bwp@ Spezial 9 - September 2015

Fachtagung Ernährung und Hauswirtschaft – Herausforderungen und Chancen zwischen Heterogenität, Inklusion und Profilbildung

Hrsg.: Julia Kastrup, Irmhild Kettschau, Michael Martin, Marie Nölle-Krug & Anna Hoff

„Mittendrin statt nur dabei“ – Inklusive Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen

Die Exklusion der Bildungs- und Ausbildungsangebote entspricht heute nicht dem gesellschaftlichen Anspruch nach Inklusion.

In einem anerkannten Ausbildungsberuf ausgebildet zu werden, ist für manche junge Menschen mit Behinderung gar nicht möglich. Sie besuchen eine Werkstatt, in der Leistungen zum Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben nach § 136 SGB IX (Neuntes Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) erbracht werden. Die Werkstatt ermöglicht den jungen Menschen eine Beschäftigung im „geschützten“ Rahmen.

Für eine andere Gruppe von Menschen mit Behinderungen erschließt sich durch spezielle Ausbildungsregelungen, die sich an anerkannten Ausbildungsberufen orientieren, eine berufliche Qualifizierung.Ausbildungsregelungen nach § 66 Berufsbildungsgesetz (BBiG)/§ 42m Handwerksordnung (HwO) für Fachpraktikerberufe existieren im Bereich Hauswirtschaft (Fachpraktiker/in Hauswirtschaft) und im Bereich Ernährung (Beikoch/-köchin und Fachpraktiker/in im Gastgewerbe). Diese außerbetrieblichen Ausbildungen werden in speziellen Ausbildungsstätten durchgeführt. Wie lassen sich inklusive Ausbildungsangebote gestalten und welche Praxiserfahrungen gibt es im Bereich Hauswirtschaft in Bremen?

1 Zwei Praxisbeispiele für inklusive Ausbildung aus Bremen

1.1 Qualifizierungsmaßnahme zur Vermittlung beruflicher Handlungsfähigkeit durch Qualifizierungsbausteine auf Niveau 2 des DQR's

Im Jahr 2013 initiierte die Bremer Heimstiftung in Kooperation mit der Werkstatt Bremen ein Projekt, das neue Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen schaffen sollte. Zielgruppe sind junge Menschen mit Behinderungen, die im Berufsbildungsbereich der Werkstatt beschäftigt sind. Der Blick bei der Auswahl richtete sich gezielt auf das, was diese Menschen können, und das ist eine Menge. Ziel war es, sie aus der beschützten Umgebung einer Werkstatt herauszuholen und sie an realen Arbeitsplätzen mit konkreten Aufgaben zu beschäftigen. Gleichzeitig sollte sich das neue Angebot nahtlos in die Bildungslandschaft einfügen und keine „Sackgasse“ schaffen. Die hier entwickelten Module sind deshalb in den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR), Stufe 2 eingeordnet, sodass eine Durchlässigkeit gegeben ist.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projektes absolvieren in zwei Jahren nacheinander drei Pflicht- Qualifizierungsbausteine und zwei Auswahlmodule. Bei den Auswahlmodulen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, aus drei verschiedenen Bausteinen auszuwählen.

Die praktische Ausbildung erfolgt an drei Tagen in der Woche in den Häusern der Bremer Heimstiftung, einer Einrichtung der Altenpflege, jeweils unter Anleitung einer erfahrenen Hauswirtschaftsleiterin.

An zwei weiteren Tagen pro Woche erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Unterricht und notwendige Unterstützungen und Betreuung.

Der Unterricht gliedert sich in einen fachpraktischen und einen allgemeinbildenden Teil. Der fachpraktische Unterricht und die Leitung der Maßnahme obliegen einer kompetenten Hauswirtschaftsleitung der Bremer Heimstiftung. Für diesen Teil besuchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Berufsschule Hauswirtschaft, an der auch die Auszubildenden im Berufsbild Hauswirtschaft unterrichtet werden. Der allgemeinbildende Unterricht und die sozialpädagogische Begleitung werden durch die Werkstatt sichergestellt. Somit ist die Maßnahme ein „echtes“ Inklusionsprojekt an den Lernorten Betrieb und Berufsschule.

