Ausgabe 25
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bwp@ 25 - Dezember 2013
Ordnung und Steuerung der beruflichen Bildung
Hrsg.:
, &Vom Hauptschulabschluss zur Berufsbildungsreife – Berufspädagogische Reflexionen zu einem neuen „Label“
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, haben Schulpolitiker/-innen einzelner Bundesländer nicht nur das Ende des inzwischen beinahe diskriminierend wirkenden Hauptschulabschlusses eingeläutet, sondern möglicherweise auch einen Paradigmenwechsel begonnen, der auf eine stärkere Verbindung zwischen allgemeinbildendem Pflichtschulbesuch und Berufsbildungssystem hinweist. Während z. B. in Berlin, Brandenburg und Bremen die Schulabgänger der neunten Klasse eine „Berufsbildungsreife“ sowie statt des bisherigen mittleren Schulabschlusses die „erweiterte Berufsbildungsreife“ attestiert bekommen, werden demnächst weitere Bundesländer nachziehen. Derweil wird andernorts (wie in Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern) nach erfolgreichem Besuch der Regelschule sogar die „Berufsreife“ vergeben. Die Nähe dieser Termini zum immer wieder strittig-schillernden Begriff der Ausbildungsreife verlangt bereits nach genaueren Betrachtungen. So stellt sich die Frage, ob mit den neuen Schulabschlüssen auch tatsächlich tiefere Einsichten und berufspädagogische Folgen verbunden sind oder nur ein neues „Label“ das verbrauchte der Hauptschule ablösen soll.
In dem Beitrag werden mittels einer Inhaltsanalyse die Schulgesetze der Länder hinsichtlich der Schulabschlüsse und deren Anschlussfähigkeit zur beruflichen Bildung untersucht. Der empirische Teil dieser Betrachtung zeigt, dass der grundlegende Wandel im vollen Gange ist. Er hat aber auch schon einen über 20 Jahre langen Weg hinter sich gebracht.
From the Hauptschule leaving certificate to the vocational education certificate – vocational and pedagogical reflections on a new ‘label’
Largely unnoticed by the general public, educational policy makers in some federal states have not only announced the demise of the Hauptschule leaving certificate which, meanwhile, has an almost discriminating effect, but they have also possibly set a paradigm shift in motion, which points to a stronger connection between compulsory general schooling and the vocational education system. While in Berlin, Brandenburg and Bremen, for example, school leavers in the ninth class already receive a certificate of “vocational education maturity”, as well as, instead of the middle school leaving certificate, the “expanded vocational education maturity” certificate, other federal states will soon follow suit. On the other hand, in other states (such as Rheinland-Pfalz and Mecklenburg-Vorpommern), successful completion of compulsory schooling even ends with the award of the certificate of “vocational maturity”. The proximity of these terms to the controversial concept of Ausbildungsreife (initial training maturity) already requires closer inspection. So the question arises as to whether deeper insights and occupational and pedagogical consequences are associated with these new school certificates or whether simply a new ‘label’ is supposed to replace the worn-out one of the Hauptschule.
In this paper, a content analysis examines the school laws of the federal states regarding school leaving certificates with regard to their compatibility with vocational education. The empirical part of this investigation shows that fundamental change is well under way, and that it even can already look back on 20 years.
1 Allgemeinbildende Schule als vorberufsbildender Lernort – Einleitung
Aus berufspädagogischer Perspektive kann der allgemeinbildende neun- oder zehnjährige Pflichtschulbesuch als ein auf die Berufsausbildung vorbereitender Bildungsgang verstanden werden. Dann sind die Haupt- oder Realschule bzw. die jeweilige länderspezifische Schulform, mithin selbst das Gymnasium, ein vorberufsbildender Lernort.
Aus Sicht des allgemeinbildenden Schulsystems wird selten eine derart konsequent berufspädagogische Position vertreten. Vielmehr meinen Vertreter der allgemeinbildenden Schulen, der Besuch ihrer Einrichtungen würde ganz allgemein auf das Leben vorbereiten. Dabei hat die KMK in ihrer Vereinbarung über die Sekundarstufe I klargestellt, dass „die Hinführung zur Berufs- und Arbeitswelt (...) verpflichtender Bestandteil für alle Bildungsgänge“ (KMK 2012, 9) sei. Dennoch hat es jahrzehntelang keinerlei Bezug zwischen der Abschlussbezeichnung der allgemeinbildenden Schule und dem (folgenden) Berufsbildungssystem gegeben. Der Hauptschulabschluss galt lange Zeit traditionell als Regeleintrittskarte in das (nicht-akademische) Berufsbildungssystem. Nach und nach verdrängte der Mittlere Schulabschluss (Realschulabschluss) als häufigste Form den Hauptschulabschluss, mit dem Jugendliche eine berufliche Ausbildung begannen. Noch 1990 kamen 35,5 Prozent aller Auszubildenden aus der Hauptschule, wobei vor allem in handwerklichen Ausbildungsberufen Quoten von über 60 Prozent erreicht wurden, während Realschüler/-innen, die damals 32 Prozent aller Auszubildenden ausmachten, besonders in Industrie und Handel stark vertreten waren (ZEDLER 1992, 3). Im aktuellen Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2013 wird bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen 2011 noch die Zahl von bundesweit 31,9 Prozent angegeben, bei denen ein Hauptschulabschluss als höchster Abschluss vorliegt, hingegen haben 42,1 Prozent einen Realschulabschluss und 23,1 Prozent eine Studienberechtigung (LISSEK 2013, 169). Dabei schwanken die Zahlen in den Bundesländern zum Teil erheblich. In Bayern (43,0 Prozent) und im Saarland (37,1 Prozent) gibt es noch mehr Auszubildende mit Hauptschulabschluss, in Sachsen-Anhalt (53,2 Prozent), Sachsen (52 Prozent) und Thüringen (51,9 Prozent) haben hingegen mehr als doppelt so viele Ausbildungsneuanfänger einen Realschul- als einen Hauptschulabschluss (ebd.).
Seit einiger Zeit haben mehrere Bundesländer die Bezeichnungen geändert oder sind – wie in Schleswig-Holstein – gerade dabei, dieses zu tun. Offensichtlich als Reaktion auf die Entwicklungen, wonach die Hauptschule durch veränderte Bildungsströme mit dem Trend zu höheren Schulabschlüssen immer mehr zu einer „Restschule“ wird, und dem politischen Willen, die Hauptschule als zunehmend diskriminierende Schulform abzuschaffen, wird Schulabgängerinnen und -abgängern in einigen Ländern mittlerweile statt eines Hauptschulabschlusses eine „Berufsbildungsreife“ oder sogar eine „Berufsreife“ attestiert.[1] Mit neuen oder novellierten bzw. neugefassten Schulgesetzen sind die Länder dabei, die Abschlussbezeichnungen zu ändern. Solche Entscheidungen der Legislative werden aber von der Berufspädagogik bislang nicht aufgegriffen und auch nicht kommentiert. Zu untersuchen ist, ob von politischer Seite damit ein tieferer Verständniswandel einhergeht oder ob nur das diskriminierend wirkende Etikett gewechselt wird. In dem Beitrag wird dieser zentralen Fragestellung mittels einer Inhaltsanalyse der aktuellen Schulgesetze der Bundesländer nachgegangen. Die Schulgesetze als Ausdruck des politischen Willens der jeweiligen Bundesländer[2]werden dazu hinsichtlich der Schulabschlüsse sowie deren Anschlussfähigkeit zur beruflichen Bildung betrachtet.
2 Zum Begriff der Reife in der Berufspädagogik
2.1 Annäherungen an ein berufspädagogisches Begriffsverständnis von Reife
Der Reifebegriff hat besonders in der pädagogischen Psychologie einen hohen Stellenwert. HEINRICH ROTH (1971, 107 f.) ist dabei von drei ähnlichen Entwicklungsgängen ausgegangen: erstens den Reifeprozessen, bei denen die „Regulation und Steuerung der Fortschritte in der Entwicklung im wesentlichen vom Organismus bestimmt“ (ebd., 108) werden, zweitens den Lernprozessen, bei denen es im Wesentlichen um das Nutzbarmachen eigener und fremder Erfahrungen geht, und drittens den kreativen Gestaltungsprozessen, die u. a. „auf Reife- und Lernprozessen aufbauen“ (ebd.). Die „naturhaften Reifeprozesse“, so ROTH (ebd.) mit Blick z. B. auf Zahnbildung, Muskelstärkung etc. weiter, „setzen beispielsweise neue Organe zu einem neuen Austausch mit der Welt frei“. Eine Reife in Bezug auf die Erwerbsarbeit tut dieses letztlich ähnlich, denn „an der Pforte zur Berufswelt“ – so könnte man sagen – eröffnen sich für den Betroffenen bislang verschlossene Horizonte.
