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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS22 - Geringqualifizierte
Herausgeber: Eckart Severing & Jürgen Spatz


Titel:
Wie werden aus An- und Ungelernten Fachkräfte?


Förderung der beruflichen Weiterbildung durch integrierte Sprachförderung

Beitrag von Monika BETHSCHEIDER (Bundesinstitut für Berufsbildung Bonn)

Abstract

Individuen treffen ihre Entscheidung für oder gegen Weiterbildung nicht unbedingt in Entsprechung zu einem möglichen Qualifikationsbedarf - im Gegenteil: Die Weiterbildungsbeteiligung nimmt mit dem Bildungsgrad zu und mit sinkender schulischer und beruflicher Qualifikation ab. Dieser Zusammenhang ist hinlänglich bekannt und gilt für alle Bevölkerungsgruppen in Deutschland, unabhängig von der natio-ethno-kulturellen Herkunft. Migrantinnen und Migranten sind aber auch unter Berücksichtigung ihres Qualifikationsniveaus in der beruflichen Weiterbildung unterrepräsentiert. Um hier notwendige Veränderungen einzuleiten, setzt die Politik bislang vor allem auf finanzielle Anreize. Das allein reicht jedoch nicht aus. Die Beteiligung an beruflicher Weiterbildung zu erhöhen und den Lernerfolg von Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu steigern, erfordert auch eine stärkere Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen. Dabei muss gemeinsam mit den Fachinhalten auch die sprachliche Form ihrer Präsentation in den Blick genommen werden. Um zum einen der Lernsituation von Personen deutscher oder nichtdeutscher Herkunftssprache Rechnung zu tragen, die schulungsungewohnt sind und zum zweiten bei Bedarf auch Personen unterstützen zu können, die lerngewohnt sind, sich die Weiterbildungsinhalte aber in Deutsch als Zweitsprache erarbeiten, ist die Qualifizierung des Lehrpersonals für eine sprachsensible Vermittlung von Fachinhalten notwendig. Dies umfasst sowohl die Förderung bildungssprachlicher Kompetenzen als auch eine gezielte Unterstützung bei der Aneignung berufsfachlicher Inhalte in Deutsch als Zweitsprache.

1 Weiterbildungsbeteiligung und Weiterbildungshemmnisse bei Migrantinnen/Migranten

Berufliche Weiterbildung gilt als ein zentrales Instrument  zur Reduzierung des Arbeitslosigkeitsrisikos und Schlüssel zur Beschäftigungsfähigkeit. Allerdings nimmt die Weiterbildungsbeteiligung mit dem beruflichem Integrationsbedarf nicht zu, sondern das Gegenteil ist der Fall: Eine Auswertung von Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) bestätigte neuerlich den Befund, dass das Interesse und die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Grad der Schulbildung und der berufliche Qualifikation zunimmt; dies gilt für alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von der natio-ethno-kulturellen Herkunft im Einzelfall (ÖZTÜRK 2009). Migrantinnen und Migranten sind aber auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache in Weiterbildungsmaßnahmen unterrepräsentiert. So betrug im Jahr 2007 die Beteiligungsquote an beruflicher Weiterbildung bei Deutschen ohne Migrationshintergrund 28%, bei Deutschen mit Migrationshintergrund 20% und bei Ausländerinnen/Ausländern 20% (ROSENBLADT/ BILGER 2008, 78). Dieses Gefälle ist von Fachleuten wiederholt mit dem Hinweis kommentiert worden, seine Ursachen könnten auch unter Berücksichtigung von Erwerbsstatus und beruflicher Position „nicht restlos aufgeklärt werden“ (vgl. zuletzt ENDERS/ REICHARD 2010, 139). Solcher Mangel an Erkenntnissen dürfte nicht zuletzt darin begründet sein, dass - wie der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem letztjährigen Gutachten feststellte (vgl. SACHVERSTÄNDIGENRAT 2010, 177) - die Weiterbildung von Zuwanderern und ihren Kindern lange Zeit vernachlässigt und ihre Dringlichkeit erst spät erkannt worden ist. Nach Gründen, die speziell Migrantinnen und Migranten daran hindern können, Angebote der beruflichen Weiterbildung wahrzunehmen, wurde auch in großen Erhebungen bislang nicht systematisch gefragt (zur Nichtteilnahme an Weiterbildung im Adult Education Survey, vgl. ROSENBLADT/ BILGER 2008, 129) und die grundlegende Bedeutung, die das Lernen in Deutsch als Zweitsprache für die Betreffenden haben kann – auch und gerade, wenn sie gemeinsam mit Muttersprachler/Muttersprachlerinnen einen Kurs besuchen - nicht eigens berücksichtigt. Nach wie vor herrscht offenbar die Einschätzung vor, dass Migrant/Migrantinnen erst einmal Deutsch lernen sollten, um sich auf Grundlage erfolgreich erworbener Sprachkenntnisse auch beruflich weiter zu qualifizieren. Sprachförderung allein aber, dies wissen wir spätestens seit der wissenschaftlichen Begleitforschung zu Maßnahmen der berufsbezogenen Sprachförderung, „greift häufig zu kurz“ (DEEKE 2007).

