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bwp@ 45 - Dezember 2023
Veränderungen der Arbeitswelt: Anforderungen, Gestaltungsfelder und Zukunftsfragen für die berufliche Bildung
Hrsg.:
, , &Nachhaltigkeit in der betrieblichen Ausbildung – Kompetenzanforderungen aus unternehmerischer Sichtweise
Die Berufsbildung spielt eine Schlüsselrolle bei der gesellschaftlichen Nachhaltigkeitstransformation. Obwohl Ausbilder:innen dabei zentrale Akteur:innen sind, fehlt es an empirischen Studien zu den Kompetenzanforderungen an sie. Dieser Beitrag präsentiert ein Kompetenzmodell für die Facetten der Handlungskompetenz von Ausbilder:innen auf der empirischen Basis von 22 Expert:inneninterviews. Das Kompetenzmodell macht die Handlungskompetenz von Ausbilder:innen greifbar, die zur Umsetzung der jeweiligen Nachhaltigkeitsstrategie in Unternehmen der Finanzdienstleistungs- und Informationstechnikbranchen verlangt wird. Nachhaltigkeitskompetenz ist im Ergebnis kein eigenständiger Kompetenzbereich, sondern ein integraler Bestandteil einer zukunftsfähigen professionellen Handlungskompetenz. Diese spiegelt sich auf vielfältige Weise in der Fach-, Selbst-, Sozial- und Methodenkompetenz wider. Die Dimensionen beeinflussen sich gegenseitig und führen letztlich zu einer Handlungskompetenz, die eine Anwendung des Wissens in authentischen Geschäftssituationen ermöglicht und deklaratives, prozedurales, strategisches und schematisches Wissen kombiniert.
Sustainability in corporate vocational training – Competence requirements from an entrepreneurial perspective
Vocational education and training (VET) plays a key role in the societal sustainability transformation. Although VET trainers are central actors in this process, there is a lack of empirical studies on the competence requirements for them. This article presents a competence model for the facets of VET trainers' action competence on the empirical basis of 22 expert interviews. The competence model makes the competence of trainers tangible, which is required to implement the respective sustainability strategy in companies in the financial services and information technology industries. As a result, sustainability competence is not an independent area of competence, but an integral part of a future-oriented professional action competence. This is reflected in a variety of ways in specialist, personal, social and methodological skills. The dimensions influence each other and ultimately lead to an action competence that enables the application of knowledge in authentic business situations and combines declarative, procedural, strategic, and schematic knowledge.
1 Relevanz von Nachhaltigkeitskompetenzen in der betrieblichen Ausbildung
Nachhaltige Entwicklung wird als große Transformation des 21. Jahrhunderts betrachtet (vgl. Rebmann/Schlömer 2020, 334f.) und spielt eine immer wichtigere Rolle für Unternehmen der Finanzdienstleistungs- (FDL-) und Informationstechnologie- (IT-)Branchen. Angesichts der aktuellen Herausforderungen wird von einem Transformationsdruck in Unternehmen und Gesellschaft sowie von Umbrüchen gesprochen, die tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen (z. B. Demary et al. 2021). Da die Bewältigung der sozial-ökologischen Transformation für einige Branchen und Berufe sogar zur Überlebensfrage wird und Unternehmen ihre Existenz nur sichern können, wenn sie sich am Konzept der Nachhaltigkeit und des nachhaltigen Wirtschaftens orientieren, ist nachhaltige Entwicklung auch für die Berufsbildung von zentraler Bedeutung (vgl. Schlömer et al. 2021, 112). Berufsbildung “kann Individuen in Beruf, Arbeit und Bildung zur kompetenten Mitgestaltung einer nachhaltigen Zukunft sensibilisieren, motivieren und befähigen” (Rebmann/Schlömer 2020, 334) und damit entscheidend zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele beitragen. So wird die Schlüsselrolle der Berufsbildung bei der gesellschaftlichen Nachhaltigkeitstransformation mehrfach hervorgehoben (z. B. De Haan/Holst/Singer-Brodowski 2021, 13; Demary et al. 2021, 172). Trotz ihrer Bedeutsamkeit ist nachhaltige Entwicklung allerdings noch kein integrierter Bestandteil der Berufsbildungspraxis und -forschung (vgl. Rebmann/Schlömer 2020, 334f.).
Eine Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten wird in der Berufsbildung häufig unter Bezugnahme auf das Konzept Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) diskutiert. BBNE versteht sich als lebenslanger Prozess und zentrales Element von Bildung, das Individuen befähigt, mit gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen verantwortungsvoll umzugehen. Dabei ist die Orientierung des beruflichen Handelns an den intra- und intergenerationalen Auswirkungen ökologischer, sozialer und ökonomischer Folgen von Bedeutung (vgl. De Haan 2008). Seit den 1990er Jahren wird eine BBNE insbesondere durch Modellversuche des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gefördert und hat dadurch an Aufmerksamkeit gewonnen (vgl. De Haan/Holst/Singer-Brodowski 2021, 13; Weber/Wester 2021). Diese Modellprojekte haben allerdings gezeigt, “dass die Entwicklung und erst recht die Umsetzung neuer nachhaltiger Geschäftsmodelle umfassende Kompetenzen aller Unternehmensmitglieder verlangen” (Schlömer et al. 2021, 119). In Standards und Normen zur nachhaltigen Entwicklung von Unternehmen sind Bildungsthemen allerdings unterrepräsentiert (vgl. Melzig/Weber 2020, 191). Insgesamt wissen nur 39,5 % der Unternehmen, welche Kompetenzen für eine nachhaltige Ausrichtung benötigt werden (vgl. Risius et al. 2023, 5) – Unternehmen ermitteln den entstehenden Qualifizierungsbedarf also selten systematisch.
Um die aktuell vielfach entwickelten Nachhaltigkeitsstrategien in der betrieblichen Ausbildung umsetzen zu können, müssen die Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen als durchführendes Personal geklärt werden. Das jeweilige Nachhaltigkeitsverständnis unterscheidet sich dabei je nach unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategie bzw. zugrunde liegenden impliziten Nachhaltigkeitszielen. Ausbilder:innen gelten aufgrund ihrer Multiplikationsfunktion, ihrer Nähe zu den Auszubildenden, ihrem Wissen über die betriebliche Kultur und Arbeitsabläufe sowie ihre Einflussnahme durch die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen als Schlüsselfigur für BBNE (vgl. Hecker et al. 2021, 143; Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug 2021, 185; Schlömer et al. 2019, 429). Gleichzeitig gibt es allerdings insgesamt zum betrieblichen Bildungspersonal wenig Forschung (vgl. Bahl et al. 2012; Brünner 2014; Grollmann/Ulmer 2020, 536). Aus einer Analyse der Aufgaben von Ausbildungspersonal geht hervor, dass deren Handlungen bisher besonders von den ökonomischen Interessen der Betriebe geprägt sind (vgl. Brünner 2014). Eine umfassende und empirisch abgesicherte Konzeptualisierung und systematische Analyse der beruflichen Handlungskompetenz des Ausbildungspersonals liegt bislang nicht vor (vgl. Bonnes/Binkert/Goller 2022, 26; Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug 2021, 178). Es bleibt nicht nur unklar, welche Rolle Sie bei der Nachhaltigkeitstransformation spielen sollen, sondern es bedarf auch einer empirisch abgesicherten Beschreibung der Anforderungen, die Unternehmen an ihre Handlungskompetenz stellen. In wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem dualen Studium wird das Ausbildungspersonal im Betrieb auch nur am Rande bzw. als Teilfacette des Betriebs betrachtet (z. B. Krone 2015). Dieser Beitrag knüpft an die bisher spärlichen empirischen Einblicke in die Handlungskompetenzdimensionen von Ausbilder:innen in der betrieblichen Ausbildung an. Das Ziel ist die Beantwortung der Forschungsfrage, welche Kompetenzanforderungen Ausbildungsleitungen an Ausbilder:innen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie haben.
Im Folgenden wird im Kapitel 2 zunächst die Nachhaltigkeitstransformation in der FDL- und IT-Branche umrissen, bevor auf die betriebliche Bildung im Rahmen von dualer Berufsausbildung und dualem Studium eingegangen wird. Anschließend werden Theorie und Forschungsstand zu den Nachhaltigkeitskompetenzen dargelegt. Kapitel 3 beschreibt das methodische Vorgehen und in Kapitel 4 werden darauffolgend die Ergebnisse hinsichtlich der Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen vorgestellt, systematisiert und diskutiert. Als Ergebnis des Beitrags wird ein Kompetenzmodell für die Facetten der Handlungskompetenz von Ausbilder:innen in der Nachhaltigkeitstransformation präsentiert. Der Beitrag endet mit einem Fazit und Ausblick.
2 Qualifizierungsmodelle und Nachhaltigkeitstransformation in den Branchen FDL und IT
In diesem Beitrag werden die FDL- und IT-Branchen fokussiert, um die Heterogenität der Ausbilder:innen, die Vielfalt der Ausbildungssituationen und die Branchenspezifik in der Bedeutung von Nachhaltigkeit aufzugreifen. Nachhaltigkeit wird im Unternehmenskontext bisher oft auf Ressourceneffizienz bei der Produktherstellung reduziert, wie beispielsweise im Handel (vgl. Schlömer et al. 2019). Weniger steht die Interaktionen mit Kund:innen im Vordergrund, die in den Branchen FDL und IT allerdings von zentraler Bedeutung sind. Die FDL-Branche gilt als ‚Ankerbranche‘ mit direkten und indirekten Auswirkungen auf Nachhaltigkeit, als Schlüsselbereich für die nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft sowie als Vorreiter in der Nachhaltigkeitsberichterstattung (vgl. Sassen et al. 2021, 7). Die IT-Branche gilt in Bezug auf Nachhaltigkeit ähnlich zur FDL-Branche als Schlüsselbranche für die deutsche Wirtschaft sowie als ‚Enabler‘ und Impulsgeber (vgl. Will-Zocholl/Kämpf 2016, 12ff.).
