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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT02 - Arbeitslehre
Herausgeberinnen: Marianne Friese & Ilka Benner

Titel:
Arbeitslehre. Neue Anforderungen an berufsorientierte Kompetenzentwicklung und Professionalisierung des pädagogischen Personals


Nachhaltigkeit als Gegenstand der Berliner Arbeitslehre

Beitrag von Ulf SCHRADER & Ralf Kiran SCHULZ (Technische Universität Berlin)

Abstract

Die Berliner Arbeitslehre orientiert sich am Leitbild der Nachhaltigkeit. Sie will damit einen Beitrag leisten zu einer Entwicklung, durch welche die Bedürfnisse von Menschen befriedigt werden ohne die Bedürfnisbefriedigungsmöglichkeiten anderer, heute oder zukünftig lebender Personen zu verringern. In diesem Beitrag befassen wir uns zunächst mit dem Begriff und dem Hintergrund der Nachhaltigkeit, bevor wir ihre Bedeutung für die Schulbildung im Allgemeinen und die Arbeitslehre im Besonderen herausstellen. Wir geben dann einen Überblick über die umfassende Verankerung der Nachhaltigkeit in der Lehrerbildung an der Technischen Universität Berlin, den wir an zwei Veranstaltungsbeispielen aus den Bereichen Technik und Konsum exemplarisch vertiefen. Um zu verstehen, wie die entsprechend ausgebildeten Lehrkräfte ihre Kompetenzen an den Schulen in Berlin einsetzen können, analysieren wir dann die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit im Rahmenlehrplan „Wirtschaft-Arbeit-Technik“ der neu eingeführten Integrierten Sekundarschule. Im abschließenden Fazit gehen wir insbesondere auf Herausforderungen einer praktischen Ausrichtung der Berliner Arbeitslehre am Leitbild der Nachhaltigkeit ein.

1  Einleitung

Zum Sommersemester 2010 wurde das Fachgebiet „Arbeitslehre/ Wirtschaft (Haushalt), Fachwissenschaft“ am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der Technischen Universität Berlin umbenannt in „Arbeitslehre/ Ökonomie und Nachhaltiger Konsum“. Diese Umbenennung, die mit Unterstützung aller relevanten Entscheidungsgremien der TU Berlin erfolgte und durch die der nachhaltige Konsum erstmals in der Fachgebietsbezeichnung einer Universität in Deutschland verankert wurde (TU BERLIN 2010), ist ein deutliches Signal für den besonderen Stellenwert, der dem Leitbild der Nachhaltigkeit in der Berliner Arbeitslehre zukommt. Diese Ausrichtung wird auch von den beiden anderen Fachgebieten („Arbeitslehre/Technik“ und „Fachdidaktik Arbeitslehre“) mitgetragen, die gemeinsam für die Ausbildung der Arbeitslehre-Lehrkräfte im Land Berlin verantwortlich sind. Zu betonen ist auch, dass die Berücksichtigung und integrative Betrachtung von ökologischen, sozialen und ökonomischen Fragestellungen, die kennzeichnend für die Nachhaltigkeit ist, keineswegs eine neue Orientierung darstellt, sondern – wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird – seit langem charakteristisch für die Berliner Arbeitslehre ist.

In diesem Beitrag wollen wir zunächst Definitionen und Hintergründe des Nachhaltigkeitsbegriffs aufzeigen, auf den wir uns beziehen. Dabei legen wir, der Ausrichtung der von uns vertretenen Fachgebiete folgend, einen besonderen Schwerpunkt auf nachhaltige Technik und nachhaltigen Konsum.

Wir geben dann einen Überblick über die umfassende Verankerung der Nachhaltigkeit in der Lehrerbildung an der TU Berlin, die sich in allen fachwissenschaftlichen Modulen des Bachelorstudiengangs Arbeitslehre widerspiegelt. An zwei Veranstaltungsbeispielen aus den Bereichen Technik und Konsum verdeutlichen wir exemplarisch, wie eine projektorientierte Aneignung der angestrebten Kompetenzen erfolgen kann.

Im nächsten Abschnitt stellen wir die Möglichkeiten von Berliner Arbeitslehre-Lehrkräften dar, ihre Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit an der Schule praktisch umzusetzen. Dazu analysieren wir den aktuellen Rahmenlehrplan für das Fach „Wirtschaft-Arbeit-Technik“, wie Arbeitslehre inzwischen an den neu eingeführten Integrierten Sekundarschulen heißt.

Im abschließenden Fazit gehen wir insbesondere auf Herausforderungen einer praktischen Umsetzung des Leitbilds der Nachhaltigkeit in der Berliner Arbeitslehre ein – denn die erfolgte konzeptionelle Verankerung ist nicht automatisch gleichbedeutend mit einer umfassenden praktischen Implementierung.

2 Nachhaltigkeit – Begriff, Hintergrund und Relevanz für die Arbeitslehre

2.1 Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung

Spätestens seit dem UN-Umwelt-Gipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992 gilt die nachhaltige Entwicklung global als das zentrale politische und gesellschaftliche Leitbild für das 21. Jahrhundert (BMU 1992). Dabei wird der Ursprung dieses Leitbilds in der deutschen Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts verortet. Der sächsische Oberberghauptmann HANS CARL VON CARLOWITZ formulierte 1713:

„Wird derhalben die größte Kunst … darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe“ (VON CARLOWITZ 1713, 105f.).

