bwp@ Profil 4 - September 2016

Kompetenzentwicklung im wirtschaftspädagogischen Kontext: Programmatik – Modellierung – Analyse.

Profil 4: Digitale Festschrift für SABINE MATTHÄUS

Hrsg.: Hermann G. Ebner & Jürgen Seifried

Lerngelegenheiten: Analysen des Angebots

Beitrag von Hermann G. Ebner

Die Herausforderungen für das Lehren bestehen darin, den Lernenden geeignete Lerngelegenheiten anzubieten. In dem Beitrag werden drei Aufmerksamkeitspunkte im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Lerngelegenheiten erörtert: die qualitative Differenz des Angebots, trotz formal gleicher Bedingungen; die Begrenzung des Angebots durch die Dominanz der praktischen Erfordernisse; der Versand problematischer Botschaften.

I.

In ihrem Beitrag „Die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz und des kommunikativen Handelns Jugendlicher in der kaufmännischen Erstausbildung“ beschäftigen sich Jürgen van Buer und Sabine Matthäus mit der Erklärung und der Beschreibung von Kommunikationsmustern. Im Vordergrund stehen dabei zwei Fragenkomplexe: Einmal geht es um den Zusammenhang zwischen der kommunikationsbezogenen Ausgestaltung des familiären Erfahrungsraums und dem mit Blick auf die Wahrnehmung ihrer beruflichen Aufgaben präferierten Kommunikationsstil der Jugendlichen. Zum anderen interessieren sich die Autoren für die kommunikativen Muster im wirtschaftsberuflichen Unterricht. Auf der Grundlage ihrer Beobachtungsdaten in Berufsschulklassen (Bankkaufmann/ Bankkauffrau bzw. Kaufmann/ Kauffrau im Einzelhandel) berichten die beiden Autoren zum letzteren Thema u.a. den Befund (van Buer/Matthäus 2001), dass

  1. die Unterrichte in den Klassen der beiden Ausbildungsberufe hinsichtlich der makrostrukturellen Designmerkmale (z.B. Lehrerzentriertheit) ähnlich angelegt sind,
  2. die kommunikativen Prozesse in den Klassen der Bankkaufleute jedoch anders ausgestaltet sind als in jenen der Einzelhandelskaufleute; und das sowohl in Bezug auf die Form als auch auf den Inhalt. So zeichnet sich die Kommunikation in den Klassen der Bankkaufleute durch stärker öffnende Formen und Rückmeldungen aus. Hinsichtlich des Inhalts der Kommunikation finden sich bei den Einzelhandelskaufleuten u.a. stärker auf Komplexitätsreduktion angelegte Elemente.

Die Autoren vertreten die Auffassung, dass diese beiden Gruppen von Auszubildenden zwar über einen unterschiedlich lernförderlichen sozialen Hintergrund verfügen, die objektiven Voraussetzungen (z.B. Schulabschlüsse) jedoch ähnlich verteilt sind. Daher seien die festgestellten Reduktionen wohl auch nicht als Anpassung an objektive Leistungsunterschiede oder –potenziale zu sehen, sondern eher als Ergebnis und Umsetzung vorab generierter Erwartungen. Insgesamt liege darin die Gefahr der Unterschätzung des Leistungspotenzials und somit der Unterforderung.

In der Studie von van Buer und Matthäus finden sich damit Hinweise, dass Auszubildende in der beruflichen Schule u. U. Lern- und Entwicklungsangebote vorfinden, die reduzierter ausfallen, als sie seitens der Organisation und des Personals real zur Verfügung gestellt werden könnten. Dabei werden diese Begrenzungen nicht systematisch vorgenommen, und seitens der Schule ist keineswegs intendiert, dass Gruppen von Lernenden schlechter gestellt werden; die mögliche Unterforderung und damit Minderförderung sind nicht das Ergebnis absichtsvoll getroffener, individueller oder kollektiver Entscheidungen. Viel eher scheint hier eine Reihe unterschwellig ökonomischer Regulierungen eine Rolle zu spielen: Letzten Endes geht es um die Ausrichtung des Handelns an Leistungserwartungen, für deren Differenz – nach der Darstellung der Autoren – die objektive Grundlage fehlt.

