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bwp@ Ausgabe Nr. 17 | Dezember 2009
Praxisphasen in beruflichen Entwicklungsprozessen
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 17 sind Tade Tramm, H.-Hugo Kremer & Bernadette Dilger

Fachdidaktische Innovationen in der Lehramtsausbildung zur Intensivierung von Lehr-/ Lernprozessen in Theorie und Praxis

Beitrag von Ilona EBBERS, Claudia KRÄMER-GERDES, Christiane SCHÜRKMANN (Universität Siegen, ZöBiS)

Abstract

Im Zuge der Umstellung der Lehramtsausbildung auf Bachelor- bzw. Masterstudiengänge wird eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis sowie von Fachwissenschaft und Fachdidaktik gefordert, um den Balanceakt der Aneignung fachlicher Polyvalenz einerseits und unterrichtsrelevantem Fachwissen andererseits zu vollziehen. Vor diesem Hintergrund ist das Lehramtsstudium ein wichtiger Teil des beruflichen Sozialisationsprozesses, in dem Möglichkeiten zur Reflexion des Rollenverständnisses sowie zum Sammeln persönlicher Praxiserfahrungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Ziel des Beitrages ist es, sowohl theoretische Begründungen für den Entwurf innovativer Ansätze zur Verbesserung der Handlungskompetenz beziehungsweise Interaktionsfähigkeit der angehenden Lehrer und Lehrerinnen aufzuzeigen als auch anhand des Beispiels eines didaktischen Seminars im Bereich Wirtschaftswissenschaften am Zentrum für ökonomische Bildung an der Universität Siegen eine mögliche Erprobungsform vorzustellen. Der konzeptionelle Entwurf untersucht, welchen Beitrag die Videografie in der Lehramtsausbildung für die Reflexion des eigenen Handelns und zur Professionalisierung auch im Hinblick auf die Vermittlung von schulrelevantem Ökonomiewissen leisten kann. Es soll erörtert werden, in wieweit die aufgezeichneten Unterrichtssequenzen den Studierenden helfen können, ihre angewendeten Interaktionsstrategien zu identifizieren, zu reflektieren und im Hinblick auf zukünftiges Handeln in der Lehrerrolle zu modifizieren.


Subject-didactic innovations in teacher training on the intensification of teaching and learning processes in theory and practice

The teacher training degree is an important component of the professional socialisation process in which possibilities for reflection on subject knowledge and on didactic competences, on the understanding of their role, as well as collecting personal practical experiences, is becoming increasingly important. Against this background a stronger dovetailing of theory and practice as well as of subject knowledge and subject didactics is necessary. The aim of the paper is, on the one hand, to show the theoretical reasons for designing innovative approaches to improve the competence of action, that is, the interactive skills, of the trainee teachers, as well as to present a possible way of testing it using the example of a didactic seminar in the field of Economics at the Centre for Economics Education at the University of Siegen. The conceptual outline examines the potential contribution that can be made by videoing in teacher training for the reflection of one’s own actions and for professionalisation with regard to imparting economics knowledge that is relevant to school. It aims to discuss the extent to which the recorded teaching sequences can help the students to identify the interaction strategies they used, to reflect on them and to develop them further with regard to their future actions in the role of teacher. Firstly, the innovative seminar concept is presented with its focus on the dovetailing of theory and practice. Following this, the significance of videoing for the identification and reflection of professional actions is assessed with reference to theoretical foundations of professional socialisation and social interaction. In the penultimate section the content and the didactic preparation of the planned testing are described. This includes dealing with the expected consequences for the students with regard to the learning potential of this format of session through the use of videoing.

 

1 Innovative Ansätze in der Lehramtsausbildung im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich

Das Lehramtsstudium wird von den Autorinnen als Teil eines Professionalisierungsprozesses verstanden, in dem es für die angehenden Lehrer und Lehrerinnen von großer Bedeutung ist, dass sie ihre Motivationslagen, ihr Rollenverständnis und ihre persönlichen Erfahrungen reflektieren können. Als Professionalisierung wird hierbei allgemein die kontinuierliche Verbesserung der eigenen Reflexions- und Handlungskompetenz verstanden sowie die kontinuierliche Arbeit an persönlichen Entwicklungsaufgaben (vgl. MEYER 2007, 84). Dazu gehört auch der bewusste Umgang mit widersprüchlichen Erwartungen an die Lehrerrolle, wenn es im Unterricht darum geht zu entscheiden, auf Kooperation zu setzen oder zu befehlen, Grenzen zu ziehen oder Freiheiten zu bieten sowie Nähe herzustellen oder eher distanziert zu sein (vgl. MEYER 2007, 87).

Neben der fachlichen Kompetenz ist die fachdidaktische Kompetenz unverzichtbar für die Ausübung des Lehrerberufs. Möglichkeiten, beide Kompetenzen zusammen in der Praxis möglichst früh einzusetzen und aufzubauen, gibt es bislang jedoch selten. In den Curricula sind Modelle für eine erfolgreiche Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen im späteren Berufsfeld noch nicht in ausreichendem Maße verankert. Die Frage, was professionelles Lehrerhandeln ausmacht, wird im Wesentlichen kognitiv und theoretisch erarbeitet und zu wenig persönlich erlebt und nachvollzogen. Mit Hilfe innovativer Lehr-/Lernformen können dagegen theoretisches Wissen und praktisches Know-how miteinander verbunden werden. Dazu ist es unerlässlich, dass Theorie und Praxis stärker verzahnt werden und Lehramtsstudierende intensiver die Möglichkeit bekommen, real Unterricht zu gestalten und dieses Geschehen zu reflektieren.

