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bwp@ Profil 3 - Mai 2014
Lehrerbildung und Unterrichtsentwicklung aus der Perspektive des lernenden Subjekts
Profil 3: Digitale Festschrift für TADE TRAMM zum 60. Geburtstag
Hrsg.:
, &Lernhandeln in komplexen Situationen in der kaufmännischen Ausbildung aus der Sicht von "Praktikern"
Die Autoren beschäftigen sich mit der aktuellen Situation in der kaufmännischen Berufsausbildung. Im ersten Teil findet eine kritische Auseinandersetzung mit dem Berufsausbildungssystem statt. Insbesondere wird beschrieben, wie sich die bestehenden Bedingungen, wie z. B. die berufliche Praxis und die IHK-Prüfung in der kaufmännischen Berufsausbildung auf die Realisierung von komplexen Lehr- und Lernarrangements auswirken.
Im zweiten Teil setzen sich die Autoren mit den Möglichkeiten der Veränderungen zur Umsetzung von Lernhandeln in komplexen Situationen auseinander. Sie zeigen am Beispiel eigener Erfahrungen in der Schule und aus der Sicht der Schulleitung auf, was in der kaufmännischen Berufsausbildung verändert werden muss. Insbesondere stehen hier die zu verändernde Schulorganisation, Entwicklung von Curricula und das Lernen im und am Modellunternehmen im Mittelpunkt der Betrachtung.
Vorbemerkung
Wir möchten uns heute der kaufmännischen Berufsausbildung von der praktischen Seite nähern und weniger von der wissenschaftlichen. Von Wissenschaftlern ist sehr viel – gerade in bwp@ – geschrieben worden. Nun wollen wir heute einmal, wie man so schön sagt, "aus dem Nähkästchen plaudern". Wir tun also das, was man von Praktikern, wie Tade TRAMM uns immer genannt hat, erwartet.
Der folgende Beitrag setzt sich zu Beginn kritisch mit der schulischen Realität im kaufmännischen Bereich auseinander. Dabei kann auf gewisse Pauschalisierungen nicht verzichtet werden. Diese bringen das Problem mit sich, dass wir einigen Akteuren und ihren Aktivitäten nicht immer gerecht werden. Das liegt in der Natur der Sache. Aufgrund unserer langjährigen Erfahrungen und Auseinandersetzung – auch mit der wissenschaftlichen Seite – sind wir uns sicher, den Hauptnerv der kaufmännischen Ausbildung getroffen zu haben und bitten diejenigen, denen wir nicht gerecht werden können, schon einmal vorab um Entschuldigung.
Wir wollen aber nicht nur die bestehende Situation kritisieren, sondern auch Ideen zur Verbesserung beitragen. Damit wird sich der zweite Teil dieses Beitrags beschäftigen. Wie immer, ist der Platz zu gering für eine ausführliche Darstellung. Wir sind uns aber sicher, dass interessierte Leserinnen und Leser wissen, wohin wir die Reise lenken möchten.
Um unseren Beitrag authentisch zu gestalten, haben wir auf Zitate verzichtet. Wir werden also in guter alter studentischer Tradition die Dinge umschreiben und dabei bemüht sein, nicht in die Nähe eines Plagiats zu rücken.
1 Situation in der kaufmännischen Ausbildung – eine kurze, kritische Bestandsaufnahme
1.1 Das duale System, curriculare Umsetzungen und Lehrerausbildung
Unsere fundamentale Kritik an der Struktur der dualen Ausbildung war der Motor, weshalb wir uns mit den Texten von Tade TRAMM auseinandergesetzt haben. Wir sind der Meinung, dass die konsequente Umsetzung dieser Texte zu einem besseren Ausbildungssystem führen muss als wir es heute haben. Im Folgenden werden wir mit wenigen Worten unsere Kritik am bestehenden dualen Ausbildungssystem darstellen. Die Kritik bezieht sich ausschließlich auf die kaufmännische Ausbildung.
Der Unterricht in der Berufsschule, die Konstruktion und Umsetzung von Curricula und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer entsprechen in keiner Weise den Ansprüchen der KMK und dem von komplexen Lehr- und Lernarrangements.
