Beitrag von Ernst A. HARTMANN, Ida STAMM-RIEMER & Regina BUHR (Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE Innovation + Technik, Berlin)
Auf europäischer Ebene wird seit einigen Jahren im Kontext der Modernisierung der Hochschulbildung eine stärkere Rolle der Hochschulen im „Wissensdreieck“ zwischen Forschung, Bildung und Innovation gefordert. Dies impliziert eine Stärkung der Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft bzw. anderen Praxisfeldern, insbesondere im Kontext von Clustern und regionalen Innovationssystemen. Ein Kristallisationspunkt der dort ausgeführten Diskussion ist die Innovationsfähigkeit von Unternehmen und anderen Organisationen, zu der sowohl die Clusterumgebung des Unternehmens – im Hinblick auf die Beziehungskapitaldimension – als auch moderne Bildungs- und Lernangebote – im Hinblick auf die Humankapitaldimension – beitragen sollen.
Zentrales Anliegen des Beitrags ist es, die Bedeutung innovativer und durchlässiger Lern- und Bildungsformate für die Entwicklung von Clustern und die Innovationsfähigkeit der Mitgliedsunternehmen zu begründen und exemplarisch darzustellen. Dazu werden Strategien der Gestaltung von Weiterbildungsangeboten – Anrechnung und konvergente Entwicklung von Curricula – ebenso dargestellt wie spezifische Lernarrangements – Problem Based Learning, F&E-basierte Lernpartnerschaften und Work Based Learning. Am Beispiel der F&E-basierten Lernpartnerschaften soll auch die Erfassung solcher Effekte auf organisationale Innovationsfähigkeit diskutiert werden.
Further education provision in the higher education sector – innovative and permeable learning and education formats
At European level a stronger role of higher education institutions in the “knowledge triangle” between research, education and innovation has been called for for some years now. This implies an increase in the co-operation between higher education institutions and the economy or other areas of practice, in particular in the context of clusters and regional innovation systems. One crystallisation point of the discussions held there is the capacity for innovation of companies and other organisations, to which both the cluster environment of the company – with regard to the dimension of the capital of connections – as well as modern education and learning provision – with regard to the dimension of human capital – should contribute.
The central concern of the paper is to justify and present examples of the significance of innovative and permeable learning and educational formats for the development of clusters and the capacity for innovation of the member companies. To this end strategies are presented for the design of further education provision – accreditation and convergent development of curricula – as well as specific learning arrangements – problem-based learning, F and E-based learning partnerships and work-based learning. Using the example of F and E-based learning partnerships the aim is also to discuss capturing such effects on organisational capacity for innovation.
Im Call for Papers für diese Ausgabe von bwp@ wurde das Themenfeld der Akademisierung der Berufsbildung aus drei Blickrichtungen betrachtet[1]:
· Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung: Zugang zur hochschulischen Bildung aufgrund beruflicher Qualifikation und Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf ein Hochschulstudium.
· Weiterentwicklung der beruflichen Bildung vor diesem Hintergrund, was die Frage nach einer möglichen Akademisierung der beruflichen Bildung auch insofern aufwirft, als Hochschulzugang qua beruflicher Bildung und Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge eine gewisse ‚Anschlussfähigkeit‘ der beruflichen Bildung voraussetzen.
· Schließlich die Frage, inwiefern im Rahmen hochschulischer Bildung Herausforderungen der beruflichen Bildung aufgenommen werden und so auch eine Tendenz der Verberuflichung hochschulischer Bildungsangebote entstehen könnte.
Der hier vorliegende Beitrag konzentriert sich in diesem Kontext auf zwei Aspekte:
· Im Fokus stehen neue, im o.g. Sinne durchlässige Strukturen und Angebote hochschulischer Bildung, die durch die wissenschaftliche Weiterbildung beruflich Qualifizierter einen Beitrag zur ‚sekundären‘ Akademisierung leisten. Es geht also weniger um die Frage der Akademisierung der Institutionen und Programme der beruflichen Bildung als vielmehr um die Akademisierung der beruflich Gebildeten durch wissenschaftliche Weiterbildung.
· Diese neuen Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung beruflich Gebildeter können Formen annehmen, die durch ihre starke Orientierung an realen, in praktischen Handlungsfeldern verankerten Fragestellungen methodisch-didaktische Ähnlichkeiten mit der beruflichen Bildung aufweisen. Darüber hinaus finden sich ähnliche methodisch-didaktische Modelle auch für ‚traditionelle‘ Studierende (Schulabgänger/innen ohne berufliche Vorbildung). Insofern könnte ein Trend zur Verberuflichung der hochschulischen Bildung unterstellt werden. Dieser Frage wird kritisch nachgegangen, bezugnehmend auf die jeweiligen Funktionen der Aneignung bzw. Reflexion von beruflicher bzw. professioneller Praxis in beruflicher und hochschulischer Bildung.
Komplementär zu den bildungspolitischen Begründungen und Argumenten für – oder gegen – eine stärkere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung ist der hier vorliegende Beitrag von einer innovationspolitischen Perspektive geprägt. Das Konzept des Knowledge Triangle – einer neuen Beziehungs-Setzung zwischen Forschung, Innovation und Bildung – wird als Leitmotiv innovativer und innovationsorientierter Entwicklungen im Kontext des Übergangsfeldes zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung betrachtet (SJOER et al. 2011).
Im folgenden zweiten Kapitel werden politische Initiativen und Ergebnisse im Bereich der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung an Beispielen dargestellt. Damit wird der aktuelle bildungspolitische Hintergrund der spezifischen Fragestellung dieses Beitrags umrissen.
