bwp@ Spezial 19 - August 2023 - Update Februar 2024

Retrieving and recontextualising VET theory

Hrsg.: Bill Esmond, Thilo J. Ketschau, Johannes K. Schmees, Christian Steib & Volker Wedekind

Beruflichkeit als Form der Subjektivierung. Ein Beitrag zur Debatte der Berufsbildungstheorie zum Subjektbezug in der Berufsbildung

Beitrag von Katrin Kraus
Schlüsselwörter: Beruflichkeit, Subjektivierung, berufliche Handlungsfähigkeit, Berufsbildung, Berufsbildungstheorie, Subjekt, Beruflichkeit, subject, subjectivation, VET, VET theory, vocational competence

Beruflichkeit als Form von Subjektivierung entwickelt sich über das Einnehmen einer beruflich gerahmten Subjektposition in der Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Erwartungen, Zumutungen und Anforderungen sowie der Nutzung der daraus entstehenden Zugehörigkeits- und Handlungsmöglichkeiten. Sie ist ein beständiger Prozess der Selbstvergewisserung und Positionierung von Menschen im Kontext berufsförmiger Arbeit und im Rahmen gesellschaftlicher Ungleichheit. Im Beitrag werden unter Bezugnahme auf verschiedene Studien folgende Dimensionen von Beruflichkeit als Subjektivierung herausgearbeitet: Aufbau einer Identifikation mit dem Beruf, Entwicklung von Emotionsregulierung und Interaktionsstrategien, Gestaltung von (Arbeits-)Alltag und Lebensführung, Vollzug von beruflichen Praktiken als vollständige Handlungen, Gestaltung von Arbeitsprozessen und betrieblicher Kollegialität sowie Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen. Abschließend werden mögliche Anschlüsse der Berufsbildungstheorie und -forschung an das Verständnis von Beruflichkeit als Form der Subjektivierung skizziert und Möglichkeiten der Berufsbildung diskutiert, solche Prozesse zu begleiten. Diese Perspektiven eröffnet sich gerade in den Widersprüchen gesellschaftlicher Positionierung und individueller Aneignung im Kontext von Beruflichkeit.

„Beruflichkeit“ as subjectification. A contribution to VET theory and the question about the subject in VET

English Abstract

„Beruflichkeit“ as a form of subjectification develops through the engagement in vocationally framed subject positions in confrontation with the associated expectations, impositions and demands as well as the use of the resulting possibilities for belonging and action. It is a constant process of self-assurance and positioning of people in the context of work. With reference to various studies, six dimensions of „Beruflichkeit“ as subjectification are elaborated in the article: identification with the occupation, developing emotion regulation and interaction strategies, shaping working life and lifestyle, carrying out vocational practices, shaping work processes and company collegiality as well as the development of vocational competence. Finally, possible connections of VET theory and VET research are outlined as well as the potentiel of VET to accompany such processes are discussed. These perspectives open up precisely in the contradictions of social positioning and individual appropriation in the context of „Beruflichkeit“.

1   Einleitung

Dieser Beitrag knüpft an den Beitrag von Günter Kutscha „Subjekt(de)konstruktion und Kontingenz – ein autobiografisch inspirierter Beitrag zum berufsbildungstheoretischen Diskurs“ in dieser Spezial-Ausgabe der bwp@ an. In seinem Beitrag befragt Günter Kutscha ausgehend von biografischen Erfahrungen die Kategorie des (autonomen) Subjekts und stellt die Frage, ob dieses Subjekt weiterhin (normativer) Bezugspunkt von Berufsbildung und (kritischer) Berufsbildungstheorie sein kann. Pointiert in der Frage: Wer ist Ich? Wer ist dieses Subjekt, das in den beschriebenen Situationen handelt? Er leuchtet in seinem Beitrag insbesondere den Zusammenhang von biografischer Kontingenz und Subjektivität aus. Deutlich wird dabei einerseits die Kontingenz menschlicher Existenz und andererseits eine Form von Eigensinn, mit der sich der Mensch von dieser Kontingenz und den situativen Anforderungen abhebt. Geschildert und subjekttheoretisch reflektiert werden in diesem Beitrag Momente der Wahrnehmbarkeit eines Selbst in der Wahrnehmung von Situationen und im Handeln, wobei sich die Konstitution dieses Subjekts innerhalb der Kontingenz vollzieht und es damit selbst kontingent bleibt (Ricken 1999). Der vorliegende Beitrag greift diese berufsbildungstheoretische Befragung der Kategorie Subjekt als Teil einer „permanente[n] Beobachtung und diskursive[n] Klärung“ des Verhältnisses von „Bildung, Arbeit und Subjektivität“ (Kutscha 2023, 18) auf.

Durch diese Überlegungen angeregt wird im Folgenden über den Ansatz der Subjektivierung ein möglicher Zugang zum Subjektbezug in der Berufsbildung vorgeschlagen. Dazu werden im Anschluss an den ersten Abschnitt, der einen berufsbildungstheoretischen Zugang zum Subjekt skizziert (2), das Prinzip der Beruflichkeit dargelegt (3) und der Ansatz der Subjektivierung als Aneignung von verfügbaren Subjektpositionen im Kontext gesellschaftlicher Ordnungen vorgestellt (4). Subjektivierung wird in Abschnitt (5) auf Beruflichkeit bezogen, da mit dem Beruf eine beruflich gerahmte Subjektposition zur Verfügung steht und Beruflichkeit somit als eine mögliche Form von Subjektivierung verstanden werden kann. Dies wird anhand verschiedener Studien zur Entwicklung von Beruflichkeit und beruflichem Handeln exemplarisch herausgearbeitet. Über diese Herangehensweise werden sechs Dimensionen von Beruflichkeit als Subjektivierung identifiziert (6). Abschließend geht es im Fazit (7) um ein kurzes Resümee und die Formulierung von wissenschaftlichen Perspektiven und Aufgaben beruflicher Bildung im Anschluss an das Verständnis von Beruflichkeit als Form der Subjektivierung.

2   Ein berufsbildungstheoretischer Zugang zum Subjekt

In Anknüpfung an Günter Kutschas Überlegungen zur Kontingenz des Subjekts liegt ein berufsbildungstheoretischer Zugang zur Subjektivität in jenen Momenten, in denen der Mensch – für kurze Zeit – gegenüber der Kontingenz der Existenz und dem Lauf der Dinge mit ihren Anforderungen als Anderes sichtbar wird. Das heißt, in den Momenten, in denen ein Mensch sich dazu bejahend oder ablehnend positioniert und damit als ein sich-verhalten-könnendes Anderes für sich selbst wahrnehmbar und für andere sichtbar wird. Im Anschluss daran gehen die folgenden Überlegungen der Frage nach, was der Subjektbezug im Verhältnis von Mensch und Welt im Kontext beruflicher Bildung bedeuten kann, wenn das Subjekt nicht mit einer teleologischen Vorstellung von Autonomie gegenüber der Welt und ihren Anforderungen verbunden ist.

In der Wahrnehmung des Menschen, nicht einfach in der Umwelt, den Verhältnissen oder dem kontingenten Lauf der Dinge aufzugehen, sondern eine Differenz dazu bilden zu können, wenn auch nicht immer bilden zu müssen, liegt – so der Ausgangspunkt für diesen Beitrag – auch ein Zugang zur Subjektivität im Kontext der Berufsbildung. Denn berufliche Bildung verfolgt über die Erfüllung von Anforderungen der Arbeitswelt hinaus auch einen Bildungsanspruch sowie den Anspruch, Menschen dazu zu befähigen, einen Beitrag zur Gestaltung von Gesellschaft und Arbeitswelt leisten zu können (Gonon/Reinisch/Schütte 2010; Kutscha 2020; Rauner 2021). Dies ist nur möglich, wenn es eine Differenzvorstellung zwischen Anforderungen und Mensch gibt, ohne dass dies zu einer Negation der Anforderungen der Arbeitswelt führt. Denn für die berufliche Bildung kennzeichnend ist gerade das doppelte Regulativ dieses Bildungsbereichs (Kraus 2009): Berufsbildung folgt einerseits funktionalen Anforderungen der Arbeitswelt, denn sie muss dem nachgefragten fachlichen Wissen und Können, überfachlichen Kompetenzen und einer individuellen Orientierung an Erwerbstätigkeit gerecht werden, damit Menschen sich über ihren Berufsabschluss auf dem Arbeitsmarkt positionieren und eine entsprechende Erwerbstätigkeit aufnehmen können (Georg/Sattel 2020). Andererseits muss Berufsbildung als Teil des Bildungssystems auch dem ideellen Anspruch einer mit anderen Bereichen der Pädagogik geteilten Bildungsvorstellung folgen, die über die Erfüllung äußerer Anforderungen hinausgeht und sich am Menschen und seiner Entwicklung orientiert (Büchter 2021b; Gonon/Reinisch/Schütte 2010). Die Kontroverse respektive das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Anforderungen hat die Berufsbildungstheorie in ihrer Entwicklung grundlegend geprägt (Blankertz 1965; Heid 2003; Kutscha 2020). Daraus resultiert ein spezifisches Verhältnis, das als doppeltes Regulativ der Berufsbildung beschrieben werden kann. Sie muss sowohl funktionalen Anforderungen wie ideellen Ansprüchen gerecht werden, da sie ansonsten entweder den Bezug zum Bildungsbereich oder zur Arbeitswelt verlieren würde, die aber für die Berufsbildung beide gleichermaßen konstitutiv sind. Berufsbildung verbleibt daher in einer permanenten Ausgleichsbewegung zwischen beiden, die sich einer Auflösung der daraus entstehenden Ambivalenz in die eine oder andere Richtung entzieht und damit zum Ausgangspunkt berufsbildungstheoretischer Überlegungen werden kann. Die für die Berufsbildung charakteristische Ambivalenz von Bildungsanspruch und Anforderungen der Arbeitswelt eröffnet somit auch die Möglichkeit, im Rahmen der Berufsbildungstheorie über Subjektivität und den Subjektbezug der Berufsbildung nachzudenken.