II.

Während van Buer und Matthäus Lerngelegenheiten im Unterricht an Berufsschulen untersuchen, beschäftigt sich Keck (1999) mit jenen in der betrieblichen Ausbildung. Einen Schwerpunkt seiner Studie bildet die Analyse der Aufgaben, die Ausbildenden übertragen werden: Es gehe darum „zu prüfen, inwieweit das Lernpotential an kaufmännischen Arbeitsplätzen Chancen für eine gezielte Entwicklung beruflicher Kompetenzen und der Persönlichkeit von Auszubildenden birgt“ (Keck 1999, 161). Dabei orientiert sich der Autor an Konzeptualisierungen des kognitiven Anforderungsniveaus von Arbeitstätigkeiten, wie sie in arbeitspsychologischen Studien entwickelt worden sind (bei neueren, methodisch ähnlich angelegten Studien, wie z.B. jenen von Rausch (2013) steht nicht die Qualität der evozierten kognitiven Verarbeitungsprozesse im Fokus).

Aus den von Keck (1999) vorgenommenen Anpassungen an kaufmännische Tätigkeiten resultieren insgesamt sieben Niveaustufen:

  1. Tätigkeiten ohne spezifische Inhaltsrepräsentation
  2. Ablage- und Sortiertätigkeiten
  3. Tätigkeiten mit medialer Transformation
  4. Reproduktiv-ganzheitliche Prüf- und Kontrolltätigkeiten
  5. Produktiv-analytische Prüf- und Kontrolltätigkeiten
  6. Tätigkeiten mit selektiver Transformation
  7. Tätigkeiten mit substanzieller Transformation

Werden diese Anforderungsstufen zugrunde gelegt, dann – so der Autor – ergebe sich aus den erhobenen Daten (Lern- und Arbeitstagebücher), dass gut die Hälfte der Ausbildungszeit auf eher anspruchslose Tätigkeiten (die ersten drei Kategorien) entfalle. Auch wenn diese Aussagen aufgrund des auf Exploration angelegten Designs der Studie mit entsprechender Zurückhaltung zur Kenntnis zu nehmen sind, so lassen sich die Ergebnisse dennoch als Hinweise verstehen, dass die im Rahmen der betrieblichen Ausbildung bereitgestellten Lerngelegenheiten hinsichtlich des zugeschriebenen Lernpotenzials möglicherweise hinter den programmatischen Ansprüchen bzw. Zielsetzungen zurückbleiben. Es wird vermutet, dass die am Arbeitsplatz gebotenen Lernchancen weniger vom Ausbildungsplan bestimmt werden als von dem aktuellen Arbeitsaufkommen in den einzelnen Abteilungen des Betriebs und den verfügbaren Zeitbudgets der Ausbilder und Ausbilderinnen.

III.

Mit „man kann nicht nicht kommunizieren“ – dem wohl am häufigsten bemühten Axiom aus ihrer Liste von insgesamt fünf pragmatischen Axiomen – markieren Watzlawick, Beavin & Jackson (2007) eine besonders herausfordernde Eigenschaft menschlicher Kommunikation: Gleichgültig, ob eine Person etwas sagt oder nicht, für ihr Gegenüber ist es in jedem Fall ein Ereignis, übermittelt das Verhalten immer eine Botschaft. In hochgradig interaktionsbestimmten Tätigkeiten, wie jenen von Lehrpersonen, scheint es in besonderem Maße geboten, diesen Umstand zu beachten: Die verbalen und nonverbalen (Nicht-) Aktionen werden von den Lernenden registriert und interpretiert, bewertet und ‚beantwortet‘.

