bwp@ 34 - Juni 2018

Was berufliche und akademische Bildung trennt und verbindet.

Entgrenzungen an der Schnittstelle von Berufsschule, Betrieb, Hochschule und Universität

Hrsg.: Martin Fischer, H.-Hugo Kremer, Julia Gillen & Ines Langemeyer

Eine Gefahr für die Leistungsfähigkeit der tertiären Bildung? Bildungspolitische Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz

Beitrag von Ute Hippach-Schneider & Verena Schneider
bwp@-Format: Diskussionsbeiträge
Schlüsselwörter: Bildungspolitik, Strategien, Internationaler Vergleich, Deutschland/Schweiz

Nicht alle bildungspolitischen Ansätze im tertiären Bildungsbereich zielen auf eine Entgrenzung der Schnittstelle zwischen akademischer und beruflicher Bildung.

Gerade zwischen Deutschland und der Schweiz gibt es beinahe schon entgegengesetzte Strategien. Die häufig als sehr ähnlich bezeichneten Berufsbildungssysteme offenbaren hier eindrucksvoll unterschiedliche Ansätze zur Förderung der Attraktivität von beruflicher Bildung.

Die Entwicklung hybrider Programme im Hochschulbereich in Deutschland sowie Überlegungen dazu im Bereich der beruflichen Fortbildung steht in scharfem Kontrast zum Weg der Schweiz. Hier wird eine klare Trennung von beruflicher Tertiärbildung und Hochschulbildung favorisiert. Eine Annäherung der verschiedenen Elemente des tertiären Bildungssystems wird sogar als eine Gefahr für die Leistungsfähigkeit des tertiären Bildungssystems gesehen, so der Schweizerische Wissenschafts- und Innovationsrat (SWIR 2014). Stattdessen setzt man auf eine Stärkung der Differenzierung der Profile durch Aufwertung der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale.

Der Beitrag verdeutlicht die unterschiedlichen bildungspolitischen Vorstellungen durch die Analyse der Papiere des SWIR („Die Tertärstufe des Schweizer Berufsbildungssystems“) und des Wissenschaftsrates von 2014 („Empfehlungen zur Gestaltung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung“) in Deutschland, ordnet sie in die neuesten Debatten in Deutschland und der Schweiz ein und spiegelt die zwei unterschiedlichen Empfehlungen an der wissenschaftlichen Diskussion um die Einbettung von höherer Berufsbildung in den tertiären Bildungsbereich.

A threat to the effectiveness of tertiary education? Differences in German and Swiss educational policy

English Abstract

Not all policy approaches to tertiary education aim to remove the barriers between academic and vocational education.

Germany and Switzerland are pursuing almost diametrically opposed strategies. Their two vocational education systems, which are often considered very similar, have strikingly different approaches to increasing the attractiveness of vocational training.

Germany’s development of hybrid programmes in higher education, and related proposals for vocational further education, are in stark contrast to Switzerland’s approach. Switzerland favours a clear distinction between vocational tertiary education and higher education. In fact, according to the Swiss Science and Innovation Council (SSIC 2014), any convergence of the various elements of the tertiary education system is seen as a threat to its effectiveness. Instead, Switzerland is working to reinforce differences between the relevant areas by enhancing their key characteristics.

This study focuses on these different educational policy concepts by analysing papers from 2014 by the SSIC (“Die Tertiärstufe des Schweizer Berufsbildungssystems” [the tertiary level of the Swiss education system]) and the German Council of Science and Humanities (“Empfehlungen zur Gestaltung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung” [recommendations for defining the relationship between vocational and academic education]). These two papers are evaluated in the context of the current debate in Germany and Switzerland, and their differing recommendations are presented with reference to the academic debate on incorporating higher-level vocational education into tertiary education.

1 Hintergrund

Der beruflichen Bildung wird nicht unbedingt eine rosige Zukunft vorhergesagt. Ihre Attraktivität scheint nachzulassen. Die Zahl der neuen jährlichen Auszubildenden hat sich in Deutschland zwar von 2015 auf 2016 stabilisiert, sie sind jedoch seit 2005 um 4,6% zurückgegangen. Gleichzeitig steigen die Zahlen derjenigen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben und ein Studium beginnen (BIBB 2017b). Sie gerät zunehmend unter Druck durch allgemeine und akademische Bildungswege. Strahm (2017) befürchtet gar, dass die traditionelle Berufslehre durch eine solche anhaltende Entwicklung mit einem sozialen Stigma versehen wird, wie es bereits in zahlreichen Ländern der Welt der Fall ist.

Entscheidend für ihre Attraktivität ist für den Einzelnen insbesondere die mit der Ausbildung verbundene perspektivische Vielfalt an beruflichen Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten und die soziale Anerkennung des Bildungsweges. Die Durchlässigkeit zur Hochschulbildung ist deshalb seit vielen Jahren ein wichtiges berufsbildungspolitisches Thema. In Deutschland fand sie ihren Niederschlag im zusammenfassenden Beschluss der Kultusministerkonferenz (2015), der alle Möglichkeiten des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte aufführt.

In zunehmendem Maße spielen jedoch die Veränderungen innerhalb des tertiären Bildungsbereichs eine wichtige Rolle. Die Verbindung von beruflichen und akademischen Elementen in gemeinsamen Bildungsprogrammen, den sog. Hybridprogrammen scheint das Modell der Stunde. Als Konzession an eine unaufhaltsame Akademisierung (Busemeyer 2017) oder zur Deckung des Fachkräftebedarfs insbesondere im sog. MINT-Bereich werden sie vielfach als mögliche Problemlöser betrachtet. Tatsächlich sind der Wachstumsbereich des tertiären Bildungsbereichs der letzten Jahre in Deutschland die privaten Fachhochschulen mit ihren praxisorientierten, praxisintegrierten oder auch ausbildungsintegrierten dualen Studiengängen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016). Sie sind in einigen Fachrichtungen eine Alternative und Wettbewerber zu universitären Studiengängen.

Diese Entwicklungen sind für die Attraktivität des beruflichen Bildungsweges mitentscheidend, denn es besteht eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Bildungsbereichen. Entwicklungen und bildungspolitisch gewollte Reformen und Veränderungen eines Teilbereichs betreffen das gesamte System und müssen entsprechend mitgedacht werden (Wolter 2017).

In der Schweiz ist die Situation im Vergleich zu Deutschland etwas anders. Hier wählt der Großteil eines Jahrgangs nach wie vor den beruflichen Bildungsweg – auch wegen der attraktiven Anschlussoptionen. Die Fachhochschulen der Schweiz wurden Mitte der 1990er Jahre als eine Möglichkeit zu einer fachlichen und akademischen Weiterqualifizierung der Absolventen einer Berufsbildung konzipiert und so die duale Erstausbildung in den Hochschulbereich hineingeführt (BBT 2009). Gleichzeitig wurde im Jahr 2004 die berufliche Fortbildung als „Tertiär B“[1] gesetzlich dem hochschulischen Tertiärbereich „A“ formal gleichgestellt. Dadurch wurde der Wert und die Relevanz von beruflicher Bildung auf allen Qualifikationsniveaus als gleichwertig zu allgemeiner und akademischer Bildung erneut manifestiert. Der höheren Berufsbildung wird eine entscheidende Rolle zugesprochen, wenn es darum geht, der beruflichen Bildung insgesamt ein starkes Gewicht in Wirtschaft und Gesellschaft zu geben (Schmid/Gonon 2013, BBT/EDK 2010). Aber auch in der Schweiz gibt es seit 2015 einen befristeten Pilotversuch zu praxisintegrierten Bachelorstudienmodellen (PiBS), der dort allerdings zu kontroversen Diskussionen geführt hat und von einigen Vertretern der beruflichen Bildung vehement abgelehnt wurde.

