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bwp@ Ausgabe Nr. 17 | Dezember 2009
Praxisphasen in beruflichen Entwicklungsprozessen
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 17 sind Tade Tramm, H.-Hugo Kremer & Bernadette Dilger

Praxiserfahrungen in Sabbaticals –Status Quo, Potenziale und Perspektiven im Rahmen der Lehrerprofessionalisierung

Beitrag von Stefanie HOOS (Universität Kassel)

Abstract

Sabbaticals ermöglichen eine Arbeitsunterbrechung unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses. Im Schulkontext werden sie mittlerweile v. a. als ein personalwirtschaftliches Instrument zu Professionalisierungszwecken eingefordert. Praxiserfahrungen bzw. der Erwerb dieser erhalten dabei besondere Aufmerksamkeit. Im Beitrag werden vor diesem Hintergrund organisationale Implementationsstrategien entsprechender Auszeiten mit individuellen Einsatz- und Nutzungsstrategien von Sabbaticallehrkräften insbesondere in Bezug auf Praxiserfahrungen konfrontiert. Dabei werden zunächst nationale bildungspolitische und wissenschaftstheoretische Idealvorstellungen von Sabbaticaleinsätzen vorgestellt. Auffällig sind die hohen ideellen Erwartungen gepaart mit kaum existierenden Rechtsverbindlichkeiten hinsichtlich einer entsprechenden Umsetzung. Der aktuelle Stand der Sabbaticalnutzung bzgl. des Zugewinns an Praxiserfahrungen wird in einem zweiten Schritt entlang von exemplarischen Befragungsergebnissen (n= 28 Sabbaticallehrkräfte aller Schulformen aus Hessen) sowie deutschen Sonderfallregelungen („Sabbatjahr für Lehrer/-innen in der Wirtschaft“; „Forschungssabbatical für Lehrer“) und ausländischen Sabbaticalmodi erörtert. Diese Grundlagen erlauben es in der Folge, Schlüsse und Perspektiven für einen gezielten Sabbaticaleinsatz im Sinne von Praxiserfahrungen als Teil berufsbegleitender Professionalisierungsprozesse zu ziehen: Der Grad der Nutzungsverbindlichkeit für Sabbaticals ist auch ausschlaggebend für den Raum, den praktische Erfahrungen erhalten. Nicht desto trotz werden auch in freigestaltbaren Sabbaticalzeiten die diesbzgl. vereinzelt gewonnenen Praxiserfahrungen positiv herausgestellt.


Practice experiences in sabbaticals – status quo, potential and perspectives in the context of the professionalisation of teachers

Sabbaticals make it possible to interrupt work while maintaining employment. In the school context they are now being requested, for the most part, as a human resource instrument for professionalisation purposes. Practical experiences or the gaining thereof receive particular attention. In this paper, against this background, organisational implementation strategies of such sabbatical periods are held against the individual commitment strategies and the benefit strategies of sabbatical teachers, particularly with regard to practice experiences. Firstly, the ideals of what sabbaticals should be are presented, in terms of national education policy and academia. The high ideal expectations are very striking, paired with hardly existent legally binding factors regarding a corresponding implementation. The current level of use of sabbaticals in terms of the value-added for practice experiences is discussed in a second step using questionnaire results (n=28 sabbatical teachers from all school types in the federal state of Hesse) as well as particular regulations in Germany (‘sabbatical year for teachers in commerce and industry’, ‘research sabbatical for teachers’) and modes of sabbatical in other countries. This basis makes it possible, in the next step, to draw conclusions and perspectives for a targeted use of sabbaticals in the sense of practice experiences as part of professionalisation processes that take place alongside work: the level of usefulness of sabbaticals is also decisive for the space allocated to practical experiences. Nonetheless, the individual practice experiences gained in sabbatical periods which can be designed more freely are also emphasised positively.

 

1 Sabbaticals – Begriff- und Standortbestimmung

Das englische Wort Sabbatical leitet sich vom hebräischen Wort šaạvat ab, was übersetzt ‚ruhen‘ bedeutet und auf dem gleichnamigen traditionellen Ruhetag in der jüdischen Religion basiert. Heute stehen Sabbaticals für eine Arbeitsunterbrechung unter Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses. Im Bereich der Arbeitszeitgestaltung und -flexibilisierung angesiedelt, soll das Sabbatical v. a. der dauerhaften Bindung an die Organisation und dem produktiven Erhalt der Arbeitskraft des Einzelnen dienen (z. B. LUDEWIG 2001; SIEMERS 2005; THOM et al. 2002; URBAN 2000).