Die vorliegende Auseinandersetzung mit Subjektivierung in Kontext der beruflichen Bildung schließt an ein praxeologisches Verständnis von gesellschaftlichen Kategorien wie Geschlecht oder Kultur an. Mit Begriffen wie „doing difference“ oder „doing gender“ (Fenstermaker 2010), „doing culture“ oder „doing space“ (Jucker et al. 2018) wird betont, dass solche Kategorien im Verständnis von Individuum und Gesellschaft nicht nur im Handeln entstehen, sondern auch im Handeln permanent neu hergestellt (und ausgehandelt) werden müssen, ohne dass sie dadurch als Bezugspunkt in der Konstruktion sozialer Wirklichkeit oder individueller Handlungsorientierung obsolet würden. Grundlegend für die folgenden Ausführungen ist damit ein prozessorientiertes Verständnis von Subjektivierung, das diesen Prozess im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verortet. Subjektivierung wird dabei als permanente Vergewisserung von Subjektivität in diesem Verhältnis verstanden. Es handelt sich also nicht um den (einmaligen) Akt einer Subjektwerdung oder einen transitorischen Akt der Erlangung eines (autonomen) Subjektstatus, sondern um einen beständigen Prozess der Selbstvergewisserung und Positionierung des Menschen im Verhältnis zur Welt und der Erfahrung, gegenüber dieser Welt sichtbar zu sein und sich dazu verhalten zu können. Dieses Verständnis von Subjektivierung und seine Ermöglichung respektive Unterstützung wird im vorliegenden Beitrag auf die beruflich verfasste Erwerbtätigkeit bezogen, d. h. auf einen spezifischen Ausschnitt von Welt. Damit geht es um Subjektivierung als beständigen Prozess der Selbstvergewisserung und Positionierung des Menschen im Kontext berufsförmiger Arbeit und den Bezug der Berufsbildung auf diesen Prozess.

3   Beruflichkeit als Prinzip

Der Beruf wird als kultivierte Form von Arbeitskraft verstanden (vgl. Kutscha 2008), d. h. als eine bestimmte Form von Arbeit, was grundsätzlich „impliziert, daß es auch andere Formen der Arbeit und der Ausbildung gibt“ (Lange 1999, 11). Als spezifische Form von Arbeit stellt der Beruf in den deutschsprachigen Ländern ein wichtiges gesellschaftliches Strukturprinzip dar: Er strukturiert Arbeitswelt und Berufsbildungssystem und verbindet beide im Rahmen einer „beruflichen Ordnung“ (Kraus 2007) konzeptionell und strukturell miteinander, was Fürstenberg dazu veranlasst hat, von einer „Berufsgesellschaft“ (2000) zu sprechen. Das hinter der Berufsform stehende Prinzip der Beruflichkeit (Deissinger 1998) kommt dabei historisch in je spezifischer Form zum Ausdruck (Büchter 2021a; Gonon 2001; Kutscha 2008; Meyer 2015; Kraus 2012): Vom mittelalterlichen Verständnis der Berufung des Menschen durch transzendente Kräfte über den klassischen Berufsbegriff des frühen 20. Jahrhunderts, der den bildenden Wert der Arbeit und gemeinschaftliche Bezüge betonte, bis zum industriellen Berufsverständnis des 21. Jahrhunderts, das die arbeitsteilig und standardisiert organisierte Fachlichkeit sowie den Berufsstolz ins Zentrum stellte und sich nach und nach für überfachliche Aspekte öffnete, und seinem Übergang zur postindustriellen Beruflichkeit ab den 2000er Jahren, die Aspekte von Flexibilisierung und Individualisierung aufgenommen hat. Mit der letztgenannten Fassung ist das Prinzip der Beruflichkeit selbst in den Vordergrund gerückt, d. h. es geht in der aktuellen Diskussion weniger um eine feste Bestimmung von standardisierten Strukturen der Berufsform, als vielmehr um die Betonung des Prinzips. Im Zentrum steht damit zum einen die Breite der verschiedenen Elemente, die sich im Laufe der begriffsgeschichtlichen Entwicklung im Verständnis des Berufsbegriffs aufgeschichtet haben, wie berufliche Identität, Berufsethos, Bildung, Ausübung einer Erwerbstätigkeit, Fachlichkeit im Wissen und Können oder überfachliche Kompetenzen, und zum anderen die Bündelung dieser verschiedenen Bedeutungsfacetten in einem Prinzip auf das sich verschiedene gesellschaftliche Akteure auch in politischen Aushandlungsprozessen beziehen. Mit dem Prinzip der Beruflichkeit sind zudem berufspädagogische Zugänge und Institutionen zur individuellen Entwicklung von Beruflichkeit verbunden.

Berufliche Bildung orientiert sich grundlegend am Prinzip der Beruflichkeit in seiner jeweiligen historischen Ausrichtung. Sie ist damit einerseits auf den Aufbau beruflicher Handlungsfähigkeit ausgerichtet. Berufliche Handlungsfähigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass Berufsangehörige unterschiedliche Anforderungssituationen in ihrem beruflichen Tätigkeitsfeld mit ihren fachlichen, überfachlichen und sozialen Dimensionen bewältigen können. Das beinhaltet, dass sie ihre Tätigkeiten mit Bezug zur Fachlichkeit und spezifischen Wertvorstellungen eigenständig planen, ausführen und prüfen sowie Arbeitssituation und ‑prozesse verantwortungsvoll gestalten können. Es beinhaltet auch, dass sie in der Lage sind, im beruflichen Kontext zielführend zu kooperieren und zu interagieren. Diese berufliche Handlungsfähigkeit geht über das Können von einzelnen Tätigkeiten hinaus (Clarke/Winch/Brockmann 2013) und bewährt sich auch im Kontext von sich verändernden Anforderungen in der Arbeitswelt, wie sie aktuell zum Beispiel durch die digitale Transformation gegeben sind (Baumhauer/Meyer 2021). Andererseits zielt Beruflichkeit in einem weiteren Sinne auf erwerbsbiografische Gestaltungskompetenz, die angesichts einer größeren Pluralität von Lebensläufen und der Diskontinuität von Erwerbsbiografien als Zieldimension zunehmend wichtiger wird (Hendrich 2004; Meyer 2014; Kraus 2022). Erwerbsbiografische Gestaltungskompetenz beschreibt die Fähigkeit, den eigenen erwerbsbiografischen Weg reflektieren und gestalten zu können und dabei auch die Verbindung zu anderen Lebensbereichen einzubeziehen. Dies umfasst sowohl die Auseinandersetzung mit Möglichkeiten, Anforderungen, Wünschen und Ziele für die eigene Entwicklung als auch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und deren Mitgestaltung. Beide Zieldimensionen, berufliche Handlungsfähigkeit und erwerbsbiografische Gestaltungskompetenz, sind leitend für die berufliche Bildung und können zugleich als Aspekte einer kontinuierlichen Entwicklung von Beruflichkeit verstanden werden. Denn sie werden mit einem Berufsabschluss nicht abschließend erreicht, sondern stellen sich als begleitende berufsbiografische Aufgabe, die in einem iterativen Prozess bearbeitet wird, der Elemente von Bildung in berufspädagogischen Settings sowie berufliche Erfahrung, deren Reflexion und die (reflexive) Gestaltung beruflichen und erwerbbiografischen Handelns umfasst (Kraus 2022).

