Titel:
Bildungsziel Übergangsbewältigung: Pädagogisch didaktische Herausforderungen und Strategien am Übergang ins Ausbildungs- und Beschäftigungssystem
Beitrag von Friedel SCHIER (Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn)
Die Übergänge ins Erwerbssystem stellen sowohl bildungsbiographische als auch gesellschaftliche Herausforderungen dar. Der Beitrag beschreibt die quantitativen Problemlagen, wie sie sich für die beruflichen Übergänge ins Beschäftigungssystem darstellen. Die Darstellung will daten- und indikatorgestützte Hinweise geben, um die berufspädagogischen bzw. bildungspolitischen Notwendigkeiten in ihrem jeweiligen Ausmaß besser einschätzen zu können. Der Vortrag zielt darauf ab, Transparenz im Bildungsgeschehen nach dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule herzustellen. Bezug genommen wird auf Daten der integrierten Ausbildungsberichterstattung - iABE sowie der BiBB-Übergangsforschung zur 2. Schwelle.
Der Vortrag wird das Thema „Übergang“ auf der Makroebene behandeln - nach dem Sprachgebrauch der Hochschultage 2011. Die Übergänge nach der allgemeinbildenden Schule (1. Schwelle) bzw. nach der erfolgreichen Berufsbildung (2. Schwelle) in das Beschäftigungssystems werden anhand von Daten und Indikatoren der amtlichen Statistik bzw. von Ergebnissen der BiBB-Bildungsforschung beleuchtet.
In der bildungspolitischen Diskussion war in der Vergangenheit vor allem das so genannte „Übergangsystem“ (Bildungsbericht für Deutschland) an der 1. Schwelle thematisiert worden. Die öffentliche Diskussion eines prognostizierten Fachkräftemangels verlagert nun die Wahrnehmung auf die 2. Schwelle, auch wenn die Probleme der jungen Menschen an der 1. Schwelle weiter bestehen werden - wenn auch nicht im bisherigen Umfang.
Der Vortrag stellt die quantitativen Rahmenbedingungen und Eckdaten dar, die bedeutsam für das Thema der Fachtagung 15 sind: „Übergangsbewältigung als pädagogisch didaktische Herausforderung am Übergang ins Ausbildungs- und Beschäftigungssystems“.
Der besondere Blick auf die 1. und 2. Schwelle gründet sich auf die Relevanz der bildungsbiographischen Situation vor der „Ausbildung zum Beruf“ und nach derselben. Diese Schwellen oder „Übergänge“ will ich vorweg durch drei theoretische Zugänge skizzieren:
Nach KRAEMER/ SPEIDEL (2004) sind mit den sozialen Vorstellungen von einem „Normalarbeitsverhältnis“ ungeachtet des zahlenmäßigen Rückgangs solcher Arbeitsverhältnisse seit den 80er-Jahren folgende sozialen, rechtlichen und betrieblichen Vorstellungen verbunden:
(DATENREPORT 2010, 346)
Ein solches Modell suggeriert eine feste Abfolge von bildungsbiographischen Stufen, die dann zu überbrücken wären:
Jede Schwelle beinhaltet grundsätzlich das Problem des Stolperns bzw. sogar Scheiterns. Durchgängig wird von der vorhergehenden Stufe erwartet, dass ein erfolgreicher Abschluss erbracht wird, und implizit wird davon ausgegangen, dass das Vorliegen des Schul-/Berufsabschlusses auch gleichzeitig zum Ein- und Übertritt berechtige.
Berufliche Übergänge werden immer auch durch den aufnehmenden Berufs- bzw. Arbeitsmarkt und das dort geltende Tarifgefüge definiert: Je hochwertiger die Ausbildung, festgelegt z.B. durch die Länge der Berufsausbildung, desto höher die Bezahlung bzw. tarifliche Eingruppierung. „Einfachste Tätigkeiten" der Entgeltgruppe 1 TVöD sind z.B. Tätigkeiten, die nur eine sehr kurze Einweisung sowie keine Vor- oder Ausbildung erfordern (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 28 Januar 2009 - 4 ABR 92/07).
Neben der Eingruppierung ist das gesamte Einstellungsgeschehen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ein Unternehmen stets eine Entscheidung unter Unsicherheit. Diese Unsicherheit könne wesentlich reduziert werden, wenn sich Arbeitgeber auf „transparente, aussagefähige und bewährte Berufsbezeichnungen, Zeugnisse und Leistungsnachweise verlassen können“, so zuletzt (10.03.2011) der BiBB-HA (Stellungnahme des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung zu ESCO – European Taxonomy of Skills, Competencies and Occupations. Beschluss Nr. 141).