ROTH sieht allerdings neben dem naturhaften anthropologisch-psychologischen Reifebegriff auch einen im übertragenen Sinne. „Hier wird die normative Feststellung in den Reifebegriff hineingenommen, Erlernbares bis zur Vollendung erworben zu haben.“ (ROTH 1971, 114) Um mit ROTH (ebd., 114 f.) und im Kontext der Reife zu einer Berufsbildung zu sprechen: „Auch wenn wir urteilen“, ein Jugendlicher sei reif für die berufliche Ausbildung, „so heißt das doch wohl, daß wir meinen, seine Kräfte und Fähigkeiten seien im Wechselspiel von Reifen und Lernen zu einer abgerundeten und integrierten Leistungsbereitschaft zusammengewachsen. Fachlich gesprochen sind mit dieser Bereitschaft ‚überlernte‘ und ‚automatisierte‘, mit Energie und Motiven aufgeladene Fähigkeiten und Fertigkeiten gemeint. Wenn wir auf sie den Reifebegriff anwenden, muß dieser klar unterschieden werden von Reifevorgängen, die uns sozusagen auch im Schlaf zuwachsen.“
Die damit angesprochene Unterscheidung des anthropologisch-psychologischen Reifebegriffs vom normativ-übertragenen Verständnis ist wichtig, denn berufsbildungs- oder berufsreif ist eben kein Zustand, der „wie von selbst“ ohne eigenes Zutun nur durch Entwicklungsprozesse des Organismus erreicht wird. Ansonsten aber finden sich durchaus Metaphern, die sich auf eine Berufsbildungs- oder Berufsreife beziehen lassen.
Bereits 1965 hat HEINRICH ABEL den Reifebegriff entsprechend auch im berufspädagogischen Kontext genutzt. Der erste Berufspädagoge der Bundesrepublik mit einem ebensolchen Lehrstuhl hatte auf eine frühzeitige Vorbereitung auf eine Berufsausbildung gedrungen. Offenbar animiert durch seine Erfahrungen aus der Sowjetunion, die zur Berufsvorbereitung eine allgemeinbildende polytechnische Schule favorisiert hatte, forderte er: „Die Reife für die Berufsausbildung muß vom 7. Schuljahr an pädagogisch sinnvoll vorbereitet werden (...).“ (ABEL 1965, 99) ABEL verweist sodann auch auf einen damals diskutierten „Vorschlag, den Lehrabschluß durch ein dem Leistungsvermögen der Jugendlichen angepaßtes berufliches Reifezeugnis zu ersetzen; seine anspruchsvollste Form ist die Fachschulreife als neuartiger Bildungsabschluß“ (ebd., 100). „Das berufliche Reifezeugnis mit seinem Aufforderungscharakter an die werktätigen Jugendlichen“, so ABEL (ebd., 101) weiter, „schließt die obligatorische öffentliche Erziehung ab“.
Die von ABEL gezeichneten Bildungswege knüpfen damit direkt an den Überlegungen von EDUARD SPRANGER (1923, 10) zum „Drei-Stufen-Modell“ der Folge von grundlegender Bildung, beruflicher Bildung und (höherer) allgemeiner Bildung an. So spricht ABEL (1965, 103) dann auch von der zentralen Forderung: „eine gleiche Bewertung der beruflichen Ausbildung und der mit ihr wechselseitig zu verknüpfenden allgemeinen Bildung“. „Sie sollte im beruflichen Reifezeugnis, das an die Stelle der bisherigen Lehrabschlüsse tritt, sichtbaren Ausdruck finden.“ (ebd.) Offiziell gibt es bis heute kein „berufliches Reifezeugnis“. Damit würde – positiv gedeutet – zum Ausdruck gebracht werden, dass jemand die bzw. eine „berufliche Reife“ nachgewiesen hätte. Sofern dieses sich auf einen konkreten spezifischen Beruf beziehen würde, könnte man dem auch gut zustimmen. Allerdings sind Missverständnisse nicht ausgeschlossen, da hierunter auch eine „allgemeine Reife für (mehrere) Berufe“ oder sogar der Abschluss eines Beruflichen Gymnasiums verstanden werden könnte.
Diese noch vagen Überlegungen – die nachfolgenden Diskussionen etwa zur Berufsreife bzw. „Ausbildungseignung ausländischer Jugendlicher“, wie sie vor allem in den 1970er und 1980er Jahren geführt wurden (z. B. Beer 1988, 17 f.), können hier nicht weiter aufgegriffen werden – zeigen, dass die Begriffe gut durchdacht sein mögen. Der Bildungsföderalismus in der Bundesrepublik hat allerdings trotz der Mittlerfunktion der Kultusministerkonferenz eine inhaltliche und begriffliche Vielfalt im Schulbereich erzeugt, die es mittlerweile schwierig werden lässt, eine „gemeinsame Sprache“ zu finden.
2.2 Berufsbildungsreife, Ausbildungsreife und Berufsreife als berufspädagogische Termini
Wird unter Beruf die weite Begriffsfassung des deutschen Bundesverfassungsgerichts von 1958 verstanden, wonach „jede erlaubte Tätigkeit als Beruf“ ergriffen werden kann, „auch wenn sie nicht einem traditionell oder rechtlich fixierten ‚Berufsbild’ entspricht“ (BVerfGE 1958, 7, 377), so wird für einen solchen Beruf auch keine Ausbildung vorausgesetzt. Dem Grunde nach schlägt sich hier die Reinform des Liberalismus nieder: Jeder darf alles (Erlaubte) tun; der Markt entscheidet über Erfolg oder Nichterfolg. „Berufsreif“ ist dann schon jemand, wenn er in der Lage ist, eine erlaubte Tätigkeit erwerbsmäßig auszuüben. Dazu sollte – von besonderen Beeinträchtigungen einmal abgesehen – jeder junge Mensch nach Ende eines neun- oder zehnjährigen Schulbesuchs befähigt sein, wenn auch hierfür in der Regel nur eine gering- bzw. unqualifizierte Tätigkeit in Frage kommt, etwa als Putzmann/Putzfrau, Lagerarbeiter/-in oder als Zeitungsausträger/-in. Für nicht-reglementierte Berufe der Beschäftigungswelt gelten auch keine Einschränkungen. Einziges Kriterium ist das der Erlaubtheit. Nicht-reglementierte Berufe setzen weder eine Vor- noch eine berufsbezogene spezifische Ausbildung voraus. Entsprechende erwerbsmäßige Tätigkeiten müssen nicht zwingend als abhängig Beschäftigte/-r, sondern können auch als Selbstständige/-r durchgeführt werden. Demnach ist die „Hürde“ für „Berufsreife“ für nicht-reglementierte Berufe entsprechend gering. Damit ist allerdings noch nichts über die mittel- oder langfristigen Erfolgsaussichten solcher „Berufstätiger“ gesagt. Im Allgemeinen darf man in einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft davon ausgehen, dass entweder sich mittel- und langfristig nur solche Berufsangehörigen auf dem Käufermarkt behaupten werden, deren Berufsarbeit auch ausreichend Qualität aufweist, oder aber die Beschäftigten dauerhaft eher Hilfsarbeiten im Niedriglohnsektor verrichten werden. Berufliche Entwicklungsperspektiven, Zufriedenheit und Erfüllung im Beruf sowie Identifikation mit dem Beruf sind mit solchen „Jobs“ in der Regel nicht verbunden.
Für reglementierte Berufe stellt sich die Situation anders dar. Berufe werden reglementiert, wenn durch Erwägungen des Gemeinwohls eine Einschränkung der grundgesetzlich verankerten Berufsfreiheit (vgl. Art. 12 GG) notwendig wird. Dieses betrifft solche „hohen Rechtsgüter“ wie die Gesundheit bzw. Unversehrtheit von Menschen und Tieren, den Schutz der Natur bzw. Umwelt etc. Vor allem sind es die subjektiven Voraussetzungen zur Berufsausübung, speziell die Vor- und Ausbildung, die der Gesetzgeber hier regeln darf. In solchen Fällen wird die spezifische „Berufsreife“ erst erlangt,[3] wenn die subjektiven Voraussetzungen gegeben sind. Demnach könnte man meinen, dass diejenige Person zunächst eine „Ausbildungsreife“ erlangt, dann eine Ausbildung absolviert und erst nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung eine „Berufsreife“ für den spezifischen Beruf besitzt. Hierbei deckt der gewählte „normative“ Ausbildungsberuf i. d. R. auch eine gewisse Spannbreite von „empirischen“ Erwerbsberufen ab.
Wird nicht das weite Berufsverständnis des Bundesverfassungsgerichts vorausgesetzt, sondern berufspädagogischen Auffassungen gefolgt, stellt sich die Situation hingegen anders dar. In der (deutschen) Berufspädagogik ist dem Berufsbegriff ein notwendiger Lernvorgang immanent. Die zur Berufsausübung notwendige berufliche Handlungskompetenz erwerben Personen demnach u. a. durch berufliche Bildung; entweder institutionalisiert über einen formalen Ausbildungsgang oder nicht-institutionalisiert durch nonformales oder informelles Lernen, dessen Erfolg gegebenenfalls z. B. über eine Externenprüfung nach § 45 Abs. 2 BBiG (ggf. auch § 45 Abs. 3 und § 43 Abs. 2 BBiG) nachgewiesen werden kann. Wie dem auch sei: Zur Berufsausübung ist man erst befähigt, so gängige berufspädagogische Auffassungen, wenn man einen mehr oder weniger langen (i. d. R. mehrjährigen) berufsbezogenen Lernprozess erfolgreich bewältigt hat.
