Beitrag von Wiebke PETERSEN & Gerald HEIDEGGER (Universität Flensburg)
Die gegenwärtige Arbeits- und Lebenswelt ist durch ein gesteigertes Bewusstsein permanenten Wandels gekennzeichnet, das „reflexiv“ geworden ist und damit die Menschen mehr und mehr mit der Qual der Wahl konfrontiert, aber auch neue Optionen der Arbeits- und Lebensgestaltung eröffnet. Es kommt darauf an, das Subjekt für die Bewältigung dieses Wandels zu stärken. Die Europäische Kommission betont in der Berufsbildungspolitik im „Kopenhagen-Prozess“ die Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen und verleiht selbstverantwortetem und selbst gestaltetem Lernen damit Relevanz. Formale Anerkennungsprozesse bedürfen einer vorausgegangenen Stärkung des Selbst, wozu eine nicht formalisierte Selbstevaluation des nicht-formalen und informellen Lernens beitragen kann, mit dem Ziel, sich der bisherigen Erfahrungen, der Fähigkeiten, der Interessen und Wünsche sowie der Zukunftshoffnungen klarer bewusst zu werden. Vor dem Hintergrund von HONNETHs „Mustern der Anerkennung“ ist zu fragen, welche Formen der Anerkennung den Individuen zu rechtlicher, sozialer sowie zu „Selbst-Anerkennung“ verhelfen, die sie mit (berufs-) pädagogischer Unterstützung aus sich selbst heraus gewinnen müssen. Zentrales Ziel muss es sein, dass der Einzelne „berufsbiographische Gestaltungskompetenz“ entwickelt. Im Anschluss an Arbeiten von Wolfgang HENDRICH (2003) zur Hilfe bei der Entdeckung von „Tacit key competences“ leisten europäische Projekte des biat der Universität Flensburg Beiträge zur Verwirklichung der unterschiedlichen Formen der Anerkennung, vor allem mit der Zielsetzung das Subjekt zu stärken und die Gefahr der Marktkräfte zu reduzieren.
Strengthening the subject through the recognition of non-formal and informal learning?
The world we currently live and work in is characterised by an increased sense of permanent change, which has become ‘reflexive’, and therefore people are confronted with ever more difficult choices, but new options for structuring life and work have also opened up. Now it is essential to strengthen the subject in order to deal with this change. The European Commission emphasises the recognition of non-formal and informal learning in its education and training policy in the ‘Copenhagen Process’, and thereby accords relevance to learning for which the learners take responsibility themselves, and structure themselves. Formal processes of recognition require a prior strengthening of the self. A non-formalised self-evaluation of the non-formal and informal learning can contribute to this, with the aim of making oneself more clearly aware of the experiences one has gained so far, one’s skills, interests and desires, as well as one’s hopes for the future. Against the background of HONNETHs “Patterns of recognition” the question arises as to which forms of recognition support individuals to achieve recognition in legal and social terms, as well as to achieve ‘self-recognition’, which they have to achieve from within themselves with (vocational) pedagogical support. The key aim has to be for the individual to develop competence in shaping their professional biography. Following the work of Wolfgang HENDRICH (2003) on support in discovering “tacit key competences”, European projects at the Institute for Technical Vocational Education (biat), at the University of Flensburg contribute to the realisation of the various forms of recognition, with the main aim of strengthening the subject and reducing the dangers of market forces.
Die europäische Berufsbildungspolitik hat im Rahmen des „Kopenhagen-Prozesses“ (EU KOMMISSION 2002; 2004) die Anerkennung von Ergebnissen von nicht-formalem und informellem Lernen als einen Schwerpunkt festgelegt. Gewöhnlich zielt diese auf eine rechtliche Anerkennung, um Menschen zusätzlich zu ihren (manchmal nur geringen) formalen Qualifikationen weitere Fähigkeitsnachweise zu ermöglichen, so dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigen.
Doch hat es sich bisher erwiesen, dass die Aufgabe, angemessene Beurteilungs- oder gar Prüfungsverfahren in der Breite einzusetzen, kaum zu bewältigen ist, weil der Aufwand zu hoch ist. Außerdem ist es für Menschen mit geringen Qualifikationen oft eine große Herausforderung, sich solchen Verfahren zu stellen, da ihnen das nötige Selbstvertrauen fehlt. Für sie ist es besonders wichtig, erst einmal selbst für sich anzuerkennen, dass sie auf manchen Feldern bisweilen erhebliche Fähigkeiten erworben haben. Vor allem wenn sie dem Arbeitsmarkt entfremdet sind, kommt es für sie als nächsten Schritt darauf an, sich neue berufsbiographische Ziele zu setzen. Sie sollten darin unterstützt werden, dafür „berufsbiographische Gestaltungskompetenz“ zu entwickeln.
Zugleich ist das Bewusstsein des permanenten sozialen Wandels gestiegen, es hat sich selbst zum Thema gemacht, ist „reflexiv“ (BECK 1986) geworden. Angesichts dieses Wandels von Arbeitsverhältnissen und Mustern der Lebensführung sind auch viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft mit Umbrüchen in ihren Arbeits- und Lebensverhältnissen konfrontiert, die sie entweder eher passiv erleiden müssen oder aber auch, unter etwas günstigen Umständen, aktiv für ihre eigene bessere Zukunft – sozusagen „unternehmerisch“ – gestalten können. Auch hier ist es von großer Bedeutung, ob sie sich ihrer – in der Arbeitswelt durch nicht-formales Lernen erworbenen – Fähigkeiten bewusst sind und vor allem auch deshalb genügend Selbstvertrauen für die Alternative der Gestaltung haben.
Damit kommt es darauf an, die Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen vor allem auch – und oft zunächst eher – unter dem Blickwinkel der Stärkung der Persönlichkeit zu betrachten, genauer: der Selbststärkung des Subjekts mit dem Ziel berufsbiographischer Gestaltungskompetenz. Dies ist das Ziel einer ganzen „Familie“ von europäischen Projekten, die von der Abteilung Berufspädagogik unseres Instituts seit 1998 durchgeführt wurden. Sie konzentrieren sich auf Verfahren der Selbstevaluation – von Erfahrungen, Fähigkeiten, Interessen, Wünschen und Zukunftshoffnungen – durch die Betroffenen.
Mit HABERMAS (1995) unterscheidet man zwei Sphären gesellschaftlicher Verhältnisse und subjektiver Dispositionen: „System“ und „Lebenswelt“, und zwar in ihrer dialektischen Wechselwirkung. Gesellschaftlicher Wandel und Veränderungen individueller Potentiale sind demnach immer unter zwei Perspektiven zu betrachten. Für unser Thema, das zugleich auf die Verschränkung von Gesellschaftlichem und Individuellem zielt, sind dies die Perspektiven „Wandel der Arbeit und „Wandel der Lebensführung“.
Wandel der Arbeit
Hierzu sind eine ganze Reihe von Schlagwörtern im Umlauf, die teils quantitative, teils qualitative Veränderungen benennen: Tertiarisierung, also Ausweitung des Dienstleistungssektors relativ zum sekundären Sektor der industriellen Produktion; dabei muss man zur Beurteilung des Wandels der Arbeit deutlich zwischen einem „produktionsbezogenen“ – etwa Bank-, aber auch Einzelhandelskaufleute – und einem „personenbezogenen“ – von der Nageldesignerin bis zum Hochschullehrer – Dienstleistungssektor unterscheiden. Oft sieht man diese Entwicklung heutzutage ergänzt durch eine Verbreiterung eines „quartären“ Sektors der Informationsverarbeitung, wozu man auch Werbeleute und Journalisten, aber auch Forscher zählen kann. Im sekundären Sektor werden gewisse (oft mit dem Schlagwort „lean production“ übertriebene) Tendenzen zu einem Wandel der Arbeitsorganisation – im Sinne eines ganzheitlichen Aufgabenzuschnitts mit geringerer Weisungsgebundenheit – konstatiert. Sie sind eingebettet in Trends zum „Post-Fordismus“ mit relativ unsicheren Arbeitsplätzen, einer Lockerung des Zusammenhangs von Produktivität und Einkommen sowie einer Einschränkung kollektiver Interessenwahrnehmung.
