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bwp@ Ausgabe Nr. 17 | Dezember 2009
Praxisphasen in beruflichen Entwicklungsprozessen
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 17 sind Tade Tramm, H.-Hugo Kremer & Bernadette Dilger

Schülerbetriebspraktikum an Gymnasien

Beitrag von Michael SCHUHEN (Universität Siegen)

Abstract

Die wesentliche Praxisphase in beruflichen Orientierungsprozessen ist das Schülerbetriebspraktikum. Es sollte in seiner ursprünglichen Konzeption primär die Berufsfindung der Schüler erleichtern, den Schülern den Betrieb als zweckrationale Unternehmung näher bringen und ihn als einen Bereich vielfältiger sozialer Beziehungen verdeutlichen (vgl. GROTH / LEMKE / WERNER 1971). An Gymnasien wurde das Schülerpraktikum in den 80er Jahren eingeführt. Vorbild war das Praktikum an Haupt- und Realschulen. Mangels eines dem Fach Arbeitslehre vergleichbaren Faches wurde das Betriebspraktikum in unterschiedliche Fächer eingebunden. Der zeitliche Einsatz des Praktikums wurde nach organisatorischen, nicht nach didaktischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Aber auch Schüler des Gymnasiums benötigen eine Gestaltungskompetenz, die sie befähigt, berufliche Lebensentwürfe innerhalb der Vielfalt der Möglichkeiten zu kreieren (KAHLERT / MANSEL 2007). Besonders evident wird diese Frage, wenn das Schülerbetriebspraktikum in Klasse 10 weit vor dem eigentlichen Berufs-/ Studieneinstieg steht. Hieraus ergeben sich zwei mögliche Perspektiven für das zweiwöchige Schülerbetriebspraktikum: Ausgehend von der Arbeitsplatzanalyse kann das Betriebspraktikum entweder als Erkenntnishilfe einer vertieften ökonomischen Bildung oder als erster Praxisbaustein zum Aufbau einer Übergangs- und Gestaltungskompetenz dienen, wobei beide Perspektiven auf Methoden der empirischen Sozialforschung zurückgreifen.


Pupils’ work experience at grammar schools (Gymnasien)

The main phase of practice in the processes of occupational orientation is the period of work experience. In its original conception it was intended to help pupils in their search for their desired type of work and to give pupils direct experience of the company as a rational and purpose-driven enterprise, and to illustrate the company as a place of diverse social relationships (see GROTH / LEMKE / WERNER 1971). Work experience for pupils was introduced into grammar schools in the 1980s. The role model was work experience at the other types of secondary school in Germany (Hauptschule and Realschule). The work experience phase was integrated into various different subjects, in the absence of a subject at the grammar school comparable to the subject of Arbeitslehre (the study of the world of work), which is on the curriculum of the other school types. The timing of the work experience was determined by organisational, not didactic, considerations. But the pupils at grammar schools also need a formal competence to enable them to create occupational life plans within the broad range of possibilities (KAHLERT / MANSEL 2007). This question becomes particularly evident if the work experience takes place in Class 10, well before the actual beginning of work or study. This results in two possible perspectives for the two-week period of work experience: using analysis of the workplace the work experience can serve either to contribute to a deeper knowledge of economic training or as the first element of practice in creating competence for transition and planning. Both of these perspectives refer to methods of empirical social research.

1 Bedeutung der Berufswahlorientierung für den Berufs- und Studieneinstieg von Schülerinnen und Schülern an Gymnasien

Welcher Beruf und die damit verbundenen Anforderungen passen zu meinen Fähigkeiten und Interessen? Eine Frage, die die Berufswahlorientierung an deutschen Gymnasien anscheinend nicht den Schülerinnen und Schülern zu beantworten vermag. Denn bereits seit Jahren brechen ca. 30 Prozent der Studierenden in Deutschland und dies über alle Fächergruppen hinweg ihr Studium ab. Zentrale Gründe sind: Falsche Vorstellungen von den Studieninhalten sowie mangelnde Kenntnisse der Berufsmöglichkeiten mit Abschluss des gewählten Studienfachs (HEUBLEIN/ SCHMELZER/ SOMMER 2008). Auch bei den Ausbildungsabbrechern verzeichnet Deutschland ähnliche Quoten und die Probleme sind vergleichbar: Schwierigkeiten mit dem Vorgesetzten und falsche Vorstellungen vom eingeschlagenen Beruf.

Dabei nehmen die Schülerinnen und Schüler die Berufswahl ernst, engagieren sich und sind sich subjektiv sicher, den richtigen Beruf für sich gefunden und gewählt zu haben. Allerdings, und dies zeigt ebenfalls die Studie von DRIESEL-LANGE/ HANY (2005) verfügen die Schüler über nur wenige bis gar keine Kenntnisse, die über den unmittelbaren Berufseinstieg bzw. den Studienbeginn hinausgehen (HACHMEISTER/ HARDE/ LANGER 2007). D.h. den Schülern fehlen berufsrelevante Informationen, die ihre Berufsorientierung unterstützen und tragfähig werden lassen. Nicht umsonst, so DRIESEL-LANGE/ HANY (2005) fühlen sich 50 Prozent der befragten Gymnasiasten nicht in der Lage, eine für sie klare und nachvollziehbare Berufswahlentscheidung zu treffen. Diese Ergebnisse korrespondieren mit den bereits genannten Studienabbrecherquoten an deutschen Hochschulen.