Die Senatorin für Finanzen, als zuständige Stelle nach dem Berufsbildungsgesetz für den Bereich der Hauswirtschaft im Lande Bremen, hat dieses Qualifizierungsangebot mit einer entsprechenden Regelung nach § 9 BBiG über den Erwerb von hauswirtschaftlichen Qualifizierungsbausteinen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung nach § 136 SGB IX versehen (vgl. Die Senatorin für Finanzen 2014, 116ff.).

Sie stellt für jeden erfolgreich beendeten Qualifizierungsbaustein eine Bescheinigung aus. Am Ende erhält jede Teilnehmerinnen und jeder Teilnehmer ein Zeugnis. Damit ist eine Verkürzung der Ausbildung zur Fachpraktiker/in Hauswirtschaft um ein Jahr möglich. Bei der Ausbildung zur Hauswirtschafter/in kann um ein halbes Jahr verkürzt werden. Die Basis für diese Anrechnungsmöglichkeit ist die Kompetenzbeschreibung der einzelnen Qualifizierungsbausteine.

Ziele und Inhalte der Qualifizierungsmaßnahme (Auszug aus der Regelung):

  • Ziel der Qualifizierungsmaßnahme ist die Entwicklung von Kompetenzen beruflicher Handlungsfähigkeit durch Qualifizierungsbausteine, die zur Ausübung einer Tätigkeit befähigen, die Teil einer Ausbildung in dem anerkannten Ausbildungsberuf Hauswirtschafter/in sind.
  • Nach dem erfolgreichen Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme verfügen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Kompetenzen zur fachgerechten Erfüllung grundlegender Anforderungen in einem überschaubar und stabil strukturierten Lern- und Arbeitsbereich. Diese Kompetenzen sind dem Niveau 2 des DQR´s zuzuordnen.
  • Im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahme sind folgende Qualifizierungsbausteine verpflichtend zu vermitteln:
    1. Speisenzubereitung und Service
    2. Reinigen und Pflegen von Räumen
    3. Reinigen und Pflegen von Textilien
  • Neben den Pflichtqualifikationen erwerben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Kompetenzen in weiteren zwei Qualifizierungsbausteinen, die aus folgenden Bausteinen gewählt werden:
    1. Gestalten von Räumen und des Wohnumfeldes
    2. Vorratshaltung und Warenwirtschaft
    3. Hilfeleisten bei Alltagsverrichtungen
  • Gegenstand der Qualifizierungsmaßnahme sind mindestens die nachfolgend aufgeführten Kompetenzen.

Beispielhaft für die zu entwickelnden Kompetenzen bilden wir hier das Qualifizierungsbild des Bausteines „Speisenversorgung und Service“: (s. Abbildung1) sowie das Qualifizierungsbild des Bausteines „Hilfeleisten bei Alltagsverrichtungen“ (s. Abbildung 2) ab. Alle weiteren Qualifizierungsbausteine folgen diesem Schema.

Abbildung 1: Qualifizierungsbild des Bausteines „Speisenversorgung und Service“ (Quelle: Die Senatorin für Finanzen 2014).Abbildung 1: Qualifizierungsbild des Bausteines „Speisenversorgung und Service“ (Quelle: Die Senatorin für Finanzen 2014).

Abbildung 2: Qualifizierungsbild des Bausteines „Speisenversorgung und Service“ (Quelle: Die Senatorin für Finanzen 2014).Abbildung 2: Qualifizierungsbild des Bausteines „Speisenversorgung und Service“ (Quelle: Die Senatorin für Finanzen 2014).

