bwp@ Spezial 9 - September 2015

Fachtagung Ernährung und Hauswirtschaft – Herausforderungen und Chancen zwischen Heterogenität, Inklusion und Profilbildung

Hrsg.: Julia Kastrup, Irmhild Kettschau, Michael Martin, Marie Nölle-Krug & Anna Hoff

Herausforderungen und Chancen von Inklusion an beruflichen Schulen in Bayern – Perspektivwechsel in der Lehrerbildung

Der demografische Wandel, eine starke Konjunktur und ein verändertes Berufswahlverhalten sind Aspekte zunehmend heterogenerer Schülergruppen an beruflichen Schulen. Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist die Möglichkeit, eine Vollausbildung im dualen System zu absolvieren, gestiegen. Für die Lehrkräfte an beruflichen Schulen wird es immer mehr zur Aufgabe, Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf in den unterschiedlichen Bereichen zu fördern und adäquat zu beschulen. Dementsprechend müssen Ausbildungsangebote angehende Lehrkräfte im beruflichen Lehramt auf diese Situation vorbereiten. Dieser Artikel befasst sich daher mit der inklusiven beruflichen Bildung in Bayern und zeigt Ansätze für eine kompetenzorientierte Lehrerbildung auf.

1 Der bayerische Weg der Inklusion an beruflichen Schulen

Mit der Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) und ihrer Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland trat 2009 das „Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen“ in Deutschland in Kraft (vgl. Bundesgesetzblatt 2008 Teil II Nr. 35).

Artikel 24 der UN-Konvention „Bildung“ umfasst dabei das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Die Vertragsstaaten verpflichten sich zur Einrichtung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen. In Absatz 5 wird die Umsetzung für alle Phasen des Lernens beschrieben. „Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden“ (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen 2014, 37).

Die Umsetzung im bayerischen Schulsystem erfolgte mit der Aktualisierung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) im Jahr 2011. In Artikel 2, Absatz 2 wird Inklusion als Aufgabe aller Schulen benannt (vgl. Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen 2000).

In Bayern wird parallel zum Regelschulsystem das Förderschulsystem beibehalten. Ziel ist es, den besten Förderort für das Kind auswählen zu können. Die Entscheidung an allgemeinbildenden Schulen liegt bei den Eltern.

Im beruflichen Schulwesen bleiben neben den Regelberufsschulen die Berufsschulen zur sonderpädagogischen Förderung bestehen. In insgesamt 47 Berufsschulen zur sonderpädagogischen Förderung (BS SFP) mit insgesamt sieben Förderschwerpunkten erlernen Schüler eine Vielzahl von Ausbildungsberufen. Die Besonderheit ist, dass an BS SFP zusätzlich Berufe nach der Regelung § 66 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) erlernt werden können. Die sogenannten theorieentlasteten Berufe – früher auch Werkerberufe genannt – beachten die eingeschränkten Möglichkeiten von Schülerinnen und Schülern mit Förderschwerpunkten.

Zur Umsetzung der Inklusion hat das bayerische Staatsministerium die Zusammenarbeit der Schulen gesetzlich im BayEUG geregelt. „Ein sonderpädagogischer Förderbedarf begründet nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schulart“ (Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen 2000, Artikel 30a). Damit können an allen Schularten Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam unterrichtet werden. Als einen weiteren Punkt lässt sich daraus ableiten, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf ihre Ausbildung sowohl an Förderberufsschulen als auch an Regelberufsschulen absolvieren können. Das Gesetz ermöglicht zudem mehrere kooperative Lernformen zur Umsetzung der Inklusion. Folgende Formen des kooperativen Lernens sind dabei möglich:

  • Kooperationsklassen: In diesen Klassen der Berufsschulen werden Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf dauerhaft gemeinsam unterrichtet. Stundenweise Unterstützung erhält die Regelberufsschule durch die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste (MSD). Im MSD arbeiten Sonderpädagogen außerhalb des Förderzentrums. Der MSD berät die Lehrkräfte, wirkt in Form von Teamteaching gemeinsam mit den Lehrkräften in der Klasse, gibt individuelle Unterstützung für einzelne Schülerinnen und Schüler und führt diagnostische Maßnahmen durch, um Förderbedarfe zu ermitteln.
  • Partnerklassen: Klassen der Förderberufsschule kooperieren mit einer Klasse der Regelberufsschulen. Ziel ist ein gemeinsamer, regelmäßiger lernzieldifferenter Unterricht in einzelnen Unterrichtsfächern. In offenen Klassen der Förderberufsschulen können Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf aufgenommen werden. Der Unterricht erfolgt während der gesamten Lehrzeit gemeinsam.