Zwar sind die Motive für die Berufswahl zu ca. 50 Prozent intrinsischer Natur, d.h. die Schüler, die ein Studium aufnehmen, haben ihre Wahl aus Fachinteresse, Neigung und persönlicher Entfaltungsmöglichkeit getroffen, aber anscheinend differieren die tatsächlichen universitären Anforderungen von den vorgestellten Anforderungen und die im ersten universitären Praktikum erworbenen praxisbezogenen Erfahrungen stimmen mit den eigenen Annahmen nicht überein. Dies mag unter anderen daran liegen, dass die Kurswahl in der Oberstufe einen wesentlichen Einfluss auf die erste Studienentscheidung hat. Sie ist handlungsleitend für die erstmalige berufliche Orientierung. So haben bspw. 100 Prozent der Personen, die Mathematik studieren, dieses Fach bereits als Leistungskurs in der Schule belegt gehabt. Bei den Fächern Biologie und Englisch – ebenfalls Fächer, die ein hinreichend großes Äquivalent mit Schulfächern haben – ergeben sich ähnlich hohe Werte (ABEL 2002). Die Kurswahl findet jedoch nach Interesse und durchschnittlich wahrgenommener Leistungsfähigkeit statt und meist nicht vor dem Hintergrund beruflicher Orientierung und Lebensweggestaltung. Aber auch externe Faktoren determinieren die Studien- und Berufswahl. So beginnen ca. 35 Prozent der Erstsemester ihr Studium mit dem Hinweis auf den Status des Berufs, auf eine mögliche „sichere Position“ oder auf die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt (HACHMEISTER/ HARDE/ LANGER 2007).

Bereits diese kurzen Ausführungen zeigen, dass Berufsorientierung mehr als die individuelle Berufswahlentscheidung, das Festlegen auf einen Wunschberuf und die darauf abgestimmte individuelle Lebensplanung ist. Berufsorientierung ist ein Prozess, in dem verschiedene potentielle Lebensentwürfe reflektiert und mit Berufswahlentscheidungen in Verbindung gebracht werden müssen. Dieser Prozess erstreckt sich über mehrere Übergänge (Mittelstufe-Oberstufe-Studium/ Ausbildung-Berufstätigkeit mit verschiedenen Karrierepfaden) (BECKER 2002, 286) und somit biographische Brüche hinweg. Berufswahl ist als Klärungs- und Entscheidungsprozess zu verstehen, der Jugendliche befähigt und somit mit den notwendigen Kompetenzen ausstattet, selbstverantwortlich einen Beruf zu wählen.

Am Gymnasium nimmt bei den Maßnahmen zur Berufsorientierung das Betriebspraktikum – neben dem häufig obligatorischen Besuch einer Universität am Studieninformationstag – inzwischen eine besondere Stellung ein, da es eine der wenigen Möglichkeiten bietet, reale Erfahrungen mit der Berufs- und Arbeitswelt zu sammeln. Dieser „Lernortwechsel“ (REUEL/ SCHNEIDEWIND 1989, 10) steht jedoch vor fünf zentralen Problemen:

-         Die inhaltliche Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler seitens der Schule ist unzulänglich (HÜBNER 1995; WENSIERSKI et al. 2005, 51).

-         Die Kooperation Schule – Betriebe ist auf eine intensive Betreuung auf beiden Seiten angewiesen. So fehlt den Unternehmen meist der notwendige didaktische Blick auf die Praktikantensituation und an den Schulen mangelt es an der Betreuung seitens der verantwortlichen Lehrer.

-         Die Praktikanten und die an der Durchführung des Praktikums beteiligten Schulfächern erkennen und nutzen die Lernerfahrungen aus dem Praktikum nahezu nicht (REUEL/ SCHNEIDEWIND 1989, 10).

-         Die Schülerinnen und Schüler erhalten nur wenig Gelegenheit, ihre Fähigkeiten in dem erkundeten Beruf auch wirklich auszuprobieren, weil sie vor allem Hilfsaufgaben übernehmen müssen (KNAUF 2005) oder aber der Großteil der verfügbaren Praktikaplätze kaum repräsentativ für die tatsächlichen Wünsche der Schülerinnen und Schüler sind (WENSIERSKI et al. 2005, 61).

-         Die bei Gymnasiasten vorzufindenden biographischen Planungen sind zur Zeit des Betriebspraktikums im Vergleich zu Mitschülern an Haupt- und Realschulen weniger ausgeprägt (DRIESEL-LANGE/ HANY 2005, 13ff). Vor allem fehlen Informationen über mögliche Berufsverläufe und über das Berufsleben generell (PRAGER/ WIELAND 2005).