Banken und Versicherungen bieten traditionelle berufliche Karrierepfade an und dort genießt die Ausbildungstradition häufig einen starken Rückhalt in der Belegschaft (vgl. Bahl 2017, 315; Bahl et al. 2012). Im Gegensatz dazu kann die IT-Branche auf ein historisch gesehen weniger starkes Engagement in der Berufsausbildung blicken. Branchenübergreifend übersteigt die Nachfrage nach Plätzen im dualen Studium bei Weitem das Angebot und die Studierenden gelten als leistungsfähig und zielstrebig, was sie besonders attraktiv für die Fachkräftedeckung macht (vgl. Euler/Severing 2016, 10). Sowohl in der betrieblichen Ausbildung als auch im dualen Studium sieht der Ablauf in den betrachteten Branchen jeweils Wechsel zwischen den Lernorten vor (vgl. Bahl 2017, 182ff.; Euler/Severing 2016, 27). Seit der Neuordnung der Berufsbilder (2020 für Bankkaufleute, Fachinformatiker:innen, IT-System-Elektroniker:innen, Kaufleute für Digitalisierungsmanagement und Kaufleute für IT-System-Management; 2022 für Kaufleute für Versicherungen und Finanzen (KfVF)) werden in den Ausbildungshilfen zur Ausbildungsordnung teilweise Leitfragen für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit formuliert. Die neuen Standardberufsbildpositionen zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind jedoch nur für die ab dem 1.08.2021 in Kraft getretenen Verordnungen rechtsverbindlich und gelten dementsprechend in den betrachteten Branchen nur für die KfVF (vgl. BIBB 2021).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die berufliche Qualifizierung durch duale Ausbildung oder duales Studium in beiden Branchen eine unterschiedliche Historie hat. Beiden Branchen wird in ähnlicher Art und Weise eine jeweils unterschiedlich ausgestaltete Schlüsselfunktion in der Nachhaltigkeitstransformation zugesprochen und beide Branchen sind zudem stark von der Transformation betroffen.
3 Nachhaltigkeitskompetenzen betrieblichen Ausbildungspersonals – Forschungsstand und theoretische Überlegungen
Das betriebliche Ausbildungspersonal ist ein heterogener Kreis, zu dem Betriebsinhaber:innen, Führungskräfte, Ausbildungsleitungen, betriebliche Ausbilder:innen (sowohl haupt- als auch nebenberuflich), ausbildende Fachkräfte sowie ausbildendes Personal in überbetrieblichen Ausbildungsstätten gehören (vgl. Brünner 2014, 7; Grollmann/Ulmer 2020, 535). Untersuchungsgegenstand dieses Beitrags sind Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen, die sich jeweils in den Fachabteilungen um Auszubildende und dual Studierende kümmern, d.h. Anforderungen an die Ausbilder:innen auf der operativen Ebene. Diese sind in ihrer Arbeit mit komplexen Handlungssituationen konfrontiert, die ein differenziertes pädagogisch-didaktisches Handeln erfordern (vgl. Brünner 2014, 201; Kiepe 2021). Neben ihrer Tätigkeit als Ausbilder:in sind sie meist mit weiteren fachlichen Aufgaben betraut und definieren sich eher als Fachkraft denn als Pädagog:in (vgl. Grollmann/Ulmer 2020, 537). Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil Ausbilder:innen nur spärlich auf die betriebliche Ausbildungstätigkeit vorbereitet werden (vgl. Kiepe 2021). Die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Qualifizierung des Ausbildungspersonals in der beruflichen Bildung und ihre Bedeutung für den individuellen Lernerfolg der Auszubildenden sind auch im Kontext der digitalen Transformation seit Langem bekannt (vgl. Sailer/Annen 2021, 3f.).
Während die formale Qualifikation berufs- und arbeitspädagogischer Kenntnisse bei betrieblichem Ausbildungspersonal durch die Ausbildereignungsverordnung (AEVO) geregelt und mittels der Ausbildung der Ausbilder:innen (AdA) abgesichert wird, gibt es eine ähnliche Überprüfung der persönlichen und fachlichen Eignung nicht für das mit dem dualen Studium betraute Personal. In der Praxis ist Letzteres allerdings häufig nach AEVO-Ordnung qualifiziert, da in 45 % der Fälle beim dualen Studium ein Doppelabschluss angestrebt wird, also neben dem Studienabschluss auch ein Berufsausbildungsabschluss erworben wird (vgl. Euler/Severing 2016, 15). Nach AEVO (2009, §3) müssen Ausbilder:innen die berufs- und arbeitspädagogische Eignung erfüllen, (1) Ausbildungsvoraussetzungen zu prüfen und Ausbildung zu planen, (2) die Ausbildung unter Berücksichtigung organisatorischer sowie rechtlicher Aspekte vorzubereiten, (3) selbstständiges Lernen in berufstypischen Arbeits- und Geschäftsprozessen handlungsorientiert zu fördern und (4) die Ausbildung zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen sowie den Auszubildenden Perspektiven für ihre berufliche Weiterentwicklung aufzuzeigen. Ausbilder:innen werden als Schlüsselakteur:innen für BBNE angesehen. Ihre wichtige Rolle wird u. a. dadurch unterstrichen, dass Auszubildende mehr Zeit im Lernort Betrieb als in der Berufsschule verbringen (vgl. Kiepe 2021), spiegelt sich aber auch in ihrer Multiplikationsfunktion bei der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen, ihrem Wissen über die betriebliche Kultur und Arbeitsabläufe sowie die Nähe zu den Auszubildenden wider (siehe Kapitel 1). Den Ausbilder:innen sind jeweils Ausbildungsleitungen übergeordnet, die häufig der Personalentwicklung angehören. Diesen kommt ebenfalls eine bedeutsame Rolle zu: Sie übernehmen eine unterstützende Funktion bei der Umsetzung der Unternehmensstrategie, vor allem im Sinne der dazu erforderlichen Lern- und Entwicklungsprozesse (vgl. Peterke 2021, 125). Dazu gehört auch eine Integration der jeweiligen Themen in bestehende oder neue Lern- und Entwicklungsprogramme, wie zum Beispiel in die Qualifizierung von Ausbilder:innen. Erschwerend für eine Erfüllung dieser Funktion ist die schwache Stellung betrieblichen Bildungspersonals im betrieblichen Organisationsgefüge in Bezug auf die Durchsetzung von Ausbildungsinteressen (vgl. Bahl et al. 2012; Kiepe 2021; Schlömer et al. 2017).
Nachhaltigkeitsbezogene Kompetenzen sind „für das Handeln im Sinne der Leitidee der Nachhaltigkeit und der betrieblichen Nachhaltigkeitsstrategie mitentscheidend“ (Melzig/Weber 2020, 195), da sie grundlegend für betriebliches Alltagshandeln sind. Diesem Beitrag liegt die Annahme zugrunde, dass eine “Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden zur Mitgestaltung von nachhaltigem Wirtschaften und zur Sicherung tragfähiger Berufsbiografien unabdingbar ist” (Schlömer et al. 2021, 110). Handlungskompetenz wird verstanden als „die Fähigkeit und Bereitschaft, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und persönliche Entwicklung zu nutzen“ (Esser 2009, 45) und bildet das zentrales Leitkonstrukt der Berufsbildung im BBiG sowie im DQR. Sie umfasst Sach- bzw. Fachkompetenz, Methodenkompetenz sowie Sozial- und Selbst-/Human- oder personale Kompetenz (vgl. Lorig et al. 2011; Roth 1971, 180). Kompetenz bezieht sich dabei nicht nur auf das Wissen oder die Fähigkeiten, die jemand in einem bestimmten Bereich hat, sondern kann auch die Einstellungen, Überzeugungen und Werthaltungen einer Person einschließen, die für die erfolgreiche Anwendung dieses Wissens oder dieser Fähigkeiten relevant sind. Obwohl es in der beruflichen Bildung lange kein Kompetenzmodell zu BBNE gab (vgl. Rebmann/Schlömer 2022, 229f.), wurden die zukünftig nötigen Kompetenzen von Auszubildenden mittlerweile für verschiedene Berufsgruppen diskutiert: Zu den Nachhaltigkeitskompetenzen von Auszubildenden im Lebensmittelhandwerk und der -industrie gibt es ein Modell von Strotmann et al. (2023), für den Handel von Casper/Schütt-Sayed/Vollmer (2021), Melzig/Schütt-Sayed (2020) und Schütt-Sayed/Vollmer/Casper (2021) sowie für Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistung eines von Michaelis (2017). Als für die Zukunft besonders relevante Kompetenzen in den IT- und FDL-Branchen werden insbesondere personale und soziale Kompetenzen angesehen. Aber auch Fachkompetenz wie z. B. Wissen im Bereich Cloud-Plattformen und künstliche Intelligenz sowie ein fundiertes Verständnis für die im Hintergrund ablaufenden Berechnungen und Datensicherheit werden verlangt (vgl. Kohl et al. 2017; Sczogiel et al. 2019, 30). Berding et al. (2018) definieren die nachhaltigkeitsorientierte Innovationskompetenz als Facette der beruflichen Handlungskompetenz bei Studierenden und Auszubildenden. Um diese Nachhaltigkeitskompetenzen zu fördern, benötigen die Ausbilder:innen eine professionelle Handlungskompetenz.
Die berufliche Handlungskompetenz gilt als wesentliches Ziel der Kompetenzentwicklung bei Ausbilder:innen – sowohl allgemein als auch in Bezug auf eine BBNE, wie eine Expert:innenbefragung von Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek (2019, 144) zeigt. Das abstrakte, mehrdimensionale und normative Konzept der Nachhaltigkeit steht dabei in einem Spannungsverhältnis zum konkreten Handeln in der beruflichen Situation (vgl. Singer-Brodowski et al. 2019, 7). Insbesondere die betriebliche Ausbildung unterscheidet sich damit fundamental von Bildungsprozessen in der Allgemein- und Hochschulbildung, weshalb etablierte Modelle zu Nachhaltigkeitskompetenzen aus dem Bereich (z. B. Bertschy et al. 2013; Wiek et al. 2011) nur bedingt übertragbar sind. Im Gegensatz zum Hochschul- und Schulbereich liegt der Fokus der dualen Berufsbildung auf der Befähigung zur Mitgestaltung in Arbeitswelt und Gesellschaft. Die duale Organisationsform, das Konsensprinzip und das daraus resultierende besondere Verhältnis von Staat und Sozialpartnern sind Spezifika der Berufsbildung, die sich auf die Implementierung von Nachhaltigkeit in der Berufsbildungspraxis auswirken (vgl. Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2019, 144ff.). Die Handlungskompetenz ist ein mehrdimensionales Konstrukt, das sich über verschiedene Kompetenzmodelle ausdifferenzieren lässt.
