Beitrag von Nina Maria WACHENDORF, Marion RATH & Michael LENT (Hochschule Niederrhein, Krefeld)
Das im Jahr 1981 von Industrie- und Handelskammer, regionalen Unternehmen und der Hochschule Niederrhein entwickelte Modell eines ausbildungsintegrierten Studienganges ist Pionier und Best-Practice Beispiel für duale Studiengänge an deutschen Fachhochschulen.
Die Bedeutung innovativer Bildungsangebote zeigt sich deutlich in der Beliebtheit des „Dualen Studiums nach dem Krefelder Modell“ bei Studierenden und Unternehmen. Ein weiterer Beleg für die gute Umsetzung ist der große Studienerfolg bei den dualen Studienangeboten.
Dieses Erfolgsmodell für Hochschule, Studierende und Unternehmen ist in den letzten 30 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut worden.
Der vorliegende Bericht beschreibt, ausgehend von der historischen Entwicklung der „Kooperativen Ingenieurausbildung“, das Konzept der Hochschule Niederrhein in enger Kooperation mit regionalen Unternehmen, Kammern und berufsbildenden Einrichtungen die bestehenden ausbildungsintegrierten Studiengänge auszubauen, neue Teilzeit- und berufsbegleitende Studiengänge zu konzipieren sowie zielgruppenspezifische Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu schaffen. Aufbauend auf den langjährigen Erfahrungen mit dem dualen Studium berichten die Autorinnen über strukturelle und konzeptionelle Entwicklungen und geben eine erste Bestandsaufnahme der Aktivitäten, die durch das BMBF-geförderte Projekt „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“ ermöglicht wurden.
The connection between vocational and academic education using the example of cooperative studies according to the “Krefeld model”. The successful model of the Niederrhein University of applied Sciences.
The model of a degree course which integrates different education pathways and was developed in 1981 by the Chamber of Industry and Commerce, regional companies and the Niederrhein University of applied Sciences, is a pioneering and best practice example for cooperative studies at German universities of applied sciences.
The significance of innovative educational provision is clearly visible in the popularity of the “cooperative studies according to the Krefeld model” amongst students and companies. Additional proof of its effective implementation is the high level of success in the cooperative studies.
This successful model for universities of applied sciences, students and companies has been continually further developed and expanded in the last thirty years.
This paper describes, starting with the historical development of the “cooperative studies for engineers”, the concept of the Niederrhein University of applied Sciences in close co-operation with regional companies, chambers and providers of vocational education and training, how to expand the existing degree courses which integrate different education and training courses, and how to conceive of new part-time courses and courses that can accompany full-time employment, as well as to create advisory measures and qualification measures for specific target groups. Building on many years of experience with cooperative studies, the authors report on the structural and conceptual developments and give an initial review of the activities which were made possible by the BMBF-supported project “Advancement through education: Open institutes of higher education”.
Duale Studiengänge erfahren in den letzten Jahren eine immer größere Beliebtheit, da sich das im Studium Gelernte unmittelbar im Unternehmen anwenden lässt (vgl. DIHK 2012). Wie eine aktuelle Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) zeigt, haben sich in den letzten sechs Jahren die Studienangebote in diesem Bereich mehr als verdoppelt. Die starke Nachfrage nach dualen Studiengängen geht sowohl von Studierendeninteressierten als auch von Unternehmen aus. Die Studie des IAQ, die sich mit dem ausbildungsintegrieten Studium aus Sicht der Studierenden beschäftigt, belegt, dass das duale Studium vor allem Studierende an die Hochschulen zieht, die aus nicht-akademischen Elternhäusern stammen. Damit bietet das duale Studium eine Möglichkeit zur Erschließung neuer Studierendenschichten (vgl. KRONE/ MILL 2012). Diese Erkenntnis ist richtungsweisend für die Ziele des BMBF geförderten Projektes „Die duale Hochschule“ an der Hochschule Niederrhein, die ausgehend von ihrer 30jährigen Erfahrungen in diesem Bereich mit der Schaffung neuer Studienstrukturen und -gänge weitere Studierendenschichten rekrutieren möchte.