Neben dem Erwerb von Wissen und Kompetenzen sowie der Reflexion in pädagogisch angeleiteten Settings der beruflichen Aus- und Weiterbildung hat auch das Ausüben der beruflichen Tätigkeit im sozialen Kontext eine wichtige Funktion. Einen zentralen Anteil haben dabei die Interaktionsanteile von Arbeit im betrieblichen Kontext oder in der Leistungserbringung. Eine große Rolle spielt zudem die Gestaltung der Praktiken beruflich-betrieblichen Handelns, die erlernt, ausgeführt, experimentell verändert, überdacht, modifiziert, neu kombiniert, weiterentwickelt oder bestätigt werden, d. h. die Gestaltung und Entwicklung von „Praxisarchitekturen“ (Kemmis 2021) in der beruflichen Tätigkeit. Hierbei ist das Lernen im Prozess der Arbeit als Aufbau von Routinen und Aneignung von spezifischem Wissen und Können im betrieblichen Kontext von besonderer Bedeutung (Dehnbostel 2020; Fuller/Unwin 2011; Molzberger 2016).

In diesem Sinne stellt Beruflichkeit ein Konstrukt dar, das eine individuelle, organisationale und politische Seite der Entwicklung und Gestaltung hat und im Rahmen der „beruflichen Ordnung“ (Kraus 2007) für Individuen wie für Betriebe und Bildungsinstitutionen als „organisierendes Prinzip“ (Deissinger 1998) fungiert. Dieses komplexe Verständnis von Beruflichkeit wird im Folgenden mit dem theoretischen Ansatz der Subjektivierung verbunden. Die Entwicklung von Beruflichkeit, in der sich Menschen aneignend mit der kultivierten Form von Arbeitskraft in Form eines Berufs auseinandersetzen und diese Aneignung mit der eigenen Positionierung im Mensch-Welt-Verhältnis verbinden, d. h. Beruflichkeit in ihre Selbstvergewisserung und Positionierung in diesem Verhältnis integrieren, wird damit als Form von Subjektivierung verstanden.

4   Subjektivierung als Aneignung von verfügbaren Subjektpositionen

Das theoretische Grundverständnis von Subjektivierung als Prozess der Aneignung verfügbarer Subjektpositionen im Kontext gesellschaftlicher Ordnungen wird im Folgenden zunächst allgemein dargelegt (4.1) und im nächsten Schritt als Subjektivierung im Kontext der beruflichen Ordnung konkretisiert (4.2).

4.1 Subjektivierung als Prozess im Kontext gesellschaftlicher Strukturen

In der Perspektive der Subjektivierungsforschung stellt dies einen Beitrag zur „Suche nach den Bedingungen und Folgen des Subjekt-Seins“ (Bosančić et al. 2022b, 2) im Kontext von Beruflichkeit dar. Der Subjektivierungsforschung liegt ein handlungstheoretischer und zugleich relationaler Subjektbegriff zugrunde (Bosančić et al. 2022a), der eine machtkritische Perspektive mit dem Bezug auf subjektive Handlungsfähigkeit (Agency) verbindet (Bosančić et al. 2022b, 10). Dieser theoretische Bezugsrahmen kommt darin zum Ausdruck, dass es zwar um die Erforschung von „(Selbst-)Positionierungen und Agency von Subjekten“ (Bosančić et al. 2022b, 10) geht, diese aber nicht mit „einem naiven Freiheitsverständnis“ (Bosančić et al. 2022b, 10) gleichgesetzt, sondern relational zur „Mächtigkeit institutioneller Ordnungen und deren Programmatiken“ (Bosančić et al. 2022b, 10) gesehen werden, die zugleich als „Bedingungen von Subjektivierung und kollektivem Handeln“ (Bosančić et al. 2022b, 10) erkannt und problematisiert werden. Der Fokus wird damit auf das Subjekt und seine Handlungsfähigkeit im Kontext der beruflichen Ordnung der Gesellschaft gerichtet, seine Handlungsmöglichkeiten und seine Subjektivität aber zugleich in gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Zuweisungsprozessen innerhalb dieser Ordnung verortet. Über die Aneignung von gesellschaftlich verfügbaren Subjektpositionen kann die Handlungsposition eines Subjekts erlangt werden, was aber zugleich mit Limitationen und der Akzeptanz von Zumutungen verbunden ist. Die für die Einzelne/den Einzelnen zur Verfügung stehenden Subjektpositionen sind wiederum entlang von Kategorien sozialer Ungleichheit, wie Geschlecht, Behinderung oder Migrationshintergrund verteilt, also ihre Verfügbarkeit direkt eingebunden in gesellschaftliche Strukturen mit ihren Macht- und Ungleichheitsverhältnissen. Bestimmte Subjektpositionen scheinen damit für Individuen erreichbar respektive werden zugeschrieben, anderen stehen nicht oder nicht ohne weiteres zur Verfügung.

Das Subjekt eignet sich im Prozess der Subjektivierung Positionierungen in seinem Möglichkeitsraum an, denen es „sich nicht ohne Preisgabe von Teilhabe- und Anerkennungsverhältnissen entziehen“ (Stauber/Walther/Settersten 2022, 285) kann. Die Selbstpositionierung innerhalb der gesellschaftlich verfügbaren Subjektpositionen ist somit einerseits ein Einfinden in gesellschaftliche Strukturen und damit auch eine Bestärkung dieser Strukturen, was als Grundgedanke auch bereits der Strukturationstheorie (Giddens 1997) oder der Performativitätstheorie (Butler 2010) zugrunde liegt. Andererseits wird das Individuum darüber zum „handlungsfähigen Subjekt“ (Bosančić et al. 2022b, 286), das mögliche Subjektivitätsangebote ausgestalten und Strukturen sowie die damit verbundenen Erwartungen mitgestalten kann. Und schließlich gewinnt es über das Einnehmen einer verfügbaren Subjektposition gesellschaftliche Teilhabe und soziale sowie im Fall von Beruflichkeit auch materielle Anerkennung, die ihm verwehrt blieben, würde es sich auf die Zuschreibungen und Zumutungen verfügbarer Subjektpositionen nicht einlassen.

Als wichtiges Element im Verständnis von Subjektivierung kommt hinzu, dass es dabei um „the genesis of dispositions to feel, think, and act towards others and oneself“ (Traue/Pfahl 2022, 32) geht, also die Verbindung von Fühlen, Denken und Handeln mit Bezug auf die eigene Person und andere Personen, die keine äußerliche Übernahme abstrakter Positionen und Anforderungen bedeutet, sondern sich mit der eigenen Person verbindet. Die (Selbst‑)Positionierung über die Einnahme gesellschaftlich verfügbarer Subjektpositionen und damit die Aneignung entsprechender Positionen bleibt den Menschen also nicht äußerlich, sondern schreibt sich in ihr Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln ein, wird also zum Teil ihres eigenen Selbstverständnisses.

4.2 Subjektivierung im Kontext der beruflichen Ordnung

Berufsbildung und damit verbundene Erwerbsmöglichkeiten stellen in den Ländern mit einer beruflichen Ordnung, d. h. insbesondere Deutschland, der Schweiz und Österreich, einen stark normierten Bereich mit vielen vorstrukturierten Positionierungsmöglichkeiten dar, der sowohl vertikal in der Hierarchie verschiedener Positionen und Segmente und ihrem gesellschaftlichen Status differenziert als auch horizontal in unterschiedliche Tätigkeitsfelder und Branchen aufgeteilt ist. Diese stellen im Kontext der Subjektivierung mächtige institutionelle Ordnungen dar. Zugleich hat die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu erwerben, einen gewissen Notwendigkeitscharakter – im Sinne der bereits erwähnten Teilhabe- und Anerkennungsverhältnisse, die ohne die Aneignung verfügbarer Subjektpositionen verschlossen bleiben, und zugleich für die Sicherung des Lebensunterhalts. Denn Menschen müssen sich mit dem Übergang ins Erwachsenenalter auch mit den gesellschaftlich möglichen Formen der Sicherung des Lebensunterhaltes beschäftigen und in Auseinandersetzung mit institutionellen Strukturen und sozialen Erwartungen diesbezüglich für sich einen möglichen Weg finden. Das Erlernen eines Berufs, die Ausübung dieses Berufs und entsprechende berufliche Weiterbildungen stellen dabei eine mögliche Form dar, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Dieser Prozess wird als Subjektivierung in Form von Beruflichkeit durch die Einnahme einer beruflich gerahmten Subjektposition in der Auseinandersetzung mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen sowie der Nutzung der daraus entstehenden Handlungsmöglichkeiten verstanden.