Der Beitrag zeigt durch eine vergleichende Analyse der bildungspolitischen Strategien der Schweiz und Deutschlands – am Beispiel der Stellungnahmen des Schweizerischen Wissenschafts- und Innovationsrates (2014) und des deutschen Wissenschaftsrates (2014) – zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen, Perspektiven und Empfehlungen zur Gestaltung der tertiären Bildung. Diese werden in Abschnitt 3 in den Kontext der Entwicklungen und aktuellen Initiativen der beiden Länder gesetzt und im Anschluss in Abschnitt 4 in den wissenschaftlichen Diskurs zu der Frage nach den möglichen Auswirkungen auf die künftige Anziehungskraft der beruflichen Ausbildung eingeordnet. Es wird deutlich, dass sich die beiden betrieblich orientierten und kollektiv geprägten Berufsbildungssysteme trotz großer Ähnlichkeiten bei der Gestaltung der beruflichen Erstausbildung, insbesondere im Hinblick auf die Positionierung der beruflichen Bildung im Tertiärbereich stark unterscheiden. Im Rahmen der derzeitigen Debatte um das Verhältnis von beruflicher und akademischer Bildung und der Entwicklung neuer hybrider Bildungsprogramme erhalten diese Unterschiede eine aktuelle Brisanz, denn sie machen unterschiedliche bildungspolitische, strategische Ansätze deutlich, wie die berufliche Bildung insgesamt gestärkt und die Attraktivität der beruflichen Erstausbildung gesteigert werden kann.

2 Gegenüberstellung der berufsbildungspolitischen Strategien für die Gestaltung der tertiären Bildung von der Schweiz und Deutschland am Beispiel der Papiere des Schweizerischen Wissenschafts- und Innovationsrates und des deutschen Wissenschaftsrates

Auch wenn die Stellungnahmen und Empfehlungen des Schweizerischen Wissenschafts- und Innovationsrates (SWIR) sowie des deutschen Wissenschaftsrates (WR) keine bindende Wirkung haben und vordergründig ihr Einfluss auf die konkrete Bildungspolitik möglicherweise nicht sichtbar ist, setzen sie doch Marken, definieren Begriffe und spiegeln Sichtweisen und Vorstellungen über grundsätzliche Fragen des jeweiligen Bildungssystems wider.

Die beiden Empfehlungen aus dem Jahr 2014 beschäftigen sich mit der künftigen Ausgestaltung des tertiären Bildungssystems und dem Verhältnis von beruflicher zu akademischer Bildung. Aufgrund der Ähnlichkeiten der Berufsbildungssysteme der beiden Staaten ist ein Vergleich besonders wertvoll, zeigt er doch wie unterschiedlich die Lösungsansätze für die weitgehend gleichen Herausforderungen aussehen können.

2.1 Die Terminologie

Ein Unterschied, der als Erstes ins Auge springt, ist die Terminologie. Der WR spricht vom „post-schulischem Bildungssystem“, bestehend aus Hochschulbildung und beruflicher Bildung einschließlich der Erstausbildung. Nach seinem Verständnis gehören berufliche Fortbildung und die schulischen Programme an den Fachschulen, die ebenfalls zu höheren beruflichen Qualifikationen führen, nicht zur tertiären Bildung. Der Begriff „Tertiäre Bildung“ wird vielmehr als Synonym für Hochschulbildung verwendet. Er führt somit dieses Verständnis aus früheren Empfehlungen fort, z. B. der Empfehlung zur Entwicklung des dualen Studiums aus dem Jahr 2013. Damit steht der WR im Widerspruch zum Verständnis des Internationalen Bildungsklassifikationssystems (ISCED 2011), das die Grundlage für die internationale Erfassung von Bildungsdaten ist, der Systematik des Deutschen Qualifikationsrahmens und auch dem SWIR. Dieser verdeutlicht, dass für die Schweiz der tertiäre Bildungsbereich aus zwei gleichwertigen Bildungstypen besteht, dem Hochschulbereich mit den universitären Hochschulen, Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen und dem Bereich der Höheren Berufsbildung mit den Berufs- und höheren Fachprüfungen sowie den höheren Fachschulen.

Dieses unterschiedliche Verständnis prägt die Analyse und spiegelt sich in den Empfehlungen der beiden Papiere wider. Der SWIR betrachtet bei seinen Analysen beide Typen des tertiären Bildungsbereichs ganzheitlich, während der WR primär die berufliche (Erst-)Ausbildung mitdenkt und die berufliche Fortbildung lediglich an einzelnen Stelle miteinbezieht (s. u.). Die tertiären Fachschulprogramme klammert er sogar völlig aus, weil er sie nicht als alternativen tertiären Bildungsbereich wahrnimmt.

2.2 Die Empfehlungen des WR

Nachdem er auf die Notwendigkeit des Ausbaus und der Systematisierung von Bildungsberatungs- und Orientierungsangeboten hinweist, setzt der WR einen starken Akzent auf die Organisation von Durchlässigkeit zwischen „beruflicher und akademischer“ Bildung. Die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen müsse verbessert werden, die Entwicklung einer entsprechenden Studienberatung und Studienorganisation wird als notwendig betrachtet.

Ausbau der Durchlässigkeit

Es soll der Zugang zu den Hochschulen für berufliche Qualifizierte ohne Hochschulzugangsberechtigung auch ohne mehrjährige Berufserfahrung möglich sein, d. h. jeder Abschluss einer beruflichen Ausbildung ermöglicht unmittelbar den Zugang zu den Hochschulen. Dadurch verspricht sich der WR ein Mehr an Attraktivität für eine berufliche (Erst-)Ausbildung, bzw. eine „Verringerung des Attraktivitätsgefälles zwischen beruflicher und akademischer Bildung“ (ebd., 90). Die Angebote für eine berufliche Fortbildung wiederum könnten sich für Interessenten mit Hochschulabschlüssen weiter öffnen. Dadurch könnten „Akademikerinnen und Akademiker ihr Kompetenzprofil deutlich erweitern“ (ebd., 94).

Einführung niedrigschwelliger Studienangebote

Gleichzeitig soll das Angebotsspektrum der Hochschulen auch noch zusätzlich durch die Einführung von „niedrigschwelligen Studienangeboten“ erweitert werden, die nicht zu einem akademischen Abschluss führen (ebd., 87). Dadurch soll der „punktuelle“ Bedarf von Absolventen einer beruflichen Bildung an akademischen Inhalten gedeckt werden, für die kein ganzes Studium benötigt werde. Mögliche Auswirkungen auf die berufliche Fortbildung werden dabei nicht thematisiert.

Ausbau hybrider Ausbildungsformate

Einen dritten Schwerpunkt setzt der WR in der Empfehlung auf eine weitere Entwicklung hybrider Ausbildungsformate. Der große Zulauf des Modells des dualen Studiums etabliere eine neue, dritte Ausbildungsform neben Berufsausbildung und „regulärem“ Hochschulstudium. Dies könne zu einer Angleichung der gesellschaftlichen Wertschätzung von beruflicher und akademischer Bildung hinwirken (ebd., 95). In einer weiteren inhaltlichen und organisatorischen Verzahnung der Lernorte Hochschule und Betrieb sieht der WR ein wichtiges Handlungsfeld.

Auch für die berufliche Fortbildung schlägt der WR eine hybride Erweiterung durch zusätzliche akademische Module vor, z. B. zur Vermittlung speziellen theoretischen Wissens oder wissenschaftlicher Methoden. Wie dieser Vorschlag bildungssystematisch zu dem Vorschlag zur Einführung „niedrigschwelliger“ hochschulischer Angebote (s.o.) steht, wird offengelassen, denn hier scheinen doch zwei inhaltlich sehr ähnliche Typen von Bildungsprogrammen vorgeschlagen zu werden, die sich vor allem durch den Anbietertyp unterscheiden und das eine Programm dadurch hochschulisch, das andere als beruflich qualifiziert.