Der vorliegende Beitrag reflektiert die Geschichte des dualen Studiums an der Hochschule Niederrhein von der Pilotphase in den frühen 1980er Jahren bis heute. Das Studienmodell spielt eine zentrale Rolle bei der strategischen Ausrichtung der Hochschule. Ausgehend davon wird in den folgenden Kapiteln auf die Entwicklung des dualen Studiums nach dem „Krefeld Modell“ sowie auf die aktuellen Ziele des oben genannten BMBF-Projektes eingegangen.
Die Hochschule Niederrhein bietet seit 1982 duale Studiengänge als Verknüpfung von praktischer Berufsausbildung und technisch-naturwissenschaftlichem Studium für Abiturienten [1] an. In Anlehnung an die Kategorisierung von Studiengängen nach IT NRW, die auch für die Genehmigung neuer Studiengänge herangezogen wird, definiert die Hochschule Niederrhein duale Studiengänge als ausbildungsintegrierte Studiengänge (vgl. IT.NRW 2012). Charakteristisch für diese Form der dualen Studienangebote ist die Kombination von Studium und betrieblicher Ausbildung, die inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmt ist, und auf einem Kooperationsvertrag zwischen Unternehmen und Hochschule basiert.
Das duale Studium nach dem „Krefelder Modell“ entspricht in seiner aktuellen Form der oben genannten Definition, wobei die Hochschule auf einen Kooperationsvertrag mit den Unternehmen verzichtet. Neben der Dualität der Lernorte Betrieb und Hochschule, ist diese Studienform an der Hochschule Niederrhein durch den Erwerb von zwei berufsqualifizierenden Abschlüssen gekennzeichnet. Dem Berufsabschluss. vor der Industrie- und Handelskammer sowie einem akademischen Diplom-, seit der Bologna-Reform einem Bachelorabschluss.
Das duale Studium nach dem „Krefelder Modell“ entstand Anfang der achtziger Jahre auf Anregung der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein unter dem Namen „Kooperative Ingenieurausbildung“, kurz KIA. Hintergrund der Überlegung war die Frage, wie dem durch die Bildungsexpansion hervorgerufenen Fachkräftemangel in der Region entgegengewirkt werden kann. Die Unternehmen in der Region befürchteten aufgrund der steigenden Zahl der Abiturienten (vgl. BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG 2002) nicht ausreichend qualifizierten Ingenieurnachwuchs mit Fachhochschuldiplom gewinnen zu können, der sich bis dahin traditionell aus den Haupt- und Realschülern rekrutierte, nachdem diese die Berufsausbildung abgeschlossen hatten (vgl. BROERMANN/ PFUNDTNER 1993, 8). Ziel der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ war und ist es hochqualifizierten Nachwuchs für die Unternehmen der Region auszubilden und den Studierenden attraktive Arbeitsmarktchancen zu eröffnen (vgl. BISCHOFF 1985, 5).
Von Seiten der Berufs- und Arbeitgeberverbände wurde die Einführung der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ kritisch gesehen, da befürchtet wurde, dass es aufgrund der erhöhten Arbeitsbelastung zu einem Qualitätsverlust im Studium sowie in der Facharbeiterausbildung kommt und damit die Vergleichbarkeit der Fachhochschulabschlüsse verloren ging. Kritisch wurde zudem die hohe Leistungsorientierung betrachtet. In diesem Zusammenhang äußerten die Verbände Bedenken, dass eine Ingenieur-Elite produziert wird, die von der Wirtschaft nicht benötigt werde (vgl. BISCHOFF 1985, 8f).
Nach intensiven Gesprächen mit der Industrie- und Handelskammer sowie der Hochschule Niederrhein, gab das Nordrhein-Westfälische Ministerium für Wissenschaft und Forschung im Juli 1982 den Erlass zur Erprobung von zwei ausbildungsintegrierten Modellstudiengängen [2] (Maschinenbau und Chemieingenieurwesen) für die Dauer von zehn Jahren bekannt (vgl. PFUNDTNER/ CORDES 1991, 1ff). Im darauf folgenden Wintersemester starteten zehn Unternehmen mit insgesamt 18 Studierenden die „Kooperative Ingenieurausbildung“ im Bereich Maschinenbau (15 Studierende) und Chemieingenieurwesen (3 Studierende) (vgl. BROERMANN/ PFUNDTNER 1993, 23). Im Jahr 1989 wurde das Angebot um den KIA-Studiengang Verfahrenstechnik ergänzt.