Wandel der Lebensführung
Relativ unabhängig vom Wandel der Arbeit, aber doch auch stark von ihm beeinflusst, haben sich Veränderungen in der realen Lebensführung und in mentalen Konstrukten zu deren Anleitung und Erklärung durchgesetzt. Sie besonders zeigen einen Zusammenhang von größerer Offenheit – hin zu mehr Freiheit – und Unsicherheit, die faktisch die Möglichkeit zur Wahrnehmung dieser Freiheiten einschränkt (vgl. OPASCHOWSKI 1983). Vom Wandel der Arbeitssphäre abhängig sind der außerordentliche Anstieg des Durchschnittseinkommens seit dem zweiten Weltkrieg und die erhebliche Arbeitsverkürzung. Beides sind Vorgänge, die die Optionen der Lebensführung bedeutend erweitert haben, auch wenn diese Trends im letzten Jahrzehnt leicht rückläufig waren. Hinzu kommt eine ebenfalls beträchtliche Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus, die auch in jüngster Zeit anhält, mit Folgen für die Lebenshoffnungen und -ziele. Für die Gestaltung der (Berufs-)Biographie wesentlich ist der Anstieg der Lebenserwartung und der Lebensspanne der Arbeitsfähigkeit. Wesentlich geringere Kinderzahlen im Zuge des demographischen Wandels bedeuten einerseits mehr Freiheit der Lebensgestaltung, sind aber andererseits wohl auch ein Symbol für weniger Zuversicht und Bereitschaft zur (Selbst-)Verpflichtung. Höhere Scheidungs- und Trennungsraten deuten auf verallgemeinerte Optionswahl, aber auch auf größere Verunsicherung.
Auf einflussreiche Weise werden die Ergebnisse dieser Prozesse in den „Mosaic- Milieus“ der Lebensweltforschung des Heidelberger Sinus-Instituts zusammengefasst (vgl. BARZ/ TIPPELT 2005, 105). Man kann davon ausgehen, dass die Frage „Erleiden oder Gestalten des sozialen Wandels“ nicht unbedeutend von der Milieuzugehörigkeit des Betroffenen abhängt. „Traditionsverwurzelte“ aus den unteren Schichten und mit traditionellen Werten werden sich durch Wandel eher fremdbestimmt sehen. „Konsum-Materialisten“, gleichfalls aus den unteren Schichten, aber mit moderneren Einstellungen, werden den Wandel als Mischung aus Fremdbestimmung und der Suche nach individuell passenden Pfaden wahrnehmen. „Hedonisten“ und „Experimentalisten“, ebenfalls noch eher zur unteren Hälfte des Schichtenmodells zählend, empfinden Freude über die Offenheit der Chancen und haben wenig Angst vor den Risiken. „Echte Unternehmer“ ihrer Arbeitskraft finden sich am ehesten bei den „Post-Materiellen“ und den „Modernen Performern“ mit einer relativ bis sehr hohen Ansiedlung im Schichtenraster und einer Neuorientierung der Werte in Richtung Multioptionalität, Experimentierfreude und positiver Würdigung eines Lebens in Paradoxien. Die Tendenzen zum „Arbeitskraftunternehmer“, wie sie VOSS und PONGRATZ (1998; 1998; 2003) beschreiben, gehören wohl eher zu denjenigen aus der „Bürgerlichen Mitte“, die für solche Neuorientierungen offen sind.
Entrepreneur oder „Benachteiligter“?
Die skizzierten Wandlungen führen in zwei Richtungen, die aber nicht streng voneinander unabhängig sind.
Auf der einen Seite wird – gerade auch im Zusammenhang mit der europäischen Berufsbildungspolitik vor dem Hintergrund der Lissabon-Ziele 2010 (EU KOMMISSION 2004) – für stärkere „Entrepreneurship“ bei möglichst allen Bürgern geworben, und eine solche Verstärkung lässt sich – milieuspezifisch – auch beobachten. Dies konnten VOSS und PONGRATZ (1998; 1998; 2003) schon – vorausschauend – in den 1990er Jahren tun, und sie prägten den einflussreichen Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“. Dabei werden eher am Rande auch Freiberufler und „neue Selbstständige“ erwähnt, im Kern zielt – nach unserer Wahrnehmung – ihre Argumentation jedoch auf den industriellen Facharbeiter. Für ihn liegen auch schon seit langem umfangreiche (POPITZ/ BARTH 1957; KERN/ SCHUMANN 1984; SCHUMANN et al. 1994) und differenzierte Untersuchungen vor. Diese wiesen damals schon auf Tendenzen zur Entrepreneurship im Facharbeiterbereich hin, wie es allerdings mit Nachdruck erst später so formuliert wurde. Zunächst war nur von einer – allerdings erheblichen – Zunahme der (relativen) Selbständigkeit bei Entscheidungen am Arbeitsplatz die Rede, davon, dass Selbstorganisation eine immer wichtigere Arbeitsanforderung wurde. Dies wurde verstärkt durch die Management-Strategie der Umwandlung von Betriebsabteilungen in „Profit-Center“, womit die Arbeitnehmer (scheinbar) zu Auftragnehmern mutieren. VOSS und PONGRATZ (1998, 131) leiten daraus eine strukturelle Wandlung des Charakters der Arbeitskraft ab, eine „neue Grundform der Ware Arbeitskraft“. Jene ist besonders bedeutend unter der Perspektive der Selbstverantwortung für das berufliche Weiterkommen, durch Aufstiegsfortbildung, Beförderung oder geplanten Arbeitsplatzwechsel.
Auf der anderen Seite stehen die, die ohnehin durch ihre Lebensumstände – im wörtlichen Sinne – benachteiligt sind. Dazu zählen sicherlich auch diejenigen, die nach der gängigen Redeweise bei der „Benachteiligtenförderung“ gemeint sind. Aber schon der Ausdruck „Marktbenachteiligte“ zeigt an, dass viele unter günstigeren Marktbedingungen durchaus ihre Chance auf einen (Dauer-)Arbeitsplatz hätten. Durch den skizzierten Wandel der Arbeitsformen finden wir – besonders in Zeiten der Rezession – teilweise hochqualifizierte Beschäftigte, die zu einem Jobwechsel gezwungen sind und darauf schauen müssen, dass dabei Anschlüsse zwischen ihren vorhandenen und den geforderten neuen Fähigkeiten gewährleistet bleiben. Eine weitere große Gruppe wird durch die „Berufsrückkehrerinnen“ gebildet, Frauen, die nach einer Baby-Pause wieder erwerbstätig werden wollen (oder müssen), sich aber durch die Pause dequalifiziert fühlen – und häufig auch so wahrgenommen werden (HEIDEGGER 2004; HEIDEGGER/ HENDRICH 2000).
Aus der Gruppe der zum Jobwechsel Gezwungenen geraten dann immer mehr in den Teufelskreis der Langzeit-Arbeitslosigkeit, und nach längerer Zeit bilden sie die Gruppe der „Prekarisierten“. Gerade für sie ist es wichtig, wieder eine Erwerbsperspektive zu gewinnen, berufsbiographische Gestaltungskompetenz zu erlangen.
Formen der Persönlichkeitsstärkung
Beide Gruppen bedürfen der Stärkung als Subjekte in unterschiedlicher Form und Intensität. Das Selbstvertrauen muss man sich – in einer Wechselwirkung von äußerer Anerkennung und innerer Entfaltung – letztlich selbst aufbauen, wobei allerdings die äußere Unterstützung sehr bedeutsam ist. Dennoch muss man zunächst „Selbstanerkennung“ anstreben.
