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bwp@ Spezial 16 - November 2019
Berufsfelddidaktik in der Schweiz: internationale Einbettung, Ausdifferenzierung und konkrete Umsetzung
Hrsg.:
&Berufs(feld)spezifische Didaktik oder generelle Didaktik der beruflichen Bildung? Konzeptionelle Positionen in der didaktischen Ausbildung von Berufskundelehrpersonen
Die hohe Anzahl beruflicher Grundbildungen erschwert es, analog zur Fachdidaktik berufsspezifische Didaktiken anzubieten. Als mögliche Lösung könnten ähnliche Berufe in übergeordneten Berufsfeldern zusammengefasst werden. In der Folge um die Diskussion und Umsetzung solcher Berufsfelder hat sich der Begriff der Berufsfelddidaktik in der Schweiz als organisatorisches Phänomen in der curricularen Planung und Umsetzung der Ausbildung von Berufskundelehrpersonen in manchen Ausbildungsinstitutionen etabliert. Eine Befragung von Dozierenden und Studiengangleitenden in Schweizer Ausbildungsinstitutionen verdeutlicht, dass sich in der Praxis zwei gegensätzliche Standpunkte im Verständnis und in der Organisation der didaktischen Ausbildung von Berufskundelehrpersonen ausmachen lassen. Diese sind je nach Ausbildungsinstitution und regionalem Studiengang verschieden. Auf der einen Seite wird die Position vertreten, dass es für das Lehren und Lernen eines Berufes grundsätzlich ein individuelles Vorgehen braucht und dass ähnliche Berufe sowohl inhaltliche als auch methodisch-didaktische Schnittpunkte aufweisen, was für die erwähnte spezifische Didaktik der jeweiligen Berufsfelder spricht. Auf der anderen Seite wird postuliert, dass es nur eine einheitliche Didaktik der beruflichen Bildung braucht, welche die verbindenden Eigenheiten des Berufsbildungssystems, wie z. B. die Förderung der Handlungskompetenz in konkreten Situationen, im Blick hat.
1 Einleitung
In der Schweiz gibt es rund 230 verschiedene berufliche Grundbildungen in unterschiedlichen Branchen. Der überwiegende Teil der Ausbildungsprogramme ist dual aufgebaut und findet einerseits in der Berufsschule (1-2 Tage der Woche) und andererseits im Rahmen der berufspraktischen Ausbildung im Betrieb (3-4 Tage der Woche) statt. Zudem gibt es überbetriebliche Kurse, die je nach Beruf in Blockkursen oder Einzeltagen verteilt über die Ausbildungszeit erfolgen. Im vorliegenden Beitrag steht die Frage nach der Ausgestaltung der Didaktik des beruflichen Unterrichts an Berufsschulen für die verschiedenen beruflichen Grundbildungen aus Sicht der Ausbildungsinstitutionen im Zentrum. Didaktik wird hierbei in Anlehnung an Heursen (1989) in einem umfassenden Sinne als wissenschaftliche Reflexion des Lehrens und Lernens verstanden und befasst sich mit Prinzipien, Strukturmomenten sowie der Institutionalisierung organisierten Lehrens und Lernens. Bisher haben sich berufliche Fachdidaktiken analog der Fachdidaktiken der allgemeinbildenden Schulen für die einzelnen Berufe nicht formal etablieren können. In Forschungsarbeiten im Bereich der höheren Berufsbildung in der Schweiz stößt man in diesem Zusammenhang anstelle dessen auf den Begriff der Berufsfelddidaktik (Rosen/Schubiger 2013). Berufsfelddidaktik meint hierbei eine Didaktik für verschiedene „verwandte“ Berufe, die in einem Berufsfeld zusammengefasst werden, wobei prinzipiell unterschiedliche Kriterien wie das Arbeitsgebiet oder die Branchenzugehörigkeit zur Anwendung kommen können (Häfeli/Wild-Näf/Elsässer 2001). Durch die Zusammenfassung kann die Anzahl beruflicher Fachdidaktiken reduziert werden, indem nur noch für je eine Gruppe von Berufen eine Fachdidaktik erarbeitet wird. Solche Berufsfelddidaktiken sind jedoch nicht flächendeckend ausgearbeitet. Im deutschen Sprachraum lässt sich nur für die Berufsfelder Wirtschaft und Verwaltung (z. B. Euler/Hahn 2007), Pflege (z. B. Ertl-Schmuck/Fichtmüller 2009) sowie Metalltechnik (z. B. Schütte 2006) eine weitgehend ausgearbeitete Fachdidaktik ausmachen. Das Konzept der Berufsfelddidaktik zu verwenden macht dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass es für unterschiedliche Berufe prinzipiell eine spezifische Fachdidaktik braucht. Würde man Berufsfelddidaktiken ausarbeiten, könnte man zu einem gewissen Grad den spezifischen Herausforderungen des Lehrens und Lernens in den einzelnen Berufen/Berufsfeldern gerecht werden. Gewissen Argumentationen in der Fachliteratur folgend kann grundsätzlich infrage gestellt werden, ob es solche spezifischen beruflichen Fachdidaktiken überhaupt braucht (z. B. Pastré 2011b). Vertreter dieses Standpunktes postulieren, dass eine allgemeine berufliche Fachdidaktik ausreicht, welche das Lernen eines Berufes sowie damit verbundene generelle Anforderungen prinzipiell zum Thema macht. Es wird also davon ausgegangen, dass das berufliche Lernen in seiner Eigenart berücksichtigt werden muss, beispielsweise wie man im Unterricht einen Bezug zu den Erfahrungen der Lernenden in der Berufspraxis herstellen kann. Folglich stellt sich die grundsätzliche Frage, inwiefern berufliche Fachdidaktik nach Berufen spezifisch zu konzeptualisieren ist, oder inwiefern berufliche Fachdidaktik generell-übergreifender Natur ist.
Dieser Frage geht der folgende Beitrag nach. Nach einer knappen Darstellung der Ausbildung von Berufskundelehrpersonen in der Schweiz werden theoretisch-konzeptionelle Didaktik-Ansätze des beruflichen Unterrichts dargestellt. Anschließend werden die konkreten Fragestellungen sowie die Methodik der vorliegenden Interviewstudie erläutert und die Ergebnisse der Befragung von Dozierenden und Studiengangleitenden in Schweizer Ausbildungsinstitutionen dargestellt. Der Beitrag endet mit zusammenfassenden und vorausblickenden Schlussfolgerungen.
2 Kontext der Berufskundelehrpersonenausbildung in der Schweiz
Die Ausbildung zur Berufskundelehrperson kann in der Schweiz an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen oder dem Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) absolviert werden. Um die Ausbildung zur Berufskundelehrperson beginnen zu können, muss der höchste im jeweiligen Beruf existierende Abschluss auf Stufe Tertiär B vorgewiesen werden – beispielsweise eine höhere Fachprüfung oder eine Meisterprüfung. Es gibt auch Quereinsteiger in den Lehrberuf, nämlich Personen, die ein Universitäts- oder Fachhochschul-Studium in einem dem Beruf verwandten Fachbereich abgeschlossen haben (Novak 2018). Studierende müssen vor Studienbeginn bereits an einer Berufsschule als Lehrperson angestellt sein. Die Ausbildung erfolgt berufsbegleitend und ist vergleichsweise kurz (60 ECTS). Der schweizweit verbindliche Rahmenlehrplan für Berufsbildungsverantwortliche gibt für die Ausbildung von Berufskundelehrpersonen folgendes Bildungsziel zur Erarbeitung der Fachdidaktik der Berufe vor: „Die Inhalte des Lehrfaches theoretisch durchdringen und fachdidaktisch aufbereiten“; „Reflexion der spezifischen Inhalte des eigenen Berufes, der berufspädagogisch-theoretischen Denkweise und der fachdidaktischen Umsetzung“ (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI 2015, 29). Die Studiengänge zur Ausbildung von Berufskundelehrpersonen werden nach den Vorgaben des Rahmenlehrplans an den Lehrerbildungsinstitutionen individuell konzipiert. Um die Vorgaben des Bildungsplans zu erfüllen, muss in einem Modul, bzw. in einem Teil der Ausbildung für Berufskundelehrpersonen im Sinne des oben erwähnten Bildungsziels die Fachdidaktik der Berufe erarbeitet werden. Wie diese Fachdidaktik der Berufe erarbeitet wird, ist curricular nicht vorgegeben. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Herausforderungen. Erstens gibt das Bildungsziel vor, dass eine berufliche Fachdidaktik vermittelt werden soll, jedoch sind solche Fachdidaktiken für die meisten Berufe nicht ausgearbeitet. Was inhaltlich in diesem Modul also vermittelt wird, muss in den Ausbildungsinstitutionen weitestgehend selbst (z. B. durch die Dozierenden) entwickelt werden. Die zweite Herausforderung ist in der Tatsache zu sehen, dass an einer Ausbildungsinstitution Studierende aus ganz unterschiedlichen Berufen die Ausbildung zur Berufskundelehrperson absolvieren. Es müssen also viele verschiedene Fachdidaktiken vermittelt werden können, wobei die Studiengruppen jedes Jahr je nach Nachfrage in ihrer Zusammensetzung variieren.