2 Berufliche Orientierung am Gymnasium

Die Ursprünge schulischer Berufsorientierung reichen in Deutschland bis zu den pädagogischen Konzepten des 18. und 19. Jahrhundert zurück (KAISER 1974), aber erst Anfang der 60er Jahre wurde den praxisbezogenen Erfahrungsprozessen eine erhöhte Aufmerksamkeit deutschlandweit geschenkt. Die Schülerbetriebspraktika sollten in ihrer ursprünglichen Konzeption primär die Berufsfindung der Schüler erleichtern (GROTH/ LEMKE/ WERNER 1971 und PLATTE 1986), den Schülern den Betrieb als zweckrationale Unternehmung näher bringen und ihn als einen Bereich vielfältiger sozialer Beziehungen verdeutlichen (KAISER 1971). So wurde u.a. PLATTEs Konzept des Praktikums als „Schule im Betrieb“ vielfach eingesetzt, auch weil hierzu umfangreiche Einsatzpläne für die Praktikanten in 16 unterschiedlichen Berufen entwickelt wurden. Allerdings orientieren sich die Konzepte der 70er Jahre an den Gegebenheiten damaliger Haupt- und Realschulen: das Praktikum war bestenfalls integriert in die Fächer Arbeitslehre, Arbeit/ Wirtschaft oder bspw. Wirtschaftslehre oder wurde ihnen zumindest zugeordnet. Aber schon damals waren es meist schulorganisatorische Gründe, weshalb eine durchgängig fachliche Betreuung der Lernenden nur selten sichergestellt werden konnte (KAISER/ KAMINSKI 1999, 316). Dies war Anlass zu vielfältiger Kritik am Betriebspraktikum: die spezifischen Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten der Schüler, die nach übereinstimmenden Untersuchungsergebnissen weit hinter den vorherrschenden Erwartungen zurückblieben, wurden in der Literatur heftig kritisiert, so dass die pädagogische Zweckmäßigkeit sogar in Frage gestellt wurde (HÜBNER 1995 und KAISER/ KAMINSKI 1999, 317). Zusätzlich zu den ebenfalls existierenden theoretischen Problemen und didaktischen Mängeln sowie den rechtlichen Regelungen und organisatorischen Unwägbarkeiten führt dies sogar zu der Empfehlung, auf das Praktikum zu verzichten, sehr zum Entsetzen der Eltern, die sogar eine Ausweitung der Praktika befürworteten. Nach ihrer Meinung sorgte das Betriebspraktikum für eine realistischere Einschätzung der Berufswahlentscheidung. Daraufhin entstanden die bereits oben genannten Neukonzeptionen, die u.a. den Aspekt der Berufserkundung innerhalb des Praktikums pointierten (so ECKERT/ STRATMANN 1978; HOPPE 1980, FEIG 1981 oder FELDHOFF/ OTTO et al. 1985). Andere Ansätze fokussierten einen handlungsorientierten Berufswahlunterricht mit realen Handlungssituationen (KLIPPERT 1987) oder komplexe Lernorganisationen zum Aufbau von Berufswahlkompetenz (DIBBERN 1993).

An Gymnasien wurde das Schülerbetriebspraktikum erst in den 80er Jahren – meist auf privater Initiative von Lehrern, Schülern und Eltern – eingeführt. Vorbild war das bereits angesprochene Praktikum an Haupt- und Realschulen. Erst 1993 hat die Kultusministerkonferenz die „Hinführung zur Berufs- und Arbeitswelt“ für die Sekundarstufe I verpflichtend für alle Schulformen festgelegt, ohne jedoch zu präzisieren, wo sich die berufsorientierenden Inhalte im Lehrplan wieder finden sollten. Seitdem gehört das Betriebspraktikum zum „Standard“ an Gymnasien. Aber mangels eines dem Fach Arbeitslehre vergleichbaren Faches wurde das Betriebspraktikum in viele unterschiedliche Fächer eingebunden, zumal auch ein eigenständiges Fach „Berufsorientierung“ in keinem Bundesland vorhanden ist. So sind heute vorwiegend Fächer aus dem gesellschaftspolitischen Bereich Leitfächer für die Vermittlung der Berufsorientierung an Gymnasien (KMK 1997). Allerdings vermitteln außer den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, so die Richtlinien und Lehrpläne der Länder auch Fächer wie Deutsch, Religionslehre / Ethik, Fremdsprachen oder Naturwissenschaften Aspekte einer Berufsorientierung. Einen eigenständigen Stellenwert hat die Berufsorientierung am Gymnasium nur in einigen wenigen Bundesländern: Brandenburg (Arbeitslehre und Sozialkunde), Berlin (Sozialkunde), Sachsen-Anhalt (Wirtschaft/Technik und Sozialkunde) sowie Thüringen (Wirtschaft und Recht) (DEDERING 2002, 28). Einzig die zeitliche Auseinandersetzung mit berufsorientierenden Inhalten ist eingrenzbar: zumeist findet die Berufsorientierung in den Klassenstufen 9 bis 11 an Gymnasien statt (REUEL/ SCHNEIDEWIND 1989, 14 und WENSIERSKI et al. 2005, 50).

