Titel:
Übergänge in der hauswirtschaftlichen Berufsbildung gestalten - Perspektiven auf die individuelle Förderung und die Systemgestaltung in der Domäne Hauswirtschaft
Beitrag von Margot BAUR (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Rheinland-Pfalz)
Nicht formales und informelles Lernen und die damit verbundenen Kompetenzen haben in Europa eine besondere Bedeutung. Eine herausragende Botschaft aus den Beschlüssen des Europäischen Rats und des EU-Bildungsministerrats aus dem Jahr 2000 ist die Neubewertung des Lernens, insbesondere auch die Zertifizierung von non-formalen und informellen Lernprozessen. Diese europäische Diskussion findet ebenso auf nationaler Ebene statt. Im Aktionsprogramm der Bundesregierung „Lebensbegleitendes Lernen für alle“ ist verankert, dass „Verfahren zur Messung und Bewertung individueller Kompetenzentwicklung – auch in informellen, selbstorganisierten Lernprozessen − erarbeitet werden sollen“. Dabei sollen auch „Netzwerke, in denen alle Bildungsbereiche zusammenarbeiten, gemeinsam die Zertifizierung selbstgesteuerter Lernerfolge für externe Bewerber/innen entwickeln und erproben“ (EUROPÄISCHE KOMMISSION, 2001). Das im Folgenden vorgestellte Projekt besteht in einem Erprobungsprozess für die Anerkennung von nicht formal oder informell erworbenen Lernergebnissen auf der Grundlage des französischen Validierungsverfahrens Validation des aquis de l’experience (VAE).
Projektpartner des Projektes Trans-VAE
Die Öffentliche Interessengemeinschaft für die berufliche Bildung und Eingliederung –GIP-FCIP Alsace, Straßburg − ist der Projektträger, der mit verschiedenen Partnern zusammen arbeitet. Weitere Partnerländer sind Spanien und Polen.
Partner auf deutscher Seite sind das CJD mit seinem Verbund Rhein-Pfalz/Nordbaden mit Sitz in Maximiliansau in Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Neustadt an der Weinstraße als zuständige Stelle für Berufsbildung in den Berufen der Hauswirtschaft.
Während der Projektlaufzeit von 3 Jahren von 2009 bis 2011 wird das französische Validierungsverfahren Validation des aquis de l’experience (VAE) für die Anerkennung von nicht formal oder informell erworbenen Lernergebnissen im Berufsbereich der Hauswirtschaft erprobt. Die gesetzliche Grundlage des aktuellen französische Validierungsverfahrens VAE ist das Gesetz zur sozialen Modernisierung (Loi de la modernisation sociale 2002). Das VAE-Verfahren bezieht sich auf alle staatlich anerkannten Abschlüsse und Diplome in Frankreich (nicht nur auf Abschlüsse in der beruflichen Bildung).
Durch eine offizielle Anerkennung ihrer Qualifikationen in der Form einer Bescheinigung, aus der die vorhandenen Kompetenzen transparent hervorgehen, soll die Beschäftigungsfähigkeit der Zielgruppe –Mitarbeiter/innen im Arbeitsbereich personenbezogener Dienstleistungen– erhöht werden. Arbeitgeber erhalten Informationen über Kompetenzen, die mit den Anforderungen an die Erfüllung von Aufgaben am entsprechenden Arbeitsplatz verglichen werden können. Damit kann der Transfer der in Frankreich entwickelten Methode „Validation des Acquis de l’Experience“ in die Partnerländer des Projektes gelingen. Dabei wird auch ein kleines Netzwerk, in denen eine Bildungsorganisation und die zuständige Stelle für Berufsbildung zusammenarbeiten, gemeinsam die Zertifizierung selbstgesteuerter Lernerfolge für externe Bewerber/innen entwickeln und erproben.
Die demografische Entwicklung der Bevölkerung, die in den verschiedenen Ländern der Europäischen Union beobachtet wird, hat einen wachsenden Bedarf an qualifizierten Beschäftigten im beruflichen Sektor der personenbezogenen Dienstleistungen zur Konsequenz. Die Beschäftigten in diesem Sektor sind überwiegend Frauen mit geringer Qualifikation oder Frauen, deren Qualifikation nicht anerkannt ist. Auf dem Weg zur Professionalisierung der personenbezogenen Dienstleistung müssen informell und nicht formal erworbene Kompetenzen dieses Personenkreises nutzbar gemacht werden. Der Fachkräftemangel, der auch in diesem Bereich beklagt wird, erfordert demnach gesellschaftliches Umdenken. Das Erfahrungswissen, das derzeit keine Bewertung erfährt, ist jedoch zu wertvoll, um es zu negieren. Diese Kompetenzen müssen Anerkennung finden. Insbesondere im hauswirtschaftlichen Bereich gibt es viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit beruflicher Erfahrung, aber ohne Berufsabschluss. Diese Situation ist prädestiniert für die Erprobung des Verfahrens VAE.
Nutznießer des Projekts sind Personen, die im Sektor personenbezogener Dienstleistungen tätig sind. Diese Erprobung wird in jedem der Partnerländer unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten durchgeführt: Die Beschäftigten dieses Sektors werden mobilisiert und eine gewählte Instanz bzw. lokal zuständige Stelle validiert den durchgeführten Prozess.