Zusätzlich ist in Artikel 30 b festgeschrieben, dass die inklusive Schulentwicklung Aufgabe aller Schulen ist (vgl. Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen 2000, Artikel 30b). Schulen, die Inklusion bereits umsetzen, können sich für das Schulprofil Inklusion bewerben. Eine Übersicht gibt das Staatsministerium auf der Internetseite bekannt (weiterführend http://www.km.bayern.de/ministerium/schule-und-ausbildung/inklusion.html).

Umfangreiche Maßnahmen wurden vom Kultusministerium aufgelegt, um Inklusion in der schulischen Praxis zu gestalten. Die zentralen Elemente bilden dabei ein vielgliedriges Unterstützungssystem wie z.B. Schulbegleiter und Mobiler Sonderpädagogischer Dienst, der wissenschaftliche Beirat, der Leitfaden für Inklusion und das Modellprojekt „IBB – Inklusive berufliche Bildung in Bayern“ (s. Abbildung 1).

Abbildung 1 MieseraAbbildung 1: Inklusion in Bayern umsetzen (eigene Darstellung)

Die Regelberufsschulen werden bei ihrer Aufgabe durch eine Vielzahl von Unterstützungssystemen begleitet. Neben Schulbegleitern unterstützen Förderschulen Regelberufsschulen mit dem mobilen Sonderpädagogischen Dienst (MSD).

Der wissenschaftliche Beirat „Inklusion“ wurde durch den Bayerischen Landtag beauftragt. Zu seinen Mitgliedern zählen: Prof. Dr. Erhard Fischer und Prof. Dr. Reinhard Lelgemann (Julians-Maximilians-Universität Würzburg) sowie Prof. Dr. Ulrich Heimlich und Prof. Dr. Joachim Kahlert (Ludwig-Maximilian-Universität München). Unter der Leitung des wissenschaftlichen Beirates werden regelmäßig Berichte zum Stand der Inklusion in Bayern verfasst. Zusätzlich hat der Beirat den Leitfaden „Profilbildung inklusive Schule“ herausgegeben (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2012a, 19ff.).

In diesem Leitfaden wird auch ein Mehrebenenmodell für inklusive Schulentwicklung vorgestellt (s. Abbildung 2).

Abbildung 2: Mehrebenenmodell für inklusive Schulentwicklung (eigene Darstellung, in Anlehnung an Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2012a)Abbildung 2: Mehrebenenmodell für inklusive Schulentwicklung (eigene Darstellung, in Anlehnung an Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2012a)

Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle das bereits erwähnte Modellprojekt „IBB“. Unterstützt durch die Stiftung Bildungspakt Bayern beinhaltet das Projekt die Erarbeitung von Konzepten zur inklusiven Beschulung/Förderung bestimmter Berufe/Berufsgruppen in Zusammenarbeit mit den jeweiligen berufsbildenden Schulen. Die Umsetzung erfolgt dabei in Form von sog. Tandem Modellen (vgl. Stiftung Bildungspakt Bayern 2015).