Die ersten positiven Erfahrungen der Hochschule Niederrhein mit den „KIA-Studierenden“ wurden von steigenden Studierendenzahlen begleitet (vgl. Abb. 1). Die steigenden Studienanfängerzahlen sowie die dauerhaften Unternehmenskooperationen lassen auf eine Akzeptanz des Modells bei Unternehmen und Studierenden schließen.
Abb. 1: KIA-Studienanfänger und beteiligte Ausbildungsbetriebe
(Maschinenbau und Verfahrenstechnik) (eigene Darstellung)
Die Untersuchungen der wissenschaftlichen Begleitung belegen, dass die zuvor geäußerten Befürchtungen eines Qualitätsverlustes, aufgrund der doppelten Belastung von Studium und Beruf nicht haltbar waren. Im Gegensatz zeigt die Untersuchung der wissenschaftlichen Begleitung, dass die „KIA-Studierenden“ bessere Leistungen erzielten und im Durchschnitt ein zügigeres Studium absolvierten als die grundständig Studierenden. Der Mittelwert der Abschlussnoten im Diplomstudiengang Maschinenbau lag im Wintersemester 1986/87 bei den KIA-Studierenden bei 2,0 und bei den grundständig Studierenden bei 2,45 (vgl. BROERMANN 1991, 7ff). Aufgrund der positiven Untersuchungsergebnisse der begleitenden Studie wurde die Idee des „Krefelder Modells“ auf andere Hochschulen übertragen. Die Hochschule Niederrhein hat ihr Angebot an dualen Studiengängen seither sukzessive ausgebaut und seit 2004 auf weitere Fachbereiche übertragen.
Ziel der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ war es, wie bereits beschrieben, aus der gesellschaftlichen Situation der Zeit heraus ein Fachhochschulstudium mit verstärktem Praxisbezug zu entwickeln, wobei der verstärkte Praxisbezug, bis heute, durch die folgenden drei Phasen gewährleistet wird: Berufsausbildung mit Kammerabschluss, praktische Phasen während des Studiums sowie eine praxisbezogene Abschlussarbeit im Studium (vgl. BROERMANN/ PFUNDTNER 1993, 5).
Im Modellstudiengang wird eine auf zwei Jahre verkürzte Berufsausbildung mit einem parallel laufenden grundständigen Studiengang verbunden, wobei die Inhalte der Ausbildung ausschließlich im Lernort Betrieb und die Lerninhalte des Studiums ausschließlich an der Hochschule unterrichtet werden. Die Berufsschule entfällt in diesem Modell. Die theoretischen Inhalte der Facharbeiterprüfung müssen sich die Studierenden eigenständig aneignen. Sie werden dabei vom Ausbildungsbetrieb sowie durch Prüfungsvorbereitungskurse der IHK unterstützt. Die Studieninhalte und Prüfungsanforderungen der KIA-Studiengänge entsprechen vollständig den Inhalten und Anforderungen der Vollzeitstudiengänge. Durch die Integration der Berufsausbildung verlängert sich der Studiengang um ein Jahr gegenüber dem grundständigen Vollzeitstudiengang, da die ersten beiden Semester des Regelstudiums auf vier Semester bei der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ gestreckt werden (vgl. PFUNDTNER/ CORDES 1991, 12ff). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die akademische und die berufliche Bildung unabhängig voneinander von unterschiedlichen Bildungspartnern angeboten werden. Die vieldiskutierte Verzahnung von Theorie und Praxis in dualen Studiengängen besteht im „Krefelder Modell“ durch die Eigen- und Transferleistung der Stuzubis [3] . Anrechnungen in der beruflichen Ausbildung erworbener Kompetenzen auf das Studium sowie eine inhaltliche Verzahnung sind zur Zeit nicht vorgesehen.