Das dritte Kapitel beleuchtet spezifische Lernformen der hochschulischen Weiterbildung – (auch) für beruflich Qualifizierte – im Hinblick auf eine bessere Vernetzung zwischen Forschung, Innovation und Bildung.
Im abschließenden vierten Kapitel werden Perspektiven für die Bildungs- und Innovationspolitik diskutiert.
Das berufsbildende und hochschulische Bildungssystem ist in Bewegung geraten und befindet sich gegenwärtig in einem starken Wandel wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Vor allem die Teilsysteme der beruflichen und akademischen Bildung bewegen sich aufeinander zu bzw. nehmen in ihrer jeweiligen Entwicklung Bezug aufeinander. Der Diskurs und die unterstützenden Förderprogramme zu Anrechnung, Übergängen, Bildungsangeboten und Durchlässigkeit deuten auf den längst überfälligen Paradigmenwechsel hin zu einem anschlussfähigen lebenslangen Lernen (FREITAG/ HARTMANN/ LOROFF et al. 2011).
Mit der BMBF-Initiative ‚Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge‘ (kurz: ‚ANKOM Anrechnung‘)[2] im Jahre 2005 begann die aktuelle wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen der Anrechnung im Kontext durchlässiger Bildungssysteme, und durch die Entwicklung und praktische Implementierung von Anrechnungsverfahren wurde ihre Anwendung befördert. Mit dem Ende von ‚ANKOM Anrechnung‘ im Jahre 2011 stehen erprobte Verfahren zur pauschalen und individuellen Anrechnung mit verschiedenen Instrumenten zur Äquivalenzprüfung von beruflich erworbenen und akademischen Lernergebnissen zur breiten Nutzung zur Verfügung (vgl. STAMM-RIEMER/ LOROFF/ HARTMANN 2011).
Ob individuelles oder pauschales Anrechnungsverfahren, im Rahmen von Anrechnung gilt es drei zentrale Gegenstandsbereiche zu beachten:
· zunächst die Beschreibung von Lernergebnissen der beruflichen und akademischen Bildung als Voraussetzung einer Beurteilung von Gleichwertigkeitsbeziehungen (Äquivalenzen),
· darauf aufbauend die Bestimmung von inhaltlichen und niveaubezogenen Äquivalenzbeziehungen zwischen beruflichen und akademischen Lernergebnissen (Äquivalenzprüfung) und
· schließlich die Entwicklung der Anrechnungsregelung (Anrechnungsverfahren), die die konkrete Durchführung von Anrechnung außerhochschulisch erworbenen Lernergebnissen (individuell, pauschal, kombiniert) an der Hochschule festlegt. (vgl. WISSENSCHAFTLICHE BEGLEITUNG 2010)
Für jeden der drei genannten Gegenstandbereiche des Gestaltungsfeldes Anrechnung liegen entwickelte und erprobte Konzepte und Instrumente für die Umsetzung vor (LOROFF/ HARTMANN o. J.).
Ein Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung der BMBF-Initiative „ANKOM Anrechnung“ war, dass es keine Nachfrage nach Anrechnung gibt, wenn für beruflich Qualifizierte mit Studieninteresse keine ihren Rahmenbedingungen – wie u. a. weiterhin Berufstätigkeit, Familienpflichten – adäquaten berufsbegleitenden Studienangebote vorhanden sind. Dieses bisherige Defizit greift der Bund-Länder-Wettbewerb ‚Aufstieg durch Bildung: offene Hochschule‘ auf und schafft Abhilfe. Gerade für Berufstätige, Personen mit Familienpflichten, Berufsrückkehrer/-innen, Studienabbrecher/-innen und arbeitslose Akademiker/-innen sollen berufsbegleitende Studiengänge, (anrechenbare) Zertifikatsangebote und (akkumulierbare) Studienmodule im Rahmen des lebenslangen Lernens auf- bzw. weiter ausgebaut werden.[3] Sechzehn Einzelprojekte und zehn Verbundvorhaben an insgesamt 51 Hochschulen und drei außeruniversitären Forschungseinrichtungen wurden unter Wettbewerbsbedingungen von einer Jury in der ersten Förderrunde ausgewählt. Unter diesen Fachhochschulen und Universitäten gibt es eine große Vielfalt an innovativen, nachfrageorientierten und nachhaltig angelegten ‚offene-Hochschule‘-Konzepten.
Diese Verschiedenartigkeit bezieht sich auf die unterschiedliche Kombination der Studienangebotsformate, der adressierten Zielgruppen und Fachrichtungen und von bestimmten Spezialisierungen sowie auf die Konzeption der Struktur(weiter)entwicklung zu einer offen(er)en Hochschule. Mehrheitlich werden Studienangebote im Format von (akkumulativen) Modulen, Modulkombinationen (Zertifikate) und berufsbegleitenden Studiengängen (Bachelor-, Master-Abschluss) entwickelt, die eine bessere Vereinbarkeit von Berufstätigkeit, Weiterbildung und privaten Verpflichtungen im Rahmen von lebenslangem Lernen ermöglichen.
Diese Zielsetzung wird durch entsprechende methodisch-didaktische Ausgestaltung dieser Studienangebote durch Verwendung von modernen Medien- und Studienkonzepten (u. A. ‚blended-learning-Studium‘) und einer entsprechend zeitlichen Organisation unterstützt. Mit dem Wettbewerb soll akademische Weiterbildung für Zielgruppen nachhaltig entwickelt werden, die bisher nicht im Fokus der Hochschulen und ihrer Angebote stehen, und damit einen Beitrag hin zu einer offenen Hochschule mit Weiterbildungsmöglichkeiten für unterschiedliche Bedarfe leisten. Unter den ausgewählten Förderprojekten lässt sich eine breite Streuung an Fachrichtungen mit Schwerpunkten in den Bereichen der Ingenieurwissenschaften, der Sozialen Arbeit, der Wirtschaftswissenschaften sowie des Pflegebereichs und der Naturwissenschaften feststellen.
