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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS27 - Hochschulqualifikationen
Herausgeber: Berthold Gehlert & Günter Pätzold


Titel:
Wann und wo beginnt studieren? – Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung im Kontext von Reformkonzepten


Berufliche Bildung und Hochschulzugang – Potenziale stärken sowie Kooperationen und Anschlüsse ausbauen

Beitrag von Günter PÄTZOLD (TU Dortmund)

Abstract

Die berufliche und akademische Bildung sind in Deutschland klar voneinander getrennt. Übergänge sind die Ausnahme, obwohl in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland Möglichkeiten des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Bewerber ohne formale schulische Hochschulzugangsberechtigung bestehen. In ihrer Ausgestaltung sind sie sehr unterschiedlich und bisher in der Regel lediglich über Umwege wie mehrjährige Berufserfahrung, Probestudium, Eignungsprüfung etc. möglich. Inzwischen haben Bund und Länder im Rahmen ihrer Qualifizierungsinitiative einen erleichterten Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte vereinbart und in der Folge hat sich die Kultusministerkonferenz (KMK) mit Beschluss vom 6. März 2009 auf Mindestanforderungen bzw. bundesweite Standards geeinigt. Dennoch bleiben Übergänge riskant und beschwerlich – vor allem deshalb, weil Unsicherheiten bei Berufstätigen bezüglich der wissenschaftlichen Anforderungen bestehen und finanzielle Barrieren die Aufnahme eines Studiums nicht erleichtern. Der Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Personen markiert nicht nur institutionstheoretisch die Nahtstelle zwischen zwei Teilbereichen des Bildungssystems, sondern er bildet, biographisch betrachtet, eine Statuspassage mit unterschiedlichen Anforderungsstrukturen. Von daher geht es in diesem Beitrag sowohl um Fragen der Hochschulzugangsberechtigung und der Anerkennung von bisher erworbenen Kompetenzen als auch um Fragen der Studienentscheidung, der Studienmotivation und der Studieneignung nach einer bereits absolvierten beruflichen Bildung, also auch um diejenigen Aspekte, die seit langem unter den Stichwörtern Studierbereitschaft, Studierfähigkeit und Studierbarkeit diskutiert werden.

1 Systematische Einordnung

Das Thema „Berufliche Bildung und Hochschulzugang“ spielt seit geraumer Zeit eine zentrale Rolle in der bildungspolitischen Diskussion, nicht zuletzt erneut angestoßen durch die aktuelle Diskussion über die Entwicklung eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) und die Erkenntnis, dass es in vielen europäischen Ländern Pfade aus der Berufstätigkeit zur hochschulischen Bildung gibt. Demgegenüber ist in Deutschland die Frage, ob beruflich Qualifizierte zu einem Studium zugelassen werden und in der Aus- und Fortbildung erworbene Kompetenzen zu einer Verkürzung des Studiums führen ebenso wenig systematisch beantwortet wie die Frage, ob Studienabbrecher Teile ihres Studiums auf eine geregelte Berufsausbildung anrechnen lassen können.

Der zurzeit entstehende DQR nimmt die Forderungen nach mehr Transparenz, Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit im Bildungssystem auf und verbindet sie sogar mit der Forderung, informell und non-formal erworbene Kompetenzen einzubeziehen (DEHNBOSTEL 2010, 195). Durchlässigkeit meint, mit Hilfe bestimmter Maßnahmen die Übergänge zwischen Bildungsbereichen zu erleichtern und offen über damit verbundene Chancen und Risiken zu kommunizieren. Sie markiert in diesem Zusammenhang die Schnittstelle zwischen den beiden Bildungssäulen der beruflichen und akademischen Bildung.

Als zentrale Begründungszusammenhänge für eine Verbesserung der Durchlässigkeit wird erstens davon ausgegangen, dass möglichst vielen Menschen möglichst viele Optionen ihrer (Weiter-)Bildung zu eröffnen sind, besonders im Hinblick auf ihre persönliche Weiterentwicklung und soziale Mobilität. Zweitens wird immer wieder von einem Mangel an akademisch gebildeten Fach- und Führungskräften in einzelnen Wirtschaftssektoren ausgegangen. Drittens werden wissenschaftliche Weiterbildungsangebote, insbesondere wenn sie berufsbegleitend oder berufsintegrierend angelegt sind, als „Kristallisationspunkte für den Wissens- und Technologietransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft“ angesehen, die „zur Stärkung des regionalen und nationalen Innovationssystems“ beitragen können. „Eine verbesserte Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung weitet die Zielgruppen für diesen Transferkanal aus, und zwar hinsichtlich des für diese innovationsfördernde Wirkung besonders wichtigen Bereichs der wissenschaftlichen Weiterbildung“ (HARTMANN 2008, 157).

2 Hochschulzugang als Statuspassage

Die berufliche und akademische Bildung sind in Deutschland klar voneinander getrennt. Übergänge sind die Ausnahme, obwohl in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland Möglichkeiten des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Bewerber ohne formale schulische Hochschulzugangsberechtigung bestehen. In ihrer Ausgestaltung sind sie sehr unterschiedlich und bisher in der Regel lediglich über Umwege wie mehrjährige Berufserfahrung, Probestudium, Eignungsprüfung etc. möglich. Die Regelungen sind von Bundesland zu Bundesland und teilweise von Hochschule zu Hochschule verschieden, insgesamt restriktiv und für Externe wenig transparent. Zudem wurden die staatlichen Hochschulen bei der Entwicklung von Studiengängen für Berufstätige vernachlässigt bzw. haben diese selbst nicht gefördert. Private Hochschulen tun sich offensichtlich mit der Aufnahme und Förderung qualifizierter Berufstätiger leichter als staatliche Hochschulen.