Das neu konzipierte wirtschaftsdidaktische Seminar beschäftigt sich inhaltlich mit der Fragestellung, wie die Thematik der unternehmerischen Selbstständigkeit und Existenzgründung an allgemein- und berufsbildenden Schulen gelehrt und gelernt werden kann. Diese Frage ist keineswegs neu, sie kann aber noch nicht als zufriedenstellend beantwortet gelten. Die Antwort darauf steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der institutionellen Einbettung des Themas in die Lehramtsausbildung. Diese muss auch berücksichtigen, wie die Thematik im jeweiligen Unterricht umgesetzt werden kann. Während berufsbildende Schulen sich dem Thema im Bereich der BWL bereits vermehrt geöffnet haben, sieht es so aus, als sei es an allgemeinbildenden Schulen beispielsweise im Bereich der Sozialwissenschaften[1] noch ein unbestelltes Feld, da die Rahmenlehrpläne neben einer allgemeinen Berufsorientierung keine explizite Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Möglichkeiten der unternehmerischen Selbstständigkeit vorsehen. Hierbei geht es jedoch nicht nur um die ökonomischen Inhalte, sondern auch um die Vermittlung von persönlichen und sozialen Fähigkeiten.

Die Studierenden des zu erprobenden Seminars befinden sich im Hauptstudium und repräsentieren genau diese Fächergruppen mit dem Ziel zukünftig Sozialwissenschaften an Gymnasien, Real- und Hauptschulen oder Wirtschaft am Berufskolleg[2] zu unterrichten.

Im Hinblick auf eine erfolgreiche Integration des Themas weist WEBER darauf hin, dass bei den Lehramtsstudierenden einerseits zunächst ein gewisses Problembewusstsein erzeugt werden muss und andererseits auch Anknüpfungspunkte in den akademischen Strukturen des Lehramtsstudium identifiziert und bzw. entwickelt werden müssen. Dazu gehört auch die Einbeziehung der Schulen als Kooperationspartner (vgl. WEBER 2002, 3 f.). Für die Erprobung konnten sowohl ein Gymnasium als auch ein Berufskolleg in Siegen gewonnen werden. Die Studierenden werden in zwei Gruppen à sechs Personen einmal pro Woche über einen Zeitraum von sieben Wochen mit jeweils einem elften Jahrgang dieser Schulen zusammenarbeiten.

Das Ziel des Seminars ist es, dass die Studierenden sowohl persönliche und für die Schule umsetzbare fachliche Kompetenzen aufbauen als auch ihre Vermittlungskompetenz und Interaktionsfähigkeit in der Realität erproben und somit persönliche Praxiserfahrungen gewinnen. In diesem Zusammenhang bietet sich der Einsatz von handlungsorientierten Lehr-/Lernkonzepten an, die es ermöglichen dieses neue Themengebiet zu explorieren und dabei gleichzeitig die Umsetzung im Schulunterricht berücksichtigen. Eine Methode, die die Reflexion des Unterrichtsgeschehens bzw. des Lehrerhandelns unterstützen kann und zum Einsatz kommt, ist die Videografie. Die Studierenden werden in ihrem Lehrerhandeln mit der Videokamera punktuell aufgenommen. Sie erhalten somit die Möglichkeit, den eigenen Unterricht erneut ohne den Interaktions- und Entscheidungsdruck der Unterrichtssituation wahrzunehmen und in der Gruppe zu reflektieren.

Im Folgenden soll nun aufgezeigt werden, wie auf der Basis von theoretischen Konzepten zur sozialen Interaktion Unterrichtsgeschehen aus der Perspektive des Lehrenden, hier der Studierenden in der Lehrerrolle, wahrgenommen und interpretiert werden kann und welche unterstützende Rolle die Videografie dabei einnehmen kann.

2  Interaktion im Professionalisierungskontext der Lehramtsausbildung  -  eine theoretisch-methodische Konzeption

2.1  Theoretische Grundlagen zur Interaktion

Die Forderung einer Schwerpunktlegung auf Praxis- bzw. Handlungsorientierung im Rahmen des hier vorgestellten Seminars beinhaltet die Fragestellung, welches Verständnis dem menschlichen Handeln zugrunde gelegt wird, um theoretisch fundierte Thesen im Hinblick auf eine mögliche Professionalisierung des Lehrerhandelns herleiten zu können. So differenziert Wilson zwischen „Handeln“ und „Verhalten“, indem er das Handeln des Menschen „[...] als das für den Handelnden bedeutungs- und sinnvolle ,Verhalten’ “ (WILSON 1980, 55) definiert. Der Begriff der sozialen Interaktion begründet sich auf Basis eines derartigen Verständnisses von „Handeln“, da gemäß der Weber’schen Definition keine voneinander isolierten Handlungen beim Menschen existieren, sondern fortlaufende Handlungsprozesse entstehen. Nach Weber wird demnach die Annahme getroffen, dass „soziales Handeln […] [subjektiv sinnhaft; d. V] auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (WEBER 1976, 8). Folglich entstehen Interaktionsprozesse zwischen den handelnden Akteuren basierend auf Aktion und Reaktion der agierenden Subjekte.