3 Konzeptionelle Ansätze didaktischen Handelns in der beruflichen Bildung
Im Kontext der Berufsbildung mit Blick auf den beruflichen Unterricht lassen sich zwei Grundtendenzen didaktischer Modellansätze mit unterschiedlicher Reichweite eruieren, die sich gegenseitig nicht ausschließen, jedoch sinnvoll ergänzen lassen: allgemeine, berufsübergreifende sowie berufs- bzw. berufsfeldspezifische didaktische Ansätze. Sie unterscheiden sich in der Perspektive auf die beruflichen Lehr-Lernprozesse, basieren auf verschiedenen Lehr-Lernparadigmen und sind aus spezifischen sprachlich-kulturellen Traditionen heraus entstanden.
3.1 Allgemeine, berufsübergreifende didaktische Ansätze
Den berufsübergreifenden didaktischen Ansätzen ist die berufspädagogische Orientierung insofern gemeinsam, als dass meist berufliche sowie damit verbundene generelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Anforderungen im Fokus stehen (Nickolaus 2014). Es wird davon ausgegangen, dass sich über die Didaktiken der verschiedenen beruflichen Fachrichtungen und Berufe ein einheitlicher Kern identifizieren lässt, der als Bestandteil einer Didaktik beruflicher Bildung und somit als gemeinsamer Bezugsrahmen bezeichnet werden kann. Die einzelnen Ansätze lassen sich prinzipiell danach klassifizieren, welchen Stellenwert den drei Gestaltungsprinzipien „Wissenschaftsprinzip“, „Persönlichkeitsprinzip“ sowie „Situationsprinzip“ zugesprochen wird (Nickolaus 2014). Nach dem Wissenschaftsprinzip erfolgen die Auswahl, die Begründung und die Strukturierung der Themen und Kompetenzen entsprechend den Inhalten und deren Struktur in den Bezugswissenschaften. Das Persönlichkeitsprinzip orientiert sich an normativen Vorstellungen über die gebildete Person, wie beispielsweise dem kompetenten Staatsbürger/der kompetenten Staatsbürgerin. Die Bedürfnisse des Individuums sowie die Persönlichkeitsentwicklung bestimmen die Auswahl von Lerninhalten. Beim Situationsprinzip folgt die didaktische Planung der Struktur der Praxis, die Lebenswirklichkeit der Lernenden wird in Form von konkreten Lebenssituationen zum Bezugspunkt des Unterrichts gemacht (Reetz 1984).
Im berufspädagogischen Diskurs des deutschen Sprachraumes lassen sich gemäß Nickolaus (2014) fünf große berufsübergreifende didaktische Ansätze ausmachen:
Ansätze der didaktischen Reduktion orientieren sich in der Auswahl, Strukturierung und Aufbereitung der Lerninhalte an den Fachwissenschaften: Vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Wissens erfolgt eine Sachanalyse, welche den Forschungsstand, die theoretischen Grundlagen sowie offene Fragestellungen aufbereitet. Auf dieser Basis erfolgt die didaktische Analyse, wobei die Inhalte im Hinblick auf die konkrete Unterrichtsplanung festgelegt, begründet und strukturiert werden. Die Absicht ist es, eine reduzierte, auf die kognitiven Voraussetzungen und Lebenswelten der Lernenden abgestimmte Sachstruktur herauszuarbeiten. Diese didaktische Analyse des Lerninhaltes erfolgt typischerweise anhand Klafkis Grundfragen der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung für die Lernenden, der exemplarischen Bedeutung, der thematischen Strukturierung sowie der Zugänglichkeit für die Lernenden (Klafki 1991). In den Ansätzen der didaktischen Reduktion nimmt folglich das Wissenschaftsprinzip einen zentralen Stellenwert ein. Legitimiert wird dieser Zugang aufgrund der Tatsache, dass der Alltag immer stärker durch die Wissenschaft geprägt werde und deshalb das wissenschaftlich orientierte Begründungswissen des Handelns zentral sei (Nickolaus 2014). Zudem gehen Vertreter von Ansätzen didaktischer Reduktion von einer gemeinsamen Basis an Berufswissen von Akademikern und Facharbeitern desselben Fachbereichs aus, auch wenn Erstere in ihrem Berufsalltag über differenzierteres fachwissenschaftliches Grundwissen verfügen müssen (Grüner 1978). Hauptkritikpunkte an den Ansätzen didaktischer Reduktion sind die Vernachlässigung praktischer Handlungssituationen und lehr-lernmethodischer Überlegungen (z. B. Motivation) (Drechsel/Gronwald/Voigt 1981) sowie die begrenzte Brauchbarkeit zur Entwicklung von berufsrelevanter Handlungsfähigkeit aufgrund der Trägheit des wissenschaftlichen Wissens (Renkl 1996).
Der gestaltungsorientierte Ansatz wurde von Felix Rauner (1986) am Beispiel der Elektrotechniklehre entwickelt. Der Ansatz weist jedoch über dieses Anwendungsfeld hinaus eine Relevanz auf (Nickolaus 2014). Rauner vertritt dabei die Ansicht, dass Technik nicht nur in ihrer technisch-funktionalen Bedeutung unterrichtet, sondern der übergreifende Kontext einbezogen werden soll. Dabei sollen unter anderem gesellschaftliche und arbeitsorganisatorische Absichten und Folgen thematisiert werden (Nickolaus 2014). Die Dimensionen einer sogenannten erweiterten Techniklehre umfassen die Technologie (Aufbau und Funktion der Elektrotechnik), die gesellschaftliche Arbeit (Einsatz im Arbeitsprozess, Einflüsse auf die Produktivität), der Gebrauchswert (individueller und gesellschaftlicher Nutzen), die Ökologie (Folge der Elektrotechnik für die Umwelt) sowie die historische Entwicklung (Entwicklung gesellschaftlicher Interessen und Kräfte) (Rauner 1986). Die Festlegung des relevanten Wissens geschieht auf Basis einer Analyse des konkreten Arbeitsprozesses. Das Situationsprinzip ist somit das dominante Gestaltungselement. Am gestaltungsorientierten Ansatz wird unter anderem ausgesetzt, dass die Anreicherung der curricularen Struktur zu deutlich geringeren Zeitkontingenten für die Auseinandersetzung mit Vertiefungswissen führt (Nickolaus 2014).
