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bwp@ Spezial AT-3 - September 2021
Wirtschaftspädagogik in Österreich 2021
Beiträge zum 14. Österreichischen Wirtschaftspädagogikkongress
Hrsg.:
&„Das Rechnungswesen ist tot, es lebe das Rechnungswesen!” Didaktische Überlegungen zum Rechnungswesenunterricht unter Berücksichtigung der fortschreitenden Digitalisierung
Verschiedene Untersuchungen zum Einfluss der Digitalisierung auf das Rechnungswesen (RW) zeigen, dass durch den Einsatz entsprechender Computersoftware eine Reihe von Geschäftsfällen sowie die damit zusammenhängenden Belege elektronisch erfasst und automatisiert verbucht werden können. Diese Entwicklung bringt mit sich, dass sich das Anforderungsprofil und das Aufgabenspektrum für Buchhalter/innen, aber auch andere RW-affine Berufe ändern. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Rechnungswesen in Zukunft von Absolvent/inn/en von berufsbildenden, insbesondere kaufmännischen und humanberuflichen höheren Schulen erwartet werden. Pointiert könnte man fragen, ob sie überhaupt noch einfache Geschäftsfälle verbuchen können müssen.
Auf der Grundlage von rezenten empirischen Ergebnissen, insbesondere aus Experteninterviews, werden die Veränderungen im Rechnungswesen durch die Digitalisierung – mit Fokus auf den Bereich Buchhaltung – dargestellt und die derzeit wie auch in Zukunft gewünschten Kenntnisse und Fähigkeiten von Mitarbeiter/inne/n im Rechnungswesen konkretisiert. Darüber hinaus geht der Beitrag darauf ein, wie diese Desiderata im Rechnungswesenunterricht berücksichtigt werden können und welche didaktischen Überlegungen und Maßnahmen dafür erfolgversprechend erscheinen.
„Accounting is Dead, Long Live Accounting!“ Didactic Concepts of Teaching Accounting Considering the Ongoing Process of Digitalization
Various studies on the influence of digitalization on accounting have shown that a number of business cases and the related documents can be electronically recorded and automatically booked by using computer software. Consequently, the requirement profile and the range of tasks for accountants and other accounting professions have been changing. This development leads to the question which kind of knowledge and skills in the field of accounting will be expected from graduates of vocational – especially commercial – colleges in the future. Pointedly, one could ask whether they still need to be able to manually record everyday receipts and documents.
On the basis of recent empirical results, in particular findings from expert interviews, the changes in accounting due to digitalization - with a focus on the accounting area - are presented and the knowledge and skills desired by employees in accounting are specified, both now and in the future. Furthermore, the article discusses how these desiderata can be considered when teaching accounting and which didactic considerations and teaching methods seem to be effective.
1 Problemhintergrund und Zielsetzung des Beitrags
Am 6. März 2021 titelt ein Beitrag in der New York Times „The Robots Are Coming for Phil in Accounting“ (Roose 2021). Beschrieben wird nicht die Handlung eines Science-Fiction-Films oder -Buchs, sondern die Tatsache, dass Computer(programme) zunehmend die Aufgaben von Mitarbeiter/inne/n übernehmen, die im Rechnungswesen Routinetätigkeiten wie zum Beispiel die Bearbeitung von Belegen zu laufenden Geschäftsfällen und die Verwaltung von Daten durchgeführt haben. So resümiert der Autor: „Workers with college degrees and specialized training once felt relatively safe from automation. They aren’t.” (Roose 2021).
Im “The Future of Jobs Survey” des World Economic Forums (2002) wird für Berufe im Bereich Rechnungswesen ein ähnliches Bild gezeichnet. Repräsentant/inn/en von 291 Großunternehmen in 16 Ländern wurden befragt, nach welchen Berufen in den nächsten Jahren eine zunehmende und nach welchen eine abnehmende Nachfrage herrschen wird. Unter den Berufen, denen von den befragten Manager/inne/n eine abnehmende Nachfrage bescheinigt wird, belegen „Accounting, Bookkeeping and Payroll Clerks“ Platz drei und „Accountants and Auditors“ Platz vier (World Economic Forum 2020, S. 30).
Eine Reihe von Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften beobachten und untersuchen ebenfalls bereits seit einigen Jahren diese Tendenz (vgl. z. B. Deloitte Österreich 2016, KPMG 2018). Die jüngste Studie der KPMG (vgl. Sikora et al. 2020) zeigt, dass abhängig von der gesamten IT-Strategie eines Unternehmens auch im Rechnungswesen die Digitalisierung vorangetrieben wird. Hier sind Schnittstellenprobleme zu lösen und die gesamte Systemlandschaft zu harmonisieren, bevor darauf eine papierlose, „digitale Buchhaltung“ aufgebaut werden kann. Diese Prozesse sind in vielen, vor allem kleinen Unternehmen noch nicht abgeschlossen, und vor allem die Pandemie durch das Coronavirus hat hier Versäumnisse und Probleme aufgezeigt, weil der Umstieg auf das Home-Office in vielen Fällen umso besser gelungen ist, je weiter der Digitalisierungsprozess schon vorangeschritten war (vgl. Sikora et al. 2020, Deloitte Österreich 2020, Gosch/Lemelson 2020).
