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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS27 - Hochschulqualifikationen
Herausgeber: Berthold Gehlert & Günter Pätzold


Titel:
Wann und wo beginnt studieren? – Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung im Kontext von Reformkonzepten


Editorial zu Workshop 27: Hochschulqualifikationen: Wo und Wann beginnt Studieren?

1 Berufliche Schulen und Studierfähigkeit

Die Schülerströme führen heute vermehrt in vollzeitschulische Angebote der beruflichen Schulen, die das Ziel einer Hochschulzugangsberechtigung haben. Ausdrücklich auf Studierfähigkeit ausgerichtet sind

  • Berufliche Gymnasien und Fachoberschulen.

Je nach Länderterminologie gibt es sie auch als

  • Berufsoberschulen oder Berufskollegs usw.

Die Hochschulzugangsberechtigung kann aber auch an beruflichen Schulen erreicht werden, deren primäres Ziel die berufliche Aus- und Weiterbildung ist. Prototyp dieser Kategorie sind die Fachschulen, die ggf. durch Zusatzprüfungen Studienberechtigungen verleihen. Diese Wege können als klar strukturierte und auch anerkannte Wege zur Fachhochschule und Universität bezeichnet werden. Sie sind bekannt und werden genutzt. Es ist in der Allgemeinheit allerdings immer noch zu wenig bekannt, dass über die beruflichen Schulen bundesweit fast vierzig Prozent der Hochschulzugangsberechtigungen vergeben werden. In einigen Bundesländern, z. B in Baden-Württemberg, werden über den beruflichen Bildungsweg genau so viele Hochschulberechtigungen vergeben wie über den vermeintlichen Königsweg der allgemeinbildenden Schulen. Das Abitur ist also längst nicht mehr die alleinige Eintrittskarte in die Welt der Hochschulen.

2 Kooperationen

Die Kooperation zwischen beruflicher Bildung und hochschulischer Bildung hat eine lange Tradition und umfasst viele Ideen und Aspekte. Wir können sie in diesem Workshop nicht alle vorstellen und diskutieren. Gleichwohl sind sie wichtig und Interessant. Ich will deshalb wenigstens einige erwähnen.

Das beginnt mit niedrigschwelligen Kooperationen, häufig auf lokaler Ebene, z. B. mit gemeinsamen Studieninformationen und Infotagen für Abschlussjahrgänge.

Wünschenswert sind auch Kooperationen bei der Lehrerfortbildung. Lehrer besuchen dann als Gasthörer Vorlesungen und Seminare einer Hochschule. Der rechtliche Rahmen sollte durch eine Kooperationsvereinbarung zwischen beiden Institutionen geregelt sein (z.B. wegen der Anerkennung und von Fortbildungstagen der Lehrer).

Das Modell der eigenständigen beruflichen Schule, die als Kompetenzzentrum die Chancen in einem Bildungsmarkt suchen und wahrnehmen will ermöglicht ganz neue Kooperationsansätze. So ist es möglich, dass eine Berufsschule Mitglied in Forschungs- und Verwertungsgesellschaften an einer Fachhochschule oder Universität ist. Für ein solches Beispiel steht etwa das Regionale-Berufsbildungs-Zentrum Eckener-Schule Flensburg das Mitglied in einem Forschungsverbundes zur Windenergienutzung ist.

Kooperationen können auch Studienwahlentscheidungen vorbereiten und Übergänge zu einer bestimmten Hochschule mit passgenauem fachlichem Profil erleichtern.
So können Schülerinnen und Schüler durch die Teilnahme an ausgewählten Hochschulveranstaltungen einen umfassenden Einblick in den Hochschulalltag sowie in die Durchführung des Labor- und Vorlesungsablaufs gewinnen. Möglicherweise entwickelt sich durch den intensiven Kontakt mit der Hochschule ein Perspektivwechsel der Schülerinnen und Schüler, die zuvor ein Studium nicht in Betracht gezogen haben.

3 Reformkonzepte

Wenn wir heute von Reformkonzepten sprechen, dann geht es aber nicht nur darum, den Übergang in den Hochschulbereich grundsätzlich zu ermöglichen, sondern besonders auch um die Anerkennung von Leistungen, die während der beruflichen Ausbildung erzielt wurden.

Schwerpunkt des Workshops sollen deshalb vor allem Wege an die Hochschule sein, die als Verschränkung von hochschulischer und beruflicher Bildung zu verstehen sind. Solche Kooperationen zwischen beruflichen Schulen und hochschulischen Bildungseinrichtungen sollen vorgestellt, thematisiert und diskutiert werden.