Der Berufsschulunterricht findet fast ausschließlich in fachsystematischen Strukturen statt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Schülerinnen und Schüler einer Berufsschulklasse kommen in der Regel aus verschiedenen Unternehmen. Im Extremfall treffen Auszubildende von über 20 Unternehmen in einer Lerngruppe zusammen. Es gibt i. d. R. kaum eine gemeinsame Bezugsbasis, weil die Unternehmen unterschiedlich ausbilden und auch verschiedene Strukturen haben. Aus diesem Dilemma versuchen nun Gestalter von Curricula kleinste gemeinsame Nenner zu finden und das Ergebnis entspricht dem Mangel. Bei einer solchen Klassenstruktur und einer fehlenden gemeinsamen Bezugsbasis wie z. B. einem Modellunternehmen tendieren die Curricula zu Generalisierungen, die auf alle Schülerinnen und Schüler passen[1]. Aus diesem Dilemma erklärt sich u. E. der oftmals hohe Anteil von Wirtschaftsrecht und Buchhaltung. Nun kann es aber nicht Sinn von kaufmännischer Berufsausbildung sein, Auszubildende in kaufmännischen Schwerpunktberufen (z. B. Kaufmann/-frau für Büromanagement) zu Rechtsanwalts- und Notargehilfinnen und -gehilfen auszubilden. Das Rechnungswesen findet sich nach wie vor als Buchhaltungskurs - völlig überzogen - in den kaufmännischen Curricula bzw. im Unterricht der Berufsschulen. Offenbar nicht grundlos. [2] Kein Wunder, dass sich Lehrer, die Neugier auf Denken in Zusammenhängen wecken und betriebswirtschaftspolitische Alternativen diskutieren wollen, schwer tun müssen. Der eigentliche Sinn der kaufmännischen Ausbildung, neben einem mündigen Bürger die Voraussetzungen für einen Menschen, der in komplexen Zusammenhängen in der Lage ist, seine Arbeit sinnvoll zu tun, ohne dabei seinen sozialen Zusammenhang zu negieren, geht in der Berufsschule verloren und endet in der Fokussierung auf das jeweilige Fach. Das wird auch an der Handhabung der Lernfelder deutlich. Vielfach werden Lernfelder wieder in alte Fächer geschnitten und eine Zufriedenheit, den gewohnten Inhalt weiter so unterrichten zu können, breitet sich im Kollegium aus. Man gewinnt wieder Sicherheit, auch wenn die Struktur neuer Curricula nach KMK-Vorgaben zunächst etwas anderes signalisieren. Überhaupt der Begriff "Sicherheit" spielt im Rahmen von Unterricht und Curricula eine zentrale Rolle. Es ist nicht immer die Erkenntnis, dass Fachsystematik und Fachstrukturen der richtige Weg sind, sondern vielmehr eine uneingestandene psychologische Eigenschaft vieler Lehrerinnen und Lehrer, dem Streben nach Sicherheit und Angstvermeidung. Möglicherweise zeigt sich auch dieses Verhalten bei vielen zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern schon in der Berufswahl begründet. Nach unserer Erfahrung verunsichert Komplexität Lehrerinnen und Lehrer und löst geradezu Ängste aus, was wiederum das Festhalten an alten fachsystematisch strukturierten Inhalten fördert. Die zentrale Frage, die sich in diesem Zusammenhang den Kolleginnen und Kollegen stellt, ist die, wie der Inhalt eines lernfeldorientierten Curriculums wieder in die bekannten sicheren Fahrwasser gelenkt werden kann.
Nicht zuletzt sind die "Konzepte", wie wir sie häufig in Schulen finden, der größtenteils unverschuldeten Unfähigkeit vieler Lehrerinnen und Lehrer geschuldet, sich betriebliche Praxis im Rahmen einer sinnvollen Exemplarik vorstellen zu können. Es fehlt ihnen an Erfahrung und oftmals an der entsprechenden Ausbildung. Letztlich sind es aber nicht die Lehrerinnen und Lehrer, sondern es ist das System, in dem sie lernen und sich bewegen und auf das ihre Ausbildung in der Universität und im Referendariat ausgerichtet ist. Die ökonomische Ausbildung im Rahmen von Lehrerstudiengängen scheint das angesprochene Defizit nicht zu beseitigen, möglicherweise aber mit zu verursachen. Betriebswirtschaftliche Theoriegebilde
- fern von jeder Praxis - und Ökonometrie beherrschen oftmals das Studium. Analyse von Unternehmen und Unternehmensmodelle spielen nicht die Rolle, die ihnen zukommen müsste. Die meisten Schulbücher sind ein Beispiel für dieses Denken. Gesamtwirtschaftliche Aspekte sind oftmals ausgeklammert bzw. werden eher anderen Disziplinen zugeordnet. Auch an Universitäten wird fachliches Wissen eher losgelöst von politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen vermittelt. Es wird z. B. mit Modellen gearbeitet, die mithilfe formaler Logik immanent betrachtet werden, aber mit der beruflichen Realität der Auszubildenden nur wenig zu tun haben. Dieser Effekt ist oftmals in Klausuren zu sehen, wenn die Schülerinnen und Schüler Wenn-Dann-Beziehungen aufbauen müssen, denen jegliche Realität fehlt und die nur noch der immanenten Logik des Modells gerecht werden.