1.2 Zusatzqualifikation „Personenbezogene Dienstleistungen in Senioreneinrichtungen“ für Fachpraktiker/innen Hauswirtschaft, Niveau 3 des DQR´s

Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aus dem Jahr 2014 mit dem Titel: „Hauswirtschaft als Spiegel gesellschaftlicher Herausforderungen“ ( Wiener/Winge/Zetsche 2014) hat herausgearbeitet, dass der Hauswirtschaft eine große Verantwortung in der Benachteiligtenförderung übertragen wird, denn ca. ein Drittel aller Ausbildungen nach § 66 BBiG entfällt auf die Fachpraktikerausbildung in der Hauswirtschaft. Diese hohe Zahl von Auszubildenden überstrapaziert allerdings den Berufsstand, da die wenigsten Auszubildenden hinterher in diesem Beruf eine Beschäftigung finden.

In Bremen werden derzeit ca. 40 Fachpraktiker Hauswirtschaft pro Jahr im Berufsbildungswerk und bei zwei weiteren Bildungsträgern ausgebildet. Sie absolvieren mindestens drei kurze, intensiv betreute Praktika in unterschiedlichen Einrichtungsarten.

Obwohl die Auszubildenden durch die Praktika Einblicke in unterschiedliche Aufgabenbereiche der Hauswirtschaft erhalten, ist es für sie schwer, nach der Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Einen Arbeitsmarkt mit Zukunft bietet die Altenhilfe. Hier werden in den nächsten Jahren, bedingt durch den demografischen Wandel, Mitarbeiter aller Professionen gesucht.

Aus diesem Grund wurde in Bremen überlegt, den Auszubildenden die Möglichkeit zu geben, diesen Arbeitsbereich intensiver kennenzulernen und sich für dieses Arbeitsfeld zu spezialisieren.

Mit der Entwicklung einer Zusatzqualifikation für personenbezogene Dienstleistungen in Senioreneinrichtungen werden jungen Menschen eine Basisqualifikation für die Tätigkeit im Care-Bereich angeboten. Sie sollen sich Fertigkeiten und Kenntnisse für eine berufliche Tätigkeit im Bereich der Begleitung und Betreuung älterer Menschen aneignen. Auf der Niveaustufe 3 des DQR's sollen sie später Hilfstätigkeiten bei Versorgungs- und Betreuungsleistungen erbringen. Selbständig arbeiten können sie aber nur in einem geringen Umfang.

In Zusammenarbeit mit der zuständigen Stelle nach dem BBiG für den Bereich Hauswirtschaft, der Bundesagentur für Arbeit, den verschiedenen Bildungsträgern, dem Erwin-Stauss-Institut und durch Finanzierung durch das Integrationsamt, wurde für diese Zusatzqualifikation eine Regelung nach §9 des Berufsbildungsgesetzes für das Land Bremen erlassen.

Wie sieht die Zusatzqualifikation nun konkret aus?

Zielgruppe sind Auszubildende während ihrer Ausbildung nach § 66 BBiG. Die Teilnahme an dem Angebot ist freiwillig. Im Rahmen ihrer regulären Ausbildungszeit erlernen die Azubis mindestens drei Monate lang in einer Senioreneinrichtung die vielfältigen nicht pflegerischen Versorgungs- und Betreuungstätigkeiten, durch die sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Wohnküchen unterstützen sollen.

Darüber hinaus werden in vier Blöcken 120 Unterrichtsstunden im Bildungszentrum der Bremer Heimstiftung erteilt. Folgende Inhalte werden thematisiert (s. Tabelle 1).

Tabelle 1:     Inhalte der vier Themenblöcke im Rahmen der Zusatzqualifikation (Quelle: Die Senatorin für Finanzen 2012).

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Für einen erfolgreichen Abschluss der Zusatzqualifikation ist es erforderlich, Praxis und Theorie eng zu verzahnen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten für die Praktikumseinsätze Arbeitsaufträge, die sie praktisch ausführen und dann im nachfolgenden Unterricht besprechen und reflektieren.

Ein Beispiel: Zum Thema „Biografiearbeit“ sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort in der Einrichtung Bewohnerakten sichten, sich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Hauswirtschaft und Pflege austauschen und ihre Erkenntnisse anschließend in den Unterricht einbringen.

