bwp@ 46 - Juni 2024

Demografische Entwicklung im Blickwinkel der beruflichen Bildung

Hrsg.: Karl Wilbers, Lars Windelband, Marie-Ann Kückmann & Stefanie Velten

Wissensbasierung im Kontext der Fachkräftesicherung durch Steuerung beruflicher Bildung – Die Berufsgruppenprofile

Beitrag von Bernhard Hübers & Rabea Pfeifer
Schlüsselwörter: Fachkräftesicherung, Risikoindikation, Arbeitsmarkt. Berufliche Bildung, Bildungssteuerung

Der vorliegende Bericht stellt das vom Netzwerkbüro Bildung Rheinisches Revier entwickelte Analyseinstrument der Berufsgruppenprofile vor. Ziel der Berufsgruppenprofile ist die Möglichkeit vergleichender Analysen relevanter Kennzahlen und Indikatoren des Arbeitsmarkts und der beruflichen Ausbildung an Berufsschulen zu schaffen. Im Kontext des zunehmenden soziodemografischen Wandels und bereits erkennbarer akuter Fachkräftebedarfe adressieren sie damit Wissensbedarfe zugunsten zielgerichteter bildungsstrategischer Steuerungsmaßnahmen. Neben Informationen zum Aufbau des Instruments werden Anwendungsmöglichkeiten diskutiert, auf Herausforderungen und Begrenzungen durch die Datenlage hingewiesen und mögliche und notwendige Weiterentwicklungen benannt.

Knowlegde based securing of skilled personnel by managing vocational education – The occupational group profiles

English Abstract

The article presents the analytic instrument of occupational group profiles, set up by the „Netzwerkbüro Bildung Rheinisches Revier“. The profiles aim at creating the possibility to compare the labour market and the situation of vocational education for occupational groups by analyzing specific indicators. In the context of socio-demografical changes and an already discernable lack of skilled labour they adress knowledge based management of vocational education. Besides information about the instrument, the usability will be discussed, limits and challenges regarding the data will be pointed out and further developments will be adressed. 

1 Einleitung

Bereits 2009 wurde darauf hingewiesen, dass der demografische Wandel zu Fachkräftemangel führt und führen wird und, dass diese Entwicklung der Aufmerksamkeit seitens der Betriebe und Berufsausbildung bedarf (vgl. Jasper et al., 2009, S. 37). Die seitdem weiter fortgeschrittene Alterung der Gesellschaft und das damit einhergehende zunehmende Ungleichgewicht zwischen Menschen, die aus dem Erwerbsleben altersbedingt austreten und Menschen, die im erwerbsfähigen Alter sind, hat den Arbeitskräftemangel auf allen Anforderungsniveaus weiter verschärft. Eine Umkehr dieses Trends ist derzeit laut Bevölkerungsprognosen nicht abzusehen (vgl. z. B. Hellwagner et al., 2023, S. 23). Im Gegenteil ist von einer weiteren Verschärfung der Situation auszugehen (vgl. Burstedde, 2023, S. 26, 45, 55–57). Bei der Betrachtung des Mangels an Arbeitskräften auf dem Fachkräfteniveau – also mit schulischer oder dualer Ausbildung – wird das Phänomen der schrumpfenden Anzahl nachkommender Fachkräfte durch steigende Bildungsaspiration junger Menschen weiter verschärft. So kamen 1950 auf 10 Studierende noch 75,5 Auszubildende, während es 2021 nur noch 4,3 waren (Destatis 2023). Fachkräftesicherung muss demnach auch weiterhin als „originäre Aufgabe der Berufsbildung“ (Esser, 2011, S. 3) verstanden werden.

Um trotz sinkendem Arbeitskräfteangebot die Bedarfe des Arbeitsmarktes decken zu können, braucht es einer Bildungslandschaft, die eine bedarfsgerechte Ausbildung von Arbeitskräften unterschiedlicher Anforderungsniveaus ermöglicht. Mit dem Ziel, dies zu unterstützen, hat das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Netzwerkbüro Bildung Rheinisches Revier (NBR) ein Analyseinstrument entwickelt, dass die regionalen Bedarfe des Arbeitsmarktes im Rheinischen Revier der Ausbildungssituation an Berufsschulen im Rheinischen Revier gegenüberstellt (vgl. Hübers & Pfeifer, 2024). Diese Berufsgruppenprofile (BGP) legen dabei den Fokus auf die schulische und duale Ausbildung an Berufsschulen, da die Herausforderungen durch Arbeitskräftemangel auf Fachkraftniveau wie oben dargestellt eines besonderen Augenmerks bedürfen. Neben der Tatsache, dass hier neben dem sinkenden Arbeitskräfteangebot auch die steigenden Bildungsaspiration den Mangel verstärkt, stellen die Fachkräfte darüber hinaus laut Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit den mit Abstand größten Teil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SvB). Das für das Rheinische Kohlerevier entwickelte Analyseinstrument zur Identifikation von Risiken auf dem regionalen Arbeitsmarkt in Verbindung mit Risiken in der Ausbildungssituation an den Berufsschulen in der Region stellt Orientierungswissen für eine strategische Fachkräftesicherung durch Berufsbildung zur Verfügung und ist auf andere Regionen und Gebietskörperschaften übertragbar. Der vorliegende Bericht stellt das Analyseinstrument vor, diskutiert Anwendungsmöglichkeiten der BGP, weist auf Herausforderungen und Begrenzungen durch die Datenlage hin, und benennt mögliche und notwendige Weiterentwicklungen.