Das Ausgangsmodell sah vor, dass die KIA-Studierenden in den ersten vier Semestern bis zum Abschluss der Kammerprüfung ein Teilzeitstudium von zwei Tagen pro Woche absolvieren. Durch dieses Modell konnten zusätzliche Blockveranstaltungen in der vorlesungsfreien Zeit entfallen und die Anwesenheit im Betrieb erhöht werden (vgl. PFUNDTNER/ CORDES 1991, 12ff). Nach dem Abschluss der Kammerprüfung wechselten die KIA-Studierenden in ein Vollzeitstudium. Während dieser Zeit waren die Stuzubis in der vorlesungsfreien Zeit, sowie im letzten Semester, in einer praktischen Phase im Betrieb. Aus der praktischen Phase konnte sich das Thema der Abschlussarbeit ergeben. Im Laufe der Jahre musste die Studienorganisation mehrmals angepasst werden, um verschiedene Schwächen, z.B. die zeitliche Aufteilung von Studium und Betriebsphasen sowie die Abstimmung von Studium und Facharbeiterausbildung, zu verbessern (vgl. BROERMANN/ PFUNDTNER 1993, 6).
Das Modell besteht auch nach der Umstellung auf die Bachelorstudiengänge weitestgehend in seiner ursprünglich entwickelten Form. Die untenstehende Grafik veranschaulicht die aktuelle Studienorganisation der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ in einem achtsemestrigen Bachelorstudiengang.
Abb. 2: Studienstruktur dual – Studieren nach dem „Krefelder Modell“
Trotz der Verlängerung der Studiendauer um zwei Semester bedeutet dieses Modell einen Zeitvorteil von einem Jahr gegenüber der klassischen Hintereinanderschaltung von Ausbildung (bei Abiturienten auf zwei Jahre verkürzt) und dem grundständigen Vollzeitstudiengang (vgl. PFUNDTNER 1988, 14).
Der bis heute anhaltende Erfolg der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ besteht darin, dass es eine klare Abgrenzung zwischen den Ausbildungsinhalten sowie den Studieninhalten gibt. Dadurch entfallen erschwerende Absprachen zwischen den Beteiligten, eine direkte enge Kopplung von Ausbildungsberuf und Studiengang sowie die Verpflichtung der Unternehmen jedes Jahr ein festgelegtes Kontingent an dual Studierenden in einem Bereich auszubilden. Diese Struktur und die freie Wahl von anzubietenden Ausbildungsplätzen ermöglicht den Unternehmen somit größtmögliche Flexibilität im Bereich der bedarfsgerechten Ausbildung.
Die betriebliche Ausbildung ist nur zwischen den Studierenden und dem Ausbildungsbetrieb geregelt und bildet die Voraussetzung zur Aufnahme eines dualen Studiengangs an der Hochschule Niederrhein. Dieses Vorgehen bietet den Unternehmen den Vorteil, Studium und Berufsausbildung in einem durch die Hochschule und IHK vorgegebenen Rahmen[4] bedarfsgerecht aufeinander abzustimmen. Durch den sofortigen Transfer der akademischen Inhalte in die Berufspraxis sind die Studierenden optimal auf die späteren beruflichen Anforderungen vorbereitet.
Auf Zulassungsbeschränkungen kann in den dualen MINT-Studiengängen in der Regel verzichtet werden, da die Unternehmen in aufwendigen Verfahren nur die motiviertesten und leistungsstärksten Abiturienten rekrutieren (vgl. Abb. 3). Dies bedeutet, dass in der Regel alle Studieninteressierten bei Vorlage des Ausbildungsvertrages eingeschrieben werden. Die enge Verzahnung von Theorie und Praxis ermöglicht eine fundierte Vorbereitung auf die Anforderungen im späteren Berufsleben. Damit bietet die „Kooperative Ingenieurausbildung“ einen großen Vorteil für die Unternehmen, die so frühzeitig ihre Nachwuchskräfte aus guten und erfolgsorientierten Schulabgängern rekrutieren können.