Die Möglichkeit eines Studiums ohne Abitur findet in der Praxis bisher ohnehin nur geringe Resonanz. „Gründe dafür liegen unter anderem darin, dass ein traditionell organisiertes Vollzeitstudium kaum mit einer professionellen Erwerbstätigkeit vereinbar ist“ (HARTMANN 2010, 158). Zudem sind „für viele beruflich qualifizierte und erfahrene Personen diese Sonderregelungen des Hochschulzugangs ohne Relevanz, weil sie ohnehin über ein (Fach-)Abitur verfügen. Dies gilt insbesondere für Absolventen anspruchsvoller, technologieorientierter Berufsausbildungsgänge (zum Beispiel IT-Berufe, Mikrotechnologe) … Die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge soll – logisch zunächst unabhängig vom Hochschulzugang – die Hürde für die Aufnahme eines Studiums … absenken … Für beruflich engagierte Studieninteressierte ist auch ein um beispielsweise fünfzig Prozent im Umfang reduziertes Studium noch nicht praktisch studierbar, wenn die Studienorganisation nicht explizit auf die Belange dieses Typs von Studierenden zugeschnitten ist“ (ebd.).

Inzwischen haben Bund und Länder im Rahmen ihrer Qualifizierungsinitiative einen erleichterten Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte vereinbart und in der Folge hat sich die Kultusministerkonferenz (KMK) mit Beschluss vom 6. März 2009 auf Mindestanforderungen bzw. bundesweite Standards geeinigt (MÜLLER 2010, 187). Damit ist bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen – ohne länderspezifische Ausprägung auszuschließen – eine gemeinsame Basis zur Anerkennung der Hochschulzugangsberechtigungen für beruflich Qualifizierte gefunden. Der Beschluss öffnet Inhabern beruflicher Aufstiegsfortbildungen (Meistern, Technikern, Fachwirten und Inhabern gleichgestellter Abschlüsse) den allgemeinen Hochschulzugang und definiert die Voraussetzungen unter denen beruflich Qualifizierte ohne Aufstiegsfortbildung den fachgebundenen Zugang zur Hochschule erhalten. Soweit in den Ländern weitergehende Zugangsmöglichkeiten bestehen, sollen diese nach einem Jahr erfolgreich absolvierten Studiums von allen anderen Ländern anerkannt werden.

In einigen Bundesländern ist ausgehend von der Beteiligung an der ANKOM-Initiative (Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge) seit mehreren Jahren eine Steigerung berufsbegleitender Studien- und Weiterbildungsangebote zu verzeichnen. Für eine Verbesserung der Durchlässigkeit ist zu bedenken, dass mit der Schaffung gesetzlicher Voraussetzungen eine notwendige Bedingung existiert, die nun noch durch weitere Maßnahmen flankiert werden muss, wenn der faktische Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte erleichtert werden soll.

Übergänge bleiben riskant und beschwerlich – vor allem deshalb, weil Unsicherheiten bei Berufstätigen bezüglich der wissenschaftlichen Anforderungen bestehen und finanzielle Barrieren die Aufnahme eines Studiums nicht erleichtern. Der Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Personen markiert nicht nur institutionstheoretisch die Nahtstelle zwischen zwei Teilbereichen des Bildungssystems, sondern er bildet, biographisch betrachtet, eine Statuspassage mit unterschiedlichen Anforderungsstrukturen. Er erfordert insofern sowohl institutionelle Kooperation als auch subjektive Dispositionen zur Bewältigung dieser Übergangsphase. Von daher geht es sowohl um Fragen der Hochschulzugangsberechtigung und der Anerkennung von bisher erworbenen Kompetenzen als auch um Fragen der Studienentscheidung, der Studienmotivation und der Studieneignung nach einer erfolgreich absolvierten beruflichen Bildung, also auch um diejenigen Aspekte, die seit langem unter den Stichwörtern Studierbereitschaft, Studierfähigkeit und Studierbarkeit diskutiert werden (vgl. LISCHKA/ WOLTER 2001).

3 Kompetenzentwicklung und Studierfähigkeit

Bis in die 1990er Jahre stieß die Forderung nach einer stärkeren Öffnung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte oft auf „reflexhafte Abwehrreaktionen“. Inzwischen sind die beiden Haupteinwände, die in der Vergangenheit immer wieder zu hören waren, „deutlich leiser geworden: die Befürchtung eine Öffnung des Hochschulzugangs für Berufstätige würde die ohnehin vorhandenen Kapazitäts- und Überlastprobleme an der Hochschule noch weiter verschärfen … und die Behauptung, Studierende ohne Abitur seien nicht hinreichend studierfähig und ihre Zulassung hätte deshalb nur eine weitere Nivellierung der Studienanforderungen zur Folge“ (WOLTER 2010, 199).