2 Die Berufsgruppenprofile

Das Analyseinstrument der Berufsgruppenprofile (BGP) wurde entwickelt, um berufsgruppenspezifische Einblicke in Status Quo und Entwicklungen am Arbeitsmarkt und in der Ausbildung an Berufsschulen zu erlangen. Ziel ist es, eine Wissensgrundlage für strategische Entscheidungen im Bereich der beruflichen Ausbildung herzustellen, die sich an den Bedarfen des Arbeitsmarktes orientiert. Anhand der BGP, deren Systematik auf der Klassifikation der Berufe der Bundesagentur für Arbeit (BA) (vgl. Bundesagentur für Arbeit, 2021) beruht, lässt sich einerseits ablesen, welche Relevanz einer Berufsgruppe für den Arbeitsmarkt eines Raums insgesamt zukommt, wie bedeutsam die duale Ausbildung in der Gruppe ist und inwieweit sie von Engpässen und Risiken im Sinne der Engpass- und Risikoanalytik der Bundesagentur für Arbeit gekennzeichnet ist. Zentrales Merkmal der BGP ist die Möglichkeit des berufsgruppenspezifischen Vergleichs der Arbeitsmarkt- und Ausbildungssituation. Deshalb stellen sie darüber hinaus Grundinformationen und eine Risikoindikation bezüglich der Ausbildungsnachfrage und des -abgangs an Berufskollegs zur Verfügung. Für die Beurteilung der Indikatoren, also die Beantwortung der Frage, inwieweit eine Risikoindikation in den Berufsgruppen vorliegt, wird in Anlehnung an das Vorgehen der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der Engpassanalyse auf relative Grenzwerte zurückgegriffen. Auf diese Weise ermöglichen die Berufsgruppenprofile eine Orientierung für bildungssteuernde Akteure, denn anhand der Profile wird berufsgruppenspezifisch deutlich, inwieweit Herausforderungen und Risiken in der beruflichen Ausbildung an Berufsschulen im Hinblick auf die Zahl der Schüler:innen oder der Abgänge zu erkennen sind. Dies unterstützt eine zielgerichtete und wissensbasierte Bildungssteuerung als entscheidenden Hebel zugunsten nachhaltiger Fachkräftesicherung.

2.1 Entwicklung des Analyseinstrumentes

Die Bundesagentur für Arbeit hat ausführliche Auswertungen zu Berufen und Berufsgruppen, sowie deren Risiken und Engpässe durch Fachkräftemangel erarbeitet. Basierend auf dieser Analytik (vgl. Bundesagentur für Arbeit, 2020) wurden drei aussagekräftige Indikatoren für ein Risiko bzw. Engpass für die jeweilige Berufsgruppen identifiziert (Vakanzzeit, Arbeitssuchenden-Stellen-Relation, Wachstum Anteil ü59). Dabei ist neben der inhaltlichen Bedeutung der Indikatoren für die Bedarfsbeurteilung des Arbeitsmarkts auch die berufsgruppenspezifische Datenverfügbarkeit für das Rheinische Revier ein relevantes Auswahlkriterium. Die Beurteilung, inwieweit Ausprägungen eines Indikators ein Risiko indizieren, erfolgt im Falle der Vakanzzeit und der ASR anhand fester Grenzwerte, die von der Bundesagentur für Arbeit übernommen wurden (vgl. Bundesagentur für Arbeit, S. 32). Entsprechend dem Vorgehen der BA werden die Grenzwerte beim „Wachstum Anteil ü59“ relativ berechnet (für detaillierte Informationen zum methodischen Vorgehen siehe Bundesagentur für Arbeit, 2020; Hübers & Pfeifer, 2024).

Um die Relevanz der jeweiligen Berufsgruppe für die Region beurteilen zu können, werden des Weiteren die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SvB), das Wachstum der Anzahl SvB, der Anteil der SvB in der Berufsgruppe an allen SvB in der Region sowie der Lokalisationskoeffizient (definiert als Verhältnis eben dieses Anteils zu dem Anteil in NRW) als Informationen zur Verfügung gestellt. Zur Beurteilung, ob in einer Berufsgruppe die Fachkräftesicherung durch die berufliche Ausbildung gedeckt werden kann, wird der Anteil an SvB auf Fachkräfteniveau zur Verfügung gestellt. Sind in einer Berufsgruppe hauptsächlich Expert:innen und Spezialist:innen tätig, ist aus bildungsstrategischer Perspektive in erster Linie die Hochschulbildung in den Blick einer Fachkräftesicherungsstrategie zu nehmen. Abschließend wird der Anteil an SvB, die 60 Jahre oder älter sind, angegeben. Dieser Anteil ermöglicht eine Einordnung des Risikoindikators „Wachstum Anteil ü59“. Bei einem diesbezüglich hohen Anteil stellt ein starkes Wachstum des Anteils über-59-Jähriger SvB eine größere Herausforderung dar als bei einem geringen Anteil. Das Zusammenspiel aus Informationen und Risikoeinschätzungen ergibt den Profilbereich des Arbeitsmarktes (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Berufsgruppenprofile. Quelle: Eigene Darstellung nach Hübers & Pfeifer, 2024.Abbildung 1: Berufsgruppenprofile. Quelle: Eigene Darstellung nach Hübers & Pfeifer, 2024.

