bwp@ Spezial 16 - November 2019

Berufsfelddidaktik in der Schweiz: internationale Einbettung, Ausdifferenzierung und konkrete Umsetzung

Hrsg.: Antje Barabasch & Carmen Baumeler

Editorial

Beitrag von Antje Barabasch & Carmen Baumeler

Editorial zu bwp@ Spezial 16:
Berufsfelddidaktik in der Schweiz: internationale Einbettung, Ausdifferenzierung und konkrete Umsetzung.

1 Berufsfelddidaktik – ein weitgehend unerschlossenes Forschungsfeld

Die didaktische Ausbildung von Lehrpersonen und Dozierenden, die diese qualifizieren, stand lange Zeit nicht im Fokus der Gestaltung von hochschulischer Lehrkräftebildung. Dabei ist grundsätzlich die Qualifizierung von Berufsschullehrpersonen ein wichtiger Input-Faktor, der zu gelingender Berufsbildung beiträgt (OECD 2010, Hensen-Reifgens/Hippach-Schneider 2015). Der Bedarf nach spezifisch fachdidaktisch qualifiziertem Personal in der Schweiz führte dazu, dass die Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen swissuniversities (Kammer Pädagogische Hochschulen) seit 2016 gezielt den Aufbau wissenschaftlicher Kompetenzen in den Fachdidaktiken im Rahmen zahlreicher Forschungs- und Qualifizierungsprojekte fördert.

Aus dieser Finanzierungsinitiative ging das Leadinghouse Berufsfelddidaktik hervor (2017-2020, siehe https://www.ehb.swiss/project/berufsfelddidaktik). Vertreter/-innen von fünf Hochschulen, die Berufsschullehrpersonen in der Schweiz qualifizieren, kooperieren in ihrer didaktisch orientierten Forschung und stehen in regelmäßigem Austausch. Dazu gehören Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Eidgenössischen Hochschulinstitutes für Berufsbildung (EHB), der Pädagogischen Hochschulen Zürich, Luzern und St. Gallen und der Universität Zürich. Im ersten Jahr wurde zunächst eine Landkarte zur Situation der Berufsfelddidaktik in der Schweiz erstellt und eine internationale Analyse vorhandener Literatur zum Thema durchgeführt. Die Situationsanalyse basierte auf einer Auswertung von Interviews mit Ausbildungspersonal an Hochschulen, die in Beiträgen dieser Spezialausgabe vorgestellt wird. In den folgenden Jahren widmeten sich die Forschenden unterschiedlichen Schwerpunktthemen.

Berufsfelddidaktik bezieht sich auf eine Didaktik für verwandte Berufe, die in einem Berufsfeld zusammengefasst werden können (Häfeli/Wild-Näf/Elsässer 2001). Für die Berufsfelder Wirtschaft und Verwaltung, Pflege, Landwirtschaft sowie Metalltechnik gibt es weitestgehend ausgearbeitete Fachdidaktiken. Hingegen hat sich für viele andere Berufsfelder bisher keine eigene Didaktik etablieren können. Der Begriff „Berufsfelddidaktik“ findet sich in der Literatur seit den 1990er Jahren im Zusammenhang mit der deutschen Lernfeldkonzeption.

Die deutsche Kulturministerkonferenz hatte 1996 beschlossen, die Berufsbildung am Lernfeldkonzept auszurichten und damit eine Vielzahl an Projekten und Studien hervorgerufen. Grundidee ist die Aufbrechung der Fächerhoheit im Interesse eines fächerübergreifenden handlungsorientierten Unterrichts (Riedl 2015). Dabei sollen berufsfeldrelevante fachliche Inhalte mit der Idee der Handlungsorientierung verknüpft werden. Es hat sich gezeigt, dass eine Lernfeldkonzeption in der berufsschulischen Bildung zwar funktionieren kann, aber auch mit enormen Herausforderungen verbunden ist. Für die Schweiz gibt es bisher wenig Erkenntnisse zum Umgang mit diesem didaktischen Ansatz. Auch zur damit einhergehenden neuen Rolle der Lehrperson, hin zum Coach, ist nur wenig bekannt.

