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bwp@ Ausgabe Nr. 18 | Juni 2010
Individuelle Bildungsgänge im Berufsbildungssystem
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 18 sind Karin Büchter, Anke Grotlüschen & H.-Hugo Kremer

Bastelbiographie, Patchwork-Identität und Co. - Atypische Erwerbsbiographien aus gegenwärtiger Forschungsperspektive

Beitrag von Ulrike FROSCH (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)

Abstract

Aufgrund tiefgreifender wirtschaftlicher, technologischer und arbeitsorganisatorischer Wandlungsprozesse erodiert die klassische Dreiteilung der Berufsbiographie bestehend aus Ausbildung durch Ausbildungssysteme, Erwerbsarbeit in Organisationen und Unternehmen sowie Ruhestand, geprägt durch gesellschaftliche Sicherungssysteme, und lässt Übergangsphasen in Form von befristeten Arbeitsverträgen, Teilzeittätigkeiten, völligen Ausstiegs sowie Wechsel beruflicher Tätigkeitsfelder und Fachrichtungen entstehen. Der moderne Lebenslauf in der Funktion eines gesellschaftlichen Ordnungssystems stützt sich jedoch weiterhin auf die Dreiteilung und orientiert und organisiert sich um das Erwerbssystem herum. Das zeigt sich einerseits in der fehlenden Zuständigkeit der Institutionen, Jugendliche und Erwachsene in den Vor-, Zwischen- und Übergangsabschnitten zu begleiten, andererseits in der fehlenden Akzeptanz der Arbeitgeber, die einen Bewerber mit beständiger beruflicher Profilbildung einem Bewerber mit einem vorwiegend durch Diskontinuität geprägten Lebenslauf vorziehen. Für den Einzelnen ergibt sich neben Anpassungs-, Mobilitäts- und Flexibilitätserfordernissen, vor allem die Aufgabe der Biographisierung als Konstruktion von Sinn, Kontinuität und Iden-tität, welche verknüpft mit beruflicher (Neu-)Orientierung und Karriereplanung ebenfalls Zu-nehmens losgelöst von Institutionen stattfindet. Der Beitrag beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und fokussiert sich daraus ableitende Herausforderungen, Chancen und Risiken für Jugendliche und Erwachsene. Aufgezeigt werden dazu ausgewählte Forschungsprojekte und ihre Ergebnisse, die das Phänomen der „Atypischen Er-werbsbiographie“ untersuchen.


Patchwork biography, patchwork identity and the like – atypical employment biographies from the perspective of current research

On the basis of profound processes of change in economics, technology and patterns of work organisation, the classic tripartite structure of the biography of working life is being eroded. This structure consists of initial training through systems of training, work in organisations and companies, as well as retirement, characterised by societal support systems, and these lead to the development of transitional phases in the form of fixed-term employment contracts, part-time employment, complete departure from the world of work, as well as changes in areas of professional activity and areas of expertise. The modern curriculum vitae in the function of a societal system of order continues, however, to be based on the three-phase model and is oriented and organised around the system of work. This is shown, on the one hand, by the lack of responsibility of the institutions to accompany young people and adults in the phase prior to work, the in-between phases and the transitional phases and, on the other hand, in the lack of acceptance on the part of employers, who prefer an applicant with a steady professional profile to an applicant with a curriculum vitae characterised by discontinuity. For the individual there is, as well as demands on their adaptability, mobility and flexibility, above all the task of conceiving of their biography as a construct of meaning, continuity and identity, which exists increasingly independently of institutions and connected with a (new) professional orientation and career planning. This paper deals with socio-political contextual issues and focuses on the challenges, opportunities and risks for young people and adults. Selected research projects and their results are highlighted which examine the phenomenon of the ‘atypical working life biography’.

1 Einleitung

Bastelbiographie, Patchwork-Identität, diskontinuierliche oder atypische Erwerbsbiographien sind Begriffe, die die gegenwärtige wissenschaftliche Literatur stark durchdrungen haben und im Kontext von lebenslangem Lernen, Kompetenz- sowie Identitätsentwicklung häufig thematisiert werden. Neben der Darstellung von Anpassungs-, Mobilitäts- und Flexibilitätserfordernissen, werden in diesem Zusammenhang vor allem Biographisierungsprozesse als Konstruktion von Sinn, Kontinuität und Identität betont. Hierzu werden Definitionen und theoretische Ansätze aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen bemüht, einen einheitlichen Forschungs- und Theoriezweig gibt es nicht.

In diesem Zusammenhang werden in diesem Beitrag einerseits die strukturellen wie gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen thematisiert und sich daraus ableitende Herausforderungen, Chancen und Risiken für Jugendliche und Erwachsene fokussiert. Auf der anderen Seite zeichnet der Beitrag die gegenwärtige Forschungslage nach, indem Forschungsrichtungen sowie ausgewählte Forschungsprojekte und deren Ergebnisse dargestellt werden, die die Begriffs- und Theoriebildung im Kontext atypischer Erwerbsbiographien maßgeblich prägten und gegenwärtig beeinflussen.

