bwp@ 34 - Juni 2018

Was berufliche und akademische Bildung trennt und verbindet.

Entgrenzungen an der Schnittstelle von Berufsschule, Betrieb, Hochschule und Universität

Hrsg.: Martin Fischer, H.-Hugo Kremer, Julia Gillen & Ines Langemeyer

Editorial bwp@34

Beitrag von Martin Fischer, H.-Hugo Kremer, Julia Gillen & Ines Langemeyer

EDITORIAL zur Ausgabe 34:
Was berufliche und akademische Bildung trennt und verbindet.
Entgrenzungen an der Schnittstelle von Berufsschule, Betrieb, Hochschule und Universität

Mit der Bologna-Reform sind den Hochschulen in Deutschland und Europa explizit Aufgaben für das Beschäftigungssystem zugewiesen worden. Für die „Employability“ der Studienabsolventinnen und -absolventen soll im Rahmen der Hochschulausbildung gesorgt werden (Bologna Declaration 1999). Schon lange vor Bologna, ja schon an der Humboldt’schen Universität, hat es einen Bezug zum Beschäftigungssystem gegeben, allerdings im Wesentlichen für einzelne Segmente unter staatlicher und kirchlicher Hoheit, bei der Rekrutierung von Juristen, Ärzten, Pfarrern, Lehrern u. ä. (Tremp 2015). Seit dem zweiten Weltkrieg ist diese Beziehung zwischen Hochschulbildung und Beschäftigungssystem ausgeweitet und ausdifferenziert worden, u. a. bei der Bildung und Rekrutierung von Eliten in Technik und Wirtschaft. Die Öffnung der deutschen Hochschulen für beruflich Qualifizierte seit 2009 (KMK 2009) hat die Verbindung zwischen Hochschulsystem und dem beruflich ausgerichteten Beschäftigungssystem noch einmal verstärkt. Für die Studierenden ist es ohnehin keine Frage, dass das Studium Zugang zu einem Erwerbsberuf ermöglichen soll (Ramm et al. 2014) – für wenige innerhalb der Hochschulen („Wissenschaft als Beruf“), für die meisten außerhalb des Hochschulsystems. Und rein quantitativ wird dieser akademische Zugangsweg zu einem Erwerbsberuf mittlerweile von der Mehrzahl eines Altersjahrgangs junger Menschen beschritten, auch in Deutschland (Statistisches Bundesamt o. J.), wo nach dem Zweiten Weltkrieg traditionell etwa zwei Drittel eines Altersjahrgangs das Berufsbildungssystem unterhalb der akademischen Schwelle besuchten.

Und dennoch kann man die die Überschrift für diese Ausgabe von bwp@ mit zwei Fragen versehen: (1) Ist die Hochschule ein Ort der Berufsbildung? und (2) Wie ist hochschulische Bildung in Institutionen der beruflichen Bildung verankert? Ein Vergleich mit dem nicht-akademischen Berufsbildungssystem offenbart, dass Berufsbildung im Sinn von Berufsausbildung an deutschen Hochschulen keineswegs selbstverständlich ist: Berufsorientierung und Wissenschafts- bzw. Forschungsorientierung stehen in Universitäten und Hochschulen zumindest in einem gewissen Spannungsfeld. Während für Professorinnen und Professoren die grundgesetzlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre gilt, werden die Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern an beruflichen Schulen sowie von Ausbilderinnen und Ausbildern explizit mit dem Beschäftigungssystem gekoppelt (z. B. als Bildungsauftrag der Berufsschule, zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf zu befähigen). Die grundgesetzliche Freiheit von Forschung und Lehre verhindert zwar nicht, dass Professorinnen und Professoren alles Mögliche vorgeschrieben wird, besagt aber eben auch nicht, dass es die wesentliche Aufgabe der Hochschulbildung sei, instrumentelle Qualifikationen zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass sich die Studienabsolventinnen und -absolventen später im Beschäftigungssystem nützlich machen können. Während im nicht-akademischen Berufsbildungssystem Auszubildende mit dem Eintritt in eine Berufsausbildung ein Anrecht erwerben, bundeseinheitlich definierte Inhalte erlernen zu können, die von den Sozialpartnern, allen Bundesländern und der Bundesregierung für einen bestimmten Beruf als notwendig erachtet werden, existiert für Studierende an Hochschulen ein solches Anrecht in dieser Form nicht. Es ist also die Frage, wie Hochschulen mit der Erwartung umgehen, Zugang zu Erwerbsberufen zu vermitteln und damit im Grunde Berufsbildung zu betreiben – und das ist eine offene Frage, die nicht im Vorhinein in die eine oder andere Richtung schon entschieden wäre. Es ist zudem eine Fragestellung der Berufsbildungsforschung, die mit dem Bedeutungswandel der Hochschulen ebenfalls ihren Gegenstandsbereich erweitert: Nicht nur das öffentlich proklamierte Selbstverständnis der Hochschule ist hier gefragt, sondern die tatsächlichen Maßnahmen der Hochschulen in Sachen Berufsbildung sowie deren Effekte.