Aus der Perspektive von Arbeitsprozessen hat Fritz Böhle Arbeit als subjektivierendes Handeln untersucht (Böhle 2017a) und betont, dass „nahezu in sämtlichen Arbeitsbereichen der Umgang mit Grenzen der Planung und Unwägbarkeiten eine zentrale Anforderung an menschliche Arbeit ist“ (Böhle 2017b, 5f.). Das Planen und exakte Ausführen von Arbeitstätigkeiten wird in diesem Verständnis ergänzt um eine „spürende, sinnliche Wahrnehmung, Sinneserfahrungen und -empfindungen“ (Böhle 2017b, 32), die einer Verbundenheit und Vertrautheit des Menschen mit der Sache bedarf und daher auch als „erfahrungsgeleitet-subjektivierendes Handeln bezeichnet“ (Böhle 2017b, 32) wird. Als subjektivierend wird das Arbeitshandeln bezeichnet, weil sich der Mensch mit seinen persönlichen Potenzialen in diesen Prozess einbringt, sich darin als handelndes Subjekt erlebt und damit auch im Arbeitsprozess als denkendes, fühlendes und handelndes Subjekt in Erscheinung tritt. Die Möglichkeit dazu entsteht über „Lücken und Spielräume, die vom Facharbeiter ausgefüllt werden müssen“ (Böhle/Milkau 2017, 43). Lücken der Planung und Spielräume im Ausführen von Facharbeit sind Möglichkeiten der Subjektivierung und der Konstituierung von Beruflichkeit. Sie ermöglichen und erfordern, dass sich Beschäftigte mit ihrer Beruflichkeit in diesen Arbeitsprozess einbringen und diese dabei beständig weiterentwickeln. Wie von Traue und Pfahl (2022, 32) betont verbinden sich damit in der Einnahme der Subjektposition Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln der Person in Bezug auf sich selbst und den beruflich geformten Arbeitsinhalt und -prozess mit den darin eingelagerten Erwartungen und Anforderungen.

Von diesem Verständnis von Subjektivierung als einem gesellschaftlich und organisational gerahmten Prozess der Erlangung subjektiver Handlungsfähigkeit und der Verbindung dieser (Selbst-)Positionierung mit der eigenen Person können Bezüge zu dem zuvor ausgeführten Verständnis von Beruflichkeit hergestellt werden, was im folgenden Abschnitt mit Überlegungen zur Beruflichkeit als Subjektivierung unter Bezugnahme auf empirische Studien weiter ausgeführt wird.

5   Beruflichkeit als Subjektivierung

Die folgenden Überlegungen konkretisieren das Verständnis von Subjektivierung als einem Prozess der Aneignung von verfügbaren Subjektpositionen. Dazu werden Studien zu Arbeit und Berufsbildung mit der Frage analysiert, welche Erkenntnisse daraus zu Beruflichkeit als Form der Subjektivierung gewonnen werden können. Leitend ist dabei die These, dass Beruflichkeit ein prinzipiell verfügbares Subjektivierungsangebot darstellt, das über berufliche Aus- und Weiterbildung sowie eine Tätigkeit im jeweiligen Beruf prinzipiell – allerdings differenziert im Rahmen gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen – erreichbar ist. Die für die Subjektivierungsforschung leitende Frage, „Wie werden Menschen in Gegenwartsgesellschaften positioniert, wie verhalten sie sich hierzu, wie positionieren sie sich selbst?“ (Brodersen et al. 2022, VI), wird damit als Frage spezifiziert, wie Menschen über Beruflichkeit positioniert werden, wie sie sich hierzu verhalten und wie sie sich über Beruflichkeit selbst positionieren. Um zu rekonstruieren, wie sich Subjektivierung in Form von Beruflichkeit vollzieht und wie sich die Auseinandersetzung mit den mit dem eigenen Beruf verbundenen gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen sowie der Nutzung der daraus entstehenden Handlungsmöglichkeiten konkret darstellt, werden im Folgenden exemplarische Befunde aus unterschiedlichen Forschungszusammenhängen analysiert. Berücksichtigt werden dabei explizit auch Studien zu problematischen Situationen der Aneignung eines Berufs, da sich hieran die Ambivalenz der Subjektivierung besonders deutlich zeigt in der gleichzeitigen Übernahme von Zuschreibungen, der Akzeptanz von Zumutungen und der Erlangung einer handlungsfähigen Position mit Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten.

In den für diese Analyse herangezogenen Untersuchungen kam überwiegend eine Kombination verschiedener Formen der Datenerhebung und -auswertung zum Einsatz bestehend aus Beobachtungen, in denen berufliche Praktiken im Zentrum standen, und Befragungen, in denen die Sicht der Berufsangehörigen zur Geltung kam. Letztere wurden sowohl als Einzel- wie als Gruppeninterviews durchgeführt, da gerade Fragen beruflicher Identität auch über die soziale Dimension der gemeinsamen Verständigung zwischen Angehörigen desselben Berufs, die mutmaßlich dieselben oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben, zugänglich sind. Bedeutungen werden gemeinsam ausgehandelt und als berufskulturelle Erzählungen auch kollektiv tradiert. Die Datenerhebung und -auswertung der verschiedenen Studien kann hier nicht vertiefend dargestellt werden, ist aber über die zitierten Veröffentlichungen nachvollziehbar.

5.1 Subjektivierung durch die Auseinandersetzung mit berufsbezogenen sozialen Wertungen bei Berufen mit niedrigem Prestige

Als gesellschaftliche Strukturkategorien sind Berufe mit sozialem Status verbunden. Menschen, die Berufe mit einem niedrigen sozialen Status ergreifen und auswählen, müssen sich daher in der Entwicklung ihrer Beruflichkeit auch mit einer sozialen Abwertung auseinandersetzen. Diese Dimension im Prozess der Subjektivierung zeigt sich exemplarisch in zwei Studien zu den Berufen Maurer*in (Duemmler/Caprani/Felder 2020) und Einzelhandelskaufleute (Duemmler/Felder/Caprani 2018; Duemmler/Caprani 2017). Diese Studien untersuchen, wie berufliche Identität von Lernenden in Berufen mit einem niedrigen gesellschaftlichen Prestige entwickelt und ausgehandelt wird. Das niedrige Sozialprestige ihres Berufs ist für die Berufsangehörigen in sozialen Situationen direkt erlebbar. Geschildert werden insbesondere abschätzige Reaktionen anderer Personen auf ihren Beruf respektive ihre Berufswahl, weil er intellektuell als wenig anspruchsvoll angesehen oder die damit verbundene körperliche Anstrengung problematisiert wird. Gegenüber diesen Erfahrungen der Geringschätzung entwickeln Lernende spezifische Strategien in der Herausbildung ihrer beruflichen Identität. Diese bestehen insbesondere in der Hervorhebung von positiven Aspekten ihres Berufs wie der gesellschaftlichen Bedeutung oder den dafür notwendigen Fähigkeiten, dem Abwechslungsreichtum und der fachlichen Breite sowie der Verantwortung und den Entscheidungsmöglichkeiten, die sie als Lernende in ihrem Beruf bereits haben (Duemmler et al. 2020, 377-384; Duemmler/Caprani 2017, 344-348). Im Berufsfeld Einzelhandel wird etwa die besondere Qualität der Produkte hervorgehoben oder die Maurer berichten von ihrem Stolz, ein greifbares Ergebnis und langlebige Produkte zu erzeugen. Generell heben die Lernenden die spezifische Attraktivität und die Befriedigung durch ihre Tätigkeit hervor. Damit geht teilweise auch der Bezug auf eine berufskulturelle Überhöhung, noch ‚richtige Arbeit‘ zu machen, einher. Neben der positiven Wertung der Tätigkeit an sich ziehen die Lernenden auch soziale Vergleiche, z. B. in Bezug auf den Lohn oder Arbeitsmarktchancen, bei denen sie sich mit ihrem Beruf im Vorteil gegenüber anderen sehen. Zudem betonen sie mit ihrem Beruf einhergehende Entwicklungsmöglichkeiten, z. B. das Absolvieren von höheren Abschlüssen, fachlichen Spezialisierungen oder anderen Möglichkeiten der Weiterbildung.