Für den Profilbereich der Ausbildungssituation hat das NBR zwei elementare Risiken – die Ausbildungsnachfrage und das Abgangsverhalten – für Ausbildungsgänge identifiziert und jeweils drei Indikatoren festgelegt, die eine Risikoeinschätzung ermöglichen. Entsprechend dem Vorgehen der Bundesagentur für Arbeit (vgl. Bundesagentur für Arbeit, 2021, S. 30–32) werden die Grenzwerte für die Risikobewertung mittels relativer Grenzwerte berechnet (für detaillierte Einblicke in das methodische Vorgehen siehe Hübers & Pfeifer, 2024), anhand derer die Indikatorausprägungen einer Berufsgruppe in Relation zu den Ausprägungen der übrigen Gruppen interpretiert und im Hinblick auf etwaige Risiken analysiert werden kann. Für beide Profilbereiche, Arbeitsmarkt und Ausbildungssituation, können so anhand folgender vier Kategorien und Farben Risiken eingeschätzt werden:

huebers legende

Neben diesen Einschätzungen zum Risiko durch Nachfrage und Abbruch stellen die BGP für die jeweiligen Berufsgruppen wichtige Grundinformationen zur Ausbildungssituation zur Verfügung. Hier werden die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen, die eine schulische oder duale Ausbildung absolvieren (SuS) in der jeweiligen Berufsgruppe aufgelistet. Ebenso der Anteil derselben an allen SuS, die Anzahl der neuen SuS sowie die Anzahl der erfolgreichen Abschlüsse in der Berufsgruppe. Diese Informationen ermöglichen einerseits eine Einschätzung der Relevanz einer Berufsgruppe für das Ausbildungsgeschehen eines Raums, stellen andererseits aber auch wichtige Interpretationshilfen für die Einordnung der Risikobewertungen dar. Wenn z. B. in einer Berufsgruppe kein Risiko durch die Entwicklung der Anzahl neuer SuS identifiziert wird, da diese nicht sehr stark gesunken ist, die Anzahl aber von vornherein sehr klein war, kann hier ein Augenmerk von Bedeutung sein, auch wenn durch das Wachstum allein kein Risiko indiziert wird. An dieser Stelle sei auch auf die Bedeutung relativer Grenzwerte hingewiesen. Die berufsgruppenspezifische Bewertung des Risikos findet anhand relativer Grenzwerte statt, die auf Basis der Werte für NRW berechnet wurden. Ist das durchschnittliche Wachstum aller Berufsgruppen in ganz NRW negativ, würde ein Wachstum von 0 % bereits positiv, also mit geringem relativem Risiko, bewertet werden.  Ist die Anzahl neuer SuS in dieser Berufsgruppe jedoch ohnehin sehr klein oder ein hoher Bedarf an einer wachsenden Anzahl durch einen steigenden Anteil an SvB ü59 zu erwarten, kann diese Stagnation trotz guter relativer Risikoeinschätzung ein Risiko darstellen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die durch die BGP zur Verfügung gestellten Informationen in vielfältiger Weise aufeinander Einfluss nehmen und teilweise in Bezug aufeinander zu interpretieren sind.

2.2 Anwendungsmöglichkeiten

Die Berufsgruppenprofile ermöglichen einen niedrigschwelligen Einblick, wie risikohaft die Situation in einer Berufsgruppe am Arbeitsmarkt ist und ob es Risiken hinsichtlich der Ausbildung gibt bzw. welche Risiken vorliegen. Diese Indikation kann in Kombination mit den flankierenden Informationen sowohl als Grundlage strategischer Bildungssteuerung dienen, als auch Ausgangspunkt themenspezifischer Analysen sein. So ist beispielsweise möglich (und aufgrund bereits erkennbarer Fachkräftemängel in vielen Gruppen der Fall), dass eine Berufsgruppe am Arbeitsmarkt im Hinblick auf die drei Indikatoren bereits jetzt ein Risiko aufweist. Ist der Anteil an Fachkräften unter den SvB in dieser Gruppe hoch, dient die Ausbildung an Berufsschulen als zentraler Hebel, um Nachwuchs zu sichern. Die Berufsgruppenprofile ermöglichen zu differenzieren, inwiefern hinsichtlich der Ausbildungsnachfrage und -abbrüche Risiken zu erkennen sind, und begünstigen so bedarfsgerechte Handlungssteuerung.  Sind in einer Berufsgruppe etwa Risiken hinsichtlich der Ausbildungsnachfrage, nicht aber der -abgänge erkennbar, sollten die bildungssteuernden Maßnahmen in erster Linie auf die Gewinnung neuer Auszubildenden abzielen. Liegen die Herausforderungen eher im Bereich der Abgänge ohne Abschluss, sollten die Maßnahmen in erster Linie auf die Begünstigung erfolgreicher Abschlüsse abzielen. Die Intensität des jeweiligen Risikos in beiden Bereichen ist gleichzeitig ein Indikator für die Notwendigkeit des Handelns – je höher das Risiko, desto dringlicher der Handlungsbedarf. Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht jede Berufsgruppe für jede Region und für jede Thematik die gleiche Relevanz hat. Zusätzlich zum Ausmaß des Risikos sollte als auch die Relevanz der jeweiligen Berufsgruppe bei der Priorisierung der bildungssteuernden Maßnahmen berücksichtigt werden. Für diese Priorisierung kann z. B. die Methode der Identifikation von Fokusberufsgruppen des NBR genutzt werden (vgl. Hübers & Pfeifer, 2024a).