Für die zuletzt genannte Gruppe der – im wörtlichen Sinne – Benachteiligten ist es eine zentrale Aufgabe, wieder genügend Selbstvertrauen zu erlangen. Das ist ein wichtiges Ergebnis der eben erwähnten europäischen Projekte. Bei überraschend zum Jobwechsel Gezwungenen und erst recht bei „Prekarisierten“ betrifft das alle Lebens- und Arbeitsbereiche, bei den Berufsrückkehrerinnen lässt sich oft eine Spaltung beobachten: recht hohe Selbstachtung im Hinblick auf die Fähigkeiten als Mutter und Hausfrau, sehr geringe Selbsteinschätzung, was die Anforderungen an potentiellen Arbeitsplätzen angeht. Gerade für sie ist es offenkundig, dass eine Selbstevaluation von Fähigkeiten, die sie als „Managerin“ eines Familienhaushalts erworben haben, gute Erfolge bringen kann.
Auch der Arbeitskraftunternehmer braucht Selbststärkung, wenn auch von einem relativ hohen Niveau der Selbstanerkennung aus, da er mehr und mehr auf das feste Gerüst verzichten muss, das Sicherheit bietet. Dies betrifft nicht nur die Strukturen in der Arbeitswelt, sondern auch die in der Lebenswelt. So kann eine Scheidung neben der emotionalen Verunsicherung auch berufsbiographische (Aufstiegs-)Träume fast zunichte machen – allerdings oft auch beinahe erst ermöglichen.
Der gesellschaftliche Wandel bedingt, dass die Grenze zwischen denjenigen, die ihre Berufsbiographie aus einer relativ gesicherten Position heraus weiterentwickeln wollen, und anderen, die zum Umsteuern gezwungen sind, verschwimmen. Einerseits müssen die Menschen mit besonderen Risiken auf dem Arbeitsmarkt versuchen, Fähigkeiten des Arbeitskraftunternehmers auszubilden. Andererseits wird sich wohl immer häufiger jemand, der sich bisher als Arbeitskraftunternehmer verstand, eher Zwängen ausgesetzt sehen, derer er nicht so leicht Herr wird. Dann kommt es auch für ihn auf Selbststärkung an, und es wird nützlich sein, sich schon vorher seiner Fähigkeiten durch Selbstevaluation zu versichern.
Die Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen ist spätestens seit der Kopenhagen-Deklaration (EU KOMMISSION 2002) eine wichtige, aber zwischen den einzelnen EU-Staaten besonders kritisch diskutierte Priorität der europäischen Berufsbildungspolitik. Sie greift den Wandel der Arbeits- und Lebensverhältnisse auf und versucht, formalisierte Möglichkeiten der Berücksichtigung und Nutzung für Lernen zu finden, das außerhalb formaler Bildungsprozesse stattgefunden hat, aber von beruflicher Relevanz ist. Auf diese Weise soll einerseits für die Betriebe die Rekrutierung von geeignetem Personal erleichtert werden. Andererseits soll der einzelne Arbeitnehmer in seiner Beschäftigungsfähigkeit gestärkt und in seiner Persönlichkeitsbildung unterstützt werden. Jedoch gestalten sich die Möglichkeiten und der Prozess der Anerkennung in den einzelnen EU-Staaten in Abhängigkeit von den jeweiligen Lernkulturen und Berufsbildungssystemen sehr unterschiedlich; von einer gemeinsamen Position oder gar einem gemeinsamen Verfahren ist man heute noch weit entfernt. Während in Frankreich durch das bereits seit Anfang der 90er Jahre staatlich eingeführte Verfahren des „bilan de competences“ zumindest nicht-formales Lernen auf Wunsch des Subjekts rechtlich anerkannt werden kann, richten sich die Möglichkeiten in Deutschland auf Initiativen wie „Profilpass“ (DIE 2006) oder „Kompetenzbilanz“(DJI 2000), die das Subjekt bei der Identifizierung und Dokumentation von nicht-formalem und informellem Lernen unterstützen. Der Handlungsbedarf in Bezug auf das Thema zeigt sich auch in der Vielzahl von Projekten, die innerhalb des Lifelong-Learning-Programms der EU und seinen Vorläufern gefördert wurden. Grundsätzlich lassen sich europäisch zwei Formen unterscheiden: „Validation of non-formal and informal learning“ und „Accreditation of prior experiental learning“(NUOV 2006; HEMAR 2007). Bei ersterem handelt es sich um eine „weiche“ Form der Anerkennung, die sich vor allem in Ländern mit stark strukturierten Berufsbildungssystemen und formalistischen Lernkulturen findet. Letztere ist vor allem in solchen Ländern bereits gut eingeführt, wo das Berufsbildungssystem weniger strukturiert ist und daher auch mit dieser Anerkennungsform wenig konkurriert.
Die Kategorie „Validation of non-formal and informal learning“ umfasst eine breite Palette von Anerkennungsformen. Sie reicht vom Einsatz methodischer Materialien für die Selbstevaluation – einschließlich der Identifizierung und Dokumentation von nicht-formalem und informellem Lernen –,wie es beispielsweise die Modellinitiativen „Kompetenzbilanz“ und „Profilpass“ anbieten, bis zu weichen Formen der Anerkennung durch halboffizielle Zusatzzertifikate, die die Teilnahme an Kursen bestätigen. Die zweite Kategorie von Formen der Anerkennung lässt ebenfalls ein ganzes Spektrum zu. Die Akkreditierung von nicht-formalem und informellem Lernen, die in Deutschland nur im Ausnahmefall der Externenprüfung möglich ist, kann praktische Prüfungen umfassen, in denen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie partiell auch Erfahrungswissen abgeprüft werden. Ferner gehören auch Prüfungsverfahren dazu, die aus praktischen und theoretischen Prüfungsanteilen bestehen, sowie rein theoriebasierte Prüfungen, in denen Regelwissen abgeprüft wird.
Für die Stärkung des Subjekts durch die Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen sind die letztgenannten Anerkennungsformen zunächst weniger bedeutend, da es sich um äußere Formen der Anerkennung handelt. Bevor diese realisiert werden können, bedarf es in der Regel einer Selbstanerkennung des Subjekts, die sich darin ausdrückt, was umgangssprachlich häufig mit Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung umschrieben wird. Die von Axel HONNETH (1994) entworfenen Anerkennungsmuster – Liebe, rechtliche Anerkennung und soziale Wertschätzung – liefern einen Erklärungsansatz dafür, warum der Schwerpunkt in Anerkennungsprozessen von nicht-formalem und informellem Lernen auf der Selbststärkung liegen muss, wenn diese für das Subjekt hilfreich sein sollen. Denn nach HONNETH gewinnen die Individuen durch diese Anerkennung – jeweils den einzelnen Mustern nun in speziellen Begriffen zugeordnet – Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung. Dabei bezieht sich HONNETH im Hinblick auf die Persönlichkeitsstärkung auf zwei unterschiedliche Theorietraditionen. Er betont stark den sozialbehavioristischen Ansatz von G. H. MEAD (1973), der die Entstehung des Subjekts und insbesondere seines Selbstbildes durch das Umfeld und dessen soziale Wertschätzung bedingt sieht. Subjektwerdung bedeutet in MEADscher Tradition, sich durch die Augen anderer zu sehen und durch die Anerkennung der anderen sich selbst als anerkennenswert wahrzunehmen.
Andererseits beruft sich HONNETH auch auf die Psychoanalyse, und hier insbesondere auf BENJAMIN (1988) und WINNICOTT (1984), die die Subjektwerdung vor allem als einen aktiven Prozess des Subjekts aus sich selbst heraus verstehen. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf die Selbststärkung des Subjekts zentral und findet in den aus dem Kopenhagen-Prozess resultierenden Anerkennungsformen keine deutlich erkennbare Berücksichtigung.