Nimmt man ein solches (berufspädagogisches) Verständnis zur Grundlage, dann kann „Berufsreife“ erst am Ende einer beruflichen Ausbildung für einen spezifischen Ausbildungsberuf bzw. ein damit aufgerissenes gewisses Spektrum an Erwerbsberufen, nicht aber bereits am Ende der allgemeinen Schulbildung stehen. Hier wäre „Ausbildungsreife“ oder – weiter gefasst – „Berufsbildungsreife“ für den Abschluss der Sekundarstufe I angebracht (Abb. 1).
Wird auf das Berufsbildungsgesetz (BBiG) zurückgegriffen, dann wird dort unter Berufsbildung die Berufsausbildungsvorbereitung, die Berufsausbildung und die berufliche Weiterbildung – ausdifferenziert in berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung – verstanden (§ 1 Abs. 1 BBiG). Berufsbildungsreif wäre demnach jemand, der in der Lage ist, eine Berufsausbildungsvorbereitung, eine Berufsausbildung und bzw. oder eine berufliche Weiterbildung zu absolvieren. „Ausbildungsreife“ wäre dann nur ein Teilbereich der „Berufsbildungsreife“. Die Berufsbildungsreife kann demnach durchaus auch bedeuten, dass jemand in der Lage ist, eine berufsvorbereitende Maßnahme erfolgreich zu absolvieren, mit der er danach gegebenenfalls berufsausbildungsreif wird, also eine berufliche Erstausbildung absolvieren kann (Abb. 2).
Der Begriff der Ausbildungsreife ist im deutschen Berufsbildungssystem gerade im jüngsten Jahrzehnt verstärkt genutzt worden und inzwischen schon beinahe zu einem politischen Kampfbegriff zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite geworden (s. hierzu z. B. DOBISCHAT u. a. 2012).[4] Jugendliche, die an der sogenannten ersten Schwelle zwischen Schulabschluss und Aufnahme einer Berufsausbildung scheitern und „keinen Ausbildungsplatz finden, werden mit dem Makel ‚nicht ausbildungsreif’ in die Übergangssysteme entlassen“ (AKKERMANN 2013, 38). An dieser Stelle setzen die heftigen Diskussionen an, da arbeitgeberseitig über schlechtere Leistungsfähigkeiten der Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerber geklagt, arbeitnehmerseitig jedoch die fehlende Verantwortungsübernahme der Wirtschaft kritisiert wird, wobei die fehlende Ausbildungsreife oft nur ein Vorwand sei. Daher ist es wichtig, möglichst klare Kriterien zu benennen, die für Ausbildungsreife gelten sollen. „Unter formalen Gesichtspunkten“, so JENS AKKERMANN (ebd.), „gilt man als ausbildungsreif, sofern die Mindestvoraussetzungen mitgebracht werden, die dazu befähigen, irgendeinen Ausbildungsberuf erfolgreich zu absolvieren“. Unklar bleibt hierbei, was mit „irgendein Ausbildungsberuf“ gemeint sein kann, denn fraglos sind die ausbildungsberufsspezifischen Anforderungen recht unterschiedlich. Oft werden diese Mindestvoraussetzungen analytisch in fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen ausdifferenziert (z. B. REIBOLD 2013). Genauer wird beispielsweise durch die Bundesagentur für Arbeit bei einer Ausdifferenzierung zwischen den Begriffen „Ausbildungsreife“, „Berufseignung“ und „Vermittelbarkeit“ definiert: „Eine Person kann als ausbildungsreif bezeichnet werden, wenn sie die allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit erfüllt und die Mindestvoraussetzungen für den Einstieg in die berufliche Ausbildung mitbringt. Dabei wird von den spezifischen Anforderungen einzelner Berufe abgesehen, die zur Beurteilung der Eignung für den jeweiligen Beruf herangezogen werden (Berufseignung). Fehlende Ausbildungsreife zu einem gegebenen Zeitpunkt schließt nicht aus, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt erreicht werden kann.“ (BA 2009, 13) Sodann wird – dieses hier nur zur Vollständigkeit – die Ausbildungsreife noch in einem Kriterienkatalog nach fünf Merkmalsbereichen präzisiert (s. ebd., 17 ff.).
Ausbildungsreife hat allerdings auch eine dynamische Komponente, die zu beachten ist. Die Kritik der Wirtschaft auf der einen Seite, immer mehr Jugendliche würden nicht ausbildungsreif sein, weil sie schlechtere Lernvoraussetzungen mitbringen, korrespondiert offenbar mit gestiegenen Anforderungen, um einen Beruf zu erlernen. In einer Studie hat AKKERMANN (2013) für den kaufmännischen Bereich anhand einer vergleichenden Analyse von Lehrplänen zwischen 1978 und 2006 festgestellt, dass heutige Schulabgänger/-innen mehr Vorkenntnisse mitbringen müssen, „um eine Ausbildung absolvieren zu können, als dies noch vor 30 Jahren der Fall war“ (ebd., 41). Daher kommt er in Verbindung mit der Definition von Ausbildungsreife zu der Feststellung, dass es heute wesentlich schwieriger sei, ausbildungsreif zu sein als noch vor 30 Jahren.
3 Hauptschule und Hauptschulabschluss unter berufspädagogischem Fokus
3.1 Zur berufspädagogischen Funktion der Hauptschule
Formal wurde und wird in der Bundesrepublik für die Aufnahme einer beruflichen Ausbildung (im Dualen System) kein (bestimmter) Schulabschluss vorausgesetzt. Es ist allein Angelegenheit der vertragsschließenden Parteien, Ausbildender und Auszubildender, ob ein Ausbildungsverhältnis zustande kommt. Grundsätzlich steht eine Ausbildung damit – unabhängig von der Vorbildung, d. h. besonders vom vorliegenden oder einem fehlenden Schulabschluss – jedem offen.
Von dieser Tatsache eines grundsätzlich frei aushandelbaren Geschehens auf dem Ausbildungsmarkt ausgehend, sollten die Curricula für den betrieblichen wie für den schulischen Teil der Ausbildung im Allgemeinen an einem Kenntnis- bzw. Bildungsstand anschließen, der dem Hauptschulabschluss als Eingangsvoraussetzung entspricht. Nach Auffassung der KMK (2012) vermittelt die Hauptschule „ihren Schülerinnen und Schülern eine grundlegende allgemeine Bildung, die sie entsprechend ihren Leistungen und Neigungen durch Schwerpunktbildung befähigt, nach Maßgabe der Abschlüsse ihren Bildungsweg vor allem in berufs-, aber auch in studienqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen“ (KMK 2012, 7). Der Hauptschulabschluss zum Ende der Jahrgangsstufe 9 als ein erster allgemeinbildender Schulabschluss (ebd., 9 f.) „wird zur Aufnahme einer dualen Berufsausbildung genutzt und berechtigt weiterhin zum Eintritt in das Berufsgrundbildungsjahr sowie unter bestimmten Voraussetzungen in Berufsfachschulen“ (ebd., 12). Mit Entstehen der Hauptschule als Nachfolgeeinrichtung der Volksschule war der Hauptschulabschluss in der Tat die gängigste Form des Schulabschlusses von damaligen Lehrlingen.
Auch Absolventinnen und Absolventen der Realschule waren mit Entstehen des dreigliedrigen Schulsystems Zielgruppe des Dualen Systems. Dabei vermittelt die Realschule – so die KMK (2012, 7) – „ihren Schülerinnen und Schülern eine erweiterte allgemeine Bildung, die sie entsprechend ihren Leistungen und Neigungen durch Schwerpunktbildung befähigt, nach Maßgabe der Abschlüsse ihren Bildungsweg in berufs- und studienqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen“. Im Übrigen sieht die KMK (ebd.) für Absolventinnen und Absolventen der Gymnasien nicht nur die Hochschule als jenen Ort an, an dem der Bildungsweg fortgesetzt werden kann, sondern sie spricht für diese Zielgruppe ebenso von „berufsqualifizierenden Bildungsgängen“.
Obgleich es formal keine definierten Eingangsvoraussetzungen in eine berufliche Ausbildung des Dualen Systems gibt und ursprünglich von Hauptschulabsolventinnen und -absolventen als zahlenmäßig größte Zugangsgruppe ausgegangen wurde, hat es im Laufe der Zeit Separierungen gegeben. So gibt es einerseits Ausbildungsberufe, für die eine solche Annahme noch heute zutrifft, wie „Maler/-in und Lackierer/-in“ (72,5 Prozent), „Fachverkäufer/-in im Lebensmittelhandwerk“ (72,1 Prozent) und „Friseur/-in“ (63,7 Prozent) (LISSEK 2013, 173). Andererseits haben sich einige Ausbildungsberufe, vor allem im kaufmännischen Bereich, in Richtung tatsächlich deutlich höherer Eingangsvoraussetzungen entwickelt. So verfügen laut Datenblätter des BIBB beim Beruf „Bankkaufmann/Bankkauffrau“ aktuell weniger als 0,5 Prozent entweder über einen Hauptschulabschluss oder noch nicht einmal über einen Hauptschulabschluss (s. BIBB 2013a, 2), und selbst beim gewerblich-technischen Ausbildungsberuf „Fachinformatiker/-in“ sind es für diese beiden Vorbildungsgruppen nur knapp über 5 Prozent der Auszubildenden (s. BIBB 2013b, 2). Sieht man zudem einige Rahmenlehrpläne der KMK und viele Umsetzungsbeispiele an den berufsbildenden Schulen, so darf man hier und da auch schon von einem deutlich über dem Hauptschulabschluss liegenden Niveau ausgehen.