2 Sprachförderung speziell für Migrantinnen und Migranten: Berufsbezogenes Deutsch

Im Jahr 2004 begann die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit Unterstützung des Europäischen Sozialfonds (ESF), berufsbezogene Deutschkurse für Arbeitslose mit Migrationshintergrund zu fördern, in denen die Vermittlung berufsbezogener Deutschkenntnisse mit einem Bewerbungstraining verbunden werden sollte. Die Eingliederungsquoten, die damit erzielt wurden, waren gering: Am Ende des sechsten Monats nach Beendigung der ESF-BA-Sprachkurse im letzten Quartal 2004 waren nur rund 15 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dieses Ergebnis dürfte, wie DEEKE (2007) ausführt, nicht zuletzt auf das niedrige formale Qualifikationsniveau der Probanden zurückzuführen sein: In den Jahren 2004 und 2005 hatten fast neunzig Prozent der Untersuchungspersonen keine abgeschlossene Berufsausbildung (eingeschlossen zugewanderte Personen, deren Berufsausbildung in Deutschland nicht anerkannt worden war) und rund die Hälfte der Geförderten hatte keinen dem deutschen Hauptschulabschluss vergleichbaren Abschluss. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die betreffenden Personen auch unabhängig von ihrem Migrationsstatus erhebliche Probleme haben würden, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten (ebda., 4). In einer Wirkungsanalyse der Förderung berufsbezogener Deutschförderung in Verbindung mit beruflicher Weiterbildung von arbeitslosen Migrant/Migrantinnen bestätigte sich diese Einschätzung insofern, als allein der Abschluss einer beruflichen Weiterbildung die Beschäftigungschancen der Probanden erhöht und ergänzende Deutschförderung einen – wenngleich schwachen – zusätzlichen positiven Effekt zeigt (DEEKE 2010, 54). Insofern können die Ergebnisse als empirischer Beleg dafür gelten, dass es Sinn macht, den Erwerb theoretischer und/oder praktischer Qualifikationen mit einer gezielten Förderung berufsbezogener deutschen Sprachkenntnisse zu verbinden.