Insgesamt sieht der WR in hybriden Ausbildungsmodellen ein wichtiges Instrument zur Fachkräftesicherung und empfiehlt einen „weiteren deutlichen Ausbau“ (ebd., 96). Sie trügen zu einer „funktionalen Balance“ im Verhältnis von beruflicher und akademischer Bildung bei. Die Optionen und Chancen durch eine zunehmende Hybridisierung für die Hochschulen sind gut nachvollziehbar, denn es wird der Markenkern der beruflichen Bildung – die Dualität des Lernens und der Lernorte – für eine stärkere Ausdifferenzierung und Diversifizierung der Hochschullandschaft genutzt. Eine Erhöhung der Attraktivität des Hochschulbereichs bedeutet eine weitere Veränderung des Wettbewerbs zwischen den beiden Bildungsbereichen. Dass dadurch tatsächlich eine „Balance“ zwischen den beiden Bildungsbereichen erreicht wird, ist dagegen schwerer nachvollziehbar.

2.3 Die Empfehlungen des SWIR

Im Gegensatz dazu steht der ganzheitliche Ansatz des SWIR, der ausdrücklich seine Überlegungen und Empfehlungen auf die gesamte tertiäre Bildung bezieht – sowohl die höhere Berufsbildung (Tertär B) als auch den hochschulischen Bereich (Tertiär A) – und die Folgen durch die Wechselwirkung von Veränderungen auf die berufliche Bildung als Ganzes thematisiert.

Profilschärfung und Ausbau der Durchlässigkeit – keine Hierarchisierung

Er diagnostiziert für die Schweiz eine politische Tendenz der höheren Berufsbildung sich zu einem Modell zu entwickeln, das sich den Hochschulen annähert. Dies hält er für eine Gefahr für die Leistungsfähigkeit des tertiären Bildungssystems. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Elementen des Tertiärbereichs müssten vielmehr aufrechterhalten werden. Die Vielfalt sei notwendig, um die Arbeitskräfte entsprechend ihrer Talente und ihres individuellen Potenzials auszubilden und den Bedarf des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft nach unterschiedlichen Qualifikationen und Kompetenzen zu bedienen. Diese Sicht hat der SWIR zuletzt in seiner Stellungnahme im Rahmen der Konsultation zum „Leitbild Berufsbildung 2030“ (SFBI 2017b) noch einmal bekräftigt.

Er sieht in der Durchlässigkeit zwischen beiden Tertiärbereichen eine Vorbedingung für ein flexibles Bildungssystem und für die Fähigkeit desselben, sich an Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen, (SWIR 2014, 14). Denn auch das schweizerische Bildungssystem steht vor Herausforderungen:

  • Durch die Globalisierung wächst der Wettbewerb mit Systemen, deren tertiäre Bildung ausschließlich hochschulisch ist. Das fördere den Trend zu einer „Akademisierung“ der Berufsbildung und stärke die Vormachstellung der universitären Bildung und von universitären Abschlüssen.
  • Auch von wirtschaftlicher Seite gibt es Veränderungsdruck durch eine Nachfrage nach immer höher qualifizierten Arbeitskräften und die vielfältigen Veränderungen der Arbeitswelt.
  • Auf gesellschaftlicher Ebene vermittelt ein universitärer Abschluss zudem das Bild eines sozialen Aufstiegs (ebd. 17).

Eine Hierarchisierung des tertiären Bildungsbereichs lehnt der SWIR dabei ausdrücklich ab, da sie sich negativ auf die Wirtschaftskraft der Schweiz auswirken würde. In dem Bemühen um eine Annäherung im tertiären Bildungsbereich an den Hochschulbereich, und im Hochschulbereich an die Universitäten, werde seiner Auffassung nach im Gegenzug die berufliche Bildung abgewertet. Statt einer Komplementarität werde eine fatale Hierarchie propagiert. Dabei hinge die wirtschaftliche Produktivität und der Erfolg der Innovationen der Schweiz in hohem Maße von der Qualität aller Bildungswege ab (ebd., 19). „Die Bildungskette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied“, ebd.

Er empfiehlt daher den verantwortlichen Institutionen und Akteuren im tertiären Bildungsbereich, sich dem „internationalen und nationalen Trend zu einer Angleichung oder Konvergenz“ zu widersetzen und die Profile der Elemente der tertiären Bildung zu schärfen (ebd., 21).

Die Profile der tertiären Bildungsprogramme

Der SWIR skizziert die unterschiedlichen Aufgaben und Alleinstellungsmerkmale der Bildungsgänge des tertiären Bereichs, dadurch wird die Relevanz jedes Elements verdeutlicht. So hat beispielsweise die höhere Berufsbildung die Aufgabe, Führungs- und Fachkräfte branchenspezifisch auszubilden, zu spezialisieren und auf höhere Anforderungen bei Management und Führung vorzubereiten und ist eine Möglichkeit zur Höherqualifizierung von Absolventen einer beruflichen Erstausbildung. Dadurch spielt sie für die Attraktivität der beruflichen Bildung eine wichtige Rolle, da sie das unmittelbar anschlussfähige Bildungsangebot für eine weitere berufliche Karriere ist. Die Fachhochschulen richten sich an Inhaberinnen und Inhaber von Berufs- und Fachmaturität und ermöglichen insbesondere den Erwerb von spezifischen, aber berufsübergreifenden Kompetenzen und ergänzen das Angebot der beruflichen Bildungsgänge durch die Vermittlung von theoretischen Grundlagen sowie wissenschaftlichen und künstlerischen Vorgehensweisen. Wichtig sei eine „Plastizität“ des Bildungssystems, um den Herausforderungen gewachsen zu sein, eine Auflösung der verschiedenen Elemente jedoch nicht.

Auch wenn im Vergleich zu Deutschland die höhere berufliche Bildung in der Schweiz per gesetzlicher Definition bereits einen anderen Stellenwert gegenüber der Hochschulbildung hat, sieht der SWIR eine weitere Aufwertung als zwingend notwendig an.

Beiden Empfehlungen gemeinsam ist der Hinweis auf die Bedeutung von Durchlässigkeit im Bildungssystem. Im Übrigen aber sind hinsichtlich der Bewertungsgrundlage, den Schlussfolgerungen und den Empfehlungen kaum größere Gegensätze denkbar. Zuspitzend könnte man den jeweiligen Grundtenor der Empfehlungen als „Plastizität mit Profilschärfung“ vs. „Hybridisierung mit Durchlässigkeit“ bezeichnen.

3 Entwicklungen und aktuelle Fragestellungen

In diesem Abschnitt werden die wesentlichen aktuellen Entwicklungen im tertiären Bildungsbereich sowie Vorschläge zur künftigen Gestaltung skizziert, um die beiden Stellungnahmen besser in den jeweiligen nationalen Kontext einordnen zu können. Hierfür werden die Entwicklungen der Absolventenzahlen beider Länder im Tertiärbereich verglichen und die unterschiedlichen Rahmenbedingungen sowie die aktuellen Entwicklungen von Hybridangeboten, höherer Berufsbildung in der Schweiz und Aufstiegsfortbildung in Deutschland aufgezeigt

3.1 Absolventenzahlen im Tertiärbereich im Vergleich

Der in Tabelle 1 dargestellte Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz zeigt, dass der Anteil der 25-34-Jährigen mit tertiärem Bildungsabschluss in der Schweiz wesentlich höher ist. Dies ist zum Teil auch dadurch begründet, dass in Deutschland der Großteil der Absolventen der Aufstiegsfortbildungen nach BBiG und HwO, die im DQR den Ebenen 5-7 zugeordnet sind, in den internationalen Statistiken nicht erfasst werden (Hippach-Schneider et al. 2017, Hippach-Schneider 2017). Die vergleichbaren Eidgenössischen Prüfungen in der Schweiz zählen dagegen national und international zum Tertiärbereich. Zu berücksichtigen bei der Interpretation sind jedoch auch strukturelle Veränderungen im nationalen Bildungssystem, z. B. die Anerkennung der Fachstudien im Gesundheitsbereich der Schweiz als Fachschulabschlüsse, die zu einem Anstieg derselben geführt hat (BFS 2017b).