Die provokative Frage in der Ausschreibung zum Workshop: „Wann und wo beginnt Studieren?“ impliziert auch die Frage nach der Anerkennung beruflicher Bildung. Studieren kann als eigenverantwortliche und selbständige Lern- und Qualifikationsphase bezeichnet werden. Bei genauerer Sicht auf die Lerninhalte, Didaktik und Methodik des beruflichen Lernens lässt sich feststellen, dass die Unterschiede des „Lernens“ zu einem nach dem Bolognaprozess neu strukturiertem „Bachelorstudium“ zum beruflichen Lernen nur sehr gering sind

Die Ziele des Bologna-Prozesses sollen hier nicht referiert werden. Sie kennen die drei großen Themen: Die Förderung von Mobilität, von internationaler Wettbewerbsfähigkeit und von Beschäftigungsfähigkeit.

Es ist sicherlich so, dass ein Teil dieser Visionen droht, verfehlt zu werden.

Man muss aber genauer hinsehen: Die Förderung der Mobilität im Sinne von erleichtertem Wechsel zwischen den Hochschulen wurde bisher eher erschwert, das ist richtig. Betrachtet man aber nicht nur räumliche Mobilität, sondern auch die Mobilität zwischen Hochschulen und anderen Bildungsgängen unter dem Vorzeichen des lebensbegleitenden Lernens, dann sieht es doch positiver aus. Jedenfalls registrieren wir einen Bewusstseinswandel bei den Hochschulen. Die festen Bildungssäulen weichen einem flexiblen Bildungskontinuum mit vielfachen Übergängen und Schnittstellen.

Von diesem Befund ausgehend stellt sich zu Recht die Frage, wann und wo beginnt das Studieren und welche Inhalte der erreichten Berufsabschlüsse lassen sich auf das Studium anerkennen? Ist Studieren ein Lernen ab einer bestimmten Kompetenzstufe? Wohl kaum!

Eine selbstbewusste Haltung in dieser Frage nimmt nach meiner Kenntnis Frau Dr. HOPPE ein. Ich lernte Sie kennen, bei der Diskussion, ob die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern an die Fachhochschulen verlagert werden müsse um professionelles Personal für die frühkindliche Erziehung bereit stellen zu können. Sie verwies dabei auf den hohen Anspruch und die umfassenden Kompetenzen, die an ihrer Fachschule von den dort Studierenden verlangt und erreicht werden.

Die Qualifikationen von Fachschulen werden der Niveaustufe 6, also dem BA-Niveau zuzuordnen sein. Ich bin daher sehr gespannt, wie ihr „Plädoyer für eine wechselseitige, bildungsortunabhängige Anerkennung erworbener Qualifikationen zwischen Fachschulen und Hochschulen“ ausfällt.

Aus Sicht des BLBS ist es wichtig, dass wir bei allem Bemühen für attraktive Übergänge von der Berufsbildung in den Hochschulbereich unser Angebot an weiterführenden beruflichen Schulen als eigenständige, arbeitsmarktgängige Qualifikationen bewerben. Der Übergang in den Hochschulbereich ist ohne Zweifel eine notwendige Option, die auch machbar sein muss; sie ist für unsere Fachschulen aber nicht  eine notwendige Adelung, der wir um jeden Preis nachhecheln müssten. Fachschulen qualifizieren nicht für den tertiären Bereich, sondern im tertiären Bereich!

Dessen ungeachtet, muss der Übergang von der Berufsbildung in den Hochschulraum von Hindernissen befreit werden. Aber auch der Abbau formaler Hürden wird nicht reichen.  Durch den KMK-Beschluss für beruflich Qualifizierte wurden zwar Perspektiven eröffnet, aber es bleibt noch eine Aufgabe der Hochschulseite dieses Klientel auch bewusst an- und aufzunehmen, spezifische Studienstrukturen anzubieten und Förderangebote zu unterbreiten.

Andererseits geht es darum, die im Berufsbildungsbereich erworbenen Kompetenzen an den Hochschulen auch anzuerkennen. Nur so kann es gelingen, Doppellernen zu vermeiden und die Studienzeiten zu verkürzen. Durchlässigkeit bedeutet also, Übergänge zu ermöglichen und erworbenen Kompetenzen anzuerkennen.