Wie jedoch erfolgt dieser Bezug des Handelns der Akteure in Abstimmung aufeinander auf Basis von Interaktionen? Die gegenseitige Interpretation der Subjekte während der Interaktion ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, da die Akteure basierend auf dem Konzept der Rollenübernahme (vgl. MEAD 1973, 113) ihr Handeln aufeinander beziehen bzw. ausrichten, wobei die Interpretation somit stets zwischen EGO und ALTER stattfindet (vgl. TURNER 1962, 117f.). Das handelnde Subjekt (EGO) entwirft und verwirklicht seine Handlungen innerhalb seiner Rolle als kohärentes Muster von Verhaltensweisen (vgl. WILSON 1980, 58f.) orientiert an dem Handeln und der Rolle seines Gegenübers (ALTER). Das Individuum identifiziert bzw. interpretiert somit das Handeln seines Interaktionspartners, um sein eigenes Handeln bzw. seine Reaktion auf diesen abstimmen zu können (vgl. BLUMER 1969, 87). Der Erhalt der Interaktion zwischen den Interaktionspartnern bildet demnach eine implizite Bestrebung eines jeden Akteurs, da dieser – auf einer generalisierten Ebene argumentiert – , ohne Interaktionspartner handlungsunfähig werden würde.

Wie interpretiert der Studierende in der Rolle der Lehrperson sein Gegenüber und wie richtet er sein Handeln in der konkreten Unterrichtssituation aus?  Diesen Fragestellungen soll im Kontext der Professionalisierung der Lehrerausbildung nachgegangen werden.

2.2  Interaktionsprozesse in Lehr-/Lernsituationen

Die zentralen Fragen, die sich unter Berücksichtigung der hier angeführten theoretischen Grundlagen stellen, beziehen sich auf die Ausgestaltung sowie auf die Bewertung von Interaktionsprozessen in Lehr-/Lernsituationen bzw. in Unterrichtsprozessen in der Schule. Aufgrund der Vielfältigkeit der Interaktionspartner und deren Erwartungen an den/die typische Lehrer/in wird sich der Fokus im theoretischen und anwendungsbezogenen Teil des Seminars sowie innerhalb dieses Beitrags auf die Interaktionssituation der Subjekte im Klassenraum insbesondere auf die Lehrperson als Interaktionspart während des Unterrichts beschränken. Die Perspektive der Studierenden in ihrer Rolle als Lehrpersonen steht demnach in diesem Seminar im Vordergrund, um Professionalisierung und Intensivierung von Lehr-/Lernsituationen für die Lehramtsstudierenden zu thematisieren (vgl. GIESECKE 2001, 220).

Zunächst ist die Interaktionssituation, in welcher sich die lehrende Person innerhalb des Klassenraumes befindet, differenzierter zu betrachten. Die Rollenverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden scheint wegen des institutionalisierten Kontextes zwar bedingt durch die verschiedenen Statuszuweisungen des/r „Lehrers/in“ und den „Schüler/innen“ definiert zu sein, jedoch gilt es, aufgrund innovativer Lehr-/Lernformen wie z. B. im Bereich des kooperativen Lernens (vgl. SAUM/ BRÜNING 2007) stetige Neuaushandlungen dieser Rollenverteilung zwischen den Interaktionspartnern zu berücksichtigen. In der Regel sieht sich die Lehrperson als einzelner Interaktionspartner mit ihrer Klasse auf zwei Ebenen konfrontiert. Zum einen ist der Aspekt einzubeziehen, dass jede/r Schüler/-in als jeweils individuelle/r und einzelne/r Interaktionspartner/-in durch den Lehrenden wahrgenommen werden kann. Zum anderen beinhaltet eine derartige Interaktionssituation zwischen Lehrer/-in und Schülern und Schülerinnen im Klassenraum oftmals aus Gründen der Komplexitätsreduktion und Rollenbildung einen Kollektivierungsprozess, der sich im sprachlichen Bereich durch Kollektivbildungen, wie „die Klasse“ oder „der Kurs“ verdeutlicht.

Ausgehend von der grundlegenden Annahme, dass die Aufrechterhaltung der Interaktion zwischen den Interaktionspartnern ein Primärziel darstellt, bildet die differenzierte Frage nach einer „gelungenen Interaktion“ im Hinblick auf die Professionalisierung des Lehrerhandelns einen Schlüsselaspekt. Die Frage, wann der/die Lehrer/-in/ professionell handelt, impliziert folglich die Frage, wann die Interaktion professionell gestaltet ist.

