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bwp@ Spezial 15 - September 2017
Berufliche Förderpädagogik: Von der analytischen Struktur zur dynamischen Wissenschaft. Inspirationen und Expressionen aus einem Symposium zum Gedenken an Arnulf Bojanowski
Hrsg.:
, , , &„Inklusive Beruflichkeit“ Zeitgenössische Anforderungen an eine lebensweltorientierte Berufliche Förderpädagogik
Für das Feld der Beruflichen Förderpädagogik hat Arnulf Bojanowski ein umfassendes Orientierungskonzept entwickelt und damit ein unübersichtliches Feld strukturiert und parallel existierende wissenschaftliche Perspektiven systematisch zusammengeführt. Darin werden neben der Berufs-, Sozial-, Sonder- und Schulpädagogik auch soziologische, psychologische, historische, politikwissenschaftliche und juristische Blickwinkel einbezogen. Auf diese Weise ist eine umfangreiche Gesamtübersicht entstanden, die sich auf eine Vielzahl unterschiedlichster Handlungsfelder bezieht. Damit verbindet sich für die Disziplin Berufspädagogik die Aufgabe, diese zahlreichen Felder zu einem dynamischen pädagogischen Prinzip zu verbinden. Dabei müssen Beruflichkeit und das Ziel, allen jungen Menschen Zugänge zu beruflicher Ausbildung zu verschaffen, zentrale Zielsetzungen bleiben. Beruflichkeit wird jedoch zunehmend von konkurrierenden Leitbildern wie Employability und Lebensweltorientierung überlagert. Während die Verwertungsansprüche an die menschliche Arbeitskraft mit deregulierten Arbeitsverhältnisse und technologischen Umwälzungen zunehmen, wachsen die Distanzen zwischen beruflichem und lebensweltlichem Handeln.
In diesem Beitrag werden diese Entwicklungen in ihrem diskursiven und institutionellen Zusammenhang nachgezeichnet. Es wird gezeigt, wie sich die Paradigmen Beruflichkeit, Employability und Lebensweltorientierung parallel zueinander ausgeformt haben. Daraufhin werden Perspektiven und Vorschläge entwickelt, wie sich diesbezügliche Anforderungen und Sichtweisen zu einem Gesamtkonzept Beruflicher Förderpädagogik verbinden lassen. Anschließend erfolgt eine Bestandaufnahme, indem exemplarisch Bildungsgänge des Übergangsbereichs auf bestehende Anknüpfungspunkte hin untersucht werden. Den Abschluss bildet der Versuch einer Bilanzierung von Entwicklungsbedarfen und der Verortung der Beruflichen Förderpädagogik in aktuellen Diskursen um Diversität und Inklusion.
1 Einleitung
Berufliche Förderpädagogik zielt auf gelingende Identitätsentwicklung und emanzipative Teilhabe sog. benachteiligter Jugendlicher und junger Erwachsener am gesellschaftlichen Leben. Da in modernen Gesellschaften Teilhabe nahezu ausschließlich über die Integration in den Arbeitsmarkt stattfindet, ist das Konzept der Beruflichkeit dabei eine zentrale Leitfiguration. Anders als im berufspädagogischen Diskurs, der sich zentral auf klassische Facharbeit und das Konstrukt der Ausbildungsberufe bezieht, benötigt die Berufliche Förderpädagogik jedoch ein demgegenüber verändertes, modernes und inklusives Konzept von Beruflichkeit, das auch in Zonen nicht gesicherter Beschäftigungsperspektiven auf die bislang sog. „Nicht-Beruflichen“ (Bojanowski/Straßer 2013, 91) angewandt werden kann. Spätestens seit der Arbeitsmarkt- und Ausbildungskrise der 1970er und 80er Jahre ist es unverkennbar, dass ein erheblicher Teil der nachwachsenden Generationen den selektierenden Anforderungen an moderne Berufe von sich aus nicht standhalten kann. Berufliche Förderpädagogik steht damit vor dem Dilemma, entweder die Maxime „Ausbildung für alle“ (Bojanowski 2013, 119) fallenzulassen und ihr Kernklientel nur noch auf die Bewältigung prekärer Lebenslagen vorzubereiten (vgl. z.B. Hiller 1991) oder ihre pädagogischen Prinzipien aus einem wertschätzenden Menschenbild zu beziehen (Bojanowski/Propp, 17), das auch lebensweltliches Bewältigungshandeln zum Ausgangspunkt für die Förderung beruflicher Handlungskompetenz macht. Dieses Spannungsverhältnis wird in den Diskursen zum Übergangssektor derzeit jedoch weder didaktisch noch curricular angemessen thematisiert. Dementsprechend fehlen auch in der Praxis grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen, um förderpädagogisches Handeln als umfassend professionell zu legitimieren (Bojanowski/Niemeyer 2009, 26ff.). Berufliche Förderpädagogik muss deshalb in Theorie und Praxis Fragen nach eigenständigen Formen „inklusiver Beruflichkeit“ stellen. Dies stellt ihr die Aufgabe, das Verhältnis von Beruflichkeit und Lebensweltorientierung im Zeichen wachsender Bildungsanforderungen und Verwertungsansprüche (Employability) konkretisierend zu balancieren.
Arnulf Bojanowski hat zu diesen Fragen ein umfassendes Werk hinterlassen, mit dem er die Breite des hierfür zu betrachtenden Feldes vermessen und vielfältige Bezüge zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven hergestellt hat. Der vorliegende Beitrag knüpft an dieses Lebenswerk an und versucht es in Richtung eines dynamischen Praxisprogramms weiterzudenken.
2 Beruflichkeit zwischen Employability und Lebensweltbezug
Den zentralen Stellenwert der Kategorie Beruflichkeit begründet Arnulf Bojanowski (2012a) mit grundlegenden Zielen und Ansprüchen der Zivilgesellschaft: „Eine Gesellschaft, die ihren Nachwachsenden die Beruflichkeit verweigert, kann nicht Loyalität verlangen, sondern wird höchstens Subordination, Resignation, dumpfe Verweigerung oder soziale Depression hervorrufen.“ (125; vgl. auch Sektion BWP in der DGfE 2009, 9f.). Im Sinne Beruflicher Förderpädagogik sollte stattdessen „berufliche Mündigkeit als Zielkategorie aktiv gestaltet und nicht auf berufliche Tüchtigkeit reduziert werden.“ (Bojanowski/Niemeyer 2009, 32). Dies bedeutet, den unterschiedlichen Adressaten dieses Förderansatzes Möglichkeiten zu beruflicher Orientierung zu geben, weil der erlernte Beruf in Deutschland als das Scharnier für die Zuweisung von Erwerbs- und auch Lebenschancen fungiert. Konietzka (1999) hat in seinen Kohorten-Untersuchungen gezeigt, dass Individuen in erster Linie über ihre beruflichen Ausbildungen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Auf diese Weise werden sie „in spezifisch verberuflichte Erwerbslaufbahnen geschickt“ (ebd., 334). Diese verberuflichten Erwerbslaufbahnen vermitteln damit auch unter schwierigen Rahmenbedingungen einer großen Mehrheit der (potenziell) Erwerbstätigen immer noch eine relative Statussicherheit im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Es steht insofern außer Frage, dass gerade die Disziplin Berufs- und Wirtschaftspädagogik den Diskurs um berufliche Orientierung im Kontext einer – gegenüber der traditionellen Form des Berufs – erweiterten Beruflichkeit führen muss (vgl. Meyer 2014), die auch benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene adressiert. Das Konzept der Beruflichkeit hat hier also eine nachhaltige Orientierungsfunktion, die sich mit spezifischen Beratungs- und Förderbedarfen verbindet.
Allerdings gerät das Konzept der Beruflichkeit gerade bezogen auf die Kernklientel Beruflicher Förderpädagogik in den letzten Jahrzehnten in zweierlei Hinsicht unter Druck: Sowohl die wachsende Trennung von Arbeits- und Lebenswelten als auch steigende berufliche Bildungsanforderungen bewirken, dass sich diesen Bevölkerungsgruppen Zugangsmöglichkeiten zu geregelter Berufstätigkeit dauerhaft verschließen: Während der Anteil junger Erwachsener (20-29-Jährige) ohne abgeschlossene Berufsausbildung 2013 bei immer noch 13,8% der gleichaltrigen deutschen Bevölkerung lag (Klemm 2014, 10), wird trotz demographischem Wandel davon ausgegangen, dass sich für „Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung“ bis 2030 die „ohnehin schon schwierige Arbeitsmarktsituation […] weiter verschlechtert.“ (Zika et al. 2015, 7) Es sieht keineswegs danach aus, als würde sich diese Problematik im Zuge des demografischen Wandels von selbst lösen. Denn auch 2016 traten ca. 300.000 junge Menschen in den Übergangsbereich ein (vorläufige Zahlen für 2016; vgl. StBA 2017b, 4), weil sie aus unterschiedlichen Gründen keinen Ausbildungsplatz fanden. Per se ist also weiterhin davon auszugehen, „dass sich auf absehbare Zeit nicht alle benachteiligten Jugendlichen in Ausbildung und stabile Berufe integrieren lassen werden, sondern eher in prekären Beschäftigungsverhältnissen unterkommen.“ (Bojanowski/Straßer 2013, 92)
Hier stellt sich die Frage, inwieweit das Konzept der Beruflichkeit noch mit den Lebenssituationen und Bildungslaufbahnen sog. benachteiligter Jugendlicher und junger Erwachsener kompatibel sein kann. Dabei kann das bislang propagierte Konzept einer sozialpädagogischen Lebensweltorientierung in der gegenwärtigen Situation immer weniger als Alternative herangezogen werden. Das Gebot der Employability und sanktionsbewehrter Druck auf die verbliebenen Alimentierungsgrundlagen (Ehrentraut et al. 2014) lassen die Zentrierung auf ein ausschließlich lebensweltliches Bewältigungshandeln längst nicht mehr zu. Junge Menschen stehen unter dem unausweichlichen Zwang, sich beruflich zu qualifizieren, um die Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft herzustellen bzw. erhalten zu können und ein gesellschaftlich legitimiertes Leben zu führen. Vor dem Hintergrund wenig erfolgreicher Bildungslaufbahnen und oft über Generationen sozialisierter Misserfolgserfahrungen (vgl. z.B. Koesling/Steuber 2013, 128ff.) kommt Beruflicher Förderpädagogik darum eine Art „Übersetzungsaufgabe“ zu: Sie muss lebensweltliches Bewältigungshandeln wie einen unausgeformten Prototyp Beruflicher Handlungskompetenz auffassen, um ihn mit späteren beruflichen Anforderungen in Beziehung setzen zu können.