Das Konzept der Schlüsselqualifikationen hat seinen Ursprung in der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der 1970er Jahre und erfuhr ab Mitte der 1980er Jahre in der berufspädagogischen Praxis der deutschsprachigen Länder eine breite Resonanz (Nickolaus 2014). Entwickelt wurde das Konzept von Dieter Mertens, dessen Absicht es war, Jugendlichen jene Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die es ihnen erlauben, künftige, nicht absehbare berufliche Herausforderungen zu bewältigen (Mertens 1974). Mertens fasste unter Schlüsselqualifikationen folglich jene allgemeinen und übergreifenden Kenntnisse und Fähigkeiten zusammen, die nicht in einem unmittelbaren und begrenzten Bezug zu einer bestimmten beruflichen Tätigkeit stehen, sondern für eine Vielzahl von Tätigkeiten und für die Bewältigung von sich ändernden Anforderungen im Verlaufe des Lebens nutzbar gemacht werden können (Nickolaus 2014). Die Schlüsselqualifikationen sind gemäß Mertens weitgehend situationsunabhängig und die Handlungsfähigkeit wird primär durch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften geprägt, was die Dominanz des Persönlichkeitsprinzips begründet. Mertens definiert folgende vier Typen von Schlüsselqualifikationen: (1) Basisqualifikationen als Qualifikationen höherer Ordnung wie beispielsweise logisches oder kritisches Denken, (2) Horizontalqualifikationen zur effizienten Nutzung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen, (3) Breitenelemente als zwar spezifische, aber auf breiter Ebene erforderliche Qualifikationen wie zum Beispiel Messtechnik und (4) Vintage-Faktoren wie EDV-Kenntnisse, die durch Innovationen hervorgebrachte Qualifikationsdifferenzen überbrücken sollen (Nickolaus 2014). Reetz (1990) systematisierte die einzelnen Schlüsselqualifikationen neu und in der Folge entstanden zahlreiche Modelle, in welchen man das Konzept bereichsspezifisch konkretisierte. Kritisiert wird am Konzept der Schlüsselqualifikationen hauptsächlich, dass übergreifende Qualifikationen nur schlecht in konkrete berufliche Anwendungssituationen übertragen werden können. Zudem wird die Existenz übergreifender, in allen möglichen Situationen einsetzbaren Qualifikationen in Frage gestellt (Nickolaus 2014).
Ausgehend von der zunehmend geforderten Selbstständigkeit in der Arbeitswelt sowie von Erkenntnissen zu Problemen der Nutzbarmachung von schulisch erworbenem Wissen in praktischen Handlungssituationen ist das Konzept der Handlungsorientierung seit den 1990er Jahren der dominante bereichsübergreifende Ansatz in der beruflichen Bildung der deutschsprachigen Länder und impliziert einen Vorrang des Situationsprinzips. Leitziel bildet die berufliche Handlungskompetenz, die sich aus den vier Kompetenzdimensionen „Fachkompetenz“, „Sozialkompetenz“, „Methodenkompetenz“ und „personale Kompetenz“ konstituiert (Nickolaus 2014). Das Konzept der Handlungsorientierung lässt sich sowohl auf die curriculare als auch die unterrichtliche Ebene anwenden. Zur Umsetzung eines handlungsorientierten Unterrichts formulierte die KMK sechs Orientierungspunkte: Zum einen bilden die für die Berufsausübung bedeutsamen Situationen die didaktischen Bezugspunkte. Zum anderen stellen selbst ausgeführte oder gedanklich nachvollzogene vollständige Handlungen den Ausgangspunkt des Lernens dar. Sie sollen ein umfassendes Erfassen der beruflichen Wirklichkeit fördern, indem sie beispielsweise ökonomische, ökologische, rechtliche und soziale Aspekte berücksichtigen. Schließlich müssen Handlungen einen Bezug zu den Erfahrungen der Lernenden ermöglichen und die Erfahrungen in Bezug auf deren gesellschaftliche Auswirkungen reflektieren. Handlungen sollen zudem auch soziale Prozesse, wie zum Beispiel die Konfliktbewältigung miteinbeziehen (KMK 2018). Gemäß Nickolaus (2014) zeichnet sich handlungsorientierter Unterricht dadurch aus, dass er vollständige Handlungen (Planung, Durchführung, Kontrolle) umfasst, der Lernprozess selbstgesteuert und alltagsrelevant ist.
Empirische Untersuchungen über handlungsorientierten Unterricht zeigten, dass die bis anhin bestehenden Lehrpläne ungenügend waren. In der Folge entwickelte die KMK Rahmenlehrpläne, die das berufliche Lernen in der Schule nicht mehr in herkömmlichen Fächern, sondern in inhaltlich zusammengehörenden, thematisch gegliederten Lernfeldern strukturierten (Tenberg 2006). Bader (2003) beschreibt Lernfelder als didaktisch reflektierte berufliche Handlungsfelder, die für den berufsschulischen Unterricht in spezifische Lernsituationen übertragen werden können. In einem ersten Schritt ist es zunächst nötig, die betriebliche Realität zu erfassen und zu beschreiben. Dazu muss im unmittelbaren Kontakt mit entsprechenden Betrieben ein Profil der Arbeitsprozesse und Tätigkeiten eines Berufs ermittelt werden, um konkrete berufliche Aufgabenstellungen beziehungsweise Handlungssituationen zu entwickeln. Kritiker des Lernfeldkonzepts monieren, dass durch die Fokussierung auf berufliche Situationen und die Vernachlässigung des Wissenschaftsprinzips nur ungenügend systematisches Fachwissen ausgebaut werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die einseitige Auslegung des Bildungsauftrages von Berufsschulen auf betriebliche Anforderungssituationen (Nickolaus 2014).
Neben diesen fünf großen didaktischen Ansätzen lassen sich im berufspädagogischen Diskurs verschiedene berufsübergreifende didaktische Modelle ausmachen, die sich am Situationsprinzip orientieren und sich durch konkrete Hinweise zur Gestaltung von Lernumgebungen charakterisieren lassen (vgl. zusammenfassend z. B. Mandl/Kopp/Dvorak 2004). Die bekanntesten Modelle sind Cognitive Apprenticeship (Collins/Brown/Newman 1989), Anchored Instruction (Cognition and Technology Group at Vanderbilt 1991), Cognitive Flexibility (Spiro et al. 1989) und das Problemorientierte Lernen (Reinmann-Rothmeier/Mandl 1997).
Im französischsprachigen Kontext lassen sich ebenfalls Ansätze ausmachen, die einer berufsübergreifenden didaktischen Perspektive zugeordnet werden können. Sie entstammen dem Kontext der Arbeitspsychologie. Ihr grundlegendes Erkenntnisinteresse ist die Kompetenzentwicklung, beziehungsweise die Förderung der Professionalität von Arbeitnehmenden (Le Boterf 2000). Professionell ist gemäß Le Boterf (2000) jene Person, die in der Lage ist, über die Umsetzung von vorgegebenen Standards und Verfahren hinaus in einem komplexen und unsicheren Arbeitsumfeld zu handeln, indem sie an das spezifische Umfeld adaptierte Eigeninitiative zeigt. Diese Professionalität entwickelt sich nicht durch Vermittlung von Fachwissen, sondern hauptsächlich durch die Erfahrung sowie deren Reflexion und Analyse. Zwei zentrale Bestandteile der professionellen Entwicklung sind die Arbeitsanalyse und der Ansatz des Lernens in Situationen, die beide das Situationsprinzip ins Zentrum stellen.
Die Arbeitsanalyse bildet den ersten wichtigen Schritt bei der Förderung der Professionalität, indem beispielhafte oder bezeichnende Tätigkeiten eines Berufes bestimmt und analysiert werden (Pastré 2002). Die Arbeitsanalyse hat dabei eine Doppelfunktion. Einerseits ist sie eine Voraussetzung für jede berufliche Ausbildung, da sie dafür sorgt, dass die Ausbildungsinhalte genau auf das entsprechende Berufsfeld abgestimmt werden. Durch die Identifizierung und die Beobachtung der typischen beruflichen Tätigkeiten und der zu deren Bewältigung notwendigen Kompetenzen wird dem/der Lernenden andererseits bewusst, was von einer Fachperson im entsprechenden Beruf erwartet wird. Die Lernenden haben zudem die Möglichkeit, die Tätigkeiten und Kompetenzen anhand von gesellschaftlich anerkannten beruflichen Normen zu beurteilen. Dadurch unterstützt die Arbeitsanalyse die Aneignung und die Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen (Pastré 2002, 2011a).