2 Tiefgreifende strukturelle Wandlungsprozesse und Herausforderungen für den Einzelnen

Der demographische Wandel sowie tiefgreifende wirtschaftliche, technologische und arbeitsorganisatorische Wandlungsprozesse haben erheblichen Einfluss auf die Entwicklungen des Arbeitsmarktes. Bedeutsame Konsequenzen der Globalisierung sind verkürzte Innovationszyklen, erhöhte Reaktionsgeschwindigkeiten, die Kurzlebigkeit sowie vergrößerte Komplexität von Technik, Informationen und Wissen und die damit einhergehenden qualifikationsbedingten Arbeitsmarktzugänge. Während Geringqualifizierte als die potentiellen „Verlierer“ des Arbeitsmarktes ausgemacht werden und den höchsten Anteil unter den Arbeitssuchenden ausmachen, wird den Gruppen der qualifizierten Facharbeiter sowie der hochqualifizierten, sogenannten Wissensarbeiter eine immer bedeutsamere Rolle zugeschrieben. Die zunehmende Prozess- und Projektorientierung in Unternehmensorganisationen löst einerseits die traditionelle Organisation nach Fachabteilungen in Unternehmen und Betrieben ab und stellt gleichermaßen erhöhte Anforderungen an die Qualifikationsgruppen der Facharbeiter und Hochqualifizierten. Erweiterte prozessorientierte Zuständigkeiten sowie ausdifferenzierte Kommunikations- und Kooperationsbezüge erfordern Lernoffenheit, erhöhte Kommunikationsfähigkeiten, Sensibilität und Offenheit gegenüber Fach- und Statusgrenzen sowie die Fähigkeit zum Perspektivwechsel (SCHUHMANN 2002). Diese Tendenzen erfordern permanente Weiterqualifizierung und gehen nicht selten mit einer Neuorientierung auf dem Arbeitsmarkt einher, die mehrfache Änderungen im beruflichen Tätigkeitsfeld, bzw. Berufswechsel erfordern kann (PREIßER 2002).

Das klassische dreigliedrige Modell der Erwerbsbiographie – Schule/ Ausbildung durch Ausbildungssysteme, Erwerbsarbeit in Organisationen und Unternehmen sowie Ruhestand, geprägt durch gesellschaftliche Sicherungssysteme erodiert zunehmend (REUTTER 2004) und lässt Übergangsphasen in Form von befristeten Arbeitsverträgen, Teilzeittätigkeiten, völligen Ausstiegs sowie Wechsel beruflicher Tätigkeitsfelder und Fachrichtungen entstehen (BEHRINGER 2004). Die begriffliche Spanne für solche zusammengesetzten Erwerbsbiographien reicht von diskontinuierlichen Erwerbsbiographien bis hin zu Bastelbiographien und Patchworkidentitäten[1] und unterscheidet sich von der sogenannten Normalbiographie dahingehend, dass sie nicht auf einem Arbeitsverhältnis in Form einer arbeits- und sozialrechtlich abgesicherten, im Einklang mit tarifrechtlichen Vereinbarungen stehenden, kontinuierlichen, auf Dauer angelegten Vollzeitbeschäftigung beruht (OSTERLAND 1990).

Auch wenn es den Idealtyp einer ‚Normalbiographie’ nur im Zeitraum des Wirtschaftswunders in den 1950er und 60er Jahren und nur für Männer gegeben hat, da Diskontinuitäten in der weiblichen Erwerbsbiographie allein durch Mutterschaftspausen und Erziehungszeiten schon immer existierten, so nimmt die Diskontinuitätsbedrohung im Sinne einer kollektiven Bedrohung zu.

Der Lebenslauf der modernen Gesellschaft orientiert und organisiert sich in Deutschland um das Erwerbssystem herum (KOHLI/ ROBERT 1984), womit eine zeitliche und lebensweltliche Orientierung und Strukturierung gegeben ist. Das hat zur Folge, dass die Biographie des Einzelnen permanent durch institutionalisierte Ablaufmuster geprägt und eine gewisse Kontinuität und chronologische Standardisierung in der Biographie suggeriert wird. Solche institutionelle gerahmten „sensiblen Phasen“ des Ein- oder Austritts werden als Statuspassagen (vgl. BLOSSFELD 1988, 45) bezeichnet und als herausgelöste Orte und Zeiten der (Re-)Formulierung und Modifizierung der in der Arbeitsgesellschaft geltenden institutionellen Muster und Ordnungen definiert. Als gesellschaftlich wichtige Statuspassagen gelten Berufsfindung, Berufsausbildung und -einmündung sowie Familiengründung, welche allesamt institutionell gerahmt sind.

Die daraus resultierende gesellschaftliche Fiktion über ein 'Normalarbeitsverhältnis' und die Verantwortung (staatlicher) Institutionen, weicht jedoch auf Grund drastischer Veränderungen in den Erwerbsformen zunehmend der Realität von bestehenden, sogenannten bewegten atypischen oder diskontinuierlichen Erwerbsverläufen und rückt die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen in den Vordergrund.