Heute steht das Bild eines befürchteten akademischen Nachwuchsmangels als Teil der konsensfähigen bildungspolitischen Rhetorik im Vordergrund – trotz der Tatsache, dass die empirische Evidenz für diese Befürchtung eher schwach ist. Es besteht ein bildungspolitischer Konsens zwischen maßgeblichen hochschulpolitischen Akteuren, eine jahrgangsbezogene Studienanfängerquote von vierzig Prozent für erstrebenswert zu halten. Dies ist auch Zielperspektive des Dresdener Bildungsgipfels vom Oktober 2008 gewesen. Dieses Ziel sei nur über eine Ausweitung des Kreises der Studienberechtigten zu erreichen, zumal etablierte Modelle zur Verbesserung der Durchlässigkeit und auch Duale Studiengänge spezifische Limitierungen haben. Duale Studiengänge bieten ohnehin keine Option der Durchlässigkeit, verstanden als Weiterbildungsangebot für beruflich Qualifizierte (HARTMANN 2008, 159).

Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang die Neubewertung beruflicher Bildung und Arbeit mit den dort erworbenen Kompetenzen. Denn mit der Etablierung des Abiturs als Hochschulzugangsberechtigung in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist lange Zeit sowohl der Nachweis einer formalen, durch einen gymnasialen Bildungsgang erworbenen Studienberechtigung als auch eine institutionelle und bildungstheoretische Differenzierung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung verbunden gewesen. Folge ist ein besonderer Legitimationsdruck für doppeltqualifizierende Bildungsgänge in berufsbildenden Schulen. Studierfähigkeit wird als eine besondere Form kulturell normierter Persönlichkeitsbildung gesehen – mit allen Stärken, aber auch Schwächen. Wenn von daher bis in die jüngste Gegenwart einer über den Beruf vermittelten Studierfähigkeit Niveau und Tiefe bestritten wird, so wird dabei in der Regel nicht reflektiert, welche Dysfunktionalität das übliche gymnasiale Lernen haben kann (GRUSCHKA 1992, 24).

Insofern ist erfreulich, dass die Leistungen beruflicher Schulen heute mehr und mehr anerkannt werden. Berufliche Schulen bilden im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland eine prägnante und zahlenmäßige Rolle. Sie bieten Möglichkeiten sowohl zu Berufsabschlüssen und der Weiterentwicklung im System der beruflichen Fort- und Weiterbildung (WEIß 2010) als auch zum Erwerb höherer Bildungsabschlüsse mit einem zunehmenden Anteil junger Menschen, die die (allgemeine) Hochschulreife erwerben. Sie vermitteln Fachkompetenzen und überfachliche Kompetenzen. Praxisnähe und Wissenschaftsorientierung sind dabei zentrale Bezugspunkte. Beruflichkeit der Ausbildung eröffnet dem Berufsinhaber nicht nur eine relative Autonomie gegenüber dem einzelnen Betrieb, sondern er verfügt mit seinen Zertifikaten über ein „institutionalisiertes Kulturkapital“ (Bourdieu), das auch Elemente wie Kooperationsfähigkeit, Verantwortungs- und Qualitätsbewußtsein, Selbstständigkeit, Urteilsfähigkeit und aktives Problembewußtsein einschließt (GEORG 2008, 40).

Beruflich Ausgebildete bringen ein Potenzial überfachlicher Kompetenzen mit. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Prof Dr. Margret Wintermantel, anlässlich der Vorstellung der von der Universität Konstanz durchgeführten Studie „Studiensituation und studentische Orientierungen“ (11. STUDIENSURVEY) in einer Presseerklärung hervorhebt, „dass sich nicht nur fast alle Studierenden (96 Prozent) fachlich gefördert fühlen, sondern auch die Vermittlung überfachlicher Qualifikationen sehr gut in das Hochschulstudium integriert sind. So geben über 80 Prozent der Studierenden an, dass sie im Studium Selbstständigkeit sowie die Fähigkeit, Probleme zu analysieren und zu lösen, lernen“ (HOCHSCHULREKTORENKONFERENZ 16. März 2011, 7/2011). Über diese Kompetenzen verfügen beruflich Qualifizierte bereits mit Beginn des Studiums. Vor dem Hintergrund, dass ein hoher Anteil von Studierenden nicht die vorgesehene Zahl von 60 ECTS-Punkten erreicht, und auch die Überforderung im Bachelor-Studium gestiegen ist, ist es des Weiteren bezeichnend, dass Studierende ohne Abitur nicht stärker als traditionelle Studierende im Verzug sind. Untersuchungen über Studienerfahrungen und Studienerfolg von Berufstätigen ohne Reifezeugnis aus den 1980er Jahren haben bereits deutlich gemacht, dass die Noten der ehemals Berufstätigen ohne Abitur nicht schlechter als die Noten der Abiturienten sind. „In den einzelnen Befunden wird deutlich, wie hier Übung im Überwinden von Schwierigkeiten, Lernwille, soziale Organisationsfähigkeit, Belastbarkeit, Ökonomie der Mittel aus beruflichen Erfahrungen zum Tragen kommen“ (BUNDESMINISTER FÜR BILDUNG UND WISSENSCHAFT 1986, 175).