Die Entpolitisierung der Lehrerinnen und Lehrer nach ihrer Ausbildung erscheint uns aus der Sicht der Praktiker und Schulleitung erschreckend weit fortgeschritten. Fragt man einen Studenten oder frischgebackenen Lehrer zur Geldpolitik, wird er in der Regel die Steuerung der Geldmengen über die Mindestreservepolitik aufsagen können. Die Auswirkungen des heutigen Finanzsystem auf das Wirtschafts- und Sozialsystem werden in der Regel in seinem Programm fehlen.
1.2 Die IHK-Prüfung
Die IHK-Prüfung ist ein mittelalterliches Instrument die kaufmännische Ausbildung in Richtung des königlichen Handelskaufmanns zu lenken; sie dient der Verhinderung von komplexen Lehr- und Lernarrangements und entpolitisiert die Lehrerinnen und Lehrer und den Unterricht.
Ein großes Erschwernis zur Konstruktion von komplexen Lehr- und Lernarrangements ist die IHK Prüfung. Diese Prüfung wirkt als Zensor für Curricula und Unterricht. Sie ist der stärkste Steuerungsmechanismus zur Verhinderung von Lernhandeln in komplexen Situationen. Ihre Kleinschrittigkeit, Orientierung an Schulbüchern, Schulstoff und Fachsystematik und ihre Ignoranz gegenüber betrieblichen Handlungsfeldern nötigt viele Kolleginnen und Kollegen mit dem Argument, "aber die Prüfung" zu einem kleinschrittigen, auf Auswendiglernen fixierten und auf Schulbuchstoff, sprich Prüfungsstoff, ausgerichteten Unterricht. Wenn dieses Lehrerverhalten nun mit einer Universitätsausbildung und einer eigenen Schülererfahrung, die ja bekanntlich oftmals unreflektiert übernommen wird, zusammentrifft, die genau in diese Struktur der IHK-Prüfung passt, dann sind Auswege aus diesem Zirkelschluss ausgesprochen schwierig.
Ein weiterer Aspekt der IHK-Prüfungen soll nicht verschwiegen werden. Würde man der Frage nachgehen, wer die Prüfungsaufgaben gestaltet, käme man sehr schnell für jeden kaufmännischen Ausbildungsberuf darauf, dass es - mal offensichtlich, mal im Hintergrund - ausgewählte Lehrerinnen und Lehrer sind. Dabei spielt es keine Rolle, durch wen die verantwortlichen Kommissionen besetzt sind. Wenn man sich anschaut, wer die Prüfungen in den Kommissionen aktiv durchführt, wer die Aufgaben in die Sitzungen einbringt und wer sie überarbeitet, sind es auch wieder im Großen und Ganzen die Lehrerinnen und Lehrer. Diese sind aber wiederum auf Fachwissen und Fachsystematiken ausgerichtet (s. o.). Von dieser Seite scheint ein Durchbruch zu einer Ausbildung mit exemplarischem Charakter und orientiert an den Subjekten, den Auszubildenden und deren Zukunft, ausgesprochen schwierig.
1.3 Das Problem mit der beruflichen Praxis
Die berufliche Praxis führt zu einer Verhinderung von komplexem Denken und führt den Auszubildenden in eine funktionsreduzierte Form des Lernens. Sie entsozialisiert, entmenschlicht und entpolitisiert die Ausbildung und schafft so die bürokratische Mentalität von Sachbearbeitung, die sich selbst genügt.