Berufliche Förderpädagogik kommt also gar nicht umhin, Beruflichkeit als pädagogische Leitmetapher derart zu konzeptualisieren, dass sie einerseits den ökonomischen Anforderungen von Employability Rechnung trägt und diese andererseits unmittelbar mit einem lebensweltbezogenen Ressourcenansatz verbindet. Im Folgenden werden diese drei Vektoren zunächst skizziert, um dann erste Vorschläge für eine förderpädagogische Synthese zu formulieren.
2.1Beruflichkeit
Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels seit den 1960er Jahren wurde die Bedeutung des Berufskonzeptes insbesondere im Hinblick auf Strukturbildung und Mobilität entwickelt. Damit war auch die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung im Sinne der Mobilität innerhalb der Sektoren des Bildungssystems angesprochen (Vonken 2005, 63). Dem Konzept der Beruflichkeit kommt bildungspolitisch entscheidende Bedeutung zu: Die mit staatlichem Einfluss geregelte, berufsförmige Gestaltung von Arbeit entlastet den Einzelnen davon, individuelle soziale Regelungen zu treffen. Berufsbilder, Zertifikate und spezifische Gestaltungs- und Kontrollmechanismen der Berufsbildung sind die Basis für eine gegenseitig realistische und erwartbare Einschätzung von Qualifikationen sowie eine - zumindest verbesserte - Aussicht auf statusbezogene Entlohnung. Insofern kann konstatiert werden, dass mit berufsförmiger Erwerbsarbeit im Unterschied zu ihrer nicht-beruflichen Organisation auch zentrale soziale Aufstiege (wie z.B. horizontale und vertikale Mobilität und die Ermöglichung von Entwicklungs- und Karrierewegen) ermöglicht, wenn auch keineswegs garantiert werden. Damit ist Beruflichkeit immer auch als prinzipielle Chance zur sozialen Gestaltbarkeit von Arbeit zu verstehen.
Allerdings ist zu bemerken, dass die Einkommens- und Statussicherung über eine abgeschlossene Berufsausbildung offenbar erodiert: Zunächst ist der Anteil der von einem Niedriglohnrisiko betroffenen Personen mit Berufsabschluss zwischen 1995 und 2013 von 18vH auf 24,3vH gestiegen (Hochschul- und Fachhochschulabsolventen verzeichneten eine diesbezügliche Steigerung von 9,2vH auf 10,1vH). 2013 verfügten damit ganze „zwei Drittel der Niedriglohnbeziehenden“ über eine abgeschlossene Berufsausbildung (Kalina/Weinkopf 2015, 5). Dies trifft in gleicher Weise auch auf das Risiko zu, atypisch beschäftigt zu werden. 2015 verfügten 58,8vH der atypisch Beschäftigten über eine abgeschlossene Berufsausbildung, was immerhin 29,6vH aller abhängig Beschäftigten mit einem Berufsabschluss betraf (eigene Berechnung anhand StBA 2017a). Beide Entwicklungen betreffen in den Kontexten drastisch abnehmender Tarifbindung (IAB 2016) und deregulierter Beschäftigungsverhältnisse auf Grundlage der zitierten Quellen unabhängig von der Berufsausbildung gleichzeitig insbesondere Jüngere unter 25 Jahren (Niedriglohnrisiko 51,5vH; atypische Beschäftigung: 45,4vH). Insofern verwundert es nicht, dass die OECD (2014, 4) für Deutschland darauf hinwies: „Seit dem Jahr 2000 vergrößert sich die Lücke zwischen dem relativen Erwerbseinkommen von Arbeitskräften mit Tertiärabschluss im Vergleich zum Erwerbseinkommen von Arbeitskräften mit einem Abschluss des Sekundarbereichs II oder des postsekundären nichttertiären Bereichs. Im Jahr 2000 verdienten Arbeitskräfte mit Tertiärabschluss etwa 45% mehr als Personen ohne diesen Abschluss (OECD-Durchschnitt: 51% mehr); 2012 betrug der Verdienstvorsprung nahezu drei Viertel (74%; OECD-Durchschnitt: 59% mehr)“.
Doch trotz dieser offensichtlichen Unterhöhlung zentraler Kategorien behält Beruflichkeit eine Gatekeeper-Funktion zu gesellschaftlicher Teilhabe. Denn je mehr die Anforderungen an berufsförmige Arbeit steigen, desto mehr ist daran die Möglichkeit einer Mitwirkung an respektablen Anerkennungskreisläufen geknüpft. Gesellschaftliche anerkannte Kommunikationsweisen, Lernprozesse und Entwicklungsverläufe sind auf die Inklusion in diesbezüglich legitimierte Handlungsfelder verwiesen, die sich im Zuge fragmentierter Lebenswelten und steigenden Bildungsanforderungen immer mehr auf qualifizierte Erwerbsarbeit verengen. Kutscha (2008, 2) hebt demensprechend hervor, dass der Berufsbegriff „nicht auf der Ebene der Performanz, sondern der Kompetenz angesiedelt“ ist. Wer einen Beruf hat, verfügt über „erlernte und an beruflichen Rollenerwartungen orientierten und abrufbaren Fähigkeiten“, die allerdings erst im Rahmen konkreter Arbeit (Performanz) nachgewiesen werden können. Mit dieser Übertragung der Kompetenz-Performanz-Unterscheidung auf den beruflichen Bereich wird allerdings die Problematik eines „Lernens im Prozess der Arbeit“ (vgl. z.B. Dehnbostel et al. 2010) in einer exklusiven beruflichen Sphäre hervorgehoben. Kompetenz bezeichnet aus förderpädagogischer Perspektive zunächst etwas Grundlegendes, nämlich die habitualisierte Voraussetzung für etwas, was ein junger Mensch unter gegebenen Umständen können könnte. Berufliche Handlungskompetenz ist dagegen etwas, was möglich wird, wenn diese Umstände in spezifischer Weise eingetreten sind. Sie kann nur unter den besonderen Bedingungen einer gegebenen Handlungsanforderung und nur unter der Voraussetzung diesbezüglicher tätiger Teilhabeerfahrung umgesetzt werden. Damit ist Beruflichkeit immer auch Ausdruck etablierter Handlungsformen und insofern kulturell normiert. Sie zielt nicht auf das Erreichen eines bloßen Handlungsergebnisses, sondern auch auf die Art und Weise, in der Arbeitsprozesse umgesetzt werden. Beruflichkeit schließt darum immer auch Teilhabe an situierten Arbeitsabläufen ein bzw. konstituiert diese als notwendige Voraussetzung zur Erlangung ihrer selbst.
Berufliche Förderpädagogik muss also didaktische Prinzipien entwickeln, mit denen auch in exklusiven Sphären wie z.B. außerbetrieblichen Einrichtungen und im Alltag bereits in den Grundfigurationen lebensweltlichen und/oder vorberuflichen Bewältigungshandelns die Möglichkeit späterer Beruflichkeit sichtbar gemacht werden kann. Nur so kann die bislang vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Beruf bzw. der qualifizierten Erwerbsarbeit von der sog. unqualifizierten „Jedermannsarbeit“, die sich lediglich auf das Tätig-Sein und das Erbringen einer bestimmten beobachtbaren und prüfbaren Leistung reduzieren lässt (Kutscha 2008, 2ff.), aufgehoben werden.
2.2 Employability
Der Berufsbegriff ist relational anzusehen: Beruflichkeit prägt sich unter jeweils bestimmten historisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aus. In der zeitgenössischen Epoche wird dieses Konzept in mehrfacher Weise durch Verwertungsansprüche unterhöhlt, die allgemein unter dem Begriff Employability gefasst werden. Dabei werden Employability im angelsächsischen und Beruflichkeit im deutschsprachigen Raum als konkurrierende Qualifizierungsmaximen verstanden. Das Paradigma Employability umfasst überfachliche Fähigkeitszuschreibungen im Sinne individualisierter Qualifikations- und Kompetenzprofile, die vom Einzelnen in Selbstverantwortung erworben und veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes kontinuierlich angepasst werden müssen. Der inhaltlich unbestimmte Fachlichkeitsbezug des Employability-Ansatzes würde deshalb bewirken, dass übergeordnete berufsfachliche Profile obsolet würden und damit der Beruf als übergeordnete Referenzkategorie im Bildungs- und Beschäftigungssystem gänzlich verloren ginge (Wahle/Walter 2013, 4ff.). Employability zielt also weit weniger darauf ab, als was Menschen längerfristig beruflich tätig sein können, sondern dass sie überhaupt unter kaum bestimmbaren Bedingungen ihre Arbeitskraft zu verwerten vermögen. Als Grundvoraussetzungen von Employability werden dementsprechend die permanente Bereitschaft zur vorausschauenden Erweiterung des eigenen Kompetenzportfolios (durch Weiterbildung, Qualifizierung, Lebenslanges Lernen), Flexibilität, Mobilität, Aktivität und Selbstverantwortung hervorgehoben. Dadurch wird das Individuum permanent dazu angehalten, die eigene Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und zu entwickeln: „‘Employability‘ bezieht sich auf die Möglichkeit, einer entlohnten Beschäftigung nachzugehen. Der Begriff betont dabei in erster Linie die individuelle Seite dieser Möglichkeit, d.h. die vom Individuum einzubringenden Voraussetzungen, die sich auf verschiedene Aspekte, wie Qualifikationen, Flexibilität oder die Möglichkeit zur Mobilität, erstrecken können.“ (Kraus 2006, 55) Bei der Diskussion um Employability geht es also im Kern um ein Repertoire an Fähigkeiten und Bereitschaften, über das Personen verfügen (sollen), um in Bezug auf Beschäftigungsverhältnisse und am Arbeitsmarkt bestehen zu können. Erfolg zeichnet sich dementsprechend durch eine gelungene dauerhafte Platzierung auf dem Arbeitsmarkt sowie im Beitrag zur Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens aus (ebd., 59f.).