HOFFMANN und WALWEI (2002) führen diesbezüglich folgende empirischen Befunde für den Bedeutungsverlust traditioneller Erwerbsformen und der damit wahrgenommenen Erosion des Normalarbeitsverhältnisses an:

  • Selbständige Erwerbsformen haben außerhalb des Landwirtschaftssektors seit den 80er Jahren an Bedeutung gewonnen. Besonders stark wuchsen die Anteile Selbständiger ohne Mitarbeiter.
  • Bei den abhängig Beschäftigten (Arbeiter, Angestellte, Beamte) fällt die erhebliche Ausweitung von Teilzeitbeschäftigung bei gleichzeitigem Rückgang der Vollzeitbeschäftigung auf.
  • Befristete Arbeitsverhältnisse – als temporäre Sonderformen von Vollzeit- oder (in geringerem Umfang) Teilzeitbeschäftigung – nahmen insgesamt zu[2].
  • Die Zahl überlassener Leiharbeitnehmer hat sich seit Mitte der 80er Jahre sehr dynamisch entwickelt. Wenngleich diese Erwerbsform bisher kein wesentliches Gewicht erreichte, so lag ihr Anteil an allen Erwerbstätigen im Jahr 2000 gegenüber 1985 doch gut viermal so hoch (vgl. HOFFMANN/ WALWEI 2002, 136f).

Zwar war der Arbeitsmarkt historisch permanent drastischen Veränderungen ausgesetzt und, wie bereits angeführt, waren Diskontinuitäten im Erwerbsleben – vor allem für Frauen – schon immer allgegenwärtig, das kollektive Empfinden über sich schneller wandelnde strukturelle Prozesse und die daraus resultierende ‚zusammengesetzte, flickenhafte’ Erwerbsbiographie, geht jedoch als Phänomen der Neuzeit, der sogenannten „zweiten Moderne“ (BECK 1986), hervor und führt dazu, dass sich biographische Muster zunehmend auch an den veränderten Arbeitsanforderungen orientieren.

Für die Einzelnen ergeben sich letztlich immer Diskontinuitäts- und Ausgrenzungsrisiken sowie Anpassungs-, Mobilitäts- und Flexibilitätserfordernisse, die sie selbstorganisiert händeln müssen. Der eigene Lebensweg wird zum gestaltbaren aber auch gestaltungsbedürftigen Prozess, in dem der Einzelne selbst als Handlungszentrum über Qualifikationen, Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften etc. entscheidet und entsprechend agiert (BECK, 1986). Die dafür erforderlichen Kompetenzen sind nach Voß (1998) auf eine aktive Selbststeuerung und Selbstentwicklung ausgerichtet und erfordern hohe Selbstreferenz und Reflexivität.

BAETHGE u.a. beschreiben diese Kompetenzen als „Kompetenzen für Mobilität und den Umgang mit Unsicherheiten“ und bestimmen Fähigkeiten zur Selbstreferenz und Reflexivität mit der „Gewinnung eines neuen Verhältnisses zur eigenen Berufsbiographie“ (vgl. BAETHGE et al. 1996, 15).

Auch SCHAEPER et al. (2000) betonen die Wichtigkeit des biographischen Entwurfs der Individuen, der den eigenen Lebensverlauf maßgeblich beeinflusst. Sie heben hervor, dass Erfahrungen mit Diskontinuitäten, biographischen Brüchen oder persönlichen Krisen während der eigenen Erwerbsbiographie sowie in den außerschulischen Lebensbereichen wichtige Ereignisse sind, die eine Überprüfung des eigenen Entwurfs fordern und darüber hinaus zu neuen biographischen Lernprozessen führen können.

Beispiele aus der Forschung zeigen, dass kritische Lebensereignisse durchaus Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung in Form von Kompetenzerweiterung nehmen können. Im Folgenden werden Forschungsbemühungen und -ergebnisse aufgezeigt, die sich mehr oder weniger stark mit dem Thema der atypischen Erwerbsbiographie auseinander setzen.

3 Die Forschungslage zu atypischen Erwerbsbiographien

Bei dem Thema der atypischen Erwerbsbiographien handelt es sich um ein zeitdiagnostisch aktuell bleibendes Phänomen, was in fast allen sozialwissenschaftlichen arbeits- und gesellschaftsanalytischen sowie bildungspoltischen und -praktischen Forschungsprojekten mehr oder weniger stark aufgegriffen wird.

Einen ganzheitlichen Forschungsansatz, der sich mit dem Phänomen der atypischen Erwerbsverläufe beschäftigt, gibt es derzeitig nicht. Ein großes Forschungsdefizit betrifft vor allem die Gruppe der Betroffenen. Derzeitig kann quantitativ kaum nachgewiesen werden, welche Bevölkerungsgruppen besonders vom Diskontinuitätsrisiko betroffen sind, da bestehende Datenbestände nur selten über das Jahr 2000 hinausgehen und sich zumeist auf westdeutsche Entwicklungen beziehen (REUTTER 2004). Eine systematische Erfassung im Sinne einer Lebensverlaufsforschung ist in diesem Sinne gar nicht möglich, was zur Folge hat, dass lediglich Risikogruppen aus bestehenden Kohorten, z.B. Arbeitslosenkohorten prognostiziert werden können. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Gruppe der Ungelernten und gering Qualifizierten betont.