Angesichts dieser Vielfältigkeit an geplanten Angebotskonzepten und Strukturentwicklung an den beteiligten Hochschulen sowie an Vernetzung mit weiteren Organisationen hochschulischer und anderer Art werden hohe Erwartungen und Hoffnungen in diesen Bund-Länder-Wettbewerb hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung zu einer offenen Hochschullandschaft gesteckt.
In den auf eine offene Hochschule ausgerichteten Projekten werden unterschiedliche Lernformen im Hinblick auf Organisation und Didaktik[4] umgesetzt. Im Folgenden sollen einige dieser organisatorisch-didaktischen Formen – Lernarrangements[5] – näher betrachtet werden. Es handelt sich dabei um solche Lernarrangements, die im Sinne des Knowledge Triangle Forschung, Innovation und Bildung miteinander auf neue Weise im Beziehung setzen (SJOER et al. 2011).
Abb. 1: Lernarrangements im Kontext des Knowledge Triangle
Die drei ‚Ecken‘ des Knowledge Triangle sind (anwendungsbezogene) Forschung bzw. Forschung und Entwicklung (F&E), Innovation und Bildung. Es wird postuliert, dass durch eine bessere Integration dieser drei Funktionen die Hochschulen einen besseren Beitrag zur Innovationsfähigkeit von Unternehmen (insbesondere auch KMU) und Regionen leisten können (OECD 2007; HARTMANN 2011; SJOER et al. 2011).
Innovationsfähigkeit wird hier verstanden als die Fähigkeit von Unternehmen – oder allgemeiner: Organisationen –, Produkt- und Prozessinnovationen, organisationale und soziale Innovationen hervorzubringen (HARTMANN et al. 2011). Wesentliche Elemente der Innovationsfähigkeit sind:
· Humankapital: Wissen, Können und Kreativität der in der Organisation beschäftigten Menschen.
· Strukturkapital: Lern- und innovationsförderliche Organisationstrukturen (HARTMANN/ GARIBALDO 2011).
· Beziehungskapital: Lern- und innovationsförderliche Vernetzung mit anderen Unternehmen und Organisationen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen etc.
Die weiter unten dargestellten Lernarrangements beziehen sich vornehmlich auf die Entwicklung von Human- und Beziehungskapital.
Wie stellen sich nun die Herausforderungen hinsichtlich einer besseren Integration von Forschung, Innovation und Bildung dar?
Die Integration von Forschung und Bildung gehört sicherlich zur klassischen Definition der Universität im Humboldt’schen Sinne; inwieweit dies aktuell von den Hochschulen[6] noch geleistet wird, kann sehr kontrovers diskutiert werden. Hochschulen tragen auch – je nach Profil mehr oder weniger stark – durch F&E-Kooperationen zur Innovation (und ggf. auch zur Innovationsfähigkeit) der regionalen oder auch überregionalen Wirtschaft bei, dort fließen auch Erkenntnisse der Forschung ein, bzw. es werden Ergebnisse der angewandten Forschung in diesen Kooperationen gewonnen.
Bildung und Innovation werden von den Hochschulen allerdings kaum integrativ betrachtet: Studierende sind kaum systematisch in solche F&E-Kooperationen eingebunden, außer vielleicht als studentische Hilfskräfte. Ein Wissens- und Technologietransfer ‚über die Köpfe‘ der Absolventinnen und Absolventen findet daher bezogen auf Innovationsherausforderungen der Unternehmen und anderer Praxisorganisationen nur bedingt statt. Noch weniger ausgeprägt – wegen mangelnder Weiterbildungsangebote der Hochschulen – ist ein solcher Wissens- und Technologietransfer ‚über die Köpfe‘ von Beschäftigten aus Unternehmen und anderen Praxisorganisationen.
Umgekehrt nutzen Unternehmen in unterschiedlichem Maße – KMU eher weniger – die Möglichkeiten zur Kooperation mit Hochschulen im F&E-Bereich[7] . Diese Maßnahmen sind aber in aller Regel entkoppelt von Weiterbildungsmaßnahmen (so denn welche angeboten/durchgeführt werden).
Die Möglichkeiten von Synergien zwischen Forschung, Innovation und Bildung werden also tendenziell zu wenig ausgeschöpft[8] .
Für eine bessere Nutzung dieser Synergiepotenziale sind u.A. drei Lernarrangements von Interesse (HARTMANN 2012):
· Problem Based Learning: Lernen an realitätsorientierten bzw. aus realen Kontexten stammenden Problemstellungen. Der Lernort ist üblicherweise eine Bildungseinrichtung, insbesondere eine Hochschule. Die typische Zielgruppe sind (traditionelle) Studierende, es werden aber auch Übertragungen auf nicht-traditionelle Studierende diskutiert und umgesetzt (SJOER et al. 2011).
· F&E-basierte Lernpartnerschaften: Hier wird in realen F&E-Projekten gelernt, die in Kooperation zwischen Unternehmen oder sonstigen Praxispartnern (wie z. B. auch öffentliche Einrichtungen) und Hochschulen (ggf. zusätzlich weitere Forschungseinrichtungen) durchgeführt werden. Die Lernpartner sind einerseits Studierende oder junge Wissenschaftler, andererseits Mitarbeiter der Unternehmen. Lernorte können sowohl die Hochschule wie die Unternehmen sein, auch alternierend.