Berufliche Tätigkeiten entfalten sich in einer Vielzahl spezifischer Situationen. Aus didaktischer Sicht sind jene Situationen von Interesse, die ein zu lösendes Problem umfassen und besonders bedeutsam und wichtig sind, um den Beruf zu verstehen und ausüben zu können (Maubant 2013). Der Ansatz des Lernens in Situationen geht von einem konstruktivistischen Lernverständnis aus. Er postuliert, dass Lernen nicht durch die Vermittlung von Fachwissen, sondern durch die direkte Erfahrung und eigenes Handeln in diesen konkreten Situationen geschieht (Pastré 2011b). Durch das konkrete Handeln machen Lernende immer wieder neue Erfahrungen in sich verändernden Situationen. Die Reflexion und Analyse dieser Erfahrungen mit Hilfe von Lehrpersonen oder Berufsbildenden im Sinne einer systematischen Verarbeitung des Erlebten führt dazu, dass berufliche Expertise sowie ein eigener beruflicher Stil mit individuellen Normen und Werten aufgebaut werden kann (Ghisla/Boldrini/Bausch 2014).
3.2 Berufs- bzw. berufsfeldspezifische didaktische Ansätze
In der didaktischen Forschung im deutschen Sprachraum dominiert aktuell nach wie vor die Auffassung, dass Didaktik sowie deren Erforschung domänenspezifisch erfolgen soll (vgl. z. B. Nickolaus 2014). Das bedeutet, dass für die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen in den einzelnen Berufsfeldern je eigene theoretische Modelle entwickelt und überprüft werden müssen. Deutlich wird dies unter anderem in der Übersicht zu Fachdidaktiken des beruflichen Lernens von Bonz und Ott (1998). In ihrer einschlägigen Übersicht nehmen die Autoren je eigene Beiträge zu den Fachdidaktiken Elektrotechnik, Bau, Holz- und Gestaltungstechnik, Wirtschaft und Verwaltung, Ernährung und Hauswirtschaft, Pflege, Gesundheit und Kosmetologie sowie Sozialpädagogik auf. Die Fachdidaktik der Berufsfelder ist ein Oberbegriff für spezifische didaktische Konzeptionen der einzelnen Berufsfelder. Im Gegensatz zu den fachwissenschaftlich ausgerichteten Fachdidaktiken allgemeinbildender Unterrichtsfächer orientieren sich qualifikationsorientierte Fachdidaktiken der Berufsfelder in erster Linie an den beruflichen Anforderungen und Tätigkeitsfeldern ihres Berufsfeldes. Grundsätzlich sind berufsfeldspezifische Ansätze mikrodidaktisch orientiert (Bonz 1998, Riedl 2011).
Die unterschiedlichen Berufsfelddidaktiken haben sich jedoch bezüglich der Gegenstandsauffassungen sowie weiteren paradigmatischen und methodologischen Orientierungen sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die einschlägigen Diskurse finden dabei hauptsächlich abgegrenzt innerhalb der jeweiligen Fachrichtungen an den universitären Lehrstühlen statt (Tramm/Casper/Schlömer 2018). Ausgearbeitete berufsfeldspezifische Didaktiken liegen vor allem für die Wirtschaftsdidaktik (vgl. z. B. Achtenhagen 1984, Euler/Hahn 2007), die Pflegedidaktik (vgl. z. B. Ertl-Schmuck/Fichtmüller 2009, Müggler 1982) und die Fachdidaktik der Metalltechnik (vgl. z. B. Bader/Bonz 2001, Schütte 2006) vor. In aktuellen Übersichten zur Pflegedidaktik, Technikdidaktik und Wirtschaftsdidaktik wird hauptsächlich an die zuvor erwähnten berufsfeldübergreifenden Konzepte der Lernfelder und der Handlungsorientierung angeknüpft und für den jeweiligen Kontext ausdifferenziert. In der Wirtschaftsdidaktik wird in Ergänzung dazu auf Ansätze aus der Instruktionspsychologie rekurriert, in welchen die effektive Gestaltung von Lehr-Lernprozessen im Vordergrund steht.
Berufsfeldspezifische Didaktiken beziehen sich grundsätzlich auf betriebliche und schulische Lernorte, betreffen aber hauptsächlich die Berufsschulen. Gemäß Häfeli/Wild-Näf/Elsässer (2001) stellen sich auf der Ziel-, Inhalts- und Methodenebene folgende Aufgaben an die Berufsfelddidaktiken: (1) Die Voraussetzungen der Lernenden in den Vordergrund stellen, (2) die Eigenverantwortlichkeit, Flexibilität und Mobilität der Lernenden entwickeln und fördern helfen, (3) eine Offenheit bezüglich der Interessen der Lernenden sicherstellen, (4) individuelle und gesellschaftliche Anforderungen abwägen, (5) Möglichkeiten der Gestaltbarkeit der Arbeit im Berufsfeld aufzeigen, (6) Berufs-, Berufsfeld- und Lebensorientierung gewährleisten, (7) Berufsarbeit, Methoden, Prozesse und Verfahren im Berufsfeld thematisieren sowie (8) eine über den einzelnen Beruf hinausgehende Handlungskompetenz vermitteln.
4 Methodik
In den folgenden Abschnitten wird das Vorgehen in der Befragung der Dozierenden und Studiengangleitenden sowie das Vorgehen in der Datenauswertung beschrieben. Die Interviewstudie wurde im Rahmen des ersten Projektjahres des Leading Houses „Berufsfelddidaktik in der Schweiz: Aufbau der wissenschaftlichen Kompetenzen“ durchgeführt. Beim Leading House handelt es sich um ein Kooperationsprojekt des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung (EHB) (Projektleitung), der Pädagogischen Hochschulen Luzern, St. Gallen und Zürich sowie der Universität Zürich. Das Leading House wird durch swissuniversities teilfinanziert und läuft von Januar 2017 bis Dezember 2020.
4.2 Fragestellungen
Weil bisher in der Schweiz (noch) keine verbindlichen Richtlinien existieren, wie eine berufliche Fachdidaktik ausgestaltet ist und wie diese im beruflichen Unterricht an Berufsschulen vermittelt werden soll, findet sich an den verschiedenen Ausbildungsinstitutionen für Berufsschullehrpersonen eine breite Palette an Umsetzungsformen. Die Umsetzungen sind heterogen hinsichtlich der Inhalte sowie des Verständnisses zur Konzeption der beruflichen Fachdidaktik. Sie unterscheiden sich ebenfalls hinsichtlich ihrer organisatorischen Gestaltung, bzw. wie berufliche Fachdidaktiken für die verschiedenen in der Studierendengruppe vertretenen Berufe vermittelt werden.
Die heterogenen Konzeptionen und Umsetzungen werden vor dem Hintergrund des Forschungsinteressens, inwiefern berufliche Fachdidaktik nach Berufen spezifisch oder übergreifend-genereller Natur ist, analysiert. Dabei sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden:
- Welche konzeptionellen Zugänge von beruflicher Fachdidaktik lassen sich an den verschiedenen Ausbildungsinstitutionen für Berufskundelehrpersonen in der Schweiz ausmachen?
- Welche Begründungsmuster finden sich für eine spezifische oder allgemeine berufliche Fachdidaktik?
- Wie werden spezifische berufliche Fachdidaktiken oder eine allgemeine berufliche Fachdidaktik in den Ausbildungsinstitutionen umgesetzt?
4.3 Datenerhebung
Die Datenerhebung erfolgte in den vier folgenden Ausbildungsinstitutionen für Berufsschullehrpersonen: Pädagogische Hochschule Luzern, Pädagogische Hochschule St. Gallen, Pädagogische Hochschule Zürich und Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB) mit den drei Standorten Zollikofen, Lausanne und Lugano. Befragt wurden einerseits Dozierende, die Berufskundelehrpersonen in berufsbegleitender Ausbildung unterrichten. Dabei handelt es sich um Dozierende des Moduls beruflicher Fachdidaktik/Didaktik der Berufskunde (Modulname variiert je nach Ausbildungsinstitution). Andererseits wurden Studiengangleitende befragt, die für die Konzeptualisierung dieser Module verantwortlich sind.