Es geht also darum, in einem bestimmten Zeitraum und Gebiet nicht mehr Holz zu schlagen als gleichzeitig nachwachsen kann. Im Hinblick auf eine Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit im Rahmen der Arbeitslehre ist insbesondere der Untertitel des Werkes interessant, in dem VON CARLOWITZ diese Überlegungen niederlegte, nämlich die „haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht“. Damit wird deutlich, dass im Rahmen hauswirtschaftlicher Betrachtungen, die traditionell auch Gegenstand der Arbeitslehre sind, das Prinzip der Nachhaltigkeit – implizit oder explizit – schon immer Beachtung fand (MUSTER 2011). Dies kommt unter anderem auch darin zum Ausdruck, dass sich von dem Wort Oikos für Haushalt bzw. Hausgemeinschaft im antiken Griechenland sowohl die Begriffe Ökonomie als auch Ökologie ableiten (z.B. RICHARZ 1991).

Der Ursprung des Nachhaltigkeitsbegriffes bezog sich also auf die Erhaltung natürlicher Ressourcen. Allerdings war für VON CARLOWITZ der Erhalt der Produktivität des Waldes nicht allein eine ökologische, sondern vor allem eine ökonomische Notwendigkeit. Als Berghauptmann war er vornehmlich mit dem Bergbau und dem Hüttenwesen befasst. Die Forstwirtschaft hatte für ihn vor allem deshalb Bedeutung, weil Holz und Holzkohle zur damaligen Zeit zentrale Energielieferanten waren. Für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Herzogtums Sachsen war eine ökologisch nachhaltige Forstwirtschaft entsprechend von unmittelbarer Bedeutung.

Auch wenn Nachhaltigkeit noch immer teilweise mit Umweltschutz gleichgesetzt wird, so ist damit doch viel mehr angesprochen. Ursprung des heute am weitesten verbreiteten Nachhaltigkeitsbegriffs war die Überlegung, wie den ärmeren Ländern des Südens eine ökonomisch und sozial angestrebte Entwicklung ermöglicht werden kann, die nicht gleichzeitig das lokale und globale ökologische Gleichgewicht gefährdet. Entsprechend beauftragten die Vereinten Nationen die World Commission on Environment and Development (WCED) unter der Leitung der ehemaligen Norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland mit der Entwicklung eines Entwicklungskonzepts, das den unterschiedlichen Anforderungen gleichzeitig gerecht werden kann. Die Definition dieser sog. Brundtland-Kommission kennzeichnet nach wie vor das international vorherrschende Begriffsverständnis:

”Sustainable Development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs” (WCED 1987, 43).

Demnach geht es bei der Nachhaltigkeit um die Schaffung von Gerechtigkeit. Direkt angesprochen wird hier ein gerechter Ausgleich zwischen den heute und den zukünftig lebenden Menschen (intergenerative Gerechtigkeit). Gleichzeitig geht es aber auch um Gerechtigkeit innerhalb der heute lebenden Generation, also um einen Ausgleich zwischen Arm und Reich, da nur so die Forderung nach Bedürfnisbefriedigung der heute lebenden Menschen umsetzbar ist.

Als die beiden zentralen Wege, eine solche nachhaltige Entwicklung zu erreichen, gelten zum einen Änderungen der zur Bedürfnisbefriedigung eingesetzten Technologie, zum anderen Verhaltens- und Lebensstiländerungen (z.B. BMU 1992). Entsprechend gehören die nachhaltige Technik und der nachhaltige Konsum zu den zentralen Themenfeldern der Nachhaltigkeitsdiskussion.

2.2 Nachhaltige Technik

Technik und die Verwendung von Technik ist selbstverständlicher Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden. Dabei steht Technik in einer engen Wechselbeziehung mit der Gesellschaft, beeinflusst und verändert sie. Der Einfluss auf die uns umgebende natürliche Umwelt wird ebenfalls durch die Technik mit den Faktoren Energie und Material bestimmt. Das Erreichen von Nachhaltigkeit hängt dabei maßgeblich von der zukünftigen Entwicklung und Verwendung von Technik ab.

Das Verhältnis von Technik und Nachhaltigkeit schätzt GRUNDWALD als ambivalent ein (GRUNWALD 2003, 13). Gegenwärtig basiert der energieintensive Lebensstil der Industrieländer auf der hauptsächlichen Nutzung der fossilen Energieträger (Erdöl, Kohle, Erdgas) mit einem einhergehenden relativen Wohlstand für die Bevölkerung. Auch die Möglichkeiten, welche die Informations- und Kommunikationstechniken bieten, werden von den meisten Menschen gewünscht und akzeptiert. In Kauf genommen wird, dass zukünftige Generationen möglicherweise ihren Energiebedarf ohne die fossilen Energieträger decken müssen. Auch die Lösung der Umweltprobleme, die durch den Technikeinsatz entstehen, wird zukünftigen Generationen zugemutet. Es zeigt sich somit, dass „Technologien per se weder nachhaltig noch nicht nachhaltig sind“ (BANSE 2003, 686). Technik kann sich also im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung positiv und/oder negativ auswirken.

Wie sieht vor diesem Hintergrund eine Technikbewertung und Technikentwicklung unter Nachhaltigkeitsaspekten aus? Welche Kriterien lassen sich ableiten, um zukünftige Technik oder einen zukünftigen Technikeinsatz im Sinne der Nachhaltigkeit zu beurteilen? (GRUNWALD 2002)

Eine Möglichkeit, nachhaltige Entwicklung voranzutreiben, sind technische Innovationen. Sie stellen aber eine nicht hinreichende Bedingung für Nachhaltigkeit dar. Mit berücksichtigt werden müssen die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, in denen Technik genutzt wird, d.h. ökologische, ökonomische und soziale Zusammenhänge sind in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Das tatsächliche Nachhaltigkeitspotential von Technik stellt sich erst durch ihre Nutzung und ihre Folgen im gesamten Lebenszyklus heraus (GRUNWALD 2002).