Die zunehmende Digitalisierung in Unternehmen bedeutet für den Rechnungswesenbereich, dass eine große Zahl von laufenden Geschäftsfällen, die häufig wiederkehrend sind und leicht standardisiert werden können, bereits durch Computerprogramme erfasst und verbucht werden können. Dödlinger (2018) hat den Einfluss der Digitalisierung auf das Berufsfeld der Buchhaltung bereits in einer Expertenbefragung (mit Expert/inn/en aus acht Buchhaltungskanzleien in Tirol) untersucht. Die Datenanalyse ergab, dass die Befragten ein fundiertes Buchhaltungswissen auch dann für notwendig halten, wenn nicht mehr manuell gebucht wird, weil Buchhalter/innen trotzdem beurteilen können müssen, ob Buchungen korrekt durchgeführt worden sind. Außerdem werden Kontrolle und Beratung in der beruflichen Tätigkeit wichtiger werden. Diese Ergebnisse greift der vorliegende Beitrag auf und möchte sie auf der Grundlage der Befragung eines weiteren Kreises von Expert/inn/en noch vertiefen.
Der Beitrag untersucht daher die Frage, wie Expert/inn/en die aktuelle Entwicklung bei der Digitalisierung im Rechnungswesen einschätzen und welche Auswirkungen sie auf die konkreten Anforderungen an Mitarbeiter/innen im Rechnungswesen, insbesondere im Bereich Buchhaltung, wahrnehmen. Welche Anforderungen das im Hinblick auf das Wissen und Können von Mitarbeiter/inne/n im Rechnungswesen sind, ob die Verbuchung von laufenden Geschäftsfällen noch dazu zählt und welche Implikationen sich daraus für die Gestaltung des Rechnungswesenunterrichts an berufsbildenden, insbesondere kaufmännischen und humanberuflichen, höheren Schulen ableiten lassen, ist ebenso Gegenstand dieses Beitrags.
Die Zielsetzung des vorliegenden Beitrags besteht daher darin, die folgenden Fragen mit Hilfe von Experteninterviews zu untersuchen:
- Was bedeutet die zunehmende Digitalisierung für das betriebliche Rechnungswesen, insbesondere für die Buchhaltung?
- Was bedeutet sie für den Stellenwert und die Aufgaben der Rechnungswesen-Ausbildung an berufsbildenden, insbesondere kaufmännischen und humanberuflichen, höheren Schulen?
- Welche fachdidaktischen Überlegungen lassen sich daraus für die Gestaltung des RW-Unterrichts ableiten?
Zunächst werden im folgenden Abschnitt Digitalisierung und betriebliches Rechnungswesen als zentrale Begriffe des Beitrags geklärt. Anschließend wird im dritten Abschnitt die methodische Vorgangsweise zur Untersuchung der oben angeführten Fragen erläutert, der vierte Abschnitt fasst die wesentlichen Ergebnisse der Datenanalyse zusammen. Auf der Basis dieser Ergebnisse wird in Abschnitt fünf diskutiert, welche fachdidaktischen Überlegungen sich für die Gestaltung des Rechnungswesenunterrichts daraus ableiten lassen. Der abschließende Abschnitt des Beitrags fasst die wesentlichen Aussagen und Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen zusammen.
2 Grundlegende Begriffe und inhaltlicher Fokus des Beitrags
Ursprünglich meint der Begriff Digitalisierung ganz allgemein die Umwandlung von analogen in digitale Daten. Werden zum Beispiel Rechnungen nicht mehr (nur) in Papierform ausgestellt und verschickt, sondern (auch) elektronisch erfasst und versendet, dann kann dieser Umwandlungsschritt von der Papierrechnung hin zur „eRechnung“ als Digitalisierung bezeichnet werden. Darüber hinaus wird der Begriff Digitalisierung häufig im Zusammenhang mit dem zunehmenden Einsatz von Informationstechnologien (IT) in verschiedensten Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft verwendet (vgl. Hansen/Mendling/Neumann 2019).
In Unternehmen ist nicht nur das Rechnungswesen von zunehmender Digitalisierung betroffen, sondern alle betrieblichen Bereiche können davon erfasst werden. So können durch Verwendung von digitalen Daten und Vernetzung mit den IT-Systemen von Geschäftspartner/inne/n entlang des gesamten Produktions- und Leistungserstellungsprozesses, beginnend mit der Produktentwicklung und -planung sowie der Beschaffung aller notwendigen Komponenten bis hin zum Absatz, einzelne, mehrere oder sogar alle Schritte digitalisiert werden (vgl. Eierle/Kreß/Ther 2019), was auch zur Entwicklung vollkommen neuer (digitaler) Geschäftsmodelle führen kann (vgl. Locher 2020).
Das von Appelfeller und Feldmann (2018) entwickelte Referenzmodell zeigt die Teilbereiche eines digitalen Geschäftsmodells auf. Im Mittelpunkt stehen die digitalisierten Prozesse, d. h. Prozesse, die durch IT-Systeme unterstützt werden. Durch die Anbindung der IT-Systeme eines Unternehmens an die IT-Systeme seiner Lieferant/inn/en und/oder seiner Kund/inn/en werden auch Beschaffungs- und Absatzprozesse digitalisiert. Für die eingebundenen Geschäftspartner/innen bedeutet das in vielen Fällen eine einfachere und schnellere Planung und Abwicklung und damit eine Effizienzsteigerung unter der Voraussetzung, dass die Schnittstellen zwischen den Geschäftspartner/inne/n reibungslos funktionieren und ihre IT-Systeme integrationsfähig sind (vgl. Appelfeller/Feldmann 2018).