Im Hinblick auf die drei Anerkennungsmuster HONNETHS – Liebe, rechtliche Anerkennung und soziale Wertschätzung – muss deshalb für die Stärkung des Subjekts aus sich selbst heraus durch die Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen folgendermaßen unterschieden werden:
Zunächst sollte es um „Sichtbarmachung für sich selbst“ gehen: Eigene Fertigkeiten und Fähigkeiten, eigenes Wissen und eigene Kompetenz im Sinne des selbst angestrebten Maßes von Verantwortlichkeit und Zuständigkeit müssen bewusst und explizit werden. Auch eine Vorstellung von der eigenen Motivation und Volition sind erforderlich, um zu allererst zu „Selbstanerkennung“ zu gelangen, die sich in den umgangssprachlichen Begriffen Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung ausdrückt. Dadurch kann sich das entwickeln, was HONNETH speziell mit dem Begriff „Selbstvertrauen“ umschreibt: „ (...)nur das Gefühl, grundsätzlich in seiner Triebnatur anerkannt und bejaht zu werden, lässt in einem Subjekt überhaupt das Maß an Selbstvertrauen entstehen, (...)“(HONNETH, 66). Auf dieser Basis kann dann (Selbst-)“Liebe“ existieren.
Erst in einem zweiten Schritt kommt die Sichtbarmachung für andere im Sinne BJOERNAVOLDs (2001) sowie auch ELSTERs (2007) – im Anschluss an BUTLER (1995) – in Form der „Validation of non-formal and informal learning“ hinzu. Weiche Formen der Anerkennung – wie oben beschrieben – führen zur sozialen Wertschätzung (zunächst im umgangssprachlichen Sinne) und erkennen an, dass das Subjekt neben seinen formal attestierten Befähigungen bestimmte weitere Fähigkeiten hat. Aus der sozialen Wertschätzung – der Zuschreibung von Fähigkeiten durch andere – können die Subjekte zu einer verbesserten „Selbstschätzung“ im Sinne HONNETHs gelangen, d. h. sie können sich „(...)auf etwas beziehen, (...)dem innerhalb ihres Gemeinwesens eine positive Bedeutung zukommt;(...)“ (HONNETH, 217). Aus dieser Selbstschätzung kann nach HONNETH Solidarität entstehen.
In einem dritten Schritt kann dann auch eine rechtliche Anerkennung im engeren Sinne – etwa durch eine zertifizierte Prüfung – relevant sein. Dies wäre beispielsweise eine Anerkennung durch „Accreditation of prior experiential learning“. Eine solche Anerkennung, wie sie im Hinblick auf die deutsche Situation vor allem durch die Externenprüfung möglich ist, kann zu einer verbesserten Selbstachtung beitragen. Selbstachtung im Sinne HONNETHs, der allerdings einen wesentlich weiteren Begriff von rechtlicher Anerkennung hat, bedeutet „(...)die positive Einstellung gegenüber sich selber (..), die das Individuum dann einzunehmen vermag, wenn es von den Mitgliedern seines Gemeinwesens als eine bestimmte Art von Person anerkannt wird.“( HONNETH, 127).
Vor dem Hintergrund dieser Gewichtung von Selbstvertrauen, Selbstschätzung und Selbstachtung formulieren wir folgende These, die die Basis für unsere bisherigen – in Kapitel 5 dargestellten – und zukünftigen Projekte bildet:
Das Subjekt wird besonders durch bestimmte Anerkennungsformen von nicht-formalem und informellem Lernen gestärkt, nämlich solche, welche die Bildung von Selbstvertrauen betonen. Hingegen könnte es durch andere Anerkennungsformen, beispielsweise durch formalisierte „Accreditation of prior experiential learning“ (APEL), tendenziell sogar eher geschwächt werden. Denn es kann sich dadurch überfordert fühlen und schon in der Zeit der Vorbereitung auf die Beurteilung oder Prüfung an seinen Fähigkeiten umso mehr zweifeln. Doch auch die Anerkennungsformen, die der Bildung des Selbstvertrauens dienen sollen, sind als ambivalent zu betrachten. Sie sind nur dann nachhaltig stärkend für das Subjekt, wenn sie zur Integration in den Arbeitsmarkt oder zur Entwicklung und Realisierung von Alternativen außerhalb der Erwerbsarbeit führen. Im anderen Fall können sie erst recht zu Enttäuschungen führen.
Die auf formalisierte Anerkennung ausgerichteten Formen hingegen enthalten – insbesondere im Hinblick auf Risikogruppen – deutlich die Gefahr, dass das Subjekt animiert wird, sich den Marktkräften zu unterwerfen.
Die Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen, wie sie in unseren Projekten verfolgt wird, soll die Menschen in die Lage versetzen, besser ihre berufliche Zukunft zu gestalten. Wie schon in der Einleitung herausgestellt, geht es also darum, ihnen dabei zu helfen, „berufsbiographische Gestaltungskompetenz“ zu entwickeln. Das kann man natürlich nicht direkt angehen, sondern diese muss sich aus der Selbstevaluation der je eigenen Erfahrungen, Fähigkeiten, Interessen, Wünsche und Zukunftshoffnungen ergeben, die sinnvoll zu unterstützen ist. Außerdem sollten berufliche – und, soweit dafür notwendig, auch private – Pläne geschmiedet werden und so die Planungsfähigkeit verstärkt werden. Methoden wie die, einen schriftlichen Vertrag mit sich selbst abzuschließen, tragen dabei zur Klärung der Motivation und der eigenen Einschätzung der Volition bei.
In Anlehnung an ROTH (1971) verstehen wir Kompetenzen als innere Potentiale, durch deren Mobilisierung das Individuum die notwendigen Fähigkeiten zur Bewältigung anstehender Aufgaben entwickeln kann. Dabei streben wir keine klare Abgrenzung zwischen Fähigkeiten und Kompetenzen an, weil auch im realen Leben beides eng verschwistert ist. Lediglich den Unterschied zur Performanz möchten wir betonen, um dem Missverständnis vorzubeugen, berufsbiographische Gestaltungskompetenz ließe sich mit klaren Maßstäben messen. Die Vorschläge von Marisa KAUFHOLD (2004, 65-68) zu deren Abschätzung scheinen uns dagegen weiterzuführen, genauso wie ihre Absicht, zu verhindern, dass – im Zuge von Vergleichsstudien etwa der OECD – Erfolge der Erwachsenenbildung hauptsächlich an Fortschritten im Bereich der „basic competences“ (literacy, numeracy etc.) gemessen werden.
Berufsbiographische Gestaltungskompetenz nach der Definition von Wolfgang HENDRICH (2004, 266) bedeutet für das Subjekt in der Gegenwart: „ (…) insbesondere die Fähigkeit, Zusammenhänge, in die man gestellt ist, zu erkennen und sich in ihnen orientieren zu können, um auf diese Weise Spielräume für eigenverantwortliches Handeln entdecken und nutzen zu können“.
Er betont, dass zur Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft nicht nur Gruppen mit besonderen Risiken auf dem Arbeitsmarkt, sondern alle Menschen in beruflichen (Um-) Orientierungsprozessen einer Einbeziehung ihrer früheren – vor allem auch informellen und nicht-formalen – Lernerfahrungen bedürfen, die ihnen häufig nicht bewusst sind und im Rahmen von „tacit competences“ zu verstehen sind. Für die Entwicklung neuer Wege zur persönlich sinnvollen Bewältigung von Lebenssituationen ist eine Selbststärkung notwendig und zentral, die einen neuen, emanzipierten Umgang mit äußeren Flexibilitätsansprüchen, Diskontinuitäten und inneren, möglicherweise überhöhten oder stark reduzierten Selbstansprüchen ermöglicht.
Daraus ist zu ersehen, dass berufsbiographische Gestaltungskompetenz ein kritischer – und nicht ein affirmativer – Begriff ist. Es kann nicht darum gehen, äußeren Anforderungen unbefragt genügen zu wollen. Man sollte immer auch darüber nachdenken, inwiefern sie ungerechtfertigte Zumutungen darstellen. Ebenso sollte man auch inneren Ansprüchen mit Vorbehalt begegnen, da sie letztlich mit derartigen Zumutungen in der eigenen Lebensgeschichte zusammenhängen können.