· Work Based Learning: Lernen in Realprojekten am Arbeitsplatz, im Arbeitsumfeld bzw. im Praxisfeld der Lernenden. Damit sind zugleich die typischen Lernorte benannt. Die Praxisprojekte werden so gestaltet bzw. entwickelt, dass sie einerseits F&E-Fragestellungen enthalten, andererseits in ihrem Ergebnis eine betriebliche bzw. praxisfeldimmanente Innovation hervorbringen. Die Lernenden sind somit immer Berufstätige, die arbeitsintegriert lernen. Work Based Learning im engeren Sinne bezeichnet ein solches Lernen im Kontext einer hochschulischen Weiterbildung, üblicherweise mit akademischem Abschluss (degree programme).
In der folgenden Tabelle 1 sind die charakteristischen Merkmale dieser Lernarrangements noch einmal zusammengefasst.
Tabelle 1: Charakteristische Merkmale der Lernarrangements (nach HARTMANN 2012, 132)
Lernarrangement | Problem Based Learning | F&E-basierte Lernpartnerschafte | Work Based Learning |
Lerngegenstand | Praxisorientierte bzw. aus der Praxis stammende F&E-Fragestellungen | Kooperative F&E-Projekte (Wissenschaft/ Wirtschaft bzw. Praxis) | F&E- bzw. Innovationsprojekte in der Praxis |
Lernende / typische Zielgruppe | In der Regel Studierende (traditionelle, Schulabgänger, Studium vor Berufseintritt), Transfer auf nicht-traditionelle Studierende möglich und beispielhaft realisiert | (traditionelle) Studierende / Jungwissenschaftler in Kooperation mit Beschäftigten in Unternehmen bzw. anderen Praxisfeldern | Beschäftigte, die berufs- bzw. arbeitsintegriert lernen/studieren (nicht-traditionelle Studierende) |
Typischer Lernort | In der Regel oder überwiegend Bildungsstätte (Hochschule) | Hochschule / Forschungseinrichtung und Praxisfeld, auch alternierend | In der Regel oder ganz überwiegend Praxisfeld, Arbeitsplatz, Arbeitsumfeld |
Die drei Kernarrangements werden im Folgenden nacheinander vorgestellt.
Das Konzept des problembasierten Lernens (PBL) bezieht sich auf die Integration realer Projekte aus Praxisfeldern in Programme der Hochschulbildung. Ein internationales Zentrum für PBS ist die Universität Aalborg (AAU) in Dänemark: Die 1974 als ‚Reform-Universität‘ gegründete Institution setzt von jeher auf PBL. 2007 wurde an der AAU der UNESCO-Lehrstuhl für problembasiertes Lernen (UCPBL) eingerichtet (vgl. KOLMOS et al. 2004).
Im PBL bilden reale Probleme, die oft von kooperierenden Industrieunternehmen oder anderen Praxispartnern benannt werden, die Kernelemente des Lernens. In den akademischen Programmen wird die Hälfte der Leistungspunkte über PBL erworben. BARGE (2009, 2) definiert die Kernkonzepte des PBL im Aalborg-Modell folgendermaßen:
· “(..) A problem can be theoretical, practical, social, technical, symbolic-cultural and/or scientific and grows out of students’ wondering within different disciplines and professional environments. The problem is the starting point directing the students’ learning process and situates the learning in a context. A chosen problem has to be exemplary. (..)
· (..) A project is a complex effort that necessitates an analysis of the target (problem analysis) and that must be planned and managed, because of desired changes that are to be carried out in people’s surroundings, organization, knowledge, and attitude to life; it involves a new, not previously solved task or problem; it requires resources across traditional organizations and knowledge; it must be completed at a point in time determined in advance. (..)
· Exemplarity is a principle of selecting relevant specific learning outcomes and content / scientific knowledge that is exemplary to overall learning outcomes. That is, a problem needs to refer back to a particular practical, scientific and/ or technical domain. The problem should stand as one specific example or manifestation of more general learning outcomes related to knowledge and/or modes of inquiry.
· (..) A team is a group, sharing and working closely together on the same goal in solving the problems. The binding cooperation of members on successful completion of the project is an essential component of the overall approach to learning.”
Obwohl das Konzept Problem in dieser Definition umfassender definiert ist, um PBL-Anwendungen in ein breites Spektrum wissenschaftlicher und praktischer Gebiete einzuschließen, basieren insbesondere die Ingenieurstudiengänge an der AAU in der Regel auf realen Problemen aus dem Berufsalltag (vgl. KJÆRSDAM/ ENEMARK 1994).
Das Hauptmerkmal von PBL ist seine Verwurzelung in der F&E. Das Konzept überwindet die institutionellen und funktionellen Barrieren zwischen Lernen, Forschung, Praxis und Innovationen in realen Kontexten. Diese Grundeigenschaften verhelfen dem PBL zudem zu einer Schlüsselposition bei der Innovationsförderung in Partnerschaften zwischen Universität und Wirtschaft.
PBL bzw. PBL-basierte Programme wurden, abgesehen von Dänemark, beispielsweise in Kanada (McMaster University), den Niederlanden (Universität Maastricht), Malaysia (Universität Tun Hussein Onn Malaysia) und den Vereinigten Staaten (University of Delaware) eingerichtet (OECD 2007; MASEK/ YAMIN 2011).
PBL-Programme für die Weiterbildung von Ingenieuren wurden etwa an der TU Delft und an der Universität Aalborg realisiert (SJOER et al. 2011).