Abb. 3: Durchschnittsnoten der Hochschulzugangsberechtigung von KIA- und grundständig Studierenden nach Fachbereich, WS 2010/11 und SS 2011/ Berichtsjahr 2011 (eigene Darstellung)
Duale Studienangebote wie die „Kooperative Ingenieurausbildung“ bieten jedoch nicht nur Vorteile für Unternehmen, auch die Stuzubis und die beteiligte Hochschule profitieren von diesen Angeboten. Für die Stuzubis bietet das Modell neben der Theorie-Praxis-Verzahnung sowie dem frühzeitigen Unternehmenskontakt den Vorteil, dass die Studienfinanzierung über die Ausbildungsvergütung gesichert ist. Ein weiterer Vorteil besteht in der zeitlichen Verkürzung gegenüber der klassischen Hintereinanderschaltung von Lehre und Studium. Jedoch erfordert die Verbindung von Ausbildung und Studium von den Stuzubis ein gutes Zeitmanagement. Die Hochschule gewinnt mit den dualen Studienangeboten motivierte und leistungsfähige Studierende, die regelmäßig zu den besten Studierenden in ihrem Studiengang zählen und die ihr Studium überwiegend in der Regelstudienzeit abschließen (vgl. Abb. 4 u. 6).
Abb. 4: Abb. 4: Notendurchschnitt- duale und grundständige Bachelorstudiengänge (eigene Darstellung)
Vorteilhaft für die Hochschule ist darüber hinaus der enge Kontakt zu den ausbildenden Unternehmen, der einen regelmäßigen Austausch und somit eine flexible Anpassung an regionale Gegebenheiten ermöglicht. Dies kommt der strategischen Ausrichtung der Hochschule Niederrhein als Hochschule der Region entgegen.
Aufgrund der Erfolge der dual Studierenden in den MINT-Studiengängen, die einerseits durch die guten Leistungen der Studierenden und andererseits durch die hohe Akzeptanz in den Unternehmen begründet ist, wird der Weiterentwicklung des dualen Studiums eine zentrale Rolle innerhalb der strategischen Ausrichtung der Hochschule beigemessen.
Das folgende Kapitel gibt einen kurzen Überblick über der Erfolg des Modells, anhand von statistischen Daten in Bezug auf den Studiererfolg und -fortschritt bevor im weiteren Verlauf auf die geplanten Entwicklungen eingegangen wird.
Wie schon in Abschnitt 2.3 erwähnt, werden die Stuzubis aus den motiviertesten und leistungsstärksten Abiturienten ihres Jahrgangs rekrutiert und sie weisen im Vergleich zu den grundständig Studierenden einen schnelleren Prüfungserfolg im Verlauf des Studiums auf, den die Hochschule Niederrhein durch die erreichten Kreditpunkte in Relation zu den erreichbaren misst (vgl. Abb. 5).
Abb. 5: Differenzierter Vergleich des Kreditpunkte-Erwerbs von grundständig und dual Studierenden aus dem WS 11/12 (eigene Darstellung)
Die Betrachtung der hier aufgeführten Kennzahlen gilt als wichtiger Indikator für die Beurteilung der Studierbarkeit dualer Studiengänge. Die Einhaltung der Regelstudienzeit (über 90% der dual Studierenden haben spätestens ein Semester nach der Regelstudienzeit den Bachelorabschluss) verweist auf die gelungene Umsetzung bestehender Studiengangsstrukturen sowie auf die hohe Motivation der dual Studierenden (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Quote Absolventen in RSZ, WS 2010/11 und SS 2011/ Berichtsjahr 2011 (eigene Darstellung)
Ein weiterer Indikator für den Erfolg des dualen Studiums nach dem „Krefelder Modell“ ist der Vergleich der Abschlussnoten von grundständig und dual Studierenden eines Studienganges. Wie bereits in Kapitel 2.3 angesprochen, schließen die dual Studierenden im Vergleich mit den grundständig Studierenden ihr Studium mit einer besseren Abschlussnote ab (vgl. Abb. 4).
Ähnlich wie bei der Betrachtung des Kreditpunkteerwerbs und der Studiendauer sind die Abschlussnoten Indikatoren für die Studierbarkeit eines dualen Studienganges. Die Stuzubis schaffen es, die gleichen Prüfungen wie die grundständig Studierenden trotzt höherer Belastung mit besseren Leistungen zu absolvieren. Die Doppelbelastung durch die parallele Ausbildung wirkt sich nicht negativ auf die Studienleistungen aus.