Damit sind auf dem Weg in den tarifliche normierten Arbeitsmarkt zwingend auch (formale) berufliche Qualifikationen zu erlernen, was wiederum einen Übergang erforderlich macht.
Das neuhumanistische Bildungsideal der Allgemeinbildung (W.v. Humboldt 1767-1835) schrieb der beruflichen Bildung eine Zweck- bzw. Funktionsorientierung zu. In Abgrenzung und Gegensatz zu diesem Bildungsverständnis positionierte sich die klassische Berufsbildungstheorie: „Berufsbildung steht an der Pforte zur Menschenbildung“ (Kerschensteiner) sowie „Der Weg zu der höheren Allgemeinbildung führt über den Beruf und nur über den Beruf“ (Spranger).
Die moderne Berufspädagogik entwickelte ausgehend von den Anforderungen der Arbeitswelt und den daraus abgeleiteten Qualifizierungserfordernissen die Zielvorstellung einer aus Schlüsselkompetenzen abgeleiteten und weiterentwickelten Handlungskompetenz (SCHELTEN 2004) wie sie auch im § 1 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz als Ziel der Berufsausbildung niedergelegt ist.
Auch dieser Zugang über die Handlungskompetenz erfordert eine eigene, unabhängige Ausbildung zur Ausübung eines Berufes und somit einen Übergang von der allgemeinbildenden in die berufliche Bildung.
Positionen zum Übergangsgeschehen bauen - insb. in der (Be)Wertung des Übergangs als gelungen/misslungen, als erfolgreich/beeinträchtigt als mühsam/gradlinig - auf die Vorstellungen der sich Positionierenden auf. Zwei Blitzlichter aus der aktuellen Diskussion sollen die Positionen zu Übergängen beleuchten.
Jüngst haben Bildungsexperten zum Übergangsbereich mehrheitlich festgestellt, dass
Davon waren die befragten Experten zu 81% und die Jugendlichen zu 75% überzeugt. (BiBB/ BERTELSMANN 2011, 17) Jede ExpertIn hat bei ihrer Einschätzung - je nach gesellschaftlichem Standort - ihre/seine eigene Vorstellung von „Übergang“ im Kopf.
In der Vergangenheit standen häufig die Probleme an der 1. Schwelle im Fokus der bildungspolitischen Aufmerksamkeit. Die Bildungspolitik hat nun einen Perspektivwechsel vollzogen: von der Klage über die mangelnde Ausbildungsreife der Jugendlichen hin zur ungenügenden Nachfrage nach Ausbildung.
„Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt hat sich 2010 weiter verbessert... Die demografische Entwicklung mit dem einhergehenden Bewerberrückgang führte in manchen Regionen ... dazu, dass zahlreiche ausbildungswillige Betriebe keine passenden Bewerber/innen finden konnten.“
(BA-Presseinfo Nr. 6: Ausbildungspakt 2010 erfolgreich: Chancen für Bewerber erneut verbessert vom 1. Februar 2011.)
Mit Hilfe von Daten (Anfänger, Bestände, Absolventen) können quantitative und vielleicht auch qualitative Herausforderungen der Übergänge ins Beschäftigungssystem deutlich gemacht werden; in jedem Fall werden die Größenordnungen deutlich, die die Entwicklungen an der 1. und 2. Schwelle kennzeichnen.
Das berufliche Ausbildungsgeschehen als Zusammenfassung aller ausbildungsrelevanten Angebote findet nicht im leeren Raum statt, sondern realisiert sich in einem konkreten gesellschaftlichen Rahmen. Dieser Rahmen kann anhand verschiedener Eckdaten beschrieben werden.
Junge Menschen verlassen i.d.R. im Alter von ca. 15 - 19 Jahren die Sekundarstufe I der allgemeinbildenden Schule. Um eine Aussage über den quantitativen Stellenwert der verschiedenen nachschulischen Angebote für Jugendliche in dieser Lebensphase zu erhalten, hat die iABE die Bestandszahlen in den vier Bildungssektoren gespiegelt an der Wohnbevölkerung im Alter von 15 bis 19 Jahren (4.479.630, 2008):
Abb. 1: Verbleib der jungen Menschen im Alter von 15-19 Jahren (2008)
Im Jahr 2008 befanden sich 60,5% der Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren in Angeboten des formalen Ausbildungsgeschehens. Der hohe Anteil der Sonstigen (39,5%) erklärt sich insbesondere dadurch, dass noch 28,9% der gesamten Altersklasse in den allgemeinbildenden Schulen (inkl. Förderschulen) der Sekundarstufe I ist.