In der oben referierten Studie von van Buer und Matthäus (2001) wurden die unterrichtliche Kommunikation von Dritten beobachtet und die Beiträge der Lehrpersonen u.a. hinsichtlich der fachbezogenen Lernförderlichkeit kategorisiert und beurteilt. In der im Folgenden präsentierten Studie steht die Kommunikation der Lehrpersonen aus der Sicht der Auszubildenden im Fokus: Es geht um die Lernförderlichkeit des seitens der Lehrperson angebotenen Verhaltensmodells. Was ist die Botschaft, die Jugendliche aus dem Verhalten von Lehrpersonen im Zusammenhang mit Konflikten zwischen Jugendlichen ‚herauslesen‘?

An einer von uns durchgeführten schriftlichen Befragung nahmen 3 192 Auszubildende im Berufsfeld ‚Wirtschaft und Verwaltung‘ aus vier Bundesländern (Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen) teil. Inhaltlich umfasste die Erhebung die Themenbereiche

  • Person und Beruf,
  • Betrieb und Ausbildung,
  • Schule und Unterricht,
  • Lehrer/ Lehrerin bzw. Ausbilder/ Ausbilderin.

Auswertungen zu einzelnen Teilbereichen der Untersuchung sind bereits in verschiedenen Beiträgen publiziert worden; die nachfolgenden Daten wurden bislang noch nicht veröffentlicht.

Den Auszubildenden war u.a. folgende Situationsbeschreibung vorgelegt worden:

Stellen Sie sich vor, in Ihrer Klasse werden einzelne Schüler von einer Clique schikaniert. (a) Wie sollte sich der/die ideale Lehrer/Lehrerin in dieser Situation verhalten? (b) Beschreiben Sie bitte kurz, wie sich nach Ihrer Erfahrung Lehrer/innen meistens in einer solchen Situation verhalten.

Die frei formulierten und anschließend kategorisierten Antworten (Mehrfachantworten möglich) der Jugendlichen auf die Frage (b) verteilen sich wie folgt:

Tabelle 1:         Das Verhalten von Lehrpersonen aus der Sicht der Jugendlichen

  N Prozent Prozent der Fälle
Ignorieren die Situation / schotten sich ab 1208 50,6 53,1
Vermitteln 328 13,7 14,4
Mischen sich ein 152 6,4 6,7
Ergreifen Partei 130 5,4 5,7
Ergreifen Disziplinierungsmaßnahmen 113 4,7 5,0
Keine Erfahrung mit solchen Situationen 368 15,4 16,2
Sonstiges 88 3,7 3,9
Gesamt 2387 100,0 104,9

Auf die Kategorie Ignorieren die Situation, schotten sich ab entfallen Äußerungen wie

  • schauen diskret weg bzw. gehen diskret weg,
  • die Lehrer mischen sich in solch einer Situation oft nicht ein; denken wohl, dass es sie nichts angeht und schauen einfach weg,
  • die meisten Lehrer übersehen solche Situationen, nur um nicht in die Auseinandersetzung mit hineingezogen zu werden. meistens halten sich die Lehrer konsequent raus,
  • die meisten Lehrer kümmern sich nicht um die Probleme der Schüler.

Äußerungen, wie

  • Geben ihre Meinung, versuchen die schikanierten Schüler in die gesamte Klasse wieder reinzubringen, reden mit der ganzen Klasse,
  • gehen dazwischen und versuchen zu schlichten,
  • bei ernsthaften Auseinandersetzungen, die sich nicht unter den Betroffenen lösen lassen, greifen die Lehrer als Vermittler ein und schlagen Kompromisse vor,

wurden in der Kategorie Vermitteln zusammengefasst.

Die Antworten der Schülerinnen und Schüler sind m. E. an drei Positionen besonders bemerkenswert: Nur rund 16 Prozent der Jugendlichen geben an, bislang noch keine solche Situation (Schikane unter Auszubildenden in der Klasse) erlebt zu haben. Damit scheint diese Form psychischer Gewalt für die große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler zum Erfahrungsraum ‚Schule‘ zu gehören.