3.2 Berufspädagogisch relevante Entwicklungen im Kontext der Hauptschule
Da Schulpolitik Ländersache ist, hat sich der öffentliche Bildungsbereich in über 60 Jahren Bundesrepublik sehr unterschiedlich und bundeslandspezifisch entwickelt. Einen Gesamtüberblick über alle vorfindbaren Schulformen und -abschlüsse zu geben, ist – auch aufgrund der fortlaufenden politischen (und damit speziell: bildungspolitischen) Veränderungen in den Ländern – nicht einfach. Selbst der KMK fällt es schwer. So sind auch pauschalisierende Aussagen insofern problematisch, als dass es immer wieder Ausnahmen gibt. Zu beachten sind dabei beispielsweise Aspekte wie:
- Der Hauptschulabschluss wird nicht nur an der Schulform „Hauptschule“ vergeben. Er kann auch im Kontext einer anderen allgemeinbildenden Schule, z. B. in Mittel-, Sekundar-, Regel- oder Integrierter Gesamtschule, aber auch (gewissermaßen nachträglich) an einer berufsbildenden Schule erworben werden.
- Es gibt in einigen Ländern eine neun-, in anderen eine zehnjährige Schulpflicht.
- Wie noch genauer zu zeigen ist, kann der Hauptschulabschluss verschiedene Bezeichnungen tragen. Die KMK hat in ihrer Vereinbarung zum Sekundarbereich I festgehalten: „Am Ende der Jahrgangsstufe 9 besteht in allen Ländern die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss als einen ersten allgemeinbildenden Schulabschluss zu erwerben. Er wird in der Mehrzahl der Länder als Hauptschulabschluss bezeichnet, in Berlin, Brandenburg und Bremen als Berufsbildungsreife, in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz als Berufsreife.“ (KMK 2012, 9 f.)
- Es kann den „einfachen“ Hauptschulabschluss ebenso geben wie einen „qualifizierten“ oder „erweiterten“ Hauptschulabschluss. Es gibt zudem die „erweiterte Berufsbildungsreife“ bzw. (in Mecklenburg-Vorpommern) die „Berufsreife mit Leistungsfeststellung“.
- Der formale Schulabschluss kann mit einer Abschlussprüfung verbunden sein oder auch nicht.
In allen Bundesländern tritt – in unterschiedlicher Stärke – das Problem auf, dass einige junge Menschen mit Verlassen der allgemeinbildenden Schule keinen Schulabschluss erwerben. Im Jahre 2004 lag die Zahl bundesweit bei 29.000 Schülerinnen und Schülern der Hauptschule (KLEIN 2004, 3). Als Anfang des neuen Jahrtausends im Kontext von PISA- und anderen Vergleichsstudien die Diskussion aufkam, im schulischen Bereich bundesweit einheitliche (Mindest-)Standards zu definieren und Qualitätssicherungssysteme zu installieren, erinnerte KLEIN (ebd., 4) an die Anschlussfähigkeit an das (nicht-akademische) Berufsbildungssystem: „Die Schüler sollen mindestens befähigt werden, eine Berufsausbildung absolvieren zu können.“
Die Hauptschule verlor mit der „Bildungsexpansion“ ab den 1970er Jahren zunehmend an Bedeutung. Der Beitritt der fünf neuen Bundesländer zum 3. Oktober 1990 wirkte dabei noch als Beschleuniger der Entwicklung, denn die Hauptschule konnte sich dort nie richtig etablieren. Allerdings war die Zahl der Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 5 bis 10 auch in den „alten“ Bundesländern im Jahre 1990 auf nur noch 1,054 Millionen gesunken und damit fast auf dem Niveau der Gymnasien angelangt (ZEDLER 1992, 1). Fünfzehn Jahre zuvor waren es noch 2,5 Millionen Hauptschüler/-innen gewesen; in den Jahrgangsstufen 7 bis 9 lag die Quote 1975 bei 46 Prozent (KRAMER 1993, 1).
Die Domäne der Hauptschulabsolventinnen und -absolventen im Berufsbildungssystem liegt traditionell im Handwerk. Im Jahre 1991 hatten 67,5 Prozent aller Auszubildenden im Beruf „Friseur/-in“ einen Hauptschulabschluss; beim Beruf „Gas- und Wasserinstallateur/-in“ lag die Quote bei 64,9 Prozent, und selbst der Ausbildungsberuf „Industriemechaniker/-in“ (Betriebstechnik) war mit 50,9 Prozent von Auszubildenden mit Hauptschulabschluss belegt (KRAMER 1993, 3). Letzterer Beruf – inzwischen nicht mehr ausdifferenziert in Zuständigkeitsbereich und Fachrichtung – weist nach Datenblatt des BIBB heute nur noch eine Quote von 21 Prozent derjenigen auf, die entweder über einen Hauptschulabschluss oder aber über gar keinen Schulabschluss verfügen (s. BIBB 2013c, 2).
Obwohl mit der Neuordnung der Metall- und Elektroberufe von 1987/1989 der Anteil der Hauptschüler/-innen beispielsweise im Metallhandwerk zwischenzeitlich von 50 Prozent (1985) auf 55 Prozent (1990) stieg (KRAMER 1993, 4), hatte die Hauptschule auf Dauer kaum eine Chance. Am längsten hielt sie sich dabei ausgerechnet in den wirtschaftlich starken süddeutschen Ländern Bayern und Baden-Württemberg. Nur dort gab es im Jahre 2004 noch die traditionelle Triade des dreigliedrigen Schulsystems mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium, in anderen Bundesländern wurde der Bildungsgang nur noch in Kombination mit anderen Schulformen, etwa der Integrierten Gesamtschule, angeboten (KLEIN 2004, 1).
Wie bereits erwähnt, haben die ostdeutschen Bundesländer den Niedergang der Hauptschule vermutlich noch beschleunigt. Auch der Auslöser der Entwicklung, dass der Hauptschulabschluss zunehmend verschwindet, dürfte in den damals neuen Ländern zu finden sein. Als Vorreiter der Entwicklung kann offenbar Brandenburg gelten. Das Land verzichtete bei seinem „Ersten Schulreformgesetz“, das ein sogenanntes „Vorschaltgesetz“ war, im Jahre 1991 auf die Einrichtung von Hauptschulen. Stattdessen wurden Gesamtschulen mit innerer und äußerer Differenzierung geschaffen. Im Paragraph 7 Abs. 4 des Gesetzes hieß es dann: „Wer die Sekundarstufe I in der Gesamtschule mit Erfolg abschließt, erwirbt entsprechend seiner Leistung die erweiterte Berufsbildungsreife, die Fachoberschulreife oder die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein Aufrücken in die Klasse 10 kann die Berufsbildungsreife zuerkannt werden. (...)“. In den damaligen amtlichen Erläuterungen hieß es u. a.: „Die Vergabe der Berufsbildungsreife und deren zusätzliche Bezeichnung als Hauptschulabschluß und der erweiterten Berufsbildungsreife (entsprechend dem erweiterten Hauptschulabschluß oder dem Hauptschulabschluß nach Klasse 10), obwohl es die Schulform Hauptschule im Lande Brandenburg nicht gibt und in diesem Gesetz auch nicht vorgesehen ist, beruht auf der von der Kultusministerkonferenz vereinbarten Bezeichnung von schulischen Abschlüssen und der in den westlichen Bundesländern anerkannten Definition der Gesamtschule als einer Schulform, die die Bildungsgänge der Schulformen des gegliederten Schulwesens (also der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums) integriert hat.“ (JEHKUL/BELKNER/ALLMANN 1991, 46 f.; s. auch Kommentierungen: ebd., 53) Für die Realschule und das Gymnasium galt damals in Brandenburg, dass mit der Versetzung in die 10. Klasse ein der Berufsbildungsreife entsprechender Abschluss zuerkannt werden kann, der „mit denselben Rechten verbunden (ist/d. A.) wie die originäre Berufsbildungsreife, die nur in der Gesamtschule erworben werden kann“ (ebd., 57).