In diesem Kontext stellt HENDRICH insbesondere die Funktion des Bilanzierens heraus, das sozusagen das Fundament der neu gewonnenen Selbststärkung und der eigenen lebens- und erwerbsbiographischen Perspektiven bildet. Von diesem Fundament aus besteht dann die Möglichkeit „berufsbiographische, tätigkeitsbedingte, qualifikatorische, soziale und interkulturelle Übergänge so zu gestalten(..,) dass sinnvoll mit Vergangenem abgeschlossen werden kann, dass Unsicherheiten und Übergangssituationen identifiziert, bezeichnet und bearbeitet werden und dass auf dieser Grundlage neue Anfänge möglich sind“ (HENDRICH 2003, 24). Ein Modell für einen vierschrittigen Zugang – sowohl im Hinblick auf die Vergangenheit als auch auf Gegenwart und Zukunft des Subjekts – zu individuellen Sinnzuschreibungen und berufsbezogenen Handlungen bietet BARB: Bilanzierung – Aspiration – Realisierung –Bilanzierung (KÜHN/ WITZEL 2000). Diese Abfolge sollte man sich selbst im Sinne einer nach „oben“ führenden Spirale zugänglich machen.
Im Hinblick auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Hinweise auf die berufsbiographische Gestaltungskompetenz darstellen, zu deren Entwicklung beitragen oder umgekehrt durch sie befördert werden, bieten die von KAUFHOLD (2004) nebeneinander gestellten Fähigkeiten von HEINZ (1995) im Hinblick auf arbeitsplatzübergreifende Qualifikationen und von VOSS (1998) für den Arbeitskraftunternehmer Anregungen. Sie bedürfen jedoch im Hinblick auf die unter 3.2 genannten Gruppen mit besonderen Risiken auf dem Arbeitsmarkt einer Umformulierung und Ausweitung. Denn diese sind gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie sich häufig in einer besonders unübersichtlichen Lebenssituation befinden. Diese Abwandlung verweist auf die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Dass dennoch für beide Gruppen letztlich doch ähnliche Fähigkeiten zu fördern sind, zeigt erneut, dass diese Unterschiede – vor allem abhängig von der Lebens- und Arbeitssituation des Arbeitskraftunternehmers – schnell auch gering werden können.
Zunächst sind Fähigkeiten anzuführen, die es ermöglichen, berufliche und überberufliche Kompetenzen weiterzuentwickeln sowie die Bedingungen für diese Weiterentwicklung auch im Alltag zu schaffen. Insbesondere für die Berufsrückkehrerinnen schließt dies Fähigkeiten ein, die das Identifizieren von Arbeitskontexten ermöglichen, in denen das informell Gelernte Anwendung finden kann.
Zweitens sind Fähigkeiten zu betonen, die eine differenzierte Wahrnehmung, eine geistige Verarbeitung sowie einen flexiblen Umgang mit spontanen (Handlungs-)Anforderungen der Außenwelt ermöglichen.
Drittens sind Fähigkeiten zum Antizipieren und zur Planung von möglichen Ereignissen und damit verbundenen Handlungsanforderungen hervorzuheben.
Viertens sind Fähigkeiten zur Selbstpräsentation in Arbeits- und Bewerbungskontexten zu nennen, die das Spektrum der eigenen Kompetenzen und deren Einsatzmöglichkeiten sichtbar machen. Insbesondere für die Gruppe der Berufsrückkehrerinnen ist dafür ein explizites Wissen um die eigenen Fähigkeiten und deren selbstbewusste Vermarktung erforderlich.
Fünftens sind Fähigkeiten zur Selbstorganisation zu berücksichtigen, die das Einhalten einer Balance zwischen Arbeit und Privatleben oder auch Arbeitssuche und persönlichen Interessen ermöglichen. Insbesondere für Arbeitslose ist es wichtig, dass sie sich nicht nur mit der Jobsuche auseinandersetzen, sondern auch individuelle Interessen verfolgen. Zugleich muss der Alltag oft so umstrukturiert werden, dass weniger Leerlauf entsteht.
Sechstens sind Fähigkeiten wichtig, die den Ausbau und die Pflege eines sozialen, privaten wie auch berufsbezogenen Netzwerkes stützen. Ein auf gegenseitige beruflich-soziale Hilfe aufbauendes Netzwerk kann Phasen der erzwungenen beruflichen Umorientierung verkürzen und solche außerhalb der Erwerbsarbeit abfedern, indem es Trost, Solidarität sowie Vermittlung von Arbeitsangeboten durch ehemalige Kollegen und Freunde ermöglicht.
Siebtens sind Fähigkeiten herauszustellen, die zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit beitragen und einen sinnvollen Umgang mit gesellschaftlichen oder auch betrieblichen Leistungsanforderungen fördern und so den Umgang mit Belastungen erleichtern.
Schließlich sind achtens noch Fähigkeiten zu erwähnen, die trotz der z. T. prekären Lebensumstände Möglichkeiten für individuelle Sinnfindung und Motivation – gerade auch außerhalb von Erwerbsarbeit – unterstützen. Dies ist sowohl für den Arbeitskraftunternehmer mit seinen unklar getrennten Sphären von Arbeit und Privatleben als auch für von der Erwerbsarbeit zumindest vorläufig Ausgeschlossene von zentraler Bedeutung. Für beide Gruppen ist die Nutzung emotional-kreativer Ressourcen für die Persönlichkeitsbildung und Stabilisierung zentral.
Durch die kritische Auseinandersetzung mit diesen Fähigkeiten, einer Bilanzierung der bereits vorhandenen Fähigkeiten sowie durch deren Weiterentwicklung in geeigneten, möglicherweise durch das Subjekt selbst mitgestalteten Aufgabenstellungen und einer erneuten Bilanzierung entwickelt das Subjekt ein bewusstes, höheres Maß an berufsbiographischer Gestaltungskompetenz. Diese drückt sich dann auch in der als notwendig erachteten Ausformung der oben angeführten Persönlichkeitsdimensionen aus.
Die Persönlichkeitsdimensionen, in denen die berufsbiographische Gestaltungskompetenz sichtbar wird und ihren Ausdruck findet, lassen sich gut mit den im Europäischen Qualifikationsrahmen verwendeten „Deskriptoren“ verknüpfen, also „Knowledge“ im Sinne von Wissen und Erfahrungswissen“, „Skills“ im Sinne von praktischen oder kognitiven Fähigkeiten/Fertigkeiten, die besonders auf „Tacit Knowledge“ aufbauen, sowie „Competence“ im Sinne der (neuen und zugleich herkömmlichen) Definition als Verantwortung, Zuständigkeit und Unabhängigkeit (vgl. BROCKMANN 2008). Offenkundig – das sei nur um der Klarheit willen herausgestellt – bedeutet dies ein wesentlich anderes Verständnis von Kompetenz, als wir es oben nach Heinrich ROTH (1971) als Hintergrund für unseren Begriff von Gestaltungskompetenz benannt hatten, ein Verständnis, das auf der Differenz von Kompetenz und Performanz beruht und der amerikanischen Linguistik entnommen ist.
Ein bewusstes, hohes Maß an berufsbiographischer Gestaltungskompetenz eines Subjekts äußert sich dann insbesondere auch insofern, als es eine gewisse Vorstellung davon entwickelt, welchen Grad der Verantwortung es in der Arbeit, am Arbeitsplatz anstrebt.
Dadurch, dass sie diese Dimension besonders hervorheben, haben die EQF- Konstrukteure einen bedeutenden Beitrag zur (Selbst-)Aufklärung von Arbeitnehmern über die realen Arbeitsbedingungen geleistet, vor allem über die eigenen Erfahrungen, Möglichkeiten und Aspirationen.