2 Modellprojekt IBB – Inklusive berufliche Bildung in Bayern

Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst in Bayern hat seit dem Schuljahr 2012/13 das Modellprojekt „Inklusive berufliche Bildung in Bayern“ eingeführt. Neun Schultandems der allgemeinen Berufsschulen bzw. Berufsfachschulen und der Berufsschulen zur sonderpädagogischen Förderung erarbeiten in einem Zeitraum bis 2016 zusammen Konzepte zur Beschulung von Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf, um diese zur Vollausbildung des jeweiligen Berufes zu führen. Der Schwerpunkt liegt bei der Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sozial-emotionalem Förderbedarf und dem Förderschwerpunkt Lernen. Die Ziele sind, die „Förderkompetenz“ der Lehrkräfte an Regelberufsschulen zu stärken, Schülerinnen und Schülern mit erhöhtem Förderbedarf ebenfalls die Möglichkeit der Vollausbildung zu geben und durch die gezielte individuelle Unterstützung sowohl ein höheres fachliches als auch ein höheres allgemeines Kompetenzniveau erreichen zu können.

Abbildung 3: Schultandems Modellprojekt IBB (Stiftung Bildungspakt Bayern 2015)Abbildung 3: Schultandems Modellprojekt IBB (Stiftung Bildungspakt Bayern 2015)

Die pädagogische und konzeptionelle Feinplanung bleibt den einzelnen Schultandems vorbehalten. Durch die Vernetzung der unterschiedlichen Schularten, mit jedoch dem gleichen beruflichen Ziel – der Erlangung der beruflichen Handlungskompetenz – können wertvolle Synergien genutzt werden. So bietet beispielsweise die Berufsschule im Rahmen der schulischen Ausbildung die erforderliche fachliche Tiefe, aber auch für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Möglichkeit, eine stufenweise Eingliederung in das Regelschulsystem sicher zu stellen. Der Tandempartner mit dem förderpädagogischen Schwerpunkt kann durch sonderpädagogische Methoden und diagnostische Verfahren eine gezielte Begleitung der Schülerinnen und Schüler bereitstellen. Gemeinsame Unterrichtseinheiten von Berufsschullehrkräften zusammen mit Sonderpädagogen bieten ein optimales Unterstützungsangebot sowohl für die Schülerinnen und Schüler als auch für einen konstruktiven kollegialen Austausch auf den verschiedenen Ebenen der Unterrichtsplanung und -durchführung. Gerade dem Aspekt der Differenzierung kann durch engmaschige Absprachen im Lehrerteam Rechnung getragen werden. Grundlage für kollegiale Unterrichtsphasen und die genaue Einordnung der Schülerinnen und Schüler bezüglich ihres Leistungsniveaus (Formulierung von Förderplänen) sind im Idealfall wöchentliche Absprachen im Klassenteam.

3 Konsequenzen aus dem Modellprojekt aus schulischer Sicht

Im Rahmen des ersten Jahres des Modellprojektes konnten auf organisatorischer und unterrichtlicher Ebene in den Schultandems unterschiedliche Konsequenzen abgeleitet werden. Zur Differenzierung und der pädagogischen Betreuung von heterogenen Schülergruppen erwies sich beispielsweise die Einführung des Klassenleiterprinzips in der Berufsschule als hilfreich. Weitere Rückmeldungen zeigten, dass diagnostische Elemente wie die systematische Beobachtung, Lernexperimente, Lern-, Leistungs- und Entwicklungstest, Befragungsstudien der Schülerinnen und Befragung Dritter (z. B. Ausbilder) der individuellen Förderung dienlich waren (vgl. Lienhauer-Tuggener/Joller-Graf/Mettauer-Szaday 2011, 120). Gerade diese Instrumente bedürfen Zeit und konnten in der 45 Minuten Unterrichtseinheit nicht realisiert werden.

Selbstorganisierte Unterrichtsphasen, in denen der Handlungsfreiraum der Schülerinnen und Schüler vergrößert wird, unterstützen positiv gruppendynamische Prozesse und können den Anforderungen der heterogenen Klassenstrukturen besser gerecht werden. Der Lehrer bzw. die Lehrerin stößt geplante Lern- und Lehrprozesse an, kontrolliert die fachliche Richtigkeit während der Arbeitsphasen und legt bewusst Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler, dass diese ergebnisoffen ihren Lernprozesse abschließen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen und Perspektiven der einzelnen Schülergruppen können zu einer Bereicherung bei der Ergebnisvielfalt führen.