Inzwischen wird die Frage der Studieneignung „immer stärker zu einer Frage der individuellen Kompetenz, unabhängig von den institutionalisierten Bildungswegen“ (WOLTER 2010, 202). Neue Ansätze der Kompetenzfeststellung und Anerkennung beruflicher Kompetenzen löst die alte Konstellation von Allgemeinbildung und Berufsbildung auf (WOLTER 2008, 86), wenngleich die Attraktivität des Abiturs zunehmend darauf beruht, nicht nur ein Studium, sondern auch eine anspruchsvolle Berufsausbildung absolvieren zu können, ohne die Option eines darauf folgenden Studiums aufzugeben (PILZ 2008).

Arbeit, Beruf und Gesellschaft haben sich verändert. Berufliche Ausbildung und Arbeit sind zunehmend durch theoriebasiertes Wissen geprägt und erfordern hohe kognitive und emotionale Leistungen. Die gestiegenen Erwartungen an Selbstregulation und ein selbstverantwortliches Handeln im Zuge einer Subjektivierung der Arbeit und des Lernens erfordern eine berufliche Ausbildung, die ein breites, fachlich-theoretisches Fundament schafft und damit Anschlussmöglichkeiten an zusätzlich zu erwerbende Kompetenzen sichert. Zugleich haben sich Qualitätsstandards in der beruflichen Bildung etabliert. Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne wurden modernisiert und die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz wurde Schwerpunkt der gesamten Entwicklung von Handlungskompetenz.

Spätestens seit der Neuordnung anerkannter Ausbildungsberufe in den 1980er Jahren wurde mit der Ergänzung bzw. Ersetzung der traditionellen Fähigkeit des Ausführens vorab definierter Aufträge um das Qualifikationsprofil des selbstständigen Planens, Durchführens und Kontrollierens beruflicher Ausbildung und Arbeit wichtige Impulse für die berufliche Handlungskompetenz als Leitbild beruflicher Bildung gegeben.

Der Begriff Kompetenz zielt dabei im Gegensatz zum Begriff der Qualifikation, der überwiegend in Bezug auf die Verwertbarkeit gefasst ist, auf den Lernerfolg des einzelnen Lernenden und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln in privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Situationen. Damit sind Ziele beruflicher Bildung verbunden: „Weg von eng definierten Kenntnissen und Fertigkeiten und hin zu Fähigkeiten und Dispositionen, die selbstständig und flexibel in berufliches Handeln umgesetzt werden können“ (BADER 1997, 92). Vor diesem Hintergrund wird in der Berufsausbildung eine Kompetenzentwicklung als Ziel gesehen, die Merkmale von Studierfähigkeit enthalten. Dieses Ziel verdeutlicht, welche Perspektiven in der beruflichen Bildung stecken, wenn die Berufsschule im Dualen System eine stärkere Stellung und entsprechende Ressourcen bekäme und wenn es mit der Herausbildung der beruflichen Handlungskompetenz um jenes Wissen und Können geht, dass es den Auszubildenden ermöglicht, sowohl in den jeweiligen beruflichen Kontexten gestaltend und selbstbewusst zu handeln als auch weiterführende Entwicklungsschritte wahrnehmen zu können bzw. zu wollen.

Zwar ist zu kalkulieren, dass es zwischen curricularen Vorgaben und konkreten Aktivitäten im beruflichen Unterricht beträchtliche Abweichungen geben kann – und zwar sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht, dennoch ist bereits aufgrund der Neuordnungen in den 1980er Jahren festzustellen, dass auf der Ebene curricular-didaktischer Planung „ein enormer Fortschritt gegenüber aller bisherigen Berufsschuldidaktik erzielt“ worden ist (BREMER u.a. 1993, 49). Dies lässt sich an den Richtlinien und Lehrplänen für die Berufsschule in Nordrhein-Westfalen verdeutlichen (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1:   Dimensionen von Handlungskompetenz (KULTUSMINISTER NRW 1991, 19)