Der/die Lehrer/-in wendet demnach innerhalb des „Lehreralltags“ bewusst oder unbewusst Interaktionsstrategien an, um sich in der Lehrerrolle darzustellen und zu entäußern, sodass die Schüler/-innen sie/ihn in der Weise als Lehrperson identifizieren und interpretieren, in der sie/er wiederum intendiert, interpretiert zu werden. Diese These beinhaltet eine bewusst oder unbewusst vorhandene Intentionalität, die der/die Lehrer/-in innerhalb der jeweiligen Interaktionssituation anstrebt und die auf eine positive Bestätigung seiner/ihrer Person innerhalb der Lehrerrolle abzielt. In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass eine Bestätigung des Lehrers oder der Lehrerin in seiner/ihrer Rolle durch die Schüler/-innen eine gelungene Interaktion bedeutet, da folglich das gegenseitige „sich verstehen“ im Sinne des „sich interpretieren“ funktioniert und die Interaktion als positiv bewertet werden kann. Dies bedeutet folglich eine Bestätigung sowohl für die Lehrer/-innen als auch für die Schüler/-innen. Aus diesen Überlegungen kann die These abgeleitet werden, dass durch eine optimierte Interpretation zwischen EGO als Lehrer/-in und ALTER als Klasse oder Schüler/-innen eine Optimierung der Lehr-/Lernsituation entsteht. Der zentrale Aspekt im Rahmen der Handlungsorientierung durch die Möglichkeit die Rolle des Lehrenden einzunehmen, beinhaltet, dass für und durch die Interaktionspartner Optionen identifiziert und erarbeitet werden können, um ihre Interaktion im Hinblick auf Professionalisierungspotenziale zu optimieren. Da in dem hier vorgestellten Seminar der Fokus auf dem Interaktionspart des/ der Lehrenden liegt, sind somit Interaktionsstrategien der sich erprobenden Studierenden im Hinblick auf ihre Gestaltungsinitiative der Interaktion im Klassenraum zu analysieren. Die Erarbeitung von Interaktionsmöglichkeiten ist dabei unter Einbezug von speziellem Wissen und Handeln in der Lehrerrolle zu betrachten. Die Beziehungen zwischen diesen drei Grundelementen  soll nun in Bezug auf ihre Bedeutung für die Lehramtsausbildung näher beleuchtet werden.

2.3 Professionalisierung von Wissen und Interaktionsfähigkeit in der Lehrerausbildung 

Der Zusammenhang zwischen Professionalisierung und Wissensorganisation sowie der Strukturierung von Wissen beim Subjekt erfährt seit den sechziger Jahren eine verstärkte Aufmerksamkeit im Kontext der Frage der Lehrerausbildung (vgl. DANN 2008, 177). Es besteht auf Basis theoretischer Verknüpfungen ein enger Bezug zwischen Professionalisierung, Wissen und Interaktionsfähigkeit sowie daraus abgeleitet zum Handeln in der jeweiligen Rolle. Das Wissen der interagierenden Subjekte, aufgegliedert in verschiedene Wissensbestände (vgl. DANN 2008, 178f.) bzw. in Bereichen kumuliert, verfestigt und routinisiert sich während der Entwicklung des lernenden bzw. wissensinternalisierenden Subjektes (berufs-) biographisch zu einem langsam entstehenden Expertenwissen. In diesem Kontext ist Expertenwissen nicht auf fachliches und kognitives Wissens beschränkt, sondern bezieht sich zudem innerhalb dieser interaktionsspezifischen Betrachtungsperspektive stets auf das Wissen um die Interaktionsgestaltung in Bezug zum jeweiligen Partner, sodass diese zu einer in der oben beschriebenen Weise „gelungenen Interaktion“ führt.

In der universitären Phase des Ausbildungsprozesses von Lehramtsstudierenden bedeutet dies, dass der Lehrende während seiner Ausbildung zum Lehrer und zur Lehrerin durch den universitären und während der Praxisphasen schulisch institutionalisierten Kontext vermehrt Interaktionen mit Partnern führt, die sich dem Bereich der Lehrerausbildung thematisch und personell widmen. Weitere wesentliche Interaktionspartner während der Praxisphasen für den Ausbildungsprozess bilden selbstverständlich die Schüler/-innen, wobei diese zumeist erst in der zweiten Ausbildungsphase der Lehramtsauszubildenden verstärkt eine Rolle spielen. Die Interaktionen finden somit im ersten Teil der Lehrerbildung innerhalb des Lehramtsstudiums verstärkt zwischen Dozierenden und Studierenden statt, wobei reale bzw. nicht-simulierte Interaktionen mit Schüler/-innen bezogen auf die spätere Kerntätigkeit des Lehrens für die Studierenden in geringem Maße stattfinden.