Je nach Ausbildungsjahr wählen die Schülerinnen und Schüler in kleinen Teams selbstständig die Art und Weise der Problemlösung. Die Art und Weise steigt mit zunehmendem Ausbildungsjahr und durch Einübung der zugrundeliegenden Methoden des selbstorganisierten Lernens Methodik (vgl. Eder 2015). Schülerinnen und Schüler mit förderpädagogischem Handlungsbedarf ermöglicht das selbstorganisierte Lernen es, die Lernzeit Outcome orientiert umzuwandeln und hier individuelle Lernergebnisse zu erreichen (vgl. Mittendrin 2012, 64).

Wichtige Erfahrungen einzelner Schulen sind, dass die herkömmliche Lern- und Lehrdokumentation im inklusiven Unterricht überdacht werden sollte. In Zeiten der Digitalisierung bieten sich Lernplattformen an. Hier können jederzeit die Unterrichtsinhalte nachgelesen, aber auch komplexe Handlungsprodukte aus selbstorganisierten Unterrichtseinheiten abgebildet werden. Das Einführen von Feedback-Phasen für die Schülerinnen und Schüler auf fachlicher, aber auch auf sozial-emotionaler Ebene, dokumentiert den Kompetenzzuwachs. Als Dokumentationsinstrument könnte auch hier eine, für die Klasse erstellte Lernplattform auf moodle Basis dienen und prozessbegleitendes Lernenbekäme somit eine grundlegende Bedeutung.

Die Bedeutung von Inklusion im Rahmen von Unterricht beinhaltet somit, dass für jeden Schüler bzw. für jede Schülerin, die seinem bzw. ihrem Förderbedarf entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stehen und zwar nicht als Sonderrechte für Einzelne, sondern als gleiche Rechte für alle durch die Unterstützung des Lehrerteams (vgl. Mittendrin 2012, 346).

Es zeigt sich bereits während des Modellprojektes, dass der zentrale Schlüssel zur Inklusion an Schulen Wertschätzung, Teamfähigkeit, Motivation und daraus resultierende Leistungen sind. Der respektvolle Umgang zwischen den beteiligten Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern ruft ein lernförderliches Klima und offenes Kommunizieren hervor. Mit Mut, Offenheit und wertschätzender Haltung ist Veränderung und damit Inklusion möglich. Neben der Grundhaltung der Wertschätzung brauchen Lehrkräfte weitere Kompetenzen, wie z. B. Möglichkeiten der pädagogischen Diagnostik und Methoden für differenzierenden Unterricht, um heterogene Schülergruppen zum erfolgreichen Schulabschluss zu führen.

4 Bestandsaufnahme und Ausblick

In einer bayernweiten Befragung zur Inklusion durch den Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. (BLLV) wurden von den Befragten diesbezügliche Probleme, Wünsche und Forderungen herausgestellt. Die knapp 1500 Lehrkräfte kamen bis auf wenige Ausnahmen alle aus den allgemeinbildenden Schulen. 1/3 der Befragten unterrichtete Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf. Als Problembereiche werden die mangelnden Vorkenntnisse, die fehlenden Ausbildungs- und Fortbildungsangebote und die als ungenügend erlebte Unterstützung genannt. Als wichtige Forderungen und Wünsche werden organisatorische Rahmenbedingungen wie Verkleinerung der Klassen, Teamteaching und zusätzliche Differenzierungsstunden von über 80 % der Befragten angeführt. Im Bereich der Aus- und Fortbildung meldeten die Befragten einen hohen Bedarf an. Konkrete Wünsche sind daher: Die Anleitung von individuellen Fördermaßnahmen für SuS und Umsetzung von Teamunterricht in inklusiven Klassen (vgl. BLLV 2012, 4ff.).

Derzeit läuft eine Studie, die sich mit Chancen und Widerständen beim Thema Inklusion an beruflichen Schulen befasst. Es werden Studierende, Referendare und Lehrkräfte zu ihren Erfahrungen und Einstellungen zur Inklusion befragt. Wichtige Fragestellungen der Arbeit sind die Übertragbarkeit der Ergebnisse zur Inklusion aus anderen Schularten auf die speziellen Bedingungen der beruflichen Schulen, die Rahmenbedingungen für gelingende Inklusion an beruflichen Schulen, Inklusion und Schulentwicklung und die Anforderungen an die Lehrerbildung.