Die meisten jungen Menschen in diesem Alter versuchen eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben(26,3%), gefolgt von 23,4%, die eine abschlussbezogene Berufsausbildung absolvieren. Nur 9,2 % der Jugendlichen befinden sich in Angeboten des Sektors „Integration (Übergangsbereich)“.
Insgesamt kommt die iABE damit auf einen Umfang von 89,9% jungen Leuten (15-19 Jahre) in formaler Bildung (2008). Die OECD hat in der Zusammenstellung „Education at a Glance 2010/2008“ auf der Grundlage des Mikrozensus einen ähnlich hohen Wert (88,7%) bestätigt.
Für die Nachfrage nach dem Angebot „Berufsausbildung“ spielen insb. die Abgänger/innen aus allgemeinbildenden Schulen sowie der gesamte Umfang der interessierenden Altersgruppe eine große Rolle. Zur Einschätzung der Marktmechanismen in Bezug auf das größte Angebot in diesem Sektor, die „duale Berufsausbildung“, wurde auch die Angebots-Nachfrage-Relation (ANR) aufgenommen. Die ANR setzt das der BA gemeldete Ausbildungsangebot ins Verhältnis mit den der BA gemeldeten Interessenten (Bewerbern).
Abb. 2: Veränderungen der Rahmendaten (in %) 2005 - 2009
Die Zahl der Schulabgänger veränderte sich im Zeitraum 2005-2009 auf der Bundesebene nur unbedeutend. Viel offensichtlicher ist jedoch die gegenläufige Entwicklung von der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen und der ANR: Die ANR steigt mit dem Rückgang der potentiell zur Verfügung stehenden Nachfrager seit 2006 kontinuierlich an, was bedeutet, dass das Ausbildungsangebot aus Sicht der Jugendlichen besser wird.
Die 1. Schwelle beschreibt den Übergang in eine Berufsausbildung nach dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule. Die Abfolge von 1. und 2. Schwelle spiegelt den berufsbiographischen Normalverlauf wider.
In den vier Bildungssektoren des Ausbildungsgeschehens haben sich die Zahlen der Anfänger - unabhängig vom Alter - wie folgt entwickelt:
Abb. 3: Anfänger im Ausbildungsgeschehen 2005-2009
Mit ca. 724-tausend Anfängern besteht für eine Berufsausbildung bei weitem das größte Interesse (2009), gefolgt von ca. 526-tausend jungen Menschen, die die Hochschulreife erlangen wollen.
Der Übergangsbereich ist mit ca. 347-tausend Jugendlichen zwar am kleinsten, ist jedoch aufgrund der dort angeboten, nicht abschlussorientierten Angebote das zentrale Ersatzangebot im Übergangsgeschehen. Diese Jugendlichen stellen die Problemgruppe dar, die in vielen Diskussionen und Veröffentlichungen zur Übergangsproblematik thematisiert werden.
Im Zeitverlauf zeigt sich, dass die vier Sektoren ganz unterschiedliche Entwicklungen seit 2005 vollzogen haben:
Abb. 4: Veränderung der Anfängerzahlen in den Bildungssektoren 2005-2009
Während die schulisch geprägten Bildungssektoren (Erwerb des Hochschulzugangs, Studium) seit 2007 ansteigen, verliert der Übergangsbereich kontinuierlich an Zugängen seit 2005 - ohne dass der prädestinierte Aufnahmesektor „Berufsausbildung“ davon profitieren würde. Damit scheint für junge Menschen eine weitere schulische Qualifizierung im Übergangsbereich zumindest eine potentielle Alternative.
Zusammenfassend kann man sagen „Bessere Chancen für volle berufliche Qualifizierung – Junge Leute profitieren vom demografischen Wandel“ (BIBB, Pressemeldung 43/2010).
Die Schnittstelle zwischen dem Abschluss einer Berufsausbildung und dem Zugang in den Arbeitsmarkt ist wichtig für die erfolgreiche Gestaltung des Berufslebens. Neben dem Risiko arbeitslos zu werden sind weitere Erfolgsfaktoren wichtig, insb. ob die Ausgebildeten in eine vollwertige Beschäftigung einmünden und ob sie im erlernten Beruf arbeiten können.
Die folgenden Darstellungen beziehen sich insb. auf den Forschungsarbeiten von MAIER/ DORAU (2010) sowie die Analysen im DATENREPORT.