Diese Form des Lernens kommt der Zielgruppe sehr entgegen, da über das eigene Erleben und den Praxiserfahrungen dann auch theoretische Inhalte begreif- und verstehbar werden.

In der letzten Theoriephase finden dann auch die erforderlichen schriftlichen und mündlichen Prüfungen statt.

Die schriftliche Prüfung besteht aus einem Fragenkatalog, der sich ebenfalls an den Gegebenheiten orientiert, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Praxis vorfinden. Dabei müssen sie sowohl offene Fragen in ganzen Sätzen als auch geschlossene Fragen im Multiple-Choise-System beantworten.

In einem weiteren Prüfungsgespräch werden die Inhalte der schriftlichen Prüfungen an gezielten Fragen zur Praxiserfahrung vertieft.

Nach bestandener schriftlicher und mündlicher Prüfung erhalten die Azubis das Zertifikat der Zusatzqualifikation zusammen mit dem Abschlusszeugnis zur Fachpraktikerin/zum Fachpraktiker.

Nach Abschluss des ersten Durchganges dieser Zusatzqualifikation haben sieben von neun Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Beschäftigung erhalten. Eine Teilnehmerin hat eine weiterführende Ausbildung zur Altenpflegerin aufgenommen. Dieses Ergebnis motiviert alle Beteiligten an dem Bremer Konzept weiter zu arbeiten.

2 Praxiserfahrungen aus Sicht der Bremer Heimstiftung

Mit der Integration von jungen Menschen mit Behinderungen hat die Bremer Heimstiftung insbesondere in Wohnküchen für Demenzerkrankte sehr gute Erfahrungen gemacht.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus beiden Qualifizierungsmaßnahmen bringen ein hohes Maß an Empathie mit und können sich sehr einfühlsam auf die Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Einschränkungen einstellen. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in den Einrichtungen vorbildlich aufgenommen und schon nach kurzer Einarbeitungszeit waren sie Teil des Teams und gut in die Mitarbeiterschaft integriert.

Bedeutung der Praxis für die Ausbildung

Die Praxiseinsätze haben für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine hohe Bedeutung. In der realen Situation mit realen Bewohnern ist nichts konstruiert und gestellt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten auf ihre Arbeit ein direktes und ehrliches Feedback, das sowohl positiv als auch mal negativ ausfallen kann, aber genau daran wachsen die jungen Menschen. Es stärkt ihre Persönlichkeit und ihr Selbstwertgefühl. In den Senioreneinrichtungen sind sie Teil des Teams. Ihre Behinderungen stehen nicht im Vordergrund und werden im Berufsalltag nicht unbedingt berücksichtigt, wie es in der beschützten Umgebung der Werkstatt der Fall ist. Schwierige Situationen müssen täglich gemeistert werden, das gibt Selbstvertrauen und macht Mut neue Herausforderungen anzugehen.

Die praktischen Erfahrungen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Einrichtungen sammeln, bringen sie auch in den theoretischen Unterricht mit ein. Die Praxiserlebnisse machen es möglich, theoretische Inhalte leichter zu verstehen und die gewonnenen Erkenntnisse in den Senioreneinrichtungen umzusetzen. Diese Verknüpfung von Theorie und Praxis ist ein wertvoller Baustein der Maßnahmen, bedarf aber auch einer intensiven Begleitung und Verzahnung aller an dem Projekt beteiligten Personen.

Bedeutung für die Ausbildungsstätte

Für die Praxisstellen brachten diese Projekte zudem wertvolle neue Erkenntnisse. Wie schon erwähnt wurde immer sehr positiv heraus gestellt, dass die jungen Menschen sehr empathisch mit den Bewohnern umgegangen sind, sie sich recht gut auf die Bedürfnisse einstellen konnten und besonders die dementen Bewohnerinnen und Bewohner konnten von der emotionalen Zuwendung profitieren. Allerdings wurde auch sehr deutlich, dass sowohl die Anleiterinnen und Anleiter als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich anders auf diese Zielgruppe einstellen und neue Lehrmethoden anwenden müssen. Wenn wir einerseits sagen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind inkludiert und Teil des Teams, so müssen wir doch erkennen, dass sie dennoch ihre Einschränkungen haben und bestimmte Dinge nicht so annehmen können, wie wir das von unseren Auszubildenden oder neuen Mitarbeitern gewohnt sind. So müssen bestimmte Anweisungen häufiger oder anders erteilt werden. Unsere Anleiter benötigen für diese Zielgruppe neue Methoden der Kompetenzentwicklung, um dieser Personengruppe gerecht zu werden.