In Brandenburg war man sich der Neuheit dieser Abschlussbezeichnung offenbar sehr bewusst. In den amtlichen Erläuterungen zu den Schulabschlüssen nach § 41 des Vorschaltgesetzes hieß es damals u. a. sozusagen mit Vorbehaltvermerk: „Bei den Bezeichnungen der Abschlüsse wurde der KMK-Hauptschulabschluß (nach der Klasse 9) und der erweiterte Hauptschulabschluß (nach der Klasse 10) zunächst unter der Bezeichnung ‚Berufsbildungsreife’ eingeführt, weil die Schulform Hauptschule nicht vorgesehen ist. Es bedarf der Regelungen eines Landesschulgesetzes, ob eine andere Abschlußbezeichnung gewählt wird.“ (JEHKUL/BELKNER/ALLMANN 1991, 122) Und weiter: „In Anbetracht der Kulturhoheit der Länder sind Regelungen erforderlich, die die Anerkennung schulischer Abschlüsse außerhalb des Landes Brandenburg (und nicht nur solche der anderen Bundesländer) möglich machen.“ (ebd.) Erweiternd wurde zusätzlich kommentiert: „Die Verwendung der Bezeichnungen ‚Hauptschulabschluß’, ‚erweiterter Hauptschulabschluß’ und ‚Realschulabschluß’ als Klammerzusätze dient lediglich der Verdeutlichung, welchem der in den westlichen Bundesländern anerkannten und in dem sog. Hamburger Abkommen der Länder vom 28.10.1964 vereinbarten Abschlüsse der an den Schulen des Landes Brandenburg vergebene Abschluß entspricht.“ (ebd., 123)
Die anderen ostdeutschen Bundesländer waren weniger konsequent. In Sachsen wurden zwar keine Hauptschulen eingerichtet, sondern Mittelschulen, doch für Schülerinnen und Schüler gab es mit dem erfolgreichen Besuch der Klasse 9 den Hauptschulabschluss und bei besonderer Leistungsfeststellung den qualifizierenden Hauptschulabschluss (§§ 4, 6 Sächsisches Schulgesetz von 1991).
Das Schulreformgesetz für das Land Sachsen-Anhalt (Vorschaltgesetz) vom 11. Juli 1991 sah zwar nicht die Hauptschule als eigenständige Schulform, hingegen aber einen Hauptschulbildungsgang innerhalb der Sekundarschule (§ 5 Abs. 3) vor, der „Hilfen zur Berufsfindung“ bieten und „Voraussetzungen für eine qualifizierte berufliche Bildung“ schaffen sollte (Satz 1).
In Mecklenburg-Vorpommern sah man hingegen die Einrichtung von Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien als Regelschularten vor (Entwurf zum Ersten Schulreformgesetz von 1991).
4 Analyse aktueller schulrechtlicher Bestimmungen
4.1 Zum methodischen Vorgehen
Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, ob mit der Veränderung der Bezeichnung der ersten allgemeinbildenden Schulabschlüsse, die auf berufspädagogische bzw. berufliche Implikationen hindeuten, im Vergleich zu anderslautenden Abschlussbezeichnungen qualitative Unterschiede auf Basis der Schulgesetze nachvollziehbar sind. Geht man davon aus, dass neue Schulabschlussbezeichnungen wie „Berufsbildungsreife“ (berufspädagogisch impliziert) und „Berufsreife“ (beruflich impliziert) nicht rein zufällig, sondern von der Bildungspolitik wohlbedacht ausgewählt wurden, so kann mit einer solchen Annahme zugleich vermutet werden, dass hierdurch der Übergang in die berufliche Bildung bzw. in den Beruf angesprochen und im Idealfall mit entsprechenden im jeweiligen Schulgesetz verankerten Maßnahmen verbessert werden soll. Anzunehmen ist dann, dass die Schulgesetze jener Bundesländer, die ihre Schulabschlussbezeichnungen entsprechend verändert haben, folglich auch mehr und bzw. oder deutlicher Aspekte aufweisen, die in Richtung eines berufsbildenden bzw. beruflichen Anschlusses hindeuten, als die Schulgesetze der anderen Bundesländer.
Eine Untersuchung, mit der die am Ende der Pflichtschulzeit stehenden Abschlüsse der allgemeinbildenden Schulen sowie ihre inhaltlichen Bezüge zur Berufsbildung analysiert werden, kann die Schulgesetze (bzw. bei anderslautenden Namen, wie z. B. in Bayern, mit dem Bayerischen Gesetz zum Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG), ihren Äquivalenten – im Folgenden wird nur noch allgemein der Titel „Schulgesetze“ genutzt) der Bundesländer kaum außer Acht lassen. In diesen Gesetzen findet sich eine systematisch vergleichbare normative Grundlage von ausgewählten Indikatoren. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die Paragraphen der Schulgesetze, in denen der erste an Regelschulen vergebene Schulabschluss beschrieben wird, samt Rahmenbedingungen und inhaltlicher Erklärung hierzu. Weitere Erläuterungen in den Gesetzen, Belege aus Präambeln, anderen Paragraphen sowie insbesondere Erläuterungen zu weiteren Schulformen, die unter Umständen denselben Schulabschluss verleihen (z. B.: Gemeinschaftsschulen, an denen alternativ zur Hauptschule ein Hauptschulabschluss erlangt werden kann), werden nicht betrachtet. Es ist darüber hinaus nicht auszuschließen, dass in Verordnungen und Erlassen der zuständigen Ministerien sowie den ihnen nachstehenden Institutionen die im weiteren Verlauf vorgenommenen Deutungen ergänzt werden oder ihnen widersprechen.
Die Komplexität und Verschiedenheit der mittlerweile bestehenden Gliederungen des allgemeinbildenden Schulsystems in den jeweiligen Bundesländern ließe sicherlich noch eine Vielzahl anderer Quellen als hilfreiche Ergänzungen zu. Für eine erste berufspädagogische Analyse der den „Hauptschulabschluss“ ersetzenden Termini und möglichen Hinweisen auf eine ihnen innewohnende Verschiebung hin zu einer gewissermaßen „berufspädagogischeren Semantik“ scheinen jedoch die erwähnten Gesetze der Bundesländer ein geeigneter Rahmen zu sein, den es dann im Anschluss an diese Untersuchung zu erweitern gilt.
Ob mit den anderslautenden Namen der Schulabschlüsse berufspädagogisch relevante Folgerungen verbunden sind, die sich faktisch an Schulen abbilden, kann im Rahmen dieser Analyse nicht abgeschätzt werden. Die Untersuchung ist darauf ausgerichtet, inwiefern in den Schulgesetzen selbst Erläuterungen zu den Titeln der Abschlüsse zu finden sind, die auf solche inhaltlichen Verschiebungen hindeuten. Nur in einer solchen Erläuterung könnte eine Veränderung der Titel hin zu einem Terminus mit den Elementen „Beruf“, „Bildung“ sowie „Reife“ auch inhaltlich untermauert und damit etwaige berufspädagogisch relevante Folgen als prinzipiell möglich angesehen werden. In jedem anderen Fall liegt eher der Verdacht einer bloßen Ablösung eines bildungspolitisch verbrauchten „Labels“, des Hauptschulabschlusses, nahe.
Als inhaltliche Erweiterung der oben genannten Elemente, die eine Veränderung des Titels rechtfertigen könnten, werden eine Fokussierung der allgemeinbildenden Schule auf Themen der Berufsorientierung, des Überganges an der ersten Schwelle, die Vorbereitung auf weiterführende Schulen und insbesondere die Aufnahme einer Berufsausbildung durch jugendliche Absolventinnen und Absolventen sowie Kooperationen zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen bzw. weiteren Institutionen der beruflichen Bildung und des Erwerbssystems angesehen. Sollten diese „berufspädagogischen Schlüsselwörter“ im Gesetz erwähnt sein, muss dies für die Schulpraxis keine konkreten Auswirkungen haben. In einer Art teleologischen Auslegung des Gesetzes kann dem jeweiligen Parlament dann jedoch zumindest der Willen, eine veränderte Praxis durch das Schulgesetz begünstigen zu wollen, unterstellt werden.
Um an dieser Stelle der Untersuchung nicht „zu eng“ an festgelegten Suchworten zu verharren (dies ist der Bandbreite der zur Verfügung stehenden Formulierungen in den Gesetzen geschuldet), wird die Bewertung etwas offener gehalten und schon bei inhaltlicher Nähe zu den aufgeführten Gegenständen eine implizite Übereinstimmung auch dann festgehalten, wenn beispielsweise das Wort „Berufsorientierung“ explizit nicht benannt ist.
Von Interesse für die Analyse sind zunächst die Titel der ersten allgemeinbildenden Abschlüsse, die Schülerinnen und Schüler im Regelfall nach den erfolgreichen Besuch der Pflichtschule attestiert bekommen, so sie sich im Schulgesetz bzw. ihren Äquivalenzen finden. Daher wird eine Übersicht erstellt, in der die Bundesländer nach dem Titel der Schulabschlüsse geordnet und zusätzlich die Veröffentlichungs- bzw. Verabschiedungsdaten der Schulgesetze sowie der letzte Stand derselben angegeben sind (Tab. 1). Die Sortierung in dieser Darstellung richtet sich zunächst nach dem Titel des Abschlusses und nachrangig nach dem Stand des betrachteten Gesetzes. Daten und Stände der Schulgesetze werden aus dem Grund erfasst, da hypothetisch davon auszugehen ist, dass jüngere Gesetze aufgrund der Diskussionen um die Übergangsproblematik seit Beginn der 2000er Jahre einerseits und (berufs-)bildungspolitischen Debatten um die Verknüpfung zwischen allgemeinem und beruflichem Bildungssystem andererseits mit fortlaufender Zeit zunehmend einen Boden gefunden haben könnten, der sich im Gesetzgebungsverfahren in Reformen niedergeschlagen hat. Die Darstellung dient also primär dazu, einen ersten, schnellen Überblick über die Titel der Abschlüsse und den zeitlichen Entstehungskontext der zugehörigen normativen Grundlage zu bekommen.