Auch über die aus persönlicher Sicht noch zu erreichenden Qualifikationen und die damit verbundenen notwendigen Anstrengungen sollte das berufsbiographisch gestaltungskompetente Individuum klare und realistische Vorstellungen haben. Es sollte sich mehr und mehr befähigen, eigenständig oder unter Zuhilfenahme anderer noch erforderliche Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erarbeiten.
Darüber hinaus soll in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung einer realistischen Einschätzung und Kanalisierung der eigenen Motivation und die bewusste Konzentrierung der eigenen Volition hingewiesen werden. Die Dimensionen der Motivation und der Volition werden im EQF nicht aufgegriffen, sondern dadurch vorausgesetzt, dass sie wesentlich das Niveau der „Competence“ mitbestimmen. Ein Abgleich zwischen Aspirationen und diesen beiden Persönlichkeitsdimensionen ist aber für die Selbststärkung des Subjekts unbedingt erforderlich, um mit eigenen und fremden Anforderungen sinnvoll und persönlich erfolgreich umgehen zu können und an ihnen die berufsbiographische Gestaltungskompetenz weiterzuentwickeln.
Menschen mit eher geringen Motivationspotentialen sind bei weiterentwickelter berufsbiographischer Gestaltungskompetenz in der Lage, besonders wichtige Ziele im eigenen Handlungskontext stärker zu betonen. Menschen mit eher überhöhter Motivationsfähigkeit sind durch berufsbiographische Gestaltungskompetenz eher dazu fähig, die Anzahl ihrer Ziele zu begrenzen und dadurch eine realistische Anzahl von Zielen ohne Selbstverausgabung und damit verbundene Enttäuschungen zu verfolgen, also dafür auch die Volition aufzubringen.
Wichtig für die Entwicklung von berufsbiographischer Gestaltungskompetenz ist, dass die eigenen Motivations- und Volitionspotentiale sowie Fertigkeiten, Fähigkeiten und das (angestrebte) Niveau der „Competence“ dem Individuum nicht durch andere attribuiert werden, sondern dass es sie selbst erkennt, bewertet, dann nutzt und weiterentwickelt. Vor diesem Hintergrund setzen die Verfahren unserer europäischen Projekte einen Schwerpunkt auf Selbst-Evaluation und Sichtbarmachung.
Die Ausprägung der genannten Persönlichkeitsdimensionen macht sich das Individuum sichtbar durch verschiedene Verfahren der Selbstevaluation. Diese muss dem Einzelnen dabei zweierlei deutlich machen: Individuelle und situative Faktoren (KAUFHOLD 2004, 63-65), die beide von früheren Erfahrungen beeinflusst werden.
Hinsichtlich der individuellen Aspekte sollten die Methoden so angelegt sein, dass das Subjekt erkennen kann, dass Menschen auch unabhängig von der Zielsetzung eines Lernprozesses grundsätzlich in variierendem Maße motiviert und motivierbar sind. Die Vorgehensweisen müssen die Identifizierung der subjektiven Motivierbarkeit unterstützen. Gleiches gilt für das Vermögen, sich stark für das Erreichen eines bestimmten Ziels zu konzentrieren – also für das Maß an Volition, das dem Einzelnen möglich ist. Diese Aspekte sind auch vor dem Hintergrund der persönlichen Lebenssituation sowie zurückliegender Erfahrungen zu reflektieren. Nicht jede Biographie lässt unbegrenzte berufliche Entwicklungsmöglichkeiten zu. Ferner gilt es, in die Methoden Reflexionsanregungen einzubauen, die erkennen lassen, dass die Entwicklung von Fähigkeiten und damit auch von berufsbiographischer Gestaltungskompetenz zu einem beachtlichen Anteil durch den persönlichen Wunsch nach Weiterentwicklung bedingt ist. Das individuelle Selbstkonzept muss in diesem Kontext berücksichtigt werden. Die berufsbiographischen Gestaltungsmodi von WITZEL und KÜHN (2000) bieten bei der Entwicklung von Verfahren zur Unterstützung der Selbststärkung des Subjekts eine gute Anregung für Zielgruppendifferenzierung. So lassen sich unterschiedliche Pfade entwerfen, je nach Priorisierung der Kategorien – Karriere (beruflicher Aufstieg), Einkommen, (angestrebtes) Qualifikation(sniveau), – oder in Orientierung an Fragen, die sich an die unter 5.3 angeführten Kategorien anschließen: Welche Fertigkeiten und Fähigkeiten/welches Wissen/welche Verantwortung strebe ich an?
Hinsichtlich der situativen Faktoren sind die aktuelle Lebenssituation und das Umfeld des Subjekts einzubeziehen. Das Subjekt muss sich insbesondere Verantwortlichkeiten sowie auch Unterstützungsoptionen innerhalb der Familie und des Umfeldes sichtbar machen. Das Zeitfenster und der Grad des möglichen Engagements für die selbst gewählte Weiterentwicklung sollte mit Hilfe der Methoden der Selbstevaluation deutlich erkennbar werden, um zu realistischen, die berufsbiographische Gestaltungskompetenz langfristig stabilisierenden subjektiven Plänen zu gelangen.
Darüber hinaus müssen die Verfahren auch Aspekte des beruflichen Sozialisationsprozesses thematisieren, um nicht zu sehr dem Motto eines „Glaub an dich, dann kannst du alles erreichen!“ verhaftet zu bleiben und sich so weit zu überschätzen, dass eine dauerhafte Enttäuschung die mögliche Konsequenz wäre. Der erlernte Erstberuf und die beruflichen Erfahrungen und der berufliche Sozialisationsprozess im Anschluss an die Ausbildung sind hier zentral bedeutsam und sollten aufgegriffen werden. Lernförderliche und eher lernhinderliche Phasen der Erwerbsbiographie sind zu identifizieren, um berufsbiographische Anschlussmöglichkeiten aufzudecken.
Im Rahmen des früheren Projekts „Alltägliche Lebensführung“ entwickelten PONGRATZ und VOSS (2003, 267ff.) einen Interviewleitfaden zur Erhebung von Leistungsorientierungen, berufsbiographischen Orientierungen und Elastizitätsmustern von Arbeit und Privatleben bei insgesamt 60 Arbeiterinnen und Arbeitern bzw. Angestellten. Obwohl dieser Leitfaden für die Analyse von Arbeitskrafttypen konzipiert ist, können die Fragen in Teilen auch der Sichtbarmachung von Fähigkeiten für den Einzelnen oder für das soziale Umfeld dienen. Der Leitfaden erhebt u. a. – wie auch KAUFHOLD (2004, 68) betont – „Subjektive Interessen (Ansprüche und Erwartungen an die Erwerbsarbeit)“ sowie „Strategien zur kurz- und langfristigen Erwerbsgestaltung (Handlungsabsichten)“.
Die Balance zwischen subjektiven Interessen und der aktuellen Arbeitsituation sowie auch die in der Vergangenheit bereits erfahrenen Schwierigkeiten hinsichtlich der Vereinbarkeit von subjektiven Interessen und Arbeitsanforderungen werden beispielsweise im Abschnitt „Arbeitszeit und Privatleben“ mit der Frage „Wie sind Sie damit (Arbeitszeiten) zufrieden?“ und entsprechenden Unterfragen zur Belastung sowie zur Vereinbarkeit von Wochenendarbeit und Partnerschaft erhoben.
Handlungsabsichten werden insbesondere im Abschnitt „Erwerbsperspektiven“ beispielsweise durch folgende Fragen und Unterfragen erhoben:
„Was möchten Sie beruflich in fünf Jahren erreicht haben?
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dieses Ziel zu verwirklichen?,
Was sind mögliche Hindernisse?
Was haben Sie bisher für die Erreichung dieses Ziels unternommen?
Was werden Sie in Zukunft dafür tun?