In Unternehmen spielen für betriebswirtschaftliche Zwecke vor allem Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme in der IT eine wesentliche Rolle. Sie kommen zur Ressourcenplanung eines Unternehmens zum Einsatz und können bereichsübergreifende Geschäftsprozesse abbilden, basierend auf der gemeinsamen Nutzung von Unternehmensdaten, die in einer zentralen Datenbank verarbeitet und gespeichert werden. SAP ist ein allgemein bekanntes Beispiel für ein ERP-System. ERP-Systeme verfügen über einzelne Module wie beispielsweise Beschaffung, Fertigung, Personalwesen, Logistik, Finanz- und Rechnungswesen und können im Wesentlichen alle betrieblichen Funktionen abdecken (Hansen/Mendling/Neumann 2019, Appelfeller/Feldmann 2018). Die Digitalisierung im Rechnungswesen, auf die dieser Beitrag fokussiert, ist daher in immer mehr Fällen eingebettet in ein größeres gesamthaftes IT-System.
Das betriebliche Rechnungswesen erfasst die Geld- und Leistungsströme im Unternehmen (vgl. z. B. Thommen et al. 2020). Es umfasst mehrere Teilbereiche, die auf verschiedene zentrale betriebswirtschaftliche Fragen Antworten liefern. Dazu zählen insbesondere die Finanzrechnung, die Buchhaltung (als externes Rechnungswesen) und die Kostenrechnung inklusive Planungsrechnung (das interne Rechnungswesen). Während die Finanzrechnung primär die Fragen beantwortet, welche Einzahlungen welchen Auszahlungen gegenüberstehen, ob ein Unternehmen mit seinen finanziellen Mitteln auskommt oder ob ein Finanzierungsbedarf besteht, geht es in der Buchhaltung insbesondere darum zu ermitteln, inwieweit das Vermögen eines Unternehmens das Fremdkapital übersteigt, sowie darum durch Gegenüberstellung von Erträgen und Aufwänden festzustellen, ob das Unternehmen in einer bestimmten Zeitperiode einen Gewinn oder Verlust erwirtschaftet hat. Schließlich geht es in der Kostenrechnung neben anderen betriebswirtschaftlichen Fragen darum zu kalkulieren, wieviel das im Unternehmen erzeugte Produkt oder die erstellte Leistung kostet und wieviel der Ertrag aus dem Verkauf eines Produkts oder einer Leistung zur Kostendeckung beiträgt (vgl. Schneider/Schneider 2019).
Betrachtet man die Lehrpläne der berufsbildenden höheren Schulen, insbesondere den Lehrplan für die Handelsakademie (HAK) (vgl. BGBl. II Nr. 209/2014) als kaufmännische Schule und den Lehrplan für die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW) (vgl. BGBl. II Nr. 340/2015) als humanberufliche Schule, so wird in beiden Lehrplänen für die Rechnungsweseninhalte ersichtlich, dass der Schwerpunkt auf die Buchhaltung gelegt wird. Insbesondere die doppelte Buchhaltung dominiert die Inhalte des Lehrplans, da sie in allen fünf Jahrgängen der HAK und der HLW unterrichtet wird, in der HAK im zweiten Jahrgang auch mit Computerunterstützung durch Einsatz einer kaufmännischen Standardsoftware. Auch in der HLW soll „standardspezifische Software“ im Rechnungswesenunterricht verwendet werden. Zusätzlich werden in beiden Schultypen auch Inhalte des wirtschaftlichen Rechnens, der Kostenrechnung, der Steuerlehre und die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung unterrichtet. Auf Grund der inhaltlichen Schwerpunktsetzung in den Lehrplänen wird auch in der vorliegenden Untersuchung der Schwerpunkt auf den Teilbereich der (doppelten) Buchhaltung gelegt.
3 Methodische Vorgangsweise
Die eingangs formulierten Fragen wurden auf der Grundlage von Interviews mit Expert/inn/en untersucht, die sich in unterschiedlichen beruflichen Kontexten intensiv mit dem betrieblichen Rechnungswesen in der Praxis beschäftigen. Dazu hat die Autorin bereits 2019 einen Interviewleitfaden entwickelt, der vor dem ersten Einsatz bereits mit zwei Expertinnen mit Hilfe der Methode des lauten Denkens (vgl. Knoblich/Öllinger 2006) erprobt wurde. So konnte festgestellt werden, wie die Expertinnen die Fragen verstehen und ob sie im Hinblick auf die zugrundeliegenden Forschungsfragen als zielführend und ausreichend anzusehen sind.
Nach diesem Pretest wurde das Interviewprojekt im Februar 2020 mit vier persönlichen Interviews begonnen, die die Autorin selbst geführt hat. Anschließend wurde das Projekt durch fünf Studierende des Masterstudiums Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien auf der Grundlage desselben Interviewleitfadens fortgeführt. Die im vorliegenden Beitrag dargestellten Ergebnisse basieren auf der Auswertung der ersten 24 Interviews, die bereits bis Februar 2021 abgeschlossen und transkribiert waren.
Abbildung 2 charakterisiert diese 24 Befragten näher: sie stammen aus verschiedenen Bundesländern Österreichs (von Vorarlberg bis ins Burgenland), knapp die Hälfte der Befragten ist männlich. Die jüngste befragte Person war zum Zeitpunkt der Befragung 24 Jahre alt, die älteste 65 Jahre. Ein Drittel der Befragten ist als leitende Angestellte im Bereich Rechnungswesen in Unternehmen verschiedenster Branchen tätig, die Hälfte der Befragten sind selbstständige Unternehmens- oder Steuerberater/innen oder deren Angestellte. Darüber hinaus wurden zwei Vertreter der Kammer sowie der Akademie der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie zwei Führungskräfte in Unternehmen (die nicht für den Bereich Rechnungswesen verantwortlich waren) befragt.