Übergeordnete Zielsetzungen der Länder mit der Berufsorientierung am Gymnasium sind u.a. die Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeitswelt durch vielfältige Informationen, selbstständige und aktive Auseinandersetzung mit dem Problem der Berufs- und Studienwahl, damit eine begründete, kriteriengestützte Entscheidung ermöglicht wird, Einschätzen lernen der eigenen Fähigkeiten, Vorstellungen und Wünsche, Verdeutlichen der Arbeitstugenden, Arbeitshaltungen und Werthaltungen. Dabei wird der Prozesscharakter der Berufsorientierung betont (KMK 1997). Inhaltlich sollen die Bedeutung von Beruf und Arbeit, die Berufsweg- und Lebensplanung sowie Aspekte des Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens vermittelt werden. Aus den Bereichen der ökonomischen Bildung sind zudem volkswirtschaftliche (Berufs- und Arbeitsmarkt), rechtliche (Jugendarbeitsschutzgesetz, Ausbildungsvertrag) und betriebswirtschaftliche Themen (Funktionsgefüge eines Unternehmens, Interessen und Konflikte in der Arbeitswelt) zu diskutieren (vgl. Lehrplandatenbank und WENSIERSKI et al. 2005, 51).

3 Zielvorstellung gymnasialer Berufsorientierung: Übergangs- und Gestaltungskompetenz

Berufswahl ist „kein genuines Anliegen von Jugendlichen, die in dieser Lebensphase oft mit anderen Adoleszenzproblemen beschäftigt sind, sondern eine von außen an sie herangetragene Erwartung“ (SCHOBER 1997, 104). Allerdings müssen Menschen in verschiedenen Lebens- und Entwicklungsphasen Entscheidungen treffen und spezifische Aufgaben, vielleicht auch Probleme, bewältigen. Die damit verbundenen biographischen Unsicherheiten stellen hohe Anforderungen an das Handeln der Jugendlichen. Zudem haben sich die Übergänge von der Schule in eine Ausbildung oder ein Studium verändert: sie sind vielfältiger und unübersichtlicher, meist länger, weniger strukturell vorgeben und somit insgesamt risikoreicher (SCHOBER 2001). Die notwendigen Übergänge sind demnach zu gestalten und zu planen, wobei die Schule den jungen Menschen Hilfestellungen anbieten soll, damit sie „lebensbegleitendes Lernen und ihren beruflichen Werdegang aktiv gestalten können“ (BIBB 2005). Die Schülerinnen und Schüler sollen sich mit der eigenen beruflichen Zukunft vor dem Hintergrund der von den Ländern geforderten gesellschaftlichen Bedingungen, Werten und Normen sowie sozialen Ressourcen, über die der Lernende verfügen kann, auseinandersetzten. Somit lässt sich die Berufswahl nicht auf eine einmalige Entscheidung fokussieren, sondern der von BEINKE in die Diskussion eingebrachte „Arbeits- und Berufsfindungsprozess“ (BEINKE 1999, 61) trifft den dargestellten Sachverhalt besser. Um diesen Prozess bewältigen zu können, ist eine „Arbeits- und Berufsfindungskompetenz“ (JUNG 2000) wenn nicht sogar eine noch weiter reichende „Übergangskompetenz“ (BRAUN/ EBBERS 2007) bzw. „Gestaltungskompetenz“ (KAHLERT/ MANSEL 2007) notwendig, die es dem Gymnasiasten erlaubt, eine Entscheidung gemäß seinen Wünschen Zielen und Interessen zu treffen, die die genannten Restriktionen berücksichtigt. Die Arbeits- und Berufsfindungskompetenz setzt somit ein ganzheitliches Verständnis endogener und exogener Gegebenheiten voraus. Hiervon unterscheidet sich der allgemeine, automatisch verlaufende Reifungsprozess: Möglichkeiten und Bereitschaft zur Kompetenzentwicklung sind, so JUNG (1999, 14) miteinander zu verschränken und durch qualitatives Lernen und systematisches Verändern zu unterstützen.

Qualitatives Lernen zeichnet sich hierbei durch qualitative Veränderungen kognitiver Strukturen aus. Darunter versteht JUNG (1999) u.a. eine flexible und kreative Reaktion auf Probleme mit verschiedenen Lösungsstrategien. In Anlehnung an FREI et al. (1993) sieht er hierin ein Zusammenspiel von Wachstum, Differenzierung und Integration, wobei den Oberbegriffen die Erfahrungsbereiche „Neue Erfahrungen machen“, „Unterschiede wahrnehmen“ oder „Zusammenhänge erkennen“ zugeordnet werden können (JUNG 2000, 97). Qualitatives Lernen baut auf einer Wissensebene auf, die sowohl Orientierungswissen über die Arbeits- und Berufswelt beinhaltet als auch Handlungswissen über den individuellen Berufswahl- und -entscheidungsprozess liefert und hierbei Reflexionsmöglichkeiten im Hinblick auf individuelle Voraussetzungen, Interessen und Ziele bietet.