In einer weiteren Übersicht (Tab. 2) wird nach zusätzlichen Indikatoren differenziert. Hier sind neben einer Nummerierung, die der alphabetischen Reihung entspricht, aufgeführt: wiederum der Name des entsprechenden Gesetzes (Datum der Gültigkeit und Stand der Gesetze in dieser Darstellung sind äquivalent zur Tab. 1) und relevante Paragraphen sowie der korrespondierende Passus aus selbigem zitiert, in dem der Abschluss namentliche Erwähnung findet, sowie die Jahre des Schulbesuches, nach denen der erste allgemeinbildende Schulabschluss in Regelzeit erlangt wird. Ebenfalls von Interesse in einem Vergleich der bundesweit vergebenen ersten allgemeinbildenden Abschlüsse sind unterschiedliche Bedingungen, an die eine Vergabe derselben geknüpft ist, sowie die im Regelfall zu erbringenden Schuljahre, nach denen diese vergeben werden. Auch die bisweilen vorgenommene Differenzierung zwischen Schulabschluss und möglichen Ergänzungen (z. B. in Hessen der Hauptschulabschluss und der qualifizierende Hauptschulabschluss, der dort ergänzend erworben werden kann) sind in dieser Übersicht aufgeführt. Ferner sind in der Darstellung Indikatoren enthalten, die auf eine besondere Nähe zwischen allgemeinbildender Schule und einer nachfolgenden Berufsausbildung bzw. eine gezielte Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf weiterführende Schulen im Vorfeld einer beruflichen Erstausbildung schließen lassen. Von besonderem Interesse erscheint, dass in manchen Schulgesetzen – ausgehend vom ersten allgemeinbildenden Abschluss – als Orientierungsmöglichkeiten eine Hochschulreife bzw. ein Studium erwähnt werden. Daher werden diese Hinweise in die Darstellung aufgenommen. Als weiterer Beleg für eine gefestigte Kopplung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung kann die Festschreibung der Kooperation zwischen die den betrachteten Abschlüssen vergebenden allgemeinbildenden sowie den berufsbildenden Schulen bzw. weiteren berufsbildungs- und erwerbsbezogenen Institutionen gelten, die eine Bedeutung für das Überwinden der ersten Schwelle darstellen können (wie z. B. die Bundesagentur für Arbeit).
Eine Übersicht der zuletzt genannten Indikatoren im Vergleich der Bundesländer zueinander erlaubt einen bündigen Blick darüber, welche Titel in den Schulgesetzen mit welchen berufspädagogischen Folgerungen verbunden sind (Tab. 3).
4.2 Analyse der Landesschulgesetze
In acht der sechzehn Bundesländer trägt der erste allgemeinbildende Schulabschluss, der nach der Pflichtschulzeit erlangt werden kann, nach wie vor den Titel „Hauptschulabschluss“. Mindestens in Schleswig-Holstein liegt aktuell jedoch ein Schulgesetz-Entwurf vor, in dem eine Veränderung dieses Titels hin zur „Berufsbildungsreife“ vorgesehen ist. Bremen (ab Schuljahr 2009/2010) und Berlin (ab Schuljahr 2012/2013) führen diese Bezeichnung bereits als gültigen Titel der Schulabschlüsse in ihren Schulgesetzen auf. In Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz lautet die im Gesetz geführte Bezeichnung demgegenüber „Berufsreife“.[5] Die „Berufsbildungsreife“ ist in Kombination mit dem Titel „Hauptschulabschluss“ in Brandenburg gebräuchlich, während Niedersachsen den Zusatz „Sekundarabschluss I“ zum Hauptschulabschluss verwendet (dieser Zusatz wird auch in Verbindung mit dem Realschulabschluss genutzt). Hingegen wird in Bayern der Abschluss der Mittelschule vergeben. In der Hansestadt Hamburg kann laut Schulgesetz schlicht, aber treffend der „Erste allgemeinbildende Schulabschluss“ erlangt werden.
Überraschend ist indes die Dynamik, mit der die Bundesländer Veränderungen an den Schulgesetzen vornehmen. So sind für das Berliner Schulgesetz vom 26.01.2004 bislang 18 Änderungen verzeichnet, jeweils zu unterschiedlichen Teilbereichen. Die verwandten Stände ergeben indes kaum Unterscheidungsmerkmale – das Schulgesetz des Landes Brandenburg hat mit dem Jahr 2011 den ältesten Stand. Berechnet man das durchschnittliche „Alter“ der Schulgesetze der Bundesländer, die den Titel „Hauptschulabschluss“ verwenden, so erhält man einen gerundeten Wert von 10,8 Jahren. Für die Bundesländer, die den Titel „Berufsbildungsreife“ aufführen, ergibt sich ein gerundeter Wert von 8,5 Jahren, für jene mit dem Terminus „Berufsreife“ ergibt sich ein „Alter“ von 6 Jahren (Bayern, Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen haben in diese Betrachtung keinen Eingang gefunden). Die zuletzt genannten Titel scheinen also tatsächlich tendenziell eher jüngeren Datums, die Entwicklung in Schleswig-Holstein verstärkt diesen Eindruck zusätzlich. Eine präzisere Analyse, mit der der Versuch unternommen wird, eine Verbindung zwischen zeitlichem Verabschiedungskontext der Schulgesetze bzw. einzelner Paragraphen und inhaltlichen Bezugspunkten in den Gesetzestexten herzustellen, kann nur erfolgen, in dem das exakte Datum, an dem die beachtete Quelle Eingang in das Gesetz gefunden hat, ermittelt wird.
Größer noch als bei den Bezeichnungen der Schulabschlüsse ist die Vielfalt bei der Bezeichnung der Schularten in den Bundesländern. Während in der KMK-Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I festgehalten ist, „dass nach der gemeinsamen vierjährigen Grundschule (...) die weiteren Bildungsgänge mit ihren Abschlüssen und Berechtigungen in unterschiedlichen Schularten organisiert sind, und zwar als“ (KMK 2012, 5) Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule, gibt es nunmehr für alle 16 Bundesländer für diese Schulartbezeichnungen Ergänzungen und Ersetzungen (ebd., 5 f.). Die Bezeichnungen reichen von der Werkrealschule (Baden-Württemberg), der Mittelschule (Bayern), über die Integrierte Sekundarschule (Berlin), bis zur Realschule plus (Rheinland-Pfalz), um nur einige ausgewählte zu nennen.
Tabelle 1: Titel der ersten allgemeinbildenden Schulabschlüsse nach der Pflichtschulzeit unter Beachtung der Gültigkeitsdaten der Schulgesetze, des betrachteten Standes sowie der relevanten Paragraphen/Artikel, auf die im weiteren Verlauf Bezug genommen wird (Quellen: Schulgesetze der Bundesländer, eigene Darstellung; Stand: 13.09.2013)
In allen Bundesländern liegt die Regelschulzeit, nach der ein erster allgemeinbildender Schulabschluss erlangt werden kann, bei neun Jahren. Häufig gibt es die Möglichkeit flexibler Ausgangsphasen, d. h., den Schülerinnen und Schülern steht es optional offen, den ersten allgemeinbildenden Abschluss auch erst am Ende des zehnten Schuljahres zu erwerben. Diese Flexibilität ist jedoch bisweilen an organisatorische Bedingungen geknüpft. In der Übersicht sind daher lediglich diejenigen Bundesländer mit einem zehnten Schuljahr angeführt, in denen ein zehntes Jahr eines hauptschuläquivalenten Bildungsganges als Regelangebot im Gesetz aufgeführt wird.
Überaus unterschiedlich sind die Anforderungen, die an die Vergabe des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses gekoppelt sind. Neun Bundesländer vergeben den Abschluss, ohne dass im Schulgesetz Abschlussprüfungen vorgesehen sind. Die einzig bestehende Voraussetzung ist in der Regel eine ausreichende Leistung, die eine Versetzung in die zehnte Klasse rechtfertigt. In sieben dieser neun Bundesländer kann zusätzlich oder im Anschluss zu diesem Abschluss eine Abschlussprüfung bzw. eine gesonderte Leistungsfeststellung absolviert werden, sodass der Titel des Schulabschlusses im Erfolgsfall dann überwiegend mit Attributen wie „erweiterter“ oder „qualifizierter“ bzw. „qualifizierender“ ergänzt wird. Drei Bundesländer koppeln die Vergabe der Schulabschlüsse grundsätzlich an Abschlussprüfungen. In den verbleibenden vier Bundesländern konnten im Schulgesetz hierzu keine verwertbaren Angaben entdeckt werden.
Eine Zuständigkeit für die Berufsorientierung/Berufsfindung der Jugendlichen im Bereich der Sekundarstufe I ist in zwölf Bundesländern im Schulgesetz verankert. Hierunter befinden sich auch die vier, die den Terminus der Berufsreife bzw. der Berufsbildungsreife für den ersten allgemeinbildenden Abschluss führen. Lediglich für Brandenburg, wo der Abschluss mit „Hauptschulabschluss/Berufsbildungsreife“ benannt ist, muss hier eine Ausnahme gemacht werden. Die Vorbereitung auf eine Berufsausbildung als gesetzlich festgeschriebene Kernaufgabe der allgemeinbildenden Schule in der Sekundarstufe I findet sich immerhin in noch elf Bundesländern – allerdings nur in drei derjenigen, die Termini verwenden, die eine besondere Nähe zur beruflichen Bildung bzw. zur Berufswelt vermuten lassen.