Das duale Studium ist für die Hochschule Niederrhein unter anderem vor diesem Hintergrund ein Erfolgsmodell, welches im Rahmen des BMBF-Projektes „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“ ausgeweitet werden soll. Neben der abgeschlossenen Implementierung der Bachelor-/ Masterstrukturen will man die weiteren Bologna-Ziele erreichen. Durch die Öffnung der Hochschule für Studierende ohne Abitur bzw. Fachabitur können bestehende Disparitäten hinsichtlich der Bildungsbeteiligung sukzessive aufgelöst werden. Dies führt zu einer Studierendenschaft, die sich hinsichtlich ihres Alters, ihrer Herkunft, ihres Bildungshintergrundes, ihrer Lebensbedingungen bzw. ihrer Belastungen während des Studiums etc. zunehmend unterscheiden wird. Die Diversifizierung der Studierendenschaft erfordert Regelungen zur Durchlässigkeit durch entsprechende Anrechnungsverfahren voraus erworbener äquivalenter Leistungen für beruflich Qualifizierte und eine qualifizierte Eingangsberatung.
Eine stärkere Bildungsbeteiligung ist nicht nur durch die Öffnung für Studierende ohne die traditionelle Hochschulzugangsberechtigung zu erwarten, sondern auch durch die notwendig gewordene lebenslange weiter Qualifikation Berufstätiger. Dieser Entwicklung wird durch die Schaffung berufsbegleitender Masterstudiengänge Rechnung getragen. Durch die parallele Berufstätigkeit bleibt die Anbindung an das Unternehmen bestehen und die Finanzierung des Studiums ist gesichert. Vor allem in wissensbasierten Berufsfeldern dürfte diese Form der Weiterqualifizierung von hoher Bedeutung sein. Globaler ausdrückt kann man davon ausgehen, dass in unserer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft künftig höhere Qualifikationsansprüche gestellt werden.
Wie bereits erwähnt plant die Hochschule Niederrhein im Rahmen des BMBF geförderten Projektes „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschule“ die zahlenmäßige und inhaltliche Ausweitung der aktuell 12 dualen Studienangebote auf weitere Studiengänge. Die permanent steigende Nachfrage seitens der Unternehmen und der Kammern nach dualen Studienangeboten – auch in weiteren Fachdisziplinen – an der Hochschule Niederrhein stützt diese Ausweitung.
Ziel des Projektes ist es Präsenzstudiengänge in Teilzeit zu entwickeln, die es den dual Studierenden ermöglichen, ihre im ersten Teil des Studiums erreichte Berufsausbildung auch im zweiten Teil des Studiums zu nutzen. Hierdurch wird es beruflich Qualifizierten erleichtert, ein Studium aufzunehmen und mit einer teilweisen Berufstätigkeit zu finanzieren. Gleichzeitig wird es Studierenden mit familiärer Belastung ermöglicht, ein geregeltes Teilzeitstudium zu absolvieren.
In enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Kammern (Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer und Steuerberaterkammer) wird die Ausweitung der dualen Studienangebote zu berufsbegleitenden Angeboten in höchstens anderthalbfacher Regelstudienzeit geplant, wobei die zwei Tage/ drei Tage Struktur der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ in den Grundzügen erhalten bleiben soll. Damit erhalten die dual Studierenden die Möglichkeit auch in der zweiten Studienphase des dualen Studiums parallel zu arbeiten und zu studieren. Zeitgleich werden die Studiengänge so für die Zielgruppen der beruflich Qualifizierten und der Studierenden mit familiärer Belastung geöffnet.
Neben der Schaffung neuer Studienstrukturen, die es beruflich Qualifizierten ermöglicht ein Studium aufzunehmen, müssen Konzepte zur individuellen Anrechnung beruflich erworbener Qualifikationen auf das Studium entwickelt werden. Ausgehend von der BMBF-geförderten ANKOM Initiative werden in diesem Zusammenhang hochschulweite Strukturen geschaffen. Darüber hinaus wird die Hochschule Niederrhein mit der Schaffung und Ausweitung von Brücken- und Angleichungskursen auf die verschiedenen schulischen und beruflichen Voraussetzungen bei den Studienanfängern reagieren. Die durch die unterschiedlichen Bildungsbiographien bestehenden Unterschiede zwischen Abiturienten einerseits und beruflich Qualifizierten andererseits müssen frühzeitig ausgeglichen werden, um einen erfolgreichen Studienverlauf zu ermöglichen. Neben den gerade genannten Angeboten stellt die Hochschule flankierend ein spezielles Beratungsangebot in der Studieneingangsberatung und studienbegleitend innerhalb der Fachbereiche zur Verfügung. In diesem Zusammenhang ist auch die Erweiterung des E-Learning-Angebotes, das durch gezielte Workshops für Lehrende sowie Beratungen und Einweisungen für Studierende didaktisch durchdacht ist, von großer Bedeutung.