Das bereits angesprochene systemische Verändern im Sinne von einem Verändern sozialer Zustände überlagert den Prozess des qualitativen Lernens und führt zu einer Verknüpfung von sinnlicher Wahrnehmung, kognitiver Reflexion und deren handlungsorientierter Bewältigung (JUNG 2000, 97). Deshalb sollten neben der Gewinnung von Informationen zum Arbeitsmarkt, zu Berufswegen und berufskundlichen Kenntnissen vor allem die individuellen Interessen erkundet und die persönlichen Fähigkeiten exploriert werden. Im Bereich der Handlungsebene wird das abstrakte Fachwissen unter einer berufspraktischen Perspektive überprüft und dies sowohl in realen Situationen (siehe Betriebspraktikum) als auch in Simulationen. Dabei soll dem Lernenden die Komplexität der Arbeitswelt – auch im Sinne sich veränderter sozialer Rollenerwartungen – plausibler werden. Allerdings können berufsorientierende Angebot nur bildungswirksam werden, wenn den Lernenden die Individualität des Berufswahlprozesses bewusst ist. Dies bedingt zum einen einen starken Lebensweltbezug zwischen den berufsorientierenden Angeboten und dem lebensweltlichen Kontext der Jugendlichen, was für das Lehr-Lernarrangement eine Individualisierung nach sich zieht (OECHSLE/ MASCHETZKE et al. 2009). Zum anderen impliziert die Ebene der Selbstreflexion eine stärkere Förderung der Eigenverantwortung und erfordert unter didaktischer Perspektive eine Orientierung am Leitbild des handelnden und selbstreflexiven Jugendlichen (WENSIERSKI et al. 2005, 52ff). Diese Perspektive gewinnt vor dem Hintergrund der sich wandelnden Arbeitswelt und der sich nicht mehr linear gestalteten Erwerbsbiographien an zusätzlicher Brisanz. Der Umgang mit der eigenen Erwerbsbiographie und ein gutes Orientierungsvermögen in der sich wandelnden Welt mit einem Blick auf die eigene „Employability“ gewinnen an Bedeutung (SCHUHEN 2008). Greift man diese Aspekte auf, so treten neben das allgemeine Ziel der Berufsorientierung und der Selbsteinschätzungskompetenz, eine „Selbstinformationskompetenz“ und eine „Berufsentwicklungsstrategiekompetenz“, um Übergänge zu gestalten. Solche Kompetenzaspekte wie auch die Vermittlung der intendierten Übergangs- und Gestaltungskompetenz sind an Gymnasien bisher alles andere als verständlich, obwohl sie sich in die Praxisphase „Betriebspraktikum“ integrieren ließen.

4 Perspektiven für das gymnasiale Betriebspraktikum

Betrachtet man die Anforderungen an eine gymnasiale Berufsorientierung mit dem Ziel einer „Übergangs- und Gestaltungskompetenz“ und die gegebenen Rahmenbedingungen eines (1) weit vor dem Berufs- oder Studieneinstieg platzierten, (2) meist nur vierzehntägigen Praktikums, der (3) häufig nicht gegebenen Praktikamöglichkeiten für akademische Berufe vor Ort sowie eines (4) nahezu unreflektierten und nicht unterrichtlich eingebundenen Praktikums (HÜBNER 1995, 17) sind zwei Perspektiven zu diskutieren:

1. Perspektive

Der praktische Bedarf einer Praxisphase ist am Ende der Mittelstufe bzw. am Anfang der Oberstufe für die Schülerinnen und Schüler noch nicht gegeben; allenfalls eine Sensibilisierung ist für Themen wie Berufs- und Studienwahl vorhanden (KNAUF 2005). Die Schüler wissen in Folge dessen noch nicht, welches Praktikum für ihre Berufswahlentscheidung aussagekräftig sein könnte. Sollen Jugendliche ferner dazu befähigt werden, ihre Studien-, Berufs- und Erwerbsbiographie selbst und eigenverantwortlich zu gestalten, bedarf es einer Kompetenz fördernden Anleitung und Begleitung, die genügend Anreize für selbst gesteuertes Lernen bietet. Besonders die Nutzung neuer Medien und die Vermittlung von primären Informationen z.B. durch Berufstätige sind unter dieser Perspektive zu integrieren. Ebenfalls sollte die Reflexion des beruflichen Alltags und der persönlichen Entwicklung im einmal gewählten Beruf ein höherer Stellenwert eingeräumt werden (DRIESEL-LANGE/ HANY 2005, 2). Es ist zu fragen, welche „Managementstrategien“ in Bezug auf den eigenen Orientierungs- und Findungsprozess sich innerhalb eines so verorteten Betriebspraktikums nachhaltig vermitteln lassen, so dass sie später während der individuellen „Findungsphase“ des Jugendlichen von ihm selbst angewendet werden können.

2. Perspektive

Der „Ausflug“ in die Arbeitswelt sollte weniger unter dem Blickwinkel eines direkten Bedarfs für die Berufswahl der Schülerinnen und Schüler gesehen werden. Vielmehr wird die „Realbegegnung“ Praktikum innerhalb des sozialwissenschaftlichen Unterrichts als eine zusätzliche Möglichkeit zur Vertiefung ökonomischer und methodischer Bildung im Rahmen des allgemeinbildenden Auftrags gesehen. Dieser Aspekt verweist nachdrücklich auf den unterrichtlichen Kontext, in den das Betriebspraktikum eingebunden sein sollte. Während des Praktikums sind berufliche Tätigkeiten, Arbeitsmittel, Fertigungsabläufe und -prozesse beobachtbar und erfahrbar sowie technische, ökonomische oder organisatorische Prinzipien erhebbar. In diesem Sinne ist das Betriebspraktikum eine Erkenntnishilfe für technische und ökonomische Zusammenhänge.