Selbstverständlich ist bei der Beantwortung derartiger Fragen zu berücksichtigen, um welchen Hochschultyp, um welche Art von Studiengängen, um welche Lehrenden, um welche Didaktiken und um welche Gruppen von Studierenden es sich handelt. Hier erleben wir in den letzten Jahren einerseits eine enorme Ausdifferenzierung von Institutionen, Bildungsgängen und Teilnehmenden, andererseits auch Annäherungen, z. B. zwischen Fachhochschulen und Universitäten. Allein die Ausdifferenzierung an sich – man könnte in Analogie zum deutschen Weiterbildungssystem auch von Hochschul- und Studiengangs-„Dschungel“ sprechen – bedarf schon der Analyse und Beurteilung. Erst recht stellt sich die Frage, ob und was diese Ausdifferenzierung mit der Berufsorientierung von Hochschulen zu tun hat. Wenn jemand ein „duales Studium bei der Firma XY“ absolviert – so werben die Unternehmen um Studienanfänger und so bezeichnen dies die Studierenden selbst –, was steht dann im Fokus: Geht es dann um einen Beruf, geht es um ein wissenschaftliches Fach, geht es um eine Hochschule oder geht es um ein Unternehmen? Wenn jemand einen von sicherlich mehr als hundert Studiengängen wählt, deren Namen sich aus dem Begriff „Management“ und vielfältigen anderen Begriffen wie „Personal“, „Umwelt“, „Sozial“, „Facility“ etc. zusammensetzt: Wie unterscheiden sich diese verschiedenen Studiengänge, welchem Beruf und welcher wissenschaftlichen Disziplin sind sie zuzuordnen?

In dieser Ausgabe von bwp@ geht es uns darum zu analysieren, ob und wie Berufsbildung an Hochschulen praktiziert wird, was akademische Bildung (noch) von beruflicher Bildung trennt und was beide verbindet: Wissenschafts- und Forschungsorientierung, Arbeits-, Berufs-, Betriebsbezug sowie die Thematisierung von Bildung und Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden sind Bezugspunkte der Beiträge sein. Dies schließt ein: Übergänge vom Beruf oder der Berufsausbildung in die Hochschule und von der Hochschule in die Arbeitswelt.

Damit gliedert sich diese Ausgabe in folgende Teile:

Teil 1: Zum Verhältnis von beruflicher und hochschulischer Bildung

Mit den in Deutschland unübersehbaren Tendenzen zur Verberuflichung akademischer Bildung und zur Akademisierung beruflicher Bildung steht das Verhältnis zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung grundsätzlich auf dem Prüfstand. Die Beiträge in diesem Kapitel machen deutlich, dass dieser grundsätzliche Stellenwert beruflicher und akademischer Bildung historischen Veränderungen unterliegt und dass er institutionell und kulturell geprägt ist.

Mit Blick auf die aktuelle Akademisierungsdebatte und ihre historische Entwicklung leistet Dietmar Heisler (Universität Paderborn) in seinem Diskussionsbeitrag „Bildungsinflation, Bildungsexpansion und Fachkräftemangel: Historische Entwicklungslinien der Akademisierungsdebatte in der deutschen Berufsbildung“ einen systematischen Einblick in die wesentlichen Diskurslinien. Die Fragen, was Auslöser für Akademisierungsprozesse sind, warum Akademisierung hierzulande eher kritisch gesehen wird und welche Konsequenzen für die berufliche Bildung daraus erwachsen, stehen dabei im Vordergrund. Deutlich wird in diesem Beitrag, dass in der historischen Betrachtung im Akademisierungsdiskurs vor allem eine Kontinuität in der Ambivalenz zwischen Durchlässigkeitstendenzen einerseits und Bewahrungsinteressen andererseits besteht, aufgrund derer sich möglicherweise die zögerliche Akademisierung Deutschlands erklären ließe.