Angebote zum Erwerb sprachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten als „berufsbezogenes Deutsch“ beziehen sich auf das Handeln in einen konkreten beruflichen Kontext. Dies betrifft z.B. eine Terminabsprache zu treffen, Arbeitsanweisungen zu verstehen und/oder zu erteilen, bei Teamsitzungen im kollegialen Kreis diskutierte Vorschläge zu kommentieren und eigene Bewertungen zu begründen, Arbeitsprozesse und -ergebnisse zu dokumentieren, Kunden und Vorgesetzte in angemessener Form anzusprechen u.v.a.m. (DIE 2009). Es geht dabei vor allem um die Bewältigung von Kommunikationssituationen, die im Zusammenhang bestimmter Arbeitsabläufe und in bestimmten Unternehmen z.B. mit Kundinnen/Kunden oder zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen entstehen, und dabei angesichts der Komplexität beruflicher Anforderungen in zunehmendem Maße auch um Formen schriftsprachlicher Kommunikation. Für die ESF-Förderperiode 2007-2013 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit der Durchführung entsprechender Maßnahmen beauftragt. Zielgruppe des Programms sind alle nicht schulpflichtigen Personen mit Migrationshintergrund, die einer fachlichen und sprachlichen Qualifizierung für den ersten Arbeitsmarkt bedürfen. Die Kurse bestehen aus einem berufsbezogenem Deutschunterricht und Qualifizierungsteilen, die Fachunterricht, Praktika und Betriebsbesichtigungen umfassen können. Aus dem ESF wurden zu Beginn rund 330 Millionen Euro für das Programm zur Verfügung gestellt (vgl. BAMF 2010, 58).

3 Sprachförderung im Rahmen der Regelkurse beruflicher Weiterbildung: Qualifizierungsbezogenes Deutsch und weiterbildungsbegleitende Hilfen

Im Hinblick auf die Vorbereitung auf eine bestimmte berufliche Praxis hat sich die Einsicht in den untrennbaren Zusammenhang des Erwerbs berufsspezifischer Kenntnisse und sprachlicher Förderung somit offenbar durchgesetzt. Dies gilt aber nicht für Lernprozesse, die im Rahmen beruflicher Weiterbildung stattfinden: Zwar sieht das Programm grundsätzlich auch die Möglichkeit einer berufsbezogenen Deutschförderung im Rahmen der Regelangebote beruflicher Weiterbildung vor, sofern dies „über das Angebot des ESF-BAMF-Programms hinaus (…) erforderlich“ ist (ebda., 59). Aufgrund der engen Vergaberichtlinien ist diese Regelung aber kaum in die Praxis umzusetzen. Denn während Migrant/Migrantinnen in Kursen zur Vermittlung berufsbezogener Deutschkenntnisse unter sich sind, lernen sie in Standardkursen der beruflichen Weiterbildung zusammen mit Personen, die Deutsch als Muttersprache erworben haben und sind dort zumeist deutlich in der Minderheit. Die notwendige Anzahl von 18 Migrant/innen dürfte schon aus diesem Grund und angesichts der angestrebten Gesamtzahl von 22 Teilnehmerinnen (BAMF 2009, 13) nur in seltenen Ausnahmefällen zu erreichen sein.

Aber gerade die gemeinsame Erarbeitung von Wissen durch Personen mit deutscher und solche anderer Muttersprache ist ein konstitutives Merkmal beruflicher Weiterbildungskurse, das sich nachhaltig auf die Lernsituation auswirken kann, ohne dort bislang die notwendige Berücksichtigung zu finden.

Wer den Lehrgang in Deutsch als Zweitsprache absolviert, erlernt die Fachinhalte in derselben, oft knapp bemessenen Zeit wie die muttersprachlichen Kursteilnehmer/innen. Auch bei Personen, die über gute mündliche deutsche Sprachkompetenz verfügen, können jedoch Verständnisschwierigkeiten auftreten, etwa wenn ein relevanter Begriff unbekannt ist oder ein komplexer Sinnzusammenhang auch grammatikalisch erst entschlüsselt werden muss. Gerade wenn Migrant/Migrantinnen die Minderheit der Kursteilnehmenden stellen, äußern sie sprachliche Verständnisschwierigkeiten nur in Ausnahmefällen – sei es weil sie es als unhöflich empfinden, den Kurs mit ihren Fragen aufzuhalten oder sich gegenüber der muttersprachlichen Mehrheit keine Blöße geben wollen (vgl. dazu BETHSCHEIDER/ TROLTSCH 2007). Um hier ausgleichend wirken und die Teilnehmer/Teilnehmerinnen im Rahmen des Fachunterrichts auch sprachlich fördern zu können, benötigt das Lehrpersonal Wissen und Sensibilität für den Umgang mit kulturellen Unterschieden und die Beziehungsseite der Kommunikation sowie die Kompetenzen, die notwendig sind für eine sprachsensible Vermittlung der Fachinhalte. Letzteres betrifft 1. eine Reflexion und Bewusstheit im eigenen Sprachverhalten sowie 2. didaktische Fähigkeiten und Kenntnisse zur Unterstützung der Teilnehmer/Teilnehmerinnen im Umgang mit Bildungssprache, die 3. durch „weiterbildungsbegleitende Hilfen“ als Angebot vertiefender Förderstunden zu ergänzen sind.