Wie aufgezeigt, sind Nachhaltigkeitsregeln für die Technikgestaltung und den Technikeinsatz nicht ohne weiteres zu benennen. Ein integratives Nachhaltigkeitskonzept wurde von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren entwickelt, bei dem nach Mindestbedingungen für Nachhaltigkeit gefragt wird (KOPFMÜLLER u.a. 2001). Das Konzept besitzt ein hohes Maß an Allgemeingültigkeit, lässt sich damit aber auch auf den Bereich Technik anwenden.

Den drei generellen Zielen nachhaltiger Entwicklung (Sicherung der menschlichen Existenz, Erhaltung des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionspotentials, Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten) werden substanzielle Mindestanforderungen (die Was-Regeln) zugeordnet (vgl. Tab. 1).

Tabelle 1:   Substanzielle Nachhaltigkeitsregeln – Was-Regeln
(Quelle: KOPFMÜLLER u.a. 2001, 172, 189ff)

1. Sicherung der menschlichen Existenz

2. Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials 

3. Bewahrung der Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten 

(1) Schutz der menschlichen Gesundheit

(1) Nachhaltige Nutzung erneuerbarer Ressourcen

(1) Chancengleichheit im Hinblick auf Bildung, Beruf, Information

(2) Gewährleistung der Grundversorgung

(2) Nachhaltige Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen

(2) Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen

(3) Selbstständige Existenzsicherung

(3) Nachhaltige Nutzung der Umwelt als Senke

(3) Erhaltung des kulturellen Erbes und der kulturellen Vielfalt

(4) Gerechte Verteilung der Umweltnutzungsmöglichkeiten

(4) Vermeidung unvertretbarer technischer Risiken

(4) Erhaltung der kulturellen Funktion der Natur

(5) Ausgleich extremer Vermögensunterschiede

(5) Nachhaltige Entwicklung des Sach-, Human- und Wissenskapitals

(5) Erhaltung der sozialen Ressourcen


Ergänzt um die 10 Instrumentellen Wie-Regeln

  • Internalisierung der ökologischen und sozialen Folgekosten
  • Angemessene Diskontierung
  • Begrenzung der Verschuldung
  • Faire weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen
  • Förderung der internationalen Zusammenarbeit
  • Resonanzfähigkeit der Gesellschaft
  • Reflexivität
  • Steuerungsfähigkeit
  • Selbstorganisation
  • Machtausgleich

steht ein Regelsystem zur Verfügung, das über Indikatoren zu Handlungsstrategien führt (KOPFMÜLLER 2001 u.a., 174, 273ff). Neben der Anwendung des Regelsystems im Bereich Technik gibt es auch Ergebnisse für andere Bereiche, wie z.B. Verkehr oder Forschung und Lehre (KOPFMÜLLER 2006).

2.3 Nachhaltiger Konsum

Die oben angeführte Nachhaltigkeits-Definition der Brundtland-Kommission ist bereits sehr konsumnah formuliert. Es geht um die Befriedigung von Bedürfnissen und dies erfolgt in modernen Gesellschaften zu einem großen Teil durch Nutzung marktvermittelter Güter und Dienstleistungen, also durch Konsum. Obwohl sich eine deutliche Mehrheit der Menschen in entsprechenden Meinungsumfragen klar zu den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung bekennt (z.B. EUROBAROMETER 2008), wird ihr Konsumverhalten dieser Einstellung oft nicht gerecht. Entsprechend sucht ein großer Teil der aktuellen internationalen Forschung zum nachhaltigen Konsum nach Möglichkeiten, diese Lücke zwischen Einstellung und Verhalten zu schließen oder zumindest zu verringern (SCHRADER/ THØGERSEN 2011).

Die Frage, wie Menschen als Konsumenten entsprechend der Prinzipien handeln können, die sie als Bürger für richtig halten, steht auch im Mittelpunkt der Diskussion um Konsumentenbürgerschaft (consumer citizenship). Konsumentenbürgerschaft kann als Operationalisierungsansatz für Konsumentenverhalten im Sinne des nachhaltigen Konsums verstanden werden. Das Consumer Citizenship Network (CCN) als internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Praktikern der Verbraucherbildung für nachhaltigen Konsum definiert den Konsumentenbürger wie folgt:

“A consumer citizen is an individual who makes choices based on ethical, social, economic and ecological considerations. The consumer citizen actively contributes to the maintenance of just and sustainable development by caring and acting responsibly on family, national and global levels.” (CCN 2005, 7)

Demnach drückt sich Konsumentenbürgerschaft vor allem in verantwortlichen Wahlhandlungen aus. Diese Verantwortung, bewusst zu wählen, bezieht sich auf den Einkauf, aber auch auf die Konsumphasen Nutzung und Entsorgung. Voraussetzung zur Übernahme dieser Verantwortung ist die Verfügbarkeit hinreichend attraktiver nachhaltigerer Konsumoptionen. Außerdem müssen quantitativ und qualitativ ausreichende Informationen verfügbar sein, die eine Abschätzung der Folgen des eigenen Handelns ermöglichen. Es geht also darum, mit dem Wahlrecht und dem Informationsrecht klassische Verbraucherrechte soweit zu implementieren, dass sich daraus ausreichende Möglichkeiten für eine Verantwortungsübernahme im Sinne des nachhaltigen Konsums ergeben (SCHRADER 2007). Damit wird deutlich, dass die Nachhaltigkeit des Konsums nicht allein in der Verantwortung der Konsumenten liegt, sondern auch von der Implementierung entsprechender Handlungsvoraussetzungen abhängt, für die vor allem Politik und Unternehmen verantwortlich sind. Um Konsumenten besser in die Lage zu versetzen, ihre vorhandenen Rechte für einen nachhaltigeren Konsum zu nutzen, bedarf es zudem einer entsprechenden Verbraucherbildung (vgl. Abschnitte 2.4 und 3.3).