In der Neuzeit wurde diese Idee Ende des 19. Jahrhunderts von amerikanischen Universitäten und Colleges aufgegriffen, die ihren Professoren und Professorinnen nach ein paar Jahren der Lehrtätigkeit eine Auszeit insbes. für Forschungs- und Professionalisierungszwecke ermöglichten (EELLS/ HOLLIS 1962). Diese Freistellungszeit für Forschung und Weiterbildung setzte sich im Laufe der Jahre auch an europäischen Hochschulen durch und dehnt(e) sich langsam im Öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft aus (BIELENSKI 2000; EURYDICE 2003; RUSCHHAUPT-HUSEMANN/ STARR 1987).

Beweggründe für eine Institutionalisierung von Auszeiten an Schulen gibt es viele. Zu Beginn der 1980er Jahre erwuchs die Diskussion um die Einführung eines Sabbatjahres für deutsche Lehrer v. a. aus zwei Motiven: Zum einen wurde es als eine Möglichkeit zur Begegnung der schlechten Arbeitsmarktsituation von Lehrkräften entdeckt. Die Idee war, die Sabbaticalteilnehmenden durch zusätzliches Personal vertreten zu lassen (RADTKE/ SCHWEINS 1986; RUX 1982). Zum anderen sollte die Beurlaubung zu Fortbildungszwecken erfolgen (PHV NIEDERSACHSEN 1985; WILL 1987). In den 1990er Jahren wurde die Umsetzung im Rahmen der Auseinandersetzung mit Belastung und Beanspruchung von Lehrkräften als Perspektive zur psychophysischen Entlastung und Stärkung individueller Ressourcen von Lehrenden weiter vorangetrieben (BECKER/ GONSCHOREK 1990; KRAMIS-AEBISCHER 1996; RUDOW 1994).

Ergänzend dazu wird das Sabbatical aktuell im Kontext von Arbeitszeit-, Personalmanagement- sowie Laufbahnregelungen zur adäquaten Verrechnung der Lehrerarbeit und zur Erhöhung der Fortbildungs- und Innovationsbereitschaft sowohl eingefordert aber auch erprobt (KLEMM 1996; SIELAND/ TACKE 2000; SCHÖNWÄLDER et al. 2003; SCHRAMM 1999).

Im Schuldienst ist mittlerweile ein Sabbat(halb-)jahr für Lehrkräfte in fast allen Bundesländern möglich. Vorreiter war der Berliner Schuldienst im Jahr 1987, Hessen folgte bspw. mit der Ansparmöglichkeit vom Schuljahr 1996/97 an (GEW 2007).

Rechtlich handelt es sich beim Sabbatical im öffentlichen Dienst um ein Teilzeitmodell, mit einer mehrjährigen Ansparphase und einem Freistellungszeitraum von einem halben oder einem ganzen Jahr (ebd.). In der Umsetzung bedeutet dies eine in einem entsprechenden Bewilligungszeitraum verminderte Unterrichtsverpflichtung, einschließlich entsprechender Besoldungsreduktion. Im Unterschied zu einer herkömmlichen Teilzeitbeschäftigung verteilt sich die Unterrichtsverpflichtung nicht gleichmäßig über den entsprechenden Bewilligungszeitraum, sondern ermöglicht im letzten Halb-/ Jahr des Zeitraumes eine Freistellung von jeglicher Dienstverpflichtung (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1:   Sabbaticalvertrag (Grundschema)

Die aufgrund der Teilzeit reduzierten Dienstbezüge erstrecken sich hingegen über die gesamte Laufzeit des entsprechenden Bewilligungszeitraumes, so dass auch während des Sabbatjahres eine Besoldung erfolgt und eine Beihilfeberechtigung bestehen bleibt. Als Ansparmodus kann zwischen verschiedenen Möglichkeiten, bspw. 1/2, 2/3, 3/4, 4/5, 5/6 oder 6/7, gewählt werden. Dienstverpflichtungen für den Sabbaticalzeitraum bestehen nur in Sonderfällen (s. u.). Die Gestaltung der so gewonnenen Zeit obliegt folglich i. d. R. der Lehrkraft selbst.