3.1 Aufmerksamkeit des Lehrpersonals für das eigene Sprachverhalten

Grundlage der Verständigung in den Kursen ist die deutsche Sprache; im Idealfall sollte deshalb vorab eingeschätzt werden können, welche sprachlichen Voraussetzungen für eine Teilnahme unverzichtbar sind und entsprechend auch der Kenntnisstand potenzieller Teilnehmer/Teilnehmerinnen bewertet werden. Aber auch wenn deutsche Sprachkenntnisse selbstverständlich vorausgesetzt werden müssen, ist „virtuose Mehrsprachigkeit“ (MAAS zit. in SÜRIG 2006, 10) die Ausnahme. Auch Fachlehrkräfte sollten deshalb in der Lage sein, die besondere Lernsituation von Zweitsprachlern/Zweitsprachlerinnen zu berücksichtigen, indem sie ihre eigenen Sprachverhalten reflektieren und sich Kenntnisse über das Lernen in der Zweitsprache Deutsch sowie diejenigen Strukturen der deutschen Sprache aneignen, die das Verständnis der Inhalte erschweren können. Die scheinbaren Selbstverständlichkeiten, um die es hierbei geht, stellen sich nicht von allein ein, denn häufig achten Sprecher/Sprecherinnen vor allem darauf, was sie sagen und weniger darauf, wie sie dies –gerade auch gegenüber nicht-muttersprachigen Lernenden - tun und ihre Inhalte didaktisch zu vermitteln suchen (vgl. POSITIONSPAPIER 2010).

Die Aufmerksamkeit für die sprachliche Seite des Lehrens, um die es hier geht, meint keine inhaltlichen Vereinfachungen, sondern sie betrifft z.B.

  • ein akzentuiertes und dialektfreies Sprechen
  • die eindeutige Verwendung von Begriffen und
  • den Gebrauch gängiger Begriffe (leichtere Synonyme)
  • einfachen Satzbau unter Vermeidung von komplizierten Satzkonstruktionen (Verzicht z.B. auf das Auseinanderreißen zusammengesetzter Verbformen und den Gebrauch eingeschobener Relativsätze )
  • die Verbindung verbaler und visueller Vermittlungsformen, um eine verständniserschwerenden Sprachlastigkeit bei der Darstellung von Fachinhalten zu vermeiden.

Kenntnisse und Fähigkeiten, die hier gefordert sind, kann sich jede Fachlehrerin/ jeder Fachlehrer aneignen. Sprachliche Klarheit der Lehrkräfte ist besonders wichtig in der Kommunikation mit Personen, die sich mit den Inhalten in Deutsch als Zweitsprache auseinandersetzen. Sie liegt aber, wie Interviews mit Teilnehmer/Teilnehmerinnen unterschiedlicher Herkunft gezeigt haben (BETHSCHEIDER/ SCHWERIN 2005), im Interesse aller Lernenden, unabhängig von der natio-ethno-kulturellen Herkunft und Muttersprache.