Tabelle 1:     Anteil der 25-34-jährigen von 2000 bis 2016 mit tertiärem Bildungsabschluss [in %]

 

2000

2005

2010

2015

2016

Schweiz

26

31

37

47

49

Deutschland

22

22

28

30

31

Quelle: OECD (2018), http://dx.doi.org/10.1787/eag-2017-table12-en; 2000-2010: ISCED 97, ab 2015: ISCED 2011

3.1.1 Abschlüsse in der Schweiz

Betrachtet man die Zusammensetzung der Abschlüsse im Tertiärbereich in Tabelle 2, zeigt sich für die Schweiz, dass im Jahr 2016 knapp ein Drittel der Abschlüsse im beruflichen Tertiärbereich („höhere Berufsbildung“) und zwei Drittel im hochschulischen Tertiärbereich erworben wurden – aber auch hier hat sich die Zahl der Hochschulabsolventen in den letzten Jahren stark erhöht, während die Anzahl der Absolventen der höheren Berufsbildung etwas abgenommen hat.

Tabelle 2: Abschlüsse der Tertiären Bildung in der Schweiz 2005-2016 [absolut]

 

2005

2010

2015

2016

Höhere Berufsbildung insgesamt1

29.475

28.262

26.455

26.741

Höhere Fachschuldiplome

4.055

7.337

8.451

8.470

Eidg. Diplome

2.556

3.160

2.707

3.473

Eidg. Fachausweise

12.251

13.144

14.835

14.402

Diplome der nicht vom Bund reglementierten höheren Berufsbildungen

10.613

4.621

462

396

Hochschulen insgesamt2

29.221

45.578

56.607

57.920

Universitäre Hochschulen3

18.195

28.183

33.262

34.114

Fachhochschulen

9.307

13.549

17.799

18.159

Pädagogische Hochschulen

1.719

3.846

5.546

5.647

Quellen: 1 (BFS 2017d)– Statistik der Bildungsabschlüsse (SBA); 2eigene Berechnungen; 3(BFS 2017c)– SHIS,

Unter dem Dach „höhere Berufsbildung“ werden primär zwei Bildungsbereiche mit sehr unterschiedlichen Systemlogiken zusammengefasst werden: die höheren Fachschulen und die eidgenössischen Prüfungen (siehe auch Kuhn 2016). Etwas über 25% der 25-64-Jährigen mit einer abgeschlossenen beruflichen Grundbildung sind im Jahr 2016 in die Höhere Berufsbildung übergegangen (BFS 2017e). Bei den Abschlüssen im beruflichen Tertiärbereich dominieren dabei ganz klar die Eidgenössischen Diplome.

3.1.2 Abschlüsse in Deutschland

In Deutschland gibt es analog zu der Schweiz berufliche Aufstiegsfortbildungen auf den Ebenen 5-7 des DQR, bei denen die Prüfungen bundesrechtlich oder durch die zuständige Stelle geregelt sind, und ein tertiäres schulisches Fortbildungsangebot an den Fachschulen und -akademien in der Verantwortung der Bundesländer.

Tabelle 3: Hochschul- und höhere berufliche Abschlüsse in Deutschland 2005-2016 (absolut)

 

2005

2010

2015

2016

Höhere berufliche Abschlüsse insgesamt1

165.493

153.294

162.162

160.775

Fortbildungsprüfungen2

100.280

93.357

97.827

96.117

Fachschulen (inkl. Fachakademie)3

65.213

59.937

64.335

64.658

Hochschulen insgesamt4

226.530

336.068

452.370

462.375

Davon Universitäten*

130.622

201.450

267.758

269.453

Davon Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften**

74.459

116.570

162.303

170.691

* ohne Pädagogische Hochschulen, Theologische Hochschulen, Kunst- und Musikhochschulen;
**ohne Verwaltungsfachhochschulen

Quellen: 1eigene Berechnungen; 2Statistisches Bundesamt (2016); 3Statistisches Bundesamt (2017); 4 (HRK 2017, BIBB 2017a)

Stellt man das Verhältnis der Absolventenzahlen in beiden Bereichen gegenüber, so hat sich der Anteil der Hochschulabsolventen im betrachteten Zeitraum etwas mehr als verdoppelt und war 2016 bereits knapp dreimal so hoch wie die Absolventen im höheren beruflichen Bereich.

3.2 Hochschulzugang und hybride Modelle

3.2.1 Hochschulzugang

Ein wichtiger Unterschied im Sekundarbereich zwischen der Schweiz und Deutschland ist die Schweizer Berufsmaturität, die den beruflich Qualifizierten den Übergang zu den Fachhochschulen öffnet. Die Berufsmaturität kann ausbildungsbegleitend oder im Anschluss an die Berufsausbildung erworben werden. Die Fachhochschulen in der Schweiz wurden mit dem Ziel gegründet, die berufliche Bildung zu stärken und Praktikern eine anwendungsbezogene akademische Qualifikation zu ermöglichen. Somit sind beide Qualifizierungswege – höhere Berufsbildung und der Fachhochschulbereich – Optionen für die Weiterqualifizierung von Absolventen einer beruflichen Ausbildung. Dadurch wurden starke bildungspolitische Signale für die Wahl einer Ausbildung im Sekundarbildung gesetzt.

Für die Inhaber einer Berufsmaturität gibt es die Möglichkeit, mit dem Ablegen einer Ergänzungsprüfung, der „Berufsmaturität – universitäre Hochschulen“ (Passerelle), den Zugang zu universitären Hochschulen zu erhalten. Auch wenn bisher nur wenige Personen (959 im Jahr 2016) bisher von dieser Möglichkeit Gebrauch machen (BFS 2017a), ist dies eine zusätzliche Weiterentwicklungsmöglichkeit für beruflich Qualifizierte. Seit 2017 steht diese Option auch Inhabern einer Fachmaturität offen (SFBI 2017a). Inhaber der gymnasialen Maturität müssen bislang grundsätzlich für die Zulassung zu einer Fachhochschule eine einjährige einschlägige Berufserfahrung (Arbeitswelterfahrung) nachweisen. Augenblicklich läuft ein Pilotprojekt in einigen MINT-Studiengängen, in denen die Arbeitswelterfahrung auch studienbegleitend erworben werden kann (vgl. Kap. 3.1.4).

In Deutschland ist für Absolventinnen und Absolventen einer beruflichen Erstausbildung unter bestimmten Voraussetzungen ein fachgebundener Hochschulzugang möglich. Meister im Handwerk und Fachschulabsolventen erwerben hingegen automatisch die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung, ebenso die Absolventen von Aufstiegsfortbildungen nach BBiG und HwO, die Vorbereitungskurse mit einem vorgegebenen Mindestumfang besucht haben (KMK 2015). Die Zahl der Studierenden ohne allgemeine Hochschul- und Fachhochschulreife ist in den letzten Jahren stark angewachsen und betrug im Jahr 2015 51.000, was 1,9% aller deutschen Studierenden entsprach (Nickel/Schulz 2017).

Mit dem Schuljahr 2017/18 sind in Deutschland in einer Kooperation vom Zentralverband des deutschen Handwerks und der Kultusministerkonferenz in sechs Bundesländern Modellversuche zur Erprobung eines Berufsabiturs gestartet (ZDH 2017), wobei es auch schon vorher vereinzelte Modelle, z. B. in Sachsen, gab.