2009 meldeten sich 162.000 Personen nach abgeschlossener dualer Ausbildung arbeitslos, so die Hochrechnungen der BA. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Absolventen einer dualen Ausbildung (469.000 Personen) ergibt sich eine Arbeitslosenquote von 34,5% nach Ausbildungsende:
Tabelle 1: “arbeitslos” nach erfolgreich abgeschlossener dualer Ausbildung
| Männer | Frauen | Insgesamt | ||||||
2009 | West | Ost | D | West | Ost | D | West | Ost | D |
arbeitslos nach Ausbildung | 66.195 | 27.432 | 93.627 | 50.514 | 17.785 | 68.299 | 116.709 | 45.217 | 161.926 |
Rechnerische Quote | 30,8% | 49,0% | 34,6% | 31,4% | 47,4% | 34,4% | 31,1% | 48,4% | 34,5% |
Bemerkenswert an diesen Daten ist der große Unterschied zwischen den alten (West) und neuen (Ost) Bundesländern; dieser Unterschied besteht unabhängig vom Geschlecht. Im Westen gelingt laut den Zahlen der BA der Übergang in den Arbeitsmarkt wesentlich besser.
Der Übergang in eine „vollwertige Beschäftigung“ gelang 60,8% der Absolventen (2009):
Tabelle 2: Erwerbsstatus von Absolventen/-innen
| Vollwertige Beschäftigung | Prekäre | Erwerbslos |
Gesamt | 60,8% | 26,2 | 13,0% |
Darunter mit: Haupt-/Volksschulabschluss | 55,1% | 26,4% | 18,5% |
Mittlere Reife oder | 60,9% | 26,8% | 12,3% |
Fach-/Hochschulreife | 68,2% | 24,3% | 7,5% |
Die Daten für 2009 zeigen deutlich, wie wirkungsmächtig der allgemeineinbilde Schulabschluss ist: Der Schulabschluss schlägt durch auf den Berufseinstieg. Die Abstufungen im Status der Beschäftigung (vollwertig, prekär) werden in Anlehnung an das Normalarbeitsverhältnis vorgenommen (vgl. MAIER/ DORAU 2010, 4f.).
Ausschlaggebend für den Verbleib im Beruf nach Abschluss der dualen Berufsausbildung ist das Berufsfeld des Ausbildungsberufes:
Tabelle 3: Verbleibquoten im erlernten Beruf (2009)
Bank-, Versicherungsfachleute | 76,1% |
Sonstige kaufmännische Berufe | 66,9% |
Industrie-, Werkzeugmechaniker/-innen | 60,8% |
Gesundheitsberufe ohne Approbation | 59,8% |
Elektroberufe | 59,5% |
Kaufmännische Büroberufe | 57,9% |
Fahr-, Flugzeugbau, Wartungsberufe | 56,2% |
Groß-, Einzelhandelskaufleute | 55,6% |
Gesamt | 55,0% |
Metall-, Anlagenbau, Blechkonstruktion, Installation, Montierer | 54,1% |
Back-, Konditor-, Süßwarenherstellung | 49,4% |
Bauberufe, Holz-, Kunststoffbe- und-verarbeitung | 43,9% |
Verkaufsberufe(Einzelhandel) | 43,0% |
Hotel-, Gaststättenberufe, Hauswirtschaft | 43,0% |
Land-, Tier-, Forstwirtschaft, Gartenbau | 41,4% |
Berufe in der Körperpflege | 40,6% |
Köchinnen und Köche | 39,2% |
So können Bank-, Versicherungsfachleute zu 76,1% im erlernten Feld verbleiben, bei Köchinnen und Köchen sind es nur 39,2%. (DATENREPORT 2010, 358) In diesem Berufsfeld ist also eine hohe Wechselwahrscheinlichkeit gegeben, die auch in der Ausbildung schon eine wichtige Rolle in Bezug auf die zu vermittelnden Kompetenzen spielen müsste.
Das IAB stützt diese Befunde. Auf der Basis des IAB-Betriebspanels konnten zudem noch weitere Indikatoren für Verbleib oder Wechsel untersucht werden: Der Bericht kommt z.B. zu dem Ergebnis, dass die Übernahmequote positiv mit der Betriebsgröße korreliert (STEGMAIER 2008, 30).
Welche Entwicklungen und Herausforderungen werden den Übergang in den kommenden Jahren prägen? Neben den Schlagworten „Fachkräftemangel“ und „Lernortekonkurrenz“ werden sich vor allem die demographische Entwicklung sowie der Zuwachs der jungen Menschen mit Migrationshintergrund quantitativ auswirken.
Der Fachkräftemangel spielt in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion eine große Rolle. Inwieweit die dort geäußerten Befürchtungen berechtigt sind oder ob es sich um eine "Fata Morgana" (BRENKE) handelt, ist noch nicht erkennbar. In jedem Fall ist die Debatte geprägt durch ein hohes Maß an Eigeninteressen.