Liegt das Risiko einer Berufsgruppe in erster Linie im Abgangsverhalten der SuS stellt sich die Frage, wie Auszubildende, ausbildende Betriebe und Berufskollegs unterstützt werden können, damit mehr Ausbildungen erfolgreich abgeschlossen werden können. Bereits 2009 zeigten Umfragen, dass ein erheblicher Teil der Begründungen für Vertragslösungen im privaten Umfeld liegen und somit außerhalb des direkten Einflussbereiches strategischer Berufsschulplanung. Ebenso werden häufig Unzufriedenheit oder Probleme mit den Kolleg:innen oder Vorgesetzten im Betrieb als Gründe angegeben (vgl. Jasper et al., 2009, S. 12–13). Die Gründe für vorzeitige Vertragslösungsquoten sind vielfältig und in den meisten Fällen nicht monokausal (vgl. Siembab et al., 2023, S. 2). Jedoch gibt es strukturelle Bedingungen, die sowohl die Auszubildenden als auch die Betriebe unterstützen können, einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss zu ermöglichen. Diese reichen z. B. von Unterstützungsangeboten wie Nachhilfe oder Beratung für den Auszubildenen, über Angebote für die Betriebe die Ausbildungsrahmenbedingungen attraktiver zu gestalten bis hin zu Moderations- oder Begleitungsangeboten bei Konflikten in der Ausbildung (vgl. Uhly & Neises, 2023, S. 15–17). Hier wird deutlich, dass sowohl die Betriebe als auch die Berufsschulen und die Auszubildenden Unterstützung benötigen, wenn in einer Berufsgruppe eine hohe Abbruchquote verringert werden soll. Ebenso wenig wie eine hohe Abbruchquote monokausal erklärt werden kann, führen singuläre strategische Entscheidungen zu einer Reduktion der Quote. Eine enge Verzahnung der Angebote und der unterschiedlichen involvierten Akteure ist notwendig, um hier Fortschritte zu erreichen. Die BGP stellen dabei keine Anleitung für die Erarbeitung relevanter Maßnahmen dar, sie dienen der Identifikation von Handlungsbedarfen.

Neben einer hohen Anzahl an Abgängen ohne Abschluss können die BGP ein Risiko durch einen Mangel an Ausbildungsnachfrage indizieren. Voraussetzung für das Ziel eines hohen Matchings von Angebot und Nachfrage ist eine für dieses Matching ausreichend hohe Zahl neuer SuS und eine Bildungsinfrastruktur, die eine fortwährende Beschulung gewährleistet. Auch in diesem Risikobereich gilt es, vielfältige Perspektiven in die Risikoanalyse einzubeziehen und regions- und berufsgruppenspezifische Maßnahmen einzuleiten. Ist das durchschnittliche Wachstum neuer SuS in einer Berufsgruppe negativ, können Imagekampagnen zu Berufen oder Betrieben (siehe z. B. Deutsche Handwerkskammertag, 2023; IHK, 2023), Informationen über Attraktionsfaktoren zur jeweiligen Berufsgruppe oder die Fokussierung von unterrepräsentierten Zielgruppen – wie z. B. Männer in sogenannten Frauenberufen oder Menschen ohne Schulabschluss, die bisher keinen Zugang zu einer Ausbildung bekommen haben – sowie weitere Maßnahmen der Berufsorientierung und Übergangsbegleitung hilfreich sein (vgl. Deutsche Handwerkskammertag, 2023; IHK, 2023; z. B. MAGS, 2023). Schlägt sich das negative Wachstum bereits in einer infrastrukturellen Gefährdungslage wieder, könnte Bildungssteuerung diese durch die Erweiterung gemeinsamer Beschulungsmöglichkeiten, die Anpassung der minimalen Klassengröße oder über eine Zusammenfassung von sehr ausdifferenzierten Ausbildungsberufen adressieren (zu gemeinsamen Beschulungsmöglichkeiten und Klassengrößen siehe BASS 2023/24).

Ein zentraler Ansatzpunkt, sowohl bei einem Risiko durch Nachfrage als auch bei einem Risiko durch Abbruch ist eine zielgruppenspezifische, anerkennungssensible und selbstverwirklichungsorientierte Berufsorientierung. Dies bedeutet, dass erstens unterschiedliche soziodemografische Zielgruppen sowohl eine unterschiedliche Ansprache als auch unterschiedliche Informationen und Formate in der Berufsorientierung benötigen (vgl. z. B. Berger et al., 2023, S. 17–19). Darüber hinaus sollten Berufsorientierungsmaßnahmen berücksichtigen, dass das Berufsprestige in der Gesellschaft, der Familie oder den Freunden nach wie vor ein zentrales Berufswahlkriterium darstellt und somit als Faktor einfließen muss (vgl. Oeyenhausen & Mutlu, 2022, S. 2–4). Schließlich wurde nachgewiesen, dass die Abbruchwahrscheinlichkeit deutlich steigt, je weiter der gewählte Ausbildungsberuf von ursprünglichen Berufswünschen entfernt ist (vgl. Siembab et al., 2023, S. 11). Den Fokus auf die Identifikation der eigenen Berufswünsche, Kompetenzen und Interessen sowie die Information, welche Schritte notwendig sind, um diese zu verwirklich, ist somit ebenfalls zentrales Element einer erfolgreichen Berufsorientierung (vgl. z. B. Ertl, 2023, S. 3). Insbesondere für Berufsgruppen in denen sowohl ein Risiko durch Nachfrage als auch durch Abgänge ohne Abschluss indiziert wurde, sollte die Berufsorientierung als bildungssteuernde Maßnahme adressiert werden.