2.4 Relevanz der Nachhaltigkeit für Schulbildung und Arbeitslehre

Spätestens seit Ausrufung der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014) durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2002 wird international anerkannt, dass die Vermittlung von Handlungskompetenzen für nachhaltige Entwicklung eine relevante Bildungsaufgabe ist. Allein in Deutschland sind derzeit (Mai 2011) über 1.300 Bildungsinitiativen als offizielle UN-Dekade-Projekte anerkannt. Die Schulbildung ist dabei mit ca. 300 Projekten vertreten (http://www.dekade.org/datenbank).

Ob Schulen ihrem Auftrag der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen und für nachhaltigen Konsum im Besonderen ausreichend gerecht werden, ist umstritten. Das WORLDWATCH INSTITUTE (2010, 15), sieht es als „greatest critique of schools […] that they represent a huge missed opportunity to combat consumerism and to educate students about its effects on people and the environment.” Dies wird insbesondere deshalb bedauert, weil Schulen das Potenzial hätten, “a powerful tool in bringing about sustainable human societies“ zu sein (WORLDWATCH INSTITUTE 2010, 55). Im Vergleich zu wirtschaftlichen und politischen Akteuren seien Bildungsinstitutionen viel freier darin, sich nicht nur mit effizienter Technik, sondern auch mit suffizientem, also genügsamerem Verhalten auseinanderzusetzen.

Mit Blick auf die Arbeitslehre gibt es ebenfalls gute Gründe, sich verstärkt dem Thema der Nachhaltigkeit zuzuwenden. Bereits wenn man nur die Berufsorientierung als den traditionellen Kernbereich der Arbeitslehre betrachtet, legt die Verschiebung im Arbeitsplatzangebot in Deutschland eine besondere Beschäftigung mit ökologischen und sozialen Fragestellungen nahe.

So weist kaum ein Bereich eine vergleichbare positive Dynamik bei der Arbeitsplatzentwicklung auf wie der Umweltschutz. Durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien hat sich beispielsweise die Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich von 66.600 im Jahr 1998 auf 367.400 im Jahr 2010 mehr als verfünffacht (AFEE 2011). Das Branchenziel von 500.000 Arbeitsplätzen für das Jahr 2020 wurde vor dem Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie im Mai 2011 formuliert und ist entsprechend nicht übertrieben optimistisch.

Insgesamt geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) von knapp 1,8 Millionen umweltschutzinduzierten Beschäftigungsverhältnissen bereits für das Jahr 2006 aus (vgl. Tab. 2); ein weiterer deutlicher Anstieg wird erwartet.

Tabelle 2:   Beschäftigte im Umweltschutz 2006
(Quelle: DIW 2010, 5)

Beschäftigungseffekte durch …

 

Personalaufwendungen und umweltorientierte Dienstleistungen

1.132.000

Erneuerbare Energien

236.000

Umweltschutz-Investitionen

175.000

Laufende Sachausgaben für Umweltschutz

175.000

Export von Gütern für den Umweltschutz

49.000

Insgesamt

1.767.000


Ähnliche Jobexpansionen sind sonst allenfalls noch im Bereich der sozialen Arbeit zu beobachten, insbesondere in der Altenpflege (von 268.000 im Jahr 1998 auf 475.000 im Jahr 2008; DBSH 2011). Auch dieser Bereich lässt sich im weiteren Sinne der (sozialen) Nachhaltigkeit zuordnen.

Die Relevanz sozialer und ökologischer Fragen wurde in der Berliner Arbeitslehre schon lange vor der Verbreitung des Nachhaltigkeitsbegriffs erkannt. So decken sich die vor 30 Jahren formulierten sechs Zielen der Verbrauchererziehung inhaltlich weitgehend mit den Zielen der Bildung für nachhaltige Entwicklung (1. Kritisches Bewusstsein, 2. Bereitschaft zum Handeln, 3. Soziale Verantwortlichkeit, 4. Ökologische Verantwortlichkeit, 5. Solidarität, 6. Denken in Zusammenhängen; STEFFENS 1981, 116f.). Auch in den seit den 1990er Jahren charakteristischen zwölf Dimensionen der Arbeitslehre finden sich Aspekte wie Ökologie, Ökonomie, Gesellschaftliche Arbeitsteilung, Arbeitssicherheit und Gesundheit, Technikeinsatz und Verbraucherverhalten, unter denen die relevanten Fragestellungen zur Nachhaltigkeit behandelt werden können (REUEL 2005). Von daher basieren die im Folgenden darzustellenden Inhalte der Arbeitslehre in Berlin auf einer langen Tradition, die von uns gerne weitergeführt wird.

3 Nachhaltigkeit im Bachelor Arbeitslehre an der TU Berlin

3.1 Übersicht

Das Thema Nachhaltigkeit ist in allen fachwissenschaftlichen Modulen des Bachelorstudiengangs Arbeitslehre an der TU Berlin verankert (vgl. Abb. 1; GKLB 2009). Auch wenn es schwer ist, den Anteil der Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit im Rahmen der verschiedenen Module genau zu beziffern, so machen die Schraffuren doch die Bedeutungsunterschiede deutlich.