2 Sabbaticals und Praxiserfahrungen – Forschungsstand und Diskussion

Praxiserfahrungen können im Rahmen von Sabbaticals im Wesentlichen auf drei Arten Umsetzung erfahren:

Zum einen kann das Sabbatical schulischen Praxiserfahrungen außerhalb des eigenen Berufsalltags dienen. D. h. es können bspw. Unterrichtskenntnisse im Ausland gewonnen werden.

Zum zweiten bietet das Sabbatical in besonderem Maße disponible Zeit, die auch für Praxiserfahrungen außerhalb der beruflichen Tätigkeit einer Lehrkraft genutzt werden kann. Betriebliche Praxisphasen in Form von Praktika (BILDUNGSKOMMISSION DER HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG 2003; FORUM BILDUNG 2001; SACHVERSTÄNDIGENRAT BILDUNG BEI DER HANS-BÖCKLER-STIFTUNG 2001) oder Praxiserfahrungen in anderen außerschulischen Tätigkeitsfeldern stellen hier Optionen dar.

Zum dritten werden Sabbaticals für Lehrkräfte als Möglichkeit verstanden, Forschungstätigkeiten in Labors oder anderen Wissenschaftseinrichtungen sicher zu stellen (ALTRICHTER/ MAYR 2004; ROBERT-BOSCH-STIFTUNG 2006; WUNDER (1999) spricht explizit von einem „Hochschul-Sabbatsemester“ (333); ähnlich PHV NIEDERSACHSEN 1985).

Diese drei Anknüpfungsbereiche werden im Folgenden im Kontext nationaler, u. a. eigener, sowie internationaler Forschungsergebnisse näher beleuchtet.

2.1 Nationale Sabbaticalmodelle und -forschung

Die in Deutschaland vorherrschenden Sabbaticalregelungen sind bislang kaum erforscht. Hinweise auf eine Verbindung der Sabbaticaloption mit Praxiserfahrungen ergeben sich überwiegend aus in Bildungspolitik und Wissenschaft getroffenen Aussagen zu wünschenswertem Sabbaticalverhalten. Hierzu zählt bspw. das Plädoyer, Lehrkräfte sollten sich mit Hilfe von Praktika professionalisieren (z. B. FORUM BILDUNG 2001; PHV NIEDERSACHSEN 1985; VBW 2002).

Erste Befragungsergebnisse (DELLER 2004, n=31 Mitarbeitende einer Unternehmensberatung; GERDING 2000, n=eine unbekannte Anzahl von Lehrkräfte aus NW; KLENNER et al. 2002, n=6 Sabbaticalnutzer/innen; SIEMERS 2005, n=30 Sabbaticalteilnehmende aus HB) zum Sabbaticalteilnehmerverhalten (nicht nur im Schulkontext) unterbreiten ähnliche Anlässe der Sabbaticalnutzung wie die Forderungen und Vorstellungen von Seiten der Arbeitnehmer, der Politik und der Wissenschaft: Das Sabbatical ermöglicht berufliche Fort- und Weiterbildung sowie Neu-/ Umorientierung, Erweiterung sozialer Kompetenzen, Regeneration, Reflexion der eigenen Arbeit, Persönlichkeitsstärkung, Blickwinkelerweiterung und die Nutzung therapeutischer Angebote. Von einem Einschub von Praxisphasen in berufliche Entwicklungsprozesse wird in diesem Kontext nicht explizit berichtet.

Darüber hinaus werden Forderungen nach mehr Nutzungsverbindlichkeit laut: „In eine [..] Rahmenvereinbarung gehören auch Festlegungen über den Umfang der Pflichtfortbildung und ihrer Situierung in der unterrichtsfreien Zeit, im Sabbatjahr und in der Unterrichtszeit.“ (BILDUNGSKOMMISSION DER LÄNDER BERLIN UND BRANDENBURG 2003, 256).