Gibt es sonst noch etwas, was sich an ihrer Arbeitssituation demnächst mal ändern sollte? Was? Warum?“
Insbesondere durch die ergänzenden Unterfragen, die die Ziele, persönlichen Vorstellungen und Bedürfnisse sowie Barrieren ausloten, könnten die Leitfragen dieses Leitfadens ohne Weiteres die Basis in einer Beratung für potentielle Jobwechsler bilden. Ähnlich ließe sich auch die Frage „Haben Sie persönlich ein Lebensmotto oder eine Lebensphilosophie?“ mit den entsprechenden Unterfragen unmittelbar in die Beratungs- und Unterrichtspraxis für eine erweiterte berufliche Weiterbildung transferieren, die Selbstevaluationsprozesse von persönlichen Fähigkeiten einbezieht.
Ein Strang der europäischen Projekte im Forschungszweig "Berufliche und soziale Re-Integration von Menschen in prekären Lebens- und Erwerbssituationen" der Abteilung Berufspädagogik des Berufsbildungsinstituts Arbeit und Technik (biat) der Universität Flensburg hat sich seit Ende der neunziger Jahre auf die Identifizierung und Selbst-Evaluation von informell und nicht-formal erworbenen Fähigkeiten konzentriert, um dies der Stärkung des Subjekts dienlich zu machen.
„Tacitkey“: verborgene Kompetenzen aufdecken
Vorreiter war das europäische Projekt "Tacit Key: Tacit Forms of Key Competences" (1998 - 2000), das aus dem Leonardo-Programm gefördert wurde. Dieses Projekt (HEIDEGGER/ HENDRICH 2000) untersuchte in Deutschland und den drei Partnerländern Großbritannien, Griechenland und Portugal, in wieweit sich informell erworbene Kompetenzen, die den Betroffenen nicht oder nur teilweise bewusst sind, für den Erwerb von neuen Qualifikationen nutzen lassen. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf den Zielgruppen Berufsrückkehrerinnen und Arbeitslose. Es wurde ein „Starfish-Model“ der Kompetenzen erarbeitet, das neben formal zertifizierten Fähigkeiten informelles und nicht-formales Lernen gleichwertig berücksichtigt. Die Befragungen dienten auch dazu, den Interviewpartnern zu helfen, ihre verborgenen (Schlüssel-)Kompetenzen selbst zu entdecken.
„Self-Evaluation“: Handlungsorientierte und/oder kommunikativ-reflektierende Selbstevaluation
Innerhalb des europäischen Projekts „Self-Evaluation: Transnational methods and models for the self-evaluation of non-formal personal competencies“ (2001-2005) mit Partnern aus den acht Ländern Dänemark, Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Portugal, Rumänien und Tschechische Republik, das aus dem Leonardo da Vinci Programm gefördert wurde, sind Methoden für folgende Zielgruppen entwickelt worden: Arbeitslose, Personen, die sich freiwillig oder unfreiwillig in einem beruflichen Umorientierungsprozess befinden, sowie Frauen, die nach einer längeren Familienpause wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen.
Besonders erwähnenswert sind die Ansätze aus Dänemark und Deutschland. Sie bilden im Kontinuum zwischen Handlungsorientierung und (kommunikativer) Reflexion relative Gegensätze.
Die dänische Methode zur Selbst-Evaluation von nicht-formalen persönlichen Kompetenzen arbeitet auf der Basis des Lebenszeit- und Lebensraum-Ansatz von Donald SUPER (1994). Durch das Zeichnen eines „Lebenshalbkreises“, in den markante Ergebnisse und Wendepunkte im Leben und in der Erwerbsbiographie des Subjekts eingetragen werden, wird rückblickend nach Hinweisen auf Facetten der eigenen berufsbiographischen Gestaltungskompetenz gesucht.
Vor diesem Hintergrund werden dann zunächst die aktuelle Situation des Betroffenen sowie Zukunftsperspektiven in den Aufgabenstellungen “My present situation“ und „My ideas about the future“ reflektiert. Die Reflexion kann entweder im Gespräch mit einem Berater oder in Einzelarbeit vollzogen werden, wobei sich insbesondere bei stark verunsicherten Betroffenen die Unterstützung durch einen Berater als sehr sinnvoll erwiesen hat. Anschließend werden konkretere berufliche Handlungs- und Entwicklungsoptionen in Schritt 4: „How do I proceed?“ bzw. eine Analyse der persönlichen Ressourcen in Schritt 5: „My professional and personal resources“ entwickelt. Mögliche Barrieren auf dem Weg zum persönlichen beruflichen Entwicklungsziel werden in Schritt 6 “ My possibilities and constraints“ und eine konkrete Planung in Schritt 7 „My personal goals and plans“ erarbeitet.
Hingegen betont das deutsche Verfahren stärker das Erfahren von eigenen Fähigkeiten in konkreten Handlungen und lenkt den Blick der Betroffenen direkt auf die Betrachtung ihrer aktuellen Situation. Aktuelle Fähigkeiten und zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen stehen im Mittelpunkt. Das Verfahren basiert auf einem handlungsorientierten Ansatz, der die Teilnehmer zunächst aus einer Auswahl sechs Aktivitäten bzw. Handlungsaufträge wählen und in Kooperation mit Anderen vollziehen lässt. Diese Aktivitäten sind an den sechs Persönlichkeitstypen von HOLLAND (vergl. WEINRACH/ SREBALUS 1994) – handwerklich-technisch, untersuchend-forschend, künstlerisch, sozial-erziehend, unternehmerisch verkaufend und konventionell-buchhalterisch – orientiert. Es kann sich beispielsweise um das Aufbauen einer Modelleisenbahn (handwerklich-technisch) oder die gestalterische Zubereitung eines Canapé-Tellers mit Brötchen (künstlerisch) handeln. In die Durchführung der Aktivitäten wird durch Gruppenarbeit Peer-Validierung einbezogen.
Der zweite Schritt des Verfahrens besteht aus gemeinsamer Reflexion über die Aktivitäten unter den Fragestellungen „Was konnte ich gut?/ Was hat mich interessiert?/ Was hat mir Spaß gemacht?“. Der Einzelne formuliert zunächst seine eigene Perspektive und erfährt im Feedback auch die Einschätzung seiner Fähigkeiten durch andere. So findet ein Abgleich von Selbstbild und Fremdbild statt. In weiteren methodischen Schritten wird dann – unterstützt durch Arbeitsblätter und individuelle Beratungsgespräche mit dem Kursleiter – nach Arbeitskontexten gesucht, in denen sich die sichtbar gewordenen Fähigkeiten nutzen lassen. Das „handbook for practitioners“, das Kurz- und Langversionen der Beschreibungen der Methoden und Verfahren in allen acht Ländern enthält, ist als elektronische Version herunterladbar: www.self-evaluation.eu.
„Interests & Desires“: Motivation durch ein IKT-Selbstevaluations-Instrument
Innerhalb des Projekts „Interests & Desires“ (2005-2008), das durch das Grundtvig-Programm gefördert wurde, sind entsprechende Verfahren für die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen entwickelt worden. Die beteiligten Partner aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Portugal und Rumänien entwickelten gemeinsam ein Instrument, das die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikations-Technologie (IKT) für die neuartige Methode des E-Learning im Bereich der Selbstevaluation nutzt. Es führt die methodischen Vorgehensweisen aller Beteiligten zusammen und lässt sich in unterschiedlichen Kursformen für Langzeitarbeitslose einsetzen; es kann aber auch in Eigenregie genutzt werden. Ergänzend wurde ein „Trainer Guide“ erstellt, der Praktikern in Kursen für Langzeitarbeitslose die einzelnen nationalen Methoden und Verfahren detailliert erklärt, einige Zusätze für mögliche Subzielgruppen bietet und die jeweilige Einbindung des IKT-Instruments beschreibt. Das in sechs Sprachen verfügbare IKT- Instrument „Interests & Desires“ für Teilnehmer besteht aus vier Modulen: „Ich bin“, „Ich kann“, „Ich weiß“, „Ich will“.