Das Wissen um die Gestaltung von Interaktionen mit Schüler/-innen in konkreten Unterrichtssituationen steht in dem hier vorgestellten Seminar in Verbindung mit anschließenden reflektierenden Interaktionsmöglichkeiten im universitären Kontext im Vordergrund. Die Konzeption derartiger Seminare, die sowohl die theoretische Reflexion auf universitärer Ebene als auch die schulwirklichkeitskonstruierenden Interaktionssituationen im Klassenraum für die Lehramtsstudierenden gewährleisten, bedeutet somit eine Erweiterung der Interaktionsmöglichkeiten der Studierenden bezogen auf ihren zukünftigen Beruf des/r Lehrers/-in und folglich die Bereitstellung zusätzlicher Wissensbereiche schon in der ersten Phase der Lehrerausbildung. Professionalisierung ist demnach im Kontext mit dem Erwerb von spezialisiertem Expertenwissen im Sinne von Prozessen der Wissensausdifferenzierung (vgl. BERGER/ LUCKMANN 2004, 82f.) zu verstehen, welche durch die Schaffung verschiedener Interaktionssituationen seitens des Studierendenangebots entwickelt werden kann. Aus dem Interesse an einer Erweiterung der Interaktionskontexte für Lehramtsstudierende in der ersten Ausbildungsphase begründet sich die Fokussierung auf den Studierenden in dem Seminar, welcher sich am Anfang seines Wissenserwerbs bezüglich eines ausdifferenzierten Expertenwissens befindet. Zudem ist die Konzentration auf die/den Studierende/n als Subjekt der Interaktion im Klassenraum in der Weise zu legitimieren, da diese/r als lernende Lehrperson den Interaktionspart in der konkreten Unterrichtssituation bildet, welcher im Vorfeld die Interaktionsabläufe in seiner Unterrichtsplanung zu strukturieren versucht und diese innerhalb des realen Unterrichtskontextes koordiniert. Folglich trägt der Lehramtsstudierende während seiner praktischen Erprobung in seiner Rolle als Lehrender vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Handlungserwartungen als Pädagoge oder Pädagogin für den Interaktionsprozess im Klassenraum die Verantwortung.

Gemäß den Ausführungen von DANN ist Lehrerhandeln als „zielgerichtetes Handeln“ zu verstehen, wobei dies wiederum „absichtlich, ergebnisorientiert und mehr oder weniger geplant ausgeführt“ (DANN 2008, 181) wird, was einen gewissen Reflexions- und Bewusstseinsgrad des Handelnden bezogen auf seine Handlungsausrichtungen in seiner Lehrerrolle impliziert. Diese Planung des Lehrerhandelns ist in diesem Kontext als rollenkonformes Handeln zu verstehen, welches spezifisch an den Handlungserwartungen der Interaktionspartner des Lehrenden in seiner Rolle ausgerichtet ist. Da, wie theoretisch zu Beginn hergeleitet, der Zusammenhang zwischen Handeln und Interaktion beim Individuum auf Basis der Sozialität des Menschen besteht, kann demnach von einer Planung und somit strategischen Ausrichtung und Intentionalität der Lehrerinteraktionen gesprochen werden. Professionalisierung des Lehrerhandelns als Professionalisierung der Interaktion zwischen Lehrer/-in und Schüler/-innen im konkreten Unterrichtskontext einschließlich der Vorbereitungen des Lehrenden als Planung der Lern- und Interaktionsprozesse in der jeweiligen Unterrichtseinheit stehen somit als Lernelement für den Studierenden im Vordergrund. Deswegen ist es notwendig, dass die Studierenden frühzeitig und verstärkt Gelegenheiten erhalten diese wie beschrieben auch widersprüchlichen Erwartungen an die Interaktionsgestaltung zu erleben und auszubalancieren.

Es stellt sich die Frage, wie derartige Prozesse und Lernvorgänge für den Studierenden in seiner Erprobung als Lehrender im Hinblick auf die Professionalisierung seiner Interaktionsentscheidungen und Strategien in der konkreten Situation auf Ebene des Seminarverlaufes zu erarbeiten sind. Bevor derartige Optimierungsstrategien im Kontext des Seminars auf Basis der Erfahrungen und Handlungen der Studierenden zu erarbeiten versucht werden, wird dem Aspekt nachgegangen, auf welcher Basis diese Strategien bzw. das Interaktionsverhalten der Studierenden in ihrer Rolle als Lehrperson identifiziert und thematisiert werden können. Somit soll eine Reflexion über das Interaktionsverhalten der Studierenden zur Erhöhung der Planbarkeit von Interaktionsentscheidungen und lehrerspezifischem Handeln im Unterrichtsgeschehen und folglich eine Steigerung des Professionalisierungsgrades im Sinne eines bewussten und reflektierten Expertenwissens angeregt werden, wobei im Folgenden die Methode der Videografie eine entscheidende Rolle für die Konzeption des Seminars spielt.