Eine rechtlich verankerte Rechenschaftslegung gibt es allerdings bislang nur in Sonderfällen. So wurden bspw. auf Initiative der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. in den Schuljahren 2001/02 sowie 2002/03 bis zu zehn Gymnasiallehrkräfte für jeweils ein Jahr zur Tätigkeit bei Unternehmen der bayerischen Wirtschaft beurlaubt. Als „Sabbatjahr für Lehrer/-innen in der Wirtschaft“ (VBW 2002) konzipiert, sollte dies der Verbesserung des Verhältnisses von Schule und Wirtschaft dienen: „Dieses Modellprojekt bietet den beteiligten Lehrern die Gelegenheit, sich ein wirklichkeitsgetreues Bild von der vielfältigen Arbeit in einem Unternehmen zu machen. Die so gewonnenen Erfahrungen sollen an die Schüler und Kollegen mit einem hohen Multiplikatoreneffekt weitergegeben werden.“ (ebd., o. S.).

Eine weitere Sonderregelung stellt das sog. „Forschungssabbatical für Lehrer“ (ROBERT-BOSCH-STIFTUNG 2006) dar, das ebenfalls Gymnasiallehrkräften ermöglicht, am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg mit Förderung der Robert Bosch Stiftung ein sechsmonatiges Forschungssemester zu absolvieren: „In dieser Zeit bearbeiten sie ein wissenschaftliches Projekt und gewinnen dadurch Einblicke in moderne Forschungsstrategien, experimentelle Methoden und Theorie. Gleichzeitig verpflichten sich die Lehrer zur Mitarbeit im universitären Lehrbetrieb.“ (21).

Dieser Sabbaticalvertrag zielt auf einen wechselseitigen Erfahrungsgewinn: Im Sinne einer besseren Verzahnung von Schule und Universität, sollen von der Unterrichtserfahrung und der Schulpraxis der Lehrkräfte auch die Lehramtsstudierenden profitieren (UNI HEIDELBERG 2006).

Die letzten Beispiele machen deutlich, welches Potenzial Sabbaticalzeiten grundsätzlich für die Verortung von Praxisphasen in der beruflichen Entwicklung von Lehrkräften besitzen. Gleichzeitig muss noch einmal die Seltenheit solcher Sabbaticalpraxis betont werden.

2.2 Eigene Untersuchung

Hinweise zur Bewertung der Verzahnung von Lehrersabbaticals und Praxiserfahrungen liefert eine von mir vorgenommene Interviewstudie. Ziel dieser war es, individuelle Einsatz- und Nutzungsstrategien von Sabbaticallehrkräften sowie moderierende Faktoren zu identifizieren und mit entsprechenden in Bildungspolitik und Wissenschaft geäußerten Zielvorstellungen zu konfrontieren.

Dazu wurden 28 Lehrerinnen und Lehrer hessischer Schulen befragt, die im Zeitraum von Einführung des Sabbaticals im hessischen Schuldienst bis zum Jahr der Untersuchung mindestens ein Sabbatical beantragt und abgeschlossen hatten und im Anschluss in den Schuldienst zurückgekehrt waren.

Als Erhebungsmethode wählte ich das problemzentrierte Interview nach WITZEL (1985), um zu garantieren, dass die Betroffenen selbst zu Wort kamen, die subjektiven Schilderungen begünstigt und Freiräume zugunsten des Untersuchungsgegenstandes eröffnet wurden. Mithilfe eines Kurzfragebogens wurden soziodemographische und anderen Sozialdaten der Befragten sowie der Sabbaticalzeitraum ermittelt.

Die Interviews wurden mit dem Einverständnis der Interviewten in digitale Audiodateien verwandelt und bereits in der Datenerhebungsphase aufbereitet sowie ersten Auswertungsschritten unterzogen. Die Datenauswertung erfolgte im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse nach MAYRING (2003) und unter zu Hilfenahme des qualitativen Datenanalyseprogramms MAXqda2 (KUCKARTZ 2007).

Letztlich wurden 17 weibliche und 11 männliche Sabbaticallehrkräfte befragt. Drei Personen waren zu Beginn des Sabbaticals im Alter zwischen 41 bis 45 Jahre, acht im Alter zwischen 46 und 50, 14 im Alter zwischen 51 und 55 sowie zwei über 55 Jahre alt (1x k. A.) (vgl. Abb.2).