Der französische Partner, Hauptakteur der Anerkennung von in Erfahrung erworbenen Kompetenzen und Projektträger, teilt seine Erfahrung in diesem Bereich mit jedem der Projektpartner, damit diese zum Erfolg kommen.
Die Zulassungsbedingungen sind der Nachweis von mindestens drei Jahren bezahlter, unbezahlter oder freiwilliger Arbeit im entsprechenden beruflichen Kontext.
Vorgehensweise in Frankreich:
Die Anerkennung beruht auf einer Verifizierung der Gültigkeit der beruflichen Praxis, vergleichbar einer Kontrolle der Kenntnisse und der Theorien, die durch eine Bildungsaktivität erworben würden.
Der Europäische Qualifikationsrahmen ist Referenzwerkzeug, um die Niveaus der Zertifizierung in den vier Partnerländern und in den vorgesehenen Berufsbereichen des Projektes besser vergleichen zu können. Da sich die Erfassung der Kompetenzen im Projekt auf die personale Dienstleistung im hauswirtschaftlichen Bereich bezieht, stellt die Berufsausbildung zum/zur Hauswirtschafter/in der Referenzberuf dar. Um die Umsetzung in Deutschland zu ermöglichen, dient der Deutsche Qualifikationsrahmen als Referenzwerkzeug der weiteren Entwicklungsarbeit.
Entsprechend dem Deutschen Qualifikationsrahmen wird die Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf Hauswirtschafter/in zum jetzigen Stand der Diskussion (Mai 2011) in Niveaustufe 4 eingeordnet. Die Grundlage für die Zuordnung bilden folgende Dokumente:
Tabelle 1: Einstufungsniveau Hauswirtschafter/in
Name der Qualifikation | Hauswirtschafter/in |
Verwendete Dokumente und Quellentexte (auch Ordnungsmittel) | - Verordnung über die Berufsausbildung zum Hauswirtschafter/zur Hauswirtschafterin vom 30.06.1999 und - Rahmenlehrplan (RLP) für den Ausbildungsberuf Hauswirtschafter/in (Beschluss der KMK vom 08.06.1999). - Vorschlag für einen Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen vom 10.11.2010 |
Vorgeschlagene Niveauzuordnung | 4 |
Die beschriebenen Handlungskompetenzen beziehen sich auf Versorgungs- und Betreuungsaufgaben in den Arbeitsbereichen
und sind in folgendem Raster entspr. DQR-Vorschlag aufbereitet.
Tabelle 2: Raster gemäß DQR-Vorschlag
| Kompetenzbereich | |||
Fachkompetenz | Personale Kompetenz | |||
Arbeitsbereiche und Ordnungsmittel | Wissen | Fertigkeiten | Sozialkompetenz | Selbstständigkeit |
Die Zusammenführung der Kompetenzen in Kompetenzbündel ergeben die Lernergebnisse, die aussagen, was Lernende wissen, verstehen und in der Lage sind zu tun, nachdem sie einen Lernprozess abgeschlossen haben.
Diese Basisarbeit war erforderlich, um die Instrumente zur Erfassung der Kompetenzen zu entwickeln.
Vorgehensweise zur Entwicklung und Erprobung im Projekt in Rheinland-Pfalz
Die Ergebnisse des Projektes werden Ende 2011 erwartet und entsprechend veröffentlicht.
Der derzeitige Diskussionsstand lässt erwarten, dass die Erfahrungen, die aus dem Projekt geschöpft wurden, zu einer Initiierung eines Folgeprojektes anregen. Dabei sollen die Erkenntnisse vertieft werden, indem die Instrumente zur Kompetenzerfassung, insbesondere der Fragebogen und die Modalitäten zur Zertifizierung optimiert werden.
Außerdem besteht die Überlegung, am Beispiel des Ausbildungsberufes Hauswirtschafter/in Ausbildungseinheiten zu bilden, denen entsprechend DECVET Leistungspunkte zugeordnet werden.
Diese Ausbildungseinheiten sollen damit auch grundlegend für die Entwicklung von Qualifizierungsmaßnahmen verwendet werden, die im Bereich der Erwachsenenbildung Anwendung finden, um ein nächst höheres Bildungsniveau zu erreichen. Es ist davon auszugehen, dass die Projektergebnisse von Arbeitgebern mit großem Interesse aufgenommen werden.
Abb. 1: Auszug aus dem Fragebogen – Deckblatt
Abb. 2: Auszug aus dem Fragebogen zur Vorbereitung der Validierung
EUROPÄISCHE KOMMISSION – Generaldirektion Bildung und Kultur, Generaldirektion Beschäftigung und Soziales – (2001): Mitteilung der Kommission: Einen europäischen Raum des Lebenslangen Lernens schaffen.
GUTSCHOW, K. (2010): Anerkennung von nicht formal und informell erworbenen Kompetenzen. In: Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufsbildung, H. 118, Bonn.
ARBEITSKREIS DEUTSCHER QUALIFIKATIONSRAHMEN (2010): Vorschlag für einen Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen am 10.11.2010.
BAUR, M. (2011): Validierung von informell und nicht formal erworbenen Kompetenzen im Berufsfeld Hauswirtschaft am Beispiel eines EU-Projektes. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 11, hrsg. v. KETTSCHAU, I./ GEMBALLA, K., 1-7. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft11/baur_ft11-ht2011.pdf (26-09-2011).