Zudem befassen sich Studien vorwiegend damit, zu erheben, welche Qualifikationsanforderungen und Kompetenzen betroffene Arbeitskräfte benötigen, um einer beruflichen Neuorientierung gerecht zu werden, bzw. welchen Entgrenzungserscheinungen sie begegnen (vgl. BAETHGE 1996, SCHAEPER 2000). Biografische Konsequenzen sowie Überwindungs- und Bewältigungsstrategien für diskontinuierliche Erwerbstätigkeit werden nur selten und wenn, dann in Form von Ratgeberliteratur thematisiert, die neben den qualifikatorischen Voraussetzungen vor allem die erwerbsbiographische Konsistenz zum Gegenstand haben. Die Kontinuität eines bestehenden Arbeitsverhältnisses tritt hier gegenüber einer stimmigen „den roten Faden“ aufzeigenden Darstellung des Lebenslaufes als ein Mosaik bestehend aus Ausbildung, Arbeitsphasen, Karrieresprüngen, Selbstständigkeit, Zeitarbeit, Weiterbildung, Auszeiten, etc. zurück (BLOEMER 2005).

Im Folgenden sollen in einem ersten Schritt allgemein ausgewählte Forschungsrichtungen und Theorieansätze erläutert werden, die sich in Teilaspekten dem Thema atypische Erwerbsbiographien widmen. In einem zweiten Schritt werden beispielhaft Projekte und deren Forschungsergebnisse aufgezeigt, die im Themenzusammenhang interessante Bearbeitungsmöglichkeiten und Forschungsperspektiven aufzeigen und einen Überblick über den derzeitigen Stand der Theoriebildung zur Thematik bieten.

3.1 Aspekte atypischer Erwerbsbiographien in den Forschungsdisziplinen

Die Reihe an Forschungsrichtungen, die sich mit Aspekten atypischer Erwerbsbiographien beschäftigen, die für ein (grundlagen)theoretisches Verständnis von Interesse sind, ist so vielfältig wie die Disziplinen, die die folgenden einzelnen Forschungsrichtungen speisen. Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie sind nur einige Disziplinen, die zu den ausgewählten Forschungsrichtungen einen Beitrag leisten.

Die sozialwissenschaftliche Arbeitslosenforschung legt empirische Untersuchungen zu den psychosozialen Auswirkungen und Bewältigungsformen von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit vor, die eng in der Tradition der Wirkungsforschung stehen und die jeweiligen Lebensumstände, die biographische Vorgeschichte, die Persönlichkeit und die finanziellen, persönlichen und sozialen Ressourcen als Kontextfaktoren systematisch in die Analyse der Folgewirkungen einbeziehen. In neueren Studien geht es vor allem um die Alltagszeit von Langzeitarbeitslosen im Zusammenhang mit sozialen Normen und Rollen, finanziellen Ressourcen sowie Bewältigungsformen (ROGGE et al. 2007).

Die Qualifikationsforschung als ein Bereich der Arbeitsmarkt- und Berufsbildungsforschung befasst sich hingegen mit der Identifizierung von Kompetenzen zur Beherrschung und Gestaltung beruflicher Arbeitsprozesse und -aufgaben, wobei es um Curriculumentwicklung innerhalb der Berufsbildung und damit im präventiven Sinne um notwendige (über)fachliche Qualifikationen zur Sicherung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit/ Employability geht.

Die Lebensverlaufsforschung verknüpft gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Lebensverläufe mit den dahinterliegenden individuenbezogenen Entscheidungsprozessen im Sinne generativer Verhaltensmodelle. Im Mittelpunkt stehen hierbei sozial differenzierte Übergangsmuster, die beispielsweise bei Bildung und Ausbildung, Arbeitsmarkteinstieg sowie Weiterqualifizierung zum Tragen kommen. In diesem Kontext werden vor allem soziale Bildungsungleichheiten und ihre akkumulierenden langfristigen Konsequenzen betont (HILLMERT 2010).

Die Berufslaufbahnforschung thematisiert vor allem wirtschaftliche und beruflich strukturelle Bedingungen (z. B. Wirtschaftslage), soziale und sozioökonomische Einflüsse wie soziale Herkunft, institutionelle und organisatorische Laufbahnbedingungen (z. B. Ausbildungs- und Zulassungsbestimmungen) und individuelle Bedingungen wie Schulbildung, Berufswahlreife, Person-Umwelt-Kongruenz im Kontext der kohortenspezifischen Berufslaufbahn (FASSMANN/ MEUSBUGER 1997). In diesem Zusammenhang sind eine Reihe theoretischer Ansätze entstanden, die entweder einen generellen Modellcharakter besitzen, sich auf Charaktereigenschaften der jeweiligen Kohorte beziehen oder genderspezifische Modelle entwickelten, um die individuellen oder kontextuellen Bedingungen von beruflichem Erfolg zu beschreiben (GÜNTHER/ GERSTENMAIER 2005).