3.2.2 Praxisintegriertes Bachelorstudienmodell (PiBS) in der Schweiz

Rechtliche Voraussetzung für die Zulassung von Bewerbern mit gymnasialer Maturität zur Fachhochschule ist in der Schweiz bislang eine einjährige einschlägige Berufserfahrung. Vor einigen Jahren begannen einzelne Fachhochschulen, Konzepte für vierjährige duale Studiengänge zu entwickeln, bei denen die Studierenden die Praxis erst während des Studiums erwerben, das dafür auf vier Jahre verlängert wird. Die Anfrage einer der Fachhochschulen auf eine Sondergenehmigung löste eine intensive Debatte aus (Strahm 2014) und wurde von der Regierung abschlägig beschieden. Später fanden die Konzepte als befristete Pilotversuche Eingang in ein Maßnahmenpaket zur Fachkräftesicherung im MINT-Bereich mit dem Ziel, die Zahl der Abschlüsse im MINT-Bereich zu erhöhen (econcept 2017). Als Bezeichnung wurde zur Abgrenzung von den deutschen dualen Studiengängen „Praxisintegriertes Bachelorstudienmodell (PiBS)“ gewählt (ebd.). Die Erprobung wurde mit einer Evaluationspflicht versehen – auch wegen der Vorbehalte verschiedener Akteure. Für die Umsetzung waren umfangreiche Abstimmungsprozesse und rechtliche Änderungen notwendig. Die Erprobung erfolgt mit den Jahrgängen 2015-2017. Vorgaben sind ein vierjähriger Ausbildungsvertrag mit einem Unternehmen und 40% Praxisanteil. Im Herbstsemester 2017/18 studieren an vier Fachhochschulen etwa 115 Teilnehmende (econcept 2017, 14f.). Im Jahr 2017 wurde die Erprobung einer Vorprüfung unterzogen. Diese kam zu dem Schluss, dass sich bisher aufgrund der kurzen Laufzeit keine Systemeffekte, z. B. in Hinblick auf die Verdrängung von Lehrstellen, und keine Auswirkungen hinsichtlich des Fachkräftemangels feststellen lassen. Es wurde empfohlen, die Pilotphase zu verlängern (econcept 2017).

3.2.3 Duale Studiengänge in Deutschland

Die Dualen Studiengänge haben sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt (siehe auch Kap. 3.2). So sind im Jahr 2016 bereits 100.739 Studierende[2] in 1.592 dualen Studiengängen eingeschrieben gewesen. Die in einer Erhebung befragten Hochschulen gaben für das gleiche Jahr an, mit rund 47.000 Praxispartnern zu kooperieren – etwa 5000 mehr als im Vorjahr (BIBB 2017a). Insgesamt machten die dual Studierenden im Jahr 2016 aber nur etwa 5% aller Studierenden aus – weniger als 1% bei den Universitäten, allerdings 13% an Fachhochschulen. Seit 2012 ist die Gesamtzahl um 2% und die Anzahl der dualen Studierenden an Fachhochschulen um 3% gewachsen (Deutsches Studentenwerk 2017).

Die dualen Studiengänge des Erststudiums in Deutschland werden unterschieden in ausbildungsintegrierend (beruflicher und akademischer Doppelabschluss) und praxisintegrierend (ausschließlich akademischer Abschluss). Bei ersteren unterliegen die Praxisphasen bei dualen Ausbildungsberufen den rechtlichen Vorgaben des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und den tariflichen Standards für die Ausbildungsvergütung. Das Wachstum bei den dualen Studiengängen findet allerdings vor allem im Bereich des praxisintegrierenden Modells statt (BIBB 2017a, 8). Hier fallen die Praxisphasen nicht in den Einzugsbereich des BBiG, sondern liegen in der Zuständigkeit der Länder (BMBF 2016). Für den betrieblichen Anteil gibt es dadurch bisher keine bindenden Vorgaben, und die Interessen der Akteure gehen hier weit auseinander. So fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund eine gesetzliche Regulierung (DGB 2017), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände spricht sich allerdings vehement gegen jedwede weitere Regulierung aus (BDA 2017b).

3.3 Aktuelle Fragestellungen und Initiativen

3.3.1 Aktuelle Diskussion und Initiativen in der Schweiz

Die Diskussionslinien der letzten Jahre über die höhere Berufsbildung in der Schweiz betreffen im Kern die Erhaltung und Erhöhung der Attraktivität dieses Bildungsbereichs: es geht um die Finanzierung, die nationale und internationale Positionierung sowie die Ausgestaltung des Verhältnisses zum Hochschulbereich, insbesondere im Hinblick auf das Thema Durchlässigkeit.

Strategieprojekt Höhere Berufsbildung

In dem 2013 aufgelegten „Strategieprojekt Höhere Berufsbildung“ hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SFBI 2013) die Bearbeitung wesentlicher Themen gebündelt. Diese umfassen z. B.

  • die Durchführung der Markenkampagne „BerufsbildungPlus“,
  • Änderungen in der Finanzierung,
  • die Einführung englischer Titelbezeichnungen,
  • die Verabschiedung des nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) im Jahr 2014 sowie
  • die Erhöhung der Durchlässigkeit der höheren Berufsbildung – insbesondere von den Fachschulen zu den Fachhochschulen.

Trotzdem werden die Themen in der nationalen Debatte weiter diskutiert. So kritisieren Baumeler et.al. (2017, 34) , dass bei der Zuordnung von Abschlüssen der höheren Berufsbildung zum NQR die Chance verpasst wird, die Abschlüsse, deren Niveau für den Tertiärbereich möglicherweise nicht angemessen ist, zurück in den Weiterbildungssektor zu transferieren. Und hinsichtlich der Titel hält Strahm (2018) die Diskussion noch nicht für beendet, da er weiterhin von einer starken Unterstützung für die Titel „Bachelor/Master Professional“ ausgeht. Die Erprobung des „Praxisintegrierten Bachelorstudienmodells“ wurde ebenfalls kontrovers diskutiert (vgl. Kap. 3.1.5). Aber auch innerhalb der höheren Berufsbildung gibt es Diskussionsthemen. Dabei geht es unter anderem um die Finanzierung der Fachschulen und ihre Positionierung gegenüber den eidgenössischen Prüfungen und Fachhochschulen (siehe z. B. Schweizerische Konferenz der höheren Fachschulen 2016).

Leitbild Berufsbildung 2030

Im Jahr 2016 wurde in der Schweiz mit der Entwicklung eines Leitbildes Berufsbildung 2030 begonnen, das Anfang 2018 fertigstellt wurde. Berufsbildung im Sinne des Leitbildes umfasst die Berufslehre, die Berufsmaturität, die höhere Berufsbildung und die berufsorientierte Weiterbildung. Die Verbundpartner Bund, Kantone und die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) haben einen gemeinsamen Entwurf erarbeitet, zu dem im Jahr 2017 eine Konsultation stattfand (SFBI 2017b).

Der daraus entstandene Bericht setzt einen Fokus auf die horizontale und vertikale Durchlässigkeit und geht außerdem davon aus, dass in Zukunft der Stellenwert der höheren Berufsbildung für die persönliche berufliche Entwicklung zunehmen wird. Die beruflichen Weiterbildungsmöglichkeiten hätten dann einen wesentlichen Stellenwert für die Attraktivität und entsprechend auch die Wahl eines Berufsfeldes (ebd, 2ff). Nach der Verabschiedung des Leitbildes ist geplant, dass Umsetzungsmaßnahmen durch die Verbundpartner aufgelegt werden und die gesetzlichen Grundlagen entsprechend angepasst werden.

3.3.2 Deutschland

Auch in Deutschland wird vor dem Hintergrund des Erhalts bzw. der Steigerung der Attraktivität der dualen Erstausbildung über die verschiedenen Weiterentwicklungsmöglichkeiten für deren Absolventen und die Positionierung der Berufsbildung zu dualen Studiengängen diskutiert.