Mit der Übernahme eines Berufs mit niedrigem sozialem Status als einer für sie zugänglichen und/oder zugeschriebenen sowie letztlich übernommenen Subjektposition geht für Lernende die Erfahrung sozialer Abwertung einher, der sie im Aufbau ihrer Beruflichkeit eigene Wertungen entgegensetzen und dabei auf Entwicklungsmöglichkeiten sowie beruflich-kollektive Ressourcen in Form von positiven Berufsbildern zurückzugreifen. Am Beispiel dieser Berufe zeigt sich die Komplexität der Subjektivierung als Form der (Selbst-)Positionierung im gesellschaftlichen Kontext von Ungleichheitsstrukturen. Die Lernenden haben sich im Rahmen der für sie entlang von gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen verfügbaren Subjektpositionen für die Ausbildung in einem bestimmten Beruf entschieden. Damit gehen negative Zuschreibungen gegenüber ihrer Person einher, mit denen sie sich im Rahmen der Entwicklung ihrer eigenen Beruflichkeit auseinandersetzen und sie in ihre Identifikation mit dem Beruf integrieren müssen. Sie tun dies in den geschilderten Beispielen über die Anwendung spezifischer Strategien, die Aspekte von Fühlen und Handeln gegenüber sich selbst als Berufsangehörigen und der beruflichen Tätigkeit umfasst. Ressourcen für eine positive Wertung des Berufs sind hier einerseits kollegial und berufskulturell gerahmt, d. h. die positive Wertung des eigenen Berufs im Rahmen der Entwicklung von Beruflichkeit erfolgt durch den Bezug auf positiv konnotierte Bilder, die Angehörige des jeweiligen Berufs teilen und denen auch eine gewisse Schutzfunktion gegenüber gesellschaftlichen Abwertungen zukommt. Andererseits spielen strukturelle Entwicklungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle, die mit diesem Berufsabschluss im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt oder im Betrieb gegeben sind.

5.2 Subjektivierung über Bewältigung von gefühlsbezogenen Erwartungen in personenbezogenen Dienstleistungsberufen

Gerade in personenbezogenen Dienstleistungen werden emotionale Anforderungen an die Berufstätigkeiten auch als Teil der Leistungserbringung thematisiert. Dies wird im Folgenden anhand der Berufe Friseur*in und Einhalhandelskauffrau/-man dargestellt, bei denen Lernende mit starken schicht- und geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Erwartungen an ihre Person und ihre Gefühle konfrontiert sind und im Umgang damit für sich einen Weg finden müssen. Die Studie von Klope und Hedlin (2023) betont die generelle Bedeutung der emotionalen Arbeit und der Emotionsregulation in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen. In Anlehnung an Hochschild (2012) unterscheiden sie dabei ein oberflächliches Handeln, das diese Gefühle lediglich zeigt, von der Anforderung, diese authentisch zu empfinden und in der Interaktion mit der Kundin oder dem Klienten auszuleben. Angehende Friseurinnen sind während der Ausbildung mit der aus ihrer Sicht unangemessenen Anforderung konfrontiert, im Kontakt mit der Kundschaft nicht nur freundlich zu kommunizieren, sondern auch fröhlich zu sein. Im Rahmen einer Gruppendiskussion zur Datenerhebung thematisieren sie diese Erwartung und schildern, wie sie Ausdrucksformen von Fröhlichkeit gezielt erlernen, wie etwa ein Lächeln oder eine schwungvolle Stimme. Über diese Performanz von Fröhlichkeit sollen sie tatsächlich in eine fröhliche Stimmung kommen. Die Autorinnen analysieren diese Schilderung vor dem Hintergrund, dass in der Regel junge, sozial weniger privilegierte Frauen diesen Beruf erlernen. Sie zeigen, dass angehende Friseurinnen dazu angehalten werden, über die Regulation eigener Gefühle die Erwartungen von Betrieben und Kundschaft zu erfüllen. Die Ausbildung ist somit nicht nur darauf ausgerichtet, handwerkliches Können und soziale Kompetenzen im Umgang mit der Kundschaft zu erwerben, sondern auch darauf, dem schicht- und geschlechtsspezifischen Idealbild einer immer fröhlichen Friseurin zu entsprechen. Die Lernenden müssen sich mit dieser Erwartung auseinandersetzen. Teilweise distanzieren sie sich im kollegialen Austausch mit anderen Lernenden durch einen ironischen Umgang davon. Ähnliches berichten Lernende im Einzelhandel, für die die Erwartung, immer freundlich und hilfsbereit zu sein, mühsam ist (Duemmler/Caprani 2017, 343f.).

Aus der theoretischen Perspektive der Subjektivierung wird in diesem Beispiel die Einnahme einer schicht- und geschlechtsspezifischen beruflichen Subjektposition im Rahmen einer mächtigen institutionellen Ordnung deutlich, bei der die Zuschreibung über die fachlichen und sozialen Anforderungen der Erbringung einer personenbezogenen Dienstleistung hinausgehen. Die Erwartungen betreffen auch die Person und ihre Gefühle, da entsprechende Anforderungen nicht nur an die Darstellung von Emotionen, sondern auch an die Emotionsregulation gestellt werden. In der Entwicklung ihrer eigenen Beruflichkeit thematisieren Lernende im Rahmen der Ausbildung genau diese Anforderung als unangemessen. Entziehen können sie sich ihr im Rahmen ihrer Ausbildung offensichtlich nicht – solange sie nicht den Schritt gehen und diese Ausbildung aufgeben –, aber sie pflegen in der Gruppendiskussion gegenüber dem als unzulässig empfundenen Anspruch an ihre Gefühle einen distanzierend-ironischen Umgang, d. h. sie vergewissern sich im kollegialen Kreis über die Unangemessenheit dieser Erwartung und tauschen Strategien aus, sie entgegen der Erwartung oberflächlich zu erfüllen ohne ihre Gefühle zu regulieren. Damit behaupten sie sich gegenüber diesem auf ihre Person zielenden Anspruch und werden als Subjekte sichtbar, die sich mit Anforderungen auseinandersetzen und diese teilweise zurückweisen können, auch wenn sie sich ihnen nicht vollständig entziehen können. Den kollegialen Raum, der diese distanzierende Selbstpositionierung als Form von Subjektivität im Spiegel der Positionierung der anderen ermöglicht, hat in diesem Fall die Gruppendiskussion im Rahmen der Datenerhebung eröffnet.

5.3 Subjektivierung in Auseinandersetzung mit problematischen Arbeitsbedingungen im Einzelhandel

Verschiedene Studien berichten von Arbeitsbedingungen, die Lernenden im Einzelhandel die Entwicklung eines positiven Berufsverständnisses erschweren. Aufgrund ihrer Studien konstatieren etwa Kirchknopf und Kogler Einzelhandelskaufleuten wenig Identifikationspotenzial aufgrund „eines vergleichsweise wenig facettenreichen Berufsverständnisses und Defiziten bezüglich affektiv identifikationsrelevanter Tätigkeiten sowie beruflicher Perspektiven“ (Kirchknopf/Kögler 2020, 215). Thole betont ebenfalls für den Einzelhandel aufgrund der dortigen Rahmenbedingungen das Auftreten „typischer Rollenkonflikte“ (2020, 100), die von Lernenden mit „beruflicher Identitätsarbeit“ (2020, 97) bearbeitet werden müssen. Duemmler und Caprani (2017) berichten von Lernenden im Einzelhandel, die die Verantwortung, die sie bereits als Lernende übernehmen dürfen, zwar schätzen, sich aber teilweise davon überfordert fühlen. Durch die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen und die damit einhergehende Abgrenzungsproblematik gegenüber den vielfältigen Anforderungen von verschiedenen Seiten entstehen Situationen, die für die Lernenden schwierig sind.

Die Auseinandersetzung mit den betrieblichen Rahmenbedingungen ist Teil des Prozesses der Aneignung des gewählten Berufs. Dabei steht immer die Frage im Hintergrund, ob die Ausbildung aufgrund der Rahmenbedingungen abgebrochen und damit die angestrebte Subjektposition aufgegeben wird. Damit würden sich die Lernenden den schwierigen Situationen entziehen, mit dieser Entscheidung aber zugleich die mit dem Berufsabschluss verbundenen gesellschaftlichen Teilhabe- und Erwerbsmöglichkeiten aufgeben. Verfolgen sie die Ausbildung im Einzelhandel weiter, müssen sie im Zuge der Aneignung des Berufs für sich selbst und im Umgang mit anderen (Kolleg*innen, Vorgesetzte, Kundschaft) Interaktionsstrategien entwickeln und ein Arrangement finden, wie sie mit den entsprechenden Rahmenbedingungen umgehen, und (möglicherweise) in die Gestaltung der betrieblichen Rahmenbedingungen eintreten. Bei der Frage, ob Lernenden dies gelingt, dürften die Unterstützung im Team oder im Betrieb eine entscheidende Rolle spielen.