Zur Handlungskompetenz von Ausbilder:innen gehören in einer sozialtheoretisch angeleiteten Kompetenzmodellierung Fach-, Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenz, wie Merkel et al. (2017) basierend auf Ruschel (o. J., 4) darstellen. In einer Erweiterung besteht die berufliche Handlungskompetenz für nachhaltige Entwicklung aus Fach-, Methoden-, Gestaltungs-, moralisch-ethischer, Sozial- und Abstraktionskompetenz (vgl. Rebmann/Tenfelde/Schlömer 2011, 133). Berufliche Handlungsfähigkeit ist dabei die Zieldimension, die ökonomische Zielsetzungen und eine gelingende Sozialisation vereint. Im Gegensatz dazu steht eine psychometrische Kompetenzdiagnostik bei Seeber et al. (2019), die sich auf Kompetenzen im Nachhaltigkeitsmanagement (ohne expliziten Bezug auf Ausbilder:innen) beziehen. Sie definieren Nachhaltigkeitskompetenz als das Erkennen und Berücksichtigen ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele, um die langfristige Stabilität des Unternehmens sowie positive Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft und Umwelt zu gewährleisten (Seeber et al. 2019, 147). Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug (2021, 179) hingegen beziehen das heuristische Modell der professionellen Handlungskompetenz nach Baumert/Kunter (2006) auf die Kompetenz von betrieblichem Ausbildungspersonal und definieren darauf basierend Professionswissen, das durch Überzeugungen, Motivation und die Fähigkeit zur Selbstregulation ergänzt wird, als BBNE-Kompetenz von Ausbilder:innen. Casper/Schütt-Sayed/Vollmer (2021, 183) sowie Kastrup/Kuhlmeier/Strotmann (2021, 26) wiederum unterteilen nachhaltige Handlungskompetenz im Handel sowie in Lebensmittelhandwerk und -industrie als Fähigkeit zu sachgerecht nachhaltigem, gesellschaftlich verantwortlichem und sinn- und identitätsstiftendem Handeln. Die bisherigen Darstellungen der notwendigen Kompetenzfacetten wurden allerdings bislang kaum empirisch validiert und ausdifferenziert, sind nur teilweise anschlussfähig an die bekannte Aufgliederung in Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz und stellen keinen spezifischen Bezug zu den FDL- und IT-Branchen her.
Die Fachkompetenz umfasst bei Ausbilder:innen spezifische berufliche fachliche Fertigkeiten und Kenntnisse, fächerübergreifendes Wissen und Können sowie berufs- und arbeitspädagogische Kompetenz (vgl. Bonnes/Binkert/Goller 2022; Merkel et al. 2017). In Bezug auf Nachhaltigkeit umfasst sie berufs- oder domänenspezifische Kenntnisse zu nachhaltigkeitsrelevanten Inhalten der Facharbeit (z. B. über Umweltökonomik), allgemeines berufs- und arbeitspädagogisches Wissen zu Zielen und Merkmalen der BBNE und fachpraktisches Wissen (z. B. zu Nachhaltigkeitsmanagement) (vgl. Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug 2021, 179; Rebmann/Schlömer 2020, 332). Methodenkompetenz ist überlegtes systematisches und planvolles Handeln sowie ein geeigneter Umgang mit Methoden und Medien (vgl. Merkel et al. 2017). Dazu gehören Aspekte wie Führungs-, Medien-, Organisations- und Problemlösekompetenz (vgl. Bonnes/Binkert/Goller 2022). Sie umfasst die “Fähigkeit, berufsrelevantes Wissen im praktischen Handeln überprüfen und berufliche Praxis beschreiben und erklären zu können” (Rebmann/Tenfelde/Schlömer 2011, 133). In Bezug auf Nachhaltigkeit geht es dabei explizit um nachhaltiges Wirtschaften, z. B. um die Umsetzung des Retinitätsprinzips in der Kundenberatung (vgl. Rebmann/Schlömer 2020, 332f.) bzw. um berufs- oder domänenspezifische Kenntnisse zur Gestaltung von Lernsituationen mit Nachhaltigkeitsbezug (vgl. Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug 2021, 179). Die Sozialkompetenz umfasst allgemein u. a. Kommunikations- und Kooperationskompetenz, Konfliktfähigkeit, Empathie und Toleranz (vgl. Merkel et al. 2017; Roth 1971) und konkret in Bezug auf Nachhaltigkeit z. B. die Überzeugungsfähigkeit anderer von der Sinnhaftigkeit nachhaltigen Wirtschaftens, die Vertretung und Einforderung von Verbindlichkeit getroffener Entscheidungen und die Fähigkeit zum Aushandeln tragfähiger Zukunftslösungen (vgl. Rebmann/Schlömer 2020, 333). In einer systematischen Literaturrecherche von Bonnes/Binkert/Goller (2022) sind die Kompetenz zur Kooperation und Teamarbeit, Betreuungs- und Begleitkompetenz, Empathie sowie die Kompetenz zur Motivationsförderung die am häufigsten diskutierten Facetten der Sozialkompetenz. Auch weitere Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber Auszubildenden können im Kontext von Nachhaltigkeit darunter gefasst werden, wie beispielsweise Wertschätzung und Respekt (vgl. Hufnagl/Annen 2024). Selbstkompetenz umfasst u. a. Selbstsicherheit, Rollenflexibilität, Entscheidungsfähigkeit und Zielstrebigkeit (vgl. Merkel et al. 2017). Motivation, Selbstreflexion, -regulation, Flexibilität und Lernkompetenz sowie die Kompetenz zum selbstständigen und verantwortungsbewussten Handeln werden hier aktuell in der Literatur diskutiert (vgl. Bonnes/Binkert/Goller 2022). Die Motivation, eine nachhaltige Entwicklung mitzugestalten und die Fähigkeit zur Selbstregulation angesichts des Umgangs mit nachhaltigkeitsbezogenen Widersprüchen und Herausforderungen im beruflichen Alltag wird auch bei Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug (2021, 179) thematisiert. Selbstwirksamkeit zu erfahren ist dabei eine Voraussetzung, um sich motiviert neuen Anforderungen zu stellen (vgl. ebd., 184).
Gestaltungskompetenz meint laut Rebmann/Tenfelde/Schlömer (2011, 133) die ”Fähigkeit, an der Gestaltung beruflicher Praxis sachkompetent und orientiert an moralischen und ethischen Leitvorstellungen mitzuwirken”. Sie zeigt sich darin, dass Fachkompetenz tatsächlich im beruflichen Handeln umgesetzt wird. Auch im BNE-Diskurs nimmt Gestaltungskompetenz eine zentrale Rolle ein und wird als die Fähigkeit verstanden, Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können (vgl. De Haan 2008, 31). Im Berufsbildungskontext wird sie durch Beteiligung und Verantwortungsübernahme, Reflexionsschleifen des eigenen Handelns, Werte- und Gerechtigkeitsdiskurse erworben (vgl. Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2019, 180). Ausbilder:innen brauchen für nachhaltige Entwicklung auch moralisch-ethische Kompetenz, die die Entwicklung eigener Wertvorstellungen, eine Orientierung beruflichen Handelns und Gestaltens an gemeinsamen Wertvorstellungen, das Einnehmen einer Vorbildfunktion, Solidarität mit anderen sowie Kritikfähigkeit umfasst (vgl. Rebmann/Tenfelde/Schlömer 2011, 133f.). In diesem Sinne verbindet sie Gestaltungs- und Sozialkompetenz. Eine Berücksichtigung von wertbezogenen Kompetenzen als Teil der Handlungskompetenz steht im Kontrast zum BNE-Diskurs, in dem Diskurse um Handlungs- und wertbezogene Kompetenzen getrennt voneinander geführt werden, mit der Begründung, dass wertbezogene Kompetenzen nicht auf ein abgrenzbares Handlungsfeld bezogen werden können (vgl. Ruesch Schweizer 2021, 18). Zur Abstraktionskompetenz gehören das Entwickeln sprachlicher Verallgemeinerungen und die Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung mit anderen über Fachgrenzen hinweg (vgl. Rebmann/Tenfelde/Schlömer 2011, 133).
4 Methodisches Vorgehen
4.1 Sampling, Datenerhebung und -beschreibung
Es wurden n = 22 leitfadengestützte Expert:inneninterviews von der Erstautorin digital geführt, aufgezeichnet und anschließend an den Normen der Standardorthographie orientiert transkribiert. Zugunsten der Einfachheit und Lesbarkeit und weil in der Auswertung kein Interesse an Intonation, Modulation und Redefluss bestand, wurde auf aufwändige Notationssysteme verzichtet. Dieses Vorgehen wird von Langer (2010, 521) als erziehungswissenschaftlicher Standard bezeichnet. Das Sample besteht aus Ausbildungsleitungen, die in der Regel der Personalentwicklung zugeordnet sind. Die Auswahl der Unternehmen fand nach vorab festgelegten Kriterien statt (gezielte Fallauswahl) und erfolgte anhand ihrer (1) Branchenzugehörigkeit zur IT- oder FDL-Branche, ihres (2) Nachhaltigkeitsengagements und ihrer (3) Größe.
- Eine Berücksichtigung von Branchenspezifität ist vor allem deshalb relevant, weil die branchenspezifische Ausprägung von Ausbildungssituationen sowie Anforderungen an die AdA von mehreren Autor:innen sowie Expert:innen aus der Praxis betont wird. Damit einhergehend weisen sie auf die Wichtigkeit einer Berücksichtigung der Branchen- und Berufskontexte im Zusammenhang mit BBNE hin (vgl. Bahl 2017; Grollmann/Ulmer 2020, 537; Hecker et al. 2021, 147; Kiepe 2021; Seeber et al. 2019; Singer-Brodowski et al. 2019, 7). Der Fokus dieser Studie liegt auf den Branchen FDL und IT, die in hohem Maße von der Transformation betroffen sind und denen in unterschiedlicher Weise eine wesentliche Rolle bei der Nachhaltigkeitstransformation zugeschrieben wird (vgl. Kapitel 2).