Die bereits angeführte KMK-Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I enthält – wie zuvor schon dargestellt – Beschreibungen der Schularten, in denen eine Vorbereitung Jugendlicher im Bildungsgang zum ersten allgemeinbildenden Abschluss auf berufliche Bildungsprozesse als Schwerpunkt erkennbar wird. „Die Hauptschule vermittelt ihren Schülerinnen und Schülern eine grundlegende allgemeine Bildung, die sie (...) befähigt, (...) ihren Bildungsweg vor allem in berufs-, aber auch in studienqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen.“ (KMK 2012, 7)
Relevant ist die Frage, inwiefern die Vorbereitung auf eine Berufsausbildung inhaltlich in den Schulgesetzen zu finden ist. Neben dem direkten Weg von der allgemeinbildenden Schule in die Berufsausbildung sollte Jugendlichen, im Sinne eines möglichst durchlässigen Bildungssystems, auch eine Bildungsbiographie ermöglicht werden, die ihnen Zugänge an weiterführenden Schulen eröffnet, die Abschlüsse verleihen, die bis zur allgemeinen Hochschulreife reichen. Dreizehn Bundesländer haben die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf weiterführende Schulen in ihren Schulgesetzen verzeichnet. Lediglich acht betonen dabei, dass auch Wege bis zur Hochschulreife eröffnet werden sollten. Aus dem Kreis der Bundesländer, die einen Terminus mit dem Element „Beruf-“ für den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss führen, findet sich nur im rheinland-pfälzischen Schulgesetz keine derartige Formulierung.
Die Kooperationen zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen sowie weiteren Institutionen der beruflichen Bildung bzw. des Erwerbssystems bilden das abschließend zu untersuchende Indikatorenpaar, in dem Hinweise auf eine Ausrichtung der allgemeinbildenden Schulabschlüsse hin auf eine nachfolgende Berufsbildung gesehen werden kann. Die Kooperation mit berufsbildenden Schulen haben nur fünf Bundesländer im Schulgesetz verankert, darunter Berlin und Rheinland-Pfalz aus der hier besonders relevanten Ländergruppe mit „berufspädagogisch bzw. beruflich anmutenden“ Abschlussbezeichnungen. Ebenfalls fünf Bundesländer betonen in ihren Schulgesetzen die Kooperation zwischen allgemeinbildenden Schulen und anderen berufsbildungs-/erwerbsbezogenen Institutionen, darunter Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aus der gesondert betrachteten Gruppe (Tab. 2).
Tabelle 2: Vergleich der Schulgesetze der Bundesländer in Bezug auf ausgewählte Indikatoren (1) (Quelle: Schulgesetze der Bundesländer, eigene Darstellung)
Legende:
- laufende Nummer
- Bundesland
- Bezeichnung des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses im Gesetz und Bezeichnung dessen etwaiger Ergänzung/Erweiterung
- Name des Gesetzes (Datum und verwendeter Stand siehe Tabelle 1)
- Paragraph sowie Absatz im Gesetz
- korrespondierender Passus im Schulgesetz
- Anzahl der Jahre des Schulbesuches, nach denen der erste allgemeinbildende Schulabschluss in Regelzeit erlangt wird
- Der erste allgemeinbildende Abschluss wird erreicht ohne eine Abschlussprüfung.
- Der erste allgemeinbildende Abschluss wird erreicht mit einer Abschlussprüfung.
- Es finden sich im Schulgesetz keine Angaben darüber, ob der erste allgemeinbildende Abschluss mit oder ohne Abschlussprüfung erreicht wird.
- Die Unterstützung von Jugendlichen bei der Berufsorientierung/Berufsfindung ist als Aufgabe der allgemeinbildenden Schule im Schulgesetz verankert.
- Die Vorbereitung der Jugendlichen auf eine Berufsausbildung ist als Aufgabe der allgemeinbildenden Schule im Schulgesetz verankert.
- Der erste allgemeinbildende Schulabschluss ist im Schulgesetz als vorbereitend für den Besuch weiterführender Schulen verankert.
- Der erste allgemeinbildende Schulabschluss ist im Schulgesetz als vorbereitend für den Besuch weiterführender Schulen verankert, die explizit bis zur Hochschulreife reichen.
- Zwischen den allgemeinbildenden Schulen, an denen der erste allgemeinbildende Schulabschluss erlangt werden kann, und berufsbildenden Schulen ist eine Kooperation im Schulgesetz festgeschrieben.
- Zwischen den allgemeinbildenden Schulen, an denen der erste allgemeinbildende Schulabschluss erlangt werden kann, und berufsbildungs-/erwerbsbezogenen Institutionen ist eine Kooperation im Schulgesetz festgeschrieben.
Der gewählte Indikatorenkatalog ließe sich um diverse berufspädagogisch relevante Aspekte erweitern, um zu einem noch differenzierteren Bild zu gelangen. Zur Vereinfachung soll nun von einer Gleichwertigkeit der Indikatoren ausgegangen werden, wenn es um die Beantwortung der Ausgangsfrage geht: Sind mit der Veränderung der Bezeichnung der ersten allgemeinbildenden Schulabschlüsse, die auf berufspädagogische Implikationen hindeuten, im Vergleich zu anderslautenden Abschlussbezeichnungen qualitative Unterschiede auf Basis der Schulgesetze nachvollziehbar?
Summiert man die durch die Gesetze abgedeckten Indikatoren auf, erhält man einen Durchschnittswert von 3,4. In der Übersicht sind die Bundesländer absteigend sortiert nach der Höhe dieses Wertes (Tab. 3). Der Durchschnittswert der Bundesländer, die mit besonderem Interesse beachtet wird, liegt bei 3,6, der aller anderen ohne diese Ländergruppe bei 3,3.
Tabelle 3: Schulgesetze der Bundesländer im Vergleich in Bezug auf ausgewählte Indikatoren (2) (Quelle: Schulgesetze der Bundesländer, eigene Darstellung)
Legende:
- Bezeichnung des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses im Gesetz
- Die Unterstützung von Jugendlichen bei der Berufsorientierung/Berufsfindung ist als Aufgabe der allgemeinbildenden Schule im Schulgesetz verankert.
- Die Vorbereitung der Jugendlichen auf eine Berufsausbildung ist als Aufgabe der allgemeinbildenden Schule im Schulgesetz verankert.
- Der erste allgemeinbildende Schulabschluss ist im Schulgesetz als vorbereitend für den Besuch weiterführender Schulen verankert.
- Der erste allgemeinbildende Schulabschluss ist im Schulgesetz als vorbereitend für den Besuch weiterführender Schulen verankert, die explizit bis zur Hochschulreife reichen.
- Zwischen den allgemeinbildenden Schulen, an denen der erste allgemeinbildende Schulabschluss erlangt werden kann, und berufsbildenden Schulen ist eine Kooperation im Schulgesetz festgeschrieben.
- Zwischen den allgemeinbildenden Schulen, an denen der erste allgemeinbildende Schulabschluss erlangt werden kann, und berufsbildungs-/erwerbsbezogenen Institutionen ist eine Kooperation im Schulgesetz festgeschrieben.
- Summe der vorhandenen Indikatoren von 2 bis 8
4.3 Deutungen und Interpretationen
Die Analyse ausgewählter Paragraphen aus den Schulgesetzen der Bundesländer lässt im Ergebnis den Schluss zu, dass sich bestenfalls feinste graduelle Unterschiede im Hinblick auf die berufspädagogischen Implikationen ausmachen lassen, die man aus fachlicher Sicht von den Termini erwarten würde, die den jeweils ersten allgemeinbildenden Schulabschluss substituieren und dabei das Element „Beruf“ als wesentliches Merkmal in sich tragen. Es ist zu konstatieren, dass es zumindest zu den gewählten Indikatoren keine überzeugende inhaltliche Grundlage gibt, die eine derartige Benennung der Abschlüsse rechtfertigt. Eine stärkere Verschränkung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung ist in diesem Sinne mit der bloßen Veränderung der Namen von Schulabschlüssen kaum zu erreichen. Um Jugendliche wirksam in bildungsbiographischen Übergängen zu unterstützen, Prozesse und Methoden der beruflichen Bildung frühzeitig einzubeziehen, nachhaltig zu fördern sowie Schülerinnen und Schüler letztlich auf die Aufnahme einer Berufsausbildung vorzubereiten, die dann dual, schulisch oder auch akademisch strukturiert sein mag, bedarf es freilich eines weiter reichenden Reformwillens, der sich dann auch konkret in den Schulgesetzen und ihren Ausführungen wiederspiegeln sollte. So liegt der eingangs geäußerte Verdacht, es gehe um die bloße Ablösung eines „verbrauchten Labels“, dem Hauptschulabschluss, weiterhin nahe.
Wie schon erwähnt, ist die Reichweite der Untersuchung auf einen abgesteckten Rahmen innerhalb der Schulgesetze beschränkt. Insofern ist mit dieser Analyse eine breite Anschlussfähigkeit zu weiteren Beiträgen gegeben, die sich auf andere Quellen aus theoretischen, normativen oder praktischen Zugängen stützen.