Die Interviews selbst wurden als teilstrukturierte Leitfadeninterviews geführt, da der zugrundeliegende Interviewleitfaden zwar Fragen zu allen Teilbereichen enthält, die im Interview angesprochen werden sollen, die Reihenfolge der Fragen und deren genaue Formulierung jedoch je nach Verlauf und Entwicklung des Gesprächs durch den Interviewer oder die Interviewerin modifiziert werden können. Die befragende Person kann also vom Interviewleitfaden abweichen, um bei einem inhaltlichen Punkt nachzuhaken oder um bereits Beantwortetes zu überspringen. Außerdem können sich im Gespräch weiterführende Fragen ergeben, die nicht im Interviewleitfaden enthalten sind. Insgesamt ist diese Form des Interviews trotz seiner Teilstrukturierung durch den Interviewleitfaden eine qualitative Methode, die durch Offenheit im Forschungsprozess gekennzeichnet ist und vor allem die Befragten zu Wort kommen lässt, während sich der/die Interviewer/in zurücknimmt (vgl. Mayring 2016).
Die Interviewtranskripte wurden durch eine qualitative Inhaltsanalyse ausgewertet, deren Ziel im Allgemeinen darin besteht, verbale Daten systematisch zu analysieren, indem sie das Datenmaterial in Teilbereiche zerlegt, schrittweise bearbeitet und Kategoriensysteme entwickelt (vgl. Mayring 2016). Da sich die Analyse ausschließlich auf die manifesten Inhalte des Datenmaterials bezog und eine Reduktion der Datenfülle auf den wesentlichen Inhalt intendiert war, wurde eine zusammenfassende Inhaltsanalyse vorgenommen. Ihr Ergebnis ist eine überschaubare und gut strukturierte Darstellung der wesentlichen Inhalte aus dem Datenmaterial, das trotz der Reduktions-, Generalisierungs- und Abstraktionsschritte bei der Analyse die Aussagen der Befragten noch ausreichend genau abbilden (vgl. Mayring 2016 und 2020).
4 Ausgewählte Ergebnisse der Analyse der Experteninterviews
Die für den vorliegenden Beitrag ausgewählten Ergebnisse konzentrieren sich auf die Beantwortung der in Abschnitt 1 aufgeworfenen Fragen zur Einschätzung des Standes und der Entwicklung der Digitalisierung im Rechnungswesen und der Implikationen für das Anforderungsprofil an Mitarbeiter/innen im Rechnungswesen, insbesondere im Hinblick auf Absolvent/inn/en von berufsbildenden (kaufmännischen und humanberuflichen) höheren Schulen.
4.1 Zum Stand der Digitalisierung im Rechnungswesen
Auf die Frage, ob die Digitalisierung im Rechnungswesen, wie etwa die automatisierte Belegerfassung und -verbuchung bereits gängige Praxis seien, antworteten die 24 befragten Expert/inn/en, dass die eine oder andere Form von Digitalisierung durchaus bereits gängige Praxis ist, die Unterschiede zwischen Unternehmen jedoch noch enorm seien. Als häufig anzutreffende Ausprägungsformen nannten die Befragten eine automatisierte Massenbelegerfassung, die Digitalisierung der Belege, automatisierte Buchungen bei Eingangs- und Ausgangsrechnungen, auf dem Bank- und dem Kassakonto, sowie das Einspielen von Zeiterfassungssystemen in der Personalverrechnung.
Die Befragten machen aber ebenso deutlich, dass die Digitalisierung im Rechnungswesen vor allem bei Mittel- und Großbetrieben oder bei neu gegründeten Unternehmen eine Rolle spiele. „Im Großkonzern ist es gängige Praxis“ (Interviewaussage ID1), denn „je größer das Unternehmen ist, umso größer ist der Digitalisierungsdruck“ (Interviewaussage IS1).
Gerade in Großunternehmen würde die Digitalisierung (auf Grund der besonders großen Datenmengen) eine Steigerung der Effizienz bedeuten. Kleinbetriebe – so schildern es einige Befragte – bringen hingegen ihren Steuerberater/inne/n noch ihre Belegsammlungen, manche sogar im viel zitierten „Schuhkarton“. Es seien auch in vielen Fällen die Klient/inn/en in der Steuerberatung, die bei der Digitalisierung noch bremsen, sodass die konkreten Anforderungen an die Mitarbeiter/innen in der Steuerberatung im Hinblick auf die Buchhaltung sehr unterschiedlich seien, je nachdem wie sehr die Digitalisierung in den betreuten Unternehmen schon vorangeschritten ist.
Damit haben die Befragten in ihren Aussagen im Wesentlichen bestätigt, was auch in den Studien von Deloitte (2016 und 2020) und KPMG (2018) bereits thematisiert worden war: die Digitalisierungsgeschwindigkeit ist in den Unternehmen (nicht nur, aber auch im Rechnungswesen) unterschiedlich hoch, vor allem Großunternehmen sind schon weit fortgeschritten, während insbesondere Kleinst- und Kleinunternehmen noch wenig Umsetzungsschritte unternommen haben.