In den vier Institutionen wurden total 17 Personen befragt: Am EHB in Zollikofen, Lausanne und Lugano insgesamt vier Studiengangleitende und fünf Dozierende, an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen je ein Studiengangleiter und ein Dozent, an der Pädagogischen Hochschule Luzern drei Studiengangleitende und zwei Dozierende sowie an der Pädagogischen Hochschule Zürich ein Studiengangleiter. Die Befragung erfolgte anhand von Leitfadeninterviews. Die Interviews dauerten zwischen 45 und 60 Minuten und fanden am jeweiligen Arbeitsort der Interviewten statt. Als Orientierungsrahmen brachten die Befragten die Semesterpläne der jeweiligen Module mit. Die Interviews wurden aufgezeichnet und wörtlich transkribiert. Leitfragen waren: Welche Ziele verfolgen Sie im Modul? Welche Methoden, Hilfsmittel und Materialien verwenden Sie? Was verstehen Sie unter dem Begriff „Berufsfelddidaktik“? In welchem Zusammenhang stehen für Sie Berufsfelddidaktik, Fachdidaktik und allgemeine Didaktik? Gibt es berufsfeldspezifische Eigenheiten im Berufsfeld, das Sie unterrichten? Wenn ja, welche? Wie finden diese berufsfeldspezifischen Eigenheiten Eingang in die Didaktik Ihres Unterrichts? „Wunsch an die Forschung“: Was bräuchten Sie noch/was könnte Sie noch zusätzlich in Ihrer Arbeit unterstützen?
4.4 Datenauswertung
Für die Auswertung der Transkripte wurde ein inhaltsanalytisches Vorgehen gewählt (vgl. Inhaltsanalyse bei Kuckartz 2016). Dabei wird das Material in zwei Dimensionen strukturiert, einerseits nach Fällen, wobei die Fälle meistens die einzelnen Interviewten oder auch Gruppen von Interviewten darstellen, als auch nach Kategorien, welche die Forschungsthemen darstellen (Kuckartz 2016, 49). Nach einer ersten Durchsicht des gesamten Materials wurden anhand der sich in den Transkripten abzeichnenden Hauptthemen die ersten Codes provisorisch festgelegt, und drei Transkripte codiert. Nach diesem ersten Codieren wurde das Codesystem angepasst, bereits codierte Themen wurden neu geordnet, neue Themen kamen hinzu und wurden als Codes festgelegt oder als Subcode einem bestehenden Code untergeordnet. Anschließend wurde weitercodiert und der Codeplan in mehreren Treffen weiter verfeinert. Die Codes wurden nicht aufgrund von bekannten Konzepten oder Modellen gewählt, sondern aufgrund der sich in den Transkripten abzeichnenden Themen bestimmt (induktive Kategorienbildung). Die in den Interviews angesprochenen Themen spiegeln jedoch teilweise bekannte theoretische Konzepte wider. Nach einer gemeinsamen Besprechung des gesamten Codeplans im Projektteam wurden die Transkripte abschließend durch zwei Codierende codiert. Vergleichbarkeit im Codieren wurde im Team durch gemeinsames Arbeiten am Material, Absprachen zu Codiereinheiten und das Festlegen der Codierregeln sowie dem gemeinsamen Codieren ganzer Transkripte hergestellt.
Folgendes Beispiel zeigt exemplarisch auf, wie der Prozess der Codeentwicklung abgelaufen ist: In mehreren Interviews wurde die Relevanz der aktuellen beruflichen Praxis und der Bezug zu konkreten beruflichen Situationen betont, entsprechende Textstellen wurden mit dem Code „Situationsbezug/aktuelle berufliche Praxis“ codiert. In mit diesem Code codierten Segmenten wurde erkennbar, dass oft das Thema Veränderung angesprochen wurde, beispielsweise, dass es wichtig sei, die aktuelle berufliche Praxis als Referenzpunkt im Unterricht zu nehmen, da sich die Berufswelt verändert. Entsprechende Textstellen wurden mit dem Subcode „Veränderung“ codiert. In anderen mit dem Code „Situationsbezug/aktuelle berufliche Praxis“ codierten Segmenten wurde die Motivation der Lernenden angesprochen. Beispielsweise wurde die Meinung vertreten, dass die Lernenden motivierter seien, wenn der Unterricht angebunden ist an reelle berufliche Probleme und Situationen. Entsprechende Textstellen wurden mit dem Subcode „Motivation“ codiert.
Die wichtigsten Codes und Subcodes werden in der folgenden Tabelle dargestellt.
Tabelle 1: Wichtigste Codes und Subcodes
Berufsfelddidaktik |
Didaktik der beruflichen Bildung |
Rahmenbedingungen |
Konzeptionelles Verständnis Unterricht: Modulziel, Lerninhalte, Methoden, Hilfsmittel, Evaluation Systematik in Zusammenstellung von Berufen in einem Berufsfeld Entwicklungsideen für Berufsfelddidaktik |
Konzeptionelles Verständnis Unterricht: Modulziel, Lerninhalte, Methoden, Hilfsmittel, Evaluation Entwicklungsideen für Didaktik der beruflichen Bildung |
Organisation Modul Zusammensetzung Studiengruppe Qualität Lehrmittel Schwierigkeiten/ Herausforderungen |
Fachorientierung |
Allgemeindidaktik |
Situationsbezug/ |
Fachwissenschaft Fachdidaktik |
Konstruktivismus Kognitivismus Überfachliche Kompetenzen (Berufliche) Sozialisation |
Veränderung („sich verändernde berufliche Praxis“) Motivation in Zusammenhang mit Situationsbezug |
5 Ergebnisse
In der Auswertung wurde deutlich, dass die Befragten innerhalb einer Institution jeweils einen ähnlichen konzeptionellen Zugang zu beruflicher Fachdidaktik vertraten sowie von einer ähnlichen Umsetzung dieser beruflichen Fachdidaktik berichteten. Zwischen den Institutionen (und Standorten) fanden sich aber bedeutsame Unterschiede. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht zu den Konzeptionen und Umsetzungen beruflicher Fachdidaktik. In den drei Bildungsgängen an den drei Standorten des EHB sind die Bildungsgänge unterschiedlich konzipiert. Im Verlauf der Erhebung wurde deutlich, dass sie einzeln „akkreditiert“, also als eigenständige Bildungsgänge konzipiert und bewilligt wurden. Weil sich an den drei Standorten unterschiedliche konzeptionelle Zugänge zum Konzept beruflicher Fachdidaktik sowie unterschiedliche Umsetzungen zeigen, erfolgt die Gesamtübersicht nicht nach Institutionen, sondern nach den sechs verschiedenen Bildungsgängen über die in den Interviews berichtet wurde (je ein Bildungsgang an den drei Pädagogischen Hochschulen, je ein Bildungsgang an den drei Standorten des EHB). Für die sechs Fälle werden jeweils das Konzept beruflicher Fachdidaktik, die Begründung sowie die Inhalte und Organisation des Moduls aufgrund der Erkenntnisse der Gesamtcodierung zusammenfassend aufgezeigt.