- Bezüglich des Nachhaltigkeitsengagements wurden im Sinne eines Maximum Variation Samplings (vgl. Patton 2001) sowohl Unternehmen auswählt, die als Vorreiter im Bereich der Nachhaltigkeit gelten (z. B. durch Verleihung des Deutschen Nachhaltigkeitspreises), als auch Unternehmen, bei denen eine Orientierung an Nachhaltigkeit weniger präsent in der strategischen Ausrichtung des Unternehmens ist.
- Da große Unternehmen sich bisher eher in Richtung Nachhaltigkeit transformiert haben und als Vorbilder auftreten, während kleine und mittlere Unternehmen langsamer nachziehen, ist gerade in großen Unternehmen von einer Nachhaltigkeitsstrategie auszugehen (vgl. Sassen et al. 2021, 9). Darüber hinaus sind große kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie große Unternehmen des öffentlichen Interesses ab 500 Mitarbeiter:innen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Hinzu kommt, dass die betriebliche Ausbildungstätigkeit in Kleinstbetrieben häufig durch die Geschäftsleitung geleistet wird und dementsprechend keine separate Ausbildungsleitung vorhanden ist (vgl. Kiepe 2021, 140). Während in KMU die Ausbildungstätigkeit häufig neben sonstigen Tätigkeiten ausgeführt wird, findet sich in Großbetrieben oft hauptamtliches Ausbildungspersonal (vgl. Bahl et al. 2012; Nicklich/Blank/Pfeiffer 2022). Obwohl sich die IT-Branche durch viele Kleinst- und Kleinunternehmen sowie Solo-Selbstständige bei einer geringen Anzahl von Großunternehmen auszeichnet (vgl. Will-Zocholl/Kämpf 2016, 12), konnten ausreichend Unternehmen akquiriert werden.
Dementsprechend wurden 11 Unternehmen der FDL-Branche mit zwischen 190 und 12.000 Mitarbeiter:innen und 11 Unternehmen der IT-Branche mit zwischen 80 und 290.000 Mitarbeiter:innen für die Studie ausgewählt. Es sind damit 3 mittlere Unternehmen mit zwischen 50 und 250 Mitarbeiter:innen und 19 Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter:innen vertreten, während Kleinstbetriebe unberücksichtigt bleiben. Die Unternehmen aus der FDL-Branche bildeten überwiegend dual aus. Etwa die Hälfte der IT-Unternehmen bildete lediglich dual Studierende aus, während die andere Hälfte sowohl dual Studierende als auch Auszubildende ausbildete.
Die Leitfadeninterviews dauerten zwischen 31 und 111 Minuten (Mittelwert: 52 Minuten). Expert:inneninterviews wurden gewählt, um spezialisiertes Wissen und ein tiefes Verständnis zu erlangen und somit die bisher spärlichen Forschungsergebnisse (vgl. vorherige Kapitel) zu erweitern. Die Ausbildungsleitungen im institutionellen Kontext repräsentieren eine problemorientierte Sichtweise. Ihr Wissen ist stark mit ihrer beruflichen Rolle verbunden und basiert auf privilegierten Informationszugängen (vgl. Meuser/Nagel 2009, 467ff.). Da Ausbildungsleitungen eine unterstützende Funktion bei der Umsetzung der Unternehmensstrategie haben und auch für die Qualifizierung von Ausbilder:innen zuständig sind (vgl. vorherige Kapitel), können sie als ausgewiesene Expert:innen aus der Praxis Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen formulieren. Die Ausbildungsleitungen waren für die Betreuung von Auszubildenden und dualen Studierenden sowie die Koordination der Ausbilder:innen zuständig. Teilweise waren sie auch für die Betreuung von Trainees und Werkstudierenden verantwortlich. Die Interviewteilnehmer:innen wurden meist persönlich von der Interviewerin akquiriert. Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig.
Der Interviewleitfaden wurde in Anlehnung an Kruse (2015, 209ff.) entwickelt. Der Schwerpunkt des Interviews lag auf der Umsetzung der jeweiligen Nachhaltigkeitsstrategie in der dualen Berufsausbildung und im dualen Studium sowie den Kompetenzen, die dafür bei den Ausbilder:innen vorausgesetzt werden. Dabei wurde im Gespräch klargestellt, dass die neben- und hauptberuflichen Ausbilder:innen gemeint sind, die Auszubildende und dual Studierende in den Fachabteilungen betreuen. In Vorbereitung auf die Interviews informierte sich die Interviewerin über die jeweilige Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens. Bei vorhandener Strategie beinhaltete der Leitfaden Fragen wie z. B. „Wie wird die Nachhaltigkeitsstrategie in der Ausbildung umgesetzt?“ und „Welche Kompetenzen brauchen Ausbilder:innen, damit sie die Strategie umsetzen können?“. War keine Strategie vorhanden oder war die Strategie den Expert:innen kaum bekannt, so wurden sie gefragt: „Welche Kompetenzen brauchen Ausbilder:innen, damit sie Nachhaltigkeit im Sinne Ihres Unternehmens in der Ausbildung umsetzen können?“.
4.2 Datenauswertung
In Anlehnung an Mayring (2022) wurden die Transkripte inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Entwicklung eines Kategoriensystems (siehe Tabelle 1) stand dabei im Mittelpunkt, wobei die Kategorien in einem wechselseitigen Prozess zwischen Theorie und Transkript entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft wurden (vgl. Mayring 2022, 60). So wurden inhaltliche Zusammenhänge durch wiederholte Analyse und Reflexion identifiziert und entsprechend der Forschungsfrage präzisiert, wobei neue Erkenntnisse ständig in den zirkulären Analyseprozess einflossen. Es wurden deduktiv Ober- und sowohl deduktiv als auch induktiv Unterkategorien gebildet und diese mit der Software MAXQDA dokumentiert und codiert (vgl. Mayring 2022, 49). Bei allen Auswertungsschritten wurden Kontextinformationen über das Individuum, das Unternehmen und die Branche berücksichtigt.
Für eine Testung der grundlegenden Verfahrensweise und des spezifischen Kategoriensystems wurde wie von Mayring (2022, 51f.) empfohlen zunächst eine Pilotstudie durchgeführt (vgl. Hufnagl/Annen 2024). Die Pilotstudie diente dazu, die Anwendbarkeit und Angemessenheit des entwickelten Kategoriensystems anhand einer kleinen Stichprobe von Textdaten zu überprüfen sowie die Zuverlässigkeit der Kodierung sicherzustellen. Datengrundlage dafür waren acht Interviews mit Ausbildungsleitungen aus der FDL-Branche. Vor der Festlegung und Definition der Ausprägungen pro Dimension aufgrund des Materials der Pilotstudie wurden in Anlehnung an Mayring (2022, 62) die Theorie aufgearbeitet, die Fragestellung festgelegt und die Dimensionen für die Erhebung und Auswertung bestimmt. Die Sammlung von Ankerbeispielen zu den einzelnen Ausprägungen aus der Pilotstudie ist in Hufnagl/Annen (2024) ersichtlich. Zudem wurden erste Kodierregeln zur Abgrenzung der Ausprägungen formuliert sowie ein vorläufiges Kodierschema und ein vorläufiger Kodierleitfaden erstellt. Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung von Sozialkompetenzen sowie die Notwendigkeit der Kombination aus verschiedenen Wissensformen für nachhaltiges Handeln in authentischen Geschäftssituationen (vgl. Hufnagl/Annen 2024). Zudem wird die Verschränkung von Fachlichkeit und pädagogischen Aufgaben des ausbildenden Personals im Material deutlich. Allerdings scheint die nachhaltigkeitsbezogene Selbstwirksamkeit bisher als weniger relevant angesehen zu werden als etwa anknüpfend an das Modell von Seeber et al. (2019) zu vermuten wäre.
Die folgenden Analyseschritte (Revision von Kodierschema und -leitfaden, vgl. Mayring 2022, 63) zeigten, dass bei der Kategorienbildung weitere, pädagogische Kompetenzfacetten berücksichtigt werden sollten. In dem Modell von Seeber et al. (2019), das für die deduktive Kategorienbildung in der Pilotstudie verwendet wurde, ist der Fokus des Unternehmens besonders ausgeprägt. So werden dort sowohl die gesamtgesellschaftliche Perspektive als auch grundlegende Aspekte der Unternehmensführung berücksichtigt. Anhand der Erkenntnisse aus der Pilotstudie wurde das Kategoriensystem daher erneut angepasst und verfeinert, um die pädagogische Tätigkeit von Ausbilder:innen besser abbilden zu können. Mit der endgültigen Fassung des Kodierschemas (siehe Tabelle 1) wurden die bereits vorhandenen Interviews rekodiert und anschließend die weiteren 14 Interviews kodiert. Eine kommunikative Validierung der Analyseergebnisse erfolgte an verschiedenen Stellen des Auswertungsprozesses. Die Anknüpfung an die Aufgliederung in Fach-, Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenz (vgl. Merkel et al. 2017) und deren Erweiterung um moralisch-ethische sowie Abstraktionskompetenz (vgl. Rebmann/Tenfelde/Schlömer 2011, 133; Wicke et al. 2019) erwiesen sich dabei als zielführend für die Strukturierung des Materials. Damit sind die Ergebnisse an bisherige Konzeptionen der Handlungskompetenz von Ausbilder:innen anschlussfähig.