Aus der Entwicklungspsychologie existieren grundlagentheoretische Arbeiten zur Identitätsentwicklung im Lebensverlauf, die den wichtigen Stellenwert des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit als Ressource und zugleich Ergebnis des Handelns betonen und somit Aufschluss über Identitätsentwicklungen von Biographieträgern mit atypischer Erwerbsbiographie liefern können. Mit kognitiven Verarbeitungs- und Bewältigungsprozessen der handelnden Menschen hat sich im Rahmen von Belastungs-Bewältigungs-Modellen die kognitiv-handlungstheoretische Psychologie und hier besonders die Stress- sowie die Coping-Forschung befasst. Die Belastungs-Bewältigungs-Modelle weisen erhebliche Vorteile gegenüber Untersuchungen zur psychosozialen Auswirkung von Arbeitslosigkeit auf, da sie nicht nur den handelnden, eine belastende Situation zu bewältigenden Menschen in den Mittelpunkt stellen, sondern vor allem seine Handlungsressourcen, seine Handlungsalternativen sowie den möglichen Handlungserfolg berücksichtigen (PREIßER 2001).

Entscheidungstheorien liefern einen Beitrag zu den Voraussetzungen und Dimensionen, unter denen rationale Entscheidungen gefällt werden können. Sie gehen davon aus, dass sich die Berufswahl und die anschließende berufliche Entwicklung (Laufbahn) vor allem mit persönlichen Entscheidungen erklären lassen. Im Mittelpunkt stehen die Entscheidungsprozesse, die aufzeigen, welche Herangehensweisen zu einer erfolgreichen Ausbildungs- und Berufswahl führen. Dominant sind hierzu Studien zur Ausbildungs- und Berufswahl Jugendlicher (SCHREIBER 2005).

Schließlich existieren aus der soziologischen und pädagogischen Biographieforschung, die sich aus der Lebenslaufforschung heraus etabliert hat, zahlreiche Erklärungsansätze dazu, wie sich im Lebensverlauf Erfahrungen zu individuellen Heuristiken und Kompetenzen verdichten und eine Grundlage zukünftigen Handelns bilden (PREIßER/ WIRKNER 2002). Vordergründing geht es um die Erkenntnis, dass der einzelne im Laufe seines Lebens, spezialisierte und separierte Erfahrungsbereiche integriert und mehr oder weniger gelungen zu einer eigenen Sinngestalt zusammenfügt (ALHEIT et al. 2003).

Gerade in den aktuellen Modernisierungstheorien zeigt sich, dass es sich bei atypischen Erwerbsbiographien um einen Themenbereich handelt, der in Facetten zeitdiagnostisch stark aufgegriffen und ausgearbeitet wurde, zumindest was die Beschreibung von gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, Strukturmerkmalen sowie gesellschaftlichen und individuellen Folgen anbelangt. Modernisierungstheorien dienen im Sinne von „Schablonen“ oder „Lesebrillen“ zur Beschreibung und Einordnung gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen und versuchen, die Kontingenz und Vielfalt der Moderne aufzugreifen. Bereits BECK gab Mitte der 1980er in seiner entwickelten Theorie der reflexiven Moderne zu bedenken, dass Institutionen permanenten Transformationen ausgesetzt sind und stellte heraus, welche Risiken das Individuum dabei trägt. Auch für GIDDENS, der in dem Werk The Consequences of Modernity (1991) Konsequenzen für diskontinuierliche Entwicklungen in der „radikalisierten“ modernen Welt aufzeigt und in diesem Zusammenhang vor allem die Bedeutung von Vertrauen und ontologischer Sicherheit thematisiert, lässt sich ein Bezug zum Thema herstellen. Ebenso kann beispielhaft Richard SENNET genannt werden, der in seinem erfolgreichem Buch Der flexible Mensch (1998) die individuellen Folgen des „neuen Kapitalismus“ und den darin enthaltenen flexibilisierten modernen Arbeitsformen beschreibt.

Insgesamt lassen sich für alle hier erwähnten Forschungsrichtungen und Theorieansätze direkte oder indirekte Bezüge herstellen, mit denen man gesellschaftspolitische Wandlungsprozesse und Rahmenbedingungen beschreiben sowie Herausforderungen, Chancen und Risiken für Individuen ableiten kann.

3.2 Atypische Erwerbsbiographien in ausgewählten Forschungsprojekten

Im Folgenden werden beispielhaft Projekte beschrieben, die sich dem Forschungsgegenstand atypischer Erwerbsbiographien widmeten bzw. widmen. Dabei werden vor allem jene Forschungsprojekte dargestellt, die entweder maßgeblich zur Begriffsbildung beigetragen oder einen wesentlichen Beitrag zur Theoriebildung geleistet haben.

Einen erheblichen Anteil an der Forcierung der Thematik haben mit Sicherheit die Münchener Sonderforschungsbereiche (MSfb) 333, „Entwicklungsperspektiven von Arbeit“ und 536, „Reflexive Modernisierung“ geleistet.