Zusammengenommen bedeutet dies für ein wegweisendes Konzept Beruflicher Förderpädagogik Folgendes: So unzuträglich und pädagogisch rückwärtsgewandt der Employability-Ansatz hier auch wirkt, so wenig lässt sie sich in diesem Handlungsfeld ignorieren. Deregulierte Arbeitsmärkte, „Fördern und Fordern“ und ein Anwachsen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Heitmeyer 2012) gegenüber depriviligierten Akteuren lassen die pädagogische Perspektive eines erfolgreichen Bewältigungshandelns jenseits von Erwerbstätigkeit immer unwegsamer erscheinen. Gleichzeitig unterstreichen die benannten Qualifikationsanforderungen, dass Arbeitsmarkteilhabe jenseits beruflicher Abschlüsse kaum mehr perspektivgebend sein kann. Berufliche Förderpädagogik wird durch Employability also zu einer produktiven Ambivalenz angehalten: Sie muss verwertungszentrierte Determinierungen der Berufs- und Lebensperspektiven ihrer Klientel anerkennen und gleichzeitig Konzepte und Strategien entwickeln, mit denen sie Möglichkeiten und Orte beruflicher Persönlichkeitsentwicklungen bewahrt und gerade damit gegenüber bevorstehenden Bedrohungen wappnet.
So unmöglich es also auch immer erscheinen mag: Berufliche Förderpädagogik kann nicht umhin, benachteiligten jungen Menschen Zugänge zu Beruflichkeit zu eröffnen. Es wird jedoch deutlich, dass jegliche berufsbezogene Qualifikation heute in erster Linie marktbezogen organisiert werden muss. Das überwältigende Primat arbeitsbezogener Konkurrenz und Employability ist längst in alle Nischen und Schutzzonen der Arbeitsgesellschaft vorgedrungen. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Verwertbarkeit erworbener Zertifikate, sondern auch auf die Bewertung von Identitäten und Selbstkonzepten. Auch soziale Anerkennung ist zunehmend marktbezogen organisiert und kann sich jenseits dieser Verwertungskreisläufe immer weniger etablieren.
Trotzdem können bloße Verwertungsansprüche keine Entwicklungsprozesse und Handlungsbefähigungen generieren. Junge Menschen bedürfen nach wie vor pädagogischer Schonräume, in denen sie um ihrer selbst, ihrer Lebenserfahrungen und Bewältigungsleistungen willen anerkannt und gefördert werden. Unter den gegebenen Bedingungen können solche Lernbereiche jedoch nicht anders als halbdurchlässige Schonräume gedacht werden. Mit der Diskussion um Employability geht auch eine „Vermarktlichung“ der für die Förderung Jugendlicher und junger Erwachsener notwendigen Schutzzoneneinher. Dies zeigt sich z.B. daran, dass Bildungsträger vermehrt unter finanziellen Druck geraten und Schonräume selbst in der behindertenspezifischen Ausbildung abgebaut werden (Koch 2016, 2). Individuelle Förderung und auch Inklusion lassen sich jedoch nicht ohne Schonräume umsetzen. Den sog. benachteiligten jungen Menschen fehlt ein „Raum“ bzw. ein Zeitraum für ein individuelles Moratorium, wie es beispielsweise Gymnasiasten aufgrund ihres längeren Schulbesuchs im Rahmen der Sekundarstufe II offen steht. Diese verschaffen sich darüber hinaus weiter Zeit der Orientierung, indem sie nach dem Abitur ein soziales, ökologisches oder auch wissenschaftliches soziales Jahr absolvieren oder an „Work and Travel“ Programmen partizipieren. Von Schülern der Haupt- und Realschulen wird demgegenüber erwartet, dass sie im Alter von 15 bzw. 16 Jahren grundlegende berufliche Orientierungsleistungen erbringen – damit stehen sie unter dem Druck, schon sehr frühzeitig schicksalsbedeutsame Berufswahlentscheidungen treffen zu müssen: „Weltweit wird [den; d. V.] Bevorzugten, oft ca. 50% eines Altersjahrgangs, ein „Moratorium“ – eine Zeit des Reifens zwischen Kindheit und Erwachsenendasein – eingeräumt. Demgegenüber stellt die Forderung nach genereller Berufswahlreife und Ausbildungsreife mit 16 Jahren – die bezeichnender Weise nur für die weniger Bevorzugten erhoben wird – eine Überforderung dar. Denn sie fordert von den „Weniger-Bevorzugten“ eine „Reife“, die sie in diesem Alter gar nicht haben können.“ (Heidegger/Petersen 2011, 4; vgl. auch Petersen, in dieser Ausgabe)
2.3 Lebensweltorientierung
Derartige Schonräume müssen, sofern darin Anschlüsse an Beruflichkeit ermöglicht werden sollen, als in zweifacher Weise geöffnet gedacht werden. Personen, die in der Öffentlichkeit als bildungs- und arbeitsmarktfern wahrgenommen werden, können nur dann an allgemeine und berufliche Bildungsansprüche anschließen, wenn ihre bestehenden Erfahrungen als Ausgangspunkte derartiger Qualifikationen gedacht werden. Um dies konzeptionell zu verwirklichen, stellt – eingebettet in das Konzept der Beruflichkeit - zunächst das sozialpädagogische Konzept der Lebensweltorientierung (u.a. Thiersch 2002) einen programmatischen Ausgangspunkt dar. Dabei geht es um folgende Themenfelder:
Erstens ist Alltag selbst durch Spannungsverhältnisse gekennzeichnet: Einerseits geht es um alltäglich routinierte Handlungsvollzüge, Alltagsstrukturierung, Freizeitgestaltung und soziale Beziehungsgestaltung. Andererseits müssen Kompetenzen erworben werden, um auf Unwägbarkeiten des Alltags, Schicksalsschläge und unvorhergesehene Anforderungen angemessen reagieren zu können (vgl. Schroeder 2007, 307).
Zweitens werden in genau diesem lebensweltlichen Bewältigungshandeln Ressourcen für weitergehende Potenziale gesehen: Jedem Alltagshandeln sind biographische Erfahrungen hinterlegt. Sie sollen in pädagogischen Bezügen ernst genommen werden, um „den Blick für die versteckten Potenziale und Ressourcen im Alltag der Jugendlichen zu schärfen, weil diese aus einer mittelschichtigen Perspektive oftmals entweder völlig übersehen oder allenfalls defizitär wahrgenommen werden.“ (ebd., 308). Dabei soll an bestehende Strategien zur Problemlösung jenseits bürgerlicher Normvorstellungen angeknüpft werden (ebd.). Mit dieser sozialpädagogisch geprägten Denkweise sieht sich Berufliche Förderpädagogik vor allem dem Kompetenzansatz verpflichtet. Dabei geht es darum, „Erfahrungen, Einstellungen und Verhaltensweisen in den Lernprozeß zu integrieren und mit beruflichem Lernen zu verzahnen“ (Ketter 2002, 823). „Nicht die Defizite der jungen Menschen, sondern ihre Kompetenzen, ihre Stärken stehen im Vordergrund. Kompetenzen, die nicht nur im Rahmen der formellen Bildung, sondern auch im Alltag erworben wurden, sollen identifiziert, den Jugendlichen bewusst gemacht und für ihre Entwicklung genutzt werden.“ (BMBF 2005, 88)
Drittens geht diese Form ressourcenbezogener Lebensweltorientierung auch mit Vorschlägen zu einer curricularen und didaktischen Unterrichtsgestaltung (vgl. z.B. Schroeder 2007, 309ff.) einher. Entsprechend soll sich Unterricht auf Alltag beziehen und dabei ein für die Alltagsbewältigung in schwierigen Lebenssituationen notwendiges Orientierungs- und Handlungswissen (vgl. z.B. Hiller/Stein 2008) vermitteln. Zudem sollen Lernangebote zur Erkundung bislang unbegangener Alltagssphären – Jobcenter, Jugendhäuser, Sportvereine oder Betriebe – beitragen (Hiller 1991). Weiterhin kann lebensweltorientierter Unterricht den Alltag junger Menschen begleiten, indem er im Zuge von Coachings oder Patenschaften den Aufbau tragfähiger sozialer Beziehungen zu mindestens einem kompetenten Erwachsenen befördert (Hiller 1997). Und schließlich distanziert sich ein solcher Unterricht bewusst von den Anforderungen und Zumutungen des Alltags, indem er auch kulturelle, erlebnis-, freizeit-, abenteuer- (natur-)sport- und bewegungspädagogische Angebote unterbreitet.