Die durch die Schaffung von Teilzeitstrukturen erreichte Flexibilisierung der Studiengänge ist nicht nur für die Erschließung neuer Studierendenschichten relevant. Durch die Änderungen im Bereich der Facharbeiterprüfungen der Industrie- und Handelskammer verlagert sich die praktische Abschlussprüfung vor der Kammer in die Vorlesungszeit des fünften Semesters, das im klassischen Modell der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ als Vollzeitsemester absolviert wird. Mit der Einführung des Teilzeitmodells wird damit für die dual Studierenden eine bessere Studierbarkeit und größere Flexibilität im Bereich der betrieblichen Abschlussprüfung erreicht.
Die Erfahrung der letzten Jahre hat - gezeigt, dass die Studierenden in der Regel an fachlich weiterführenden Masterstudiengängen interessiert sind. Daher müssen auch in den konsekutiven Masterstudiengängen Strukturen geschaffen werden, die ein berufsbegleitendes Masterstudium ermöglichen. Dies soll möglichst den bewährten Strukturen der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ folgen, womit die Hochschule ressourcenschonend die verschiedenen Modelle anbieten kann. Geplant ist das grundständige Curriculum um ein Semester zu verlängern. Durch diese Streckung kann das Studium auf zwei bis drei Studientage an der Hochschule komprimiert werden, wodurch es den Studierenden ermöglicht wird, weiterhin im Beruf tätig zu sein. Die Masterarbeit wird möglichst im Rahmen der Berufstätigkeit und in enger Abstimmung mit den betreuenden Professoren durchgeführt. Für die Hochschule bietet diese Struktur den Vorteil, dass die im Masterprogramm gewünschte Forschungsverschränkung mit den Unternehmen auf diesem Wege intensiviert wird.
Die Hochschule plant zusätzlich, die Zusammenarbeit mit den Handwerkskammern im Bereich des dualen Studiums zu intensivieren. Neben ersten positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit im Bereich des dualen Studiums ist die Kombination eines Bachelorstudiengangs und einer Meisterausbildung geplant. Ziel ist es, aus dem Wirtschaftsbereich Handwerk neue Studierende zu gewinnen, die nach einer abgeschlossenen Schul- oder Berufsausbildung beziehungsweise in einer beruflicher Tätigkeit vor dem Konflikt stehen, ob sie eine Meisterausbildung oder ein Studium aufnehmen sollen. Diese Kombination soll langfristig die qualifizierte Nachwuchsarbeit im Wirtschaftsbereich Handwerk bei paralleler akademischer Ausbildung sicherstellen. Neben der Handwerkskammer können mit ausgewählten Berufskollegs weitere Bildungsträger in die Studienmodelle integriert werden. Dazu sollen Lehrkooperationen mit einem vorab definierten Qualitätsrahmen geschlossen werden, umso die Qualität der dualen Studienangebote bei verstärkter Praxisorientierung zu gewährleisten. Dabei verbleibt die Prüfungshoheit der einzelnen Module, aus Aspekten der Qualitätssicherung und der Beibehaltung der Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen, bei der Hochschule.
Die Schaffung solcher Studienmodelle, die zusätzliche Qualifikationen zum akademischen Abschluss erlauben und Freiräume für Studierende mit weniger verfügbarer Zeit ermöglichen, darf dabei nicht zu einem Qualitätsverlust der Lehre bzw. des traditionell erwerbbaren Studienabschlusses führen. Aus diesem Grunde ist es zeitgleich notwendig, die Qualität in der akademischen Ausbildung durch parallele Maßnahmen, wie kooperatives Lernen, kontinuierliche und flächendeckende Studienverlaufsberatungen sowie Tutorien/ Repetitorien, im Sinne der Studierenden wie auch der Hochschule zu stärken.