Höhere Berufsbildung

Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in Deutschland kein politisch definiertes System der höheren Berufsbildung. Allerdings wird das Thema „Höhere Berufsbildung“ im Bereich der Aufstiegsfortbildung auf politischer Ebene aktuell kontrovers diskutiert und es gab in den letzten Monaten dazu Positionierungen verschiedener Akteure. Die meisten Positionen befürworten die Etablierung der Bezeichnung „Höhere Berufsbildung“ für die Aufstiegsfortbildung nach BBiG und HwO bzw. nutzen sie bereits (CDU 2016; DIHK und ZDH 2017, 1; DGB 2016, 12), wobei dies mit unterschiedlichen Forderungen verbunden wird. Nur die Arbeitgeberseite (BDA 2017) spricht sich explizit gegen die neue Begrifflichkeit aus (BDA 2017b).

Die Fachschulen tauchen in den dargestellten Beiträgen der deutschen Debatte zur höheren Berufsbildung nicht auf. Es deutet al.so nichts darauf hin, dass in Deutschland geplant ist, diese in die Diskussion um die Etablierung einer Marke „Höhere Berufsbildung“ zu integrieren. Dabei ist aber auch zu beachten, dass die Diskussion primär von den Akteuren geführt wird, die in die duale Berufsausbildung involviert sind.

Als Maßnahme zur Erhöhung der Attraktivität von Aufstiegsfortbildungen einschließlich der Fachschulabschlüsse novellierte die Bundesregierung im Jahr 2016 das „Meister-BAföG“ (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, AFBG). Das jetzige „Aufstiegs-BAföG“ umfasst verbesserte Förderleistungen sowie den Zugang von Studienabbrechern und Hochschulabsolventen, die als höchsten Abschluss einen Bachelor haben.

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sieht für 2019 weitere finanzielle Verbesserungen vor. Angestrebt wird eine vollständige Gebührenfreiheit für berufliche Fortbildungsmaßnahmen (CDU et al. 2018). Dadurch soll die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gefördert werden (ebd., 11). In dem Vertrag wird der Ausdruck „höhere Berufsbildung“ genutzt, ohne diesen zu spezifizieren. Der inhaltliche Fokus liegt dabei auf einer weiteren Hybridisierung: „Zudem wollen wir innovative Qualifizierungswege wie die höhere Berufsbildung und das duale Studium stärken, indem wir hochschulisches und berufsbildendes Lernen in gemeinsamen Qualifizierungsangeboten zusammenführen und so die Übergänge zwischen der beruflichen und der akademischen Bildung besser gestalten. Die Durchlässigkeit und Synergien zwischen beruflicher und akademischer Bildung in beide Richtungen wollen wir fördern, um die Ausbildung zu verbessern und Ausbildungszeiten effizienter zu nutzen“.

Im Vergleich der beiden Länder zeigt sich, dass sich die in Kapitel 2 behandelten Empfehlungen in den Rahmenbedingungen, Entwicklungen und Diskussionen widerspiegeln. Die Schweiz hat bisher dem internationalen Druck, die Studierendenquote gezielt zu erhöhen, im Gegensatz zu Deutschland weitgehend widerstanden und betont stattdessen nachdrücklich den Stellenwert der Berufsbildung für die Wirtschaft und Gesellschaft und fördert diese massiv. Trotzdem ist auch in der Schweiz der Anteil der Hochschulabsolventen in den letzten Jahren angewachsen. Die Förderung der höheren berufsbildenden Abschlüsse in Deutschland erfolgt hingegen primär durch die Verbesserung der finanziellen Unterstützung durch den Bund. Eine über die Finanzierung hinausgehende Strategie zur Stärkung höherer beruflicher Abschlüsse unter Einbeziehung der Fachschulen ist aktuell nicht erkennbar.

Hinsichtlich der hybriden Angebote handelt es sich bei den dualen Studiengängen in Deutschland um ein stark wachsendes Feld, was auf eine entsprechende Nachfrage hindeutet. Möglicherweise etabliert sich hier eine dritte Qualifizierungssäule im Tertiärbereich, was unmittelbar zu der Frage nach den möglichen Folgen für die Attraktivität der beruflichen Erstausbildung führt.

Eine Regulierung der Angebote wie bei dem Modellversuch in der Schweiz wäre in Deutschland auch aufgrund der verschiedenen Zuständigkeiten und der rechtlichen Rahmenbedingungen nur schwer vorstellbar. Ob sich mit dem Modellversuch in Zukunft auch in der Schweiz hybride Angebote etablieren, bleibt abzuwarten.

4 Modelle für ein Verhältnis von beruflicher und allgemeiner/ hochschulischer Bildung im wissenschaftlichen Diskurs

4.1 Unterschiedliche Perspektiven zu „Akademisierung“

Wie die Entwicklungen des Verhältnisses von beruflicher und allgemeiner/hochschulischer Bildung im wissenschaftlichen Diskurs aufgegriffen, eingeordnet und bewertet werden, ist Schwerpunkt dieses Abschnittes. Darüber hinaus werden die Stellungnahmen des SWIR und des WR sowie die aktuellen Initiativen und Forderungen von Akteuren der beruflichen Bildung an Positionierungen der „Scientific Community“ gespiegelt.

Der Akademisierungstrend wird teilweise als unausweichlich dargestellt. So werde die höhere Berufsbildung den „gestiegenen Bildungsaspirationen der jungen Generationen […] nicht mehr gerecht […].“ (Busemeyer 2017). Die Nachfrage nach hochschulischer Bildung werde sowohl von der Wirtschaft als auch von Eltern und Jugendlichen als eine „Antwort auf die Herausforderungen der wissensbasierten Dienstleistungsökonomie“ gesehen.

Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Staaten, wo „eher eine polarisierte Belegschaftsstruktur von hochqualifizierten Fachkräften und geringqualifizierten Arbeitskräften anzutreffen ist“, (Baethge et al. 2014) haben beruflich Qualifizierte im mittleren Segment jedoch bis heute für die deutsche Industrie eine große Bedeutung behalten (Baethge et al. 2014, Bosch 2017).

Die berufliche Bildung steht in einem Spannungsfeld zwischen Förderung und Veränderung. Die Herausforderung ist, wie beides miteinander verbunden werden kann. Gerade aus den Staaten mit traditionell dominierendem Hochschulbereich im Bildungssystem z. B. den USA, Australien und Großbritannien kommen immer wieder kritische Stimmen, die nach einer Stärkung der beruflichen Bildung rufen (Fowler 2017, Wheelahan et al. 2009, Jackson 2016, Wolf et al. 2016, Wolf 2011, Davey/Fuller 2013, Parker 2017, Department for Business 2015, Raffe 2001, Hippach-Schneider/Schneider 2016).

Vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Bildungssystems analysiert beispielsweise Caplan (2018) scharf und zuspitzend aus bildungsökonomischer Perspektive die Entwicklungen der letzten Jahre zu Massenuniversitäten und einem sehr hohen Graduiertenanteil (zur Entwicklung von Massenuniversitäten s. auch (Trow 2005, Teichler 2008).