Trotz der pädagogischen Implikationen ist es offensichtlich, dass dieser didaktische Ansatz in der vorliegenden Form kaum über die Zielsetzung abstrakter Wertschätzung und einer Lebensbewältigung jenseits von erwerbsorientierter Beruflichkeit hinausgeht. Lebensweltorientierung bezieht sich offensichtlich räumlich, inhaltlich und sozial auf eine vom Berufsleben abgeschiedene Sphäre. Entsprechend bleibt es in den vorliegenden sozialpädagogischen Konzepten diffus, wie aus den benannten Bewältigungsfähigkeiten schwieriger Lebenslagen berufsbezogene Kompetenzen hervorgehen sollen. Beispielsweise werden „kommunikatives Handeln in arbeitsmarktfernen Peergroups“ allenfalls indirekt als Voraussetzung für das Erlangen sprachlicher Kompetenzen, die „Verarbeitung familiärer Konfliktsituationen“ nicht als möglicher Ausgangspunkt für die Herausbildung qualifikationsbezogener Rollen in Arbeitskontexten und das „Durchschlagen durch die Unwegsamkeiten prekarisierter Lebensalltage“ nicht als mögliche Grundlage mathematischer Fertigkeiten gedacht. Wertschätzung und beruflicher Anwendungsbezug verlaufen nach diesem Konzept in wechselseitiger Ausblendung eher unberührt nebeneinander her.
2.4 Synthese: Lebensweltorientierung als Ressource von Beruflichkeit
Damit entsteht die Notwendigkeit, Beruflichkeit auf lebensweltliche Erfahrungen zu beziehen und im Sinne eines ressourcenorientierten Lernprozesses zu verbinden. Genau darin besteht die Möglichkeit, die Erfahrungen und Selbstkonzepte benachteiligter Jugendlicher und junger Erwachsener gegenüber Entwertungen und Verwertungen des Employability-Paradigmas zu schützen und sie als Bewältigungsreservoirs der damit gegebenen Anforderungen anzuerkennen.
Es geht daher darum, das vorliegende Konzept der Lebensweltorientierung mit weiteren pädagogischen Leitideen wie der Weltaneignung durch die Kulturhistorische Schule, reformpädagogischen Ansätzen und der praxeologische Perspektive Pierre Bourdieus zu verbinden. Nach den darin entwickelten Vorstellungen lernen Menschen durch den tätigen und gestaltenden Umgang mit einer sozialen und gegenständlichen Welt. Die begriffliche Vorstellung jedes materiellen und immateriellen Dinges beruht danach auf der Erfahrung eines tätigen In-Beziehung-Tretens, die sich als „psychische Widerspiegelung“ (Leontjew 1982, 132) subjektiv manifestiert. Diese verinnerlichten Aneignungserfahrungen verdichten sich in der weiteren Entwicklung zu Kontexten, in denen sich die Erfahrungen einzelner Dinge, Phänomene und Zustände in ihren spezifisch erfahrenen Eigenschaften in besonderer Weise angleichen und abgrenzen. Damit ordnen sie sich zu der verinnerlichten Architektur einer differenzierten Welterfahrung an (Wygotski 1988). Menschen wissen also schon vor jedem schulischen Lernen um die Beschaffenheit und die Eigenschaften der sie umgebenden Welt, weil sie sie sich längst in notwendiger Neugier erarbeitet haben. Die erlebte Beziehung zwischen Dingen und Menschen ist Voraussetzung für die verinnerlichte Kombination von Begriffen und das sensorische Kennenlernen von Materialien der Ausgangspunkt jeder möglichen handwerklichen Bearbeitung.
Allerdings sind diese verinnerlichten Erfahrungsstrukturen nach der Besonderheit jedes individuell gelebten Lebens in dreierlei Weise verschieden. Einerseits verleihen die Eigentümlichkeiten jedes Welterlebens den subjektiv verinnerlichten Strukturen jeweils besonderen Charakter. Bourdieu (1987, 121) spricht im Zusammenhang mit dem Habitus von einem erworbenen „System von Erzeugungsschemata“, mit dem „alle Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, und nur diese, frei hervorgebracht werden, die innerhalb der Grenzen der besonderen Bedingungen seiner eigenen Hervorbringung liegen.“ Andererseits sind diese sinnlichen Erfahrungen je nach dem kommunikativen Umfeld, in dem sie gemacht und kommuniziert wurden, mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten versehen, die weit von formellen sprachlichen Verständnissen abweichen können. Holzkamp (1995, 226) spricht von einer „Diskrepanzerfahrung“, die neue Lernstrategien erfordert, dabei aber auch eine Differenz zwischen subjektiv erworbenen und gesellschaftlichen „Bedeutungszusammenhänge(n)“ markiert (ebd., 263). Schließlich enthalten diese verinnerlichten Weltverständnisse aber auch unterschiedliche Beziehungen zu Lerngegenständen im Sinne einer „personalen Situiertheit“ (vgl. ebd., 264), indem Menschen vermittelt durch ihre soziale Position lernen, „was »etwas für mich« ist oder »nichts für mich« oder »für Leute wie mich«, was ich »vernünftigerweise« tun, erwarten, verlangen kann“ (Bourdieu 2001, 167; Herv. i. Org.).
Zusammengefasst heißt dies, dass Menschen immer aufgrund bereits verinnerlichter Erfahrungen und Bedeutungsstrukturen lernen und den meisten Lerngegenständen mit bereits ausgeprägten Verständnisweisen gegenübertreten. Diese Verständnisweisen müssen als subjektiv einzig mögliche Ausgangspunkte, von denen schulisches und berufliches Lernen überhaupt ausgehen kann, erkannt werden. Sie unterscheiden sich jedoch nicht nur in der Art und Weise ihrer Zusammensetzungen, sondern auch in der Ausprägung einer Distanz zu formalen Begriffsvorgaben und dem sozialisierten Zutrauen, überhaupt in bestimmten Lernsphären bestehen zu können.
Diese mehrfach ausgeprägte Distanz droht sich durch eine Trennung zwischen Lebensweltorientierung und Beruflichkeit unter dem Druck wachsender Verwertungsansprüche zu reproduzieren. Berufliche Förderpädagogik als Disziplin ist darum angehalten, diese unterschiedlichen Sphären zusammenzuführen. Dies bedeutet einerseits zu verstehen, in welcher Weise, mit welchen Bedeutungen und Verständnissen sich Jugendliche und junge Erwachsene die soziale und gegenständliche Welt angeeignet haben. Berufliche Förderpädagogik muss sich auf die Suche nach lebensweltlich errungenen „Ankerpunkten“ machen, die Verständnisgrundlagen für schulische und berufliche Bildungsinhalte darstellen könnten. Sie muss darum in einer Weise zu übersetzen vermögen, dass sie lebensweltliche Aneignungserfahrungen auch themenbezogen dechiffriert. Dabei kann sie zum Teil an Konzepte der Reformpädagogik anknüpfen, indem sie die lebensweltlichen Erfahrungen und das unmittelbare Entdecken der Welt als Ausgangspunkte alles weiteren Lernens erkennt. Doch zugleich muss sie auch eine gegenläufige Perspektive einnehmen: Berufliche Förderpädagogik hat es mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun, deren „sensible Perioden“ (Montessori 1996, 63ff.) wenn vielleicht auch nicht abgeschlossen, so doch aber bereits ausgeformt sind. Es führt darum kein Weg daran vorbei, die Lebenswelten der Jugendlichen als eigenständige Lernwelten zu rehabilitieren, die sich parallel zu den Ansprüchen einer distinguierten Bildungswelt zu eigenständigen Kontexten ausgeformt haben. Es reicht nicht aus, „vorbereitete Umgebungen“ (ebd., 71ff.) zu schaffen. Berufliche Förderpädagogik muss junge Menschen als „tätige Speicher bereits durchlebter Perioden und Umgebungen“ anerkennen und die darin enthaltenen Weltverständnisse in gleicher Weise zu verstehen beginnen, wie sie junge Menschen dazu befähigt, die elaborierten Codes einer institutionalisierten beruflichen Bildungswelt zu verstehen. Berufliche Förderpädagogik muss die Prinzipien eines „natürlichen Unterrichts“ (Otto 1928, 17ff.) um die verstehende Dimension von Vergangenheit und Erfahrung ergänzen. Sie ist nicht allein fördernde Betrachterin einer unmittelbaren Weltaneignung, sondern zugleich aktive Mittlerin zwischen begrifflich verschiedenen Verständnissen, die im gesellschaftlichen Sinne ungleich klassifiziert und im sozialräumlichen Sinne unterschiedlich situiert sind. Auch jenseits transnationaler Migrationshintergründe ist Berufliche Förderpädagogik damit Austragungs- und Verhandlungsort sozialer „Hybridität“ (vgl. Hall 1994, 218). Sie muss die Aneignungserfahrungen junger Menschen als „exemplarisches Lernen“ (Negt 1968) sozialer und fachlicher Zusammenhänge erkennen und eine Art doppelten „Anschauungsunterricht“ (Otto 1928, 29ff.) anbieten, indem sie in dem Erfahrungswissen der jungen Menschen immer wieder bildliche Ankerpunkte ausmacht, die in berufliche Handlungswelten und formale Erkenntniswelten überführt werden können.
3 Umsetzungsvarianten Beruflicher Förderpädagogik – eine exemplarische Bestandsaufnahme
Wie ist die Landschaft der Beruflichen Förderpädagogik im Ausbildungs- und Übergangssystem angesichts der beschriebenen pädagogischen Herausforderungen aufgestellt? Diese Frage lässt sich mit Blick auf den institutionellen „Wirrwarr“ des in den letzten drei Dekaden entstandenen „Förderdschungels“ (vgl. Bojanowski et al. 2007) nur schematisch und unvollständig beantworten. Im Folgenden werden daher exemplarisch einige sichtbare didaktische Konzeptvarianten Beruflicher Förderpädagogik vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und arbeitsweltlicher Entwicklungen in ihren Grundzügen nachgezeichnet. Dabei werden unterschiedliche Schwerpunktsetzungen im Hinblick auf die allen Konzepten immanenten Spannungsverhältnisse zwischen Employability, Beruflichkeit und Lebensweltbezug herausgestellt und die Anforderungen an eine künftige Berufliche Förderpädagogik bzw. -didaktik hinsichtlich ihres Umsetzungsstandes und weitergehender Entwicklungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Sektoren des Handlungsfeldes Übergangsbereich markiert.