Duales System heißt im Kern, dass Theorie und Praxis beruflicher Bildung aufeinander bezogen sein sollen. Aber was ist denn die so gerühmte betriebliche Praxis im Rahmen von dualer Ausbildung? Wenn man genauer hinsieht, selten anderes als "Beistelllehre". Ein Auszubildender sieht, nimmt zur Kenntnis, wie in seinem Ausbildungsbetrieb bestimmte Dinge, Prozesse - eben für diesen einzelnen Betrieb - organisiert und abgearbeitet werden. Er lernt oftmals nicht generalisierbaren/transferierbaren Inhalt, sondern speziell auf einen Betrieb zugeschnittenes Wissen. Er erlebt Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter im Stress, die oft keine Auskunft geben können. Er erlebt Mitarbeiter und Ausbilder, die ihm kein Hintergrundwissen vermitteln können, weil sie entweder keine Zeit dafür haben oder in den meisten Fällen nicht über dieses Wissen verfügen. In vielen Kleinbetrieben führen die Auszubildenden die simpelsten Verrichtungen über lange Zeiträume durch. Vielen Betrieben ist gemeinsam, dass Auszubildende mit verantwortungsvollen Tätigkeiten nicht betraut werden. Über den verwertbaren und gewinnbringenden Einsatz von Auszubildenden in vielen Betrieben möchten wir uns an dieser Stelle nicht auslassen. Die Anzahl der Unternehmen, die eine Ausbildung strukturiert durchführen und transferierbare Kompetenzen vermitteln können, ist sehr begrenzt, so dass man u. E. ein nationales Ausbildungssystem nicht darauf aufbauen kann. Die Idee, dass in der dualen Ausbildung Betriebe die Praxis und Schule die Theorie vermitteln, kann unter den bestehenden Verhältnissen nicht realisiert werden. Beide Bereiche der Ausbildung stehen i. d. R. zusammenhanglos nebeneinander. Es muss aber sehr kritisch gefragt werden, was das denn für eine Ausbildung ist, in der es kaum Zusammenhänge zwischen Theorie und Praxis und eine fachlich zusammenhanglose und berufsfremde aufgebaute Theorie gibt und der Kontakt der Schule zum Betrieb oftmals nur darin besteht, dass Fehlzeiten der Auszubildenden abgeglichen werden.
All die erwähnten kritischen Fakten im Sinne einer guten Ausbildung so zu wenden, dass komplexe Lehr- und Lernarrangements ermöglicht werden, bedarf einer kleinen Revolution im kaufmännischen Berufsschulwesen oder besser, im Berufsbildungssystem.
1.4 Auswirkungen der Struktur der dualen Ausbildung auf komplexe Lehr- und Lernarrangements und der Konstruktion von Modellunternehmen
Die bestehende Situation in der Berufsschule, in der Prüfung und in den Betrieben führt die Auszubildenden der kaufmännischen dualen Ausbildung in einen dem generellen kaufmännischen Denken entfremdeten Lern- und Lehrraum.
Wir sind der Meinung, dass ohne eine didaktisch strukturierte Lernumgebung mit Integration von Modellunternehmen und dem Aufbau von komplexen Lehr- und Lernarrangements eine sinnvolle kaufmännische Ausbildung nicht möglich ist. Wenn wir aber nun die bisherige kritische Auseinandersetzung mit dem Berufsausbildungssystem und speziell der kaufmännischen Berufsausbildung berücksichtigen, sehen wir keine immanente Lösung. Die beschriebenen Strukturen verhindern es geradezu: Lernfelder werden wieder auf die Fächer zugeschnitten, die IHK-Prüfung diktiert Takt und Form und Inhalt des Unterrichts, die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer ist nicht auf Komplexität und Kompetenzerwerb ausgerichtet und ...
Wie sieht es in dem beschriebenen Kontext mit Konzeptionen von Modellunternehmen aus? In der kaufmännischen beruflichen Bildung zeigt sich immer wieder ein grundsätzlicher Mangel in den berufsbezogenen Fächern oder "Bereichen". Es fehlt an Unternehmenssimulationen oder Modellunternehmen mit exemplarischem Charakter und deren didaktisch gesteuertem Einsatz, sofern überhaupt Simulationen in die duale Ausbildung integriert worden sind. Diese erlauben aber erst eine Konstruktion, die dem Lernhandeln in komplexen Situationen gerecht wird. Oftmals sind Modelle und/oder Simulationen zu einfach, zu wenig praxisbezogen. Solche Konstrukte sind hausgemacht, von LehrerInnen und Lehrern ausgedacht. Fernab von Praxis und fokussiert auf Schulbuchwissen. Die fehlende Orientierung an realen Betrieben führt dann auch zu Tätigkeiten in den Simulationen, die eher einfachen Computerkursen ähneln oder sich auf repetitive Tätigkeiten begrenzen. Oft bestehen die Handlungen aus sinnlosem Schreiben von Briefen, bei denen die Norm im Mittelpunkt steht. Eben das, was in Schulbüchern vorzufinden ist und ggf. noch für die Prüfung verwendet werden kann. Im Prinzip zeichnen sich solche Modelle/Simulationen dadurch aus, dass der klassische Unterrichtsstoff nur anders verpackt wird[3]. Solche Modelle sind völlig unzureichend. Sie haben nicht das Ziel, Lernhandeln in komplexen Situationen zu ermöglichen, sondern fokussieren auf Banales. Bezüge zur Außenwelt eines Unternehmens fehlen fast vollständig. Die Außenwelt reduziert sich oftmals auf das Finanzamt bzw. das Gericht, welches das Handelsregister führt. Einzelwirtschaftliche Fragestellungen sind im gesamtwirtschaftlichem Kontext zu reflektierten. Eine Vielzahl von Erkenntnissen könnte gewonnen werden, wenn nicht nur Überweisungen an das Finanzamt und Sozialversicherungen getätigt würden, sondern z. B. deren Wirkung auf staatliche Haushalte Beachtung fände. Vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen und ohne Banken-, Euro- und Staatsschuldenkrise, lassen sich z. B. Zinsen, Preis- und Wachstumsentwicklungen und Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt kaum einschätzen.