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Eine vorsichtige Verallgemeinerung auf die entsprechende Grundgesamtheit erscheint insofern möglich, da die Stichprobe von n=28 Lehrenden nach Angaben des Hessischen Kultusministeriums (HKM 2006) etwa 5-10% der jährlichen Sabbaticalnehmenden in Hessen entspricht, bei insgesamt steigender Inanspruchnahme in den letzten Jahren. Das Gros (n=23) der Befragten entfiel auf die Altersgruppe 45 bis 55 Jahre, was ebenfalls der Hauptaltersgruppe der hessischen Sabbaticalnehmenden gleichkommt (ebd.).

Hinsichtlich Praxiserfahrungen können folgende Ergebnisse festgehalten und diskutiert werden:

Ehrenamtlich und freiwillig engagierten sich während der Sabbaticalzeitdauer vier der 28 befragten Lehrer/innen. Dies erfolgte zweimal spontan und war zweimal von vornherein als grundsätzliches Ziel ins Auge gefasst worden. Hierunter fällt die Tätigkeit als Hilfslehrerin für das Fach Deutsch an einer ausländischen Schule, die Führung von Wattwanderungen, die Hilfstätigkeit bei einer Tierärztin oder die Betreuung von Behinderten in einer entsprechenden Wohngemeinschaft. Darüber hinaus wurde in einem Fall an einer archäologischen Ausgrabung als „freiwilliger Helfer“ (08: 96) teilgenommen.

Das Sammeln von „Erfahrungen in anderen Berufsfeldern“ (SACHVERSTÄNDIGENRAT BILDUNG BEI DER HANS BÖCKLER STIFTUNG 2001, 28) bspw. in Form von Praktika in der Arbeitswelt entspricht den bildungspolitischen Vorstellungen des SACHVERSTÄNDIGENRAT DER HANS BÖCKLER STIFTUNG (ebd.), der BILDUNGSKOMMISSION DER HEINRICH_BÖLL_STIFTUNG (2003) und dem FORUM BILDUNG (2001). Obwohl an entsprechender Stelle nicht näher erläutert, geht mit einer solchen Forderung vermutlich die Hoffnung einher, „außerhalb der Bildungsinstitutionen die Welt [...] kennenzulernen“ (RADTKE/ SCHWEINS 1986, 178, Hervorhebung im Original) und „Wissen aus verschiedenen Perspektiven [zu] betrachten und in verschiedenen Kontexten probeweise an[zu]wenden“ (MAISCH 2006, 210), „aber auch um das zuerproben [sic!], was die Schüler praktisch können sollen“ (BECKER 1990, 63).

In der Folge bewerten die Befragten ihre ehrenamtliche Tätigkeit ambivalent als „Arbeit“ (03: 53), auch wenn man sie gerne erledigt sowie als „interessante Erfahrung“ (03: 53) und „Freude“ (22: 150). Sabbaticalfolgen aus der ehrenamtlichen Tätigkeit wurden insbesondere in einem Fall deutlich: Neben einer Einstellungsänderung gegenüber Menschen mit Behinderungen, der Konfrontation mit Muttergefühlen, der Rückkehr zum christlichen Glauben und einer Zusatzausbildung zur Hospizhelferin im Anschluss an die Auszeit, führten die Erfahrungen beruflich zu einem veränderten Unterrichtseinsatz hin zur Behindertenarbeit gepaart mit einer Einstellungsänderung gegenüber den neuen Kollegen aus anderen Berufszweigen.

In einem anderen Fall wurde als Ziel die theoretische Auseinandersetzung mit vertrauten biologisch-wissenschaftlichen Inhalten anvisiert. Diese fand dann in der Teilnahme an einem biologiedidaktischen Universitätsprojekt eine Entsprechung und wurde schließlich mit Fortbildungspunkten auch schulisch honoriert. Dieser Einzelfall kommt der Idealvorstellung, das Sabbatical als Blickwinkelerweiterung über Forschungstätigkeit in Labors, an Hochschulen u. Ä. zu nutzen, wie es ALTRICHTER/ MAYR (2004), der ROBERT BOSCH STIFTUNG (2003) oder WUNDER (1999) vorschwebt, ziemlich nahe.