5 Lehrerbildung und Inklusion

Die neuen Anforderungen an pädagogische Diagnostik und individuelle Förderung verändern den Unterrichtsalltag der Berufsschule und damit den Arbeitsalltag von Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrern. Die Bedeutung des Umgangs mit Diversität und Heterogenität für die Lehrerbildung wurde u. a. von der Hochschulrektorenkonferenz festgehalten (vgl. HRK und KMK 2015) Die KMK Standards für die Lehrerbildung (2014) wurden um die Themen Diversität und Heterogenität, Differenzierung, Integration und Förderung erweitert und der Themenkomplex inklusiver Unterricht in Fachdidaktik und in der Erziehungswissenschaft als neuer Prüfungsbereich eingeführt (vgl. LPO I Jahr). In der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus von 2012 wird die zentrale Bedeutung der Qualifizierung der Lehrkräfte zum Thema Inklusion benannt (vgl. Bayerische Staatsministerien für Unterricht und Kultus und Wissenschaft, Forschung und Kunst 2012b, 338).

Die verschiedenen Träger der Lehrerbildung gestalten Lehrformate in allen drei Phasen der Lehrerbildung. In der ersten Phase der Lehrerbildung für das berufliche Lehramt an der Technischen Universität München werden Lehrveranstaltungen zum Thema Inklusion angeboten. In fächerübergreifenden Wahlfächern für Studierende der beruflichen Lehrämter lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Konzepte inklusiver Didaktik kennen. Schwerpunktthemen sind: Anforderungen an eine veränderte Lehrerrolle durch das inklusive Unterrichtssetting erkennen; Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit u. a. im Teamteaching kennenlernen und methodisch-didaktische Konzepte für individualisierten Unterricht beobachten und bewerten. Die Themen werden im Austausch mit beruflichen Lehrkräften, Sonderpädagogen und Schulpsychologen bearbeitet. Die Studierenden analysieren inklusive Unterrichtssettings vor Ort und entwickeln anhand der analysierten Situationen fachspezifische inklusive Unterrichtssituationen. Geförderte Kompetenzen sind neben dem Kennenlernen von länderübergreifenden Inklusionskonzepten, das kritische Reflektieren der Eignung der Konzepte für den berufsspezifischen schulischen Einsatz. Die besonderen Herausforderungen für Lehrkräfte gilt es zu erkennen und Lösungskonzepte für die schulische Arbeit zu entwickeln. Insgesamt werden Chancen und Risiken der Inklusion an beruflichen Schulen abgewogen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlernen erste Ansätze, um Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen kognitiven Voraussetzungen gezielt mit individuellen Konzepten zu fördern. In Kooperation mit drei Förderberufsschulen werden neben Unterrichtshospitationen Ansätze einer inklusiven beruflichen Didaktik diskutiert. Im Rahmen von Masterarbeiten findet eine vertiefte Beschäftigung der Studierenden mit dem Thema Inklusion statt.

Seit 2012-2013 bietet das Studienseminar berufliche Schulen im ersten Ausbildungsjahr je einen Modultag „Pädagogisch diagnostizieren und individuell fördern“ an. Im zweiten Ausbildungsjahr findet ein Modultag „Inklusion“ statt. Das zweite Ausbildungsjahr des Vorbereitungsdienstes ist für Referendare mit Erstfach Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft in einer Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung im Rahmen des Modellversuchs möglich.

Begleitend zum Modellprojekt von 2012-2016 werden von der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen regelmäßig Fortbildungen zur inklusiven beruflichen Bildung durchgeführt. Lehrkräfte der Tandemschulen erweitern ihre Kompetenzen in den Themenfeldern einer inklusiven Methodik und Didaktik. Ergänzend finden regionale und schulinterne Fortbildungen statt.