Er stellt grundsätzlich die Aussage in Frage, dass immer mehr Bildung und vor allem immer mehr höhere Bildung für die Wirtschaft sinnvoll und notwendig ist. Für den Einzelnen würde sich Bildung zwar fast immer auszahlen. In unterschiedlicher Höhe je nach Abschlussart belohnen die Unternehmen die Bildungsabschlüsse durch entsprechende Löhne. Belohnt werde aber nicht die Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten, sondern die Signale, die mit einem bestimmten Abschluss verbunden werden. Diese Signale würden jedoch nichts über die Produktivität der Absolventen aussagen. Ein Signal ist beispielsweise, dass der Absolvent, die Absolventin das erforderliche Durchhaltevermögen für den Bildungsgang hatte oder die Bildungsinhalte akademisch reflektiert und analysiert hat, wobei diese häufig mit der beruflichen Realität in den Unternehmen wenig zu tun hätten. Dadurch entstehen Fehlanreize, die aufgrund einer zunehmenden Entwertung der Signale durch ständig steigende Absolventenzahlen zu einer kontinuierlichen Aufwärtsspirale zu immer „höheren“ Abschlüssen führe. Als Lösungsansatz propagiert er eine dringende Stärkung der beruflichen Bildung: mehr „learning-by-doing, not learning-by-listening“ (ebd., 226). Bildung, die Fertigkeiten vermittelt, sei gesellschaftlich betrachtet wertvoller als Bildung, die nur Arbeitgebern imponiere. Und zwar auch dann, wenn beide Formen von Bildung für die Studierenden selbst gleich profitabel seien.

Eine Folge dieser „massification“ ist in der Regel das Entstehen neuer Binnendifferenzierungen oder Unterkategorien. Es wird relevant, an welcher Universität studiert oder bei wem promoviert wurde (Teichler 2014). Ein weiterer Effekt starken Wachstums von Studieninteressierten ist das Entstehen neuer institutionenspezifischer Zulassungsbeschränkungen durch Einführung oder Ausweitung von Aufnahmetests. Jeder „Vermassung“ folgt eine neue Form von „Elitisierung“.

Durch die Entwicklung zu Massenuniversitäten wird nach Caplan die Idee von Bildungsgerechtigkeit, unter der üblicherweise verstanden wird, dass immer mehr Menschen Hochschulzugangsberechtigung erwerben und studieren, konterkariert und zugleich werden diejenigen entmutigt, die einen anderen Bildungsweg vorziehen würden.

Kritsch sieht ebenfalls Rauner (2013) eine „College for All“-Politik, weil durch sie eine „Entkoppelung des Bildungs- vom Beschäftigungssystems“ befördert werde, die sich in Jugendarbeitslosigkeit, Innovationsschwächen der Unternehmen und einem verminderten gesellschaftlichen Integrationspotential niederschlage, (ebd., 17). Er sieht die These, dass das für Innovation und Wohlstand verantwortliche gesellschaftliche Wissen auf dem wissenschaftlichen Wissen basiere, als folgenschweren Irrtum an. Vielmehr verweist er auf den Wert der beruflichen Bildung in ihrem Verständnis der Kultusministerkonferenz von 1991, die die Leitidee für berufliche Bildung darin sieht, die Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung zu vermitteln. Auch müsse die Definition der „höheren“ Bildung als akademische (wissenschaftliche) Bildung aufgegeben werden.

Insgesamt decken die Empfehlungen und Vorschläge aus der „Scientific Community“ zum Umgang mit den bestehenden Herausforderungen für die tertiäre Bildung eine große Bandbreite ab und spiegeln insofern die oben beschriebenen Initiativen wider. Sie reicht von Hybridisierung über den Ausbau der Durchlässigkeit bis zu einer deutlichen Profilierung der höheren Berufsbildung. Folgende Positionierungen sind beispielhaft.

4.2 Fokus Hybridisierung

Das Thema Hybridisierung ist nicht neu (u. a. (Deissinger et al. 2013, Graf 2013), hat jedoch in zahlreichen Ländern durch die Frage nach der Rolle von „Work-based Learning“ im tertiären Bildungsbereich an Fahrt gewonnen (Hippach-Schneider/Schneider 2016, Boud/Solomon 2001, Calmand/Mora 2012, Giret 2011, Griffioen/de Jong 2013, Smeby 2015, Huisman 2008). Für Busemeyer (2017) liegt die Zukunft in der Entwicklung neuer Hybridmodelle an der Schnittstelle zwischen beruflicher und hochschulischer/universitärer Bildung nach dem Modell der dualen Studiengänge in Deutschland, so in seinem Gutachten zum „Leitbild Berufsbildung 2030“ in der Schweiz. Ebenfalls eine konsequentere Verankerung des dualen Prinzips im Hochschulbereich der Schweiz empfehlen Schellenbauer et al. (2010) als eine Form von höherer Berufsbildung für Maturanden. Dies wird sowohl mit dem Bedarf an entsprechenden Fachkräften sowie am großen Interesse von Gymnasiasten an praxisnahen Fachhochschulprogrammen begründet. Der Tertiär B-Bereich könne den Fachkräftebedarf nicht abdecken. So stagnieren z. B. die Zahlen der Berufsmaturanden. Gleichzeitig sei aber für eine wachsende Zahl von Gymnasiasten ein Studium an einer Fachhochschule attraktiv. Eine Stabilisierungsfunktion der bisher bestehenden hybriden Organisationsformen für die traditionellen Formen der beruflichen und hochschulischen Bildung sieht Graf (2013). Sie absorbierten einen gewissen Druck auf das Bildungssystem der durch kontinuierliche wirtschaftliche Veränderungen entsteht.

4.3 Fokus Durchlässigkeit

Baethge et al. (2014) setzen auf einen Ausbau der Durchlässigkeit. Sie erwarten auf mittlere Sicht in Deutschland Probleme für die Sicherstellung der Fachkräftebasis. Die „Umschichtungen“ der letzten Jahre könnten das notwendige Potenzial gefährden, (ebd., 49). Sie führen den Rückgang der Auszubildendenzahlen in Deutschland insbesondere auf niedrigere Arbeitsmarkterträge von Absolventen einer beruflichen Ausbildung im Vergleich zu Hochschulabsolventen zurück. Deswegen würde eine große Anzahl derjenigen, die mit Hochschulzugangsberechtigung eine berufliche Ausbildung machen, danach eine berufliche Fortbildung (Aufstiegsfortbildung) oder ein Studium anschließen. Daraus sei ein eigener stark praxis- und berufsbezogener Karrieretyp bzw. Karriereweg entstanden. Die quantitative Angleichung der Zugangszahlen zwischen beruflicher Ausbildung und Hochschulbildung signalisiere eine neue Konstellation zwischen den beiden Bildungssektoren, es könnte eine ungleiche Wettbewerbssituation entstehen, die sich vor allem auf die Jugendlichen mit Hochschulzugangsberechtigung richte.

Ob die dualen Studiengänge tatsächlich einen neuen Typ Studium darstellt, sei noch nicht eindeutig, eventuell seien sie nur der Versuch von Unternehmen das Angebot an Studienberechtigte zu verbessern und sie frühzeitig zu binden (ebd.). Nachgedacht werden solle über weitere Schritte zur Verbesserung der Durchlässigkeit z. B. die Zulassung von Absolventen einer Meister- oder vergleichbarer Prüfung zu Masterstudiengängen. Die Verortung dieser beruflichen Fortbildungsabschlüsse auf Bachelorniveau im DQR (Deutschen Qualifikationsrahmen) legt dies nahe. Nach Auffassung von Baethge et al. (2014) substituieren die dualen Studiengänge die duale Ausbildung derzeit nicht. Offen sei jedoch die künftige Auswirkung auf die beruflichen Abschlüsse. Insgesamt wird zwar nicht eine Stärkung der beruflichen Fortbildung empfohlen, aber ebenso wenig eine weitere Entwicklung von hybriden Bildungsgängen. Stattdessen wird der Ausbau von Durchlässigkeit durch eine stärkere Öffnung der Hochschulen für berufliche Qualifizierte vorgeschlagen. Für die Zukunft sei auf jeden Fall eine „dysfunktionale“ Konkurrenz zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung zu vermeiden.

4.4 Fokus Profilschärfung

Eine direkte Stärkung der höheren Berufsbildung dagegen empfehlen Strahm (2017) und Bosch (2017). Die Passung von Bildungssystem und den Bedarfen des Arbeitsmarktes ist eine stetige Herausforderung, die in Zeiten schneller technologischer Veränderung noch an Brisanz gewinnt.