Insgesamt ist als Fazit meiner Studie festzuhalten, dass das Potenzial einer Auszeitnutzung für die Gewinnung von Praxiserfahrungen z. T. genutzt wird. Dass es sich dabei auch hier eher um Einzelfälle handelt, scheint der Tatsache einer freien Sabbaticalgestaltung bei konkurrierenden Nutzungsmodellen geschuldet zu sein.

2.3 Internationale Sabbaticalforschung/ Ausländische Sabbaticalmodelle

Im Ausland besteht hingegen ein höheres Maß an Nutzungsverbindlichkeiten und Abstimmung zwischen der Organisation Schule und dem einzelnen Auszeitnehmenden, um Sabbaticalerfahrungen für alle Beteiligten möglichst fruchtbar werden zu lassen.

Das Sabbatical, aus dem englischsprachigen Raum adaptiert (vgl. oben), wird mittlerweile in vielen Ländern auf unterschiedliche Art und Weise praktiziert. So variieren v. a. organisatorische und inhaltliche Voraussetzungen für die Sabbaticalnutzung. In Australien wurde es ursprünglich für die britischen ‚civil servants‘ in den Kolonien als Heimaturlaub vorgesehen (BURGESS et al. 2002). In Dänemark war es speziell im Rahmen der Arbeitsmarktregulierung verankert (HÖCKER 2001) und auch in den Schuldienst hielt es in mehreren Ländern Einzug (RUSCHHAUPT-HUSEMANN/ STARR 1987; Zusammenschau zu Sabbaturlaub zu Bildungszwecken in Europa BLACKBURN/ MOISAN 1986; EURYDICE 2003; OECD Ländervergleich zum Sabbatjahr u. a. HALASZ 2004).

Charakteristisch für die schulische Umsetzung im Ausland ist eine stark zweckgebundene Orientierung. Nicht selten gibt es spezifische Ausschreibungen und Bewerbungsverfahren, die die Zuteilung von Lehrenden zu Sabbaticalzeiten auf der Grundlage spezifischer Auswahlkriterien regelt. Die Finanzierung wird vielfach zumindest anteilig durch die Schulbehörde o. Ä. übernommen. Die Höhe der Fremdfinanzierung korrespondiert mit dem Grad des antizipierten organisationalen Nutzens. Die zweckgebundenen Sabbaticalteile müssen größtenteils nachgewiesen werden. Im Folgenden ein paar Beispiele:

MIECH et al. (2001) bieten eine Zusammenschau diverser Professionalisierungsprojekte für Lehrkräfte in den USA, bei denen u. a. Mini-Sabbaticals zum Einsatz kamen, um die teilnehmenden Lehrenden für einen Zeitraum von acht Wochen von ihrer alltäglichen Schularbeit freizustellen. Für die Teilnahme an einem solchen Mini-Sabbatical musste jeder Interessent eine Bewerbung vorlegen, die eine für die Auszeit umzusetzende Projektidee enthielt (DUMSER 1991).

In England werden Sabbaticals häufig zweckgebunden bzgl. Fort- und Weiterbildung vergeben. Beispiel hierfür ist eine Initiative in Kombination mit den Local Education Authorities (LEAs), die für Sabbaticalnehmende explizite Fortbildungsplätze zur Verfügung stellen (BRIGHOUSE 1995). Ein anderes Projekt aus der Vergangenheit (Zeitraum 2001-04) führte das Department for Education and Skills (DfES) durch, das Sabbaticals an erfahrene Lehrkräfte in sog. ‚challenging schools’ vergab, die inhaltlich aus Phasen persönlicher und organisationaler Lernprozesse und Transfer des Gelernten in die Praxis bestanden (DOWNING et al. 2004, n=130). Parallel dazu existiert in England das sog. ‚secondment’, das es Lehrkräften ermöglicht für einen bestimmten Zeitraum eine berufliche Tätigkeit außerhalb ihres Berufsalltags, z. B. als Schulberater, zu übernehmen (HOLLY 1989).