Die Weiterentwicklung nationaler Bildungssysteme durch strikte Trennung oder aber Verknüpfung von akademischer und beruflicher Bildung stehen bei Ute Hippach-Schneider & Verena Schneider (Bundesinstitut für Berufsbildung) im Fokus. Mit ihrem Diskussionsbeitrag „Gefahr für die Leistungsfähigkeit der tertiären Bildung? Bildungspolitische Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz“ greifen sie die – trotz struktureller Ähnlichkeiten – sehr divergenten Ansätze der zwei Staaten zur Förderung der Attraktivität der beruflichen Bildung auf. Analytisch interessant werden die sich abzeichnenden Konsequenzen der jeweiligen nationalen Strategien kontrastiert. Dabei habe die Schweiz bisher dem internationalen Druck widerstanden, die Studierendenquote gezielt zu erhöhen, und stattdessen nachdrücklich den Stellenwert der Berufsbildung für die Wirtschaft und Gesellschaft betont und diese massiv gefördert. Demgegenüber führe der deutsche Weg der Hybridisierung eher zu unwägbaren Folgen für die Attraktivität der beruflichen Bildung.

Die Durchlässigkeit akademischer und beruflicher Bildung als Innovationsressource zu begreifen, die im Zusammenspiel der Akteure gehoben werden kann, ist Ziel eines Forschungsprojekts des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Dort wird untersucht, welche transformativen Ansätze mit Durchlässigkeit in Diskurs und Praxis erkennbar sind und welche Gestaltungsoptionen sich daraus für die duale Berufsbildung ergeben können. Im Forschungsbeitrag von Barbara Hemkes (Bundesinstitut für Berufsbildung) „Zwischen Studium und Beruf: Formate und Handlungskoordinationen im Kontext von Durchlässigkeit“ wird ein Zwischenergebnis des Projekts vorgestellt: Mit einem institutionentheoretischen Ansatz wird ein Governance-Modell „Durchlässigkeit“ in der Mehrebenperspektive entwickelt, in dem Formate der Durchlässigkeit und mit ihnen verknüpfte Handlungskoordinationen zusammengeführt werden. Dieses Modell kann als Heuristik für ein Regime der Governance bei Durchlässigkeit dienen.

Zur diskursiven Verständigung in der Akademisierungsdebatte halten Ulrike Buchmann & Adolf Kell (Universität Siegen) neben der Aufklärung über Fakten auch die Aufklärung über Positionen für erforderlich, von denen aus Fakten interpretiert und beurteilt werden. In ihrem Diskussionsbeitrag „Berufsbildungswissenschaftliche Reflexionen zur Bewältigung von Gestaltungsaufgaben in der Berufsbildungspraxis – Über Einheit und Differenzierungen in der Berufsbildung“ schlagen sie deshalb ein Korrelationsmodell vor, das für die curriculare Konstruktion aller Berufsbildungsgänge handlungsleitend sein könnte. Ihr Ziel ist es, mit einer gemeinsamen Binnenstruktur für die curriculare Konstruktion von Berufsbildungsgängen schließlich auch zur Erhöhung der Durchlässigkeit im Bildungssystem beizutragen.

Teil 2: Übergänge vom Beruf oder der Berufsausbildung in die Hochschule

Mit der Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte wird die Frage aufgeworfen, wer aus der Gruppe der beruflich Qualifizierten warum und mit welchem Ertrag Angebote der Hochschulbildung wahrnimmt. Es geht weiter darum, inwieweit in der beruflichen Bildung und auf der Basis beruflicher Erfahrungen Kompetenzen erworben werden, die einen Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen und legitimieren könnten. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Gruppe derjenigen, die eine Berufsausbildung abbrechen und ein Hochschulstudium beginnen: Gegenwärtig brechen ca. 25 Prozent der Auszubildenden in Deutschland eine betriebliche Berufsausbildung ab, auf der anderen Seite sind mehr als 25 Prozent der betrieblichen Ausbildungsanfänger mittlerweile Abiturienten – das „Verschiebungspotenzial“ zwischen betrieblicher Berufsausbildung und Hochschulbildung ist also hoch. Schließlich ist noch zu fragen, welche Rolle die Rekrutierungs- und Selektionsmechanismen der Hochschulen selbst für die vorhandene oder mangelnde Attrahierung für Menschen aus dem nicht-akademischen Berufssystem spielen. Letztlich ist hier auch der Stellenwert akademischer und nicht akademischer Berufe in der Gesellschaft angesprochen.