„Im Bezugsrahmen des dargelegten Verständnisses von Handlungskompetenz mit den Dimensionen Fachkompetenz, Humankompetenz und Sozialkompetenz wird berufliche Handlungskompetenz unter Hinzunahme pragmatischer Erwägungen entfaltet in den Dimensionen Fachkompetenz und Human- und Sozialkompetenz unter besonderer Berücksichtigung von Methodenkompetenz und Lernkompetenz“ (KULTUSMINISTER NRW 1991, 18; BREMER u. a. 1993, 48ff.). Lernkompetenz wird als die Fähigkeit bezeichnet, einen Lernprozess eigenverantwortlich zu beginnen und weiterzuführen. Dazu gehören im Einzelnen die Organisation des Lernens, sowohl alleine als auch in der Gruppe, ein effizientes Zeit- und Informationsmanagement, das Bewusstsein über den eigenen Lernprozess und für die eigenen Lernbedürfnisse, das Feststellen des vorhandenen Lernangebots und die Fähigkeit, Hindernisse zu überwinden, der Erwerb, die Verarbeitung und Aufnahme neuer Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, das Suchen und die Annahme von Beratung und das Aufbauen auf früheren Lern- und Lebenserfahrungen, um Kenntnisse und Fähigkeiten in einer Vielzahl von Kontexten nutzen und anwenden zu können. Für die Beurteilung studienrelevanter Kompetenzen ist die folgende Passage aus den Richtlinien erwähnenswert: „In der theoriegeleiteten Bearbeitung beruflicher Sachverhalte und Verfahrensweisen werden nicht nur beruflich anwendbare und verwertbare Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermittelt, sondern die Lernenden entwickeln darüber hinaus auch allgemeine Fähigkeiten wie systematisches Analysieren, logisches Schließen, Formulieren von Aussagen durch gesprochene und geschriebene Sprache, Verstehen und Verwenden von Symbolen und Formalsprachen, Beschaffen und Aufbereiten von Informationen, Argumentieren und Entscheiden sowie weitere Elemente von Kompetenz, die über den Beruf hinausreichen. In berufsbezogenen Lernprozessen vollzieht sich zugleich auch allgemeines Lernen; insofern sind berufliches Lernen und allgemeines Lernen miteinander verbunden. Mit dem didaktischen Konzept, Lernprozesse am Beruf zu orientieren und diese so zu gestalten, daß berufsbezogenes und allgemeines Lernen integriert gefördert werden, wird die angestrebte Verbindung zwischen dem berufsbezogenen Lernbereich und dem berufsübergreifenden Lernbereich unterstützt“ (Kultusminister NRW 1991, 20; Hervorhebungen im Original). Um die genannten Kompetenzen zu fördern, werden in den Richtlinien spezifische Unterrichtskonzepte, wie z. B. Technische Experimente, Systemanalysen, Konstruktions- und Fertigungsaufgaben, Planspiele, Fallstudien, Lernträger und Projekte genannt.

Die berufliche Handlungskompetenz stellt den Kern der gesamten Handlungskompetenz dar, insofern lohnt in diesem Zusammenhang der Blick auf den Modellversuch der Kollegschule aus den 1970er Jahren und der Weg zum Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen in den 1990er Jahren. Das Konzept der Kollegschule sah eine Verbindung von wissenschafts- und berufsbezogenem Lernen in einer integrierten Sekundarstufe II vor und beruhte auf der Annahme, dass die inhaltliche Bestimmung von Allgemeinbildung nicht mehr möglich sei, wohl aber die Vermittlung allgemeiner Bildungsziele. Die Abschlüsse in der Kollegschule sollten mittels anderer curricularer Strukturierungen und Inhalte zustande kommen. Entsprechend konnte es nur noch Berechtigungen für den Zugang zu Berufsfähigkeiten (geben), „die zugleich auch Berechtigungen für den Zugang zur nächst höheren Bildungsstufe (Hochschule) darstellen … Der Anspruch an die Kollegschule, auf ein wissenschaftliches Studium im Medium spezieller Berufsausbildung vorzubereiten und deshalb Berufsausbildung immer auch am Anspruch von Wissenschafspropädeutik zu messen, war sicherlich eine Utopie … Dennoch wird man den mit dem Kollegschulversuch angestoßenen Reformprozess nicht als gescheitert bewerten können. Das Berufskolleg liefert gleichermaßen eine Bestätigung für die grundsätzliche Pfadabhängigkeit institutioneller Entwicklung wie auch für die Reformfähigkeit im Rahmen historischer Kontinuitäten. Der entscheidende Fortschritt des Berufkollegs liegt sicherlich in der inhaltlichen Verzahnung und der prinzipiellen Aufhebung des Sackgassencharakters der beruflichen Bildungsgänge …“ (GEORG 2008, 35). Das 1997 eingeführte Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen bietet sowohl Optionen auf eine Wiederaufnahme ursprünglicher Karriereerwartungen als auch neue, aus der beruflichen Ausbildung und Arbeit resultierende Perspektiven.

4 Biographieorientierung und Studienberechtigung

Seit den 1980er Jahren steigt der Anteil der Abiturienten, die eine Berufsausbildung im Dualen System absolvieren und (zunächst) auf die Aufnahme eines Studiums verzichten (GEORG 2010, 234). Bei einem nicht geringen Teil der Studierenden, die sich (noch) in der akademischen Erstausbildung befinden, handelt es sich also um einen veränderten Biographietyp. „Das ‚Erststudium’ ist für sie keine Erstausbildung mehr, sondern - lebensgeschichtlich gesehen – eine Phase der Weiterbildung, da sie bereits mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung in die Hochschule eintreten und mit ihrer Studienfachwahl oft an ihrem erlernten oder ausgeübten Beruf anknüpfen. Hier löst sich der traditionelle lineare Verlaufstyp – von der Schule (dem Gymnasium) in das Studium, von dort in die Berufstätigkeit und dann, als Teil des Berufslebens, in die Weiterbildung – auf und wird von neuen ‚bunten’ Kombinationen zwischen diesen biografischen Sequenzen abgelöst“ (WOLTER 2008, 87). Ein Viertel aller Studierenden verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung, an den Fachhochschulen hat fast die Hälfte aller Studierenden eine abgeschlossene Berufsausbildung und an den Universitäten sind es etwa 16 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil Berufstätiger in den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften (ebd.).