In Israel gibt es ein nationales Sabbatjahr-Programm (Überblick RUSCHHAUPT-HUSEMANN/ STARR 1987), das Lehrkräften eine z. T. inhaltlich festgelegte Auszeit bei einem Gehaltsanteil von 66% ermöglicht. Ziel des Programms „is to permit teachers »to recharge their batteries«, acquire new teaching skills and enhance their personal and professional growth, in addition to offering them rest and a certain degree of rejuvenation“ (GAZIEL 1995, 334, Hervorhebung im Original). Während des Sabbaticals ist jeder Teilnehmende verpflichtet, „to take 12 hours a week of courses in education and/ or in his/her teaching discipline and four hours per week each week in cultural enrichment, including courses in such areas as music, art or participating in human relations workshops” (ebd., 334).

Der hohe Verbindlichkeitsgrad bei der Sabbaticalnutzung im Ausland bietet viele Möglichkeiten die Sabbaticalnutzung zielgebunden gestalten zu lassen. Auffällig ist die Ausrichtung vorrangig an organisationalen Zielen. Für die Perspektive der Verortung von Praxisphasen im Berufsverlauf zeigt sich, dass praktische Erfahrungen eher selten in den Blick genommen werden (Ausnahme bspw. HOLLY 1989). Nicht desto minder zeigen die Rahmenbedingungen Möglichkeiten für entsprechende Umsetzungen in Deutschland auf.

3 Sabbaticaleinsatz im Sinne von Praxiserfahrungen - Schlussfolgerungen und Ausblick

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Sabbaticalzeiten disponible Zeiträume offerieren, die im Sinne von Praxiserfahrungen (einschlägig oder darüber hinaus) genutzt werden können. Dass dies auch gewünscht ist, ergibt sich aus dem offiziellen Anspruch an Sabbaticals, im Rahmen der Lehrerprofessionalisierung als berufsbegleitendes Stützsystem u. a. zur Ermöglichung von Blickwinkelerweiterung über den eigenen schulischen Arbeitsplatz hinaus zu fungieren.

Für eine optimale Umsetzung, ist darüber hinaus für nationale Lehrersabbaticals zweierlei zu konstatieren:

Der Grad der Nutzung einer Auszeit zur Sammlung von Praxiserfahrungen ist abhängig vom Grad der Verbindlichkeiten. D. h. vor dem Hintergrund aktueller Freiheitsgrade in diesem Zusammenhang, kommt es zwar zu Praxiserfahrungen, dies ist allerdings nur in Ausnahmen der Fall (HOOS 2009).

Zum Zweiten bestehen analog zu den Nutzungsfreiheiten kaum Verbindlichkeiten zur Einbindung der in der Auszeit gewonnenen Erfahrungen in die alltägliche schulische Berufstätigkeit. Die Integration der in der Auszeit gewonnenen Erfahrungen in den Schulalltag ist bislang abhängig von einem hohen Maß an Eigeninitiative auf Seiten der Sabbaticalnehmenden.

Eine regelgeleitete Implementierung der Sabbaticaloption erscheint auch deshalb notwendig, um sie als Instrument des Personalmanagements nutzen zu können.

Ausländische und erste nationale Sonderprojekte beschreiten diesbezüglich andere Wege, um das Potenzial von Sabbaticals auch mit Blick auf Praxiserfahrungen optimal auszuschöpfen. Verbindliche Nutzungsabsprachen und abschließende Evaluationen mit Blick auf individuelle und organisationale Aspekte unterstützen den Versuch, das Gelernte auch für die Schule nutzbar zu machen.

Entsprechend des geringen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes gibt es allerdings auch hier wenig konkrete Hinweise bzgl. der organisationalen Wirksamkeit von Lehrersabbaticals. Nicht selten bleibt es bei Forderungen diesbezüglich. BLACKBURN/ MOISAN (1986) bspw. deklarieren das Sabbatical in ihrer europäischen Studie über „in-service training of teachers“ als einen Qualifikationstyp für die persönliche Entwicklung durch intensive Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema. In der Folge mahnen sie an, den Gewinn, den Lehrkräfte aus einem Sabbatical ziehen, auch für die Schule nutzbar zu machen: „Undoubtedly the cost effectiveness of training can be improved [...] and by the better use of those teachers who have benefited from known courses (from a sabbatical year, for example).” (55, Auslassung S. H.).