Sowohl die allgemeine Didaktik als auch die Fachdidaktiken berufen sich im Kern meist auf das didaktische Dreieck (Reinmann 2012), was sich auf das Spannungsverhältnis zwischen Lehrperson, Lernenden und Lerngegenstand bezieht und vielfältig ausgestaltet werden kann. Im Zentrum der beruflichen Didaktik steht der Aufbau von Handlungskompetenz durch handlungsorientierten Unterricht (Czycholl/Ebner 2006), in welchem kontextgebundenes, situatives Wissen erarbeitet wird (Hortsch/Persson/Schmidt 2012). Dieser kann im Zuge der zunehmenden Individualisierung des Lernens und der Gestaltung individueller Lernbiographien immer seltener standardisiert erfolgen. Damit erhöht sich der Anspruch an weitestgehend selbstgesteuertes Lernen aus konkreten Situationen heraus (Städeli et al. 2010). Das oben genannte Spannungsverhältnis verschiebt sich deshalb zunehmend in Richtung Schülerzentrierung, coachender Lernbegleitung und individualisierter Inhalte. Dabei spielt das projektorientierte Lernen und Arbeiten eine zunehmend wichtigere Rolle.

Über alle didaktischen Ansätze und Experimente hinweg zeigt sich, dass die Gewährleistung des Anspruches der Handlungsorientierung maßgeblich von der Art und Qualität der Betreuungsleistung abhängig ist. Dies betrifft die Lehrpersonenqualifizierung selbst genauso wie die Berufsbildung, für die sie zuständig sind. Auch die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden hat einen starken Einfluss auf den Lernprozess, und das eben auch in der Lehrpersonenqualifizierung. Technische Tools können eine kontinuierliche Betreuung und Feedbackkultur unter Umständen unterstützen und dazu beitragen, dass Erlerntes reflektiert und damit gefestigt wird.

Unsere Spezialausgabe der bwpat@ online greift diese und weitere Themen mit Fokus auf die Schweiz auf. Einzelne Artikel enthalten vergleichende Analysen, beispielsweise zum Lernfeldansatz und zur Lehrpersonenqualifizierung, und nehmen hier die Praxis der deutschsprachigen Nachbarländer ins Visier. Es zeigt sich, dass der Begriff der Berufsfelddidaktik zwar existiert und verwendet wird, aber die gelebte Praxis in der Didaktikvermittlung an den Schweizer Hochschulen der Grundidee weniger entspricht. Die grundsätzliche Frage, ob es eine Berufsfelddidaktik tatsächlich braucht oder nicht, wird von Experten und Expertinnen gegensätzlich beantwortet, so dass auch die Autoren und Autorinnen zu keinem abschließenden Fazit dazu gekommen sind.

Die Transferierbarkeit von Wissen, sowie das Denken und Handeln in fachübergreifenden Kontexten, sind hoch relevant. Im dualen Ausbildungssystem trägt ganz sicher die betriebliche Ausbildung maßgeblich dazu bei. Eine gute fachliche und berufliche Vorbildung der Lehrpersonen ist ebenso eine wichtige Grundlage, theoretisches Wissen fachspezifisch zu vermitteln. Eine große Herausforderung für die Hochschulen bleibt es, inwieweit Lehrpersonen dahingehend entwickelt werden können, dass sie ihr erworbenes didaktisches Knowhow berufsspezifisch verarbeiten und anwenden können.