Der MSfb 333 hat seit Mitte der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre vor allem Fragen der „alltäglichen Lebensführung“ im Hinblick auf das praktische Leben von Individuen in seiner komplexen Vielfalt erfasst (JURCZYK/ RERRICH 1993). Ergebnisse waren u.a. die Beschreibung von Modi im Verständnis einer „subjektorientierten“ Soziologie, mit denen Individuen Anforderungen aus unterschiedlichen Lebensbereichen in eine – teilweise unbewusste – „Gesamtstrategie“ ihrer Biographie integrieren. Die alltägliche Lebensführung wird somit als aktive Konstruktionsleistung des Individuums verstanden (vgl. VOß 1991, 9ff.). Aus der Tradition dieses Sonderforschungsbereichs gingen beispielsweise die späteren Arbeiten von VOß und PONGRATZ zum „Arbeitskraftunternehmer“ (1998) als neue Grundform der Ware Arbeitskraft hervor, deren idealtypische Beschreibung in den drei Thesen der Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung sowie Selbst-Rationalisierung mündet und die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen hinsichtlich seiner Arbeitskraft im Sinne eines Unternehmers beschreibt. VOß und PONGRATZ skizzieren damit einen hochindividualisierten Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis nur im geringen Grad institutionell reguliert ist.

Der MSfb 536 besteht seit dem Jahr 1999 und wurde für einzelne Teilprojekte bis zum Jahr 2009 verlängert. Er agierte als interdisziplinär angelegter sozialwissenschaftlicher Forschungsverbund im Raum München und Augsburg und hat sich zum Ziel gesetzt, den „Strukturbruch“ der Moderne, bzw. den Übergang von einer „einfachen“ zu einer „reflexiven“ Moderne, einschließlich den daraus resultierenden Kontingenzzuwachs und seine Nebenfolgen zu thematisieren. In diesem Zusammenhang wurden in drei Forschungsblöcken[3] u.a. die Rahmenbedingungen der „Ware Arbeitskraft“ sowie Ebenen sozialer Identitätsbildung hinterfragt und untersucht (http://www.sfb536.mwn.de). Aus diesem Forschungsbereich gingen die bereits kurz angeführten und im Forschungsblock A konzentrierten Arbeiten BECKs zurück. Weiterhin sind die im Teilprojekt „B2 Individualisierung und posttraditionale Ligaturen – die sozialen Figurationen der reflexiven Moderne“ entstandenen Arbeiten u.a. von HEINER KEUPP zu Indentitätskonstruktionen, hier vor allem „Patchwork-Identitäten“, relevant. In seinem konstruktivistischen Modell der Identitätsfindung findet Identitätsarbeit vor allem auf den Ebenen Konfliktaushandlung, Ressourcenarbeit sowie in der Narration statt. KEUPP et al. zeichnen an Hand einer Studie mit jungen Erwachsenen nach, wie es Subjekten in einer fragmentierten und widersprüchlichen Welt gelingt, für sich stimmige Identitätskonstruktionen – Lebenskohärenz – herzustellen (KEUPP et al. 2002).

Der Bremer Sonderforschungsbereich 186 (BSfb); „Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf“ überprüfte Mitte der 1990er Jahre bis 2001 in 14 Teilprojekten Lebenslagen und Lebensverläufe auf empirischem Weg hinsichtlich der konkurrierenden Diagnosen über den Zerfall der modernen Gesellschaft, die Beharrungskräfte sozialer Ungleichheit, Individualisierung und Pluralisierung und untersuchte über längere Zeiträume hinweg gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Institutionen und Biographien in ihrem Wechselverhältnis (VORSTAND DES BSfb 1994). Die Fragestellungen des BSfbs erstreckten sich darauf, ob und in welchem Ausmaß Biographien ihre strukturelle Einbettung durch Herkunft, Geschlecht, Alter und Ethnizität verlieren und in welchem Maße die Formung von Lebensläufen durch neue sozialstrukturelle Optionen und Zwänge auf Aushandlungsprozesse zwischen Individuen, sozialen Netzwerken, Gelegenheitsstrukturen und Institutionen übergeht (HEINZ/ KRÜGER 2001). Im Zentrum der Analysen standen in der Tradition der Lebensverlaufsforschung Übergangsdynamiken im Lebensverlauf im Schnittpunkt von individuellen Handlungsstrategien und institutionellen Regulierungsmechanismen (HEINZ 1992). Der BSfb prägte maßgeblich die Begrifflichkeit der diskontinuierlichen Erwerbsverläufe. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Teilprojekt A1 „Statuspassagen in der Erwerbsarbeit“ von Interesse, bei dem auf Basis einer quantitativen und qualitativen Längsschnittuntersuchung betrieblich ausgebildeter Fachkräfte u.a. fünf Formen der Interpretation und Gestaltung von Diskontinuität herausgearbeitet wurden:

 

a) Diskontinuität wird als bedrohlich für die Erwerbskarriere erlebt und fördert Anspruchsreduktion.

b) Diskontinuität wird als kurzzeitiges, vorübergehendes Aussetzen interpretiert und stellt eine Gelegenheit zur Verwirklichung erwerbsarbeitsfremder Interessen dar. Danach soll an die bisherige Erwerbskarriere angeknüpft werden.

c) Mit Diskontinuität geht Orientierungssuche und das Streben nach eigener sinnhafter Verortung im Berufssystem einher.

d) Diskontinuität wird als Chance zur Erweiterung beruflicher Optionen interpretiert, die sich aus einer Vollzeitweiterbildung oder einem Studium ergibt.

e) Diskontinuität wird als für die Kinderbetreuung notwendige mehrjährige Unterbrechung der Erwerbskarriere interpretiert und mit einem Erziehungsurlaub verbunden (vgl. SCHAEPER et al. 2000, 87).