Daraus leitet Strahm (2017) Argumente für die Notwendigkeit für eine starke höhere Berufsbildung in der Schweiz auch für die Zukunft ab. Der Einbezug der Organisationen der Arbeitswelt (OdA, ein branchenspezifischer Verbund von Arbeitgeber- und Arbeitsnehmerorganisationen), sichert unmittelbar die Berücksichtigung der Qualifikationsbedarfe aus der Praxis bei der Gestaltung der Kurse und Prüfungen. Das Lehrpersonal ist praxiserfahren (ähnlich Bosch 2017). Die Diffusion neuer Technologien in die KMU-Wirtschaft, gerade in Zeiten der Digitalisierung, läuft nach Strahm (ebd., 24) in erster Linie über die höhere Berufsbildung. Die schnellen technologischen Veränderungen könnten nicht über die berufliche (Erst-) Ausbildung oder Hochschulen zeitnah transferiert werden, dazu ist die höhere Berufsbildung geeignet, auch und gerade für ältere Fachkräfte.

Die Relevanz höherer Berufsbildung für die betriebliche Organisation betont Bosch (2017). Eine „Kommunikation auf Augenhöhe“ zwischen beruflich und akademisch Gebildeten in den Betrieben ermöglicht nach Auffassung von Bosch (2017) gerade die höhere Berufsbildung. Wachsender Termindruck und gestiegene Flexibilitäts- und Qualitätsanforderungen machten einen guten Kommunikationsfluss künftig noch wichtiger, S. 17. Der große Bedarf zeige sich an der niedrigen Arbeitslosenquote der Absolventen der höheren Berufsbildung, die seit 2011 unter der der Akademiker liegt, ebd. 18. Eine weitere „Bildungsinflation“ erzeuge Enttäuschungen, da der Wunsch nach einem akademischen Abschluss schon lange nicht mehr die gewünschte Führungsposition garantiere. Der Anteil der hochqualifizierten Tätigkeiten, die einen akademischen Abschluss erfordere liege in den OECD-Ländern deutlich unter den Quoten der Hochschulabsolventen. Den Vorteil der Zunahme von dualen Studiengängen in den letzten Jahren sieht er darin, dass dadurch Studienwillige für eine berufliche Bildung gewonnen werden konnten. Die höhere Berufsbildung jedoch müsse aufgewertet und auch in Deutschland eine eigenständige Stellung im Bildungssystem bekommen, vergleichbar zur Schweiz.

5 Fazit

Die zwei Strategien, durch die sich die Empfehlungen des WR und des SWIR explizit unterscheiden, können nach dem Kern ihrer Ausrichtung mit den Begriffen „Plastizität mit Profilschärfung“ vs „Hybridisierung mit Durchlässigkeit“ bezeichnet werden. Sie unterscheiden sich insbesondere dadurch, dass die Hybridisierung zunächst ohne eine Analyse der Auswirkungen auf die berufliche Bildung auskommt, während strategische Überlegungen zur Verbesserung von „Plastizität“ eines Bildungssystems automatisch alle Bereiche miteinbeziehen müssen.

Stellt man die jeweiligen Empfehlungen in den Kontext der nationalen Entwicklungen und Initiativen, zeigt sich für die Schweiz, dass zwar auch hier durchaus hybride Ausbildungsformate erprobt werden, dass diese jedoch in den gesamtstrategischen Zusammenhang des Bildungssystems gesetzt werden. Bei allen Initiativen, aber auch der öffentlichen Debatten werden die möglichen Auswirkungen für die berufliche Bildung im Allgemeinen und der höheren beruflichen Bildung im Besonderen geprüft und sind stets präsent. Die Bezüge zwischen den Bildungssubsystemen und ihre Wechselwirkungen werden wahrgenommen und miteinbezogen.

So blieb es auch beispielsweise nicht bei der Einführung der Fachhochschulen, sondern es wurde der Wert von beruflicher Fortbildung als „Tertiär B“ und gleichwertige Alternative zur akademischen Bildung unterstrichen und zwar durch die stärkste legislative Handhabe, einer gesetzlichen Regelung. Im Vordergrund steht eine staatliche Verantwortung für ein ausgewogenes Gesamtbildungssystem, eine Parteinahme für einen Bereich wird vermieden. Beide Bereiche werden als wesentliche Erfolgsfaktoren für das Bildungssystem betrachtet.

In Deutschland ist ein vergleichbarer ganzheitlicher Ansatz häufig nicht erkennbar. Beispielhaft wird dies im Papier des WR deutlich. Die Perspektive geht in der Regel vom Hochschulbereich aus. Eine Ausdifferenzierung und Anreicherung mit Elementen der beruflichen Bildung und eine weitere Öffnung für beruflich Qualifizierte ohne Hochschulzugangsberechtigung wird als eine Stärkung empfohlen. Auswirkungen auf die berufliche Bildung werden dagegen nicht wirklich mitgeprüft. Insbesondere die berufliche Fortbildung, aber auch die Fachschulen haben einen schweren Stand, obwohl sie ein zentrales Element für die Attraktivität des beruflichen Bildungsweges durch die Aussicht auf Aufstiegs- und berufliche Weiterentwicklungsoptionen sind. Die Folgen einer zunehmenden Hybridisierung erfordern eine tiefergehende Auseinandersetzung mit verschiedenen Szenarien, um eine Abwärtsspirale zu verhindern.

Die Bedeutung der beruflichen Bildung insgesamt, die in der Vergangenheit wesentlich zu einer geringen Jugendarbeitslosigkeit beigetragen hat, sollte auch in Zukunft gestärkt werden, trotz diverser Veränderungen von beruflichen Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen. Dazu gehört gerade eine starke, bedarfsgerechte berufliche Fortbildung, denn gerade sie hat das Potenzial schnell und gezielt Anpassungen an neue, betriebliche Kompetenzbedarfe zu vermitteln. Die noch weitgehend ungeklärten Auswirkungen, die ein weiterer extensiver Ausbau hybrider Ausbildungsformate auf die tertiäre berufliche Bildung und somit mittelbar auf die Attraktivität der beruflichen Aus- bzw. Grundbildung hat, sollten sorgfältig geprüft und bedacht werden.

Ein erster wichtiger Schritt in Deutschland wäre eine Anpassung der Terminologie und die Wahrnehmung der beruflichen Fortbildung als gleichwertigen „Partner“ zu den Hochschulen. „Partner“ auch deshalb, weil trotz sinnvollem und notwendigem Wettbewerb zwischen den Bildungsbereichen, aus gesellschaftspolitischen Gründen eine Hierarchisierung im Bildungssystem tendenziell zumindest abgemildert werden sollte, um eine Stigmatisierung und Demotivation derjenigen zu verhindern, die sich für eine berufliche Bildung entscheiden. Im Rahmen der Entwicklung des deutschen Qualifikationsrahmens wurde erstmals systematisch sichtbar gemacht, dass berufliche Bildung auf allen Qualifikationsebenen unterhalb des Doktorats zu finden ist. Es ist wünschenswert, dass die häufig beschworene „Gleichwertigkeit“ beider Bildungsbereiche, unabhängig von Zuständigkeiten, auch politisch glaubwürdig umgesetzt wird.

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[1] Das „B“ steht für Berufsbildung.

[2] Da die Auskünfte der Hochschulen freiwillig sind, wurden möglicherweise nicht alle Studierenden erfasst.

Zitieren des Beitrags

Hippach-Schneider, U./Schneider, V. (2018): Eine Gefahr für die Leistungsfähigkeit der tertiären Bildung? Bildungspolitische Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 34, 1-23. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe34/hippach-schneider_schneider_bwpat34.pdf (30.06.2018).