3.1 Schulische Berufsvorbereitung
Das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) wurde in den 1970er Jahren angesichts steigender Zahlen arbeitsloser Jugendlicher in der Berufsschule eingerichtet. Dabei ging es auch darum, die grassierende Jugendarbeitslosigkeit im Zeichen der Ausbildungskrise der 1970er und 80er Jahre zu mindern. Der Bildungsgang wuchs zunächst langsam „und verblieb bis heute in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um eine Übergangslösung handeln sollte.“ (Koch/Bojanowski 2013, 155). Ziel des BVJs ist es, den Schülerinnen und Schülern durch berufsbezogenen Unterricht mit einem Schwerpunkt auf dem praktischen Lernen und durch Betriebspraktika den Übergang in die Arbeitswelt zu ermöglichen. Ferner soll die sog. Ausbildungsreife der jungen Menschen durch die Vermittlung einer lebenslagenorientierten allgemeinen Grundbildung gefördert werden (vgl. Schroeder/Thielen 2009). Das BVJ wurde für eine sehr heterogen zusammengesetzte Schülerschaft eingerichtet. In den meisten Bundesländern besteht jedoch eine Tendenz zur Herstellung homogener Lerngruppen, z.B. in Bezug auf Sprachkenntnisse (ebd., 82f.).
Trotz seiner ursprünglich angelegten Kompensationsproblematik lässt sich das BVJ weitgehend dem Prinzip der Beruflichkeit zuordnen. Es wird zum einen in nach verschiedenen Berufsfeldern gegliederten Fachtheorie- und -praxisbereichen angeboten und ist damit trotz geringer Übergangsquoten als Vorbereitung auf reguläre Ausbildungsberufe angelegt (vgl. z.B. Koch 2014). Zum anderen ist es dem Qualifizierungsbereich der Berufsschullehrerbildung zugeordnet, wenngleich hier mit dem Studienangebot des Fachs „Sozial-/Sonderpädagogik in der beruflichen Bildung anstelle eines Unterrichtsfachs“ an der Leibniz Universität Hannover derzeit bundesweit nur ein einziges umfassendes Studienangebot existiert.
In der pädagogischen Realität, insbesondere des hier fokussierten niedersächsischen BVJs, ist das Prinzip der Beruflichkeit allerdings mit weiteren pädagogischen Facetten entsprechend der oben definierten Anforderungen versehen: Es werden detaillierte curriculare, didaktische und methodische Vorgaben (sog. Materialien) für die Unterrichtsgestaltung herausgegeben, die allerdings nicht den Stellenwert von Rahmenrichtlinien haben. Als wichtigstes didaktisches Prinzip wird darin das handlungs- und projektorientierte Lernen hervorgehoben. Das didaktische Zentrum des BVJs bildet der Fachpraxisunterricht, in dem Produkte überwiegend für gemeinnützige Institutionen, für die Schule und für Mitschüler (gegen ein Materialentgelt) hergestellt werden sollen. Die Inhalte des fachtheoretischen und allgemeinbildenden Unterrichts sollen unmittelbar auf den Fachpraxisunterricht bezogen werden (Niedersächsisches Kultusministerium 2011, 12ff.; vgl. auch Schroeder/Thielen 2009, 84). Damit nähert sich zumindest das niedersächsische BVJ der oben beschriebenen tätigkeitsorientierten didaktischen Ausrichtung an. Allerdings bestehen für eine weitergehende konzeptionelle Entwicklung des Bildungsgangs strukturelle Barrieren: Erstens bedingt die professionsspezifische Trennung von Fachpraxis- und -theorielehrkräften zwangsläufig auch eine Trennung der jeweils spezifischen Lerninhalte. In den oben angesprochenen Materialien ist ein Bezug zwischen den beiden Bereichen lediglich als Maxime benannt, nicht aber konzeptionell ausgearbeitet. Zweitens ist mit dem Prinzip der Lebensweltorientierung eine vor allem subjektorientierte Didaktik angedeutet. Eine adressatengerechte Förderung der jungen Menschen soll z.B. durch regelmäßige Beratungsgespräche mit den Schülerinnen und Schülern gewährleistet werden (Niedersächsisches Kultusministerium 2011, 23).
In Bezug auf das Konzept der Lebensweltorientierung sieht zumindest in Niedersachsen das Studienangebot „Sozial-/Sonderpädagogik in der beruflichen Bildung anstelle eines Unterrichtsfachs“ curricular ausdrücklich die Ausbildung zu lebensweltorientiertem pädagogischen Handeln vor. Allerdings müssen auch diesbezüglich strukturelle Umsetzungsbarrieren benannt werden. So ist es in der schulischen Realität keineswegs gegeben, dass alle BVJ-Lehrkräfte über eine diesbezügliche Ausbildung verfügen. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass das in den Materialien für das BVJ geforderte Klassenlehrerprinzip (ebd., 16) überall umgesetzt wird. Entsprechend sind Spielräume für die individuelle Förderung und lebensweltliches Verstehen vielerorts strukturell eingeschränkt. Team-Teaching-Modelle deuten sich allerdings als strukturelles Prinzip im Rahmen der Umsetzung inklusiver Schule in der beruflichen Bildung an (vgl. Koch/Preßler 2015, 69).
Sicherlich am schwierigsten gestaltet sich der Bezug des BVJs zu einer marktbezogenen Ausrichtung im Rahmen des Employability-Paradigmas. Bojanowski und Niemeyer (2009, 32) weisen darauf hin, dass „das dem BVJ inhärente Spannungsverhältnis von Beschäftigungsfähigkeit und Lebensbewältigung […] derzeit weder curricular noch didaktisch angemessen thematisiert [wird; d. V.] mit entsprechenden Handlungsproblemen der Lehrkräfte, die hilflos weder ihr eigenes Fachwissen einbringen können noch angemessen auf die mangelnden Lebensperspektiven ihrer BVJ-Schüler/innen eingehen können.“ Trotz der didaktischen Schwerpunktsetzung auf Handlungsorientierung und vielfältiger Praxisbezüge handelt es sich bei diesen schulischen berufsvorbereitenden Bildungsgängen um „Klausuren simulierter Berufsvorbereitung“ (Koch 2013, 13), da die Jugendlichen keine Möglichkeit erhalten, ihre eigene soziale Lage in der konkreten Interaktion eines Marktes zu reflektieren. Als ein weiteres entscheidendes Problem sog. benachteiligter Jugendlicher und junger Erwachsener gilt ihre „Institutionen- und Schulmüdigkeit“. Damit sind u.a. auch nicht gelingende Berufswahlprozesse verbunden (Reißig et al. 2006).
Damit lässt sich das BVJ auch als „informelle didaktische Baustelle“ einer Beruflichen Förderpädagogik ausmachen. Über das originäre Konzept der Beruflichkeit hinaus weist dieser Bildungsgang wesentliche Anknüpfungspunkte insbesondere bezüglich einer lebenswelt- und tätigkeitsorientierten Didaktik auf. Sie sind zwar noch überwiegend kaum konzeptualisiert und aufgrund verschiedener struktureller Barrieren blockiert. Trotzdem stellt das BVJ gerade in Zeiten marktorientierter Wettbewerbsorientierung einen unverzichtbaren Entwicklungsort dar, an dem pädagogische Konzepte und Kulturen aufgegriffen und weiterentwickelt werden können.
3.2 Sozialpädagogisch orientierte Berufsausbildung und -vorbereitung
Zumindest von der Entstehungsgeschichte her scheinen Bildungsgänge und Maßnahmen, die außerhalb von Schulen und Betrieben angesiedelt sind, deutlicher an sozialpädagogischen Prinzipien und damit lebensweltorientiert ausgerichtet zu sein. Es lässt sich schwer bestimmen, ab welchem Zeitpunkt derartige Konzepte flächendeckend umgesetzt wurden. Eine wesentliche Zäsur stellt das Jahr 1980 und die Einführung des Benachteiligtenprogramms durch die damalige Bundesregierung dar. Damit entwickelte sich die Förderung benachteiligter junger Menschen zu einem eigenständigen Bereich des deutschen Berufsbildungssystems. Darin war die Sozialpädagogisch orientierte Berufsausbildung, auch als Spezielle berufliche Bildung bezeichnet, als konzeptioneller Baustein verankert. Dieses interdisziplinäre Berufsbildungskonzept verband die beiden Bereiche Sozialpädagogik und Berufspädagogik miteinander und hatte lange Zeit Vorbildcharakter für die berufliche Benachteiligtenförderung. Ein besonderes Merkmal war die oben angesprochene Außerbetrieblichkeit: Die Rolle des Ausbildungsbetriebes wurde von einem freien Träger übernommen. Die Ausbildung der jungen Menschen erfolgte durch eine Zusammenarbeit von drei verschiedenen Professionsgruppen: Ausbildern, Stützlehrern und Sozialpädagogen (Bojanowski 2013, 120). Implizit lässt sich dieses Prinzip auch in den Anfangsjahren des außerschulischen Übergangsbereichs erkennen. Lange bevor das Übergangssystem als solches benannt wurde (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 79), weiteten sich Lehrgänge zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE), Grundausbildungslehrgänge, Förderlehrgänge, A+L-Maßnahmen, MBSE-Lehrgänge (Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer) und weitere Bildungsgänge im Kontext der ersten Ausbildungskrise der 1970er und 80er Jahre aus.[1] Damit fiel die informelle Gründerzeit dieses Bildungssektors in eine Phase der Suche nach alternativen pädagogischen Ansätzen, die stark von neuen sozialen Bewegungen und einer Rückbesinnung auf Konzepte der Reformpädagogik geprägt war (vgl. z.B. Collingro 1985). Inwiefern und in welchem Ausmaß diese Ansätze noch in den Lernkulturen freier Träger repräsentiert sind, lässt sich allerdings nicht einschätzen. Weder umsetzungsleitende Konzepte wie z.B. das Fachkonzept für Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BA 2012) noch die Ergebnisse relevanter Begleitforschung thematisieren die Umsetzung (sozial-)pädagogischer Konzeptionen. Es spricht jedoch viel dafür, dass die damaligen Vorstellungen gerade im Zuge von Umsteuerungsprozessen durch die Bundesagentur für Arbeit in den Hintergrund gedrängt wurden (Heisler 2013; Koch 2008; Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit 2012). An Kostenkriterien orientierte, zeitlich limitierte Vergabeverfahren, reduzierte Personalschlüssel und leistungsorientierte Konzeptvorgaben haben hier zu beschleunigten Träger- und Personalwechseln und in der Folge auch zu einer Pragmatisierung pädagogischer Ansätze geführt. Zwar sind auch Bildungsgänge mit langer pädagogischer Tradition wie etwa die niedersächsischen Jugendwerkstätten (Koch 2014, 19f.) erhalten geblieben. Insgesamt lässt sich angesichts der strukturellen Umbrüche der außerschulische Bereich nur noch begrenzt als ein förderpädagogisches Entwicklungsfeld identifizieren. Zugespitzt ließe sich feststellen, „dass die Institutionen, die per se mit Vermittlung und Eingliederung nach den zuständigen Rechtskreisen SGB II […] und III […] zuständig sind, ihre ‚sozialpädagogischen Wurzeln vergessen‘ haben“ (Oehme 2016, 935; zit. nach Burkhard/Enggruber 2005).