Die seit der Pilotphase der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ gewonnenen Erfahrungen mit dualen Studienangeboten ermöglichen der Hochschule Niederrhein, sich frühzeitig auf regionale Anforderungen des Arbeitsmarktes an die Absolventen einzustellen. Hochqualifizierte Studierende mit berufspraktischer Erfahrung gewährleisten einen schnellen Einstieg in das Berufsleben und verringern wesentlich die Einarbeitungszeit in einem Unternehmen. Aus studentischer Sicht ist zwar eine hohe Belastung während des Studiums gegeben, jedoch wiegen die Zielorientierung im Studium und die insgesamt verkürzte parallele Ausbildung die temporären Belastungen auf. Die außerordentlichen Arbeitsmarktchancen, dank der eingeübten Transferleistungen des akademischen Wissens in den Berufsalltag, weisen das Modell als erfolgreich aus.
Das in diesem Beitrag vorgestellte organisatorische Modell des dualen Studiums ist von didaktisch strukturierteren dualen Studienmodellen zu differenzieren. Während sich letztgenannte durch eine hohe inhaltliche Verzahnung von Lehrinhalten auszeichnen, sieht die Hochschule Niederrhein Vorteile in der erstgenannten Form des dualen Studiums. Die aus dem Organisationskonzept des „Krefelder Modells“ resultierenden geringen Einstiegshürden für Unternehmen ermöglichen diesen eine bedarfsgerechte Ausbildung im Hinblick auf die Kombination von Ausbildungsberuf und Studium sowie in Hinblick auf die jährliche Personalplanung der Unternehmen. Für den Studierenden bedeutet dieses Konzept zwar auf der einen Seite eine höhere Anstrengung bezüglich des selbstorganisierten Lernens und des Zeitmanagements. Die dadurch gewonnen Soft Skills, wie Zeit- und Selbstmanagement machen die Stuzubis jedoch zu begehrten Arbeitskräften. Aktuell werden die langjährig gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse mit dualen Studiengängen an aktuelle gesellschaftliche, politische und arbeitsmarktbezogene Entwicklungen angepasst. Die Herausforderung wird darin bestehen, bei der zielgruppenspezifischen Studiengangsentwicklung, die Bedürfnislagen der neuen Zielgruppen zu erforschen und zu beachten. Das sind zum einen Unterschiede, die sich aus den verschiedenen Bildungsbiographien ergeben, und zum anderen besondere Herausforderungen wie eine parallele Erwerbstätigkeit oder familiäre Belastungen. Die Regelung von Anrechnungsverfahren für beruflich Qualifizierte, Interventionsmaßnahmen für Studierungeübte und die zeitliche Passung der Studienangebote sind nur erste Maßnahmen, die die Akzeptanz der Angebote für die neuen Studierendenschichten verbessern sollen.
Die Hochschule Niederrhein stellt sich mit den beschriebenen Maßnahmen der Herausforderung, auch einer zunehmend heterogenen Studierendenschaft ein zügiges und erfolgreiches Studium mit hohem Qualitätsanspruch zu ermöglichen.
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[1] Der besseren Lesbarkeit halber, verwenden die Autorinnen im Text nur die männliche Form. Selbstverständlich sind damit Frauen und Männer gleichermaßen gemeint.
[2] Die als Pilotprojekt gestarteten KIA-Studiengänge wurden ab 1986 wissenschaftlich durch die Arbeitsstelle „Studium neben dem Beruf“ der Fernuniversität Hagen begleitet. In einer empirischen Studie wurde Stärken und Schwächen der Modellstudiengänge kritisch beleuchtet. Dabei ging es besonders um Bildungs- und arbeitsmarktpolitische Überlegungen, die Qualität der „Kooperativen Ingenieurausbildung“, die Studienorganisation und Studienbelastung, den Studienverlauf der dual Studierenden und die Interessen und Motive der beteiligten Unternehmen (vgl. BROERMANN 1991, 39f).
[3] Bezeichnung von Studierenden in ausbildungsintegrierten Studiengängen
[4] Durch die Festlegung möglicher kombinierbarer Ausbildungsberufe.
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