 

Ein weiteres wesentliches Ergebnis der Untersuchung war, dass das Berufskonzept sowohl als Erklärungspotential für Erwerbs- und Berufsverläufe als auch in seiner Orientierungsfunktion für die Biographiegestaltung nach wie vor einen hohen Stellenwert besitzt (vgl. SCHAEPER et al. 2000, 99).

Im Forschungsprojekt des DIE Transferqualifikationen beruflicher Kompetenzen (1999-2002), welches eine Studie aktuell entlassener oder von Arbeitslosigkeit bedrohter Angestellter beinhaltete, wurde die Fragestellung verfolgt, welche Kompetenzen Betroffene/ Individuen mitbringen bzw. entwickeln müssen, um den aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarkts gerecht zu werden. Fokussiert wurden hierbei die Transferqualifikationen, also Kompetenzen, „die die Beschäftigten oder Arbeitsuchenden in die Lage versetzen, an ihre bisherigen beruflichen und außerberuflich erworbenen Qualifikationen und Erfahrungen anzuknüpfen und sie für eine berufliche Neuorientierung zu verwerten“ (PREIßER/ WIRKNER 2002, 9). Die Ergebnisse des Projekts bestätigten in erster Linie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Arbeitslosenforschung, die als Folgen (drohender) Arbeitslosigkeit psychosoziale Belastungen, Zukunftsunsicherheit, Orientierungslosigkeit und Handlungsohnmacht sowie reaktive und defensive Bewältigungsmuster formuliert. Darüber hinaus ergab die Untersuchung, dass vor allem die einfach qualifizierten Beschäftigten nur mangelhaft in der Lage waren, eigene während der Erwerbsbiographie erworbene fachliche und überfachliche sowie informelle Kompetenzen zu benennen und strategisch für sich einzusetzen, was wiederum zu Passungsproblemen auf dem Arbeitsmarkt führen kann (PREIßER/ WIRKNER, 2002).

Das Projekt Atypische Erwerbsverläufe und Arbeitsorganisationsformen und ihr Zusammenhang zu wahrgenommenen Fehlbelastungen (2005-2006) der Universität Erlangen-Nürnberg war am Institut für Psychologie angesiedelt und wurde ebenfalls in der Tradition der Arbeitslosenforschung durchgeführt. In der quantitativen Studie wurde die wahrgenommene Belastung der Betroffenen an Hand der Messinstrumente:

  • Berufliche Entwicklung: retrospektive Einschätzung von beruflicher Weiterentwicklung vs. Diskontinuität,
  • Zukunftsplanung: beruflich und privat,
  • Befürchtungen: mangelnde Alternativen, Zielplanung und Selbstbestimmtheit,
  • Strukturmerkmale: mangelnde Identifikation, Zugehörigkeit, Bindung und (finanzielle) Förderung sowie
  • das Erleben von Wechseln und Brüchen

herausgearbeitet. Die Untersuchung zeigte, dass gerade Phasen der Arbeitslosigkeit, Befristung sowie Zeitarbeit mit höheren Belastungswerten einhergehen, d.h. Betroffene in diesem Zusammenhang über mehr Befürchtungen hinsichtlich weniger Zukunftsplanung, mehr Wechsel und Brüche sowie weniger berufliche Weiterqualifizierung berichten (HECKER et al. 2007).

In dem aktuell laufenden Projekt „Alterssicherung von Menschen mit flexiblen Erwerbsbiographien in Deutschland“ (2009-2011) des Instituts für Soziologie der Universität Tübingen werden die Konsequenzen für die Rentenansprüche von Menschen mit atypischen Erwerbsbiographien untersucht. In Kohortenrechnungen werden nach der aktuellen Rentenformel sowie Rentenreformoptionen Verteilungswirkungen simuliert (http://www.soziologie.uni-tuebingen.de/forschung/forschung-projekte.html).

Bei der Projektgruppe Diskontinuierliche Erwerbsbiographien handelt es sich um eine bis heute bestehende überinstitutionelle Projektkooperation, bestehend aus dem Büro für berufliche Bildungsplanung (bbb), der Deutschen Arbeitsschutzausstellung (DASA), der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE) sowie dem Deutschem Institut für Erwachsenenbildung (DIE). Die bis heute tätige Projektgruppe organisiert Workshops und Ausstellungen zum Thema und versteht sich als Anlauf- und Koordinierungsstelle. Weiterhin erscheinen Veröffentlichungen, die die Workshopinhalte zum Gegenstand haben (http://www.bwpaed.uni-due.de/wirtschaft/projekte/P053.htm).