Manuel Förster, Roland Happ & Olga Zlatkin-Troitschanskaia (Universität Bamberg & Universität Mainz) beschäftigen sich in ihrem Forschungsbeitrag mit den Effekten einer kaufmännischen Ausbildung resp. Vorbildung im Vorfeld des Studiums. Kern der Studie ist eine Untersuchung des ökonomischen Wissens und Verstehens von 1.403 Studieneinsteigern und den Wirkungen unterschiedlicher Lerngelegenheiten im Studium. Damit können Hinweise zur Gestaltung einer adressatengerechten Hochschullehre erarbeitet werden.

Kern des Berichts von Alexandra Jürgens (Hochschule Aalen) „Verknüpfung von beruflicher und akademischer Bildung – Konzeption und Reflexion eines Studienmodells für kaufmännische Auszubildende (BR)‘ ist die Entwicklung eines Studienmodells für kaufmännische Auszubildende. Hierzu werden Hintergründe der Entwicklung, Perspektiven der Studierenden und das Modell selbst aufgearbeitet. Damit kann eine Basis für eine weiterführende Diskussion derartiger Studienkonzepte u. a. im Hinblick auf Niveaustufen und Anerkennungen geschaffen werden.

Die Basis des Berichts von Uwe Elsholz & Denise Brückner (FernUniversität in Hagen) „Die Gestaltung des Übergangs Beruflich Qualifizierter ins Studium – Reflexion eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts“ ist ein dreijähriges Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur Gestaltung von fachspezifischen Unterstützungsangeboten und didaktischen Leitlinien zur Gestaltung des Übergangs von (beruflich) Qualifizierten. Der Beitrag nimmt damit die besonderen Anforderungen dieser Studierendengruppe auf und stellt erste Ergebnisse des Projekts und deren Evaluation zur Diskussion.

Teil 3: Berufsbildung innerhalb der Hochschulen (und akademische Bildung innerhalb des Berufsbildungssystems?)

Wie wird Berufsbildung innerhalb von Hochschulen praktiziert? Wie stellen sich Lehrende und Studierende dazu? Bei diesen Fragen sind sicherlich Typen von Hochschulen zu unterscheiden: Angefangen von dualen Hochschulen, die in wachsender Anzahl sich explizit der Berufsausbildung verschrieben haben und in Kooperation mit Betrieben z. T. integrativ sowohl akademische wie nicht-akademische Bildungsabschlüsse anbieten; über Fachhochschulen, die die Praxisrelevanz der angebotenen Studiengänge betonen und dies bei der Rekrutierung des Lehrpersonals berücksichtigen; bis hin zu Forschungsuniversitäten, die allein schon ihr Renommee für eine beschäftigungswirksame Garantie für ihre Absolventen auf dem Arbeitsmarkt halten. Es ist sicherlich auch die Art von Studiengängen zu unterscheiden, die durch eine eher starke Verbindung mit dem (vor allem: öffentlich-rechtlichen) Beschäftigungssystem (z. B. beim Medizin-, Lehramts- und Jurastudium), eine deutliche Kopplung mit definierten Tätigkeitsfeldern (z. B. beim Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Ingenieurwissenschaften) oder eine sehr lose Kopplung mit dem Arbeitsmarkt (z. B. bei Philosophie und Physik) charakterisiert sind.

Es ist weiter zu unterscheiden, auf welche Kompetenzen die in Frage stehenden Studiengänge bei den Studierenden zielen und welche Didaktiken dafür in Anschlag gebracht werden: forschungsorientierte, berufsorientierte oder eine Synthese dieser beiden Pole? Hierbei stehen auch Bildungsverständnisse neu auf dem Prüfstand, insbesondere für die wissenschaftliche Bildung, die sich einerseits als umfassend („universell“), andererseits als Befähigung zu Teilhabe an wissenschaftlichen Entwicklungen verstand. Schließlich ist zu untersuchen, mit welchen Erwartungen Studierende und Lehrende die Berufsrelevanz von Studiengängen betrachten und inwiefern diese Erwartungen innerhalb der Hochschulen schon erfüllt werden.