Die beiden weiteren Werte, die in dieser Tabelle auffallen, betreffen die Berichte der Jugendlichen zum Verhalten ihrer Lehrpersonen in diesen Situationen: Mit den Positionen Ignorieren die Situation/ schotten sich ab und Vermitteln werden zwei weit auseinander liegende Formen des Handelns von Lehrpersonen in solchen Situationen beschrieben. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen ist der Auffassung, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer die Vorfälle durchaus registrieren, sich jedoch ab- und nicht zuwenden. Lediglich rund ein Siebtel der Schülerinnen und Schüler beschreibt das Verhalten der Lehrpersonen als Vermitteln. Im ersteren Fall verweigern sich die Lehrpersonen, aber sie kommunizieren nicht nicht. Vielmehr sind in ihrem Verhalten in der Wahrnehmung der Auszubildenden mehrere Botschaften enthalten: Unsere Lehrerinnen und Lehrer gehen Problemen aus dem Weg, sie interessieren sich nicht für unsere Probleme, mit ihrer Unterstützung ist nicht zu rechnen.

Nun könnte erwartet werden, dass weibliche bzw. männliche Auszubildende die geschilderte schulische Situation unterschiedlich einschätzen – sowohl was die Häufigkeit solcher Vorfälle anbelangt als auch, was das Verhalten der Lehrpersonen betrifft. Insbesondere könnten männliche Jugendliche berichten, weniger Erfahrung mit solchen Situationen zu haben, weil ihre Wahrnehmungsschwelle bezüglich solcher Konflikte höher sein könnte als jene der weiblichen Auszubildenden. Ebenso könnte angenommen werden, dass weibliche Auszubildende die Abwendung der Lehrpersonen stärker registrieren, während die männlichen Jugendlichen sensibler registrieren, wenn sie eine Einmischung oder Parteinahme vermuten.

Die Unterschiede in den Aussagen der beiden Gruppen sind jedoch kaum geeignet, um diese Vermutungen zu stützen (siehe nachfolgende Grafik):

  • Weibliche und männliche Jugendliche geben zu gleichen Teilen (rund 16 Prozent) an, keine Erfahrung mit einer Situation zu haben, wie sie in der Vignette dargestellt wird.
  • 54 Prozent der weiblichen und rund 52 Prozent der männlichen Auszubildenden beschreiben das Verhalten ihrer Lehrpersonen als Ignorieren die Situation/ schotten sich ab.
  • Knapp 14 Prozent der weiblichen und gut 15 Prozent der männlichen Jugendlichen nehmen die Lehrpersonen in solchen Situationen als Vermittler wahr.
  • Etwas ausgeprägter ist die Differenz in der Kategorie Mischen sich ein: 7, 6 Prozent der Schülerinnen und 4,9 Prozent Schüler der kennzeichnen das Verhalten der Lehrpersonen in Situationen, in denen einzelne Schüler von eine Clique schikaniert werden, als Einmischung. Beinahe genau die umgekehrte Verteilung findet sich bei der Kategorie Ergreifen Partei.

Abb. 1: Das Verhalten von Lehrpersonen aus der Sicht weiblicher (n=1496) bzw. männlicher (n=775) JugendlicherAbb. 1: Das Verhalten von Lehrpersonen aus der Sicht weiblicher (n=1496) bzw. männlicher (n=775) Jugendlicher

In der Studie von van Buer und Matthäus (2001) wird berichtet, dass Auszubildende in Bezug auf formale und inhaltliche Aspekte der unterrichtlichen Kommunikation unterschiedlich lernförderliche Lernumgebungen vorfinden: Lehrpersonen kommunizieren in Klassen mit Bankkaufleuten lernförderlicher als in jenen mit Einzelhandelskaufleuten. Entsprechend könnte angenommen werden, dass sich auch im Umgang mit Konflikten in der Klasse Unterschiede zeigen.