Auf Modellprojektebene gibt es einige Projekte, die seit Anfang der 2000er Jahre durchgeführt wurden und die bessere Profilierung von Bewerbern mit atypischen Erwerbsbiographien zum Gegenstand hatten. So z.B. das Projekt „Continuo - wenn aus Patchwork-Biografien neue Berufschancen erwachsen“, dass unter der Hochschulleitung der Universität Niederrhein, Fachbereich Sozialwesen die Erarbeitung eines Profiling-Instruments zum Ziel hatte, mit dem sich Potentiale und Kompetenzen von insbesondere Bewerbern mit Diskontinuitätserfahrung diagnostizieren lassen (VOMBERG 2007). Als weiteres Projekt kann das BMBF-geförderte Projekt „Neue Erwerbsbiografien in virtuellen Unternehmen der Medienindustrie“ angeführt werden, welches sich zum Ziel gesetzt hat, ein System zur umfassenden berufsunabhängigen Beschreibung von Kompetenzen für die IT-Wirtschaft („Job-Spirit“) zu konzipieren, um sowohl die interne Personalarbeit als auch die interne Zusammenstellung von Projektteams zu gewährleisten. Denn gerade diese Branche – so der Kerngedanke – ist vom Bedeutungsverlust des Berufes als Orientierungsrahmen dahingehend betroffen, dass Unternehmen nicht nach Berufen sondern vielmehr nach wahrzunehmenden Rollen strukturiert sind (CIESINGER/ WOLTERING, 2007). In dieser Förderungsperiode ist ebenfalls das anwendungsorientierte Projekt „Ganzheitliche Kompetenzentwicklung für die Arbeit in virtuellen Unternehmen mit dem virtuellen Qualifizierungscoach (VICO)“ zu nennen, was zwar nicht auf den ersten Blick Themenverwandt erscheint, aber eine ähnliche Argumentation wie die, des vorigen Projektes zu Grunde liegen hat. Mitarbeiter in virtuellen Unternehmen sind einer dauerhaften Instabilität auf Grund der fluktuierenden Beteiligung, dem geringen Institutionalisierungsgrad sowie der hohen Handlungsautonomie und Eigenverantwortlichkeit ausgesetzt, was wiederum mit veränderten Kompetenzanforderungen einhergeht. Diese zu identifizieren und auf der Basis ein virtuelles Coachingprogramm zu konzipieren, ist Anliegen dieses Projekts. Von Interesse sind die identifizierten Kompetenzbereiche, gerade im Umgang mit Diskontinuitäten und Brüchen wurde die Transitionskompetenz beschrieben, die zur emotionalen Bewältigung krisenhafter Umbrucherfahrungen und Auftragslücken notwendig ist (vgl. AUFFERMANN 2007, 56). Nicht immer werden auf Modellprojektebene wie in diesen Fällen, Projekte unter eine wissenschaftliche Leitung oder Begleitung gestellt und dienen dann vorrangig der Qualifizierung, Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit oder Förderung genderspezifischer Chancengleichheit bestimmter Arbeitsmarktgruppen und werden durch diverse Bildungsträger geplant und umgesetzt.

4 Schlussbetrachtung

Die Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsrichtungen und -projekten zum Themenbereich atypische Erwerbsbiographien haben vor allem gezeigt, dass das Thema einerseits insgesamt grundlagentheoretisch wenig aufgearbeitet wurde und Projekte überwiegend Mitte der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre initiiert und realisiert wurden. Mittlerweile gibt es in der deutschen Forschungslandschaft nur noch wenige Projekte, die sich mit dem Gegenstandbereich auseinandersetzen. Nach wie vor legen die Projekte einen defizitären Ansatz zu Grunde, was bedeutet, dass davon ausgegangen wird, Menschen mit atypischen Erwerbsbiographien sind in irgend einer Weise gegenüber Menschen mit kontinuierlicher Beschäftigung benachteiligt. Sei es, dass sie ein größeres Belastungspotential tragen, finanziell und sozial schlechter abgesichert sind oder besondere Kompetenzen im Umgang mit Diskontinuitäten erwerben müssen. Theoretische Ansätze und Modelle setzen sich stark fragmentiert aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen und dienen lediglich eher als Orientierungshilfe, was daran liegt, dass die Veränderungen der Erwerbsbiographien in sich nicht einheitlich beschreibbar sind, sondern je nach Lebenslage, Geschlecht, Alter, beruflichem und sozialem Status, regionaler Zugehörigkeit, u.a. differenziert zu betrachten sind. Hier lag der Fokus von Modellprojekten auf den Berufs- bzw. Branchengruppen, die besonders stark von entgrenzten Beschäftigungsverhältnissen betroffen waren, wie der IT-Branche.



[1] Im weiteren Verlauf wird der Begriff ‚atypische Erwerbsbiographien‘ verwendet, da er eine neutrale Konnotation im Gegensatz zu den anderen Begriffen aufweist.

[2] Die durchschnittliche Dauer eines Arbeitsverhältnisses beträgt in Deutschland nur durchschnittlich etwas mehr als vier Jahre (WITTWER 2001).

[3] Folgende Forschungsblöcke gab es im MSfb 536: A) Politische Epistemologie der Ungewissheit: Wissen, Nicht-Wissen, Uneindeutigkeit; B) Zur politischen Soziologie der Uneindeutigkeit: Soziale Lagen, Identitäten und deren Gestaltung und Zur politischen Ökonomie der Unsicherheit: institutionelle Entgrenzung und Restrukturierung.


Literatur

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Zitieren dieses Beitrages

FROSCH, U. (2010): Bastelbiographie, Patchwork-Identität und Co. – Atypische Erwerbsbiographien aus gegenwärtiger Forschungsperspektive. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 18, 1-14. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe18/frosch_bwpat18.pdf  (28-06-2010).

 

 

 

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