3 Abbildung von subjektiven und intersubjektiven Prozessen und Interaktionen mittels Videografie

Die Erforschung und Beobachtung von Individuen in Lehr-/Lerninteraktionen in der hier präsentierten Seminarkonzeption orientiert sich an den Formen sowie der Nutzung der erziehungswissenschaftlichen Videografie, bei welcher das „Video als Basis zur Untersuchung der Interaktion abgebildeter Personen“ (DINKELAKER/ HERRLE 2009, 11) fungiert. Die Identifikation und Reflexion von Interaktionsmustern der agierenden und dokumentierten Personen sowie die Rekonstruktion des ihnen zugrunde liegenden Sinns (vgl. DINKELAKER/ HERRLE 2009, 11) stehen hierbei im Vordergrund. Die Fokussierung auf den Studierenden in seiner Rolle als Lehrender während seines Interagierens mit den Schüler/-innen im Klassenraum in seiner zu erprobenden Unterrichtseinheit sowie in der Rolle des Lernenden in den Anschlusssitzungen im Seminar kann somit durch die dokumentierenden Möglichkeiten der Datenaufzeichnungen gewährleistet werden. Die Kameraeinstellung wird demnach auf den/die Lehramtsstudenten/-in gerichtet, wobei somit auf die teilweise komplizierte Einholung rechtlicher Genehmigungen für das Aufzeichnen der Schüler/-innen verzichtet werden kann. Die Kamera filmt die Studierenden aus der ALTER-Perspektive, sodass die Wahrnehmung der Studierenden einschließlich ihrer erinnerten Erfahrungen in der sich anschließenden Phase der Reflexion um die Perspektive ihres Gegenübers erweitert wird (vgl. DINKELAKER/ HERRLE 2009, 25). Demnach ist die Beobachtung und Dokumentation der Lehramtsstudierenden von zentraler Bedeutung, sodass während der Betrachtung der Aufzeichnungen und Interaktionen über diese im universitären Seminar das dokumentierte Handeln und Interagieren der aufgezeichneten Person durch deren erinnernde subjektive Erfahrungen ergänzt werden können. Die Interpretation des für die anderen Seminarteilnehmer/-innen sichtbaren Verhaltens des aufgezeichneten Subjektes führt in Bezug auf die Professionalisierungsthematik in Verbindung mit den sprachlichen Entäußerungen des Aufgezeichneten zu einer Steigerung des Reflexionsgrades des handelnden Subjektes. Die Selbstbeobachtung durch die Betrachtung der Aufzeichnungen kann zu Selbstentfremdung führen, sodass das Individuum sich in seiner Wirkung von Außen bzw. aus der Perspektive seines Interaktionspartners unter Einbezug seiner Erinnerungen an die Situation aus der subjektiven Perspektive betrachtet. Aus der Annahme, dass diese Selbstbeobachtung zu Entfremdungszuständen bei dem sich betrachtenden Individuum führen kann, ist die These zu formulieren, dass das Individuum eine Selbstdistanz während der Betrachtung der eigenen Person aus der ALTER-Perspektive aufbaut und somit die Reflexion des eigenen Handelns gesteigert wird.

Die sprachliche Entäußerung als Versuch der Externalisierung erinnernder subjektiver Erfahrungen durch den Studierenden und die Versprachlichung der Selbstbeobachtung der eigenen Person im Kontext der Distanzbildung und Reflexionssteigerung bedeuten zudem die Objektivierung des Erlebten und die „Verfügbarmachung“ neuer Wissensbestände, wobei somit die Sichtbarmachung von Alltagswissen (vgl. BERGER/ LUCKMANN 2004) zur Spezialisierung und Ausdifferenzierung in ein sich aufbauendes Expertenwissen stattfinden kann. Diese durch die sprachliche Externalisierung verfügbaren Wissensbestände über die Wirkung des Studierenden in der rollenspezifischen Interaktionssituation des Lehrenden werden durch die Beiträge und Entäußerungen der anderen Seminarteilnehmer ergänzt, die die Interaktionsstrategien und Handlungsentscheidungen des Studierenden auf Basis der Aufzeichnungen interpretieren. Folglich können in der anschließenden Interaktion zwischen den Seminarteilnehmern im Seminar unter Einbezug der Aufzeichnungen und somit sichtbaren Handlungen intersubjektive Prozesse erarbeitet werden. Die drei Komponenten Handeln, Wissen und Interaktion unter Einbezug der Handlungsorientierung und erziehungswissenschaftlichen Videografie sind demnach innerhalb des Professionalisierungskontextes bzw. der Intensivierung von Lehr-/Lernprozessen von zentraler Bedeutung. Die nachstehende Abbildung verdeutlicht die Zusammenhänge:

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Abb. 1:   Professionalisierungsprozesse in Praxis- und Reflexionsphasen (eigene Darstellung)

Die abgebildete Grafik veranschaulicht die Professionalisierungsprozesse. Die erste Phase bezieht sich vornehmlich auf den Aspekt der Handlungsorientierung bzw. die Erprobung des Studierenden in der Lehrerrolle in der konkreten Unterrichtssituation. Folglich steht die Subjektperspektive des „lernenden Lehrenden“ im Vordergrund, wobei die Schüler/-innen die Interaktionspartner sind. Die zweite Phase beinhaltet die Reflexion auf Basis der per Videografie aufgezeichneten Daten, sodass die Interaktionspartner die weiteren Seminarteilnehmer sowie der Dozierende sind. Beide Phasen sind für die Intensivierung der Lehr-/Lernsituation im Hinblick auf eine Entwicklung von Expertenwissen im Professionalisierungskontext von Bedeutung, indem sie aufeinander aufbauend in den Gesamtrahmen als schulpraktisches universitäres Seminar integriert werden.

Auf Basis des theoretischen Überbaus ist zudem der inhaltlich wissenschaftliche Teil von Bedeutung, sodass die Studierenden die theoretisch vermittelten Inhalte schülergerecht didaktisch erarbeiten und somit eine Verknüpfung von theoretischem und praktischem Wissen im Kontext des hier vorgestellten Seminars im Bereich der Wirtschaftwissenschaften und ihrer Didaktik erlernen.

Im nächsten Schritt werden nun die ökonomischen Inhalte und die didaktische Aufbereitung des Seminars anhand einer kurzen Beschreibung eingeführt. Des Weiteren werden die Kriterien, die zur Auswertung der Videosequenzen herangezogen werden, vorgestellt.