Zudem gilt auch für diesen Bereich das bereits für das BVJ beschriebene „Klausurenprinzip“: Das Problem der Stigmatisierung von Teilnehmenden in Fördereinrichtungen gegenüber ihrem pädagogischen Nutzen für diese Zielgruppen diskutiert auch Heisler (2015). Durch eine Zuweisung zu Förderangeboten und -maßnahmen können sich für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen einerseits alternative biographische Entwicklungswege und -möglichkeiten verschließen, andererseits reduziert die Abschaffung derartiger Angebote die Chancen Benachteiligter auf Ausbildung. Die berufsvorbereitenden Maßnahmen verlängern zwar die Ausbildungszeit von jungen Menschen, verbessern aber nicht unbedingt ihre Integrationschancen. So trägt die Ausdifferenzierung beruflicher Bildungs- und Förderangebote zur Segmentierung und Hierarchisierung des Berufsbildungssystems bei (ebd., 14f.), so dass Förderangebote für Benachteiligte einerseits eine spezifische Unterstützung bieten, aber zugleich stigmatisieren.
Diese Kritik lässt sich zwar keineswegs pauschalisieren. Wie das gesamte Übergangssystem und die weitere Förderung der Berufsausbildung weist auch der außerschulische Bereich je nach Eingangsvoraussetzungen der Teilnehmenden unterschiedlich privilegierte Zonen hinsichtlich der Übergangsquoten in Ausbildung bzw. Beschäftigung auf (Koch 2012, 25f.; 2014, 20). Trotzdem lässt sich hinsichtlich des außerschulischen Sektors eine übergreifende Ökonomisierungstendenz feststellen, die wenngleich in umgekehrter Weise auf das Employability-Paradigma verweist. Bereits im Vorfeld der zu Beginn des Jahrtausends veränderten Förderstruktur wurde aufgrund abzusehender Einsparungen in Bezug auf Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen eine Selektionstendenz „auslesende[r] Jugendarbeit“ prognostiziert (AG Reha im Sozialforum Göttingen 2004, 5). So zeichnet sich gegenüber einer output-orientierten Logik des Employability-Paradigmas das Pendant einer effizienzgesteuerten Input-Orientierung ab. Damit laufen pädagogische Standards Gefahr, hinter ökonomischen Steuerungszielen zurückzufallen und Bildung möglichst effizient auf diesbezügliche lohnenswerte Adressaten zu zentrieren.
3.3 Produktionsschule
Auch Produktionsschulen, als überwiegend bei freien Bildungsträgern angesiedelte förderpädagogische Einrichtungen, agieren unter den benannten Bedingungen effizienzorientierter Vergabeverfahren und sanktionsbewehrter Arbeitsförderung. Im Gegensatz zum überwiegenden Teil der übrigen außerschulischen Förderangebote fungieren Produktionsschulen aber auch als innovatives Netzwerk förderpädagogischer Konzeptualisierungen. Damit versuchen sie, die gegebenen Umsetzungsbedingungen produktiv zu gestalten und mit eigenen pädagogischen Zielsetzungen zu verbinden. Dabei lassen sich drei zentrale konzeptionelle Elemente herausstellen.
3.3.1 Produktionsorientiertes Lernen im Sinne der Herstellung marktgängiger Produkte und Dienstleistungen
Die Produktionsschule gilt als didaktisches Vorbild für die Berufliche Förderpädagogik. Die Einrichtungen verstehen sich vor allem als Aktivierungs- und Orientierungsangebot für Jugendliche und junge Erwachsene, und damit als ein alternatives Modell zur Berufsorientierung und -vorbereitung. Genauso wie für das schulische BVJ gilt die hohe Praxis- und Handlungsorientierung aller Lernprozesse als zentrales Prinzip. Die Teilnehmenden sollen nach dem Prinzip des Experten-Novizen-Lernens möglichst selbsttätig, von- und miteinander lernen (BVPS 2006, 4). Im Unterschied zur schulischen Berufsvorbereitung sind die technischen und sozialen Organisationsstrukturen von Produktionsschulen aber betriebsnah ausgerichtet. Ihre didaktischen und pädagogischen Kernelemente sind die Produktionsbereiche (Werkstätten und/oder Lernbüros), die ein Arbeits- und Lernangebot in verschiedenen Berufs-, Arbeits- oder Tätigkeitsfeldern vorhalten. Die Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten der Teilnehmenden können zudem durch Praktika außerhalb der Einrichtung erweitert werden (ebd. 2006; 2015). Anders als in schulischen berufsvorbereitenden Bildungsgängen sind die Lernenden keine „Schüler“, sondern haben den Status von Mitarbeitenden. Sie werden durchgängig mit realen Produktlinien und „echten“ Kundenkontakten konfrontiert. Die Lernprozesse finden über die Arbeitsprozesse statt (ebd. 2015, 7). Die geforderte Verbindlichkeit hinsichtlich der Aufträge ist nicht simuliert, sondern ein konstitutiver Bestandteil des Lernens. Dies bedeutet für viele Teilnehmende eine besondere Herausforderung. Die besondere Wirksamkeit des Produktionsschulkonzeptes wird dem entsprechend vor allem mit seiner Marktnähe und dem Kunden als „pädagogischem Dritten“ begründet (Bojanowski/Gentner/Meier 2013, 172ff.). Die Produktionsorientierung soll zum „Erkennen des Wertes der eigenen Arbeit“ (BVPS 2015, 2) führen und für die Teilnehmenden Bewährungsmöglichkeiten schaffen, die ihre berufliche und soziale Integration ermöglichen. Ihrer Grundkonzeption und ihrem Grundanliegen nach entsprechen Produktionsschulen also nicht dem schulförmigen, unterrichtlich verfassten Lernen.
3.3.2 Allgemein bildendes Lernen in (allerdings konzeptionell nicht ausgearbeiteter) Verbindung mit praktischer marktorientierter Tätigkeit.
Neben der Produktion bieten diese Einrichtungen auch die Vorbereitung auf einen staatlich anerkannten Schulabschluss und Teilqualifizierungen an. Hierfür werden zusätzlich „klassische“ Unterrichtsangebote in der Form variabler Lerneinheiten vorgehalten. Die Verknüpfung von Lern- und Arbeitsaufgaben und die Gestaltung von individuellen und kooperativen Lernprozessen soll durch eine entsprechende Methodenvielfalt gewährleistet werden (BVPS 2015, 8). Demnach bilden Produktion, kognitives Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmenden eine Einheit (ebd. 2006, 4). Dennoch zeigt sich an dieser Stelle ein Kernproblem der Ausgestaltung des Produktionsschulkonzeptes: Das didaktische Setting wird im Wesentlichen durch die Aufträge vorgegeben, so dass die Gestaltung des Curriculums „synchronisiert mit der Auftragsstruktur [erfolgt; d. V.]. Dieser Basissatz der pädagogischen Profilbildung besagt: Produktionsschulen strukturieren ihre Lernprozesse vor dem Hintergrund realer Aufträge, die die Schulen von externen Kunden selbst erhalten bzw. selbst akquirieren“ (Kipp 2008, 183). Auch wenn in den Einrichtungen der Vorrang der pädagogischen Zielsetzung vor wirtschaftlichen Interessen gilt, ergibt sich daraus als Gestaltungsproblem „die Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit, angenommene Aufträge zeit- und qualitätsgerecht abzuliefern und der kontinuierlich bestehenden Verantwortung für die Sicherung eines pädagogisch gebotenen Lern- bzw. Schonraums.“ (ebd.)