Astrid Elsbernd & Katrin Bader (Hochschule Esslingen) präsentieren einen informativen Diskussionsbeitrag zu den „Herausforderungen bei der Konzeption von primärqualifizierenden Pflegestudiengängen“, der von der Prämisse ausgeht, dass zunehmend akademisch gebildete Pflegende benötigt werden. Akzeptiert man die genannte Prämisse, wird differenziert bzgl. der Ausgestaltung der akademischen Pflegeausbildung argumentiert, dass die Tradition der Sonderwege in der Pflegeausbildung zu beenden und eine akademische Pflegeausbildung zu konzipieren sei, die sich durch ein generalistisches Studium ( mit dennoch hohen Praxisanteilen) deutlich von der fachschulischen Pflegeausbildung unterscheiden müsse. Die Autorinnen postulieren, dass das Verhältnis von hochschulischer und fachschulischer Bildung nicht geklärt sei und dass insbesondere die hochschulischen Bildungsziele einer Präzisierung bedürften.

Das im vorangegangenen Beitrag thematisierte Verhältnis von Berufsrelevanz und Wissenschaftlichkeit nimmt der Bericht von Maren Baumhauer (Universität Hannover) „Weiterbildung an Hochschulen im Spannungsfeld von Berufsbezug und Wissenschaftsorientierung“ auf. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wodurch der Berufsbezug weiterbildender Lehre gekennzeichnet ist und stellt die didaktischen Herausforderungen in der Weiterbildung an Hochschulen heraus. Hierzu werden theoretische und empirische Ergebnisse eines Dissertationsvorhabens vorgestellt und diskutiert. Im Fokus steht eine Didaktik wissenschaftlicher Weiterbildung, die zum Ziel hat, an die Berufserfahrung und das berufliche Wissen der Lernenden anzuschließen und sie mit wissenschaftlichen Theorien in Beziehung zu setzen.

Martin Koch, Jennifer Seifert & Stefan Wolf (Universität Hannover) verstehen ihren Beitrag Beruflich fokussierte Wissenschaftlichkeit in der Berufsschullehrerbildung – Der Studiengang Sozial-/Sonderpädagogik in der beruflichen Bildung an der Leibniz Universität Hannover“ sowohl als Erfahrungsbericht als auch als prospektiven Entwurf, der Anforderungen an eine inklusionspädagogische Ausrichtung eines Hochschulcurriculums formuliert und diese zu bestehenden Sichtweisen Studierender in Beziehung gesetzt. Ihre Überlegungen zielen bei Studierenden der Inklusionspädagogik auf die Entwicklung einer konsistenten und situationsoffenen Professionalität, deren Ausbildung stärker an subjektiven Erkenntnisinteressen und daraus erwachsenden Handlungsmotivationen der Studierenden anknüpft. Ob die damit intendierten Möglichkeitsräume Wirklichkeit werden können, sei allerdings aufgrund struktureller Probleme bei der hochschulischen Ausbildung in der beruflichen Inklusionspädagogik fraglich.

Dass die Berufsrelevanz des Studiums immer auch mit der entsprechenden Haltung der Hochschulen zu tun hat, zeigt auch der Bericht von Christoph Damm, Ulrike Frosch, Stina K. Krüger, Marianne Merkt, Linda Vieback & Ina Wagner (Hochschule Magdeburg-Stendal, Universität Magdeburg). Im Verbundprojekt „Weiterbildungscampus Magdeburg“ wurde aus fünf Forschungsperspektiven untersucht, wie sich die wissenschaftliche Weiterbildung im Hinblick auf die Studierfähigkeit der Teilnehmenden, die Teilnehmergewinnung, die Curriculaübertragung sowie die Format- und Organisationsentwicklung positioniert. Die Autorinnen und Autoren entwickeln in ihrem Beitrag „Öffnung wissenschaftlicher Weiterbildung im Spannungsfeld von Entgrenzung und Begrenzung“ ein theoretisches Modell der wissenschaftlichen Weiterbildung, anhand dessen die Ergebnisse empirischer Untersuchungen präsentiert und reflektiert werden. Ihr Fazit zeigt, dass sich Hochschulen sowohl für neue Teilnehmergruppen öffnen (durch Anrechnungsregelungen und Attrahierung von neuen Teilnehmergruppen) als auch schließen (durch starken Professions- und Fachweltbezug).