6 Fazit

Inklusion im Bildungssystem braucht qualifizierte Lehrkräfte. Weitere Untersuchungen werden zeigen, welche Konzepte für eine profilierte und zukunftsorientierte Lehrkräfteausbildung in Deutschland erfolgreich sind. Zielführend ist nach aktuellem Wissensstand eine Inklusive Didaktik in allen Phasen der Lehrerbildung zu implementieren. Es gilt vor allem im didaktisch-methodischen Bereich umfangreiche Kompetenzen auszubilden. In universitären Seminaren sind in enger Kooperation mit Berufsschulen, gezielt Unterrichtseinheiten im Rahmen der derzeit aktuellen Lern-und Lehrauffassung vorzubereiten, durchzuführen und zu evaluieren. Hier können gemeinsam inhaltliche, didaktische und pädagogische Grundsätze erarbeitet und in den Schulalltag in Kooperation mit den Lehrkräften implementiert werden. Die Kompetenzorientierung im Unterricht und damit eng verbunden das selbstorganisierte Lernen ist auch das Ziel eines reflektierten didaktischen-methodischen Handelns in heterogenen Klassen. Jedes Lehrformat muss beachten, dass in einem inklusiven Schulsystem der einzelne Schüler bzw. die einzelne Schülerin mit seinen bzw. ihren individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt einer sinnvollen pädagogischen Diagnostik und einer darauf abgestimmten individuellen Förderung steht.

Literatur

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Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2012a): Profilbildung inklusive Schule – ein Leitfaden für die Praxis. München.

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus und Wissenschaft, Forschung und Kunst (2012b): Amtsblatt Nr. 21.

Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (2014): Berufs- und Studienorientierung an bayerischen Schulen. München.

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BayEUG – Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (2000). München.

BBiG – Berufsbildungsgesetz (2005): Online: http://www.gesetze-im-internet.de/bbig_2005/ (09.06. 2015).

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BLLV – Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. (2012): Inklusion an Bayerns Schulen –Lehrerbefragung. München.

Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil II Nr. 35, (2008): Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Bonn.

Eder, A. (2015): Die Einführung des Lernfeldkonzepts im landwirtschaftlichen Berufsschulunterricht in Bayern – längst überfällig!?, voraussichtlich veröffentlicht in B&B, August 2015.

HRK/KMK – Hochschulrektorenkonferenz und Kultusministerkonferenz/Kultusministerkonferenz (2015): Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt. Online: http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2015/2015-03-18_KMK_HRK-Text-Empfehlung-Vielfalt.pdf (07.07.2015).

km.bayern – Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2009): Die bayerische Förderschule. München.

KMK – Kultusministerkonferenz (2010): Pädagogische und rechtliche Aspekte der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – VN-BRK) in der schulischen Bildung. Bonn.

Lienhauer-Tuggener,P./Joller-Graf, K./Mettauer-Szaday, B.(2011): Rezeptbuch schulische Integration, auf dem Weg zu einer inklusiven Schule. Bern; Stuttgart; Wien.

Mittendrin e.V. (2012): Eine Schule für alle; Inklusion umsetzen in der Sekundarstufe. Mühlheim a. d. Ruhr.

Stiftung Bildungspakt Bayern(2015): Ein Schulversuch – Inklusive berufliche Bildung (IBB). München.

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Convention on the Rights of Persons with Disabilities (CRPD) (2006): Resolution 61/106 der Generalversammlung der UNO. In Kraft getreten am 03.05.2008. Bonn.

Zitieren des Beitrags

Miesera, S. (2015): Herausforderung und Chance der Inklusion an berufsbildenden Schulen in Bayern – Perspektivwechsel in der Lehrerbildung. In: bwp@ Spezial 9 – Fachtagung Ernährung und Hauswirtschaft – Herausforderungen und Chancen zwischen Heterogenität, Inklusion und Profilbildung, hrsg. v. Kastrup, J./Kettschau, I./Martin, M./Nölle, M./Hoff, A., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/spezial9/miesera_ernaehrung-hauswirtschaft-2015.pdf (01.09.2015).