3.2 Unterstützung der Teilnehmer/Teilnehmerinnen im Umgang mit Bildungssprache

Berufliche Weiterbildung zielt auf ein (Fach-) Wissen, der nicht im berufspraktischen Tun erworben, sondern unabhängig von einem konkreten Handlungskontext vermittelt wird. Die dabei eingesetzten Fachtexte weisen sprachliche Strukturen auf, die allein mit der im Alltag erworbenen kommunikativen Kompetenz nicht zu bewältigen sind. Dies wird deutlich in der Unterscheidung von Umgangs- oder Alltagssprache (BICS= Basic Interpersonal Communicative Skills) und Bildungssprache (CALP = Cognitive Academic Language Proficiency), die zurückgeht auf das Konzept von Cummins (1979): Umgangssprache ist an persönliche Kommunikation gebunden (face-to-face), als „Nähesprache“ wird sie mündlich eingesetzt und gestützt durch Gestik, Mimik und Intonation. Umgangssprache ist eingebettet in konkrete Gesprächssituationen und auch unabhängig von der grammatikalischen Korrektheit oder lexikalischen Differenziertheit der jeweiligen Aussagen verständlich („kommste?“). Umgangs- oder Alltagssprache ist intellektuell anspruchslos, gerade Kinder erlernen sie relativ schnell auch in der Zweitsprache und bewältigen damit Kommunikationssituationen, die dem Lernen in der Bildungsinstitution Schule zeitlich vorangehen.

Im Unterschied dazu erfordern die Lernprozesse in beruflicher Weiterbildung kognitive Kompetenzen für das Verständnis von und den eigenständigen Umgang mit Bildungssprache. Der Begriff bezeichnet das formelle Sprachregister, das „in Lernaufgaben, Lehrwerken und anderem Unterrichtsmaterial sowie in Prüfungen verwendet“ wird und das eine umso größere Rolle spielt, je weiter eine Bildungsbiographie fortgeschritten ist, denn die Ausdifferenzierung in Fächer bzw. Fächergruppen ist verbunden mit der Verwendung bestimmter Wortbestände, Redeweisen und Textsorten (GOGOLIN 2009, 61). Bildungssprache ist u.a. durch folgende Merkmale gekennzeichnet (vgl. REICH 2008, zit. in SALEM 2010, 10):

  • die Orientierung an formaler und grammatikalischer Korrektheit
  • einen hohen Anteil monologischer Formen (z.B. Vortrag, Referat, Aufsatz)
  • fachgruppentypische Textsorten (Protokoll, Bericht)
  • stilistische Konventionen (logische Gliederung, Sachlichkeit, angemessene Textlänge)
  • nominale Zusammensetzungen („Winkelmesser“; „Datenerfassungsgerät“)
  • umfängliche Attribute („die nach oben offene Richter-Skala“, „der sich daraus ergebende Schluss“ (GOGOLIN/ LANGE 2010)
  • normierte Fachbegriffe („rechtwinklig“, „Dreisatz“)
  • Funktionsverbgefüge („zur Explosion bringen“, „in Betrieb nehmen“)
  • differenzierende und abstrahierende Ausdrücke („nach oben transportieren“ statt „raufbringen“)
  • unpersönliche Konstruktionen (Passivsätze, man-Sätze)

Bildungssprache kennzeichnet insbesondere Fachtexte, sie darf aber nicht grundsätzlich mit schriftlicher Kommunikation gleichgesetzt werden – in einer hochtechnisierten Arbeitswelt gibt es auch eine Vielzahl dekontextualisierter mündlicher Kommunikationssituationen, die einen expliziten, präzisen und objektiven Gebrauch von Sprache erfordern (vgl. POSITIONSPAPIER 2010, 8). Auch im Mündlichen eingesetzt, hat Bildungssprache jedoch mehr mit der Schriftsprache gemein als mit der Alltagssprache (SALEM 2010, 9). Um in der Weiterbildung mit Fachtexten arbeiten zu können, müssen die Lernenden über diejenigen sprachlichen Kenntnisse verfügen, die notwendig sind, um die logische Verknüpfung komplexer Sachverhalte zu verstehen und in der Lage sein, auch die damit verbundenen sprachlichen Strukturen zu entschlüsseln. Teilnehmer/Teilnehmerinnen, bei denen die notwendigen bildungssprachlichen Kompetenzen nicht vorhanden sind, benötigen eine Anleitung, um sie entwickeln zu können. Auch dies gilt sowohl für Personen mit Deutsch als Muttersprache als auch für Personen, die Deutsch als Zweitsprache erlernt haben. Das Fachlehrpersonal ist damit vor zusätzliche Anforderungen gestellt, für die es einer zusätzlichen Qualifikation bedarf.