4.2 Zum Anforderungsprofil von Berufen im Bereich des Rechnungswesens
In den Aussagen der Befragten herrscht hohe Übereinstimmung, dass durch die Digitalisierung im Rechnungswesen viele Routine-, Dateneingabe- und Abtipparbeiten wegfallen. Wenn repetitive Vorgänge wie die manuelle Erfassung einer Vielzahl von gleichartigen Belegen wegfallen, bedeutet das eine enorme Zeitersparnis und Effizienzsteigerung. Gleichzeitig braucht es aber Mitarbeiter/innen, die mit den eingesetzten IT-Systemen, mit großen Mengen von Daten, Schnittstellen und Datensicherung umgehen können und das Ergebnis der digitalen Verarbeitung von Belegen prüfen und interpretieren können. Es braucht daher vor allem höherqualifizierte Mitarbeiter/innen im Rechnungswesen, die neben profunden RW-Kenntnissen auch EDV-Kenntnisse mitbringen.
Die notwendige Prüfung der Ergebnisse der automatisierten Verbuchung auf Plausibilität, die Fähigkeit, die Ergebnisse zu kontrollieren, Fehler zu erkennen und das Computerprogramm bei Fehlern zu „overrulen“ wird von nahezu allen Befragten ganz besonders betont. „Was auf jeden Fall bleibt, ist die Kontrolle“ (Interviewaussage IH1) ist keine Einzelmeinung, sondern Grundtenor in den Experteninterviews. Auch wenn nicht mehr manuell gebucht werde, müsse man die Buchung verstehen und erkennen können, ob richtig gebucht wurde. Daher werde es immer Buchhalter brauchen: „Ich glaube, dass es Buchhalter noch lange geben wird. Man kann dem Programm oft nicht vertrauen. Man muss also trotzdem kontrollieren, ob richtig gebucht wurde“ (Interviewaussage ID3).
„In Zukunft wird der Buchhalter die Zusammenhänge viel besser verstehen müssen“ (Interviewaussage IH2). Das Verstehen des Systems der doppelten Buchhaltung, der Buchungen im Soll und Haben und der Auswirkungen der Buchungen auf die Bestände sowie auf den Erfolg eines Unternehmens wird in den Interviews häufig thematisiert. Die Befragten nennen dabei vor allem Grundfragen des Systems der doppelten Buchhaltung, die gut verstanden werden müssen, etwa die Fragen „Was ist ein Aufwand, was ist ein Ertrag?“ und „Was ist ein Beleg und was mache ich damit?“. „Das ist die Basis – das muss man können. (…) dass er weiß, was er machen muss, wenn ich ihm zehn Belege hinlege“ (Interviewaussage ID1).
Wer Buchhaltung wirklich verstehe, sagen vor allem die Vertreter der Kammer und der Akademie für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, denke außerdem vorwiegend in Konten und Kontoständen, nicht in Buchungssätzen. Für das Verständnis sei wichtig zu erkennen, wie sich durch Buchungen Kontostände verändern. Ein Denken in Buchungssätzen lasse das nicht zu. Darüber hinaus brauche es eine Zahlenaffinität, ein Gefühl für Zahlen und Größenordnungen, „das hat zwar nichts mit Digitalisierung zu tun, ist aber ein Gebot der Stunde“ (Interviewaussage IP2).
Für den Bereich der Kostenrechnung sehen es die Befragten als wesentlich an zu verstehen, was Kostenstellen sind (weil bei einzelnen Konten Kostenstellen zu hinterlegen sind), und ein Kostenbewusstsein zu entwickeln. Insbesondere sollen Mitarbeiter/innen im Rechnungswesen einschätzen (und gegebenenfalls auch kalkulieren) können, wieviel das Unternehmen das Produkt oder die erstellte Leistung kostet, welche Kosten fix und welche variabel sind und welche Entscheidungen aus dieser Unterscheidung und aus der Deckungsbeitragsrechnung abgeleitet werden können. Auch in diesem Zusammenhang wird das Verstehen besonders betont, denn „diese Rauf- und Runterrechnerei, an die ich mich erinnern kann, habe ich in der Praxis noch nie gesehen und ich kenne auch niemanden, der das so macht“ (Interviewaussage IH2).
4.3 Was im Rechnungswesenunterricht gelernt werden sollte
Zu den berufsbezogenen Lernergebnissen im Rechnungswesen, wie sie der derzeit gültige Lehrplan für die Handelsakademien (und in ähnlicher Weise auch jener der HLW) formuliert, gibt es eine große Zustimmung unter den Befragten. Die dort aufgezählten Lernergebnisse (siehe dazu die nachstehende Tabelle 1) wurden Punkt für Punkt einzeln und nicht „in Bausch und Bogen“ in den Interviews angesprochen. Zu jedem einzelnen Punkt wurden die Befragten gebeten einzuschätzen, ob dieses Lernergebnis auch in Zukunft in der Ausbildung relevant sein wird. Insgesamt gab es auf Seiten aller Befragten eine Zustimmung zu allen diesen Lernergebnissen, bei manchen Punkten war die Zustimmung jedoch deutlich stärker ausgeprägt als bei anderen. Ein Interviewpartner fasste abschließend zusammen, diese Lernergebnisaufzählung sei „so wie das 1x1 der Mathematik – alles zwingend notwendige Rechnungswesenbereiche“ (IP2). In der nachstehenden Tabelle 1 sind neben den einzelnen Lernergebnissen die entsprechenden Anmerkungen der Befragten angeführt.