Ein PBL-bezogenes Beispiel lässt sich auch in Deutschland finden – mit der Vertiefungsrichtung „Integrierte Produktentwicklung“ (IPE[9]) im Rahmen des Maschinenbaustudiums bzw. aktuell dem Masterstudiengang „Integrated Design Engineering“ (IDE[10]) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Auch hier stehen praktische Probleme von Industrieunternehmen, gemeinnützigen Organisationen und der öffentlichen Verwaltung im Zentrum der von interdisziplinären Studententeams[11] durchgeführten Projekte. Im Verlauf eines Semesters entwickeln diese Teams praktisch verwendbare Produkte, die den von den externen Partnerorganisationen definierten Anforderungen gerecht werden.
Eine weitere sehr F&E-orientierte Lernumgebung könnte als F&E-Lernpartnerschaft bezeichnet werden. Bei diesem Konzept spielen Hochschulabsolventen eine Schlüsselrolle in einer F&E-Beziehung zwischen ihrer (ehemaligen) Hochschule und einem Unternehmen, wobei es sich oft um kleine und mittlere Unternehmen (KMU) handelt. Während des Projekts kann der Absolvent entweder beim Unternehmen oder bei der Hochschule angestellt sein.
In Großbritannien ist das Programm Knowledge Transfer Partnerships (KTP) ein gutes Beispiel für diesen Ansatz. Knowledge Transfer Partnerships und das Vorgängerprogramm Teaching Company Scheme existieren seit 35Jahren – seit das Teaching Company Scheme im Jahr 1975 durch den britischen Science and Engineering Research Council ins Leben gerufen wurde. Dabei werden jedes Jahr mehr als 1000Partnerschaften unterstützt. Heute wird KTP vom Technology Strategy Board verwaltet, einer keinem Ministerium zugeordneten, eigenständigen öffentlichen Körperschaft (non-departmental public body, NDPB), die 2007 von der britischen Regierung eingerichtet wurde und vom Ministerium für Unternehmen, Innovation und Weiterbildung (Department for Business, Innovation and Skills, BIS) finanziert wird. Im Internet sind mehr als 350Fallstudien von KTP-Projekten abrufbar[12] .
Ein Beispiel aus Deutschland sind die Programme Exzellenztandem und Forschungsassistenz an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin[13] . Diese Programme wurde von der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert. Im Gegensatz zum nationalen Programm KTP ist das Programm „Forschungsassistenz“ auf Unternehmen – vor allem KMU – in Berlin ausgerichtet.
Bei ‚Exzellenztandem‘ bearbeitet ein Student seine Abschlussarbeit eingebunden in ein kooperatives F&E-Projekt der Hochschule mit einem Unternehmen. Diese Projekte stehen in direktem Zusammenhang mit (produkt- oder prozessbezogenen) Innovationsprozessen des Partnerunternehmens. Die zentralen Lernenden sind die Studierenden und deren Praxisbetreuer in den Unternehmen.
‚Forschungsassistenz‘ funktioniert ähnlich, wobei hier junge Wissenschaftler (Absolventen nach Abschluss) die Rolle der Studierenden einnehmen. Forschungsassistenzprojekte dauern länger und sind üblicherweise komplexer als Exzellenztandemprojekte.
Work Based Learning (WBL) soll wegen seiner besonderen Bedeutung sowohl für die Integration von Lernen, F&E und Innovation wie auch für durchlässige Bildungssysteme im Folgenden etwas genauer betrachtet werden; weiterhin ist PBL ein besonders geeignetes Lernarrangement für die ‚sekundäre‘ Akademisierung von beruflich Qualifizierten (für alle folgenden Ausführungen vgl. HARTMANN/ LIGHT 2010; HARTMANN 2012; LIGHT/ HARTMANN 2011).
WBL unterscheidet sich von allen bisher erläuterten Konzepten dadurch, dass es viel stärker im Arbeitsleben verwurzelt ist. Während die bisher vorgestellten Konzepte alle aus (hochschulischen) Bildungsprogrammen oder im Zusammenhang mit dem Wissenstransfer von Hochschuleinrichtungen in die berufliche Praxis entstanden sind, ist der Ursprung von WBL am Arbeitsplatz selbst zu finden. BRENNAN und LITTLE (1996, 5) erläutern dies folgendermaßen: “ (..) the learning derived from the workplace is at the heart of the individual's overall programme of study and thus provides the starting point for its design, planning and implementation.”
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist das Zusammenspiel zwischen Lernenden, Arbeitgeber und Hochschule bei der Festlegung des Lernprozesses:
“(..) the aspect that distinguishes work based learning from other processes of learning is the part that negotiation between individual, employer and higher education institution plays. Negotiation between these three stakeholders in identifying achievable learning outcomes which are meaningful and challenging to the individual, are relevant to the employer and have academic credibility; establishing, through negotiation, appropriate methods of and criteria for assessment acceptable to all parties; establishing and maintaining, through negotiation, a supportive learning environment (based primarily in the workplace).” (ibid., 5)
Angesichts dieser grundlegenden Eigenschaften wird auch deutlich, dass sich WBL im Wesentlichen an Lernende mit umfangreicher Arbeitserfahrung, häufig im fortgeschrittenen Erwachsenenalter, richtet.
In Großbritannien besteht eine lange Tradition des WBL. In ihrer oben erwähnten Studie, die 1996 vom britischen Arbeits- und Bildungsministerium (Department for Education and Employment) finanziert wurde, konnten Brennan und Little bereits auf eine umfangreiche Basis an Erfahrungen mit WBL-Vereinbarungen an Hochschulen zurückgreifen.