Tabelle 2: Konzepte berufliche Fachdidaktik und Inhalte/Organisation der entsprechenden Module in den Bildungsgängen
Bildungsgang 1 |
Bildungsgang 2 |
Bildungsgang 3 |
Konzept berufliche Fachdidaktik: Berufsfelddidaktik. Didaktik für eine Gruppe von Berufen, die inhaltliche Ähnlichkeiten aufweisen. Begründung: Da für das Verstehen und Vermitteln von Berufen jeweils andere Bezugswissenschaften (und ihre Methoden/Didaktiken) relevant sind, ist die Fachdidaktik verschiedener Berufe/Berufsfelder spezifisch. Inhalte und Organisation: Studium in möglichst berufshomogenen Gruppen (Gruppengrösse ca. 10-15). Angeschaut werden Inhalte von verwandten Bezugswissenschaften und deren Didaktiken, z. B. Theorien und Methoden der Pflegedidaktik. Die Einteilung der Studierenden in Berufsfelder ist relativ grob und trotz der Einteilung ist die Heterogenität der Studierenden gross. Nicht alle fühlen sich durch die behandelten Theorien und Methoden angesprochen. |
Konzept berufliche Fachdidaktik: Die Didaktik von Berufen hat einen allgemeinen Anteil (Aspekte die in der Didaktik von vielen Berufen relevant sind, z. B. Aufbau der Kompetenz, Kunden beraten zu können), daneben hat die Didaktik jedes Berufs einen spezifischen Anteil. Begründung: Relevant sind jeweils mehrere Bezugswissenschaften sowie die Anforderungen der Wirtschaft und des Gewerbes. Daraus konstituiert sich die berufliche Didaktik mit ihrem allgemeinen und spezifischen Anteil. Inhalte und Organisation: Studium in berufsheterogenen Gruppen. Mit den Studierenden wird erarbeitet, was das Spezifische in ihrem Beruf ist (z. B. das Spezifische am Bildungsplan des Berufes). Die Studierenden können zudem verschiedene Spezialisierungen wählen, z. B. Fachrechnen Mathematik oder Fachdidaktik in Naturwissenschaft. |
Konzept berufliche Fachdidaktik: Allgemeine Didaktik der Berufsbildung, in welcher ein Bezug zu reellen Situationen in den Berufen hergestellt wird. Begründung: Das Lernen eines Berufes funktioniert im Prinzip gleich für alle Berufe, und es braucht deshalb eine allgemeine berufliche Fachdidaktik. Es geht darum, den Beruf zu analysieren und Situationen zu erkennen, die relevant sind. So wird erkennbar, welche Kompetenzen aktuell in den Berufen aufgebaut werden müssen. Inhalte und Organisation: Die Studierenden besuchen im Modul verschiedene Methoden- Workshops (z. B. Projektarbeit, Blended Learning), die sie je nach Relevanz für ihren Beruf wählen. In einem zweiten Modulteil arbeiten sie zusammen mit einem externen Dozierenden in einer berufshomogenen Gruppe (Gruppengröße ca. 2-4) zum Thema Situationsdidaktik. |
Bildungsgang 4 |
Bildungsgang 5 |
Bildungsgang 6 |
Konzept berufliche Fachdidaktik: Allgemeine berufliche Didaktik. Um einen Berufsbezug herstellen zu können, kann Berufsfelddidaktik als Analyse-, Planungs- und Reflexionsinstrument hinzugezogen werden. Begründung: Es gibt viele Überschneidungen im Lehren/Lernen unterschiedlicher Berufe hinsichtlich Inhalten und Methoden. Deshalb ist die berufliche Fachdidaktik prinzipiell allgemeiner Natur, wobei die Frage, was/wann angewendet wird mit der Berufsfelddidaktik als Analyse- und Planungsinstrument entschieden werden kann. Inhalte und Organisation: Studium in berufsheterogenen Gruppen. Es werden allgemeine Methoden gelehrt. Die Studierenden wenden das Gelernte in berufshomogenen Arbeitsgruppen „auf ihr Gebiet“ an, besprechen spezifische Probleme und geben sich gegenseitig Feedback. |
Konzept berufliche Fachdidaktik: Berufsfelddidaktik. Didaktik für eine Gruppe von Berufen, die inhaltliche Ähnlichkeiten aufweisen. Begründung: Inhaltlich unterscheiden sich die Bildungsziele unterschiedlicher Berufe. Die spezifischen Herausforderungen, einen Beruf zu lernen, sind je nach geforderten Handlungskompetenzen unterschiedlich und müssen gezielt adressiert werden. Deshalb braucht es eine spezifische berufliche Fachdidaktik. Inhalte und Organisation: Studium in möglichst berufshomogenen Gruppen (Gruppengrösse ca. 5-7). Die externen Dozierenden sind Spezialisten im jeweiligen Berufsfeld (z. B. erfahrene Berufskundelehrpersonen). Das Curriculum, bzw. «die Berufsfelddidaktiken» werden aufgrund der Bildungspläne der einzelnen Berufe des Berufsfeldes von den Dozierenden in Zusammenarbeit mit der Studiengangleitung entwickelt. |
Konzept berufliche Fachdidaktik: Allgemeine berufliche Didaktik, wobei jeweils ein Berufsbezug hergestellt werden soll. Begründung: Es gibt in verschiedenen Berufen zahlreiche Überschneidungen hinsichtlich der Kompetenzen, die aufgebaut werden sollen. Deshalb braucht es eine allgemeine berufliche Didaktik. Damit kann auch ein Bezug zum Beruf hergestellt werden, denn wie jede Didaktik hat die allgemeine berufliche Didaktik einen Gegenstand und einen Adressaten. Inhalte und Organisation: Studium in berufsheterogenen Gruppen. Im Zentrum stehen allgemeine Methoden, deren Anwendung dann beispielhaft für einige Berufe angeschaut werden kann. Betont wird eine zunehmende Selbststeuerung des Lernens durch die Studierenden, wobei sie auch die Anwendung allgemeiner Methoden in ihrem Berufskontext selbst erarbeiten. |
5.1 Konzeptionelle Zugänge beruflicher Fachdidaktik
In den Bildungsgängen 1 und 5 wird berufliche Fachdidaktik nach Berufen, bzw. Berufsfeldern spezifisch konzipiert. In Bildungsgang 1 wird dies damit begründet, dass Berufe eine spezifische theoretische Basis haben und Wissen aus den Bezugswissenschaften (z. B. Biologie für den Gärtnerberuf) sowohl für das Verständnis als auch für eine adäquate Vermittlung relevant ist. Für verschiedene Berufe ist unterschiedliches Wissen/sind unterschiedliche Bezugswissenschaften (und deren Didaktiken) relevant, deshalb ist die Fachdidaktik berufsspezifisch. In Bildungsgang 5 wird dies mit dem Argument begründet, dass das Lernen bestimmter Inhalte eine spezifische Methodenwahl erfordert. Beispielsweise sind Übungen zum logischen Denken im Bereich der Informatik geeignet, während im Bereich der Floristik Techniken der Memoration zum Lernen der lateinischen Pflanzennamen wichtig sind. In den Bildungsgängen 3, 4 und 6 wird berufliche Fachdidaktik als allgemeine berufliche Fachdidaktik konzipiert. Dabei werden Methoden gelehrt, die für das Lehren und Lernen verschiedener Berufe nutzbar sind. In allen drei Bildungsgängen wird jedoch auch ein Bezug zu den einzelnen Berufen hergestellt. In Bildungsgang 3 geschieht dies durch die Analyse der Berufe und die Erarbeitung zentraler Situationen, die als Grundlage für den Kompetenzerwerb dargestellt werden. In Bildungsgang 4 wird dieser Berufsbezug in Modulteilen hergestellt, in denen sich die Studierenden in berufshomogenen Kleingruppen über die sich in ihrem Beruf ergebenden Eigenheiten und Schwierigkeiten austauschen. In Bildungsgang 6 wird der Berufsbezug durch die Selbstgestaltung des Lernprozesses durch die Studierenden – sie können ihre Lernziele teilweise wählen und so für ihr berufliches Feld gezielt aussuchen was sie lernen wollen – gewährleistet. Ein Unterschied ist, dass in Bildungsgang 4 und 6 der Bezug zum jeweiligen Beruf durch die Studierenden individuell (Bildungsgang 6) oder in kleinen Gruppen (Bildungsgang 4) geleistet wird (die Studierenden schaffen den Bezug von den allgemeinen Inhalten zu ihrem spezifischen Beruf, für den sie die Experten sind). In Bildungsgang 3 erfolgt der Berufsbezug hingegen unterstützt durch einen/eine externe/n Dozierende/n, der/die selbst Experte/Expertin dieses Berufes ist. In Bildungsgang 2 wird berufliche Fachdidaktik sowohl als etwas Berufsspezifisches als auch als etwas Allgemeines konzipiert. Das Spezifische der Fachdidaktik eines Berufes wird hier gemeinsam mit dem Dozenten/der Dozentin herausgearbeitet. Zusätzlich können die Studierenden je nach Bedarf für den eigenen Berufskundeunterricht Vertiefungen in herkömmlichen Fachdidaktiken wählen.