2 Beiträge zur Berufsfelddidaktik aus der Schweiz

Lena Freidorfer-Kabashi, Philipp Gonon und Stefanie Dernbach-Stolz präsentieren eine international vergleichende Analyse zur Verbreitung des Berufs- und Lernfeldansatzes in den Ländern Schweiz, Österreich und Südtirol. Sowohl in den Institutionen der Lehrkräftebildung als auch im Rahmen regionaler Initiativen und bildungspolitischer Diskurse rückt die Thematik der Didaktik ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Beitrag stellt sowohl die Entstehung und grenzüberschreitende Verbreitung von Bildungsreformen vor, als auch die Grundlagen einer berufsbildungsspezifischen Didaktik. Eine überblicksartige Rekonstruktion des Lernfelddiskurses in Deutschland wird erarbeitet und über dessen Rezeption und Umsetzung in der Schweiz, Österreich und Südtirol berichtet.

Antje Barabasch und Silke Fischer beschreiben und vergleichen detailliert die Ausbildung der Berufsschullehrpersonen in der Schweiz und in Deutschland. Darin enthalten ist eine Gegenüberstellung der verbreiteten Ausbildungswege und ihrer Abschlüsse, ein Abriss der historischen Entwicklung und der Vergleich von strukturellen Rahmenbedingungen. Es zeigt sich, dass die Schweiz einem eher pragmatischen Ansatz mit hohem Praxisbezug folgt und vergleichsweise weniger Schwierigkeiten in der Rekrutierung von Berufsschullehrpersonen hat, während Deutschland weiterhin den Ansatz der wissenschaftlich anspruchsvollen Qualifizierung mit Anteilen praktischer Erfahrung präferiert, aber auch alternative Wege in den Lehrberuf ermöglicht. Beide Systeme haben ihre Schwachstellen. Das ideale Mischungsverhältnis zwischen wissenschaftlich und praxisorientierter Ausrichtung für die „Dauerbaustelle“ der Ausbildung von Berufschullehrkräften wurde noch nicht gefunden.

Markus Maurer und Karin Hauser beleuchten das Thema der institutionellen Voraussetzungen einer Ausdifferenzierung der Didaktiken in der Berufsbildung aus historisch-institutionalistischer Perspektive. Sie gehen auf drei spezifische Beispiele detaillierter ein, die zeigen, dass es auch in der Schweiz zu einer fachlichen Ausdifferenzierung der Didaktik gekommen ist, und zwar in der kaufmännischen Grundbildung, der Ausbildung der Fachleute Gesundheit und der Landwirte. Nicht nur die Nachfrage nach spezifisch ausgebildeten Lehrkräften in diesen Berufsfeldern, sondern auch gesetzlich abgestützte Vorgaben, haben zu diesen Spezialisierungen geführt.

Daniel Degen, Seraina Leumann, Anna Keller und Janine Gut widmen ihren Beitrag der Frage, ob bei den Dozierenden und Studiengangleitenden an den Schweizer Hochschulen, die Lehrpersonen qualifizieren, ein gemeinsames Verständnis von Berufsfelddidaktik besteht bzw. wie Berufsfelddidaktik vermittelt wird. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Zugänge recht heterogen sind und drei konstituierende Elemente einer Berufsfelddidaktik verortet werden können: ein fachwissenschaftlicher Zugang mit entsprechenden Methoden und Konzepten, das Situationsprinzip mit einer Orientierung an berufsspezifischer Praxis und die Allgemeindidaktik basierend auf grundlegenden, lehr-lerntheoretischen Methoden und Konzepten. Im schweizerischen Kontext konnte sich bislang kein einheitliches Konzept von Berufsfelddidaktik durchsetzen. Vor dem Hintergrund verschiedener Organisationsformen und Rahmenbedingungen der Lehrpersonenqualifizierung der einzelnen Schweizer Hochschulen wird die Gewichtung dieser Elemente vorgestellt.

Seraina Leumann, Anna Keller, Daniel Degen und Janine Gut widmen sich danach der grundsätzlichen Frage, inwiefern eine Fachdidaktik nach Berufen spezifisch zu konzeptualisieren ist oder inwiefern sie generell-übergreifender Natur ist. Die Befragung von Dozierenden und Studiengangleitenden im Bereich der Berufskunde in der Schweiz zeigt, dass beide Überzeugungen mit je eigenen Begründungsmustern vorhanden sind und dementsprechend auch Studiengänge unterschiedlich konzipiert werden.