Tabelle 1: Anmerkungen der Befragten zu den berufsbezogenen Lernergebnissen im Rechnungswesen
Berufsbezogene Lernergebnisse |
Anmerkungen der Befragten |
Laufende Geschäftsfälle verbuchen (Basis Originalbelege) |
alle Befragten: Das ist die Basis, das ist besonders wichtig. |
Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und doppelte Buchhaltung |
Keine zusätzliche Anmerkung (k. A.) |
Steuern und Abgaben berechnen |
mehrere Befragte: v. a. Umsatzsteuer / Vorsteuer / UVA sind bedeutend für Schulabgänger/innen; andere Steuern sollten sie kennen (müssen sie aber nicht unbedingt berechnen). |
Gewinn/Verlust ermitteln |
(k. A.) |
Jahresabschlüsse erstellen, interpretieren und beurteilen |
Einzelne Befragte: v. a. das Interpretieren und Beurteilen sind wichtig. |
Kosten- und Preiskalkulationen durchführen |
Einzelne Befragte: ein Kostenbewusstsein entwickeln, was kostet mich das produzierte Stück oder die erstellte Leistung? |
Deckungsbeiträge ermitteln |
(k. A.) |
Betriebsabrechnung durchführen |
Mehrere Befragte: weniger wichtig / muss nicht unbedingt sein. |
Kosten analysieren und Auswirkungen auf Preise und Betriebsergebnis beurteilen |
(k. A.) |
Die Expert/inn/en wurden außerdem dazu befragt, ob Rechnungswesen weiterhin als ein eigener Unterrichtsgegenstand geführt werden solle oder ob sie den Rechnungswesenunterricht – nicht zuletzt wegen der vielen Querverbindungen zu anderen betriebswirtschaftlichen Teilbereichen – in den Betriebswirtschaftsunterricht integrieren und damit einen gemeinsamen Unterrichtsgegenstand schaffen würden. Alle Befragten waren einhellig der Meinung, dass Rechnungswesen auf Grund seiner Bedeutung und seiner inhaltlichen Komplexität ein eigener Unterrichtsgegenstand bleiben solle. Zu überlegen sei allerdings in den Augen mancher Befragter, ob der Unterricht in Betriebswirtschaft und in Rechnungswesen in höheren Jahrgängen stärker miteinander verknüpft werden könnte.
5 Fachdidaktische Überlegungen zur Gestaltung des RW-Unterrichts
Für die Planung und Durchführung von betriebswirtschaftlichem Unterricht orientieren wir unsere Lehre und Forschung seit vielen Jahren am „Wiener Modell der Unterrichtsplanung“ (Greimel-Fuhrmann 2017), das basierend auf lernpsychologischen Überlegungen jene Elemente und ihre Interdependenzen beschreibt, die den Lernenden das Verstehen und die Anwendung von neu Gelerntem anhand von konkreten praxisbezogenen Aufgaben- und Problemstellungen ermöglichen. Im Zentrum stehen ein problemorientierter Einstieg, die verständliche Informationsvermittlung, die Bearbeitung von Aufgaben und Problemstellungen sowie die Rückmeldung zur Qualität deren Bearbeitung (vgl. Greimel-Fuhrmann/Fortmüller 2021).
Im Kontext dieses Unterrichtsmodells kommt im Rahmen der Informationsvermittlung der verständlichen Erklärung, also einer Erklärung, die das Verstehen fördert, eine ganz besondere Bedeutung zu. Schopf und Zwischenbrugger (2015) haben in einer Heuristik des verständlichen Erklärens wesentliche Elemente und Merkmale einer verständlichen Erklärung zusammengefasst: Sie berücksichtigt zunächst das bereits vorhandene Vorwissen und andere kognitive sowie auch affektive Eingangsvoraussetzungen der Lernenden. Die Erklärung selbst umfasst nicht nur die epistemische Struktur des zu Erklärenden selbst, d.h. sie beantwortet nicht nur die Fragen, was das zu Erklärende ist, zum Beispiel was Zinsen sind. Sie soll darüber hinaus auch relevante Handlungserklärungen beinhalten, d.h. nicht nur das „Was?“, sondern auch das „Wie?“ beantworten, also etwa wie das zu Erklärende in der Realität angewendet, durchgeführt, berechnet, untersucht etc. wird. Im Zusammenhang mit der Erklärung von Zinsen würde man etwa zeigen, wie Zinsen berechnet werden. Sowohl das Was als auch das Wie sollen begründet werden, also etwa warum es Zinsen gibt und warum man den Zinsbetrag auf eine bestimmte Art und Weise errechnet. Die Erklärung wird dadurch inhaltlich abgerundet, dass geklärt wird, wo das Gelernte seine Anwendung findet, wozu man es lernt und welche Aufgaben und Probleme man damit bearbeiten und lösen kann (vgl. Schopf/Zwischenbrugger 2015).
Da den befragten Expert/inn/en das tiefe Verstehen der Buchungen und der zugrundliegenden Buchungssystematik mit ihren Auswirkungen auf Bilanz und Gewinn- und Verlust-Rechnung so wichtig ist, sollen die oben dargestellten Prinzipien der Unterrichtsgestaltung in die fachdidaktischen Überlegungen zur Gestaltung des Rechnungswesenunterrichts einfließen. Die Erfahrungen in der Umsetzung des Wiener Modells für Unterrichtsplanung und der Heuristik für die Gestaltung verständlicher Erklärungen haben gezeigt, dass Studierende in ihren Unterrichtskonzepten häufig Probleme haben, das Was und Wie des zu Erklärenden ausreichend zu begründen und den betriebswirtschaftlichen Sinn des zu Erklärenden zu ergründen (vgl. Greimel-Fuhrmann 2019). Das folgende Beispiel zur Erklärung der Abschreibung und der Verbuchung der Abschreibung soll zeigen, wie alle Aspekte gleichermaßen adressiert werden können.