4  Beispiel für eine Seminarkonzeption im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich unter Einsatz von Videografie

4.1 Beschreibung des Seminars

Im Rahmen eines fachdidaktischen Seminars werden sich Studierende des Lehramts an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie an Gymnasien für das Fach Sozialwissenschaften und Studierende des Lehramts an Berufskollegs im Fach Wirtschaftswissenschaften im Hauptstudium an der Universität Siegen im Wintersemester 2009/10 mit dem Thema „unternehmerische Selbständigkeit und Existenzgründung“ sowie didaktischen Methoden, die dies vermitteln, auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang werden handlungsorientierte Simulationsmethoden wie Fallstudien, Rollenspiele, Lernbüros und Übungsfirmen als geeignete Methoden zur Vermittlung von ökonomischem Wissen zur Existenzgründung und gleichzeitig zum Aufbau sozialer und persönlicher Fähigkeiten vorgestellt (vgl. EBBERS 2004). Aufgrund der strukturellen Gegebenheit, relativ kurz nach Semesterbeginn sieben Termine im regulären Schulunterricht wahrzunehmen, werden sich die Studierenden anhand eines fallstudienähnlichen Szenarios über ein aus zwei Personen bestehendes Gründerteam, das ein Fitness-Studio mit Schwerpunkt auf Gesundheitsprävention gründen möchte, in die Gründungsthematik selbstständig einarbeiten. Das Szenario enthält sechs gründungsrelevante Fragestellungen, die als Einzelthemen von den Studierenden schülergerecht aufbereitet werden müssen. Wie in Kapitel 1 erwähnt, sind Vorkenntnisse zum Thema Unternehmensgründung je nach Schulform gar nicht oder kaum vorhanden. Dem Szenario liegt die Idee zugrunde, dass sowohl die Studierenden als auch die Schüler/-innen einen roten Faden im Gründungsprozess erkennen können und somit einen guten Überblick über Gründungsthemen, wie z.B. unternehmerische Kompetenzen, Rechtsformen, Marketingplanung, Umsatz- und Gewinnermittlung und Finanzierung erhalten. Aufgrund der kontinuierlichen Fortsetzung und Weiterentwicklung der Geschichte um die beiden Gründungspersonen können sie erleben und nachvollziehen, welche fachlichen und persönlichen Voraussetzungen zur Unternehmensgründung notwendig sind.

Trotz vorgesehener Orientierungspraktika und Unterrichtshospitationen während des Grundstudiums, zeigt es sich im universitären Alltag, dass nicht zwingend jede/r Studierende/r bereits eine Unterrichtsstunde selbst gehalten und systematisch konzipiert hat. Deswegen besteht eine weitere Anforderung an die Studierenden darin, einen kompletten Unterrichtsentwurf zu erstellen, in dem sie sich zur Vorbereitung auch mit der Bedingungsanalyse, der didaktischen Strukturierung und dem geplanten Stundenverlauf auseinandersetzen.

In der Schule werden die Studierenden dann punktuell im Unterrichtsgeschehen per Videokamera aufgezeichnet. Dazu bieten sich beispielsweise die Einstiegsphase, lehrerzentrierte Sequenzen, die Ankündigung von Arbeitsaufträgen, der Umgang mit Fragen aus der Klasse und die Abschlussphase der Unterrichtsstunde an. Auf die individuelle Auswertung der Videoaufnahmen wird in 4.2 detaillierter eingegangen. Zu einem abschließenden Termin nach allen Unterrichtsstunden erfolgt innerhalb der zwei Studierendengruppen die persönliche und gemeinsame Videoanalyse. Danach ist eine gemeinsame abschließende Reflexion über das erprobte Seminar vorgesehen, um Hinweise zur zukünftigen Gestaltung, gerade auch im Hinblick auf den subjektiv empfundenen Nutzen seitens der Studierenden durch den Einsatz der Videografie, zu erhalten.

4.2 Zur Analyse der videografierten Unterrichtseinheiten

Wie in Punkt 3 hergeleitet, kann die Videografie eingesetzt werden, um eine zeitlich verschobene Selbstbeobachtung und Reflexion des eigenen Lehrerhandelns seitens der Studierenden zu ermöglichen. Beim nachträglichen Betrachten des Videos kann der Unterricht aus einer entlasteten Perspektive wahrgenommen werden. Damit dauert die persönliche Lernerfahrung über die Zeit der gehaltenen Unterrichtsstunde hinaus an. Aufgrund der angeleiteten Reflexion und des kollegialen Austauschs mit den Kommilitonen/-innen ist davon auszugehen, dass sich die Lernerfahrungen zusätzlich intensivieren. Auch der geplante, vergleichsweise reduzierte Einsatz der Videografie mit ausschließlichem Fokus auf die Studierenden in der Rolle der Lehrperson, ermöglicht eine Analyse von bedeutsamen Aspekten für die Professionalisierung von Lehrerhandeln, wie z.B.:

·         die fachwissenschaftliche und fachdidaktische Kompetenz,

·         das non-verbale Verhalten in der Interaktion (Mimik, Gestik, Blickverhalten),

·         die Bewusst- und Explizitmachung eigener handlungsleitender Theorien über das Lehren und Lernen (vgl. HELMKE 2008, 347).