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Abb. 1:   Verankerung der Nachhaltigkeit in den fachwissenschaftlichen Modulen des Bachelor-Studiengangs Arbeitslehre an der TU Berlin

In den „Technisch-praktischen Grundlagen“ machen die Studierenden im Rahmen von Einführungskursen und praktischer Projektarbeit unter anderem Erfahrungen mit dem ressourcenschonenden Einsatz von Material und Energie in Holz-, Metall-, Kunststoff- und Elektrowerkstatt oder mit der Zubereitung von Bio-Lebensmitteln in der Lehrküche. Das Nähen von Kleidungsstücken in der Textilwerkstatt sensibilisiert für soziale Problemlagen in der textilen Wertschöpfungskette.

Im Modul „Arbeit und Beruf“ werden beispielsweise die oben dargestellten guten beruflichen Perspektiven im Bereich des Umweltschutzes vermittelt. Außerdem findet hier eine Reflexion über unterschiedliche Motive der Berufswahl statt. In diesem Zusammenhang sind auch Aspekte wie die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch potenzielle Arbeitgeber zu bedenken oder allgemein die Möglichkeit, in seinem Beruf entsprechend persönlicher Überzeugungen im Sinne der Nachhaltigkeit handeln zu können.

In „Wissenschaftliche Grundlagen“ erfolgt beispielsweise im Rahmen der Veranstaltung „Ökonomische Grundlagen der Arbeitslehre“ die kritische Auseinandersetzung mit nachhaltigkeitsrelevanten Konzepten wie dem Wirtschaftswachstum oder der Konsumentensouveränität. Im Kurs „Haushaltswissenschaftliche Grundlagen“ wird über die oben angesprochene gemeinsame Wurzel von Haushalt (Oikos) und Ökologie und damit über die besondere Bedeutung der Hauswirtschaftslehre für die nachhaltige Entwicklung reflektiert.

„Produkte und Produktion“ heißt das Modul, in dem die Studierenden im Rahmen praktischer Projektarbeit Einblicke auch in Ziele und Möglichkeiten eines betrieblichen Umweltmanagements erhalten. Hier geht es ähnlich wie schon im Modul AL-P1 um den möglichst effizienten Einsatz von Material und Energie und Möglichkeiten geschlossener Stoffkreisläufe. Zusätzlich findet hier im Rahmen der Veranstaltung „Ausgewählte Beispiele der Energieumwandlung“ eine Einführung in technische Grundlagen erneuerbarer Energien statt.

Das Modul „Ernährung“ umfasst unter anderem eine Vertiefungsveranstaltung zur Ernährungsökologie, in der die besondere Bedeutung einer regionalen, biologischen und fleischarmen Ernährung vermittelt und erfahrbar gemacht wird.

Besonders stark ausgeprägt ist die Orientierung am Leitbild der Nachhaltigkeit im Modul „Konsument und Ökonomie“. Hier werden Veranstaltungen zu einer am nachhaltigen Konsum ausgerichteten „Verbraucherpolitik“, zu finanzieller Nachhaltigkeit durch „Daseinsvorsorge und soziale Sicherung“ und vor allem eine umfassende Vertiefung in „Konsumökologie“ (vgl. Abschnitt 3.3) angeboten.

In „Steuerungstechnik und Technikbewertung“ wird den Studierenden in der Veranstaltung “Technikbewertung und Ethik” ein Gefühl für die ambivalente Rolle von Technik als potentielle Problemverursacherin und zugleich Problemlöserin vermittelt (vgl. Abschnitt 3.2).

Mit „Soziale Prozesse und Wohnen“ ist der Konsumbereich mit der höchsten Klimarelevanz angesprochen. 25 % der von Menschen in Deutschland verursachten CO2-Emissionen entfallen allein auf Strom und Heizung (z.B. UBA 2010, 9f.). Entsprechend werden hier Aspekte des energiesparenden und umweltgerechten Bauens angesprochen, aber auch soziale Bedingungen des zukunftsfähigen Wohnens in einer sich wandelnden Gesellschaft.

3.2 Veranstaltungsbeispiel aus dem Bereich nachhaltige Technik: Technikbewertung und Ethik

Das Seminar Technikbewertung und Ethik (unter Nachhaltigkeitsaspekten) greift die Frage nach ethisch-moralischer Verantwortung von Technik, Technikentwicklung und Technikanwendung auf. Der Veranstaltung liegt dabei das integrative Nachhaltigkeitskonzept der Helmholtz-Gemeinschaft zugrunde, wie es in Abschnitt 2.2 kurz vorgestellt wurde. Das Regelsystem stellt die theoretische Basis für die Bearbeitung des von den Studierenden gewählten Themengebietes dar.

Das Seminar folgt dem Prinzip einer konstruktivistischen Didaktik nach REICH (2006). Es ist konzipiert als eine Veranstaltung mit großer, eigenständiger Verantwortung der Studierenden für den Arbeits-, Erkenntnis- und wechselseitigen Lernprozess. Die Organisation als Forschungswerkstatt soll eine grundsätzliche Haltung der Skepsis und des Hinterfragens fördern. Reflexivität und Toleranz sollen an die Stelle von Unsicherheit und Unschärfe treten. Die Notwendigkeit zur Wissenschaftlichkeit gilt nicht nur im universitären Umfeld z.B. beim Verfassen einer Abschlussarbeit, die gewissen Gütekriterien genügen muss, sondern ergibt sich auch aus der Komplexität der Lehrpraxis und multidimensionalen Herausforderungen der Lehrtätigkeit im Lehrerberuf. Das Berliner Hochschulgesetz gibt als allgemeine Ziele des Studiums Folgendes vor:

„Lehre und Studium sollen die Studenten und Studentinnen auf berufliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung der Veränderungen in der Berufswelt vorbereiten und ihnen die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden so vermitteln, dass sie zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit, zu kritischem Denken … befähigt werden.“ (BerlHG 2010, 20)

Die Anwendung wissenschaftlicher Kenntnisse und Methoden fördert damit ein Reflexionsvermögen, das insbesondere auch bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung notwendig ist. Eine kritische Hinterfragung und Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnisse geht über die Anwendung fester Regeln auf variierende Situationen oder Problemstellungen in der beruflichen Praxis hinaus. In diesem Sinne leistet das wissenschaftliche Arbeiten einen wichtigen Beitrag zur Lehrerprofessionalisierung.

Zur Schaffung einer interessanten, reichhaltigen und kommunikationsorientierten Umgebung wird das Seminar u.a. durch Videokonferenzen ergänzt, bei der die Lehrkraft die Studierenden moderierend unterstützt und bei der Findung der Forschungsfrage behilflich ist.

Auf einer Moodle-E-Learning Plattform werden die wöchentlichen Forschungsberichte hinterlegt. Gleichzeitig ermöglicht die Lernplattform den Kommunikations- und Informationsaustausch innerhalb einer Gruppe und zwischen den einzelnen Gruppen. Um den Studierenden einen gewissen Orientierungsrahmen vorzugeben, können sie aus unterschiedlichen Themengebieten wie z.B. Nachhaltige Entwicklung als politisches Konzept, Nachhaltige Entwicklung als Konzept wirtschaftlicher Entwicklung oder Bildung für Nachhaltige Entwicklung wählen.

Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten präsentieren die Studierenden zum Ende des jeweiligen Semesters auf Postern, die als eine anerkannte Form der wissenschaftlichen Ergebnisdarstellung gelten. Dadurch zeigen die Studierenden, dass sie in der Lage sind Sachverhalte sinnvoll zu reduzieren, Fragen zu stellen und zu beantworten und Werkzeuge zu benutzen, um die Antworten verständlich zu kommunizieren. Die Antworten sind so zu formulieren, dass sie intersubjektive Gültigkeit besitzen. Wie bei kaum einer anderen Präsentationsform ist Kreativität gefragt, um Aufmerksamkeit zu erregen, ohne die zu präsentierenden Inhalte zu stark zu vereinfachen. Die beiden nachfolgenden Poster (Abb. 2 und Abb. 3) sind Ergebnisse zu den von den Studierenden gewählten Themengebieten.

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Abb. 2: Poster zum Thema Salzwasser

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Abb. 3: Poster zum Thema technische und biologische Kreisläufe

Um den Leistungsstand zu überprüfen, stellt der Dozent während der Präsentation den Gruppenmitgliedern inhaltliche Fragen zu ihren Themengebieten. Die Kriterien dieser Form der Evaluation beziehen sich auf den Schwerpunkt der Vermittlung des fachwissenschaftlichen Inhalts, sollen aber darüber hinaus den „Experten“ eine Selbstanalyse ermöglichen und ein entsprechendes Feedback geben.

3.3 Veranstaltungsbeispiel aus dem Bereich nachhaltiger Konsum: Konsumökologie

Die Veranstaltung „Konsumökologie“ (die nach einer Reform der Studienordnung „Nachhaltiger Konsum“ heißen wird) ist auf den ersten Blick eine relativ konventionelle Lehrveranstaltung. Die einzelnen Sitzungen bestehen überwiegend aus Dozentenvorträgen, Gruppenarbeiten, Plenumsdiskussionen, Gastvorträgen und Exkursionen zu Grundlagen des nachhaltigen Konsums, zu Verbraucherinformation und Konsumentenverhalten sowie zur Nachhaltigkeit in den Bedarfsfeldern Wohnen, Ernährung und Kleidung. Das Besondere an der Veranstaltung ist der Leistungsnachweis, der in Form eines LOLA-Projekts zu erbringen ist.

LOLA steht für „Looking For Likely Alternatives“ und ist ein didaktischer Ansatz zur eigenverantwortlichen Entdeckung, Beschreibung, Bewertung und Dokumentation lokaler Nachhaltigkeitsinitiativen. LOLA wurde entwickelt von den Designern Francois Jégou und Ezio Manzini (Politecnico di Milano) sowie der Erziehungswissenschaftlerin Victoria Thoresen (Hedmark University College) (JÉGOU u.a. 2009). Im Rahmen des Consumer Citizenship Networks wurde der Ansatz erprobt, verändert und verbreitet. Das LOLA-Material ist frei verfügbar (http://www.sustainable-everyday.net/lola). Es wurde inzwischen in neun Sprachen übersetzt und in über 15 Ländern eingesetzt. Für Deutschland wurde die Übersetzung und Erprobung zusammen mit Studierenden der Veranstaltung „Konsumökologie“ an der TU Berlin vorgenommen. Auch dieses Material steht zum Download bereit (http://www.perlprojects.org/Project-sites/PERL/Resources/Teaching-guidelines-methods-and-materials/Teaching-learning-methods-and-materials/LOLA-Looking-for-Likely-Alternatives).