5.4 Subjektivierung über die Ausführung von beruflichen Praktiken im Rahmen von Facharbeit

Berufliche Praktiken werden hier als subjektivierendes Arbeitshandeln analysiert. Arbeiten wird in dieser Perspektive als ein Handeln verstanden, bei dem es eine objektivierbare Komponente gibt, die beispielsweise in Aufgabenbeschreibungen oder einer Prozesssteuerung abgebildet wird, und eine subjektbezogene Komponente, die als subjektivierendes Handeln bezeichnet wird. Begründet wird die Bedeutung dieser zweiten Komponenten damit, dass die Vorgabe zur Ausführung einer Aufgabe nie vollständig sein kann und Freiräume sowie Unwägbarkeiten und Störungen durch den Menschen im Wahrnehmen, Beurteilen und Handeln ausgefüllt werden müssen (Böhle 2017b). Damit steht die Frage im Zentrum, wie sich Menschen in berufliche Arbeitsprozesse einbringen (Böhle 2017a). Besonders deutlich wird die subjektivierende Komponente in personenbezogenen Dienstleitungen, die interaktionsintensiv sind und in denen häufig emotionale Anforderungen im Ausgleichen verschiedener, teils widersprüchlicher Interessen notwendig sind. Pflegekräfte balancieren etwa beständig zwischen „den Interessen und Bedürfnissen der Klienten bzw. ‚Kunden‘, den Interessen der Organisation, in der die Pflegenden beschäftigt sind, und deren persönlichen Bedürfnissen und Interessen“ (Senghaas-Knobloch/Blass 2017, 659). Sie versuchen, ihren Arbeitsalltag so zu organisieren, dass sie allen Anforderungen ansatzweise Rechnung tragen, sodass sie ihren Beruf ausüben können und darin handlungsfähig bleiben (Senghaas-Knobloch/Blass 2017, 667). Für diesen Balanceakt müssen sie emotionale Anstrengungen erbringen und die „Nutzung von Gefühlen als Arbeitsmittel“ (Senghaas-Knobloch/Blass 2017, 660) gehört auch hier zur Arbeitstätigkeit. Friseur*innen wiederum vermitteln zwischen den Wünschen der Kund*in und der Struktur des Haares „in der Auseinandersetzung mit dem Haar und in der Auseinandersetzung mit der Kundin“ (Senghaas-Knobloch/Blass 2017, 809). Die Fähigkeit hierzu beruht auf der sinnlich-emotionalen Wahrnehmung (sehen, tasten, hören) gegenüber ‘beiden Parteien’ und in einem dialogisch-interaktiven Vorgehen, das den gesamten Arbeitsprozess begleitet (Weikmann et al. 2017, 811) sowie der bewussten Gestaltung einer Arbeitsbeziehung (Weikmann et al. 2017, 822). Aber auch in industriell-technischen Berufen gibt es eine subjektivierende Komponente. So schildern Servicetechniker, deren Aufgabe zum großen Teil in der Behebung von Störungen bei Kundinnen und Kunden besteht, dass sie nicht nur ihr Fachwissen und ihre kommunikativen Kompetenzen einsetzen, sondern auch ein Gespür bei der Suche nach Fehlern und „assoziatives Denken“ (Pfeiffer 2017, 348) brauchen. Und obwohl CNC-Maschinen computergesteuert sind, stellen Betriebe dafür bevorzugt Personen mit Berufsabschluss ein, die in ungeplanten und kritischen Situationen auf ein „Erfahrungswissen zur Prozessbeherrschung“ (Schulze/Carus 2017, 81) zurückgreifen können. Zudem berichten diese Personen, dass sie zu den von ihnen selbst geschriebenen Programmen eine andere Beziehung haben als zu den von anderen geschriebenen Programmen, weil sie sich bei letzteren „erst in die Gedankengänge des Programmierers einarbeiten“ (Carus/Schulze 2017, 93) müssen. Es entsteht also auch hier eine spezifische Beziehung zwischen der arbeitenden Person und der bearbeiteten Sache respektive der Maschine.

Diese Beispiele verdeutlichen die enge Verbindung von Wahrnehmen, Denken, und Fühlen einer Person mit ihrem beruflichen Urteilen und Handeln in beruflichen Praktiken, was eine hohe Überschneidung mit der Verbindung von Denken, Fühlen und Handeln gegenüber sich selbst und anderen im Verständnis der Subjektivierung hat. Ihre Verbindung stellt einen zentralen Aspekt im Prozess der Subjektivierung und der Einnahme einer handlungsfähigen Subjektposition für den Kontext beruflicher Arbeit dar. In den geschilderten Arbeitssituationen entsteht berufliche Handlungsfähigkeit über Beruflichkeit, die nicht nur fachliche und überfachliche Anteile des Berufs sowie soziale, situative und organisationale Aspekte der Leistungserbringung umfasst, sondern auch auf einer spezifischen Disposition zum Handeln und Fähigkeit zum Urteilen in der Verbindung von Wahrnehmen, Denken und Fühlen beruht. Personen bringen sich mit ihrer Subjektivität als Teil ihres beruflichen Arbeitsvermögens in die entsprechenden Situationen ein. Sie entwickeln in offenen Handlungssituationen, bei widersprüchlichen Anforderungen und teilweise unter schwierigen Rahmenbedingungen Handlungsfähigkeit auf der Grundlage ihrer Fähigkeit, in der fachlichen Tätigkeit auch emotionale, interaktive und erfahrungsbasierte Handlungsanteile realisieren zu können. Damit kommen sie als Berufsangehörige in die Lage, komplexe Aufgabenstellungen zu bearbeiten. Sie sind darin mit Erfahrungen, Beziehungen und Emotionen engagiert, deren Herausbildung Teil ihrer beruflichen Handlungsfähigkeit und Ausdruck ihrer Person ist.

5.5 Subjektivierung in der Gestaltung von Arbeitsprozessen und betrieblichen Kontexten in technischen Berufen

Die Forschungsarbeit von Hongxia Shan (2020) zeigt, wie Freiräume in der Ausführung beruflicher Arbeit über subjektivierendes Handeln konkret ausgefüllt werden. Sie untersucht Wissenstransfer als soziokulturelle und soziomaterielle Praxis am Beispiel von qualifizierten Migrant*innen mit Ingenieursausbildung. Die Studie wurde in Kanada durchgeführt und die Beschreibung legt nahe, dass es sich trotz der Bezeichnung „engineering practices“ um Tätigkeiten beruflicher Facharbeit handelt. Shan eruiert darin drei Prozesse des Wissenstransfers durch Migrant*innen in bestehende berufliche Arbeitspraktiken: Sie bringen Wissen aus ihren Herkunftskontexten in die berufliche Arbeit im Ankunftsland ein und mobilisieren ihre Lernfähigkeit, um für das Unternehmen neue Arbeitsbereiche zu erschließen. Zudem erkunden sie ihren neuen Arbeitskontext und bringen sich hier schrittweise mitgestaltend ein (Shan 2020, 389f.). In allen drei Fällen engagieren sie sich gerahmt über die Beruflichkeit ihrer Tätigkeit und das betriebliche Umfeld fachlich und sozial in den Arbeitsprozessen. Dies wird möglich, indem entlang konkreter „boundary objects“ (Shan 2020, 391) Aushandlungen zu Arbeitsabläufen entstehen, sich spezifische Entwicklungsaufgaben in abgegrenzten Arbeitsbereichen stellen und sie von ihren Kolleg*innen fachliche Anerkennung erfahren (Shan 2020, 391f.).

Aus der theoretischen Perspektive der Subjektivierung wird deutlich, dass die Ingenieur*innen in der Übernahme der Subjektposition einer fachlichen Tätigkeit in ihrem Beruf im Ankunftsland eigene Ressourcen (Wissen, Lernfähigkeit) mobilisieren, ihr subjektives Potenzial in den Arbeitsprozess einbringen und den Prozess des Ankommens im neuen Arbeitskontext bewusst als Übernahme einer beruflichen Position in Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Anforderungen gestalten und so Handlungsfähigkeit gewinnen. Aus dieser Subjektposition nutzen sie dann unter Mobilisierung eigener Ressourcen ihre Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung des Arbeitskontextes und entwickeln ihn gemeinsam mit Kolleg*innen weiter. In der Übernahme der beruflichen Tätigkeit im Ankunftsland lassen sich die Personen somit auf einen fachlich-sozialen Kontext ein, der sie auch als Person mit ihrer spezifischen biografischen Erfahrung, ihrer Lern- und Problemlösefähigkeit sowie ihrer Fähigkeit, den Arbeitskontext zu gestalten, fordert. Zusätzlich zu den Ressource Wissen und Lernfähigkeit ist dabei die Anerkennung als Fachpersonen eine wichtige Rahmenbedingung, die es den Ingenieur*innen ermöglicht, sich in ihren neuen Arbeitskontext gestaltend in Aushandlungssituationen zur Gestaltung von Arbeitsprozessen einzubringen.