Im folgenden Abschnitt werden die Argumente der Befragten für eine berufsspezifische und für eine allgemeine berufliche Fachdidaktik detaillierter dargestellt sowie die konkreten Umsetzungsformen aufgezeigt.
5.2 Begründungsmuster für eine allgemeine berufliche Fachdidaktik und Umsetzungsformen
Veränderungen in der beruflichen Praxis
Aufgrund von Innovationen in der Arbeitswelt verändern sich Produkte und Prozesse in der Berufspraxis und Inhalte, die im Verlauf der Lehre vermittelt werden, sind in vielen Fällen einige Jahre später bereits nicht mehr relevant. Grundlage für die Gestaltung des Unterrichts müssen aufgrund der Argumentation mehrerer Interviewter deshalb Situationen und Problemstellungen der jeweils gegenwärtigen Berufspraxis sein. Aktuelle berufliche Situationen und Problemstellungen können als Ausgangspunkt gewählt werden um zu erkennen, welche Kompetenzen aufzubauen sind, damit der entsprechende Beruf erfolgreich ausgeführt werden kann. Expertinnen und Experten im Bereich aktueller beruflicher Situationen sind Lernende und Lehrende, die selbst im Beruf tätig sind. Mehrere Interviewte argumentierten, dass die Situationsorientierung im Unterricht zu einer höheren Motivation der Lernenden führt und dass dadurch das Lernen an den drei Lernorten optimal verbunden werden kann. Um mit dem situationsdidaktischen Ansatz zu arbeiten, brauchen Lehrende nicht unbedingt berufs(feld)spezifisches Wissen. Die Lernenden können die konkreten Situationen, die sie in der Berufspraxis erleben, in den Unterricht „hineintragen“. Organisatorisch kann mit einer nach Berufen heterogenen Gruppe gearbeitet werden, denn es geht um die Technik, berufsrelevante Situationen aufzuschlüsseln und die zu erwerbenden Kompetenzen daraus abzuleiten. Ob dies mit Situationen der Gesundheitsbranche oder der Automobilbranche getan wird, spielt keine Rolle.
Selbstgesteuertes Lernen
Mehrere Interviewte vertraten die Meinung, dass es ein primäres Ziel sei, dass die Lernenden zunehmend die Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen, wobei die Lehrenden sie unterstützen sollen. In der Rolle des Unterstützers/der Unterstützerin müssen sie selbst über kein tiefgehendes Fachwissen verfügen. Betont wird, dass wenn Lernende lernen selbst zu erkennen, welche beruflichen Kompetenzen erforderlich sind und die Erfahrung machen, diese selbständig aufbauen zu können, ihnen diese Fähigkeit auch im zukünftigen Arbeitsleben von Nutzen ist. Dies deshalb, weil es nicht klar ist, wie sich die Berufswelt verändert, welche neue Technologien und Abläufe Einzug halten werden oder ob eine Umschulung notwendig wird. Steht das selbstgesteuerte Lernen der Lernenden im Zentrum, kann organisatorisch mit berufsheterogenen Gruppen gearbeitet werden. Die Lehrenden begleiten den individuellen Lernprozess der Lernenden, ihre Rolle kann als die Rolle eines Coaches beschrieben werden.
Sich überschneidende Inhalte/Berufsaufgaben
Viele Interviewten wiesen darauf hin, dass in unterschiedlichen Berufen oftmals im Kern gleiche Handlungskompetenzen gefragt sind. Hinsichtlich der erforderlichen Handlungskompetenzen gibt es in unterschiedlichen Berufen zahlreiche Überschneidungen, so zum Beispiel bei Coiffeuren/Coiffeusen und Detailhandelsangestellten. In beiden Berufen müssen Beratungsgespräche durchgeführt werden können. Auch weitere transversalen Kompetenzen – beispielsweise in den Bereichen Kundenorientierung, Arbeitssicherheit oder Zeit-Management – sind in den unterschiedlichsten Berufen gefragt. Argumentiert wird, dass in allen Berufen Sozial- und Selbstkompetenzen aufgebaut werden müssen. Aufgrund der vielen Überschneidungen der Handlungskompetenzen ist gemäss dieser Argumentation eine spezifische Didaktik für jeden Beruf nicht nötig.
Verschiedene Lehr-Lernmethoden für alle Berufe
Einige Interviewte waren der Meinung, dass das Lernen eines Berufes in den Grundzügen das gleiche ist, ob man nun den Beruf des Gärtners oder des Bäckers lernt. Prinzipiell geht es dieser Argumentation zufolge um das Lernen, das mit allgemeindidaktischen Lehr- Lernmethoden unterstützt werden kann. Didaktik hat immer einen Gegenstand und einen Adressaten. Zu überlegen ist, „was, warum, wie, wem vermittelt wird“. Der Gegenstand des Lernens ist in diesem Fall der Beruf. Wird die Wichtigkeit allgemeindidaktischer Lehr- Lernmethoden betont, kann mit einer berufsheterogenen Gruppe gearbeitet werden und beispielsweise ein Wahlangebot von verschiedenen allgemeindidaktischen Methoden wie „Projektarbeit“, Blended Learning“ oder „Anwendung digitaler Lernmedien“ bereitgestellt werden. Eine andere berichtete Möglichkeit ist es, verschiedene Methoden gemeinsam zu erarbeiten und anschließend deren Anwendung für einzelne Berufe exemplarisch zum Thema zu machen. In manchen Fällen wird auch prinzipiell „der Aufbau des Unterrichts aufgrund des Bildungsplans“ angeschaut, respektive besprochen, wie Unterricht nach einer curricularen Vorgabe aufgebaut werden kann. Die Studierenden wenden anschliessend die gewonnenen Erkenntnisse in der Planung ihres eigenen Unterrichts an.
5.3 Begründungsmuster für eine spezifische berufliche Fachdidaktik und Umsetzungsformen
Verwandte Fachwissenschaften/Fachdidaktiken
Gemäß einigen Interviewten ist das Verständnis und die Ordnung der inhaltlichen Ebene eines Berufes eine der größten Herausforderung der Studierenden. Es ist zentral, den Beruf zu verstehen, um ihn vermitteln, durch eine didaktische Reduktion Lerninnalte auswählen, Inhalte verknüpfen sowie Lehrmittel beurteilen und adäquat anwenden zu können. Je nach Beruf (oder Berufsfeld) sind unterschiedliche Fachwissenschaften, bzw. herkömmliche Fachdidaktiken relevant, wie beispielsweise Biologie für grüne Berufe (z. B. Gärtner) oder Physik für Bauberufe. Wird die Wichtigkeit von Fachwissenschaften/Fachdidaktiken betont, wird in möglichst berufs(feld)homogenen Gruppen gearbeitet. In den Gruppen werden fachdidaktische Elemente aus den Bezugswissenschaften thematisiert sowie auf die Strukturierung von Fachinhalten eines Berufes referiert. Eine andere berichtete Umsetzungsmöglichkeit ist es, den Studierenden ein Angebot von verschiedenen Fachdidaktiken anzubieten. Die Studierenden können in einem Modulteil die für ihren Beruf relevanten Fachdidaktiken selbst wählen und ein Spezialangebot – beispielsweise in Fachrechnen, Naturwissenschaftsdidaktik, Didaktik Soziales oder Gestalten – besuchen.