Bezogen auf den Erwerb der Studienberechtigung lassen sich mindestens drei Wege für Studierende mit beruflicher Erfahrung unterscheiden (vgl. Abb. 2):

 

Abb. 2:   Studienberechtigung und Berufsausbildung

Dabei zeigen sich zwei Tendenzen. Erstens entwickeln sich neuartige Konkurrenzverhältnisse zwischen einer Berufsausbildung und einem Bachelorstudium bei der Rekrutierung von (Fach-) Abiturienten, denn beide Ausbildungsgänge sind auf „einen berufsqualifizierenden Abschluss angelegt“ (GEORG 2010, 234; KMK 2003). Zweitens ist die Zielgruppe für Anrechnungsverfahren für beruflich erworbene Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge von nicht unbeträchtlicher Größenordnung.

Zur ersten Tendenz ist zu sagen, dass es nicht nur neue Konkurrenzsituationen gibt, sondern auch Kooperationen, die für beide Bildungsbereiche nutzen stiften können. Mit der Schlagzeile „Wir vereinfachen den Übergang vom Berufkolleg zur Hochschule“ teilte das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Presseinformation vom 7. Januar 2011 mit, dass es zusammen mit der Fachhochschule Bielefeld und der Bezirksregierung Detmold einen Kooperationsvertrag unterzeichnet habe, der als „Meilenstein“ bezeichnet wird (vgl. Abb. 3). „Erstmals in NRW verpflichtet sich eine öffentliche Fachhochschule dazu, an Berufskollegs erbrachte Leistungen pauschal (also ohne individuelle Prüfung) anzurechnen“ (PRESSEINFORMATION VOM 7. JANUAR 2011). Die Kooperation ist zunächst auf die Berufskollegs im Regierungsbezirk Detmold begrenzt. Die Grundlage dazu bildet die gemeinsame Empfehlung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vom 8. Juli 2001. Danach sollen auf der Grundlage des Qualifikationsrahmens für deutsche Hochschulabschlüsse vom 21. April 2005 im Rahmen der beruflichen Fortbildung für durch Prüfung nachgewiesene Qualifikationen ECTS-Leistungspunkte vergeben werden, die bei der Aufnahme eines Studiums von der jeweiligen Hochschule angerechnet werden können.

Mit Beschluss vom 28. Juni 2002 hatte die Kultusministerkonferenz bereits die Möglichkeit eröffnet, außerhalb des Hochschulwesens (und damit auch im beruflichen Bereich) erworbene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf ein Hochschulstudium anzurechnen. Voraussetzung ist, dass diese nach Inhalt und Niveau dem Teil des Studiums gleichwertig sind, der ersetzt werden soll. Über die Anrechnung solcher Kenntnisse und Fähigkeiten können bis zu 50 Prozent eines Hochschulstudiums ersetzt werden.

Die Kultusministerkonferenz hat mit Beschluss vom 18. September 2008 dies bestätigt und die Hochschulen aufgefordert von den bestehenden Möglichkeiten der Anrechnung Gebrauch zu machen und Verfahren und Kriterien für die Anerkennung außerhalb des Hochschulwesens erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten in den jeweiligen Prüfungsordnungen zu entwickeln. Mit der Einbeziehung in die ländergemeinsamen Strukturvorgaben wurde der Beschluss der Kultusministerkonferenz verbindlich gemacht. Allerdings scheuen gerade erfolgreich agierende Berufstätige die Aufnahme eines Studiums aufgrund eines Verdienstausfalls. Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit der Einführung des „Aufstiegsstipendiums“ die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschule. Damit will der Bund seiner Zielsetzung, den Akademikeranteil in der Bevölkerung zu steigern, gerecht werden (EGTVED 2010).

Kern des Anrechnungsverfahrens ist der Vergleich der in den verschiedenen Institutionen erlangten Kompetenzen hinsichtlich der Lernbreite, Lerntiefe und des dabei aufgewendeten Workloads (vgl. Abb. 4). Dabei wurden die Richtlinien und Lehrpläne der Fachschule mit den Modulinhalten des Fachhochschulstudiums verglichen. Darüber hinaus wurden absolvierte Lernerfolgskontrollen der Berufskollegs in die Analyse einbezogen, so dass Gleichwertigkeiten bei den Lerninhalten herausgearbeitet werden konnten (SIEPMANN/ BÖDEKER 2011, BÖDEKER/ SIEPMANN 2011). Für solche Anrechnungen von beruflichen Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge wurden bereits im Rahmen des ANKOM-Projekts des BMBF Modelle entwickelt.

 

Abb. 3:   Anrechnungsvereinbarung (SIEPMANN/ BÖDEKER 2011)

 

Abb. 4:   Abgleich von Kompetenzprofilen (SIEPMANN/ BÖDEKER 2011)

5 Anrechnungsmodelle

Der KMK-Beschluss vom 6. März 2009 zur Erleichterung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ist ein wichtiger Schritt, dem bereits weitere gefolgt sind. Die BMBF-Initiative ANKOM hat für die Gestaltung flexibler Übergänge durch Anrechnung bzw. Anerkennung in einem anderen Bildungskontext bereits erworbener Kompetenzen wichtige Arbeit geleistet. Umwege und ineffiziente Wiederholungen können dadurch vermieden werden (MUCKE 2010, 169). „Die Ergebnisse dieser Initiative zeigen aber auch, dass das Thema Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge sehr komplex ist und erst am Anfang steht“ (MÜLLER 2010, 188). Vor allem die Möglichkeit der Anrechnung und Anerkennung informell und non-formal erworbener Kompetenzen sind noch kaum bearbeitet (vgl. Abb. 5).