Den Kern des LOLA-Materials bildet der „Step-by-Step“-Leitfaden, mit dessen Hilfe Lehrkräfte die komplette Unterrichtseinheit anhand vorgefertigter Folien durchführen können. Grundsätzlich kann LOLA von der Unterstufe bis zum Studium eingesetzt werden, wobei das Material entsprechend anzupassen ist. In einem strukturierten Verfahren suchen die Teilnehmer in Kleingruppen zunächst eine Initiative aus, die innovativ ist, die ökologische und/oder soziale Vorteile bringt und deren Grundprinzipien sich auch an anderen Orten umsetzen lassen. Dazu werden zunächst alle extern verfügbaren Informationen zusammengetragen. Dann besucht die Kleingruppe die Initiative vor Ort, führt hier Interviews und Besichtigungen durch und beteiligt sich ggf. an Aktivitäten. Alle Erfahrungen werden in Form von Mitschriften, Skizzen, Fotos und Filmen dokumentiert, wozu ein „LOLA-Reporterbuch“ bereitgestellt wird. Aus diesem Material wird dann eine Abschlusspräsentation oder eine kleine Ausstellung erstellt.

Mit diesem Vorgehen folgt LOLA konstruktivistischen Lerntheorien (ZALESKIENE 2009). Demnach lässt sich Wissen – über Nachhaltigkeit oder andere Themen – nicht direkt durch eine Lehrkraft vermitteln, sondern muss von jedem Lernenden neu und individuell konstruiert werden. Dabei entspricht LOLA etwa der Entwicklungspsychologie Wygotskys, wonach kognitive Entwicklung am besten im Rahmen sozialer Interaktion erfolgt. Diese Interaktion entsteht bei LOLA zwangläufig sowohl innerhalb der Kleigruppen als auch im Austausch mit den Vertreterinnen und Vertretern der Nachhaltigkeitsinitiativen. Auch der Theorie des entdeckenden Lernens (Bruner) wird der LOLA-Ansatz gerecht, da hier Wissen nicht in der klassischen Lernumgebung des Klassenzimmers bzw. Seminarraums erworben wird, sondern in einer realen Entdeckungsumgebung. So dient das Projekt den Teilnehmenden auch dazu, sich die Stadt, in der sie leben, aktiv weiter zu erschließen. Damit folgt LOLA auch Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung, wonach die Weiterentwicklung kognitiver Strukturen eigene Erfahrungen voraussetzt – wie sie zumindest in Ansätzen im Rahmen dieses Projekts erworben werden können. Die große Offenheit des Projekts erlaubt zudem einen Wissenserwerb durch situiertes Lernen (Lave/Wenger), also durch ein Lernen, das eher zufällig als geplant in authentischen Kontexten erfolgt und sozial verankert ist.

Im Rahmen der Veranstaltung Konsumökologie sind dem LOLA-Projekt vier Sitzungen gewidmet: eine zur Vorstellung des Konzepts durch den Dozenten, eine zur Vorpräsentation und der zu untersuchenden Nachhaltigkeitsinitiativen durch die Studierenden und zur Auswahl in Abstimmung mit dem Dozenten und den anderen Teilnehmern und zwei Sitzungen zur Abschlusspräsentation der Untersuchungsergebnisse. Die Hauptaktivitäten werden von den einzelnen Gruppen eigenverantwortlich außerhalb des Seminars organisiert. Zu den von Studierenden der TU Berlin in den letzten beiden Jahren analysierten Projekten gehören beispielsweise die „Prinzessinnengärten - urbane Landwirtschaft“ (http://prinzessinnengarten.net), der „Schenkladen Friedrichshain“ (http://systemfehler-berlin.de.vu) oder der „Carrotmob Berlin“ (http://berlin.carrotmob.de). Die aufwändigen Präsentationen und die positive studentische Evaluation bestätigen den Erfolg der Veranstaltung.

4 Nachhaltigkeit im Rahmenlehrplan Wirtschaft-Arbeit-Technik für Integrierte Sekundarschulen in Berlin

Grundsätzlich bietet der geltende Rahmenlehrplan den Lehrkräften viele Möglichkeiten, den an der TU Berlin erlebten Nachhaltigkeitsschwerpunkt in der Arbeitslehre auch an der Schule praktisch umzusetzen. Das Schulfach Arbeitslehre wurde mit Einführung der Integrierten Sekundarschule im Land Berlin zum Schuljahr 2010/2011 durch das Fach „Wirtschaft-Arbeit-Technik“ ersetzt. Durch intensiven Einsatz vieler Anhänger der Arbeitslehre ist es bisher gelungen, den besonderen Charakter der Berliner Arbeitslehre auch unter diesem neuen Namen zu erhalten. Dies kommt im neuen Rahmenlehrplan Wirtschaft-Arbeit-Technik“ (SENBWF 2010) zum Ausdruck.

Wie die Modulübersicht zeigt (vgl. Abb. 4), findet sich die gesamte Breite der Arbeitslehre mit Erwerbs- und Hausarbeit wieder. Dabei ist die projektorientierte Werkstattarbeit grundsätzlich in allen Modulen möglich, in einigen (P2, P8, WP1, WP3, WP7) sogar unumgänglich.

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Abb. 4:   Übersicht über die Module im Berliner Schulfach
Wirtschaft-Arbeit-Technik (Quelle: SENBWF 2010, 19)

Explizit im Namen findet sich ein Nachhaltigkeitsschwerpunkt nur im Modul WP4 „Nachhaltiges Wirtschaften“. Inhaltlich sind Fragen der Nachhaltigkeit jedoch in allen Modulen verankert, denn mit dem neuen Rahmenlehrplan ist es wieder gelungen, die für die Berliner Arbeitslehre charakteristischen zwölf Projektdimensionen in die Modulbeschreibungen zu integrieren.