5 Berufs- und Berufsbildungsreife – neues Label oder moderne Leitsemantik grundlegender Bildung?
Die sich allmählich bundesweit durchsetzenden neuen Abschlussbezeichnungen der allgemeinbildenden Schulen weisen auf eine deutlich engere Verflechtung von allgemein- und berufsbildender Schule hin. Der vorhergehende neun- oder zehnjährige allgemeinbildende Schulbesuch in der Sekundarstufe I kann dann stärker als eine vorberufliche, auf das Berufsleben vorbereitende Schule verstanden werden. Dieses wirkt zunächst möglicherweise eher utilitaristisch, zeigt aber auch, dass die Berufswelt jene soziale Form ist, die unser Leben realiter für mehrere Jahrzehnte und in unserer Hauptschaffenszeit bestimmt.
Die „Berufsreife“ ist als Abschluss der allgemeinbildenden Schule formal-juristisch zwar für einen Großteil der Erwerbsberufe gegeben, weil jede Person nach Abschluss des Pflichtschulbesuchs, d. h. in der Regel spätestens mit Erreichen des 18. Lebensjahres, eine berufliche Tätigkeit im Beschäftigungssystem aufnehmen darf. Doch vor allem vier Gründe sprechen aus berufspädagogischer Sicht dagegen, den allgemeinbildenden Schulabschluss mit diesem Etikett zu versehen:
1) Weite Teile des eigentlich freien Berufszugangs nach Artikel 12 Absatz 1 GG werden durch reglementierte Berufe eingeschränkt. Hier werden vor allem Vor- und Ausbildung auch formal wichtig, sodass die spezifische Berufsreife – verstanden als Reife zur Ausübung des jeweiligen Berufs – erst nach einer erfolgreich absolvierten beruflichen Ausbildung erreicht werden kann. Vorher kann es sich lediglich um eine Berufsausbildungsreife für Ausbildungsberufe handeln.
2) Die formale Berufsreife sagt noch nichts über die „empirische Berufsreife“ aus. Das Agieren im Beschäftigungssystem setzt auch eine psychische Reife der Jugendlichen und jungen Erwachsenen voraus, die einerseits mit eigenverantwortlichem Verhalten und Mündigkeit – auch in Bezug beispielsweise auf eine eigene langfristige berufliche Perspektive – einhergeht und andererseits mit 16, 17 oder auch 18 Lebensjahren oft noch nicht erreicht ist.
3) Von einer Berufsreife mit Abschluss des Pflichtschulbesuchs auszugehen bedeutet letztlich, junge Menschen lediglich auf eine Arbeitswelt vor allem im Niedriglohnsektor mit un- und geringqualifizierten Tätigkeiten vorzubereiten. Dieses kann weder gesellschaftlich-volkswirtschaftlich noch humanistisch-individuell Anliegen des Bildungssystems sein. Noch immer gilt, dass eine erfolgreich absolvierte berufliche Ausbildung deutlich besser vor Arbeitslosigkeit schützt, den Zugang zu besser dotierten Arbeitsstellen öffnet und damit auch die gesellschaftliche und soziale Integration sowie Teilhabe der Menschen in der Gemeinschaft fördert.
4) Gerade da die Bezeichnungen der allgemeinbildenden Schulabschlüsse durch Schulgesetze geregelt werden, die auf Bildungswirksamkeit ausgerichtet sein sollen, ist es aus (berufs-) pädagogischer Sicht nachgerade eine Pflicht, den Beruf mit Bildung in Verbindung zu sehen. Damit sollte hier nicht das juristische Verständnis von Beruf gelten, sondern vielmehr das berufspädagogische.
Aufgrund dieser Einschätzungen wird dafür plädiert, die „Berufsreife“ als Label nicht nach Besuch der allgemeinbildenden Schule, sondern erst nach erfolgreichem Bestehen einer ersten Berufsabschlussprüfung zu vergeben. Ein sinnvolles Etikett, mit dem Schülerinnen und Schüler die Pflichtschule verlassen sollten, wäre daher die „Berufsbildungsreife“, die sich im Idealfall als berufliche Ausbildungsreife erweist. Allerdings ist anzumerken, dass formale, durch erfolgreichen Abschluss der Sekundarstufe I nachgewiesene Reife nicht auch immer der „empirischen Reife“ entspricht. Ein möglicher Versuch der Kultusminister/-innen, mit dem Abschluss der 9. oder 10. Klasse eine „Berufsausbildungsreife“ oder eine „Ausbildungsreife“ zu bestätigen, sollte daher für das momentane Berufsbildungssystem abschlägig beschieden werden, denn eine von der Schule zertifizierte Ausbildungsreife würde darüber hinwegtäuschen, dass im deutschen Dualen System der Markt und nicht der Staat über das Zustandekommen eines Ausbildungsverhältnisses zwischen Ausbilder und Auszubildende/-r entscheidet.[6]
Literatur
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BIBB (2013b): BIBB-Datenblatt 7742 Fachinformatiker/-in (alle FR – IH/HwEx). http://berufe.bibb-service.de/Z/B/30/3318.pdf (15.10.2013).BIBB (2013c): BIBB-Datenblatt 2700 Industriemechaniker/-in (Monoberuf) (IH/HwEx). Online: http://berufe.bibb-service.de/Z/B/30/7497.pdf (15.10.2013).
BVerfGE (1958): Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1958 („Apotheken-Urteil“; – 1 BvR 596/56 –).
DOBISCHAT, R./KÜHNLEIN, G./SCHURGATZ, R. (2012): Ausbildungsreife – Ein umstrittener Begriff beim Übergang Jugendlicher in eine Berufsausbildung. Arbeitspapier 189 der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf.
JEHKUL, W./BELKNER, P./ALLMANN, V. (1991): Erstes Schulreformgesetz für das Land Brandenburg (Vorschaltgesetz). Textsammlung und Kommentar. Gütersloh.
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ZEDLER, R. (1992): Reform der Hauptschule. In: Informationen zur beruflichen Bildung, Register 3, Blatt 22 vom 29.04.1992, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln.
[1]Der Vollständigkeit wegen ist anzumerken, dass in diesem Aufsatz nur die Situation in der Bundesrepublik betrachtet wird. Neben einem fraglos interessanten internationalen Vergleich spielt diese Aussage auch im Kontext der anderen deutschsprachigen Länder eine wichtige Rolle, da es in Österreich, Schweiz und Lichtenstein ebenfalls die Bezeichnungen „Berufsreifeprüfung“ bzw. „Berufsmatura“ gibt, die aber in anderen Kontexten stehen. Das Bestehen der Berufsreifeprüfung stellt in der Schweiz beispielsweise die Zugangsberechtigung für ein einschlägiges Fachhochschulstudium dar, in Österreich hingegen wird damit der Abschluss eines berufsbegleitenden Bildungsgangs zur vollwertigen Studienberechtigung verbunden. In beiden Fällen entspricht solcherart „Berufsreifeprüfung“ also eher einer Form des traditionellen Verständnisses von „Reifeprüfung“ – dem bundesdeutschen Abitur.
[2] Die politischen Intentionen eines Landes ließen sich z. B. auch aus Begründungen und Debatten im Vorfeld der Verabschiedung der jeweiligen Schulgesetze herauslesen. Eine solche Analyse würde aber keine genaue Angabe der Untersuchungsgrundgesamtheit mehr ermöglichen und insbesondere den Rahmen dieser Studie deutlich sprengen.
[3] Im Kontext mit reglementierten Berufen und Berufsausbildung kann es dem Grunde nach nur um eine „spezifische Berufsreife“ als Nachweis der Befähigung zur Ausübung eines bestimmten Ausbildungs- oder Studierberufs bzw. eines korrespondierenden Erwerbsberufs gehen, wobei sich die Einsatzmöglichkeit ggf. auch auf ein gewisses Spektrum korrespondierender Erwerbsberufe erstrecken kann.
[4] Es ist nicht Anliegen der Autoren des Beitrages, eine Analyse der vielfältig vorliegenden Quellen insbesondere zum Begriff der Ausbildungsreife vorzunehmen und daraus eine weitere Darstellung abzuleiten. Vielmehr geht es hier im Kern darum, die im Kontext berufspädagogisch relevanter Bestimmungswörter vorzufindenden Reifebegriffe zu ordnen und die Beziehungen zueinander zu erläutern (s. Abb. 2).
[5] Mit welchem Schuljahr dieser Terminus eingeführt wurde, konnte nicht recherchiert werden.
[6] Auch aus dieser Sicht wäre eine Ausdehnung der Untersuchung auf das Geschehen in anderen Ländern – also ein internationaler Vergleich – angeraten. Besonders spannend dürften dabei Länder mit vorwiegend vollschulischen Berufsbildungssystemen sein. Ein solches Vorhaben würde aber den Rahmen des Aufsatzes sprengen.
Zitieren des Beitrags
HERKNER, V./BÖHSS, M. (2013): Vom Hauptschulabschluss zur Berufsbildungsreife – Berufspädagogische Reflexionen zu einem neuen „Label“ In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 25, 1-26. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe25/herkner_boehss_bwpat25.pdf (16-12-2013).