Der nachfolgenden Grafik lässt sich entnehmen, dass zwischen den beiden ausgewählten Ausbildungsberufen das Muster der Verteilung nicht grundlegend aufgelöst wird: Höchstens 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler geben an, keine Erfahrung mit Schikanen von Schülern durch Mitschüler zu haben. Darüber hinaus zeigt sich, dass – unabhängig vom Ausbildungsberuf – ein Lehrerverhalten dominiert, das die Jugendlichen als Ignorieren/ Abschotten beschreiben und die Möglichkeiten des Vermittelns aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler vergleichsweise wenig genutzt werden. Trotz der Stabilität dieses Grundmusters finden sich Hinweise, dass innerhalb der Kategorien Ignorieren die Situation/ Schotten sich ab und Vermitteln die Beschreibungen des Verhaltens der Lehrpersonen tendenziell unterschiedlich ausfallen: Auszubildende zur Bankkauffrau/ zum Bankkaufmann sehen im Vergleich zu den Einzelhandelskaufleuten etwas häufiger Verhaltensweisen, die der ersteren Kategorie zugehören und etwas weniger solche, die als Vermitteln zu kennzeichnen sind.

Abb. 2:	Das Verhalten von Lehrpersonen aus der Sicht von angehenden Bankkaufleuten (n=458) bzw. Einzelhandelskaufleuten (n=341)Abb. 2: Das Verhalten von Lehrpersonen aus der Sicht von angehenden Bankkaufleuten (n=458) bzw. Einzelhandelskaufleuten (n=341)

Das aus der Beschreibung des Verhaltens der Lehrpersonen resultierende Grundmuster weist deutliche Unterschiede auf zu den Vorstellungen der Jugendlichen, wie ihre Lehrerinnen und Lehrer solchen Situationen begegnen sollten. Auf die Frage, wie sich die ideale Lehrperson in der beschriebenen Situation (Clique schikaniert einzelne Schüler) verhalten sollte, verteilen sich die Antworten wie folgt: Heraushalten 16,5 Prozent, Vermitteln 77,2 Prozent und Partei ergreifen 6,3 Prozent; die Antworten der weiblichen und männlichen Jugendlichen unterschieden sich dabei nicht.

Diese Befunde spiegeln die Wahrnehmungen und Interpretationen der Schülerinnen und Schüler, sie enthalten keine Informationen zu den Intentionen der Lehrpersonen. So ist denkbar, dass die Lehrerinnen und Lehrer sich heraushalten, um den Jugendlichen die Chance zu geben, selbst eine Lösung für die Konflikte zu finden. Andererseits ließe sich ihr Verhalten aber auch als Versuch interpretieren, sich den Schwierigkeiten zu entziehen, die mit einem Engagement in die Konfliktbearbeitung verbunden sind. Das erstere Motiv könnte zu einer Überforderung der Jugendlichen führen, das letztere zu einer eingeschränkten Umsetzung des gesellschaftlichen Auftrags an die Schulen.

In beiden Fällen bleiben – wenn auch nicht intendiert – Lernchancen ungenutzt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die ausbleibende explizite Kommunikation Raum lässt für unbeabsichtigte Botschaften: Die große Mehrheit der Jugendlichen vermutet nicht, dass ihnen die Lehrpersonen signalisieren, Zutrauen in ihre Fähigkeit zu haben, Konflikte fair zu bearbeiten; die wahrgenommene Botschaft lautet vielmehr, „wir interessieren uns nicht für eure Probleme“. Hier geht es also nicht um die Manifestation problematischer Interaktionsformen, wie sie z.B. von Chory-Assad & Paulsel (2004) in ihrer Studie untersucht wurden; das Problem liegt vielmehr in dem Nicht-Engagement, das von Seiten der Jugendlichen als aktives Abwenden interpretiert wird.

IV.