 

Abb. 5:   Lernformen und Anrechnung (REFERAT HARTMANN, ANKOM-Abschlusstagung, Berlin, 24./25.05.11)

Die drei inhaltlichen Kernbereiche der Anrechnungsmodelle sind Konzepte der Lernergebnisbeschreibung, der Äquivalenzfeststellung und des Anrechnungsverfahrens (STAMM-RIEMER/ LOROFF/ HARTMANN 2011). Für jedes Anrechnungsmodell ist die kriterienorientierte Ermittlung von Schnittmengen bzw. Anrechnungspotenzialen leitend. Zur Schaffung einer vergleichbaren Grundlage sind in den ANKOM-Projekten zunächst auf der Basis einer Beschreibungsmatrix die beruflichen Abschlüsse und hochschulischen Bildungsgänge lernergebnisorientiert beschrieben worden. Dazu war ein erheblicher Übersetzungsaufwand notwendig (HARTMANN 2008, 160f.). Eine valide, praktikable und strukturierte Lernergebnisbeschreibung für akademische wie berufliche Lernsettings können auf unterschiedlichen Wegen realisiert werden. Für einige ANKOM-Projekte diente der EQF als gemeinsame Orientierung beider Bildungsbereiche. Es wurden aber auch Alternativen herangezogen, wie z.B. die Taxonomie nach B. Bloom.

 

Abb. 6:   Abb. 6: Entscheidungsbaum für Anrechnungsverfahren (REFERAT HARTMANN, ANKOM-Abschlusstagung, Berlin, 24./25.05.11)

In den ANKOM-Projekten erwiesen sich kompetente „Übersetzer“ – Vertreter der beruflichen Bildung und der Hochschulen – als wichtige Erfolgsfaktoren. Dies zeigt, wie wichtig Vertrauen und gegenseitiges Verständnis der beteiligten Partner Hochschule und berufliche Bildung sind. Vertrauen zwischen den Beteiligten ist für jedes Anrechnungsmodell Voraussetzung. „Offenheit und die Bereitschaft, sich überhaupt auf den jeweils anderen Bildungsbereich einzulassen, sowie gegenseitiges Vertrauen waren Grundvoraussetzungen für authentische Einschätzungen“ (MUCKE 2010, 172).

Wenn es um die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge geht, werden die hochschulischen Module als „Maßstab“ der Äquivalenzbeurteilung dienen müssen (HARTMANN 2008, 163). Von daher sind berufliche Lernergebnisse als „virtuelle Module“ zu konstruieren (HARTMANN 2008, 163). Dabei zeigen sich hinsichtlich der Anrechnungsverfahren zwei Tendenzen: Einerseits rein pauschale Verfahren, andererseits individuelle und pauschale Verfahren in Kombination (vgl. Abb. 6 und 7).

 

Abb. 7:   Individuelles und pauschales Verfahren in Kombination (HARTMANN 2008, 169)

Pauschale Äquivalenzbeurteilungen stützen sich überwiegend auf Expertenurteile, die beim mäßig strukturierten Verfahren durch methodische Hilfsmittel unterstützt werden (vgl. Abb. 8). Es ist ein Kompromiss zwischen der Belastbarkeit der Ergebnisse und der praktischen Handhabbarkeit des Verfahrens. „Die einzige im ANKOM-Kontext entwickelte eindeutig stark strukturierte Methode – im Sinne eines Messinstruments – ist der Module Level Indicator (MLI). Der MLI dient speziell zur Niveaubeurteilung. Das Instrument umfasst neun Dimensionen (Skalen) mit insgesamt 51 Items (Fragen, Beurteilungsaspekten), die im Wesentlichen auf den EQR-Deskriptoren beruhen. Zusätzlich wurden Kriterien anderer Qualifikationsrahmenwerke berücksichtig. Die Skalen des MLI erfassen ‚Breite und Aktualität des Wissens’, ‚Kritisches Verstehen’, ‚Problemlösen und Fertigkeiten’‚ ‚Praxisbezug’, ‚Selbstständigkeit’, ‚Berücksichtigung sozialer und ethischer Fragen’, ‚Interdisziplinarität’, ‚Kommunikation’ und ‚Innovation’ (HARTMANN 2008, 166).

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Abb. 8:   Methoden und Instrumente der Äquivalenzprüfung (HARTMANN 2008, 164)

Als zentrale Ergebnisse der ANKOM-Initiative kann festgestellt werden, dass damit die „praktische Machbarkeit von Anrechnung auf Hochschulstudiengänge für unterschiedlichste Kombinationen von akademischen und beruflichen Fachrichtungen sowie Hochschultypen demonstriert“ wurde (HARTMANN u.a. 2008, 18). Zudem wurden Berührungsängste zwischen Akteuren der beruflichen Bildung und des Hochschulbereichs abgebaut sowie Anrechnungsverfahren in neuartige, auf die Bedürfnisse berufstätiger Studierender zugeschnittene Studienmodelle integriert. Dabei können sowohl die Institutionen Schule und Hochschule als auch die Studierenden von einer Anrechnung profitieren.