Wir sind – unter Berücksichtigung der bisherigen Kritik - der Meinung, dass die angedeuteten "hausgemachten" Formen von Modellen/Simulationen eher kontraproduktiv sind. Sie ermöglichen nicht, bzw. verhindern sogar das Lernen und Kompetenzentwicklung im Sinn von Tade TRAMM. Versuche, komplexe Lehr- und Lernarrangements in die kaufmännische Berufsausbildung zu integrieren, scheitern, meistens mit dem Verweis "... aber die Prüfung." Das ist die Praxis aus der Sicht von ("Praktikern"), die Praxis des deutschen Exportschlagers[4].
Über die Art und Weise, wie im fachsystematischen und auf die Prüfung bezogenen Unterricht methodisch vorgegangen wird, wollen wir uns nicht tiefgehend äußern. Nur so viel: Erzeugen von Neugier, durch handlungsorientierten Unterricht in komplexen Arrangements bedingt, können wir im klassischen Berufsschulunterricht kaum finden. Die Lehrerinnen und Lehrer werden Opfer ihrer eigenen Erfahrung, den Anforderungen im Referendariat und der immer wieder angeführten Prüfung, unterrichten wie "Wanderprediger" in der Wüste zum größten Teil frontal und hoffen, wenn ein oder zwei Schüler die richtige Antwort gegeben haben, dass das Lernziel für alle erreicht worden ist.
2 Situation in der kaufmännischen Ausbildung – eine kurze, kritische Bestandsaufnahme
2.1 Politische Dimension
Veränderungen zur Lösung für das oben beschriebene Dilemma betreffen nicht nur schulinterne und curriculare Angelegenheiten, sondern zielen auf das Berufsbildungssystem. Eine vollzeitschulische Berufsausbildung mit Praktikum und der Integration von höherwertigen Schulabschlüssen eröffnet die Möglichkeit der Konstruktion von komplexen Lehr- und Lernarrangements, einschließlich Modellunternehmen und Simulationen als gemeinsamen Lernort und Reflexionsgegenstand.
Wir möchten uns an dieser Stelle über die schulinternen Prozesse äußern. Eine politische Diskussion wäre aber noch intensiver als bisher zu führen und wir wären auf die Ergebnisse einer solchen Diskussion mit Tade TRAMM sehr gespannt. Der Ansatz in unserer Schule ist die vollzeitschulische Berufsausbildung mit Praktikum und IHK-Abschluss. Wir haben uns dafür eingesetzt, entgegen allen Verbandsinteressen und Kritiken diverser politischer Parteien, diese Ausbildung in den Fokus zu rücken. Es konnte im großen Umfang gezeigt werden, dass die Jugendlichen, die von Unternehmen aus unterschiedlichsten Gründen abgelehnt wurden, sehr wohl ausbildungswillig und -fähig sind, es zu einem akzeptablen IHK-Abschluss bringen, höherwertige Schulabschlüsse erreichen[5] und Chancen zur Beschäftigung haben. Verbände und Politik haben aber sehr schnell den "Sprengstoff" für das tradierte duale System in der vollzeitschulischen Ausbildung gesehen, so dass eher von einer Duldung dieser Ausbildung, aufgrund des Ausbildungsplätzemangels, auszugehen ist, denn von einem tatsächlichen Interesse. Leider beinhaltet auch das "Hamburger Modell"[6] genau diese Sichtweise. Wir fordern ein plurales Ausbildungssystem, in dem die verschiedenen Formen, wie die duale und vollzeitschulische Berufsausbildung mit Praktikum und IHK-Abschluss, gleichberechtigt nebeneinander existieren. Eine Politik, die sich an der Demografie und nicht an der Qualität orientiert und nur auf die duale Ausbildung fixiert ist, ermöglicht kaum neue inhaltliche Zugänge und dringend nötige Strukturveränderungen, wie wir es in der vollzeitschulischen Berufsausbildung gezeigt haben und wird auch den Jugendlichen nicht gerecht, die von Unternehmen abgelehnt werden, obwohl sie nachweislich ausbildungsfähig sind.