Tabelle 1: Kategoriensystem
Oberkategorie |
Unterkategorie |
|
Fachkompetenz |
K1.1 |
Fachliche Fertigkeiten und Kompetenzen |
K1.2 |
Pädagogische Kompetenz |
|
K1.3 |
Fächerübergreifendes Wissen und Können |
|
K1.4 |
Wissen über die Nachhaltigkeitsstrategie |
|
Sozialkompetenz |
K2.1 |
Empathie |
K2.2 |
Unvoreingenommenheit |
|
K2.3 |
Respekt |
|
K2.4 |
Kund:innenfokus |
|
K2.5 |
Generationensensibilität |
|
K2.6 |
Fremdmotivation |
|
Methodenkompetenz |
K3.1 |
Kompetenz zur Gestaltung von individuellen Lernprozessen |
K3.2 |
Kompetenz zur Gestaltung von selbstgesteuerten Lernprozessen |
|
K3.3 |
Medien- und Organisationskompetenz |
|
Selbstkompetenz |
K4.1 |
Motivation und Interesse |
K4.2 |
Lernbereitschaft |
|
K4.3 |
Offenheit |
|
K4.4 |
Neugierde |
|
K4.5 |
Initiative |
|
K4.6 |
Selbstmotivation |
|
K4.7 |
Selbstorganisation |
|
K4.8 |
Selbstfürsorge |
|
K4.9 |
Selbstreflexion |
|
Moralisch-ethische Kompetenz |
K5.1 |
Entwicklung eigener Wertvorstellungen |
K5.2 |
Orientierung an Wertvorstellungen |
|
K5.3 |
Vorbildfunktion |
|
K5.4 |
Holismus |
|
K5.5 |
Akzeptanz |
|
K5.6 |
Begreifen der Endlichkeit von Ressourcen |
|
K5.7 |
Weitsicht |
|
Abstraktions-kompetenz |
K6.1 |
Vermittlungskompetenz |
K6.2 |
Kommunikation für angemessene Vermittlung |
5 Ergebnisse
5.1 Ergebnisdarstellung: Kompetenzanforderungen an betriebliche Ausbilder:innen
Zur Ergebnisdarstellung der Kompetenzanforderungen knüpft diese Studie an die Ergebnisse der explorativen Pilotstudie von Hufnagl/Annen (2024) an, in der das Forschungsfeld systematisiert und relevante inhaltliche Schwerpunkte identifiziert wurden. Die Interviews belegen den Trend zum dualen Studium sowie die Multiplikationsfunktion der Branchen, indem von Trend-Analysen berichtet wird, die insbesondere Softwareunternehmen durchführen, um beispielsweise auf Handlungsbedarf bei der Nachhaltigkeitstransformation aufmerksam zu machen und indem die Lenkungsfunktion von Geldströmen von Finanzinstituten hervorgehoben wird. Zudem wird bestätigt, dass Ausbildungsleitungen und Ausbilder:innen oft sowohl für das duale Studium als auch für die duale Ausbildung zuständig sind sowie dass es eine Varianz hinsichtlich deren pädagogischer Qualifizierung gibt. Auch auf die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit für Mitarbeitende und deren Gewinnung wird eingegangen. Beispielsweise werden Elektroautos als Dienstfahrzeuge als attraktivitätssteigernd erachtet: „Ich führe natürlich sehr viele Einstellungsgespräche mit jungen Menschen, die ja von der Uni jetzt zum Beispiel auch kommen, denen sind solche Sachen sehr wichtig, die fragen auch einfach danach“ (Expert:inneninterview (EI) 4).
Die Ausbildungsleitungen erwarten Fachkompetenz (K1) in Form von fachlichen Fertigkeiten und Kompetenzen (K1.1): „um bei uns Ausbilder zu werden, ist es schon erstmal die Fachkompetenz, auf jeden Fall, die gebraucht wird, weil sonst wird es halt nichts, ne“ (EI 18). Im IT-Bereich umfasst fachpraktisches Wissen z. B. Green Coding („Wie kann ich durch Code beeinflussen, dass […] weniger Strom verbraucht wird, weil weniger Prozesse […] laufen?“, EI 14), in der FDL-Branche hingegen ist beispielsweise Wissen über ESG-Kriterien relevant, die Umwelt, Soziales und Governance betreffen („ich wünsche mir, […] wenn eine Person beispielsweise für das Beispiel Shipping eingesetzt ist, dass die Person dann die ESG-Kriterien für das Portfolio Shipping einfach kennt“, EI 7). Darüber hinaus wird pädagogische Kompetenz gefordert (K1.2) („Was sind die Lerninhalte laut IHK und wie setze ich die am Ende vor Ort um?“, EI 22).
Zudem wird fächerübergreifendes bzw. gesellschaftliches Fachwissen erwartet (K1.3):
„Also auch das Wissen, wie Nachhaltigkeit in der Gesellschaft, also von der Organisation auf die Gesellschaft Auswirkungen hat. Also sowas wie der Green Deal sollte bekannt sein, sowas wie die Klimaziele auf Deutschland bezogen.“ (EI 14)
Aber auch Wissen über die Nachhaltigkeitsstrategie wird hervorgehoben (K1.4): „Denen sollte die Strategie bekannt sein. Die sollten die Maßnahmen kennen, die unser Haus hat.“ (EI 5).
Unter Sozialkompetenz (K2) fallen anknüpfend an die Pilotstudie neben Empathie (K2.1), der am häufigsten vorkommenden Unterkategorie in dem Bereich, auch weitere Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber Auszubildenden: Unvoreingenommenheit, Respekt und Kund:innenfokus (K2.2 bis K2.4) (vgl. Hufnagl/Annen 2024). Der Unterschied von Unvoreingenommenheit (K2.2) zu Offenheit (K4.3) ist, dass ersteres sich als Teil der Sozialkompetenz gegenüber anderen Personen äußert und Kulanz beinhaltet, während zweiteres sich auf die eigene Motivation bezieht und sich gegenüber eines Lerngegenstandes äußert. Respekt zeigt sich durch respektvolle, wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe.
In Bezug auf die Aushandlung tragfähiger Zukunftslösungen wird Generationensensibilität (K2.5) zur Vermittlung zwischen Generationen benötigt:
„Und das ist, glaube ich, eine große Fähigkeit, die ein Ausbilder mitbringen muss, dieses Bindeglied auch darzustellen, dass diese Generationen auch miteinander klarkommen.“ (EI 15)
Auch die Kompetenz zur Motivationsförderung (Fremdmotivation) (K2.6) wird adressiert:
„Meiner Meinung nach, Leute, die einen Ausbilderschein haben, die wollen auch lehren, die wollen etwas weitergeben […]. Deshalb finde ich schon, dass da eine gewisse Motivation schon dazu gehört, was man mitbringen sollte.“ (EI 4)
Die Sozialkompetenz wird im Vergleich zu anderen Kompetenzdimensionen besonders hervorgehoben: „Also ich würde mal sagen, das ist eigentlich die Kernkompetenz, ne hohe soziale Kompetenz, die da schon gefordert ist“ (EI 10).
Hingegen wird Methodenkompetenz (K3) nur selten als benötigte Teilkompetenz genannt. Dabei werden vor allem die Kompetenz zur Gestaltung von individuellen (K3.1) und selbstgesteuerten Lernprozessen (K3.2) hervorgehoben:
„Ich brauche ein gewisses Fingerspitzengefühl, ich brauche eine didaktische Herangehensweise. Wie vermittel‘ ich Wissen? Wenn ich also quasi Kundenberater in einer Filiale bin und bekomme den [Name] als Auszubildenden, dann muss ich ein Verständnis dafür haben, wo muss ich den denn abholen? […] Dass ich das aber nicht alles vorkaue, sondern dass der auch in der Lage ist, sich selber Themen zu erschließen.“ (EI 12)
Die Ausbilder:innen sollen zudem dazu in der Lage sein, eine regelmäßige digitale Betreuung sicherzustellen, die sich in Medien- und Organisationskompetenz widerspiegelt (K3.3) („Das ganze Thema regelmäßige Betreuung. Also bin ich einerseits vor Ort, oder wie schaffe ich es auch eine digitale Ausbildung so zu ermöglichen, dass sie am Ende auch gut funktioniert?“, EI 22).
In Bezug auf die Selbstkompetenz (K4) werden insbesondere motivationale Aspekte genannt. So werden Motivation, Interesse, Lernbereitschaft, Offenheit gegenüber neuen Inhalten, Neugierde und Initiative häufig gefordert (K4.1 bis K4.5) (vgl. Hufnagl/Annen 2024). Sowohl die der Sozialkompetenz zugeordnete Fremdmotivation als auch Selbstmotivation, die sich beispielsweise in Neugierde und Lernbereitschaft zeigt, werden verlangt (K4.6). Aber auch Zeitmanagement (Selbstorganisation), Selbstfürsorge und Selbstreflexion sind hier erwünscht (K4.7 bis K4.9) (vgl. Hufnagl/Annen 2023).
Zur moralisch-ethischen Kompetenz (K5) gehören laut den Interviews die Entwicklung eigener und Orientierung an Wertvorstellungen, die sich im beruflichen Handeln und Gestalten zeigen (K5.1 und K5.2): „Und wenn ich im Prinzip denke, dass dieser ganze Nachhaltigkeitskram Quatsch ist, dann macht es natürlich auch keinen Sinn. Also das nehme ich jetzt mal als Kompetenz vorweg oder als Grundvoraussetzung“ (EI 14), „Und da einfach, ja, Werte und Know-how vermitteln, die man einfach. Ne, da werden die Grundbausteine gelegt“ (EI 4). Nachhaltigkeit soll also als Wert in den eigenen Wertvorstellungen berücksichtigt und die Ausbildungstätigkeit daran orientiert werden. In Bezug auf bestehende Einstellungen, Werte und wahrgenommene Normen zur Nachhaltigkeit erwarten die Ausbildungsleitungen insbesondere das Einnehmen einer Vorbildfunktion, ein Begreifen des holistischen Charakters von Nachhaltigkeit sowie Akzeptanz (K5.3 bis K5.5), wie die Pilotstudie bereits zeigte (vgl. Hufnagl/Annen 2023). Zudem ist ein Begreifen der Endlichkeit von Ressourcen hier von Relevanz (K5.6):
„Viele […] die achten sehr drauf, also sowohl auf Geld, Ressourcen des Unternehmens als auch eben auf Nachhaltigkeitsressourcen. […] Das sind ja auch nicht alle, […] die quasi halt so in der Arbeit des quasi so krachen lassen und dann daheim nichts machen. […] Ich glaube tatsächlich, dass es eher daran liegt, dass dieses Grunddenken, dieser Ressourcen-Respekt sag ich mal, da einfach nicht verankert ist“ (EI 11).
Zudem wird eine Weitsicht adressiert, vorausschauend zu denken und zu handeln und eine persönliche und gesellschaftliche Vision mit den Auszubildenden und dual Studierenden zu entwickeln (K5.6):
„Also so dieses […] strategische, visionäre Denken und zu sagen, ‚Hey, ich hab ein Ziel am Ende des Tunnels, und das ist ein schönes und ein großes Ziel‘, und da dann eben quasi die Leute mitzureißen, ist für mich tatsächlich deutlich mehr wert als Vermittlungskompetenzen“ (EI 11).