6 Vom bildungspolitischen Projekt zur faktischen Profilbildung

Es müssen zielgruppenspezifische Bildungsangebote im hochschulischen Bereich zur Verfügung stehen – auch sog. Brückenkurse –, die den Aspekt des „Abholens“ der Studierwilligen durch eine entsprechende Hochschuldidaktik erfüllen. „Es ist nicht zielführend, wenn Zugänge möglich, jedoch keine ausreichenden studierbaren Angebote vorhanden sind. Im Vergleich zu klassischen Präsenzstudiengängen für Abiturienten ist die Ausweitung solcher qualitativ gleichwertiger Studienangebote notwendig, die zeitlich und organisatorisch auf die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitssituationen der beruflich qualifizierten Studieninteressierten abgestimmt sind. Die verstärkte Anwendung von Selbstlernphasen, eine Kombination von Präsenz- und Onlinestudium sowie die Anrechnung vorhandener beruflicher Qualifikationen auf das angestrebte Studium würden zu einer Entzerrung der Präsenzstudienzeit führen und solche Angebote für unterschiedliche Zielgruppen…studierbarer machen“ (MUCKE 2010, 168f.). Selbst wenn die Voraussetzungen für eine Durchlässigkeit und Verzahnung der Bildungsbereiche geschaffen sind, müssen diese Möglichkeiten für potenzielle Nutzer auch erkennbar und finanzierbar sein.

Voraussetzung ist, dass für die Anrechnungsperspektive eine größere Plattform an Hochschulen geschaffen wird, zu denken ist hier auch an die Bestellung eines Anrechnungsbeauftragten. Von den Akkreditierungsagenturen und zuständigen Stellen der beruflichen Bildung müsste eine verstärkte Fokussierung auf die Qualität der Lernergebnisbeschreibung erfolgen, die für die Anrechnungspraxis bedeutsam ist. Dazu gehört auch eine lernergebnisorientierte Ausgestaltung von Ordnungsmitteln (MUCKE/ KUPFER 2011). Um berufliche Bildung durchlässiger und anschlussfähiger zu machen, könnten auch Zielvereinbarungen zwischen der Schulaufsicht und den berufsbildenden Schulen mit entsprechenden Beratungen hilfreich sein.

Die Hochschulen werden sich „wandeln (müssen), wenn sie sich einer veränderten Klientel gegenübersehen – zu beider Vorteil“ (BREMER u.a. 1993, 12). Für die Institution Hochschule stellt ohnehin der Bezug zur Beschäftigungsfähigkeit eine Neuorientierung dar, geht es doch darum, die Studierenden verstärkt auf berufliche Handlungsfelder vorzubereiten. Hier können vor allem Studierende mit mehrjähriger studienfachnaher Berufserfahrung Akzente nicht nur für ihr eigenes Studium, sondern auch für ein Tutorensystem setzen. Vergleicht man die Leitziele und Orientierungen in den Bereichen beruflicher Aus- und Fortbildung auf der einen Seite und die Hochschulbildung auf der Bachelor-Stufe auf der anderen Seite, so sind trotz aller Differenzen zwischen der Herausbildung einer beruflichen Handlungskompetenz und der einer Beschäftigungsfähigkeit Ähnlichkeiten bzw. Überlappungen festzustellen. „Aus diesem Grund wäre es überlegenswert, die curricularen und didaktischen Prinzipien im Rahmen der beruflichen Bildung auf die Hochschulbildung zu übertragen“ (GERHOLZ/ SLOANE 2008, 17).

Zugleich ist die Durchlässigkeit aus der beruflichen Bildung in ein Studium für einen erfolgreichen Abschluss durch die berufsschulische Seite mit ihrem Qualifizierungspotenzial abzusichern, wenngleich „’gekonntes’ Studieren sich nicht leicht definieren läßt“ (BREMER u.a. 1993, 7f.). Insofern wäre vor dem Hintergrund der Beantwortung der Frage, unter welchen Bedingungen das Absolvieren eines beruflichen Bildungsganges mit Anerkennungspotenzial erfolgreiches Studieren ermöglicht, zu klären und entsprechend bildungspolitisch zu handeln, wie Berufsbildungsgänge in dieser Hinsicht zu fokussieren sind.

Studierfähigkeit hat immer auch Studierbarkeit des Studienganges zur Voraussetzung. Dabei ist Studierfähigkeit im Sinne einer Kompetenzentwicklung zu sehen. Es ist ein Potenzial, das zu Beginn des Studiums bereits angelegt sein und während des Studiums ausgebaut werden sollte. Bezüglich der Vermittlung von Grundlagen einer Studierfähigkeit können berufsbildende Schulen aufgrund ihrer Möglichkeiten die erforderlichen Orientierungsleistungen für die ersten Semester des Studiums bieten. Gelingt dies, können Studierende mit ihrer ausgeprägten Selbstständigkeit und Zielorientierung Akzente im und nach dem Studium für ihre eigene Entwicklung und den Wissens- und Technologietransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft setzen.

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Zitieren dieses Beitrages

PÄTZOLD, G. (2011): Berufliche Bildung und Hochschulzugang – Potenziale stärken sowie Kooperationen und Anschlüsse ausbauen. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 27, hrsg. v. GEHLERT, B./ PÄTZOLD, G., 1-19. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws27/paetzold_ws27-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

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