Beide Perspektiven auf die meist erste – einmal abgesehen von Ferien- und Nebenjobs – Praxisphase in beruflichen Entwicklungsprozessen haben ihre Berechtigung, fokussieren jedoch verschiedene Zielsetzungen und sollten deshalb unter methodischen und fachdidaktischen Gesichtspunkten unterschiedlich behandelt werden.

4.1Das Betriebspraktikum als Erkenntnishilfe einer vertieften ökonomischen Bildung

Wird das Betriebspraktikum unter dem Blickwinkel einer vertieften ökonomischen Bildung betrachtet (in Anlehnung an SCHUDY 2002, 9 „Berufsorientierung als arbeitsweltbezogene Allgemeinbildung“), so sollte im Zentrum eine intensive Analyse unternehmerischer Prozesse stehen. Dadurch gewinnt die theoretische Einbettung des im Praktikum Gelernten in den Unterricht an Bedeutung und der theoretische Bezug zu den Fächern Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre wird deutlich.

In diesem Fall dient die Praxisphase der Beschaffung von Informationen, die nur im Betrieb erfahrbar sind und sie ermöglicht die Entstehung eines konkreten Erfahrungshintergrundes für modellgeleitete oder -gestützte unterrichtliche Arbeit. So betrachtet, ist das Schülerbetriebspraktikum eine Methode (neben anderen) der Informationsbeschaffung und des Erfahrungserwerbs. Im Bereich der Erfahrungsmöglichkeiten sind allerdings einige Einschränkungen vorzunehmen: so verschließen sich aus der Rollendefinition der Schüler als Praktikanten u.a. einige Arbeitnehmererfahrungen, aber auch bestimmte (berufs-)typische Tätigkeiten und Anforderungen. Ferner erschwert der auftretende Kontrast zwischen der „neuen“ Arbeitsrealität und der „bekannten“ Schulrealität mit den vielfältigen Informationen, Erlebnissen und Erfahrungen eine – insbesondere auch kritische – Einschätzung (HÜBNER 1995, 18).

Wird das Betriebspraktikum als Erkenntnisinstrumente für den ökonomischen Unterricht eingesetzt, so stehen die Lernmöglichkeiten der Schüler und damit verknüpft die Auswahl der Lernorte im Zentrum der Analyse im Vorfeld (FELDHOFF/ OTTO et al. 1985, 34). Um den unterrichtlichen Mehrwert zu optimieren, sollte der gymnasiale Praxiskontakt deshalb branchenspezifisch ausgestaltet sein.

Damit die gymnasiale Perspektive in Form eines wissenschaftspropädeutischen Arbeitens eingehalten wird, sollte eine Neukonzeption des Praktikums auf eine kompetente Anwendung der Methoden der empirischen Sozialforschung abzielen. Mit empirischer Sozialforschung und den dort zur Verfügung stehenden Methoden können eine Reihe sehr unterschiedlicher Ziele verfolgt werden:

(1) Die Schülerinnen und Schüler können soziale und betriebswirtschaftliche Sachverhalte anhand systematisch gesammelter Daten beschreiben und auf dieser Grundlage Arbeitshypothesen entwickeln,

(2) sie können durch induktiven Vorgehens Theorien und Hypothesen auf der Grundlage empirischer Beobachtungen entwickeln oder modifizieren,

(3) sie können mit Hilfe eines deduktiven Vorgehens sozialwissenschaftliche Theorien und daraus entwickelte Hypothesen durch empirische Daten überprüfen (DIEKMANN 2007).

Die geforderte Perspektive „Selbstgesteuertes Lernen“ eignet sich besonders für den Praxiskontakt, da die Realsituation im Betrieb nicht automatisch Lern- und Bildungszielen des Unterrichts folgt (LOERWALD 2009). Dabei muss jedoch die Herausforderung bewältigt werden, dass das Erfahrene nicht immer ohne weiteres im Bereich der ökonomischen Bildung zu verallgemeinern ist (KROL u.a. 2006). Übertragen auf den Kontext bedeutet dies, dass die Lernenden in der Lage sein müssen, unternehmerische Prozesse zu analysieren. Dazu ist es notwendig im Vorfeld gemeinsame Kriterien und Fragestellungen zur Beobachtung ihres eigenen Arbeitsplatzes und gegebenenfalls umliegender Arbeitsplätze zu erarbeiten. Mit diesen gemeinsamen Fragestellungen zur Beobachtung ausgestattet, untersuchen sie dann während ihres Praktikums ihren Betrieb und können im Anschluss an das Praktikum ihr gesammeltes Wissen den Mitschülern zur Verfügung stellen. Dadurch, dass alle Schüler hierbei in einer Branche ihre Praxiserfahrungen sammeln und auf die gemeinsam aufgestellten Kriterien zurückgreifen, werden die Erfahrungen zumindest in einem gewissen Maße vergleichbar. Methodisch nutzen die Schülerinnen und Schüler vor allem Interviewtechniken, da viele betriebswirtschaftliche Aspekte nicht beobachtbar sind.