2.3 Einschränkungen und Herausforderungen

Bei der Erarbeitung des Analyseinstrumentes sowie bei der Umsetzung sind an verschiedenen Stellen Einschränkungen der Aussagekraft deutlich geworden, die an dieser Stelle reflektiert werden. Diese Einschränkungen sind in erster Linie durch die Datenlage begründet. Ziel der Berufsgruppenprofile ist es, Einblicke in die Ausbildungssituation im Rheinischen Revier als Grundlage für strategische Berufsbildungsplanungsprozesse zu ermöglichen. Aus diesem Grund ist es notwendig, auf die amtlichen Schuldaten zurückzugreifen, da diese sowohl die Schüler:innen in dualer als auch schulischer Ausbildung enthalten. Diese Wahl führt jedoch zu unterschiedlichen Einschränkungen. So enthalten die amtlichen Schuldaten nicht die Zahlen der Schüler:innen der Pflege- und Gesundheitsschulen sowie der Verwaltungsschulen. Dies schließt zentrale Ausbildungsberufe aus den Bereichen Gesundheit, Pflege und Verwaltung von den Analysen aus. Des Weiteren werden die Schuldaten an Berufsschulen jeweils zum 15.10. erhoben. Unterjährige Wechsel werden nicht dargestellt. Somit werden keine Schüler:innen erfasst, die zu einem späteren Zeitpunkt die Ausbildung beginnen oder unterjährig dieselbe wechseln. Auch werden die amtlichen Schuldaten aggregiert und nicht individuell erhoben, was die Auswertungsmöglichkeit insbesondere bezogen auf die demografischen Merkmale und Bildungsverläufe erheblich einschränkt.  Doch auch hinsichtlich der Arbeitsmarktdaten muss auf einige Einschränkungen hingewiesen werden. Eine Analyse auf Berufsebene ist an vielen Stellen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, weshalb die Ebene der Berufsgruppe als Aggregatsebene gewählt werden muss. Geringe Fallzahlen werden von der Bundesagentur für Arbeit nicht ausgegeben. Für den ersten Schritt der Berufsgruppenprofile ist diese Aggregation durchaus sinnvoll, um sich einer überschaubaren Menge an Berufsgruppen nähern zu können. In einem zweiten Schritt wäre jedoch die Differenzierung nach Berufen auch unterhalb der Raumebene Deutschlands, für die solche Werte ausgegeben werden, für eine bedarfsorientierte Ausrichtung der Berufsbildung notwendig. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich zwei der drei Engpassanalyseindikatoren der Bundesagentur für Arbeit auf gemeldete Stellen beziehen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Stellen nicht alle offenen Stellen des Arbeitsmarkts umfassen. Dies bedeutet einerseits, dass durchaus mehr Stellen vakant sein können, als gemeldet sind. Dies ist insbesondere bei der Arbeitssuchenden-Stellen-Relation zu beachten. Sowohl die Anzahl der Arbeitssuchenden als auch die Anzahl der gemeldeten Stellen muss nicht die reale Situation darstellen. In beiden Fällen kann die Dunkelziffer deutlich über der gemeldeten Anzahl liegen. Andererseits ist es durchaus möglich, dass eine Stelle, die bereits besetzt wurde, nicht als besetzt gemeldet wird. Dies kann Einfluss auf die Vakanzzeit nehmen (Bundesagentur für Arbeit, 2020, S. 9–10). Trotz dieser methodischen Einschränkungen eignen sich die einbezogenen Engpass- und Risikoindikatoren für die Nutzung in den BGP, da sie Teil einer etablierten Indikatorik sind und inhaltliche Aussagekraft besitzen.

2.4 Anwendungsbeispiel Mechatronik und Automatisierungstechnik

Um Aussage- und Anwendungsmöglichkeiten der Berufsgruppenprofile an einem Beispiel zu verdeutlichen, werden die Ergebnisse für die Berufsgruppe „Mechatronik und Automatisierungstechnik“ vorgestellt. Diese Berufsgruppe ist für das Gelingen des Strukturwandels im Sinne der Green Economy im Rheinischen Revier von besonderer Relevanz (Hübers & Pfeifer, 2024a).

Tabelle 1:     Berufsgruppenprofil für die Berufsgruppe 261 Mechatronik und Automatisierungstechnik

Tabelle 1 

Quelle: Eigene Berechnung und eigene Darstellung. Datengrundlage Jahr 2022 der Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit & Amtliche Schuldaten NRW Schuljahr 2022/2023. Die Werte sind nach dem 5-Rundungsverfahren von IT.NRW gerundet, die Verhältnisse basieren auf den Originalwerten.

Die Interpretation der BGP orientiert sich am erkenntnisleitenden Interesse der Nutzer:innen. Die BGP bieten Analysepotenzial zugunsten diverser Erkenntnisinteressen, wobei nachfolgend für diese Berufsgruppe unter anderem der Frage nachgegangen werden soll, welche Bedeutung der Gruppe für den Arbeitsmarkt zukommt, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt und welche Entwicklungen in der Beruflichen Ausbildung zu erkennen sind.