Als Eingangsvoraussetzungen der Lernenden werden die folgenden angenommen: die Lernenden wissen bereits, was Bilanz und G&V-Rechnung sind, was sie beinhalten und wie sie zusammenhängen. Sie können außerdem zwischen Bestandskonten und Erfolgskonten unterscheiden. Darüber hinaus wissen sie, dass Aufwände den Gewinn verringern und ein geringerer Gewinn auch einen geringeren Betrag an Steuern auf den Gewinn bedeuten. Die Lernenden haben auch bereits die persönliche Erfahrung gemacht, dass verschiedene Güter durch die Nutzung und durch den Zeitablauf weniger wert werden, etwa Handys und Computer.
Der problemorientierte Einstieg kann durch ein konkretes Beispiel eines abnutzbaren Anlagegutes gelingen. Computer oder Notebooks eignen sich als Beispiel deswegen sehr gut, weil sie einerseits Güter sind, die die Lernenden aus eigener privater Erfahrung kennen und auch wissen (sollten), dass sie im Zeitablauf an Wert verlieren. Außerdem sind sie Güter, die in Unternehmen abnutzbares Anlagevermögen darstellen (sofern sie nicht als Handelsware dienen), das während der Nutzungsdauer abgeschrieben wird. Beginnt man den Unterricht daher zum Beispiel mit der Eingangsrechnung für den Kauf eines Notebooks für ein bestimmtes Unternehmen zu Beginn eines Geschäftsjahres und fragt, ob das Notebook am Ende des Geschäftsjahres noch genauso viel wert ist, erhält man von den Lernenden mit hoher Wahrscheinlichkeit Antworten, aus denen gut abgeleitet werden kann, dass das Notebook durch die Verwendung, durch technische Veraltung etc. an Wert verliert.
Damit ist nun eine gute Grundlage gelegt, um die Abschreibung zu erklären, es wäre jedoch verfrüht, bereits an dieser Stelle die Anschaffungskosten durch die Nutzungsdauer zu dividieren und die erste Abschreibung – womöglich gleich als Buchungssatz – zu verbuchen, wie das in vielen Unterrichtskonzepten von Studierenden vorgesehen ist und wie das möglicherweise auch in der Unterrichtspraxis fallweise passieren mag. Die der Abschreibung zugrundeliegende betriebswirtschaftliche Idee ist schließlich noch nicht vermittelt worden.
Vielmehr ist nach dem Erkennen des Wertverlusts die Frage zu stellen: Was bedeutet der Wertverlust für das Unternehmen? Er muss berücksichtigt werden, denn durch ein zu hoch bewertetes Anlagevermögen würde sich ein Unternehmen reicher machen als es ist. Im Wesentlichen bedeutet der Wertverlust für das Unternehmen daher folgendes:
- Der (laufende) Wertverlust ist ein Aufwand, denn der Wertverlust ist durch den Einsatz des Notebooks im Unternehmen entstanden. Das Notebook ist genauso für die betriebliche Leistungserstellung eingesetzt worden wie Miete, Strom, Personal, deren Einsatz ebenso Aufwände darstellt.
- Der Wertverlust verringert den (Anschaffungs-)Wert des Anlagegutes.
Der Wertverlust muss daher einerseits als Aufwand in die Buchhaltung eingehen, er muss andererseits den Wert des Anlageguts Notebook vermindern. Unter Berücksichtigung der Anschaffungskosten und der Nutzungsdauer des Anlagegutes, kann man den jährlichen Wertverlust als Abschreibungsbetrag berechnen. Dieser wird gebucht
- im SOLL auf einem Aufwandskonto für Abschreibung (Aufwand wird mehr im Soll)
- und im HABEN auf dem Bestandskonto (das Vermögen wird weniger).
Stellt man die Buchung auf Konten dar, wird auch visualisiert, dass die Anschaffungskosten des Anlagegutes, die zum Zeitpunkt der Anschaffung im Soll auf dem Bestandskonto verbucht wurden, durch die Habenbuchung um den Abschreibungsbetrag verringert wird (wird indirekt auf einem Wertberichtigungskonto im Haben gebucht, entsteht derselbe Effekt). Um die Buchung noch besser zu verstehen, ist es wichtig, die beiden Auswirkungen der Buchung explizit zu beschreiben:
- Der Aufwand verringert den Gewinn des Unternehmens (nota bene: die Aufwandsbuchungen selbst sind nicht zeitgleich mit einer Auszahlung verbunden; das wird im Betriebswirtschaftsunterricht bei der Erklärung der Abschreibungsfinanzierung und des Cashflows relevantes Vorwissen darstellen). Der geringere Gewinn bedeutet in weiterer Folge eine geringere Ertragssteuerlast.
- Die Haben-Buchung auf dem Bestandskonto verringert den Wert des Anlageguts und somit das ausgewiesene Anlagevermögen. Das Unternehmen stellt sich in der Bilanz nicht reicher dar, als es ist, und erfüllt nun die Regeln des in Österreich geltenden Unternehmensgesetzbuchs.