Inhaltlicher Ausgangspunkt der Analyse ist der Arbeitsplatz bzw. die Arbeitssituation. Angelehnt an das betriebswirtschaftliche Konzept der Arbeitsplatzanalyse fertigen die Schülerinnen und Schüler eine systematische Beschreibung eines Arbeitsplatzes und der für ihn typischen Arbeitsvorgänge zur Bestimmung der physischen und psychischen Anforderungen, die von ihm an den Menschen gestellt werden, an. Die Arbeitsplatzanalyse dient als Oberbegriff für vier Teilanalysen: Aufgaben-, Bedingungs-, Rollen- und Anforderungsanalyse (BERTHEL/ BECKER 2007, 422 ff).

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Abb. 1:   Teilbereiche einer Arbeitsplatzanalyse (BECKER 2002, 45)

 (1) Traditioneller Ausgangspunkt einer Arbeitsplatzanalyse ist die Aufgabenanalyse und die Analyse der Erfüllungsprozesse unter dem Aspekt der formalen und informellen Organisation. Zur formalen Organisation gehört das Organisationsmodell (z.B. Stab-Linien-System). Denkbar wäre ein einfaches Computermodell, deren Variablen geändert werden können, wodurch sich Konsequenzen für weisungsbefugte und beratende Funktionen im Entscheidungssystem des Betriebs ergeben. Neben den Leitungsstrukturen des Unternehmens stehen Arbeitsabläufe und der Produktionsprozess im Zentrum der selbst gesteuerten Analyse. Um die informellen Organisationsprinzipien selbstständig zu analysieren, muss allerdings im Vorfeld in Zusammenarbeit mit den Betrieben erarbeitet werden, welche Indizien die Schüler überhaupt selbstständig erkennen können. Außerdem muss die Frage beantwortet werden, wie die Schüler die Fähigkeit erlangen, aus diesen Indizien Schlussfolgerungen zu ziehen.

(2) Die Verlängerung der Aufgabenanalyse stellt die Bedingungsanalyse dar. Sie betrachtet die Arbeitsverfahren (Gliederung der Erfüllungsvorgänge), die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsmittel.

(3) Die Rollenanalyse konzentriert sich auf die personellen Interaktionsbeziehungen zwischen den Arbeitsplatzinhabern und zu den externen Partnern. Unter dem Rollenaspekt könnten auch Fragen der Mitbestimmung diskutiert werden.

(4) Die Anforderungsanalyse wird aus den Ergebnissen der Rollenanalyse abgeleitet. Die Anforderungsanalyse soll die aktuellen Anforderungen zur Erfüllung einer Arbeitaufgabe am Arbeitsplatz systematisch ermitteln (z.B. mit Hilfe des Genfer Schemas). Sie basiert auf den vorgelagerten Teilbereichen der Arbeitsplatzanalyse und leitet aus deren Ergebnissen die konkreten Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiter ab.

Am Ende dieser Analyse könnte ein Anforderungsprofil stehen, das in einem nächsten Schritt mit der Arbeitsbewertung und somit mit dem Thema Arbeitsentgelt verknüpft wird. Methodisch könnten die Schülerinnen und Schüler auf unstandardisierte Methoden wie vorliegende Stellenbeschreibungen, freie Bereichte von Stelleninhabern und Vorgesetzten zurückgreifen. Ebenfalls kommen halbstandardisierte Verfahren wie Arbeitstagebücher, Beobachtungen und vor allem Interviews in Frage.

4.2 Das Betriebspraktikum als erster Praxisbaustein zum Aufbau einer Übergangs- und Gestaltungskompetenz

Soll das gymnasiale Betriebspraktikum als ein erster Erfahrungsbaustein zum Aufbau einer Übergangskompetenz dienen, so sind neben Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Selbstdefinition (OECHSLE/ MASCHETZKE et al. 2009) vor allem Informations- und Berufsentwicklungskompetenzen im Sinne einer „Employability“ zu fördern. Dazu benötigen die Schülerinnen und Schüler Anleitung und Unterstützung bei einer sowohl auf die eigene Person wie auf äußere Rahmenbedingungen und Chancenstrukturen gerichteten Exploration. Aufgrund der Vielfalt weiterführender Bildungsmöglichkeiten für Gymnasiasten und der Freiheit, sich selbst entscheiden zu können, wächst allerdings das Risiko, sich falsch zu entscheiden. PRAGER/ WIELAND (2005) sehen gerade in den nahezu unbegrenzt vielen Möglichkeiten und den vielfältigen Informationen und Informationsangeboten das Problem. Und auch der Lehrer kann nur begrenzt aufgrund seiner eigenen biographischen Erfahrungen weiterhelfen (LIENING 2001, 111). Zusätzlich könnten die Eltern als Berater in den Berufswahlprozess integriert werden. Sie haben, so MICHAELIS (2008), eine hohe Kompetenz als Ansprechpartner und genießen das Vertrauen der Jugendlichen. Allerdings müssten sie – unter dem Blickwinkel einer Studienentscheidung – über eine akademische Vorerfahrung verfügen, um kompetent zu unterstützen.