Auf den ersten Blick verdeutlichen die Einfärbungen, dass sowohl am Arbeitsmarkt als auch in der Ausbildungssituation Risiken indiziert sind. Somit liegt ein Handlungsbedarf vor, wenn diesen Risiken entgegengewirkt werden soll. Inwieweit Risiken in einer Berufsgruppe einen Handlungsbedarf implizieren, ist von wirtschafts-, arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Interessen der jeweiligen Nutzer:innen abhängig. Der Lokalisationskoeffizient von 1,14 zeigt, dass die Gruppe für den Arbeitsmarkt des Rheinischen Reviers von größerer Bedeutung ist als für NRW. Ebenso ist die Gruppe hinsichtlich der Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Wegen des hohen Fachkräfteanteils von 76 % in der Gruppe ist die berufliche Ausbildung, die weitestgehend zu einer Fachkrafttätigkeit befähigt, der bedeutende Bildungsbereich für die Erhöhung des Fachkräftepotenzials.

Der Anteil über 59-Jähriger ist in Relation zu anderen Berufsgruppen ebenso gering wie das Wachstum des Anteils über-59-jähriger SvB und das Verhältnis erfolgreicher Ausbildungsabsolvent:innen zu 100 über-59-jährigen SvB. Das sehr geringe Risiko, indiziert durch die dunkelgrüne Färbung, erklärt sich auch aus dem geringen Anteil älterer SvB. Die soziodemografische Strukturwandeldimension, also die Verrentung geburtenstarker Alterskohorten, ist für die Berufsgruppe Mechatronik und Automatisierungstechnik somit insgesamt von vergleichsweise geringer Bedeutung. Dass es im Revier nichtsdestoweniger berufsgruppenspezifische Herausforderungen gibt, zeigen die übrigen beiden Indikatoren der Fachkräftesituation.  Sowohl Vakanzzeit als auch Arbeitssuchenden-Stellen-Relation weisen hohe Risiken auf. Es fällt Arbeitgebern des Reviers demnach schwer, Stellen zu besetzen. Gerade in Anbetracht dessen ist ein dynamisches Ausbildungsgeschehen wünschenswert.

Ein Blick in den Profilbereich Ausbildungssituation offenbart, dass von einer günstigen Dynamik in Bezug auf Ausbildungsnachfrage und -abgang nur bedingt gesprochen werden kann. Die Anzahl der neuen Auszubildenden in dieser Berufsgruppe sinkt im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen besonders stark, durchschnittlich um 10,5 % pro Jahr in den letzten drei Jahren. Auch die Bildungsinfrastruktur ist von geringer Ausbildungsnachfrage betroffen, 36,1 % der Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen in dieser Berufsgruppe werden in gefährdeten Klassen unterrichtet. Dies sind Klassen, die aufgrund einer zu geringen Größe von Schließung bedroht sind. Setzt sich dieser Trend fort, werden die gefährdeten Klassen zeitnah geschlossen werden, sodass der schulische Ausbildungsteil nicht mehr wie zuvor angeboten werden kann. Lediglich die Differenz von Hauptklassen, also Klassen, in denen nur eine Berufsgattung (KldB 5-Steller Ebene) unterrichtet wird zu Teilklassen, in denen mehrere Berufsgattungen gemeinsam beschult werden, indiziert ein vergleichsweise geringes Risiko. Setzt sich die geringe Ausbildungsnachfrage bei gleichbleibenden bildungspolitischen Rahmenbedingungen fort, ist zukünftig die Schließung von Hauptklassen – und damit eine zunehmend ungünstigere Differenz – zu erwarten. Sofern damit einhergehend sinkende Zahlen von Absolvent:innen ein unerwünschtes Szenario darstellen, sollten die geringer werdenden Schüler:innenzahlen analysiert und adressiert werden. Weil die Risikoindikation auf Basis relativer Grenzwerte erfolgt, ist eine soziodemografische Begründung des negativen Wachstums im Kontext geburtenschwacher Alterskohorten allein nur bedingt haltbar – andere Berufsgruppen sind weniger vom Schüler:innenrückgang betroffen. Die Erkenntnisse sollten daher multiperspektivisch mit beteiligten und steuernden Akteuren diskutiert und auf dieser Basis Handlungsbedarfe identifiziert werden. Hier ist es essentiell die unterschiedlichen Wissensbestände der Akteure bezüglich der Begrifflichkeiten, Steuerungsebenen und Zusammenhänge am Arbeitsmarkt und bezogen auf die berufliche Ausbildung sowie im Umgang mit Indikatoren und statistischen Auswertungen in den Diskussionen zu berücksichtigen.