Zur Abstraktionskompetenz (K6) gehört Vermittlungskompetenz (K6.1), also „die Fähigkeit, großes Wissen in kleine Stücke zu zerlegen, damit sie auch annehmbar sind“ (EI 15), auch im Kontext von Nachhaltigkeit, denn „bei jedem […] technisch fachlichen Part, den wir hier machen, ist immer ein Stückchen Umweltschutz und immer ein Stück Nachhaltigkeit mit dabei.“ (EI 21). Aber auch Kommunikationskompetenz (K6.2) wird hier häufig hervorgehoben: „dann auch auf jeden Fall ne Kommunikationskompetenz, dass sie das auch gut übermitteln können“ (EI 18). Kommunikation wird somit sowohl als Sozial- als auch als Abstraktionskompetenz verlangt, da sie einerseits für allgemeine soziale Interaktionen relevant ist (insbesondere als empathische, unvoreingenommene, respektvolle und generationensensible Kommunikation) und andererseits als Tool für die Vermittlung gebraucht wird.
5.2 Systematisierung der Nachhaltigkeitskompetenzanforderungen an Ausbilder:innen im kaufmännischen Bereich
Als Ergebnis aus Kapitel 4.1 ergibt sich eine empirisch fundierte Systematisierung der Nachhaltigkeitskompetenzanforderungen an Ausbilder:innen im kaufmännischen Bereich, die zeigt, dass die vielfach diskutierte Aufteilung der Ausbilderhandlungskompetenz in Fach-, Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenz sich auch im Kontext der Kompetenzanforderungen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in der betrieblichen Ausbildungspraxis bewährt. Die Unterkategorien der moralisch-ethischen Kompetenz lassen sich dabei den vier etablierten Kompetenzdimensionen zuordnen, bilden aber dennoch weiterhin einen separaten horizontalen Bereich (siehe Abbildung 1). Kompetenz bezieht sich als Ergebnis dieser Studie nicht nur auf Wissen oder Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich, sondern schließt auch Einstellungen, Überzeugungen und Werthaltungen ein, die für die erfolgreiche Anwendung dieser Fähigkeiten relevant sind. Für die Handlungskompetenz von Ausbilder:innen in authentischen Geschäftssituationen sind dementsprechend – auch im Nachhaltigkeitskontext – eine Kombination aus deklarativem, prozeduralem, strategischem und schematischem Wissen sowie Einstellungen, Motivation und epistemologische Überzeugungen nötig (vgl. Seeber et al. 2019). Das Modell in Abbildung 1 impliziert eine Unterscheidung zwischen Kompetenz (im Sinne von erlernbaren und formbaren persönlichen Voraussetzungen) und Handeln (im Sinne von Performanz). So ist die Medien- und Organisationskompetenz beispielsweise eine erlernbare Voraussetzung für eine digitale regelmäßige Betreuung der Auszubildenden.
Die Fachkompetenz (K1) umfasst bei Ausbilder:innen spezifische fachliche Fertigkeiten und Kompetenzen sowie pädagogische Kompetenz. Sowohl fachtheoretisches als auch fachpraktisches Wissen ist als Ergebnis der empirischen Auswertung gefordert. In Bezug auf Nachhaltigkeit wird explizit auch fächerübergreifendes Wissen und Können verlangt. Ebenfalls erwartet wird ein Begreifen von Nachhaltigkeit als ganzheitliches Konzept und der Endlichkeit von Ressourcen. Ein Mittragen der regulativen Idee der Nachhaltigkeit und Begreifen ihrer Systemzusammenhänge gehen auch aus der Analyse und theoretischen Reflexion der Modellversuchsergebnisse als notwendige Themen für nachhaltige Handlungskompetenz hervor (vgl. Casper/Schütt-Sayed/Vollmer 2021; Kastrup/Kuhlmeier/Strotmann 2021). Diese moralisch-ethischen Aspekte zeigen die nachhaltigkeitsbezogene Ausprägung der Kompetenzdimensionen besonders stark auf.
Die Sozialkompetenz (K2) umfasst Einstellungen und Verhalten gegenüber Auszubildenden. Die Unterkategorien äußern sich insbesondere in der Kommunikation zwischen Ausbilder:innen und Auszubildenden, die möglichst respektvoll, wertschätzend und generationensensibel sein sollte. Zudem wird von den Ausbilder:innen erwartet, die Auszubildenden zu motivieren. Ein solches Schaffen lernförderlicher Bedingungen und einer motivierenden Lernkultur findet sich ebenfalls in den Handlungsfeldern der AEVO (2009, §3, Abs. 3). Die Weitsicht, vorausschauend zu denken und zu handeln, ist auch eine Teilkompetenz von De Haans (2008) Gestaltungskompetenz. Sie wird in den Interviews darauf bezogen, eine Vision mit den Auszubildenden und dual Studierenden zu entwickeln. Damit wird ein weiteres Handlungsfeld der AEVO (2009, §3, Abs. 4) aufgegriffen, welches die berufs- und arbeitspädagogische Eignung umfasst, Auszubildenden Perspektiven für ihre berufliche Weiterentwicklung aufzuzeigen.
Die geforderte Methodenkompetenz (K3) umfasst die Kompetenz zur Gestaltung von individuellen, selbstgesteuerten Lernprozessen sowie Medien- und Organisationskompetenz. Sie spiegelt sich in Lebensweltorientierung, einer Ermächtigung zum selbstständigen Lernen sowie digitaler regelmäßige Betreuung wider. Aus dem Material wird deutlich, dass im betrieblichen Kontext verschiedene Einflüsse methodische Flexibilität erfordern. Hier sind Freiheitsgrade als Teil pädagogischer Kompetenz (K1.2) nötig, damit Gestaltungskompetenz sich ausbilden kann. Der Methodenkompetenz lässt sich auch die Abstraktionskompetenz (K6) zuordnen, also die Fähigkeit, umfangreiches Wissen in kleinere, überschaubare Teile zu zerlegen. Auch moralisch-ethische Aspekte (die Orientierung an Wertvorstellungen und das Einnehmen einer Vorbildfunktion) (K5) sind hier relevant, was die Wechselwirkung mit der Selbstkompetenz deutlich macht.
Die Selbstkompetenz (K4) umfasst Einstellungen und Werte zur Nachhaltigkeit. Die Überzeugung, dass die normative Leitidee einer nachhaltigen Entwicklung einen hohen Wert für die berufliche Bildung besitzt, ergänzt das Professionswissen (vgl. Kastrup/Kuhlmeier/Nölle-Krug 2021, 179). Zudem werden die Motivation und das Interesse für Nachhaltigkeit in verschiedenen Ausprägungen sowie Kompetenzen zur Selbstorganisation, -fürsorge und -reflexion verlangt. Das Modell stellt eine empirisch fundierte Systematisierung der Kompetenzanforderungen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in der betrieblichen Ausbildung dar und entspricht der sich aus der Empirie ergebenden Logik. Die Kompetenzdimensionen beeinflussen sich dabei gegenseitig – so ist beispielsweise Empathie notwendig, um individuelle Lernprozesse zu gestalten und Lebensweltorientierung herzustellen.
5.3 Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass häufig diskutierte Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen zwar grundsätzlich im Kontext der Nachhaltigkeitstransformation bestehen bleiben, jedoch bisherige Kompetenzmodelle nicht ausreichen, um sowohl den Spezifika von Ausbilder:innenhandeln als auch den Spezifika von Nachhaltigkeitshandeln in authentischen Geschäftssituationen gerecht zu werden. Zudem leisten die Ergebnisse einen Beitrag zur Validierung bisher spärlich empirisch untersuchter Kompetenzmodelle in Bezug auf die Anforderungen an Ausbilder:innen. Methodisch grenzt sich das entstandene Kompetenzmodell dieser Studie von anderen Systematisierungen dadurch ab, dass es nicht auf Basis von Dokumentenanalysen (z. B. Kastrup/Kuhlmeier/Strotmann 2021), aus Modellversuchen (z. B. Casper/Schütt-Sayed/Vollmer 2021) oder einer Kompetenzmodellierung (z. B. Seeber et al. 2019) entstanden ist, sondern die Anforderungen an Ausbilder:innen aus Expert:innensicht widergibt und dabei an bekannte Strukturierungen der Handlungskompetenz von Ausbilder:innen (vgl. Merkel et al. 2017) anknüpft. Das Kompetenzverständnis der Ausbildungsleitungen ist dabei sehr breit gefasst: Empathie kann als erlernbare Kompetenz aufgefasst werden, die durch Training, Erfahrung und Reflexion verbessert werden kann (z. B. Bonnes/Binkert/Goller 2022). Sie kann aber auch als Persönlichkeitseigenschaft aufgefasst werden, die tendenziell eher stabil ist.
Insgesamt zeigt sich, dass die Handlungsfelder der AEVO (2009, §3) nur einen Teil der in der Praxis geforderten Kompetenzdimensionen abdecken. So wird zwar beispielsweise die Fremdmotivation in der AEVO adressiert (vgl. Kapitel 5.2), Selbstmotivation und Interesse als Teile der Selbstkompetenz allerdings nicht. Die AEVO konzentriert sich bisher vor allem auf methodische und organisatorische Aspekte (z. B. die Entwicklung und Gestaltung betrieblicher Lern- und Arbeitsaufgaben aus dem betrieblichen Ausbildungsplan und den berufstypischen Arbeits- und Geschäftsprozessen sowie die Anmeldung der Auszubildenden zu Prüfungen), während die in den Interviews hervorgehobenen Sozial- und Selbstkompetenzen wenig berücksichtigt werden. Eine Unterrepräsentation von Sozial- und Selbstkompetenzen zeigt sich auch in den AEVO-Lehr- und Lernmaterialien (Kiepe 2021). Die Ergebnisse zeigen, dass dies nicht mit den Kompetenzanforderungen der Ausbildungsleitungen einhergeht.