3.3 Weiterbildungsbegleitende Hilfen als Angebot zur Vertiefung sprachlicher und fachlicher Inhalte

Fachlehrkräfte sollten auf ihr eigenes Sprachverhalten achten und relevante fachsprachliche Strukturen schnell erkennen können. Sie sollten darüber hinaus auch in der Lage sein, Texte sprachlich zu entlasten (etwa durch den Einsatz von Fotos, Zeichnungen und Diagrammen) und komplexe bildungssprachliche Formulierungen analysieren und vereinfachen können, ohne dass relevante Inhalte verloren gehen ( „Fachtexte knacken“, vgl. OHM u.a. 2007). Eine solche Arbeit am Text wird bei Bedarf auch gemeinsam mit den Teilnehmer/Teilnehmerinnen durchgeführt, um schulungsungewohnte Personen im Umgang mit Bildungssprache zu fördern. Dies schließt die Vermittlung bzw. den Erwerb von Kenntnissen zum Einsatz von Textverstehens-, Lese- und Lernstrategien ein.

Im Rahmen des Kernunterrichts von Weiterbildung ist eine solche individuelle Förderung nur eingeschränkt, d.h. eher implizit und unter Berücksichtigung der Lernbedarfe der Gesamtgruppe möglich: Sie nimmt viel Zeit in Anspruch, die dann an anderer Stelle fehlt, und wird auch nicht von allen Teilnehmer/Teilnehmerinnen in gleicher Weise benötigt. Hier setzen weiterbildungsbegleitende Hilfen an als Angebot zusätzlicher Stunden (2-3 Mal pro Woche), in denen die im Fachunterricht behandelten Inhalte wiederholt und vertieft werden. Weiterbildungsbegleitende Hilfen stellen zusätzliche Zeit für Fragen bereit und um individuelle sprachliche wie fachliche Unterstützung durch das Lehrpersonal in Anspruch zu nehmen, sie ermöglichen Kleingruppenarbeit, in der auch stille Teilnehmer/Teilnehmerinnen sich eher äußern und mit eigenen Beiträgen einbringen als in der Großgruppe. Im Rahmen der weiterbildungsbegleitenden Hilfen können Fachlehrkräfte ihre Teilnehmer/Teilnehmerinnen bei der Aneignung berufsfachlicher Inhalte – ggf. in Deutsch als Zweitsprache – und den damit verbundenen bildungssprachlichen Anforderungen unterstützen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um eine Weiterführung des regulären Unterrichtsstoffs, sondern allein um dessen absichernde Bearbeitung unter Berücksichtigung sprachlicher Aspekte mit dem „Ziel, spezifische Adressatengruppen dabei zu unterstützen, fachliche Lücken zu schließen, sich nicht oder unzureichend verstandene Inhalte anzueignen und die in Deutsch als Zweitsprache zum Verständnis notwendige Kompetenz zu entwickeln“ (POSITIONSPAPIER 2010, 14). Die Fachinhalte und die sprachliche Form, in der sie dargestellt sind, verstanden und ggf. reproduziert werden müssen, werden dabei gemeinsam in den Blick genommen .