Aus diesem Grund kooperieren wir mit Studentinnen und Studenten der Hochschule Osnabrück, die für uns im Rahmen ihres Masterstudiums (Lehramt an Berufsbildenden Schulen – Teilstudium/Ökotrophologie) wertvolle Ansätze und Methoden entwickelt haben, die unseren Anleiterinnen vor Ort helfen, Arbeitsabläufe oder Tätigkeiten in einfacher Sprache zu verfassen und/oder Sachverhalte zu visualisieren. Auf jeden Fall bedarf es einer gehörigen Portion Geduld und ganz viel Einfühlungsvermögen, um die beschriebene Zielgruppe adäquat ansprechen zu können. Denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind aufgrund ihrer Vorerfahrungen und Negativerlebnisse durch ihre Behinderung teilweise sehr sensibel und sie haben oft viele private Probleme, die teilw. die betriebsbedingten Anforderungen überlagern. Das führt zu spontanen Fehlzeiten oder Kurzschlusshandlungen (z. B. Abbruch der Maßnahme), die schnellstens sozialpädagogisch aufgearbeitet werden müssen.

Rahmenbedingungen

Speziell die Qualifizierungsmaßnahme für Menschen mit Behinderungen hat noch den Versuchsstatus. Hier müssen auf jeden Fall noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Sollte es gelingen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den ersten Arbeitsmarkt zu inkludieren, besteht die Gefahr, dass sie ihren Werkstattstatus verlieren. Dies hätte erhebliche finanzielle Konsequenzen und Nachteile im Rentenerwerb zur Folge. Diese Problematik versucht man derzeit politisch zu lösen, indem an einem persönlichen Budget für Menschen mit Behinderungen gearbeitet wird. Das ist jedoch noch Zukunftsmusik.

Gleichfalls ist die gesellschaftliche Akzeptanz noch zu verbessern. Nicht überall wird akzeptiert, dass Menschen mit Behinderungen in ganz normale Arbeitsprozesse eingegliedert werden. Auch die Kunden der Bremer Heimstiftung mussten darauf eingestellt werden und eine gute Informationspolitik kann da sehr hilfreich sein.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus beiden Programmen bleiben auch nach der Qualifizierung Hilfskräfte. Das heißt, dass sie weiterhin unter Anleitung tätig sein werden. Für den Einsatz in den Wohnküchen bedeutet das, dass auch die betrieblichen Rahmenbedingungen angepasst werden müssen. Derzeit ist es über den Pflegesatz nicht möglich, mehr als eine Person pro Schicht in den Hausgemeinschaften zu beschäftigen. Da die Absolventen unserer Qualifizierungsmaßnahmen jedoch nicht eigenverantwortlich arbeiten können, wird es schwer werden, Arbeitsplätze für sie zu schaffen, sofern nicht über die Pflegesatzkalkulation diese Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Außerdem benötigen wir deutlich mehr Fachkräfte in der Hauswirtschaft, die die Anleitung von lernschwachen Menschen oder Menschen mit Behinderungen übernehmen und sie begleiten können.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass in den letzten Jahren die Ausbildungszahlen für den Bereich der Hauswirtschafterin deutlich zurückgehen, obwohl die Bedarfe gerade vor dem Hintergrund der Inklusionsbestrebungen steigen. Weiterhin ist festzustellen, dass laut Auswertungen der Kammerprüfung auch das Niveau der Hauswirtschafterinnen und Hauswirtschafter in Bremen sehr niedrig und die Schwelle zur Lernbehinderung fließend ist. Häufig wollen sich Menschen nicht eingestehen, dass sie Einschränkungen haben (vgl. Die Senatorin für Finanzen 2015). Auch diese Zielgruppe muss von qualifizierten Ausbildern aufgefangen werden. Aufgrund der hier dargestellten Schwierigkeiten kann sich zudem das seit Jahren schlechte Image der Hauswirtschaft kaum verbessern.