Die häufige Thematisierung der Vorbildfunktion von Ausbilder:innen weist darauf hin, dass die Verantwortung einer strategischen Behandlung von Nachhaltigkeit vonseiten der Ausbildungsleitungen an die Ausbilder:innen und deren individuelle Einstellungen und Werte übertragen wird. Dies knüpft an die Modellierung von Seeber et al. (2019) an, denen zufolge in Anlehnung an Shavelson/Ruiz Primo/Wiley (2005) nicht nur deklaratives Wissen, sondern auch Einstellungen, Motivation und epistemologische Überzeugungen sowie prozedurales, strategisches und schematisches Wissen benötigt werden, um nachhaltig in authentischen Geschäftssituationen zu handeln. Gleichzeitig werden Einstellungen und Werte allerdings kaum systematisch gefördert. Hier wird eine subjektive Theorie deutlich, nach der im Mittelpunkt der Mensch in seiner Funktion als (Mit-)Bestimmer:in des organisationalen Handelns steht und der Gestaltungsspielraum dieses Handelns durch die Art und Weise, wie die beteiligten Menschen denken, abgesteckt wird (vgl. Ruesch Schweizer 2022, 100ff.). In diesem Kontext wäre es interessant, epistemologische Überzeugungen zur Nachhaltigkeit weiter zu untersuchen. Es gibt bereits Hinweise auf eine Auffassung von Nachhaltigkeit als Lebenseinstellung (vgl. Hufnagl/Annen 2024). Ausbildungsleitungen geben die Verantwortung, ein entsprechendes Mindset mitzubringen, hier an Ausbilder:innen. Dies wird sogar als wichtiger angesehen als Fachkompetenz. Es bleibt zu klären, inwieweit Ausbilder:innen auf diese Verantwortungsübernahme vorbereitet werden. Laut Schlömer et al. (2017) sind Überzeugungen und Werte für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien wichtig. Diese Gestaltungsfähigkeiten, die über Wissen und Know-how hinausgehen, nehmen auch eine wichtige Rolle im Modell ein und sind insbesondere als Ausprägungen moralisch-ethischer Kompetenz erkennbar.
Facetten der Methodenkompetenz (u. a. ein geeigneter Umgang mit Methoden und Medien, siehe Kapitel 2.2) wurden in den Interviews weniger hervorgehoben, was eine untergeordnete Bedeutung nahelegt. Bei der Orientierung des Ausbilderhandelns an Wertvorstellungen wird auf Wertvermittlungskompetenz Bezug genommen, während Wertfreiheit, Wertklärung und Wertanalyse (vgl. Wilbers 2023, 109ff.) nicht thematisiert werden. Ähnlich zur systematischen Literaturanalyse von Bonnes/Binkert/Goller (2022), in der Sozialkompetenz als Facette der Kompetenzen des Ausbildungspersonals am häufigsten vorkommt, wird Sozialkompetenz insgesamt in den Interviews hervorgehoben. Empathie sowie Motivationsförderungskompetenz werden laut Bonnes/Binkert/Goller (2022) häufig in der Literatur diskutiert und gehen auch aus der Expert:inneninterviews hervor. Die Kompetenz zur Kooperation und Teamarbeit wird allerdings nicht von den Ausbildungsleitungen gefordert, obwohl diese ebenfalls häufig diskutiert wird (vgl. Bonnes/Binkert/Goller 2022). Die Betreuungs- und Begleitkompetenz wird als Teil der Methodenkompetenz im Modell berücksichtigt. Die Voraussetzung von Generationensensibilität unterstreicht, dass sich die Lehr-Lern-Settings im betrieblichen und schulischen Kontext unterscheiden und daher eine differenzierte Betrachtung nötig ist – immerhin kommen Auszubildende gerade im betrieblichen Kontext mit Vertreter:innen verschiedener Generationen in Kontakt. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass ein Kund:innenfokus in den FDL- und IT-Branchen als relevant für die Sozialkompetenz erachtet wird. Ein solcher Schwerpunkt auf Endkund:innen zeigt sich auch im Einzelhandel (Casper/Schütt-Sayed/Vollmer 2021, 183).
Die Expert:innenaussagen bestätigen die von Kohl et al. (2017) für den Versicherungsbereich vorhergesagte steigende Relevanz personaler Kompetenzen. Auffällig ist das Fehlen der Selbstwirksamkeit als Teil der Selbstkompetenz (vgl. Hufnagl/Annen 2024 für mögliche Gründe). Die Interviews bekräftigen, dass Einstellungen und Werthaltungen als integraler Bestandteil der Handlungskompetenz betrachtet werden können. Dadurch zeigt sich, dass von Ausbildungsleitungen die Erziehung zur Mündigkeit, die den engen Rahmen beruflicher Arbeitsprozesse verlässt und gesamtgesellschaftliche Bedingungen reflektiert, als Ziel der beruflichen Bildung erwartet wird. Sich selbst als Ausbilder:in motivieren können, aktiv zu werden (K4.6) und andere (insbesondere Auszubildende und dual Studierende) motivieren können, aktiv zu werden (K2.6) sind auch Teil der Gestaltungskompetenz nach De Haan (2008).
Neben den Kompetenzanforderungen sind auch weitere (insbesondere unternehmensstrategische) Aspekte bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in der Ausbildung relevant – beispielsweise die Unternehmenskultur, die sich in den Werten und Einstellungen von Ausbilder:innen niederschlägt und ihr Handeln prägt. So sind Unternehmensleitbilder ein Indikator für BBNE zur Eignung des betrieblichen und schulischen Lehrpersonals auf der Mikroebene und das kritische Hinterfragen des Unternehmensleitbildes eines der zu erreichenden Kompetenzziele (vgl. Casper/Schütt-Sayed/Vollmer 2021, 193; Hecker et al. 2021, 141). Da die Ausbildungsleitungen eine unterstützende Funktion bei der Umsetzung der Unternehmensstrategie einnehmen (vgl. Kapitel 2.2), ist die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie ein Forschungsdesiderat, das es noch zu untersuchen gilt. Im Gegensatz zum Modell von Seeber et al. (2019) liegt der Fokus dieses Beitrags weniger stark auf grundlegenden Aspekte der Unternehmensführung, sondern auf den pädagogischen Handlungsfeldern von Ausbilder:innen. Zu klären gilt es auch, inwiefern die Ausbilder:innen mit ihrer schwachen Position im Organisationsgefüge (vgl. Kapitel 2.1) überhaupt ihrer zugewiesenen Multiplikationsfunktion gerecht werden können. Zudem übernehmen auch Fachkräfte ohne AEVO-Qualifikation Ausbildungsaufgaben, was für wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit betrieblichem Bildungspersonal ein Problem darstellt (vgl. Brünner 2014, 10; Kiepe 2021, 138). Die Rollen des Ausbildungspersonals sind weniger klar definiert sind als die des schulischen Ausbildungspersonals. Auch dafür ist ein Bezug zu Strategien in weiteren Forschungsarbeiten erforderlich. Die unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategie ist von besonderer Relevanz für die Anwendung von Nachhaltigkeitskompetenzen in authentischen Geschäftssituationen, da sie den Rahmen für die Gestaltung nachhaltiger Lernorte bietet (Feichtenberger/Weber/Hantsch 2020; Hufnagl/Annen 2024). Allerdings ist nach wie vor wenig dazu bekannt, wie die Nachhaltigkeitsstrategie in der betrieblichen Bildung umgesetzt wird und welche Rolle Unternehmensstrukturen als Rahmen für das Handeln von Ausbilder:innen einnehmen. Da die Realität in der betrieblichen Ausbildung noch eher der Alltagsdidaktik entspricht und es an detaillierten Studien zu den Ideen der betrieblichen Ausbildungsdidaktik mangelt (vgl. Brünner 2014; Kiepe 2021), sind zudem weiterführende didaktische Diskussionen notwendig. Dies könnte auch die Trennschärfe von didaktischen Prinzipien und methodischen und pädagogischen Kompetenzen weiter stärken.
Limitationen der Studie sind, dass hauptsächlich große Unternehmen inkludiert sind, obwohl es in Deutschland viele kleine und mittelständische Unternehmen gibt (vgl. Sassen et al. 2021, 9). Dies könnte zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen. Da die personelle Ausbildungssituation ferner in engem Zusammenhang mit dem Stellenwert der Ausbildung in den Betrieben steht (vgl. Bahl et al. 2012), ist eine positive Verzerrung des Samplings möglich. Zudem ist aufgrund der Thematik soziale Erwünschtheit in den Antworten ein Problem (vgl. Reinecke 1991). Des Weiteren sollte zukünftig die Heterogenität des Ausbildungspersonals betrachtet werden. Obwohl ein Zugrundlegen der jeweiligen unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie, anstatt ein extern vordefiniertes Verständnis von Nachhaltigkeit vorzugeben, einige Vorteile hat (z. B. Einbringen der unternehmensspezifischen Ideen und Lösungsansätze; Berücksichtigung tatsächlich relevanter Nachhaltigkeitsaspekte für die Unternehmen; höhere Authentizität), führt es gleichzeitig zu einem Mangel an Vergleichbarkeit. Eine Ausdifferenzierung des Verständnisses von Nachhaltigkeit in der betrieblichen Bildung unter Berücksichtigung von Branchen- und Berufsspezifika würde eine bessere Vergleichbarkeit und Standardisierung ermöglichen. Gleichzeitig kann nachhaltige Entwicklung allerdings als Aporie betrachtet werden, die nicht gelöst und kaum definiert werden kann (vgl. Kminek 2023).
Trotz der breiten Datenbasis hat die Kompetenzdarstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dabei ist eine andere Anordnung der einzelnen Teilfacetten möglich (z. B. Rebmann/Tenfelde/Schlömer 2011). Zudem kann es inhaltliche Überschneidungen zwischen den Kompetenzen geben, so dass sie in der Praxis nicht als trennscharfe Kategorien zu verstehen sind. Beispielsweise wurde pädagogische Freiheit thematisiert, die hier unter pädagogische Kompetenz gefasst wird, aber auch Zeitmanagementaspekte sowie eine gewisse methodische Flexibilität adressiert und somit auch Überschneidungspunkte mit der Selbst- und Methodenkompetenz hat. Bei angehenden Berufsschullehrkräften zeigen Minnameier/Heinrichs/Kirschbaum (2016) zudem anknüpfend an Beck (2003), dass moralische Urteils- und Handlungskompetenz zentral für Sozialkompetenz ist und als solche modelliert werden kann. Diese Studie hingegen fasst moralisch-ethische Kompetenzfacetten als Komponenten verschiedener Kompetenzdimensionen auf. Zur Abstraktionskompetenz gehören das Entwickeln sprachlicher Verallgemeinerungen und die Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung mit anderen über Fach- und Generationengrenzen hinweg, was sich wiederum mit der Sozial- und Fachkompetenz überschneidet. In der Auswertung wären außerdem je nach Definition und Kontext auch alternative Kompetenzeinteilungen möglich gewesen – beispielsweise nach dem Perspektivenmodell von Sloane (2009), demzufolge jede Kompetenzfacette sich gegenüber der Domäne, der eigenen Person und der sozialen Umwelt entfalten kann.