4 Fazit und erste Schritte zur Qualifizierung des Lehrpersonals

Im Rahmen des vom BMAS geförderten Netzwerks „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) finden unter der Regie der Koordinierungsstelle Berufsbezogenes Deutsch seit 2005 regelmäßige Fortbildungen zu didaktisch-methodischen Themen des berufsbezogenen Deutschunterrichts statt mit dem Ziel, Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache die notwendigen Instrumente für einen qualifizierten Umgang mit Anforderungen des berufsbezogenen Deutschunterrichts an die Hand zu geben (vgl. BAMF 2010, 59). Das Angebot richtet sich primär an das regionale Netzwerk in Hamburg. Eine zunehmende Nachfrage aus dem gesamten Bundesgebiet verdeutlicht den großen Weiterbildungsbedarf, der zu diesem Thema besteht und dass dieser auch in zunehmendem Maße wahrgenommen wird (vgl. ebd.).

Demgegenüber ist im Hinblick auf die Qualifizierung von Fachlehrpersonal für eine Sprachförderung, die nicht als additives Angebot und speziell für Migranten/Migrantinnen konzipiert, sondern in die Regelangebote beruflicher Weiterbildung integriert wird, noch Pionierarbeit zu leisten: Das Thema Sprachförderung wird bislang, so das Ergebnis einer Untersuchung, in der u.a. Interviews mit Ausbilder/Ausbilderinnen, Fachlehrkräften und Wissenschaftler/Wissenschaftlerinnen durchgeführt wurden, „von den meisten befragten Fachlehrkräften (…) auf die entsprechenden Sprachlehrkräfte verlagert und nicht als eigene Aufgabe wahrgenommen“ (KIMMELMANN 2010, 10). Es erfährt auch keine der berufsbezogenen Deutschförderung vergleichbare finanzielle Unterstützung. Vorliegende Ansätze zur Förderung sprachlicher Kompetenzen von Lernenden in der Aus- und Weiterbildung zielen überwiegend auf eine Verbesserung der im Fachunterricht eingesetzten Lehr- und Lernmaterialien (vgl. die Aufstellung in AMKA 2011, 5f.). Diese Materialien sind unverzichtbar, doch reicht allein ihr Vorhandensein nicht aus. Um die Unterrichtsqualität zu verbessern für Personen, die Deutsch als Zweitsprache erlernt und/oder wenig Erfahrung im Umgang mit Bildungssprache haben, bedarf es auch sprachsensibilisierende Fortbildungsangebote für Ausbilderinnen/Ausbilder und das Lehrpersonal in der beruflichen Weiterbildung.

Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/Main hat deshalb seit 2008 in Absprache mit der örtlichen Grundsicherungsstelle eine Reihe von Fortbildungsveranstaltungen für Ausbilderinnen/Ausbilder und Fachlehrkräfte zur Sprachensensibilisierung des Lehrpersonals und teilnehmerorientierten Bearbeitungsstrategien für berufsbezogene Fachtexte durchgeführt. Es wurden Fortbildungsmodule entwickelt (AMKA 2011) und den Weiterbildungsträgern in der Region sowie im April d.J. erstmals auch bundesweit kostenlos angeboten. Bis Ende 2010 sind insgesamt 18 dieser Module von jeweils einem Wochenende Dauer durchgeführt worden. Damit liegen erste Erfahrungen mit einer Qualifizierung des beruflichen Bildungspersonals im hier skizzierten Sinne vor. Notwendig ist nun der nächste Schritt: eine systematische Erhebung des Fortbildungsbedarfs unter Ausbilderinnen/Ausbildern und Fachlehrkräften sowie die Evaluierung und systematische Weiterentwicklung von bereits erprobten Fortbildungsmodulen.