Mit der gruppenspezifischen Variation des fachlichen und sprachlichen Niveaus der unterrichtlichen Kommunikation, mit der anlassdominierten Zuweisung von Arbeitsaufgaben und dem Nicht-Engagement in kritischen sozialen Situationen werden Lerngelegenheiten markiert, an denen Ausbildungseinrichtungen die von ihnen angestrebten Wirkungen (unbeabsichtigt) schwächen, möglicherweise sogar konterkarieren. Während die Unterstützung der kognitiven Verarbeitungsprozesse im Allgemeinen (Merrill 2009) und die Bereitstellung entsprechender Lernumgebungen und Aufgabenformate im wirtschaftsberuflichen Unterricht (Aprea/Ebner/Müller 2010; Tramm/Krille,2013) in vielfältiger Weise untersucht und theoretisch sowie konzeptuell weiterentwickelt werden, finden Kommunikation und Interaktion in der Schule im Zusammenhang mit wirtschaftsberuflicher Kompetenzentwicklung vergleichsweise wenig Beachtung. Zwar finden wir vereinzelt die Beschäftigung mit Sprache im Kontext von Diversität und Heterogenität der Lernenden an beruflichen Schulen (Kimmelmann 2013), die Schule als wirtschaftspädagogisch relevanter sozialer Erfahrungsraum gerät dagegen kaum ins Blickfeld der Forschung bzw. der Konzeptualisierung von Lernumgebungen.

Unter Hinweis auf mehrere Autoren formulieren Jennings & Greenberg (2009) eine Art Rahmen-Agenda:

Over the past decade, multiple surveys indicate that educators, parents, and the public recognize the need for a broad educational agenda to not only improve academic performance but also to enhance students' social-emotional competence, character, health, and civic engagement (…). In addition to promoting students' academic achievement, this agenda focuses on helping students interact in socially skilled and respectful ways; practice positive, safe, and healthy behaviors; contribute ethically and responsibly to their peer group, family, school, and community; and possess basic competencies, work habits, and values as a foundation for meaningful employment and engaged citizenship (…).

In diesem Zusammenhang unterstreichen die beiden Autoren die Bedeutung der Aktivitäten von Lehrpersonen als Verhaltensmodell. Aufgrund der oben berichteten Befunde aus dem Survey zu den Wahrnehmungen von Schülerinnen und Schülern bezüglich des Verhaltens ihrer Lehrpersonen (Ignorieren die Situation/ schotten sich ab) ist anzunehmen, dass solche Situationen nicht nur nicht intentional als Lerngelegenheiten genutzt werden, sondern vielmehr ein problematisches Verhaltensmodell angeboten wird. Von den Jugendlichen empfangene Botschaften könnten sein:

  • es gibt für mich keinen Grund zu intervenieren, wenn ich sehe, dass es unfair zugeht
  • jene, die ihre Macht zum Schaden von anderen einsetzen, haben nichts zu befürchten
  • Regeln, Gesetze, Vereinbarungen haben wenig praktische Bedeutung
  • auch jene, die Möglichkeiten haben, die Einhaltung von Regeln anzumahnen oder durchzusetzen, tun dies nicht; zu groß sind die damit eventuell verbundenen Anstrengungen oder Unannehmlichkeiten
  • es ist in Ordnung, wenn jeder auf einen schnell erreichbaren Vorteil achtet, einer weiterreichenden Verantwortung bedarf es nicht.

Im Kontext wirtschaftsberuflicher Bildungsprozesse wären das fatale Botschaften. Wenn wirtschaftsberufliche Kompetenzentwicklung mehr umfassen soll, als die zunehmende technische Beherrschung der seitens der Wirtschaftswissenschaften bereitgestellten Instrumente, dann wird die Auseinandersetzung mit Fragestellungen dazu gehören, die sich mit Regeln für die Marktteilnahme beschäftigen. Es wird dabei um Fragen gehen, wozu Regeln erforderlich sind, wie sie zustande kommen und Akzeptanz finden können, was unternommen werden kann, um deren Einhaltung zu sichern. Es wird um die Erfordernis funktionierender Institutionen gehen (Acemoglu/Robinson 2012), um deren Legitimität und das grundsätzliche Vertrauen in deren Legalität.