Im Modul „Ich bin“ geht es um die aktuelle Situation des Subjekts unabhängig vom Arbeitsmarkt. Es geht um die Feststellung individueller Interessen. Beispielsweise wird der Nutzer mithilfe eines elektronischen Kartenspiels, das Vorschläge für Freizeitaktivitäten und Sozialkontakte macht, bei der Identifizierung seiner Interessen unterstützt. Der Teilnehmer kann anschließend in einer Übersicht erfahren, im Bereich welcher HOLLAND-Typen – handwerklich-technisch, untersuchend-forschend, künstlerisch, sozial-erziehend, unternehmerisch-verkaufend und konventionell-buchhalterisch – seine Interessen und wohlmöglich auch die Entwicklungspotentiale für seine Fähigkeiten liegen.
Das Modul „Ich kann“ richtet sich auf konkrete Aktivitäten – und für diese erforderliche Fähigkeiten –, die der Einzelne in der Vergangenheit ausgeführt hat und die er nun reflektiert und in Form von Schulnoten selbst bewertet. Im Modul „Ich weiß“ liegt ein Schwerpunkt auf aktuellen eigenen Fähigkeiten. Das Modul „ Ich will“ leitet das Individuum dazu an, konkrete Pläne für zukünftige Aktivitätsbereiche außerhalb der Erwerbsarbeit zu formulieren und Handlungsschritte mit Terminen sowie mögliche Unterstützungspersonen aus dem privaten Umfeld zu benennen. Das letzte Modul schließt mit einem Vertrag, den das Subjekt mit sich selbst abschließt und der explizite Ziele festlegt. Das IKT-Instrument ist erhältlich unter: www.interests-and-desires.eu.
„Winkit“: Ein elektronisches Lerntagebuch zur nachhaltigen Selbst-Evaluation
Innerhalb des europäischen Projekts „Winkit“(2007-2009), das durch das Grundtvig-Programm gefördert wurde, sind entsprechende Methoden für die Zielgruppe der Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrer entwickelt worden. Es richtet sich vorrangig an Frauen, die nach einer längeren Familienphase wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren wollen. Die beteiligten Partner aus Frankreich, Deutschland, Schweden und Slowenien erarbeiteten – trotz verschiedener Subzielgruppen – Materialien zu einem gemeinsamen IKT-Instrumentarium, das eine Lerntagebuchfunktion mit Reflexionsaufgaben kombiniert. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit täglichen Aktivitäten, die die Teilnehmer im Rahmen ihrer Familienarbeit ausführen. Dabei soll ein möglichst breites Spektrum von Aktivitäten und Aufgaben der Betroffenen mit einbezogen werden. Dies kann von der Organisation und Koordination der Freizeitaktivitäten aller Familienmitglieder bis hin zum Ölwechsel beim Auto reichen. Die Tagebuchfunktion des IKT-Instruments lädt die Betroffenen zur freien Reflexion ein. Die eigenen Texte können anschließend mit Schlagwörtern belegt werden, um gegebenenfalls Einträge von gleicher Thematik suchen und retrospektiv miteinander vergleichen zu können. Die reflexionsanregenden Aufgabenstellungen sind anhand der folgenden sieben Feldern vorstrukturiert und enthalten jeweils zwischen fünf und 20 Aufgaben: Doing, Learning, Enjoying, Planning,Working, Coping, Networking. Es gibt u. a. Multiple-Choice-Aufgaben, Frage-Antwort-Aufgaben und Mind Maps. Ferner können eigene Multimedia-Inhalte in Form von Fotos oder kleinen Filmen, die sich mit einem marktüblichen Mobiltelefon aufnehmen lassen, zur Illustration eingefügt werden.
Die Arbeit mit dem IKT-Instrument ist als begleitender Prozess über einen längeren Zeitraum konzipiert, der mindestens drei Monate umfassen sollte. Es ist sinnvoll, aber nicht obligatorisch, dass das IKT-Instrument „Winkit – The women´s tool kit“ begleitend zu einer beruflichen Re-Integrationsmaßnahme für Berufsrückkehrerinnen genutzt wird. Ist dies der Fall, können Zwischenergebnisse mit einem Berater oder einer Beraterin und anderen Betroffenen auf freiwilliger Basis diskutiert werden. Das IKT-Instrument ist herunterladbar unter: www.winkit.eu.
Die Vielfalt der Verfahren darf nicht verdecken, dass die Teilnehmer immer einen großen Einfluss darauf behalten, was sie tun und wie sie es tun wollen. Die Angebote an sie sind eher handlungsorientiert (der erwähnte deutsche Ansatz) – als Vorbereitung der (Selbst-)Reflexion –, was das Entdecken von „tacit competences“ erleichtert. Oder sie sind gleich primär reflexionsorientiert. Dann kann man zwischen stärker kommunikativen Ansätzen (das erwähnte dänische Modul) oder eher auf selbständiger Eigenarbeit beruhenden Methoden differenzieren. Für den letzten Fall bieten die genannten IKT-Instrumente eine besondere Motivationsgelegenheit durch die Nutzung des Computers und die Interaktivität der Software.
Dabei hat sich gezeigt, dass eine solche Selbstevaluation für verschiedene Menschen geeignet ist, die das ganze in Abschnitt 2.2 genannte Spektrum von individuellen und situativen Faktoren repräsentieren.
Die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen und Mustern der Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen im Detail, die Identifizierung von Potenzialen und Gefahren, die die einzelnen Formen und Muster bieten, zeigt deutlich, dass es großen langfristigen Bedarf für eine Weiterentwicklung gibt, die aufmerksam die Doppelgesichtigkeit der Selbstanerkennung sowie der Akkreditierung von nicht-formalem und informellem Lernen auf verschiedenen Ebenen – der individuellen, der institutionellen sowie der gesellschaftlich-politischen – berücksichtigt und eine Balance anstrebt.
Auf der individuellen Ebene geht es um die Weiterentwicklung von Methoden zur Förderung der Selbstanerkennung der Subjekte sowie zur Planung und Ermöglichung von Alternativen, falls der Wiedereinstieg in die Erwerbsarbeit nicht unmittelbar gelingt.
Auf der institutionellen Ebene bedarf es einer stärkeren Ausrichtung von Kursen und Maßnahmen auf das Ziel, die Entwicklung von „berufsbiographischer Gestaltungskompetenz“ zu fördern. Die schnelle, aber häufig nur kurzfristige Vermittlung in Arbeit darf insbesondere bei Benachteiligten nicht im Zentrum stehen. Wichtig ist eine tiefgreifende Stärkung des Subjekts, auf deren Basis dann eine nachhaltige Integration in Arbeit erzielt werden kann.
Eine solche Umorientierung auf institutioneller Ebene ist in hohem Maße abhängig davon, dass es auf der gesellschaftlich-politischen Ebene einen Konsens darüber gibt, der Stärkung des Subjekts zentrale Bedeutung zuzumessen, damit es seinen Beitrag zur Gesellschaft und in der Arbeitswelt leisten kann.
Für die Entwicklung der Anerkennung von nicht-formalem und informellem Lernen in Deutschland könnte sich dabei die – insbesondere durch den Widerstand der Gewerkschaften gegen die rechtlich gleichwertige Anerkennung hervorgerufene – stark verlangsamte Einführung als günstig erweisen. Dadurch, dass die rechtliche Anerkennung insbesondere vor dem Hintergrund des Arguments der berufsbezogenen Tarifpolitik bis heute außer in besonderen Einzelfällen nicht möglich ist, liegt das Augenmerk der Anerkennung stärker auf Selbstanerkennungsprozessen sowie auf Formen der sozialen Wertschätzung. Jedoch bedarf es dafür noch einer deutlicheren Auseinandersetzung mit Verfahren und Methoden der Selbstanerkennung sowie einer verstärkten Informationspolitik und einer daraus resultierenden Wertschätzung der Ergebnisse dieser Prozesse bei potentiellen Arbeitgebern.
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