2.2 Die Organisation
Die Autoren sind der Meinung, dass Lernhandeln in komplexen Situationen und in Modellunternehmen immer auch eine schulische Umorganisation bezüglich Lehrereinsatz, Stundenplanung, Räumlichkeiten und den Aufbau von Modellunternehmen voraussetzt. Wie sonst sollen betriebliche Handlungssituationen, angepasst an Unterricht, an und in denen gelernt wird, entstehen können?
Im Bereich der Stundenplanung müssen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Stunden (Fächer) zusammengelegt werden können. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen müssen in Teams organisiert werden. Eine Struktur zur Teambildung und zum inhaltlichen Austausch ist notwendig. Das sind alles keine Kleinigkeiten für eine Schule. Unser besonderes Glück war, dass wir uns vor der Gründung der Schule schon mit Tade TRAMMs Schriften auseinandergesetzt hatten und über Schriften im Modellversuch "Simba" die Grundidee des handlungsorientierten Lernens und des Lernens IM und AM Modellunternehmen kannten. Uns schienen die Gedanken so konkret und damit umsetzbar, dass wir sie in die Struktur der Schule übernommen haben. Sie sind unseres Erachtens die unbedingte Voraussetzung zum Aufbau von komplexen Lehr- und Lernarrangements.
2.3 Das Curriculum
Dass Lehrerausbildung und Curricula sich ändern müssen, um komplexe Lehr- und Lernarrangements zu erlauben, scheint notwendig. Alleine die Idee, Lernfelder aus betrieblichen Handlungsfeldern zu generieren und diese den Lehrerinnen und Lehrern vorzusetzen, reicht nicht aus. Diese werden dann, wie schon oben beschrieben, wieder in die klassischen Fächer zerlegt. Allein in diesem Punkt zeigt sich schon eine notwendige Doppelstrategie. Zum einen müssen die Lernfelder nach bestimmten Kriterien, orientiert an betrieblichen Gegebenheiten, Handlungsfeldern, prozessorientiert entwickelt werden und zum anderen müssen Lehrerinnen und Lehrer und die Studenten die Voraussetzungen kennen lernen, diese Lernfelder sinngemäß und nicht entfremdet umzusetzen. Uns scheint in dem von Tade TRAMM entwickelten kompetenzorientierten Ansatz, insbesondere der der prozessübergreifenden Kompetenzdimensionen, der Schlüssel für eine effektive und subjektgerechte kaufmännische Ausbildung zu liegen. Aus diesem Grund hatten wir von der Schulleitungsseite her unser Oberstufenzentrum für den Einzug der Wissenschaft geöffnet und können in diesem Zusammenhang auf erste Erfolge, dank der tatkräftigen Unterstützung des IBW aus Hamburg, verweisen. Wissenschaftliche Konzepte in Bezug auf die Entwicklung eines Curriculums unter Berücksichtigung konkret-prozessbezogener Fähigkeiten und erkenntnisbezogener Kompetenzen standen den traditionsbehafteten Einstellungen der Lehrerinnen und Lehrer gegenüber. Dank einer einfühlsamen wissenschaftlichen Begleitung und Diskussionen der Schulleitung mit den Kolleginnen und Kollegen konnte es gelingen, ein Interesse für ein solches Curriculum zu wecken und in einen langen Diskussionsprozess mit dem Ziel zu treten, ein Curriculum gemeinsam zu entwickeln und nach diesem zu unterrichten. Wir sind der Meinung, dass ein solcher Ansatz, wie er von den "Hamburgern" vertreten wird, im gesamten Kollegium verankert werden muss. Nur, wenn alle Kolleginnen und Kollegen in den Prozess integriert sind, kann eine Schule und letztlich eine Ausbildung erfolgreich sein. Die in diesem Zusammenhang stattfindenden Diskussionen und heftigen Auseinandersetzungen, sind kein leichtes Programm und sicher auch schwierig für schulexterne Wissenschaftler, da sie sich erst einmal in die Struktur der Schule und auch den besonderen Interessen einzelner Kollegen eindenken und auch ab und zu unliebsame Wahrheiten mitteilen müssen.