Neben Aufgaben, die diese Buchungslogik illustrieren und die Auswirkungen auf Bilanz und G&V-Rechnung darstellen, erscheint es im Hinblick auf die von den Expert/inn/en genannten Anforderungen auch sinnvoll, in entsprechenden Aufgabenstellungen die Ergebnisse von (automatisierten Massen-)Buchungen im Hinblick auf ihre Plausibilität zu überprüfen und ihre Richtigkeit zu prüfen. Dies kann vor allem im Rahmen des Unterrichts im computerunterstützten Rechnungswesen erfolgen. Ob dieser Unterricht ausreichend mit Unterrichtszeit dotiert ist, kann im Zuge einer zukünftigen Lehrplanreform überlegt und diskutiert werden. Voraussetzung für die Umsetzung des Unterrichts ist eine ausreichend gute Ausstattung der Schulen mit Hard- und Software und eine fundierte Ausbildung der Wirtschaftspädagog/inn/en im Einsatz der entsprechenden Computerprogramme.
6 Schlussfolgerungen
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die zunehmende Digitalisierung im Rechnungswesen zunächst nichts an den Zielen, Inhalten und Aufgaben des Rechnungswesens selbst ändert, die im Rechnungswesen Beschäftigten allerdings mit einem veränderten Aufgaben- und Anforderungsprofil konfrontiert sind. Auch wenn diese Veränderung derzeit noch zum überwiegenden Teil Großunternehmen betrifft, so ist zu erwarten, dass der Trend zur stärkeren Digitalisierung in Zukunft auch kleine und mittlere Unternehmen sowie die für sie tätigen Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen erfassen wird.
Zu diesem Aufgaben- und Anforderungsprofil zählt jedenfalls der kundige Umgang mit einem (oder mehreren) gängigen IT-basierten Buchhaltungssystemen und die Fähigkeit, die Ergebnisse von automatisiert verbuchten Belegen nachvollziehen, kontrollieren und hinsichtlich ihrer Plausibilität prüfen und beurteilen zu können. Die befragten Expert/inn/en kommen übereinstimmend zu der Einschätzung, dass es dazu fundierte RW-Kenntnisse und ein tiefes Verstehen des zugrundliegenden Systems, etwa der doppelten Buchhaltung, braucht. Dazu gehört nicht nur das Verstehen der Zusammenhänge zwischen Bilanz und G&V-Rechnung, sondern auch der Auswirkungen von einzelnen Buchungen auf Bilanz und G&V-Rechnung. Ein Gefühl für Zahlen und Größenordnungen, das Schätzen von Größen und ein gewisses Kostenbewusstsein werden als weitere wünschenswerte Fähigkeiten von einem Teil der Befragten explizit genannt.
Alle interviewten Expert/inn/en betonen, dass nur auf dieser Grundlage eines tiefen Verstehens der Rechnungswesensysteme und der Auswirkungen von einzelnen Buchungen die immer wichtiger werdenden Aufgaben Kontrolle, Analyse, Auswertung und Beratung erfüllt werden können. Auf den Punkt gebracht lässt sich sagen, dass mehr als je zuvor der/die so genannte „denkende Buchhalter/in“ gefragt ist, wie er seit längerem als Orientierung für die Gestaltung des RW-Unterrichts gefordert wird (vgl. Reinisch 1996, Schneider 2010).
Aus fachdidaktischer Sicht bedeutet das, dass im Buchhaltungsunterricht in den Mittelpunkt gerückt wird zu verstehen, welche Geschäftsfälle im Unternehmen buchhalterisch relevant sind, wie sie verbucht werden und wie sich diese Buchungen auf Bilanz und G&V-Rechnung sowie auf weitere betriebswirtschaftliche Fragen und Entscheidungen auswirken. Neuweg (2021) zeigt im Linzer Ebenen-Modell, wie eine Strukturierung dieser Überlegungen gelingen kann, zunächst für die Hand der Lehrer/innen, die ihren RW-Unterricht planen und gestalten, dann jedoch auch für die fortgeschrittenen Schüler/innen zur Strukturierung und Verknüpfung des Gelernten mit ihrem Betriebswirtschaftswissen.
Abgesehen von der qualitativen Veränderung von Berufen im Bereich Rechnungswesen stellt sich auch die Frage der quantitativen Veränderung. Inwieweit sich die Digitalisierung auf die Anzahl von Beschäftigten im Rechnungswesen auswirken wird, wird noch zu beurteilen sein. Die Sorge, dass Arbeitsplätze vernichtet werden könnten ist nicht neu. „ Humans have feared losing our jobs to machines for millennia. (In 350 BCE, Aristotle worried that self-playing harps would make musicians obsolete.) And yet, automation has never created mass unemployment, in part because technology has always generated new jobs to replace the ones it destroyed” (New York Times). Das bedeutet, dass technische Neuerungen bislang nicht nur Jobs vernichtet, sondern immer auch neue Jobs geschaffen haben. Ob das auch für die derzeit stattfindende Digitalisierung zutreffen wird, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
Literatur
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Zitieren des Beitrags
Greimel-Fuhrmann, B. (2021): „Das Rechnungswesen ist tot, es lebe das Rechnungswesen!” Didaktische Überlegungen zum Rechnungswesenunterricht unter Berücksichtigung der fortschreitenden Digitalisierung. In: bwp@ Spezial AT-3: Beiträge zum 14. Österreichischen Wirtschaftspädagogik-Kongress, 1-16. Online: http://www.bwpat.de/wipaed-at3/greimel-fuhrmann_wipaed-at_2021.pdf (13.09.2021).