In den Curricula für den Wirtschaftslehreunterricht an beruflichen Schulen sind viele dieser Themen explizit berücksichtigt. Der Erfahrungsraum Schule erschöpft sich jedoch nicht in den absichtsvoll gestalteten instruktionalen Arrangements. Botschaften gehen auch von den nicht intentional durchkomponierten (In-) Aktivitäten aus. Es ist nicht zuletzt das Verdienst von van Buer und Matthäus (2001) auf die unbeabsichtigt, ‚unter der Hand‘, veränderten Lerngelegenheiten hingewiesen zu haben.

Literatur

Acemoglu, D./Robinson, J. A. (2012): Why Nations Fail. The Origins of Power, Prosperity, and Poverty. New York.

Aprea, C./Ebner, H. G./Müller, W. (2010): „Ja, mach‘ nur einen Plan…“ Entwicklung und Erprobung eines heuristischen Ansatzes zur Planung kompetenzbasierter wirtschaftsberuflicher Lehr-Lern-Arrangements. In: Wirtschaft und Erziehung, 4, 91-99.

Chory-Assad, R. M./Paulsel, M. L. (2004): Antisocial classroom communication: Instructor influence and interactional justice as predictors of student aggression. In: Communication Quarterly, 52(2), 98-114, DOI: 10.1080/01463370409370184.

Cohen, J./Pickeral, T./McCloskey, M. (2008/2009): The Challenge of Assessing School Climate. In: Educational Leadership, 66 (4). Online: http://www.ascd.org/publications/educational-leadership/dec08/vol66/num04/toc.aspx(13.03.2016).

Jennings, P. A./Greenberg, M. T. (2009): The Prosocial Classroom: Teacher Social and Emotional Competence in Relation to Student and Classroom Outcomes.In: Review of Educational Research, 79 (1), 491-525.

Kimmelmann, N. (2013): Sprachsensible Didaktik als diversitäts-gerechte Weiterentwicklung einer Didaktik beruflicher Bildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 24, 1-21. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe24/kimmelmann_bwpat24.pdf (10.04.2016).

Klieme, E./Steinert, B. (2008): Schulentwicklung im Längsschnitt: Ein Forschungsprogramm und erste explorative Analysen. In: Prenzel, M./Baumert, J. (Hrsg.): Vertiefende Analysen zu PISA 2006. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft – Sonderheft 10, 221-238.

Merrill, M. D. (2009). First Principles of Instruction. In: Reigeluth, C. M./Carr, A. (Eds.): Instructional Design Theories and Models: Building a Common Knowledge Base (Vol. III). New York.

Rausch, A. (2013): Task Characteristics and Learning Potentials – Empirical Results of Three Diary Studies on Workplace Learning. In: Vocations and Learning, 6, 55–79.

Tramm, T./Krille, F. (2013): Planung des Lernfeldunterrichtes im Spannungsfeld von Geschäftsprozessorientierung und lernfeldübergreifender Kompetenzentwicklung – Das Hamburger Konzept kooperativer curricularer Entwicklungsarbeit. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 24, 1-24. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe24/tramm_krille_bwpat24.pdf (10.04.2016).

van Buer, J./Mattäus, S. (2001): Die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz und des kommunikativen Handelns Jugendlicher in der kaufmännischen Erstausbildung. In: Beck, K./Krumm, V. (Hrsg.): Lehren und Lernen in der beruflichen Erstausbildung. Opladen, 187-208.

Watzlawick, P./Beavin, J. H./Jackson, D. D. (2007): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 11., unveränd. Aufl. Bern, 53-70.

Zitieren des Beitrags

Ebner, H. G. (2016): Lerngelegenheiten: Analysen des Angebots. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädago­gik – online, Profil 4: Kompetenzentwicklung im wirtschaftspädagogischen Kontext: Programmatik – Modellierung – Analyse. Digi­tale Festschrift für SABINE MATTHÄUS, 1-10. Online: http://www.bwpat.de/profil4/ebner_profil4.pdf (09-09-2016).