetzung der EU wird angegeben mit: „Qualifikation“ – das formale Ergebnis eines Beurteilungs- und Validierungsprozesses, bei dem eine dafür zuständige Stelle festgestellt hat, dass die Lernergebnisse einer Person vorgegebenen Standards entsprechen.

[6] Davon ist die Anpassungsfortbildung zu unterscheiden, die die berufliche Handlungsfähigkeit entsprechend der Veränderungen in einem Berufsfeld erhalten soll (vgl. § 1 IV BBiG).

[7] Die Auswahl dieser drei kaufmännisch beruflichen Fortbildungen ergibt sich aufgrund der Zugänglichkeit der relevanten Ordnungsgrundlagen sowie der quantitativen Bedeutung der Teilnehmer, die diese berufliche Aufstiegsfortbildung durchlaufen. 

[8] Bei der Verordnung zum geprüften Wirtschaftsfachwirt wird zwischen wirtschaftsbezogenen und handlungsspezifischen Qualifikationen differenziert. Bei den handlungsspezifischen Qualifikationen wird auch von Handlungsbereichen gesprochen, aber die Zielformulierungen sind mehrheitlich fachsystematisch formuliert (vgl. § 3 I, § 5 WFachwPrV 2008).

[9] Im Handlungsbereich ‚Steuerung und Führung im Unternehmen’ gibt es die Handlungssituation ‚Sie sind Mitarbeiter in der Abteilung Prämienkalkulation und führen eine systematische Analyse der Preisbildung von den Versicherungsmärkten durch’, zu dem u. a. Inhalte wie Preiselastizität, mikroökonomische Grundlagen der Preistheorie zugeordnet sind (vgl. RP-VFachw 2016, 23).

[10] So wird in § 2 der Berufsbildungshochschulzugangsverordnung Nordrhein-Westfalen festgelegt, dass Fortbildungen i.S.d. § 53 BBiG einen Zugang zum Hochschulstudium ermöglichen.

[11] Vgl. u. a. https://www.akademie-handel.de/weiterbildung/handelsmanagement-ecommerce/ oder http://www.afum.de/verkuerztes-bachelorstudium.aspx .

[12] Es können sich auch internationale Rückkopplungseffekte ergeben: So ist es fraglich, ob durch die typenweise Pauschalzuordnungen der Berufsausbildungen auf DQR-Niveaustufe 3 bis 4 anspruchsvolle Berufsbilder international die Würdigung empfangen, die ihnen gemessen an dem tatsächlich erreichten Kompetenzniveau zustehen würde, beachtet man, dass diese Niveaustufen international eher mit den Anforderungen an Hilfskräften verbunden werden (vgl. Gössling 2013, 267f.).

[13] Dies wäre keine Evidenz-basierte Prüfung der ‚tatsächlich’ erreichen Kompetenzniveaus, wie es einem Diagnosemodell entspräche, sondern lediglich eine curricular abgesicherte Einzelfallprüfung.

Zitieren des Beitrags

Gerholz, K. H./Gössling, B. (2016): Governance mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) zwischen neuer Instrumentenlogik und tradierter Strukturlogik – Eine Dokumentenanalyse zur Entwicklung des beruflichen Bildungssystems. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 31, 1-26. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe31/gerholz_goessling_bwpat31.pdf (12-12-2016).