Die Dringlichkeit, die Berufsgruppe 261 in den Fokus zu nehmen, ergibt sich aus dem Blick auf die Risikoindikation durch den Ausbildungsabgang der Schüler:innen. Zwar ist in Bezug auf den Anteil der Abgänger:innen ohne Abschluss an allen Abgänger:innen mit 14,6 % nur ein geringes Risiko zu erkennen, doch kann der Anteil gerade in Anbetracht sinkender Ausbildungsnachfrage und bestehenden Fachkräfteengpässen noch zu hoch für wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen sein. Besonderes Augenmerk sollte hier dem hohen Anteil von Abgänger:innen ohne Abschluss im dritten oder vierten Lehrjahr an allen Abgänger:innen ohne Abschluss gelten. Während ein früher Abgang ohne Abschluss in vielen Fällen aufgrund einfacher Umorientierung stattfindet und damit nicht zwangsläufig ein Problem darstellen muss, ist ein Abgang ohne Abschluss im dritten oder vierten Lehrjahr ein Hinweis auf Hürden beim Abschluss – sowohl schulischer als auch betrieblicher Art. Demnach sollte in dieser Berufsgruppe ein verstärktes Augenmerk auf die Begleitung und Unterstützung der Menschen in der Ausbildung gelegt werden, um den Anteil erfolgreicher Abschlüsse zu erhöhen. Insgesamt ergibt sich für die Berufsgruppe Mechatronik auf Basis der Berufsgruppenprofile das Bild einer bedeutsamen, tendenziell jungen Berufsgruppe, die bereits deutliche Herausforderungen bei der Stellenbesetzung aufweist. Darüber hinaus wirkt sich die sinkende Ausbildungsnachfrage zumindest teilweise bereits negativ auf die Bildungsinfrastruktur aus, während es hinsichtlich der Ausbildungsabgänge insbesondere Herausforderungen mit späten Abgängen ohne Abschluss gibt. Die BGP bieten die Möglichkeit, spezifische Herausforderungen des Arbeitsmarkts und der beruflichen Ausbildung niedrigschwellig identifizieren zu können und bieten somit eine Grundlage wissensbasierter berufsgruppenspezifischer Steuerung.

2.5 Weiterentwicklungsmöglichkeiten und -bedarfe

Die Berufsgruppenprofile stellen in ihrer jetzigen Form eine Grundlage für diverse Erkenntnisinteressen und Kontexte sowie für weiterführende Analysen dar. Einerseits kann es sinnvoll sein, einzelne Berufsgruppen nach Berufen zu analysieren, da nicht alle Berufe gleich betroffen sein müssen. Dies ist für die Situation am Arbeitsmarkt häufig nicht möglich, da die Werte für die einzelnen Berufe zu klein für eine Analyse sind, bzw. nicht zur Verfügung gestellt werden können. Seitens der Berufsschulen sind die meisten Analysen unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben vor der Veröffentlichung auch auf Ebene einzelner Berufe möglich. So können in risikobehafteten Berufsgruppen einzelne oder mehrere Berufe mit besonders hohem Risiko identifiziert werden. Des Weiteren ist es sinnvoll, mögliche Gründe für das Risiko zu analysieren, um möglichst passgenaue Handlungsbedarfe und daraufhin -möglichkeiten zu identifizieren. In dem Zusammenhang stellen die Risikoindikatoren der BGP abhängige Merkmale dar, deren Ausprägungen mittels unabhängiger Merkmale untersucht und gedeutet werden sollten. Naheliegend und auf Basis amtlicher Schuldaten umsetzbar sind dabei zwei Analysemöglichkeiten: einerseits sollte überprüft werden, ob in der jeweiligen Berufsgruppe die Mobilität ein erklärender Faktor für indizierte Risiken sein kann. Eine sinkende Ausbildungsnachfrage und hohe Abgangsanteile ohne Abschlüsse kann in hohen Mobilitätsanforderungen an die jungen Menschen begründet sein. Hier wäre Bildungssteuerung zugunsten wohnortnaher Beschulung, etwa mittels digitaler Angebote, ein möglicher Ansatzpunkt sein, um einen Anstieg der Nachfrage in der jeweiligen Berufsgruppe zu unterstützen.

Andererseits ist die berufsgruppenspezifische Analyse der Ausbildungsnachfrage und der -abgänge auf Basis demografischer Merkmalen eine wichtiger Baustein bedarfsgerechter Bildungssteuerung. Verlässt etwa ein hoher Anteil der Auszubildenden die Berufsschule ohne Abschluss, ist für die Gestaltung von Unterstützungsangeboten sehr relevant, inwieweit demografische Merkmale in dem Kontext bedeutsam sind. Zu überprüfen wäre der Bildungsstand, das Geschlecht sowie der Migrationshintergrund. Liegt der Anteil an Personen, die die Berufsschule ohne Abschluss verlassen unter Auszubildenden mit Hauptschulabschluss deutlich höher als unter Auszubildenden mit Abitur, sollten sich unterstützende Maßnahmen in erster Linie an Auszubildende mit Hauptschulabschluss richten. Das Vorgehen ist auf die übrigen demografischen Merkmale übertragbar. Durch die Analyse des Einflusses der Merkmale wäre je nach Berufsgruppe zielgruppenspezifische Handlungsoptionen identifizierbar, denn ist der Anteil an Personen, die die Berufsschule ohne Abschluss verlassen in einer Gruppe mit spezifischen demografischen Merkmalen besonders hoch, sollten sich Maßnahmen zur Ausbildungsbegleitung in erster Linie an die Bedarfe dieser Zielgruppe wenden. Ein anderes Beispiel wäre eine zielgruppenspezifische Berufsorientierungsmaßnahme für eine demografisch identifizierbare Gruppe, da diese besonders gering in einem Ausbildungsberuf vertreten ist. Dabei ist immer zu beachten, dass eigenen Interessen und Berufswünsche in jedem Berufsorientierungsprozess zu berücksichtigen sind, um zu vermeiden, dass zwar mehr Personen eine bestimmte Ausbildung beginnen, diese jedoch nicht erfolgreich abschließen.  Das klassische Beispiel, einen Beruf, der in erster Linie von Frauen ausgeübt wird, durch geschlechtssensible Berufsorientierung für Männer als attraktive Wahloption darzustellen, muss beachten, dass dies nur von Erfolg gekrönt sein wird, wenn das jeweilige Individuum eigenes Interesse und Kompetenzen in dem Berufsfeld hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann in einem hauptsächlich von Frauen ausgeübten Beruf die Ausbildung abbricht, ist nach wie vor deutlich höher, als ein Abbruch in einem Beruf, der hauptsächlich von Männern ausgeübt wird – und vice versa. Solche Maßnahmen müssen durch Ausbildungsbegleitung ergänzt werden, um die Wahrscheinlichkeit eines Abbruchs zu verringern (vgl. Beckmann, 2023, S. 18).