Während die formalen Hürden durch gesetzgeberische Vorgaben relativiert werden können, ist die Anerkennung beruflich erworbener Qualifikationen häufig noch Glückssache, zumindest lässt sie sich oft nicht in einer längerfristigen Bildungsplanung verbindlich kalkulieren. Um hier von Beliebigkeit oder auch gut gemeinter Großzügigkeit weg zukommen, bedarf es konzeptioneller Überlegungen. Entsprechende Ansätze zur Gleichwertigkeit von hochschulischer und beruflicher Bildung wurden z. B.  im Rahmen des Programms ANKOM (Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge) erforscht und erprobt. Unterschieden wurde dabei zwischen zwei grundsätzlichen Anrechnungsverfahren: dem individuellen und dem pauschalen Verfahren.

Individuelle oder personenbezogene Anrechnungsverfahren stellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen eines Studienbewerbers in einem Kompetenzportfolio fest und prüfen dieses dann im Hinblick auf eine mögliche Anrechnung einer ganz bestimmen Partner-Hochschule auf das Studium.

Wesentlich ökonomischer und für die beteiligten Bewerber auch transparenter erweisen sich die pauschalen Anrechnungsverfahren, bei denen beispielsweise die Anrechenbarkeit eines bestimmten Fachschulabschlusses (z. B. Techniker-ausbildung) auf einen bestimmten Hochschulstudiengang generell geprüft wird. Bei dieser Überprüfung wird festgestellt, welche Teile eines Studiengangs durch gleichwertige Lernergebnisse aus der vorherigen Bildungsmaßnahme abgedeckt wurden.

Dies geschieht in einem zweistufigen Verfahren, dem sog. Äquivalenzvergleich. Zunächst wird von Gutachtern festgestellt, inwieweit die Lernergebnisse eines Studiengangs durch entsprechende Lernergebnisse aus der beruflichen Aus- und Fortbildung abgedeckt werden, dann wird geprüft, ob das Niveau der Lernergebnisse aus der beruflichen Bildung mit dem Niveau des entsprechenden Studiengangs übereinstimmt. Wenn beide Bedingungen zu einem bestimmten Grad erfüllt sind, wird die Anrechnung gewährt.

Dieser pauschale Äquivalenzvergleich stellt sicherlich eine Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und hochschulischer Bildung dar. Der BLBS hält es für überfällig, dass wir bei der Anrechnung von Kompetenzen auf Dauer gesehen von Einzelfallregelungen weg kommen zu pauschalierten, verbindlichen Regelungen. Die Diskussion der Äquivalenzprüfung und Anerkennung von Teilleistungen aus der vorherigen Ausbildung wird sicherlich auch in dem Grundsatzreferat von Prof. PÄTZOLD eine wichtige Rolle spielen.

Wie bedeutsam das Thema  in der berufswissenschaftlichen Diskussion ist, zeigt im Übrigen auch der Parallelworkshop W 28, in dem es um die Rolle der Äquivalenzvergleiche bei der Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen berufliche und hochschulischer Bildung geht.

Ein konkretes Beispiel für die Anrechnung an der Schnittstelle beruflicher Bildung und Hochschulbildung als individuelle, bilaterale Kooperation zeigt uns der Workshopbeitrag von Hans LEHMANN und Prof. Dr. HURST. Neben den grundsätzlichen Fragen der Anrechnung ist hier auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ein besonderer Aspekt.

Prof. PÄTZOLD hat mit der Formulierung seines Referatsthemas schon ausgewiesen, dass es ihm nicht nur um administrative Abläufe geht. Er sieht zu Recht die berufliche Bildung im Umbruch. Für ihn heißt es in dieser Situation, die Potenziale berufsbildender Schulen zu stärken und Kooperationen und Anschlüsse auszubauen.

Eine solche Kooperationsmöglichkeit werden wir im letzten Beispiel vorstellen. Es geht um die Verbindung von dualer Ausbildung und Hochschulstudium. Dieses Konzept eines Verbundstudiums verfolge ich mit besonderem Interesse, da meine Schule, das Staatliche Berufliche Schulzentrum in Bamberg,  zusammen mit der Hochschule Coburg sich daran beteiligen. Ich danke Herrn Prof. Dr. ROSSNER für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Zugleich bin ich gespannt, als Zuhörer den Film im Kopf ablaufen zu sehen, an dem ich auch etwas Regie mit führen konnte.

Wesentlich an diesem Beispiel ist für mich, dass die duale Ausbildung von Abiturienten auch aus Sicht der Betriebe nicht ohne Berufsschule geht und dass auch die Hochschule an der Berufsschule erworbene Kompetenzen durch die Anerkennung von ECTS-Punkten als Studienäquivalent würdigt.


Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/