Im Bericht von Julia K. Gronewold (Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft) & Britta Beutnagel (Universität Hannover) „Reflexion im Lernmenü?! Zur Verbindung von wissenschaftlichen Theorien mit berufspraktischem Wissen im Studium à la carte“ geht es um ein weiterbildendes Studienangebot und die dabei eingeführten Instrumente zur Reflexion, die von den Studierenden genutzt worden sind. Das Studiengangsangebot richtet sich explizit an beruflich Qualifizierte (auch ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung) und bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, entlang eines nach persönlichen und beruflichen Fähigkeiten und Bedürfnissen entwickelten Studienplans „à la carte“ zu studieren. Die m Projekt entwickelten Reflexionsinstrumente sollen helfen, Situationen in der beruflichen Praxis zu erfassen, die die praktische Anwendung von wissenschaftlichem Wissen eröffnen, und Zusammenhänge zwischen wissenschaftlichen Wissen und berufspraktischem Erfahrungen zu erschließen. Als bedeutsam hat sich sowohl die Anregung individueller als auch kollektiver Reflexion erwiesen.

Der Bericht von Birgit Babitsch, Karin von Moeller, Simone Rechenbach & Sebastian Flottmann (Universität Osnabrück) „Offene Hochschule für Gesundheitsberufe: Potentiale wissenschaftlicher Zertifikatsangebote“ entstammt dem Verbundprojekt „Kompetenzentwicklung von Gesundheitsfachpersonal im Kontext des lebenslangen Lernens“. Dort wurde untersucht, welche Kompetenzen in ausgewählte Gesundheitsberufen durch Aus-, Fort- und Weiterbildung erworben werden, welche Kompetenzen gegenwärtig und zukünftig für die Bewältigung der Anforderungen im Berufsalltag erforderlich sind und wie die (Weiter)Entwicklung notwendiger Kompetenzen durch bedarfsgerechte Zertifikatsangebote gefördert werden kann. Ein entsprechendes Pilotprojekt im Blended Learning-Format mit Präsenz- und Onlinephasen wurde von den Teilnehmenden positiv bewertet und trug auch zur Realisierbarkeit der Weiterbildung im familiären und beruflichen Lebensalltag bei. Den ausgewählten Themenfeldern der Pilotmodule wurde von den Teilnehmenden Aktualität und Praxisrelevanz sowie Transfermöglichkeiten in den eigenen Berufsalltag bescheinigt. Im Beitrag wird besonders der interinstitutionelle Wissenstransfer hervorgehoben, der durch eine enge Verzahnung von Hochschulen und Berufspraxis erreicht worden sei.

Mit der Kooperation von Hochschulen und Berufspraxis beschäftigt sich auch der Bericht von Britta Beutnagel (Universität Hannover), Christian Dittmann (FernUniversität Hagen) & Rita Meyer (Universität Hannover) „Programmatik trifft auf Realität: Theorie und Praxis berufsbegleitender Studiengängen im MINT-Sektor“. Hier geht es um die Qualität dualer Studiengänge bzw. im Detail um die Verzahnung von beruflicher und hochschulischer Ausbildung. Der Beitrag nutzt als theoretische Rahmung das Konzept der erweiterten Beruflichkeit. Es wird anhand empirischer Forschungsergebnisse beschrieben, wie sich berufsbegleitende Studienformate im MINT-Bereich strukturell und organisatorisch gestalten und welche fördernden bzw. hemmenden Faktoren für den Studienerfolg der Teilnehmenden wirksam werden. Erweiterte Beruflichkeit spiele dabei eine eher untergeordnete Rolle. Daher wird hervorgehoben, dass eine institutionelle Durchlässigkeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung im Bereich des berufsbegleitenden MINT-Studiums auf Basis der Projektergebnisse nicht attestiert werden kann.

Ebenfalls zu einem eher kritischen Fazit, was Konzeption und Kooperation in dualen Studiengängen anbelangt, kommt Bettina Langfeldt (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) in ihrem Forschungsbeitrag „Lernortkooperation im dualen Studium – zu viel oder zu wenig Einfluss der Hochschulen auf die betrieblichen Praxisphasen?“. Es wurden Probleme der Lernortkooperation in dualen Studiengängen untersucht und Positionen unterschiedlicher Akteure (Studierende, Lehrende, Unternehmensvertreter etc.) im Hinblick auf Art und Umfang der inhaltlichen Verzahnung von Ausbildungsanteilen werden diskutiert. Ergebnisse aus Leitfadeninterviews mit Unternehmensvertretern sowie aus standardisierten Befragungen mit ca. 4000 Studierenden sowie ca. 300 Unternehmen wurden ausgewertet. Die empirischen Befunde legen den Schluss nahe, dass für die Praxisphasen im dualen Studium Optimierungsbedarf besteht und sich die Bildungsträger als Verantwortliche für die Qualität dualer Studiengänge perspektivisch stärker für die Ausgestaltung der Praxisphasen interessieren müssten, die ansonsten in das Belieben der Unternehmen gestellt seien.