WBL verkörpert einen Wissenserwerb, der in der „Welt der Handlung, Praxis und Arbeit“ verwurzelt ist (BARNETT 2000, 27). Im weitesten Sinne ist WBL sowohl projekt- als auch problembasiert und oftmals mit dem Wissen verbunden, das in einem Arbeitsumfeld mit dem Ziel der Durchführung einer organisatorischen Änderung oder einer anderen Innovation produziert wird.
Die Middlesex University in London spielt seit Mitte der 90er-Jahre eine Vorreiterrolle beim Work Based Learning.
Das WBL-Paradigma der Middlesex University soll im Folgenden als ein besonders avanciertes Beispiel dieses Lernarrangements näher erläutert werden.
Am Anfang der WBL-Aktivitäten an der Middlesex University stand ein Forschungsprojekt in den 1990er Jahren zum Lernen am Arbeitsplatz (PORTWOOD 2000). Zugleich wurde ein auf Kreditpunkten basierendes, modulares hochschulisches Weiterbildungskonzept eingeführt, das es ermöglicht, die Erfahrungen der Lernenden – aus Arbeit im engeren Sinne oder sonstigen Tätigkeiten – zum Ausgangspunkt des Lernens zu machen. Das Middlesex-Programm unterscheidet sich von anderen WBL-Programmen dadurch, dass es sich nicht an herkömmlichen wissenschaftlichen Disziplinen orientiert, sondern kritisches, wissenschaftliches Reflektieren und Durchdenken von Praxis zum Ziel hat, um Ergebnisse zu erreichen, die für die Lernenden und ihre Arbeitgeber von Bedeutung sind (GARNETT et al. 2009). Dies wird auch darin deutlich, dass sich die zum Abschluss der Studien vergebenen akademischen Grade nicht an Disziplinen orientieren (z. B. Bachelor in Soziologie, Master in Wirtschaftswissenschaften etc.), sondern dass jedem Absolventen ein individueller Grad verliehen wird, der das Kompetenzgebiet bezeichnet, in dem der Absolvent seine Kompetenzen nachgewiesen hat. Dies hat dann die Form ‚Bachelor of Arts (Work Based Learning) X‘, wobei für ‚X‘ die Bezeichnung dieses individuellen Fachgebiets eingesetzt wird.
Der Ablauf des WBL-Programms an der Middlesex-University ist in Abbildung 2 dargestellt. Sie besteht aus vier Modulen, die in allen Programmen (Zertifikats-, Bachelor- und Masterebene) in dieser Form angewendet werden. Nach der Anrechnung (accreditation) vorgängig formal (certificated, z. B. in Weiterbildungsmaßnahmen) oder informell (experiential, z. B. in der Arbeitstätigkeit) erworbener Lernergebnisse wird ein individueller Lernplan erstellt, der sich auf Praxisprojekte bezieht und der auch Gegenstand einer dreiseitigen Vereinbarung (learning agreement) zwischen Hochschule, Lernendem und Arbeitgeber (sponsor) ist. Methoden der (Feld-)Forschung und der Projektplanung bzw. der Projektmanagements gehören auch in dieses Modul. Die eigentlichen Lernprozesse finden dann in den entsprechend geplanten Projekten statt.
Abb. 2: Ablauf des WBL an der Middlesex University: Anrechnung informell und formal erworbener Lernergebnisse, Lernvereinbarung/Programmplanung/Forschungsmethoden/Projektplanung, Projekt(e) (modifiziert nach HARTMANN/ LIGHT 2010)
Bis zu zwei Dritteln der gesamten Kreditpunkte können durch Anrechnung erworben werden. Ein typisches Studium dauert drei Semester im Teilzeit-Fernstudium. Allen Lernenden steht ein akademischer Tutor zur Seite, der sie durch das ganze Programm begleitet, und alle Arbeitsergebnisse werden an akademischen Standards gemessen, die dem jeweiligen Niveau bzw. angestrebten Abschluss (z. B. Bachelor oder Master) entsprechen.
Weil viele Lernende in diesen Programmen wenig Erfahrung mit hochschulischer Bildung haben und auch um die Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Praxis noch weiter zu verbessern, wurde in den letzten Jahren ein spezifisches WBL-Modell eingeführt, das die WBL-Angebote der Middlesex University ergänzt.
Ausgangspunkt dieses Modells ist – in Abwandlung des oben dargestellten Vorgehens – die Identifikation, Planung und Durchführung eines Praxisprojekts, unterstützt durch einen akademischen Berater/Tutor.
Der Prozess besteht insgesamt aus vier Stufen:
1. Initial project identification and agreement: Zwei vorbereitende Projekttreffen (nicht gebührenpflichtig) finden statt mit dem Institute for Work Based Learning (IWBL) der Middlesex University und dem Unternehmen bzw. der Praxisorganisation. Hier werden die Projekte identifiziert, die Teams benannt und die trilaterale Vereinbarung vorbereitet.
2. Detailed project identification and project plan: Mindestens zwei Meetings (kostenpflichtig) dienen der genauen Projektplanung im Hinblick auf die Ziele der Organisation und die zu erreichenden Lernergebnisse sowie die Standards, an den Projekt- und Lernergebnisse gemessen werden sollen.
3. Interim project evaluation: Zwischenbewertung (kostenpflichtig) zu einem oder mehreren Meilensteinen des Projekts, im Hinblick auf die vereinbarten Projekt- und Lernergebnisse.
4. Final project evaluation: Endbewertung (kostenpflichtig) im Hinblick auf die vereinbarten Projekt- und Lernergebnisse, kollektives und individuelles Feedback.
Die schriftlichen Projektberichte werden von zwei Lehrenden der Hochschule gelesen und bewertet, die mündliche Projektpräsentation bewerten ein Hochschullehrender und ein Repräsentant des Managements des Unternehmens. Die Projektarbeit führt unmittelbar zu einem Hochschulzertifikat und kann für ein anschließendes, eventuell auch arbeitsbasiertes Bachelor- oder Masterstudium angerechnet werden.