Einen ersten Lösungsansatz dieses biographischen Entscheidungsproblems bietet das inzwischen vielfach angebotene Duale Orientierungspraktikum. Es ermöglicht exemplarisch Einblicke sowohl in die akademische Qualifizierungsphase eines Studiengangs als auch in die korrespondierende berufliche Praxis. Die Schülerinnen und Schüler verbringen meist zunächst eine Woche an einer Hochschule in einem qualifizierenden Studiengang, anschließend hospitieren sie in einem akademisch geprägten Tätigkeitsbereich und schließlich reflektieren sie ihre Erfahrungen mit Hilfe der betreuenden Lehrerinnen und Lehrer sowie des Teams für akademische Berufe der Agentur für Arbeit.

Das Duale Praktikum löst allerdings noch nicht die diskutierten Probleme, denn die Exploration der eigenen Biographie steht meist noch aus bzw. ist erst rudimentär vorhanden und auch die notwendige Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler ist erst grob strukturiert. So dienen die praxisorientierten Angebote eher dazu herauszufinden, was man nicht will (KNAUF 2005).

Vor diesem Hintergrund sollte der Schwerpunkt auf einem selbstgesteuerten Erarbeiten biographisch-berufswahlrelevanter Kriterien und Reflexionsaspekte liegen (siehe auch die Forderung von WIENSIERSKI et al. 2005, 52). Ziel ist es nicht, den eigenen Berufsweg zu planen, sondern Kriterien zu finden, die als Kriterien für die individuelle, vielleicht erst später stattfindende Entscheidung herangezogen werden können, wenn kurz vor Schulende die Selbstinformationsphase der Schülerinnen und Schüler und somit die Selbstfindungsphase immanent wird. Somit stehen nicht der individuelle Bedarf und die individuelle Entscheidung, sondern die Generierung von Selbstreflexionskriterien im Zielfokus.

Wiederum ausgehend von der bereits beschriebenen Arbeitsplatzanalyse könnte die sachliche Analyseebene – bei einem Dualen Praktikum sogar notgedrungen – verschoben und auf Entwicklungsperspektiven und berufliche Rahmenbedingungen (z.B. Ausbildungsdauer, Mobilität, Arbeitsbedingungen, Gehalt, Arbeitszeiten, Karrierepfade, Vereinbarkeit von Familie und Beruf aber auch Funktion innerhalb der Organisation) gelenkt werden. Hierbei sollte deutlich werden, dass die individuelle Karriereentwicklung meist einen prozessualen Charakter aufweist und sehr eng mit dem gesamten Lebenszyklus eines Mitarbeiters zusammenhängt. So werden im Allgemeinen Karrieren in drei Phasen eingeteilt (1) frühe Karrierephase (15-30 Jahre, erste Zeit nach dem Berufseinstieg; Familiengründung), (2) mittlere Karrierephase (35-50 Jahre, Beförderungszeit, Mid-Life-Crises, Kinder verlassen das Elternhaus) und (3) späte Karrierephase (50-60 Jahre, letzte Beförderungschance, Ruhestandskrise) (BECKER 2002, 286). Darüber hinaus sollten die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass es verschiedene Karrieremuster und Entwicklungspfade (z.B. Verkäufer – Einzelhandelskaufmann – Abteilungsleiter usw.) gibt, die sich im Rahmen einer ersten Praxisphase entdecken lassen.

Dabei kann das Vorgehen schülerinteressengeleitet individuell aber auch anhand eines vorgegebenen Fallbeispiels erfolgen. Letzterer Zugang vermeidet normative Vorgaben und die Schülerinnen und Schüler erhalten ein Instrumentarium an die Hand, mit dessen Hilfe sie auch später für sich Informationen sammeln und in eine wertfreie und individuelle Diskussion ihrer Berufs-/ Familien- und Karrierewünsche treten können.

Methodisch bedeutet dies, dass die Schülerinnen und Schüler selbstständig ein Berufs- und Anforderungsprofil erstellen und mit Hilfe von gezielten Erkundungen und Experteninterviews an Hochschulen und in Betrieben (Mitarbeiter in unterschiedlichen Karrierephasen und Hierarchieebenen) Anforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten explorieren und diese in Form von Szenarien im Spannungsfeld von Berufs- und Arbeitsmarkt, familiären Wünschen sowie der eigenen Karriereorientierung fortschreiben.


Literatur

 

ABEL, J. (2002). Kurswahl aus Interesse? Wahlmotive in der gymnasialen Oberstufe und Studienwahl. Die deutsche Schule. Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, Bildungspolitik und pädagogische Praxis, J. 94, N. 2, 192-204.

BECKER, F. (2002): Lexikon des Personalmanagements: Über 1000 Begriffe zu Instrumenten, Methoden und rechtlichen Grundlagen betrieblicher Personalarbeit. 2. Aufl. München.

BERTHEL, J./ BECKER, F.G. (2007): Personal-Management. 8. Aufl., Stuttgart.

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Zitieren dieses Beitrages

SCHUHEN, M. (2009): Schülerbetriebspraktikum an Gymnasien. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 17, 1-15. Online: www.bwpat.de/ausgabe17/schuhen_bwpat17.pdf (17-12-2009).  

 

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