Teil 4: Übergänge von der Hochschule in die Arbeitswelt.

Die meisten Studierenden erwarten mit ihrem Studienabschluss eine Art Eintrittskarte für den Arbeitsmarkt. Hunderttausende von akademischen Praktikanten zeigen jedoch, dass der Übergang ins Beschäftigungssystem mitunter mühsam ist, und es stellt sich die Frage, welche Rolle die berufliche Ausrichtung des absolvierten Studiengangs dabei spielt. Diese Frage stellt sich umso mehr, wenn Zugänge zu beruflichen Positionen sowohl durch akademische Bildung als auch durch nicht-akademische Berufsausbildung möglich sind. Was leistet also die Hochschulbildung für den Übergang in den Arbeitsmarkt?

Diese Frage betrifft nicht nur die erfolgreichen Absolventen von Studiengängen. Sie betrifft auch die „Studienabbrecher“, deren Zahl prozentual sogar noch höher ist als die der „Ausbildungsabbrecher“. Warum war für diese Gruppe das Studium keine gute Wahl, um einen Beruf zu ergreifen, und welche Perspektiven ergeben sich für diejenigen, die die Hochschulen ohne Abschluss verlassen? Viele Betriebe haben diese Personen jedenfalls mindestens schon als Zielgruppe für eine betriebliche Berufsausbildung entdeckt. Daneben finden sich auch für diese Zielgruppe Unterstützungs- und berufliche Orientierungsangebote.

Ines Langemeyer (KIT) & Andreas Martin (DIE) argumentieren in ihrem Forschungsbeitrag „Akademiker ohne Professionsstatus? – Oder: Wie Wissenschaft in die Gesellschaft kommt und was dies für das Studium bedeutet“ für eine Differenzierung zwischen der Akademisierung und der Verwissenschaftlichung von Arbeit. Erstere lasse sich an formalen Merkmalen wie den Hochschulabschlüssen und Titeln festmachen, letztere jedoch erst durch eine genauere Analyse von Anforderungen. Anhand von Mikrozensus-Daten wird gezeigt, dass sich entlang der Kriterien „Akademisierungsgrad“ und „berufsfachliche Dichte“ (ein Konzentrationsmaß für die fachlichen Qualifikationen) in den erfassten Berufen Cluster bilden. Sie ermöglichen die Unterscheidung von solchen Berufen, die nach dem Muster klassischer Professionen sowohl einen hohen Akademisierungsgrad als auch eine hohe berufsfachliche Dichte besitzen, und denen, die zwar tendenziell ein Studium voraussetzen, die Fachlichkeit jedoch weniger bis gar nicht in den Vordergrund stellen. Solche Berufsfelder deuten auf eine Verwissenschaftlichung der Arbeit, insofern wissenschaftliches Denken gefordert ist, der Bezug zu einer bestimmten Disziplin aber in den Hintergrund rückt.

Karin Reiber (Hochschule Esslingen) & Maik H.-J. Winter (Hochschule Ravensburg-Weingarten) präsentieren in ihrem Forschungsbeitrag „Die Berufsrelevanz des Pflegestudiums – Erwartungen, Anforderungen und Perspektiven aus Sicht von Studierenden und Schlüsselpersonen der Versorgungspraxis“ Ergebnisse einer Online-Befragung von Pflegefachpersonen, die ein ausbildungsintegrierendes Studium (N=76) abgeschlossen hatten sowie elf Interviews mit Experten und Expertinnen in Schlüsselpositionen der pflegerischen Versorgung in Baden-Württemberg über die neuen Formen der Pflegeausbildung. Beide Sichtweisen werden einander gegenübergestellt, so dass sich zeigen lässt, dass Pflegestudiengänge auch aus der Sicht der Versorgungspraxis sinnvoller Weise auf komplexere Kompetenzprofile angelegt sind. Allerdings geht mit der Aufwertung der Pflegetätigkeiten die Notwendigkeit einher, die pflegerische Personaleinsatzplanung zu rejustieren und konzeptionell weiterzuentwickeln.