3 Fazit und Ausblick

Ziel der Berufsgruppenprofile ist die Möglichkeit vergleichender Analysen relevanter Kennzahlen und Indikatoren des Arbeitsmarkts und der beruflichen Ausbildung an Berufsschulen. Im Kontext des zunehmenden soziodemografischen Wandels und bereits erkennbarer akuter Fachkräftebedarfe adressieren sie damit Wissensbedarfe zugunsten zielgerichteter bildungsstrategischer Steuerungsmaßnahmen. Die Profile basieren auf Daten der Bundesagentur und den amtlichen Schuldaten, wobei Voraussetzung für die Vergleichbarkeit der Profilbereiche, des Arbeitsmarkts und der beruflichen Ausbildung an Berufsschulen, der Bezug auf die Berufsgruppen im Sinne der Klassifikation der Berufe der Bundesagentur für Arbeit ist. Im Zentrum der Profile stehen Indikatoren, die für beide Bereiche Risiken indizieren – im Falle des Arbeitsmarkts auf Basis der Engpass- und Risikoanalytik der BA – im Falle der beruflichen Ausbildung auf Basis einer durch das NBR entwickelten an jene Analytik angelehnte Indikatorik, die Aussagen über Ausbildungsnachfrage und das Abgangsverhalten von Schüler:innen ermöglicht. Damit können Status Quo und bedeutsame Entwicklungen in beiden Bereichen berufsgruppenspezifisch analysiert und damit beurteil werden, inwieweit jene Entwicklungen in einem (un)günstigen Verhältnis hinsichtlich des Ziels nachhaltiger Fachkräftesicherung zueinanderstehen. Ebenfalls in Anlehnung an das Vorgehen der BA werden für die Beurteilung etwaiger Risiken relative Grenzwerte für die Ausbildungsindikatorik herangezogen. Die Beurteilung eines Risikos für eine Berufsgruppe ist somit immer im Kontext zum Risiko der übrigen Berufsgruppen zu interpretieren. Die Indikatorik wird dabei von Kennzahlen ergänzt, die grundlegende Informationen zu den Berufsgruppen liefert und damit der Kontextualisierung der Ergebnisse dient.

Im Hinblick auf die besonders strukturwandelrelevante Berufsgruppe Mechatronik und Automatisierungstechnik wird das Analysepotenzial durch die vergleichende Perspektive deutlich: der Arbeitsmarkt weist bereits deutliche Engpässe bei der Stellenbesetzung auf, während auch Ausbildungsnachfrage und -abgänge zumindest teilweise auf Herausforderungen in der Berufsgruppe hindeuten. Das gilt insbesondere für den deutlichen Rückgang der Auszubildendenzahlen, der sich teilweise bereits auf die Bildungsinfrastruktur auswirkt. Setzt sich dieser Trend fort, werden sich beide Aspekte – eine geringere Zahl von Auszubildenden und die sukzessive Einschränkung der Infrastruktur potenzieren und damit die nachhaltige Fachkräftesicherung in der Berufsgruppe gefährden. Bildungsstrategische Steuerung sollte in Anbetracht dessen die Nachwuchsrekrutierung in den Blick nehmen, wobei insbesondere relevant ist, welche Gruppen aufgrund soziodemografischer Merkmale unter den Auszubildenden unterrepräsentiert sind und inwieweit in diesen Gruppen Ausbildungspotenziale unausgeschöpft sind. Vergleichsweise positiv ist der geringe Anteil von Berufsschulabgänger:innen ohne Abschluss an allen Abgänger:innen zu bewerten, wobei der Anteil jener Abgänger:innen sehr hoch ist, der im dritten oder vierten Lehrjahr ohne Abschluss abgeht. Berufsorientierung und Bindung von Auszubildenden bis hin zum Abschluss gelingt demnach relativ gut, der hohe Abgangsanteil ohne Abschluss in jenen Lehrjahren kann auf Herausforderungen im Kontext der Prüfungen und damit auf Unterstützungsbedarfe der jungen Menschen hinweisen. Die Profile bieten so die Möglichkeit, spezifische Handlungsbedarfe für einzelne Berufsgruppen zu identifizieren und tragen damit maßgeblich zur Bedarfsgerechtigkeit bildungsstrategischer Steuerung bei.

Literatur

BASS (2023/24). Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften NRW. Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. https://bass.schul-welt.de

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Zitieren des Beitrags

Hübers, B. & Pfeifer, R. (2024). Wissensbasierung im Kontext der Fachkräftesicherung durch Steuerung beruflicher Bildung – Die Berufsgruppenprofile. bwp@ Berufs- und Wirt­schafts­pädagogik – online, 46, 1–15. https://www.bwpat.de/ausgabe46/huebers_pfeifer_bwpat46.pdf