Die Evaluationen der angeführten amerikanischen Beispiele ergeben auf institutioneller Ebene keinen nachweislichen Nutzen (MIECH et al. 2001). Laut der englischen Evaluationsstudie von DOWNING et al. (2004) konnten einige längerfristige institutionelle Nutzungsergebnisse identifiziert werden: In 83% der Fälle wurde von Schulentwicklungsprozessen hinsichtlich einer lernenden Organisation berichtet. Ferner wurde von Seiten des Kollegiums angegeben, dass die Kolleg/inn/en, die ein entsprechendes Sabbatical genommen hatten, in ihrem Ansehen gestiegen waren. Weitere institutionelle Erträge beinhalteten bspw. das schulische Verhältnis zu den Eltern oder andere Kooperationspartner. 56% der Sabbaticals zogen laut Aussagen der Befragten eine veränderte Schulpraxis innerhalb des Kollegiums nach sich. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings der inhaltlich verbindliche Kontext, in den das Sabbatical eingebettet war.

Eine entsprechende Bewertung des Sabbaticalertrags wäre in Deutschland auch deshalb wünschenswert, um die im Sabbatical erweiterte operative Kompetenz formal anerkannt zu bekommen: „Es ergäbe sich eine Umcodierung von Kriterien, wenn man operative Fähigkeiten in den Blick nimmt. Eine solche Fähigkeit wäre z.B., wenn sich Lehrkräfte eine Zeitlang vom Beruf abwenden, um schließend, mit einem »Mehr« an operativen Erfahrungen ausgestattet, wiederzukommen. Während von Schulbehörden diese Praxis z.B. durch »Sabbatjahre« zwar gewährt, aber kaum positiv sanktioniert wird, und während gleichzeitig in der informellen Beurteilungspraxis die zurückkehrenden Lehrkräfte sehr wohl anerkannt werden, eben weil sie sich durch ein Mehr an operativen Fähigkeiten auszeichnen, fehlt der Schulverwaltung offensichtlich noch eine Beschreibungssprache [...].“ (BRÜSEMEISTER 2003, 329, Hervorhebungen im Original, Auslassung S. H.).

Die bislang als exemplarisch zu bezeichnenden Praxiserfahrungen im Rahmen von Sabbaticalerfahrungen umfassen:

·         Unterrichtstätigkeit im Ausland (HOOS 2009),

·         schulorientierte Tätigkeit außerhalb des eigenen Arbeitsgebiets (HOLLY 1989),

·         außerschulische Praktika (HOOS 2009),

·         Tätigkeit in der Wirtschaft (VBW 2002) und

·         Mitwirkung an wissenschaftlicher Forschung (ROBERT-BOSCH-STIFTUNG 2006).

Perspektivisch könnte das Sabbatical darüber hinaus noch indirekte Praxiserfahrungen im Zuge von „Beschäftigungseffekten“ (RADTKE/ SCHWEINS 1986) dritter bieten, z. B. durch zeitlich befristete Vertretung von Schulleitungsaufgaben.

Wenn also das Ziel, Lehrkräfte über Sabbaticals mehr Praxiserfahrungen zu ermöglichen, verwirklicht werden soll, dann ist es zunächst sinnvoll, diese mit theoretischen Kenntnissen zu verknüpfen. Dazu bedarf es mindestens einer regelgeleiteten Evaluation der gewonnenen Erfahrungen, optimaler Weise darüber hinaus einer zielgerichteten Planung im Vorfeld der Auszeit. Nur unter diesen Voraussetzungen erscheint ein angemessener Transfer in den Arbeitskontext und ein Profitieren an den Erfahrungen durch die Organisation Schule, den Einzelnen sowie dritten realisierbar. Vor dem Hintergrund der bestehenden deutschen Sabbaticalregelungen setzt dies schlussendlich Modifikationen der aktuellen Rechtsgrundlage von Sabbaticals an deutschen Schulen voraus, hin zu mehr Verbindlichkeit und Zielorientierung. Ausländische Regelungen können diesbezüglich konstruktive Anregungen bieten.

 


Literatur

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Zitieren dieses Beitrages

HOOS, S. (2009): Praxiserfahrungen in Sabbaticals –Status Quo, Potenziale und Perspektiven im Rahmen der Lehrerprofessionalisierung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 17, 1-14. Online: www.bwpat.de/ausgabe17/hoos_bwpat17.pdf (17- 12-2009).

 

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