Berufliche Sozialisation
Einige Interviewte berichteten, dass die berufliche Sozialisation der angehenden Lehrpersonen in ihrer Ausbildung zu berücksichtigen ist. Die Berufskundelehrpersonen in der Schweiz haben in den meisten Fällen den Beruf, den sie unterrichten, ursprünglich selbst in einer beruflichen Grundausbildung gelernt. Sie möchten als Lehrperson dieses bestimmten Berufes angesprochen werden und identifizieren sich mit dem Berufsbild. Sprache und Umgangsformen sind in den Berufen unterschiedlich, kennt man die Eigenheiten, kann man die Studierenden „besser erreichen“. Um dem Aspekt der Sozialisation im Beruf gerecht zu werden, werden an verschiedenen Institutionen gewisse Modulteile angeboten, in denen die Studierenden in berufs(feld)homogenen Gruppen arbeiten können (auch wenn die Gruppe sonst nach Beruf heterogen ist). So können sich die Studierenden austauschen und die spezifische Anwendung von Gelerntem in ihrem Beruf besprechen. Gemäss den Interviewten wird die Möglichkeit des Austausches mit anderen Lehrpersonen des gleichen Berufs und das Austauschen von spezifischen „Tricks und Kniffs“ von den Studierenden sehr geschätzt.
Spezifische Inhalte/Berufsaufgaben
Manche Interviewten betonten, dass in den unterschiedlichen Berufen verschiedene und teilweise sehr spezifische Handlungskompetenzen erforderlich sind. Zum Beispiel ist im Bildungsplan für Informatikerinnen und Informatiker logische Denkfähigkeit sowie kreatives, spielerisches Denken ein Schwerpunkt; im Gesundheits- und Pflegebereich sind Sorgfalt und Effizienz, kritisches Denken, die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, zentral. Wo im Bereich Informatik Innovationsfähigkeit, sowie der Umgang mit Veränderungen zentral ist, ist im Gesundheitsbereich Zuverlässigkeit und Sicherheit gefragt. Die berufsspezifischen Bildungspläne weisen inhaltlich sehr grosse Unterschiede auf, insbesondere die Bildungspläne von Berufen unterschiedlicher Berufsfelder. Um der inhaltlichen Spezifizität des Lernens in verschiedenen Berufen Rechnung zu tragen, kann mit nach Beruf homogenen Gruppen, oder nach Berufsfeld homogenen Gruppen gearbeitet werden. Berichtet wird, dass die Inhalte der Bildungspläne als Grundlage genommen werden können und auf der Basis der vorgegebenen Lernziele/Lernschritte ähnlicher Berufe gemeinsame Aspekte herausgearbeitet werden und darauf aufbauend eine Berufsfelddidaktik erstellt werden kann.
Spezifische Lehr-Lernmethoden
Gemäss einigen Interviewten sind für das Lernen der in den Lehrplänen unterschiedlicher Berufe vorgeschriebenen Inhalte spezifische Methoden erforderlich. Dieser Argumentation nach sind Methoden grundsätzlich nicht in allen Berufen anwendbar, sondern es gibt für die Vermittlung von bestimmten Inhalten geeignetere oder weniger geeignete Methoden. So sind beispielsweise Rollenspiele, Reflexionen und Interpretationen von Situationen in der Gesundheitsbranche wichtiger; in der Informatik sind es die Projektarbeit und Methoden zum Aufbau von logischem Denken. Einige Interviewte vertreten auch die Meinung, dass Lehr-Lernmethoden, die prinzipiell in Lehr-Lernarrangements verschiedener Berufe (oder Berufsfelder) angewandt werden können, im Lehren und Lernen eines spezifischen Berufs durch die Adaptierung für spezifische Inhalte speziell ausgestaltet und eingesetzt werden müssen. Wird die Wichtigkeit spezifischer Lehr-Lernmethoden betont, kann in berufs- oder berufsfeldhomogenen Gruppen gearbeitet werden. Im Zentrum stehen die für die Vermittlung spezifischer Inhalte der Berufe oder Berufsfelder geeigneten Methoden.
6 Schlussfolgerungen
Die große Bandbreite an beruflichen Fächern im berufsschulischen Unterricht macht eine formale Etablierung einer fachspezifischen Didaktik in der Aus- und Weiterbildung von Berufskundelehrpersonen in der Schweiz schwierig. Analog beispielsweise zur Mathematikdidaktik oder Deutschdidaktik konnte sich für die 230 Berufe nicht je eine Didaktik formal etablieren. Dies spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass die Theoriebildung für manche Berufe bzw. Berufsfelder kaum entwickelt ist. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Professionalisierung von Berufsschullehrpersonen in der Schweiz sowie der Anforderungen des entsprechenden Rahmenlehrplans für Berufsbildungsverantwortliche sind Ausbildungsinstitutionen jedoch gefordert, geeignete didaktische Ansätze zu entwickeln. Die Interviewstudie hat gezeigt, dass die Ausbildungsinstitutionen in sich konzise konzeptionelle Ansätze zur beruflichen Fachdidaktik verfolgen, jedoch dazu wenig niedergeschrieben ist. Sie existiert hauptsächlich als geteiltes Wissen der Dozierenden und Studiengangleitenden. Es hat sich weiter gezeigt, dass sich diese konzeptionellen Zugänge zwischen den Ausbildungsinstitutionen und Studiengängen unterscheiden. Anhand der Argumentationsmuster und Erläuterungen der befragten Personen kann erkannt werden, dass verschiedene didaktische Modellansätze aus der Literatur handlungsleitend sind. In jenen Studiengängen, welche berufliche Fachdidaktik hauptsächlich berufsübergreifend verstehen, wird dem Situationsprinzip als Gestaltungsmittel Priorität zugemessen. Die konkreten Erfahrungen im Zusammenhang mit den für die Berufsausübung bedeutsamen Lebenssituationen sowie deren Reflexion im Sinne des Konzepts der Handlungsorientierung (Nickolaus 2014) sowie des Ansatzes des Lernens in Situationen (Maubant 2013) finden dabei große Beachtung. Die Orientierung an konkreten Situationen ist auch in jenen Studiengängen wichtig, wo eine berufsfeldspezifische Didaktik für ähnliche Berufe verfolgt wird. Hierbei spielen jedoch die Bezugswissenschaft bzw. die Bezugswissenschaften und deren Didaktik eine zusätzlich wichtige Rolle, da davon ausgegangen wird, dass zur Vermittlung berufs(feld)spezifischer Inhalte auch berufsfeldspezifische Methoden notwendig sind. Der Thematisierung der Berufsarbeit, Methoden, Prozesse und Verfahren im Berufsfeld (Häfeli/Wild-Näf/Elsässer 2001) kommt eine wichtige Bedeutung zu. Einschränkend soll darauf hingewiesen werden, dass die Ergebnisse der Interviewstudie auf den Beschreibungen der Interviewten sowie der Validierung ihrer Perspektive durch die Analyse der Modulpläne beruhen. Eine mögliche Verzerrung der Antworten aufgrund von sozialer Erwünschtheit hätte durch Unterrichtsbeobachtungen relativiert werden können. Unterrichtsbeobachtungen wurden im Rahmen dieser Untersuchung nicht durchgeführt.
Resümierend konnte die vorliegende Untersuchung einerseits anhand der Literaturrecherche sowie den Interviews aufzeigen, was an einer beruflichen Didaktik spezifisch ist und was nicht und wie dieser Spezifität oder Generalität in der Ausbildung von Berufskundelehrpersonen Rechnung getragen wird. Andererseits bietet die Untersuchung eine Datengrundlage für einen konstruktiven Austausch zwischen den Ausbildungsinstitutionen, indem verschiedene Ansätze und Konzeptualisierungen beruflicher Fachdidaktik dargelegt und einander gegenübergestellt werden.
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Zitieren des Beitrags
Leumann, S./Keller, A./Degen, D./Gut, J. (2019): Berufs(feld)spezifische Didaktik oder generelle Didaktik der beruflichen Bildung? Konzeptionelle Positionen in der didaktischen Ausbildung von Berufskundelehrpersonen. In bwp@ Spezial 16: Berufsfelddidaktik in der Schweiz, hrsg. v. Barabasch, A./Baumeler, C., 1-22. Online: https://www.bwpat.de/spezial16/leumann_etal_spezial16.pdf (18.11.2019).