Daniel Degen, Jürg Arpagaus, Ramona Martins und Janine Gut thematisieren den Gebrauchswert von im Unterricht erlangtem Wissen in der praktischen Anwendung. Ihre leitgebende Frage lautet: Welche methodisch-didaktischen Instrumente können eingesetzt werden, um die Entwicklung von Handlungskompetenzen nachweislich zu unterstützen? Diese Frage wird sowohl theoretisch als auch anhand des Beispiels der Informatikausbildung behandelt. Die in diesem Ausbildungsgang breit angewendete Methode der Projektarbeit erfüllt wesentliche Ansprüche an handlungsorientierten Unterricht.

Samuel Krattenmacher, Guido McCombie und Sonja Büchel widmen sich schließlich den Lernprozessen angehender Lehrpersonen in der berufspraktischen Ausbildung, die tendenziell unkontrolliert verlaufen. Grund ist häufig eine unzureichende Betreuung. Um das Begleiten besser unterstützen zu können, wurde das Webtool „Kompetenzbasierte Praxisbegleitung“ (KOMPRA) entwickelt. Erste Erfahrungen in der Arbeit mit dem Tool wurden gesammelt und werden im Artikel, hinsichtlich seiner Chancen und Risiken für die Steuerung des Lernprozesses, ausgewertet.

Dank

Wir möchten uns sehr herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die interessanten Beiträge bedanken. Zudem geht unser Dank auch an die zahlreichen Reviewer und Reviewerinnen, die die Beiträge in einem double-blind Reviewprozess begutachtet haben.

Antje Barabasch & Carmen Baumeler im Oktober 2019

 

Literatur

Czycholl, R./Ebner, H. G. (2006): Handlungsorientierung in der Berufsbildung. In: Arnold, R./Lipsmeier, A. (Hrsg.): Handbuch der Berufsbildung. Wiesbaden, 44-54.

Häfeli, K./Wild-Näf, M./Elsässer, T. (2001): Berufsfelddidaktik. Zwischen Fachsystematik und Handlungsorientierung. Baltmannsweiler.

Hensen-Reifgens, K. A./Hippach-Schneider, U. (2015): Supporting teachers and trainers for successful reforms and quality of VET-Germany. Bonn.

Hortsch, H./Persson, M./Schmidt, D. (2012): Methodenbuch für das berufliche Lehren und Lernen mit ausgewählten bautechnischen Beispielen. Dresden.

OECD (2010). Learning for jobs: OECD reviews of vocational education and training. Paris.

Reinmann, G. (2012): Interdisziplinäre Vermittlungswissenschaft: Versuch einer Entwicklung aus der Perspektive der Didaktik. In: EWE, 23, H. 3, 323-340.

Riedl, A. (2015). Unterricht im Lernfeldkonzept an beruflichen Schulen – aktuelle Herausforderungen und Realisierung in der gewerblich-technischen Berufsbildung. In: Seifried, J./Bonz, B. (Hrsg.): Berufs- und Wirtschaftspädagogik – Handlungsfelder und Grundprobleme. Berufsbildung konkret. Baltmannsweiler, 127-148.

Städeli, C./Grassi, A./Rhiner, K./Obrist, W. (2010). Kompetenzorientiert unterrichten. Das AVIVA_Modell. Bern.

Zitieren des Beitrags

Barabasch, A./Baumeler, C. (2019): Editorial zu bwp@ Spezial 16: Berufsfelddidaktik in der Schweiz: internationale Einbettung, Ausdifferenzierung und konkrete Umsetzung, hrsg. v. Barabasch, A./Baumeler, C., 1-5. Online: http://www.bwpat.de/spezial16/editorial_spezial16.pdf (18.11.2019).