Ein ausführliches Fallbeispiel zu einem solchen Praxisprojekt im Kontext einer hochschulischen Weiterbildung – es geht dort um die Verbesserung der Arbeitssicherheit in einem Bauunternehmen – findet sich bei HARTMANN und LIGHT (2010). Dort werden auch exemplarisch Arbeits- und Lernhilfsmittel (z. B. Handbücher und Leitfäden) und Bewertungskriterien für Projekt- und Lernergebnisse dargestellt.
Die Erörterungen dieses Beitrags haben bislang Folgendes aufgezeigt:
· Die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung wird von Politik und Hochschulen zunehmend als relevante Gestaltungsaufgabe wahrgenommen.
· Methoden der Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge stehen zur Verfügung.
· Neue hochschulische Lernformate, die sich im Kontext der wissenschaftlichen Weiterbildung (auch) an beruflich Qualifizierte richten, werden entwickelt und mit spezifischen Angeboten des Übergangsmanagements (Beratung, Brückenkurse, Mentoring etc.) angereichert.
· Bestimmte hochschulische Lernarrangements – wie Problem Based Learning (PBL) und Work Based Learning (WBL) – eignen sich besonders für eine Integration von Forschung, Innovation und Bildung.
· Speziell diese Lernarrangements sind in einigen anderen Ländern (z. B. Dänemark, Großbritannien, Kanada, Niederlande) durchaus, in Deutschland allerdings (noch) kaum verbreitet.
In diesem Sinne ist zunächst zu fordern, die Entwicklung und Verbreitung solcher Angebote im Sinne des Knowledge Triangle in Deutschland deutlich mehr zu befördern. Dies sollte einerseits in Programmen zur Bildungs- und Hochschulinnovation, aber mindestens ebenso nachdrücklich in Forschungs- und Innovationsprogrammen bzw. –maßnahmen geschehen. Besondere Anknüpfungspunkte bestehen im Bereich der Programme und Instrumente der Clusterpolitik, weil in solchen regionalen Innovationsverbünden alle relevanten Akteure – Unternehmen, Träger der beruflichen und hochschulischen Bildung, Forschungseinrichtungen – ohnehin eng zusammenarbeiten (HARTMANN 2012). Auch andere, etwa forschungs- und technologiepolitisch fokussierte Programme können von integrierten Begleitmaßnahmen zur Förderung solcher Angebote erheblich profitieren.
Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit diese Entwicklungen neue Aspekte zur Diskussion über das Verhältnis zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung beitragen können. Zunächst scheinen viele der genannten Entwicklungen auf eine Konvergenz oder zumindest Annäherung zwischen beiden Bildungssegmenten hinzudeuten. Die zunehmende Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung, und insbesondere die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge verweisen ja auf ‚Vergleichbarkeiten‘ zwischen beiden Bildungssegmenten. Im Zuge konkreter (individuelle und insbesondere pauschaler) Anrechnungsentscheidungen an Hochschulen werden diese Vergleichbarkeiten (Äquivalenzen, Gleichwertigkeiten) auch zunehmend empirisch belegt. Perspektivisch kann dies dazu führen, dass Bildungsgänge zunehmend ‚auf einander hin‘ ausgelegt werden, um Übergänge und Durchlässigkeit systematisch zu erleichtern.
Die stark an praktischen Innovationsproblemen ausgerichteten hochschulischen Lernformen PBL und WBL können sogar als ein Indiz einer Verberuflichung der hochschulischen Bildung interpretiert werden, insofern als auf die Bewältigung praktischer Herausforderungen abzielende Lernarrangements traditionell als konstitutiv für die berufliche Bildung angesehen werden (RAUNER 2011).
Demgegenüber postuliert etwa RAUNER (2011) eine grundsätzliche Verschiedenheit der beruflichen und hochschulischen Bildung und korrespondierend des beruflichen und hochschulischen Wissens. Berufliches Wissen orientiere sich an einer holistischen, an multiplen (z. B. technischen, ökonomischen, sozialen, ökologischen, ethischen) Kriterien ausgerichteten Aufgabenbewältigung, wohingegen wissenschaftliches Wissen durch hochspezialisierte Wissenserzeugung in einem ausdifferenzierten System disziplinärer Forschung charakterisiert sei.
Im Kontext der hier interessierenden Fragen wäre zunächst zu unterscheiden zwischen den akademischen Disziplinen und Bildungsgängen, die sehr stark der von RAUNER beschriebenen Charakteristik der spezialisierten disziplinären Wissensproduktion entsprechen, und denen, die – zumindest ihrem Anspruch nach – (auch) auf professionelles Handeln und entsprechende Handlungskompetenzen in Praxisfeldern abzielen. Zu den ersteren könnten in grober Näherung die ‚klassischen‘ Natur- und Geisteswissenschaften gerechnet werden, zu den letzteren professionsorientierte Disziplinen und Bildungsgänge wie Medizin und Pflegewissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Psychologie, Erziehungswissenschaft und auch die Betriebswirtschaftslehre. Hier sind – was die professionelle Praxis angeht – Kompetenzen gefragt, die sich hinsichtlich der Notwendigkeit der Berücksichtigung multipler, auch fachfremder Kriterien der Problemlösung von dem von RAUNER charakterisierten holistischen beruflichen Wissen kaum substanziell, grundsätzlich und qualitativ unterscheiden[14] . Man denke etwa an die Zielkonflikte zwischen therapeutischen, ethischen und ökonomischen Erwägungen im professionellen Handeln von Ärzten und Psychologen, oder an technische, ökonomische und ökologische Kriterien, die Ingenieure in Entwicklungsprojekten in Einklang bringen müssen. Genau solche Kompetenzen holistischer Problembewältigung stehen im Zentrum projektbasierter Studienformen; deshalb werden diese Projekte – insbesondere in PBL-Lernarrangements – auch in der Regel von multidisziplinären Teams bearbeitet.