Zu Beginn schien es uns nicht möglich zu sein, auch die Allgemeinbildner in den Curriculumsprozess zu integrieren. Wir befürchteten, dass uns dies überfordert hätte. So blieb es zunächst bei der Auseinandersetzung im Rahmen der kaufmännischen Fächer. Die Verfasser nehmen allerdings an, dass die Integration der Allgemeinbildung - insbesondere gesamtwirtschaftliche Aspekte – für immer ausgeklammert bleiben, schade!
Ein Curriculum auf der Basis von Prozessen bedarf einer besonderen Organisationsform in der Schule. Prozesse weichen Fachstrukturen auf, gehen über sie hinweg. Prozesse können aufbau- und ablaufbezogen sein. Sie können logistische Abläufe und Elemente des Rechnungswesens beinhalten. Kurzum, Prozesse sind komplex und bedürfen der Steuerung. Unsere Antwort ist der Aufbau eines Modellunternehmens, in dem prozessorientiertes Handeln der Schülerinnen und Schüler stattfindet. Allerdings genügt ein solches Handeln allein nicht. Es muss Raum für Reflexionen geben und Lernen IM und AM Modell stattfinden können. Entsprechend werden die Unterrichtstunden verteilt und zusammengefasst, was letztlich das Auflösen der Fächer Wirtschaftslehre und Rechnungswesen zur Folge haben sollte[7]. Durch die Konstruktion einer Kompetenzmatrix mit Kompetenzdimensionen werden dann die einzelnen horizontal angeordneten Lernfelder vertikal verbunden und Dimensionen formuliert. Wir möchten diese Konzeption an dieser Stelle nicht erläutern. Das kann der Leser bei Tade TRAMM nachlesen.
Durch den Reflexionszusammenhang des Modellunternehmens durch das Lernen AM Modellunternehmen wird vermieden, dass der Unterricht IM Modellunternehmen nicht auf rein betriebliche Funktionen und stereotypes Arbeiten reduziert wird.
2.4 Konzept für ein Modellunternehmen
Wir sind der Meinung, dass komplexe Lehr- und Lernarrangements mit einem Modellunternehmen arbeiten müssen. Wenn auch oftmals eine Simulation im dualen System zeitlich kaum möglich ist, muss ein Modellunternehmen als Erfahrungs- und Entdeckungsraum und ein Szenario zur Reflexion vorhanden sein. Wir sind auch der Meinung, dass nur so die reine funktionale und reduzierte Sacharbeiterebene verlassen werden kann und Zusammenhänge und Prozesse deutlich werden.
Was ist ein gutes Modellunternehmen?
Wir sind keine Gegner von Lernfeldern, sondern der Meinung, dass diese nach anderen Prinzipien aufgebaut und umgesetzt werden müssen als bisher. Das setzt aber wiederum eine andere Sicht von Inhalten und Konstruktionen von Modellunternehmen voraus. Für die Curriculumskonstrukteure wäre es bitter notwendig, einmal einen gezielten und klugen Blick in betriebliche Praxis und vor allem in die Zukunft der kaufmännischen Arbeit zu tun. Fragestellungen, wie in Unternehmen Prozesse abgebildet werden und wie sich die Sacharbeitertätigkeit in Zukunft verändert, können hierbei hilfreich sein. Wenn wir von einem klugen Blick sprechen, meinen wir, dass nicht möglichst viele Unternehmen analysiert werden müssen, sondern man sich im Exemplarischen bewegen sollte. Auch darf der Blick nicht der funktionalen Systematik des betrieblichen Geschehens mit der Absicht folgen, diese unmittelbar im Unterricht umzusetzen. Dennoch muss die Realität zur Kenntnis genommen werden, um sie später in Situationen, in denen komplexes Lehr- und Lernhandeln stattfinden kann, sinnvoll zu integrieren. Dem Wunsch vieler "Kollegenpraktiker", Praxis in die Schule zu holen, um diese 1 : 1 abzubilden, kann nicht entsprochen werden.