3.3.3 Lebensweltorientierung im Sinne eines Einbringens biographischer Erfahrungen und Bewältigungsstrategien in praktische und theoretische Lernprozesse
In Produktionsschulen hat die individuelle Förderung der Teilnehmenden einen zentralen Stellenwert. Die pädagogische Arbeit soll sich „am gesamten Menschen mit all seinen Facetten und Eigenheiten“ (BVPS 2006, 3) orientieren. Das Ziel des Besuchs einer Produktionsschule ist „die persönliche Veränderung, z.B. in Form von Kompetenzerweiterung oder dem Ablegen von gewohnten Verhaltensweisen“ (ebd.). Um dies zu erreichen, wird bei dem Eintritt der jungen Menschen in der Regel ein systematisches Kompetenzfeststellungsverfahren durchgeführt. Die oftmals als „Systemverlierer“ bezeichneten Jugendlichen (ebd., 1) werden in ihren Fähigkeiten und Stärken wahrgenommen, „um die Kette bisheriger Defizit- und Misserfolgserfahrungen zu durchbrechen“ (ebd., 3). Die Kompetenzentwicklung ist untrennbar mit einer biographie- und lebensweltorientierten individuellen Förderung verbunden. Durch die hohe Praxis- und Produktionsorientierung aller Lernprozesse soll es ermöglicht werden, bisherige Erfahrungen aus der Lern- und Arbeitswelt der Teilnehmenden in die pädagogische Arbeit einzubeziehen. Die jungen Menschen machen Lernerfahrungen an sinnbesetzten Gegenständen und erfahren den Nutzen ihrer Tätigkeit (ebd., 4). Auf der Grundlage ihrer oben beschriebenen flexiblen und dynamischen Strukturen bietet Produktionsschule den Jugendlichen und jungen Erwachsenen individuell differenzierbare Qualifikationsmöglichkeiten (Kipp 2008, 183). Darüber hinaus sollen die Einrichtungen zur Förderung des individuellen Kompetenzerwerbs in der Regel ein breites Spektrum an z.B. kulturellen, erlebnispädagogischen, musischen, politischen und sozialen Lernangeboten vorhalten (BVPS 2006, 4). Der Aufbau tragfähiger Beziehungen zwischen Teilnehmenden und pädagogischen Mitarbeitenden („Soziale Förderpädagogik“; BVPS 2015, 10) ist ebenfalls eine selbstgestellte Kernaufgabe von Produktionsschulen. Die Produktionsschule sieht sich damit nicht nur als Arbeits- und Lernort, sondern will einen „Heimatcharakter“ für die jungen Menschen haben (ebd. 2006, 7). Um negativen und lernhemmenden äußeren Einflussfaktoren wie z.B. Krisensituationen im Elternhaus, Sucht- oder Gewaltproblematiken nachhaltig entgegenzuwirken, halten Produktionsschulen zudem enge Kontakte zu Einrichtungen und Instanzen der regionalen sozialen Arbeit (ebd.).
Mit diesen drei Konzeptbausteinen enthält Produktionsschulpädagogik eine Vielzahl an Anknüpfungsmöglichkeiten an die oben benannten Anforderungen an eine lebensweltorientierte Berufliche Förderpädagogik. Das Konzept der Beruflichkeit tritt zwar hinter die Notwendigkeiten einer Marktorientierung zurück. Damit aber greifen Produktionsschulen das unumgängliche Paradigma von Employability auf, indem sie Jugendliche und junge Erwachsene an den realen Anerkennungskreisläufen einer marktorientierten Arbeitsgesellschaft teilhaben lassen. In Bezug auf Lebensweltorientierung enthält die Produktionsschul-Programmatik gewissermaßen „in Rohform“ Anknüpfungspunkte für eine tätigkeitsorientierte Didaktik, indem sie lebensweltliche Aneignungserfahrungen mit produktiven Arbeitserlebnissen und inhaltlichen Lernprozessen verbinden will. Damit sieht sie zumindest die Möglichkeit vor, praxisbezogenes und theoretisches berufliches Lernen von den individuellen Aneignungserfahrungen der Teilnehmenden ausgehend zu denken. Allerdings liegen auch hier noch keine konzeptionellen Vorstellungen darüber vor, wie sich lebensweltliche Erfahrungen z.B. mit formellen Begriffen und situierten Arbeitsanforderungen verbinden lassen können. Produktionsschulpädagogik ist deshalb auf bislang nur angedeutete Konturen verwiesen, mit denen sie die verschiedenen Bestandteile ihrer innovativen pädagogischen Ideen eher intuitiv miteinander verbinden muss.
4 Berufliche Förderpädagogik in den Kontexten inklusiver Berufsbildung und Diversität
Alle Möglichkeiten zur Entwicklung einer lebensweltorientierten Beruflichen Förderpädagogik treffen gegenwärtig auf eine diskursive Neuformulierung des Feldes. Gerade hinter den zeitgenössischen Begrifflichkeiten von Inklusion und Diversität verbergen sich nicht nur hermeneutische, sondern auch anthropologische und konzeptionelle Metamorphosen von Zielgruppenverständnissen, Problembetrachtungen und pädagogischen Lösungsansätzen. In dieser Situation muss Berufliche Förderpädagogik im Diskurs bleiben. Dabei gilt es nicht nur an zeitgenössische Begrifflichkeiten anzuschließen. Für Berufliche Förderpädagogik geht es vielmehr auch darum, diese Diskurse aus eigenständiger Perspektive zu führen und mit ihrem besonderen Verständnis von Ungleichheit und barrierefreien Zugängen zu Beruflichkeit zu verbinden.
4.1 Berufliche Inklusion als Leitsemantik Beruflicher Förderpädagogik
Mit der Unterzeichnung der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland zur Implementierung eines inklusiven Bildungssystems. Dies gilt grundsätzlich auch für berufliche Bildung und barrierefreie Zugänge zu Beruflichkeit. Nach dem Grundsatz der Inklusion sollen zukünftig alle Menschen gemeinsam an Lehr-Lern-Prozessen teilhaben können. Damit ist Inklusion auch als eine Chance zu gesellschaftlicher Teilhabe in einer transformierenden Arbeitsgesellschaft zu verstehen (Rützel 2013, 1; Enggruber/Rützel 2014, 12). Trotzdem enthält die Umsetzung der UN-BRK in Deutschland aus Sicht einer Beruflichen Förderpädagogik zwei wesentliche Einschränkungen: Erstens beschränkt sich der Inklusionsprozess fast ausschließlich auf den Zugang zu allgemeinen Schulen und damit auf Artikel 24 der UN-BRK „Bildung“. Der für berufliche Bildung mindestens ebenso entscheidende Artikel 27 „Arbeit und Beschäftigung“ findet hingegen bislang wenig Berücksichtigung (vgl. Euler/Severing 2014, 6). Während die Anzahl von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf weiterhin zunimmt, gehen außerschulische Förderungen der Berufsausbildung und -vorbereitung drastisch zurück (Koch 2016, 1). Zweitens ist Inklusion entgegen ihrer eigentlichen Zielsetzung zentral auf das Kriterium von Behinderung zentriert. Arnulf Bojanowski wies in seiner 2012 veröffentlichten Expertise für den Nationalen Bildungsbericht 2014 darauf hin, dass „Berufliche Inklusion […] nicht nur ein uneingelöstes Versprechen der modernen Gesellschaft im Blick auf ihre behinderten und benachteiligten Mitglieder, sondern auch bildungswissenschaftlich-analytisch extrem schwer zu greifen [ist; d. V.].“ (Bojanowski 2012b, 1). Seines Erachtens verschwimmen im Jugendalter die Grenzen zwischen Behinderung und Benachteiligung, da alle jungen Menschen unter identischen gesellschaftlichen Nötigungen stehen und bestimmte Gruppen wie „Behinderte“ und „Benachteiligte“ „nur noch über klassifikatorische Zuschreibungen und Förderwege unterscheidbar [sind, d. V.]“ (ebd., 2). Für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellt sich aber jenseits von Klassifikationen die Frage nach der Berufswahl und der Entscheidung für einen beruflichen Bildungsweg als „zentrale Eintrittskarte“ ins Erwerbsleben (ebd.).
Berufliche Bildung ist für eine solche Betrachtungsweise grundsätzlich prädestiniert: Während die Sonderpädagogik im allgemeinbildenden Schulwesen immer schon nach Förderschwerpunkten differenziert, hat eine solche Unterscheidung an berufsbildenden Schulen auch im Vorfeld von Inklusion nicht existiert. Absolventen mit den Förderschwerpunkten Lernen sowie Soziale und Emotionale Entwicklung wurden in diesen Institutionen immer schon vorrangig im BVJ unterrichtet. Damit lassen sich berufsbildende Schulen als einzige regelschulische Lernorte mit „impliziter Inklusionserfahrung“ charakterisieren (Koch/Preßler 2015, 85). Auch wenn im Rahmen von Inklusion Zielgruppen mit weiteren Schwerpunkten hinzukommen, wird das berufliche Bildungssystem in diesem Bereich nicht anhand von Förderschwerpunkten, sondern nach Kategorien unterschiedlicher Zugangsvoraussetzungen gesteuert. Damit werden in diesem Bereich vormals diagnostizierte schwerpunktbezogene Förderbedarfe immer schon von Kategorien wie Bildungsbenachteiligung und sozioökonomischer Deprivation überlagert.