Epistemologische Überzeugungen prägen die Ausgestaltung der Nachhaltigkeitskompetenz, konnten in der vorliegenden Studie allerdings nicht berücksichtigt werden (vgl. Seeber et al. 2019). Hier bestehen Hinweise darauf, dass Nachhaltigkeitswissen durch Partizipation wächst (vgl. Hufnagl/Annen 2024), was darauf hindeutet, dass eine aktive Beteiligung an Nachhaltigkeitsinitiativen, Diskussionen und praktischen Erfahrungen eine wesentliche Rolle beim Erweitern und Vertiefen des Verständnisses für Nachhaltigkeit spielt. Inwiefern das Kompetenzprofil zur Erreichung des Ziels einer Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft führt, welches ein Spezifikum der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung ist (vgl. Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2019, 144ff.), bleibt in weiteren Arbeiten zu klären. Dafür und zur genaueren Ausdifferenzierung der Kompetenzfacetten sind sowohl Modellierungen einzelner Kompetenzfacetten (z. B. wie bei Minnameier/Hienrichs/Kirschbaum 2016) als auch Messungen der Kompetenzentwicklung des Ausbildungspersonals (wie z. B. bei Michaelis 2017 für Auszubildende) erforderlich. Eine Operationalisierung der Kompetenzbereiche und ihrer einzelnen Kompetenzen ist notwendig, um diese in quantitativen Studien erfassen zu können und somit dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen bislang überwiegend qualitativ erforscht wurden (vgl. Bonnes/Binkert/Goller 2022, 29).
Zudem reicht es nicht aus, nur die Kompetenzen von Lehrpersonen zu berücksichtigen, weil die Wirksamkeit betrieblicher Ausbildungspraxis nicht allein von den Fähigkeiten und Kenntnissen der Ausbilder:innen abhängt. Selbst wenn Ausbilder:innen über umfangreiche Fachkenntnisse und pädagogische Fertigkeiten verfügen, können sie dennoch mit Antinomien (vgl. Helsper, 2016) konfrontiert sein, die ihre Ausbildungspraxis beeinflussen. Indem Spannungsfelder „zwischen normativ zu Grunde gelegten Leitbildern der Funktion und der dafür notwendigen Qualifikation auf der einen Seite und der Realität der betrieblichen Ausbildungspraxis auf der anderen Seite“ (Brünner 2014, 2) sowie „zwischen Betriebsinteressen, den Arbeitnehmerinteressen (u. a. seinen eigenen) und den Qualifikationsbedürfnissen der Auszubildenden“ (Grollmann/Ulmer 2020, 536) berücksichtigt werden, kann die Komplexität der Rolle betrieblichen Bildungspersonals besser verstanden werden. Zudem zeigt sich insbesondere bei nebenamtlichen Ausbilder:innen ein „Rollenkonflikt zwischen den Ausbildungsanforderungen und ihrer eigentlichen Tätigkeit“ (Nicklich/Blank/Pfeiffer 2022). Auch das Konsensprinzip und das daraus resultierende besondere Verhältnis von Staat und Sozialpartnern sind Spezifika der Berufsbildung, die auf verschiedenen Ebenen zu Konflikten im Bereich der BBNE führen können (vgl. Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2019, 144ff.). Ein Umgang mit Widersprüchen bzw. Reibungsflächen wird von Casper/Schütt-Sayed/Vollmer (2021, 183) als Teil der Fähigkeit zu sinnstiftendem und befriedigendem Handeln gesehen und von Ruesch Schweizer (2022, 127, aufbauend auf Wiek/Withycombe/Redman 2011) als Teil einer Kompetenz im Bereich des Systemdenkens verstanden. Für eine professionelle Entwicklung sollten nicht nur individuelle Kompetenzen gestärkt werden, sondern auch Strategien entwickelt werden, um mit den widersprüchlichen Anforderungen und Herausforderungen im Ausbildungsalltag umzugehen. Dafür ist allerdings eine genauere Beschreibung nachhaltigkeitsbezogener Anforderungen in der Berufspraxis notwendig (vgl. Ruesch Schweizer 2021, 31). Zudem stellt eine Auseinandersetzung mit den genannten Spannungsfeldern ein Forschungsdesiderat dar.
Selbst wenn einzelne Personen über umfassende Nachhaltigkeitskompetenzen verfügen, können außerdem strukturelle Barrieren und Systemzwänge die Umsetzung nachhaltiger Praktiken behindern. Die Nachhaltigkeitstransformation hängt dementsprechend nicht allein von individuellen Handlungen ab, sondern auch von umfassenden strukturellen Veränderungen. Ein Kompetenzmodell für betriebliches Bildungspersonal allein kann daher nicht als ausreichend angesehen werden, um die komplexen Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit anzugehen. Trotz der genannten Limitationen und Desiderate bieten die Ergebnisse der empirischen Analyse einen umfassenden und systematischen Überblick, indem sie die Kompetenzanforderungen an Ausbilder:innen empirisch belegen und damit eine Grundlage für die weitere Verwendung in Wissenschaft und Praxis legen.
6 Fazit und Ausblick
Eine gestiegene Relevanz von Nachhaltigkeit in Gesellschaft, Wirtschaft und Berufsbildung machen eine Auseinandersetzung mit den Nachhaltigkeitskompetenzanforderungen an Ausbilder:innen nötig. Vorhandene Darstellungen der notwendigen Kompetenzfacetten betrieblicher Ausbilder:innen wurden bislang kaum empirisch validiert und ausdifferenziert, sind wenig anschlussfähig an die bekannte Aufgliederung in Fach-, (Methoden-,) Sozial- und Selbstkompetenz und stellen nur teilweise spezifische Branchenbezüge her. Diese Studie berücksichtigt nun sowohl die Handlungskompetenz für kaufmännische Geschäftssituationen als auch die Spezifika pädagogischen Handelns. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die meisten der in bisherigen einschlägigen Modellen diskutierten Facetten der Handlungskompetenz von Ausbilder:innen ebenfalls in den Interviews gefordert werden. Im Kontrast zu strukturierenden Darstellungen von Casper/Schütt-Sayed/Vollmer (2021) sowie Kastrup/Kuhlmeier/Strotmann (2021) ergibt sich aus der vorliegenden Studie keine Notwendigkeit eines völlig neuen Modells der nachhaltigkeitsbezogenen Handlungskompetenz von Ausbilder:innen. Stattdessen eignet sich die Einteilung in Fach-, Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenz, unter Ergänzung moralisch-ethischer Kompetenzen, um die in der Praxis von Ausbilder:innen geforderten Kompetenzen für ihre Tätigkeit im Unternehmen abzubilden. Diese Einteilung zeigt, dass die Anforderungen von Ausbildungsleitungen in der Praxis nur zu geringen Teilen den Handlungsfeldern der AEVO (2009, §3) entsprechen. Zudem wird ein breites Kompetenzverständnis, das auch Überzeugungen, Einstellungen und Werthaltungen berücksichtigt, deutlich. Obwohl die Diskussion um Nachhaltigkeitskompetenzen in Gang kommt, fehlt es aktuell weiterhin vor allem an empirischen Überprüfungen bestehender Strukturmodelle. Hier muss insbesondere noch hinsichtlich der Modellierung nachhaltigkeitsbezogener Kompetenzen nachgeschärft werden. Zudem sollte der Diskurs sich neben Kompetenzen zukünftig vermehrt auch mit dem Umgang mit Widersprüchen in der Berufspraxis, einer genaueren Beschreibung nachhaltigkeitsbezogener Anforderungen und betrieblichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen.
Für ein breit akzeptiertes Kompetenzmodell ist ein Zusammenspiel von Bildungspolitik, Wissenschaft und Unternehmenspraxis notwendig. Während die Ausbilder:innenkompetenz bildungspolitisch auszuhandeln ist (z. B. durch das aktuelle Programm ‚Nachhaltig im Beruf – zukunftsorientiert ausbilden‘ des BMBF), sind relevante nachhaltigkeitsspezifische Kompetenzen vor allem unternehmensspezifisch zu konkretisieren, wobei Netzwerke hier auch Potenzial haben. Relevante Netzwerke sind beispielsweise der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (https://www.bnw-bundesverband.de/) oder (für einen stärkeren Bildungsbezug) das Exzellenz-Netzwerk BBNE (https://ex-n-bbne.com/BBNE/).
Nach den Modellversuchen zur BBNE von 2015 bis 2019 (vgl. Weber/Wester 2021) besteht weiterhin empirischer Forschungsbedarf zum Transfer und zur Umsetzung von Nachhaltigkeit in der betrieblichen Ausbildung. In dieser Studie wird dem Umstand Rechnung getragen, dass unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategien die jeweiligen Kompetenzanforderungen beeinflussen. Für einzelne Unternehmen gestalten sich diese Anforderungen je nach unternehmerischer Ausrichtung unterschiedlich aus. Kompetenzen hängen zudem stark von Geschäfts- und Arbeitsprozessen ab. Es gibt also keine allgemeingültige berufliche Handlungskompetenz, sondern diese richtet sich an Betrieb, Branche und weiteren Faktoren aus. Zuletzt ist die Kompetenzentwicklung der Ausbilder:innen auch stark von ihrer eigenen Initiative abhängig. Obwohl der Staat und die Gewerkschaften diese ermutigen, an Lehrgängen teilzunehmen, ist die individuelle Nachfrage bislang gering und hängt von den betrieblichen Anforderungen ab (vgl. Bahl 2017, 303). Die Ergebnisse dieser Studie geben wertvolle Einblicke in die betrieblichen Anforderungen in den FDL- und IT-Branchen und leisten eine empirische Validierung häufig diskutierter Kompetenzstrukturmodelle. Für eine Entwicklung der entsprechenden Kompetenzen sind allerdings ein Zusammenwirken von Bildungspolitik, Wissenschaft und Unternehmenspraxis sowie ein Einbringen der Ausbilder:innen notwendig.
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Zitieren des Beitrags
Hufnagl, J./Annen, S. (2024): Nachhaltigkeit in der betrieblichen Ausbildung – Kompetenzanforderungen aus unternehmerischer Sichtweise. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 45, 1-29. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe45/hufnagl_annen_bwpat45.pdf (21.03.2024).