5.6 Subjektivierung über informelles Lernen in beruflichen Settings wissensintensiver Pflegeberufe

In der Arbeit von Therese Rosemann (2022) geht es um die lernende Auseinandersetzung mit Anforderungen in Pflegeberufen. Die Autorin untersucht berufliche Praktiken in diesem Berufsfeld mit der Frage, welche Lerngelegenheiten darin von den Beschäftigten wahrgenommen werden. Sie verweist auf die dialogisch-interaktive Form der Erbringung von Pflegearbeit und betont darüber hinaus den „hohen Grad der Unsicherheit, Neuartigkeit, einer kontinuierlichen Veränderung und Unstetigkeit des Wissens sowie der Kenntnisse und Fertigkeiten“ (Rosemann 2022, 214), die diesen Tätigkeitsbereich prägen. Daraus ergibt sich für die Beschäftigten die Anforderung, die fachliche Basis ihrer beruflichen Praktiken permanent weiterzuentwickeln. Ein Teil dieser Weiterentwicklung der fachlichen Aspekte der eigenen Beruflichkeit erfolgt im Ausüben der beruflichen Praktiken selbst. Diese Prozesse untersucht Rosemann als Lernaktivitäten in informellen Kontexten. Sie stellt heraus, dass die beruflichen Praktiken mit berufsspezifischen Lernanforderungen im fachlichen Bereich verbunden sind und die wahrgenommenen Lernaktivitäten sich zumeist auf „Kenntnis-, Wissens- und Fertigkeitserwerb für die Erfüllung alltäglicher Anforderungen und Aufgaben“ (Rosemann 2022, 195) beziehen. Eine zentrale Erkenntnis ihrer Studie lautet: „Das Fundament aller Lernaktivitäten bilden reflexive Lernaktivitäten, die sich durch das Verstehen und Reflektieren gesammelter Erfahrung vollziehen“ (Rosemann 2022, 195). Lernprozesse werden auch in diesem Fall häufig interaktiv über den Austausch mit Kolleg*innen vollzogen, d. h. auch hier spielt der kollektive Aspekt von Beruflichkeit eine wichtige Rolle. In diesen Prozessen des Lernens und Verstehens kommen darüber hinaus sowohl tätigkeitsspezifische wie biografisch bedingte Lern- und Aneignungsmuster (Rosemann 2022, 204) zum Tragen.

Die Übernahme der beruflichen Subjektposition als Pflegefachfrau/mann erfordert nicht nur das fachliche Wissen und Können, sondern beruht auch auf dem subjektiven Potenzial, sich reflexiv auf die eigene berufliche Tätigkeit und ihre Anforderungen zu beziehen und sich lernend beständig fachlich weiterzuentwickeln. Die Bereitschaft und Fähigkeit zur permanenten Weiterentwicklung der fachlichen Grundlagen der eigenen Beruflichkeit stellt sich hier als Teil der beruflichen Anforderungen in einem wissensintensiven Beruf dar. Im Umgang mit dieser Anforderung stellt die biografisch geprägte Wahrnehmung von Lerngelegenheiten einen Modus der Bewältigung von Anforderungen der beruflichen Tätigkeit dar, d. h. die Pflegefachkraft bringen sich in der Ausübung ihres Berufs auch mit ihren biografischen Erfahrungen und ihrem subjektiven Potenzial zur permanenten Weiterentwicklung und Aufrechterhaltung der Voraussetzung für die Berufsausübung ein, d. h. mit Lern- und Reflexionsfähigkeit. Der kollegial fachliche Austausch stellt hierfür eine wichtige Voraussetzung dar.

6   Diskussion: Beruflichkeit als Form von Subjektivierung

Die Analyse der verschiedenen Studien hat exemplarisch gezeigt, wie sich Menschen Berufe aneignen, wie sie sich dabei mit sozialen Zuschreibungen, Anforderungen, Erwartungen und Möglichkeiten auseinandersetzen, persönliche Anteile einbringen, Fachlichkeit mit Emotionen und Interaktionsstrategien verbinden und in Aushandlungsprozessen eigene Ausdrucksweisen von Beruflichkeit finden. Durch die analytische Perspektive der Subjektivierung auf das Erlernen und Ausüben eines Berufes als Aneignung einer beruflich geformter Subjektpositionen wurden verschiedene Dimensionen von Beruflichkeit als Subjektivierung deutlich. Diese Dimensionen von Beruflichkeit als Form von Subjektivierung lasen sich von den exemplarischen Beispielen abstrahierend formulieren:

  1. Aufbau einer Identifikation mit dem Beruf

Der soziale Status von Berufen ist unterschiedlich und Berufsangehörige begegnen den mit ihrem Beruf verbundenen sozialen Wertungen in der Interaktion mit ihrem Umfeld. In der Identifikation mit ihrem Beruf setzen sie sich mit diesen Wertzuschreibungen auseinander und entwickeln einen positiven, emotionalen Wertbezug zu ihrem Beruf, der Teil ihres eigenen beruflichen Selbstverständnisses und Grundlage ihrer Berufsausübung wird. Wertschätzende Zuschreibungen können angenommen werden, abwertenden gesellschaftlichen Zuschreibungen setzen die Berufsangehörigen eigene Positionierungen entgegen und greifen dabei sowohl auf beruflich-kollektive Ressourcen in Form von Berufsbildern zurück, die mit positiven Werten verbunden sind, als auch auf künftige Entwicklungsmöglichkeiten, die das Bildungssystem oder der Betrieb ihnen bieten.

  1. Entwicklung von Emotionsregulierung und Interaktionsstrategien

Nicht nur in personenbezogenen Dienstleistungsberufen werden Erwartungen an Gefühle gestellt. Nicht immer können oder wollen Berufsangehörige diese Erwartung erfüllen, sie können sich ihnen aber auch nicht vollständig entziehen. Daher entwickeln sie im Rahmen ihrer Berufsausübung in der Verbindung von Wahrnehmen, Fühlen und Handeln Formen der Regulation ihrer Gefühle und der Interaktion mit anderen, die weder ihre berufliche Handlungsfähigkeit noch ihre personale Integrität gefährden. Eine wichtige äußere Ressource hierfür ist ein kollegialer Raum, in dem die eigene Positionierung gegenüber den als unangemessen empfundenen Erwartungen mit anderen Berufsangehörigen reflektiert werden kann.

  1. Gestaltung von (Arbeits-)Alltag und Lebensführung

Teilweise stellen problematische Arbeitsbedingungen (angehende) Berufsangehörige vor die Entscheidung, ob sie ihren Beruf unter diesen Umständen weiter ausüben wollen. Bleiben sie in ihrem Beruf, müssen sie in der Verschränkung von Berufsalltag und persönlicher Lebensführung ein tragfähiges Arrangement finden und hierbei für sich auch Fragen der Lebensqualität in Bezug auf Autonomie, Sinnstiftung, soziale Eingebundenheit und ökonomische Situation miteinander abwägen. Um ein solches Arrangement zu erreichen, müssen die eigenen Erwartungen reflektiert werden und können die persönliche Lebensführung und/oder die betrieblichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Hierin werden Aspekte erwerbsbiografischer Gestaltungskompetenz sichtbar. Wichtige äußere Ressourcen dafür sind neben den privaten Lebensumständen auch die kollegiale Unterstützung im Team und die betrieblichen Möglichkeiten zu Mitgestaltung und -bestimmung.

  1. Vollzug von beruflichen Praktiken als vollständige Handlungen

In der Ausübung eines Berufs vollziehen Berufsangehörige vollständige Handlungen, d. h. sie planen, beurteilen und führen aus und sie gehen mit Unklarheiten, Unvorhergesehenem, Widersprüchen und Problemen um. Außerdem bringen sie Urteilsvermögen und Intuition ein. In den beruflichen Praktiken kommen damit Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Urteilen und Handeln unmittelbar als umfassende berufliche Handlungskompetenz zusammen. Neben der Fachlichkeit im Beruf sind auch die emotionale Beziehung zum Arbeitsgegenstand und Erfahrungen wichtige äußere Ressourcen dieses subjektiven Handlungspotenzials im Beruf.