In der von uns und mit Tade TRAMM diskutierten und realisierten Konzeption des Modellunternehmens und der Simulation im Rahmen der vollzeitschulischen Berufsausbildung haben wir uns von Beginn an, entsprechend dem Lernen IM und AM Modellunternehmen, auf eine Doppelstrategie konzentriert. Arbeiten in einem Modellunternehmen mit an die Praxis angelehnten Inhalten kann nicht ausreichen. Es war von Anfang an wichtig, Möglichkeiten zur Reflexion genügend Raum zu geben. Durch Fachzusammenlegungen wurden die beiden großen Unterrichtsblöcke für das Modellunternehmen und für die Reflexion eben dieser Arbeit IM Modellunternehmen eingerichtet. Wir sind mit Tade TRAMM einer Meinung, dass die Tätigkeit in einem Modell ohne Reflexion wenig Sinn macht. Im Lernen AM Modellunternehmen wurden insbesondere die Fächer Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen zusammengelegt. Entscheidend bei der gesamten Konzeption war für uns der Ansatz des handlungsorientierten Lernens, eines Lernens, das die Schülerinnen und Schüler in Situationen, in denen selbstverantwortlich gehandelt und gelernt wird, versetzt und sie handeln lässt, ihnen Gestaltungsspielräume gibt und Neugierde fördert. Dieses Lernen findet in dem von uns aufgebauten Modell nicht ohne Systematisierung statt, eben dem Lernen AM Modellunternehmen. In diesem Kontext war für uns die Auseinandersetzung mit Tade TRAMM von großer Bedeutung. Dafür möchte wir ihm an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich danken.
Zum Abschluss möchten wir auf einen weiteren wesentlichen Aspekt zu sprechen kommen, nämlich dem des Rechnungswesens. Auch hier war die Diskussion mit Tade TRAMM äußerst wertvoll. Wir haben von Beginn an die Idee des instrumentellen Rechnungswesens aufgegriffen und in unser Modell aufgenommen. Es entsprach der von uns entwickelten Prozessorientierung, die wir durch die Integration von Unternehmenssoftware abbilden und analysieren können. Prozesse sind ideal zur Veranschaulichung von Informations-, Geld- und Güterströmen. Die voll in die Simulation integrierte Unternehmenssoftware erlaubt uns die Analyse einzelner Arbeitsprozesse und durch die umfangreichen Reports auch die von Geschäftsprozessen. Damit sind wir in der Lage in dem von uns konstruierten Modellunternehmen durch den Einsatz entsprechender Unternehmenssoftware das instrumentelle Rechnungswesen, das Denken in Wertströmen, praktisch orientiert abzubilden.
[1] Die wenige Zeit in der dualen Ausbildung und Elemente der Lehrerausbildung tragen ihr Übriges dazu bei.
[2] Das Denken der schwäbischen Hausfrau zum Schuldenmachen (Schuldenvermeidung) wird hier gepflegt und gefestigt. Dieses Denken soll unbewußt auf gesamtwirtschaftliche Probleme ohne weiteres Nachdenken übertragen werden.
[3] Sogenannte Übungsfirmenringe arbeiten auf diesem Niveau.
[4] Neuerdings soll sogar die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa durch Aufbau eines dualen Ausbildungssystems bzw. durch Herholen arbeitsloser Jugendliche aus Südeuropa nach Deutschland erfolgen. Ein „New Deal“ für Europas arbeitslose Jugend für die PIGS-Staaten? Am deutschen Wesen soll offenbar wieder einmal die Welt genesen. Die Autoren stellen die Sinnhaftigkeit eines solchen Unternehmens massiv infrage und halten eine solche Politik, angesichts der Wirtschaftskrise in diesen Ländern für zynisch, wenn man berücksichtigt, dass die Ausbildungsverträge von den krisengeschüttelten Unternehmen in diesen Ländern geschlossen werden sollen.
[5] Im Rahmen einer doppelqualifizierenden vollzeitschulischen Berufsausbildung (Abschluss als Kaufmann- Frau für Büromanagement und Fachhochschulreife)
[6] Nach "Hamburger Institut für Berufliche Bildung"
[7] In unserer Schule fand zusätzlich die volle Integration von Datenverarbeitung in das Modellunternehmen statt.
Zitieren des Beitrags
BÖHME, W./ SCHOLZ, J. (2014): Lernhandeln in komplexen Situationen in der kaufmännischen Ausbildung aus der Sicht von "Praktikern". In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1-11. Online: http://www.bwpat.de/profil3/boehme_scholz_profil3.pdf (23-05-2014).