Die „Verbleibstudie“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie hat diesen Eindruck bestätigt und spricht zur Verbesserung der Akzeptanz des Berufsbildes Empfehlungen aus, die sich unter anderem auf verbesserte Kommunikationswege und intensivere Netzwerkarbeit der Verbände beziehen (vgl. Wiener/Winge/Zetsche 2014). Hierdurch sollte sich die professionelle Hauswirtschaft in der Öffentlichkeit in seiner Vielfalt positiver darstellen und somit die Marktchancen der Absolventinnen und Absolventen erhöhen.

Literatur

BBiG – Berufsbildungsgesetz (2005): §66 Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen. Online: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bbig_2005/gesamt.pdf (29.06.2015).

dgh – Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft e.V. (2012): Die hauswirtschaftlichen Berufe im Deutschen Qualifikationsrahmen. Online: www.dghev.de/files/dgh_DQR_Berufe_der_Hauswirtschaft_Langfassung.pdf (29.06.2015).

Die Senatorin für Finanzen (2012): Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen vom 10. Juli 2012, Nr. 53. Regelung nach § 9 Berufsbildungsgesetz über die Zusatzqualifikation – Personenbezogene Dienstleistungen in Senioreneinrichtungen – für die Ausbildungsregelungen „Fachpraktikerin/Fachpraktiker Hauswirtschaft“ und „Hauswirtschaftshelferin/Hauswirtschaftshelfer“. Bremen. Online: http://www.finanzen.bremen.de/sixcms/media.php/13/ABl_2012_07_10_Nr_053_Ausbildungsregelung%20Hauswirtschaft.pdf (29.06.2015).

Die Senatorin für Finanzen (2014): Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen vom 20. Februar 2014, Nr. 34. Regelung nach § 9 Berufsbildungsgesetz (BBiG) über den Erwerb von hauswirtschaftlichen Kompetenzen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung nach § 136 SGB IX – Qualifizierungsbausteine zugeordnet dem Niveau 2 im Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmen. Bremen. Online: https://ssl.bremen.de/senatskanzlei/sixcms/media.php/13/2014_02_20_ABl_Nr_0034_Regelung+hauswirtschaftl+Kompetenz_signed.pdf (29.06.2015).

Die Senatorin für Finanzen (2015): Ergebnisse der Abschlussprüfung (Herbst 2012/2013 – Herbst 2014/2015).

HwO – Handwerksordnung (2005): § 42m Siebenter Abschnitt, Berufliche Bildung behinderter Menschen, Berufsausbildungsvorbereitung. Online: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/hwo/gesamt.pdf (29.06.2015).

SGB IX – Neuntes Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (2015): § 136 Begriff und Aufgaben der Werkstatt für behinderte Menschen. Online: http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbix/136.html (29.06.2015).

Wiener, B./Winge, S./Zetsche, I. (2014): Hauswirtschaft als Spiegel gesellschaftlicher Herausforderungen, Analyse des Berufsfeldes, Profilschärfung und Neupositionierung der Professionalisierung. Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Halle. Online: http://141.48.2.28/Download/zshDownload_HWbrosch_FB14_3.pdf (29.06.2015).

Zitieren des Beitrags

Boldajipour, S./Böttjer, M. (2015):„Mittendrin statt nur dabei“- Inklusive Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen. In: bwp@ Spezial 9 – Fachtagung Ernährung und Hauswirtschaft – Herausforderungen und Chancen zwischen Heterogenität, Inklusion und Profilbildung, hrsg. v. Kastrup, J./Kettschau, I./Martin, M./Nölle, M./Hoff, A., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/spezial9/boldajipour_boettjer_ernaehrung-hauswirtschaft-2015.pdf (01.09.2015).