Für die erstgenannte Gruppe von wissenschaftlichen Disziplinen finden sich empirisch kaum Ansätze einer systematischen Ausgestaltung von Durchlässigkeit, was angesichts der grundsätzlichen Ausrichtung dieser Wissensgebiete an spezialisierter disziplinärer Wissensproduktion kaum verwundert.
In der zweitgenannten Gruppe finden sich allerdings sehr wohl Beispiele für durchlässige Angebote, und nicht zuletzt auch affine berufliche Bildungsgänge (vgl. Abschnitt 2.1).
Führt dies alles nun – zumindest in diesem zweiten Wissensbereich – zu einer Konvergenz beruflicher und hochschulischer Bildung?
Zumindest nicht in jeder Hinsicht. Wenn sich auch Möglichkeiten von Übergängen mehren, zeigen sich doch zugleich interessante Spezialisierungen und Komplementaritäten beruflicher und hochschulischer Bildung. So ist etwa das WBL-Programm der Middlesex University besonders dadurch gekennzeichnet, dass das Hauptaugenmerk auf der Ausbildung in (feldorientierten) Forschungsmethoden liegt. Gerade weil die Lernenden praktische Erfahrungen und Kompetenzen bereits mitbringen – die im APEL-Verfahren angerechnet werden – kann sich die Hochschule auf ihre Kernkompetenz konzentrieren: Das Lehren von Methoden und Standards der Wissenserzeugung, also der wissenschaftlichen Bildung in ihrem Kern.
In diesem Sinne bietet eine erweiterte Durchlässigkeit und Kommunikation zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung auch Chancen für beide Seiten, in einer bildungssegmentübergreifenden Kooperation eigene Identität und Stärken zu finden und zu entwickeln.
ANDERSON, L. W./ KRATWOHL, D. R. (Hrsg.) (2001): A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing. A Revision of Bloom's Taxonomy of Educational Objectives. New York.
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[3] Der Wettbewerb hat eine Laufzeit von zehn Jahren (2011-2020) und ist in zwei Wettbewerbsrunden mit je zwei Förderphasen unterteilt; vgl. http://www.wettbewerb-offene-hochschulen-bmbf.de.
[4] SCHÄFFTER (1993; vgl. auch SCHÄFFTER 2005) unterscheidet vier Bedeutungsebenen von ‚Organisation‘ in pädagogisch/didaktischen Kontexten. Bedeutsam sind hier vornehmlich zwei davon: Erstens der Prozess des Organisierens von Lernprozessen und zweitens die didaktische Funktionalstruktur, also das verlässliche und relativ dauerhafte Herstellen, Aufrechterhalten und Weiterentwickeln von personellen, organisationalen, sozialen und materiellen Rahmenbedingungen des Lernens. Dieser zweite Aspekt steht hier im Vordergrund; er steht auch in enger Beziehung zum Begriff des Lernarrangements, vgl. folgende Fußnote.
[5] „Lernarrangement bezeichnet selbst konstruierte oder fremdkonstruierte Konstellationenvon sozialen und materiellen Bedingungen des Lernens, vondenen Lernprozesse in einer relativ konsistenten Weise beeinflusst werden“ (KIRCHHÖFER 2004,70).
[6] Im Kontext dieses Beitrags werden unter ‚Hochschulen‘ alle tertiären Bildungseinrichtungen verstanden, an denen Hochschulabschlüsse (akademische Grade) erworben werden können. Im Fokus der Betrachtung stehen hier Universitäten und Fachhochschulen.
[7] Die vom ZEW im Rahmen des Community Innovation Survey für Deutschland 2011 (jüngste Erhebung) erhobenen Daten weisen Folgendes aus: Von den Unternehmen mit 10-49 Beschäftigten kooperieren 10% mit Hochschulen im F&E-Bereich, bei den Unternehmen mit 50-249 Beschäftigten sind es 19%, bei Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten 40%. Die Bezugspopulationen sind jeweils diejenigen Unternehmen, die überhaupt technologisch innovieren. Daten verfügbar unter http://www.zew.de/de/publikationen/innovationserhebungen/innovationserhebungen.php3
[8] Aktuelle Befunde dazu im Kontext der vom BMBF geförderten Spitzencluster finden sich in GLOBISCH et al. 2012. Einen weltweiten Überblick gibt die Studie „Higher Education and Regions – Globally Competitive, Locally Engaged“ der OECD aus dem Jahre 2007. Im Kontext dieser Studie wurden auch vielfältige Länderstudien und vertiefende Dokumente veröffentlicht, die in der OECD iLibrary (www.oecdilibrary.org ) recherchiert werden können.
[11] Zu den beteiligten Fachbereichen gehörten Maschinenbau, Wirtschaftswissenschaften, Industriedesign, Informatik und Psychologie.
[14] Dass diese Kompetenzen in der jeweiligen professionellen Praxis gefordert sind, bedeutet – leider – nicht zugleich, dass deren Entwicklung auch zwingend im Zentrum der jeweiligen akademischen Bildungsgänge stehen würde. Eine hochschuldidaktische Erörterung dieses Problemkreises ist allerdings im Rahmen des vorliegenden Beitrages nicht möglich.
[15] Continuing Engineering Education
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