Um Inklusion im Sinne einer Beruflichen Förderpädagogik konzeptionell auszuformulieren, bedarf es darum Ergänzungen in zwei Richtungen: Einerseits muss sich die Perspektive auf benachteiligte junge Menschen um eine soziale Dimensionierung erweitern. Gerade im Bereich der Grauzonen z.B. von diagnostizierten Lernbehinderungen verschwimmen die Grenzen zwischen sozialer Benachteiligung und sonderpädagogisch klassifizierten Behinderungen. Zudem überlagern sich diese Klassifizierungen: Förderschüler sind zumeist nicht nur bildungsbenachteiligt, sondern entstammen überwiegend Familien mit geringem sozioökonomischen Status (Koch 2016, 2). Barrierefreiheit muss darum auch als spezifische (förder-) pädagogische Wahrnehmungsweise gedacht werden, die die Lebens- und Bewältigungsleistungen junger Menschen jenseits von Behinderung und Benachteiligung fokussiert. Dies bedeutet wiederum, die Konzepte von Lebensweltorientierung und informellem (beruflichem) Bewältigungshandeln mit formellen Bildungsanforderungen zu verbinden. Zudem muss der Gedanke von Teilhabe weit über die räumliche Präsenz von Lernenden in Klassenräumen hinaus gedacht werden. Teilhabe an Ausbildung und Beschäftigung gründet zentral auf der Zugänglichkeit zu situierten Handlungskontexten und der Verfügbarkeit von sozialem Kapital. Jugendliche und junge Erwachsene vermögen sich dementsprechend nur dann im Sinne von „Ausbildungsreife“ zu entwickeln, wenn ihnen die Orte dieser Entwicklungsmöglichkeiten zugänglich sind (Ratschinski 2011, 202). Die Entwicklung von Berufsperspektiven gelingt zudem nur, wenn die Betroffenen über diesbezügliche Kontakte und sozialisatorische Erfahrungen verfügen (vgl. Struck 2017). Jenseits der Bereitstellung entsprechender Förderangebote muss sich eine berufliche Inklusionspädagogik darum eng mit Ansätzen Situierten Lernens verzahnen, die in übersetzender Weise immer wieder auf lebensweltliche Aneignungserfahrungen der jungen Menschen zurückgreifen.
4.2 Der Diversitätsdiskurs in der beruflichen Bildung
Als zweite zeitgenössische Innovation ist der Diskurs um Diversität anzuführen. Hier wird insofern über die Engführung auf Behinderungen, wie es beim Thema Inklusion derzeit erfolgt, und die Fokussierung auf das allgemeine Schulsystem hinausgegangen, da eine Vielfalt an sozial konstruierten Differenzlinien als ein Gesamtkomplex sozialer Ungleichheit gefasst wird. Die Klassifikation von Behinderungen wird so im Zusammenhang mit weiteren Unterscheidungskriterien wie z.B. Geschlecht, Herkunft und sozialer Status gedacht (vgl. z.B. Petersen 2016). Damit erweitert sich zunächst das Wahrnehmungsspektrum sozialer Differenzierungen. Zudem werden sie vom Individuum abgelöst und vorrangig als soziale Zuordnungsmuster thematisiert.
Trotzdem birgt diese Perspektiverweiterung zumindest auch die Gefahr einer ausschließlichen Vervielfachung relativ isolierter Hierarchien und Differenzen. Damit enthält der Diversitätsansatz einerseits eine normative Ebene. Diesbezüglich soll er „eine Anerkennung und Wertschätzung jedes einzelnen Menschen mit seinen individuellen Besonderheiten leisten.“ (Robak/Sievers/Hauenschild 2013, 17) Aus einer bloßen Summierung von Abwertungs- und Ausgrenzungsmechanismen resultiert jedoch im förderpädagogischen Sinne weder ein Verständnis für komplexe Lebenssituationen, wie sie der Intersektionalitätsansatz vorsieht (vgl. ebd., 19f.), noch für subjektive Bewältigungsmuster im Sinne Beruflicher Förderpädagogik. Damit ist andererseits zunächst die Ebene eines produktiven Potenzials des Diversitätsansatzes benannt, der ihn für Berufliche Förderpädagogik interessant und anschlussfähig macht. In diesem Sinne sind die subjektiven Bewältigungsstrategien junger Menschen in konkreten (beruflichen) Anforderungssituationen als individuelle Besonderheiten bzw. Ressourcen zu verstehen, auch wenn die gezeigten Leistungen (noch) nicht formalen Anforderungen entsprechen. Berufliche Bildung verstanden als Situiertes Lernen mit reflexivem Tätigkeitsbezug bietet für eine solche Herangehensweise grundsätzlich günstige Ansatzpunkte. Hier steht jederzeit die berufliche Handlungssituation im Vordergrund, in der biographische Erfahrungen, diverse Machthierarchien und eine Ungleichverteilung von Zukunftsperspektiven ihren kumulativen Ausdruck finden. Es gilt sich darum dezidiert auf diversitätsorientierte Ansätze zu fokussieren, die diese unterschiedlichen Kategorien zu komplexen Handlungs- und Deutungsmustern im auch berufsbezogenen Sinne verbinden. Das bedeutet auch das Entwickeln einer reflexiven Verständnisweise, die Benachteiligung einerseits als soziale Exklusion, andererseits aber auch als ein gestaltendes Umgehen mit genau dieser Situation betrachtet, denn als bloße Dichotomie ist jede Ungleichheitsdimension mit einem entsprechenden Negativpol versehen.
Diversitätsorientierung in der Beruflichen Förderpädagogik bedeutet demnach ein konsequentes Beharren auf der gesellschaftlichen Ursache von Benachteiligungen. Ihre annehmende Ausgestaltung kann damit als das Potenzial einer zielorientierten und produktiven Widerständigkeit verstanden werden. Berufliche Förderpädagogik kann damit Momentaufnahmen beruflichen Lernens in einen mehrdimensionalen sozialen Raum (Bourdieu 1993) einlesen. Sie versteht jedes individuelle Handeln in dreifacher Potenzialität: Erstens ist es Ausdruck einer historisch gewachsenen objektiven Komplexität sozialer Ungleichheit. Zweites bringt es die subjektive Bewältigung einer jederzeit mehrfachen Deprivation zum Ausdruck, die als Ausgangspunkt jeder Möglichkeit tätigkeitsorientierten Lernens verstanden werden muss. Drittens liegt in der reflexiven Erkenntnis der gleichzeitigen Einschränkung und Gestaltung der gegeben Handlungs- und Lebenssituation auch die Möglichkeit ihrer reflexiven Überschreitung: „Wird den Betroffenen klar, worauf diagnostizierte Defizite und resultierende Klassifizierungen beruhen, müssten sie weit besser in die Lage geraten, sich in die Konzeption pädagogischer Verfahren und Integrationsperspektiven gestaltend einzubringen. Aus unserer Sicht kann das Diversitätsparadigma damit zur Ausgestaltung einer anderen Form pädagogischen Verhältnisses beitragen, die zwar wohl keinen herrschaftsfreien Diskurs, jedoch aber eine Form pädagogischer Verhandlung bedeuten kann.“ (Koch/Ratschinski/Steuber/Bojanowski 2013, 165)
5 Fazit
Zusammenfassend kann die Berufliche Förderpädagogik als eine wissenschaftliche und anwendungsorientierte Disziplin in einem Zwischenstadium gelten. Hier ist durch die Arbeiten Arnulf Bojanowskis ein zuvor unübersichtliches Feld strukturiert und in Ansätzen zu pädagogischen Konzepten konkretisiert worden. Auch wenn die ungeheure Vielfalt der diesbezüglich relevanten Handlungsfelder, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bezüge bereits im Wesentlichen ausgearbeitet ist, steht das Ausformulieren Beruflicher Förderpädagogik zu einer komplexen Anwendungswissenschaft noch aus. Mit Blick auf das disziplinäre Vermächtnis Arnulf Bojanowskis gilt es, dieses pädagogische Programm in der hier angesprochenen Breite und Vielfältigkeit dynamisch als komplexe Gesamtkonzeption zu denken. Zentrales Anliegen muss dabei die reflexive Übersetzung subjektiver Aneignungstätigkeiten in anforderungsorientierte Kontexte moderner Beruflichkeit sein. In der derzeitigen Situation bedeutet dies nicht nur, bislang ausgeschlossenen Akteuren Zugänge zu anerkannten Berufsausbildungen zu schaffen. Diese Herausforderungen treffen auch auf ein Handlungsfeld, das erheblichen strukturellen und diskursiven Bewegungen ausgesetzt ist. Neben einer zunehmenden Ökonomisierung von Bildungsgängen und -maßnahmen sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst erheblichen gesellschaftlichen Anforderungen ausgesetzt, die pauschal unter dem Begriff Employability gefasst werden können. Damit steht Berufliche Förderpädagogik nicht nur als wissenschaftliche Disziplin, sondern auch als institutionalisiertes Handlungsfeld unter einem immensen Transformationsdruck. Gerade in den unterschiedlichen Segmenten des Übergangssektors liegen mit dem BVJ, außerschulischen Angeboten und der Produktionsschulbewegung unterschiedlich ausgerichtet Handlungskonzepte vor, deren didaktische Fundierung sich mit ungleicher Zentrierung auf die Pole Beruflichkeit, Lebensweltorientierung und Employability bezieht. Diese unterschiedlich ausgereiften Konzepte müssen nun zu einer tätigkeitsorientierten Pädagogik zusammengefügt werden, die subjektive Aneignungserfahrungen von einer privaten und informellen in einen situiert-beruflichen und formellen Handlungskontext übersetzen kann. Dies ist auch die Leitlinie, anhand derer sich Berufliche Förderpädagogik mit innovativen Diskursen um die Themenfelder Inklusion und Diversität orientieren sollte.
Literatur
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[1] Die Entwicklung ist in den Berufsbildungsberichten der Jahrgänge 1977 bis 1991 (Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1977-1991) wenngleich schwer übersichtlich dokumentiert (vgl. hierzu auch Schierholz 2002, 127ff.).
Zitieren des Beitrags
Koch, M./Steuber, A./Meyer, R./Struck, P. (2017): „Inklusive Beruflichkeit“. Zeitgenössische Anforderungen an eine lebensweltorientierte Berufliche Förderpädagogik. In: bwp@ Spezial 15: Berufliche Förderpädagogik: Von der analytischen Struktur zur dynamischen Wissenschaft. Inspirationen und Expressionen aus einem Symposium zum Gedenken an Arnulf Bojanowski, hrsg. v. Koch, M./Ratschinski, G./Steckert, R./Steuber, A./Struck, P., 1-27. Online: http://www.bwpat.de/spezial15/koch_steuber_meyer_struck_spezial15.pdf (08-09-2017).