Heide von Felden & Sebastian Lerch (Universität Mainz) diskutieren „Transitionen vom Studium in den Beruf“ und stellen dazu „bildungspolitische Appelle, strukturelle Bedingungen und subjektive Erfahrungen“ einander gegenüber. Ihr Beitrag zeigt anhand von Interviews mit AbsolventInnen des Masterstudiengangs „Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Lebenslanges Lernen und Medienbildung“, wie diese das Studienangebot wertschätzen und ihrem eigenen Studium die Förderung von Selbstaktivität, Reflexivität und Kritikfähigkeit zuschreiben. Vor diesem Hintergrund werden exemplarisch die Veränderungen des Studiums seit der Bologna-Reform, die Anforderungen an den Einstieg ins Berufsleben und allgemein das Verhältnis von Ausbildung und Bildung reflektiert.

Dana Bergmann, Katja Richter & Robert W. Jahn (Universität Magdeburg) untersuchen in ihrem Beitrag „Genauso wie alle anderen…“ den „betriebliche Umgang mit StudienaussteigerInnen“. Anhand von Fallanalysen in neun mittelständischen bis großen Unternehmen wird untersucht, welche Haltungen und Erwartungen diese Betriebe gegenüber Studienabbrechern haben, wie sich gegebenenfalls deren Rekrutierung gestaltet und ob bei Anwerbungen Qualifikationen anerkannt werden. Durch Typenbildung werden die Unternehmen in „aktiv-aufgeschlossene“, „inkonsequente“ und „inaktive Skeptiker“ unterschieden.

Teil 5: Eingeladener Beitrag

Erstmals haben wir in dieser Ausgabe von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Beiträge zum Thema einzuladen. Die Einladung angenommen hat Peter Tremp (Pädagogische Hochschule Zürich), der sich in seinem Beitrag „Forschungsorientierung und Berufsbezug als didaktische Herausforderung“ den diversen und mitunter recht unklaren Erwartungen an das forschende Lernen widmet. Bei dem Konzept schwinge z. B. die Hoffnung mit, dass es als Gegenmittel gegen die Verschulung des Studiums und zugleich gegen einen zu eng ausgelegten Berufsbezug akademischer Bildung eingesetzt werden könne. Tremp kritisiert jedoch, dass die „Relationierung unterschiedlicher Zielsetzungen kaum Thema ist.“ Formeln wie ‚Bildung durch Wissenschaft‘ würden Differenzen zwischen Wissenschafts- und Berufswelt leicht einebnen, zum Preis der „Verwässerung und Simplifizierung“.

Dank

Wir möchten uns sehr herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die interessanten Beiträge für die Ausgabe 34 von bwp@ bedanken.

Ein besonderer Dank gilt auch diesmal dem Team der Redaktion und unserem Websupport.

Martin Fischer, H.-Hugo Kremer, Julia Gillen und Ines Langemeyer
im Juni 2018

Literatur

Bologna Declaration (1999): Joint declaration of the European Ministers of Education. Online: https://www.eurashe.eu/library/modernising-phe/Bologna_1999_Bologna-Declaration.pdf (18.12.2017).

KMK – Kultusministerkonferenz (2009): Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06.03.2009). Online: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_03_06-Hochschulzugang-erful-qualifizierte-Bewerber.pdf (27.6.2018).

Tremp, P. (2015): Forschungsorientierung und Berufsbezug: Notwendige Relationierungen in Hochschulstudiengängen. In: Tremp, P. (Hrsg.): Forschungsorientierung und Berufsbezug im Studium. Hochschulen als Orte der Wissensgenerierung und der Vorstrukturierung von Berufstätigkeit. Bielefeld, 13-39.

Ramm, M./Multrus, F./Bargel, T./Schmidt, M. (2014): Studiensituation und studentische Orientierungen: 12. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen (Langfassung). Bonn, Berlin.

Statistisches Bundesamt. (o. J.): Entwicklung der Studienanfängerquote* in Deutschland von 2000 bis 2017. In: Statista – Das Statistik-Portal. Online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72005/umfrage/entwicklung-der-studienanfaengerquote/ (29.06.2018).

Zitieren des Beitrags

Fischer, M./Kremer, H.-H./Gillen, J./Langemeyer, I. (2018): EDITORIAL zur Ausgabe 34: Was berufliche und akademische Bildung trennt und verbindet. Entgrenzungen an der Schnittstelle von Berufsschule, Betrieb, Hochschule und Universität. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 34, 1-10. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe34/editorial_bwpat34.pdf (30.6.2018).