Formal steht berufliche Weiterbildung grundsätzlich jedermann offen - unabhängig von der im Einzelfall erworbenen Muttersprache und Bildungserfahrung. De facto aber stellen die Kurse speziell Personen, die Deutsch als Zweitsprache erlernt und/oder wenig Schulungserfahrung haben, vor besondere Anforderungen. Von daher ist es von grundlegender Bedeutung, dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Angebotsstrukturen auch wirklich greifen und geeignet sind, auf die Lernsituation ihrer Adressaten in angemessener Weise einzugehen. Es ist heute weniger der formale Ausschluss aus Institutionen, der Teilhabe verunmöglicht, als deren inhaltliche Ausgestaltung (vgl. KRONAUER 2007, 10) - in der Weiterbildung betrifft dies auch sprachliche Anforderungen und Förderbedarfe, die nicht angemessen berücksichtigt werden. In das Fachlernen integrierte Sprachförderung trägt dazu bei, die Institution Weiterbildung nicht nur im Sinne politischer Absichtserklärungen, sondern faktisch in stärkerem Maße auch für Personen zu öffnen, die sprachliche Hürden zu überwinden haben.

Literatur

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BETHSCHEIDER, M./ SCHWERIN, C. (2005): Anforderungen an Trainerinnen und Trainer in der beruflichen Weiterbildung von Lerngruppen mit Teilnehmenden deutscher und anderer Herkunft. Grundlagen einer Zusatzqualifikation. Bonn.

BETHSCHEDIER, M./ TROLTSCH, K. (2007): Aspekte der „Etablierten-Außenseiter-Figuration“ in der beruflichen Weiterbildung: In: Report, 30. Jg., H. 3, 51-60.

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BUNDESAMT FÜR MIGRATION UND FLÜCHTLINGE (2010): Bundesweites Integrationsprogramm. Nürnberg.

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DEEKE, A. (2010): Berufsbezogenen Deutschförderung und berufliche Weiterbildung von Arbeitslosen mit Migrationshintergrund. Eine Wirkungsanalyse. IAB-Forum 2.

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GOGOLIN, I. 2009): Über (sprachliche) Bildung zum Beruf. Sind bessere Bildungschancen für junge Menschen mit Migrationshintergrund auch in Deutschland möglich? In: KIMMELMANN, N. (Hrsg.): Berufliche Bildung in der Einwanderungsgesellschaft. Diversity als Herausforderung für Organisationen, Lehrkräfte und Ausbildende. Nürnberg, 54-65.

KIMMELMANN, N. (2010): Sprachförderung in der beruflichen Bildung durch Fachlehrkräfte und Ausbildende – Möglichkeiten und Grenzen. In: Deutsch als Zweitsprache H.3, 6-16.

KRONAUER, M.(2007): Inklusion – Exklusion. Ein Klärungsversuch. Vortrag auf dem 10. DIE-Forum Weiterbildung. Bonn.

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ÖZTÜRK, H. (2009): Weiterbildung von Menschen mit Migrationshintergrund. In: aus politik und zeitschichte, H. 5, 24-29.

POSITIONSPAPIER „Weiterbegleitende Hilfen als zentraler Bestandteil adressatenorientierter beruflicher Weiterbildung (2010). Frankfurt.

REICH, H. H. (2008): Sprachförderung im Kindergarten. Grundlagen, Konzepte und Materialien. Berlin.

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SACHVERSTÄNDIGENRAT DEUTSCHER STIFTUNGEN FÜR INTEGRATION UND MIGRATION (Hrsg.) (2010): Einwanderungsgesellschaft 2001. Jahresgutachten 2010 mit Integrationsbarometer. Berlin.

SALEM, T.(2010): Das Konzept der „Durchgängigen Sprachbildung“. In: FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG (Hrsg.): Sprach ist der Schlüssel zur Integration. Bonn, 43-50.

SÜRIG, I. (2006): Die Bedeutung von Deutschkompetenz im Migrationskontext der BRD als linguistische und soziologische Fragestellung. Masterarbeit. Osnabrück.


Zitieren dieses Beitrages

BETHSCHEIDER, M. (2011): Förderung der beruflichen Weiterbildung durch integrierte Sprachförderung. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 22, hrsg. v. SEVERING, E./ SPATZ, J., 1-10. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws22/bethscheider_ws22-ht2011.pdf (26-09-2011).



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