Durch die Betrachtung des Videos wird sichtbar, ob die Studierenden die ökonomischen Sachverhalte zielgruppengerecht vorbereitet haben und adäquat vermitteln können. Dies dient nicht der Leistungsüberprüfung oder -messung, sondern soll die Bedeutsamkeit eines professionell vorbereiteten Unterrichts unterstreichen, um daraus Sicherheit für die Interaktion zu gewinnen. Des Weiteren gibt das Video darüber Aufschluss, inwieweit die Studierenden auch non-verbal mit der Klasse als Gesamtheit und den Einzelnen als Individuen kommunizieren. Der Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Auch hierbei geht es nicht in erster Linie um eine Defizitbetrachtung, sondern um die Entwicklung der Fähigkeit zu verstehen, wann eine Interaktion, wie in Kapitel 2 beschrieben, gelungen ist. Außerdem kann die Reflexion des eigenen Handelns aus der ALTER-Perspektive auf Basis der videografierten Daten zur Offenlegung beitragen, welche Theorien über typisches oder erwartetes Lehrer- oder Schülerverhalten dem eigenen Handeln zugrunde liegen.

Die Diskussion über diese Aspekte bietet den Studierenden bereits vor dem Eintritt ins Referendariat im geschützten Raum des universitären Kontexts eine Plattform zur persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung.

5 Fazit

Ausgehend von der Tatsache, dass in den Curricula der Lehramtstudiengänge die Praxisphasen in den Schulen bislang einen zu geringen Stellenwert einnehmen, war es Ziel des Beitrages einerseits die Notwendigkeit einer stärkeren Verzahnung von Hochschule und Schule zu verdeutlichen, um den Studierenden eine zusätzliche Plattform zur Erprobung und Reflexion ihrer fachlichen und fachdidaktischen Kompetenzen sowie ihrer subjektiven Ansichten über professionelles Lehrerverhalten zu bieten. Dazu wurden die Zusammenhänge zwischen Handeln, Wissen und Interaktion theoretisch hergeleitet. Andererseits sollte ein konkretes Beispiel im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich vorgestellt werden, das in zweierlei Hinsicht als innovativ bezeichnet werden kann. Zum einen setzt es sich mit der Frage, wie unternehmerische Selbstständigkeit in der Lehramtsausbildung gelehrt und gelernt werden kann, auseinander und zum anderen wird mit der Methode der Videografie gearbeitet. Die Videografie unterstützt die Reflexion über das eigene Handeln im Unterricht und kann somit zur weiteren Professionalisierung im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung der Handlungs- und Reflexionskompetenz und Interaktionsfähigkeit bereits in einer frühen beruflichen Sozialisationsphase beitragen.

Die Erprobung des Seminars hat im Wintersemester 2009 begonnen. Eine finale Einschätzung, inwieweit sich gerade der erwartete Nutzen und Mehrwert für die Studierenden durch den Einsatz der Videografie bestätigt, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfolgen, wird aber im Rahmen der Evaluation angestrebt.



[1]     In NRW ist das Fach Sozialwissenschaften ein Integrationsfach, das die drei Disziplinen Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft umfasst. 

 

[2]     Der Begriff des Berufskollegs ist nrw-spezifisch.  Das Berufskolleg beinhaltet die Bildungsgänge der Berufsschule, der Be­rufsfachschule, der Fachoberschule und der Fachschule. Es ermöglicht den Er­werb der allgemein bildenden Abschlüsse der Sekundarstufe II (Fachhoch­schulreife, fachgebundene Hochschulreife, allgemeine Hochschulreife). Darüber hinaus können die Abschlüsse der Sekundarstufe I nachgeholt werden (vgl. Schulgesetz NRW, Stand: 1. 7. 2009, § 22).

 


Literatur

BERGER/LUCKMANN (2004): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 20. Aufl. Frankfurt a. M.

BLUMER, H. (1969): Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.) (1973). Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd. I. Opladen, 80-146.

BÜCHTER, K./ KIPP, M./ WEISE, G. (2000): Zur Vereinbarkeit von kritischem Anspruch und sozialhistorischer Rekonstruktion in der berufspädagogisch-historischen Forschung – dargestellt am Beispiel des „Wochenspruchs“ und der Untersuchung berufskundlicher Filme. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 96, H. 4, 512-523.

DANN H. D.(2008): Lehrerkognitionen und Handlungsentscheidungen. In: SCHWEER, M. K. W. (Hrsg.): Lehrer-Schüler-Interaktion.Inhaltsfelder, Forschungsperspektiven und methodische Zugänge. Wiesbaden, 177-207.

DINKELAKER, J./ HERRLE, M. (2009): Erziehungswissenschaftliche Videographie. Eine Einführung. Wiesbaden.

EBBERS, I. (2004): Wirtschaftsdidaktisch geleitete Unternehmenssimulation im Rahmen der Förderung von Existenzgründungen aus Hochschulen. Lohmar-Köln.

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EBBERS I., KRÄMER-GERDES C., SCHÜRKMANN Ch. (2009): Fachdidaktische Innovationen in der Lehramtsausbildung zur Intensivierung von Lehr-/ Lernprozessen in Theorie und Praxis . In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 17, 1-20. Online: www.bwpat.de/ausgabe17/ebbers_etal_bwpat17.pdf (17-12-2009).

 

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