So können beispielsweise im Modul WP2 „Kleidung und Mode/Textilverarbeitung“ (vgl. Abb. 5) soziale Aspekte wie Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit, insbesondere bei Produktionsverlagerung in Entwicklungs- und Schwellenländer, behandelt werden (Dimensionen „Arbeitssicherheit und Gesundheit“ und „Gesellschaftliche Arbeitsteilung“). Auch Fragen der Umweltwirkungen der Herstellung, Färbung, Reinigung und Entsorgung von Textilien (Dimension „Ökologie“), der Kosten und Werterhaltungsmöglichkeiten (Dimension „Ökonomie“) oder der gesellschaftlichen Verantwortung von Konsumenten (Dimension „Verbraucherverhalten“) lassen sich in diesem Modul thematisieren. Ähnliche Möglichkeiten, alle Dimensionen der Nachhaltigkeit zu behandeln, bieten auch die anderen Module von Wirtschaft-Arbeit-Technik in Berlin.

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Abb. 5:   Beispiel für eine Modulbeschreibung im Rahmenlehrplan Wirtschaft-Arbeit-Technik (Quelle: SENBWF 2010, 26)

5 Fazit

Die Ausführungen haben gezeigt, warum Nachhaltigkeit zentraler Lehr- und Lerninhalt der Arbeitslehre sein sollte. Zudem wurde exemplarisch vermittelt, wie dies im Lehramtsstudium der TU Berlin und im Rahmenlehrplan Wirtschaft-Arbeit-Technik der Integrierten Sekundarschulen in Berlin umgesetzt wird. Dabei wurde der Schwerpunkt auf nachhaltige Technik und nachhaltigen Konsum gelegt. Grundsätzlich sind jedoch alle Bereiche der Arbeitslehre gleichermaßen angesprochen, also Technik und Konsum (Haushalt) ebenso wie (Betriebs- und Volks-)Wirtschaft und Berufsorientierung.

In der Berliner Arbeitslehre ist die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung stark verankert, allerdings nach wie vor ausbaufähig. In der Lehrerbildung besteht die Herausforderung insbesondere darin, das Thema nicht nur additiv im Rahmen zusätzlicher Vertiefungsveranstaltungen im Wahlbereich zu vermitteln, sondern verstärkt auch integrativ im Rahmen der verpflichtenden Einführungsveranstaltungen. Zudem ist die Berücksichtigung des Themas im Rahmen des Masterstudiums und des Referendariats voranzutreiben.

Was die Schulpraxis anbetrifft, so geht es hier zunächst darum, die im Rahmenlehrplan angelegten Nachhaltigkeitsthemen auch Unterrichtsrealität werden zu lassen. Die nachhaltige Vermittlung von Kompetenzen zur Nachhaltigkeit erfordert angemessene Ressourcen. Damit sind vor allem die Stundenkapazitäten, die Lehrkräfte und die zur Verfügung stehenden Unterrichtsräume angesprochen. In der derzeit gültigen Stundentafel für die Integrierte Sekundarschule sind für das Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik nur in den Klassenstufen 7 und 8 zwei Stunden in der Woche verpflichtend vorgesehen. In Klasse 9 und 10 sollen diese zwei Stunden die Regel sein, bei bestimmten Schwerpunktsetzungen der Schule können sie jedoch auch entfallen. Insgesamt ist es fraglich, ob die gesamte Breite des Schulfaches mit der begrenzten Stundenzahl abgedeckt werden kann oder ob Inhalte, die über eine Einführung in Berufsorientierung hinaus gehen, letztlich nur im Wahlpflichtunterricht vermittelt werden. Arbeitslehre-Unterricht in der Oberstufe oder an Gymnasien gibt es in Berlin – wie in den meisten Bundesländern – bisher gar nicht.

Im Hinblick auf die Lehrkräfte ist festzustellen, dass im Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik überdurchschnittlich viele fachfremde Lehrerinnen und Lehrer unterrichten. An manchen Schulen scheinen Grundkenntnisse im „Kochen“ auszureichen, um Arbeitslehre-Unterricht zu übernehmen. Auch die vor längerer Zeit ausgebildeten Arbeitslehre-Lehrkräfte haben in ihrem Studium z.T. nur wenige Inhalte zum Leitbild der Nachhaltigkeit vermittelt bekommen. Entsprechend besteht in diesem Bereich großer Fortbildungsbedarf.

Ein letzter Bereich betrifft die Ausstattung mit Arbeitslehre-Werkstätten, die in Berlin – insbesondere an ehemaligen Haupt- und Gesamtschulen – traditionell gut ist. Da diese Werkstätten und die dafür – zusätzlich zu den Lehrkräften – verantwortlichen Werkstattmeister relativ hohe Kosten verursachen, stehen sie immer wieder in der Diskussion. Um Arbeitslehre jedoch nicht zu einem Lehrbuchfach werden zu lassen, sondern um die Inhalte und Kompetenzen – auch und gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit – weiterhin handlungsorientiert vermitteln zu können, sind diese Werkstätten unabdingbar. Nach unserer Überzeugung lassen sich Aspekte wie Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft oder soziale Arbeitsbedingungen am nachhaltigsten im Rahmen von Projekten oder bei der Arbeit in Schülerfirmen vermitteln – und dazu ist die Nutzung entsprechender Lehrwerkstätten erforderlich.

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Zitieren dieses Beitrages

SCHRADER, U./ SCHULZ, R.-K. (2011): Nachhaltigkeit als Gegenstand der Berliner Arbeitslehre. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 02, hrsg. v. FRIESE, M./ BENNER, I., 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft02/schrader_schulz_ft02-ht2011.pdf (26-09-2011).



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