  1. Gestaltung von Arbeitsprozessen und betrieblichen Kontexten

Berufliche Tätigkeiten werden in der Regel entlang von betrieblich gesetzten Arbeitsprozessen erbracht und finden im Rahmen betrieblicher Kollegialität statt. Über die Mitgestaltung dieser beiden Rahmenbedingungen bringen sich Menschen mit ihrer Beruflichkeit in den Arbeitskontext ein, treten in die Interaktion mit anderen und damit gleichzeitig auch als Person in Erscheinung. Die Möglichkeit, Arbeitssituationen zu gestalten und Arbeitsprozesse zu verändern, ist dabei mit der Subjektposition verbunden, die sie über die Einnahme der beruflichen Position im betrieblichen Kontext annehmen. Subjektivität realisiert sich hier nicht nur gegenüber dem jeweiligen Kontext, sondern in der Möglichkeit, diesen zu verändern. Die Anerkennung als Fachperson ist dabei neben dem eigenen Wissen und Können eine wichtige äußere Ressource.

  1. Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen

Beruflichkeit bedeutet auch, die eigenen Kompetenzen beständig weiterzuentwickeln und diese Entwicklungskomponente in das eigene berufliche Selbstverständnis zu integrieren. Die Entwicklung, Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von Beruflichkeit erscheint in dieser Perspektive als iterativer Prozess, der sich biografisch entwickelt und über verschiedene Stationen, soziale Konstellationen und Lernsettings vollzieht. Wichtige äußere Ressourcen für diese Entwicklung sind die Verfügbarkeit von entsprechenden Lern- und Reflexionsmöglichkeiten in informellen, non-formalen oder formalen Settings sowie die Unterstützung bei der Nutzung dieser Möglichkeiten.

Die Auseinandersetzung mit Beruflichkeit als Form der Subjektivierung macht nachvollziehbar, wie Menschen über ihren Beruf positioniert werden, wie sie sich dazu verhalten und wie sie sich selbst über Beruflichkeit im Verhältnis zu den Anforderungen und Handlungsmöglichkeiten ihrer Berufstätigkeit positionieren. Sie zeigt, wie eng die Person und ihre Beruflichkeit miteinander verwoben sind. Mit seinen kollektiven und politischen Bezügen und seinem komplexen Verständnis, das neben fachlichem Wissen und Können auch Aspekte von Identitätsbildung oder berufsspezifische Wertvorstellungen umfasst, begründet das Prinzip der Beruflichkeit nicht nur verfügbare Subjektpositionen, sondern stellt auch einen Rahmen für darauf bezogene Entwicklungsprozesse zur Verfügung. Der Prozess der Subjektivierung im beruflichen Kontext vollzieht sich in verschiedenen Dimensionen, die im Erlernen und Ausüben eines Berufes mit dem Einnehmen einer beruflichen Subjektposition verbunden sind und ohne die Verbindung von Person, Sozialität und Fachlichkeit nicht möglich wären.

Die Analyse hat gezeigt, dass die verschiedenen Dimensionen von Beruflichkeit als Subjektivierung auch mit der Verfügbarkeit von biografischen, berufskulturellen, sozialen oder organisationalen Ressourcen verbunden sind. Dies knüpft an das Grundverständnis von Subjektivierung an, das mit der Verfügbarkeit von Subjektpositionen sowohl die Frage sozialer Ungleichheit wie der politischen Gestaltung der beruflichen Ordnung mitführt. Subjektivierung in Form von Beruflichkeit vollzieht sich nicht individualisiert, sondern im gesellschaftlichen Rahmen mächtiger Institutionen und im Kontext kollektiver, sozialer und organisationaler Zugehörigkeit.

7   Fazit und Ausblick

Im Zentrum dieses Beitrags stand die Frage, wie Menschen über Berufe positioniert werden, wie sie sich zu dieser Positionierung verhalten und wie sie sich selbst in der Entwicklung ihrer Beruflichkeit positionieren. Diese (Selbst-)Positionierung über die Einnahme gesellschaftlich verfügbarer und/oder zugewiesener Subjektpositionen in der Aneignung entsprechender Positionen bleibt den Menschen nicht äußerlich, sondern schreibt sich in ihr Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Urteilen und Handeln ein, wird also zum Teil ihres eigenen Selbstverständnisses. Über exemplarische Beispiele wurde herausgearbeitet, wie sich die enge Verbindung von Person und Beruflichkeit über verschiedene Dimensionen vollzieht.

Daraus ergibt sich das Interesse, die verschiedenen Dimensionen in der Entwicklung von Beruflichkeit und ihr Zusammenspiel in Verbindung von Subjektivität, Gesellschaft und Arbeitswelt besser zu verstehen. Neben einer vertieften Rekonstruktion dieser Prozesse und des Zusammenwirkens von Positioniert-Werden und Sich-Positionieren gehört dazu auch ein besseres Verständnis der Ressourcen, deren Bedeutung in den verschiedenen Dimensionen deutlich geworden ist. Die Erlangung von Handlungsfähigkeit im beruflichen Kontext hängt nicht nur von der Verfügbarkeit und Aneignung von beruflichen Subjektposition ab, sondern auch von der Verfügbarkeit von Ressourcen, die das Subjekt selbst mitbringt oder die im organisationalen, sozialen oder situativen Kontext gegeben sein müssen. Zugleich stellt sich die Frage der Gestaltung der eigenen Erwerbsbiografie immer im Rahmen von verfügbaren oder erreichbaren Möglichkeiten.

Mit dem Verständnis von Beruflichkeit als Form der Subjektivierung kann nicht nur die Berufsbildungstheorie an ihre lange Tradition der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Subjektivität, Bildung und Beruf anschließen, sondern auch die Berufsbildungsforschung an bestehende Forschungstraditionen anknüpfen. Diese liegen beispielsweise im Bereich der beruflichen und betrieblichen Sozialisation, der Forschung zur beruflichen Identität, dem Workplace Learning, der Biografieforschung, der Inklusionsforschung oder der beruflichen Orientierung und Beratung.

Im ersten Abschnitt des Beitrags wurde der mögliche Subjektbezug der Berufsbildung hinsichtlich der Möglichkeit diskutierten, als Mensch eine Differenz zum Kontext bilden zu können, wenn auch nicht immer bilden zu müssen, d. h. gegenüber dem Kontext, seinen Anforderungen und Möglichkeiten sichtbar zu werden und sich dazu verhalten zu können. Daran anschließend ergibt sich für die Berufsbildung aus der Analyse von Beruflichkeit als Form der Subjektivierung die Aufgabe, Prozesse der Subjektivierung stärker berufspädagogisch zu begleiten und mit (angehenden) Berufsangehörigen auch Zuschreibungen und Zumutungen sowie Identitäts- oder Interaktionsstrategie im Kontext von Beruflichkeit zu reflektieren. Das Verständnis von Beruflichkeit als Form der Subjektivierung zeigt, dass es auf Seiten der Lernenden wie der Berufstätigkeiten in ihrer Auseinandersetzung mit dem Beruf, seinen Anforderungen und Möglichkeiten einige Anknüpfungspunkte gibt, die hierfür genutzt werden können. Dies schließt eine reflexive Auseinandersetzung mit berufsspezifischen Erwartungen in Bezug auf den Umgang mit Emotionen oder widersprüchlichen Anforderungen ebenso ein wie die Stärkung der Handlungsmöglichkeiten zur Veränderung von Arbeitsprozessen und betrieblichen Kontexten sowie zur Gestaltung der eigenen Erwerbsbiografie. Subjektivierung als Auseinandersetzung mit Identitätsangeboten, Zumutungen und Möglichkeiten von Beruflichkeit ist dabei nicht nur auf eine kurze biografische Phase der Berufsorientierung beschränkt, sondern Teil beruflicher Bildung in Aus- und Weiterbildung.

Das in diesem Beitrag ausgeführte Verständnis von Subjektivierung in Form von Beruflichkeit als Prozess des Positioniert-Werdens und Sich-Positionierens gegenüber beruflichen Anforderungen, Erwartungen, Zumutungen und Möglichkeiten öffnet also einige Fragen für ein künftiges theoretisches wie empirisches Arbeiten zum Subjektbezug in der Berufsbildung. Es gibt zudem Hinweise auf Möglichkeiten, wie Berufsbildung sich auf Subjektivität beziehen kann, auch wenn diese Momente flüchtig sind und – nochmals an Günter Kutscha anknüpfend – die darin zum Vorschein kommende Subjektivität notwendigerweise kontingent bleibt.

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Zitieren des Beitrags

Kraus, K. (2024): Beruflichkeit als Form der Subjektivierung. Ein Beitrag zur Debatte der Berufsbildungstheorie zum Subjektbezug in der Berufsbildung. In: bwp@ Spezial 19: Retrieving and recontex­t­ual­ising VET theory. Hrsg. v. Esmond, B./Ketschau, T. J./Schmees, J. K./Steib, C./Wedekind, V., 1-23. Online: https://www.bwpat.de/spezial19/kraus_de_spezial19.pdf (20.02.2024).