In den vergangenen Jahren hat der Sektor „Berufsausbildung“ zunehmend weniger Anfänger aufgenommen - die Zahl der Berufsanfänger/-innen ist seit dem höchsten Stand 2007 mit 788.900 bis 2009um 65.000 zurückgegangen. Der schulische bzw. hochschulische Bildungsweg scheint für junge Leute immer attraktiver zu werden (BiBB-PM 43/2010). Welche quantitativen Auswirkungen einerseits die Umstellung der Studienangebote auf Bachelor und andererseits die Forderung nach hochschulischer Qualifikation z.B. für Erzieherinnen oder Polizisten haben wird, ist noch nicht abzusehen.
Die Bildungs(orte)konkurrenz bedeutet in jedem Fall für die Lernorte in der Berufsausbildung (Betrieb - Berufsschule - ÜBS) eine Anforderung, die auch ein qualitatives Angebot zur Absicherung des Angebotes „Berufsausbildung“ sein muss.
Eindeutig sind die Prognosen zu den Auswirkungen, die der demographische Wandel haben wird. Wenn man die Vorhersagen für den Zeitraum 2005 - 2020 betrachtet, wird deutlich, wie umfangreich die Veränderungen sein werden; die neuen Bundesländer gehen dabei mit großen Schritten voran.
Abb. 5: Der Demographische Rückgang in der Altersgruppe 15 - 24 Jahre
In allen drei betrachteten Kategorien (Schulabgänger, Jugendliche, junge Menschen) wird es einen Rückgang der Zahlen geben. Ausgehend vom Basisjahr sticht insb. der rückläufige Trend der jungen Menschen (20 - 24 Jahre) mit über 27% besonderes ins Auge. (KMK 2007, DESTATIS 2010)
In der Konsequenz bedeutet dass, dass in allen Bildungssektoren weniger Nachfrage auftreten wird und dass die Nachfragenden sich eher als in der Vergangenheit ihr (Wunsch)Angebot aussuchen können; diese Chance werden vor allem die stärkeren Schulabsolventen ergreifen. Damit werden unattraktive (Berufsbildungs)Angebote den größten Einbruch haben.
Wie mit den Daten des Mikrozensus gezeigt werden, sind immer mehr junge Menschen mit einem Migrationshintergrund ausgestattet. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken, wie die nachfolgende Tabelle zeigt:
Tabelle 4: Junge Menschen mit Migrationshintergrund
Altersgruppe | 5-bis 9 | 10- bis 14 | 15- bis 19 | 20- bis 24 |
Insgesamt | 3.603.000 | 3.854.000 | 4.475.000 | 4.910.000 |
darunter mit Migrationshintergrund | 1.141.000 | 1.115.000 | 1.134.000 | 1.128.000 |
(relativ zur Altersklasse) | 31,7% | 28,9% | 25,3% | 23,0% |
Die Daten zeigen, dass der Teil der jungen Menschen mit Migrationshintergrund in der Relation zur Altersklasse anwächst - im Unterschied zu den Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (STATISTISCHES BUNDESAMT 2010).
Damit wird die Berufspädagogik neben der quantitativen zusätzlich auch mit einer qualitativen Herausforderung konfrontiert: Die jungen Leute in beruflicher Bildung werden verstärkt geprägt sein durch einen Migrationshintergrund. Diese andere ‚Qualität‘ der Lernenden verlangt nach anderen oder weiterentwickelten Konzepten, um Jugendliche zu einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss bzw. zu einem erfolgreichen Wechsel in die Arbeits- und Berufswelt zu führen
Das Projekt zur Integrierten Ausbildungsberichterstattung - iABE (2009-2011) richtet seinen Fokus auf das Ausbildungsgeschehen, also auf die beruflichen Qualifizierungswege, die junge Menschen nach Verlassen der allgemeinbildenden Schule einschlagen können. Neben der alle Lebensbereiche übergreifenden Bildungsberichterstattung des Berichts „Bildung in Deutschland“ beleuchtet die iABE mittels Daten der amtlichen Statistik insb. die eingelöste Angebotsnachfrage an der 1. Schwelle.
Die beiden Partner BiBB und Statistische Ämter haben mit Förderung durch das BMBF eine Neuauswertung von bereits vorliegenden Daten 2005 - 2009 durchgeführt, die nun kontinuierlich fortgeschrieben werden soll. Anfang März hat das Statistische Bundesamt in einer Schnellmeldung bereits die Eckdaten zur iABE für 2010 veröffentlicht.
Neben dieser Neuauswertung der amtlichen Daten insb. der Schulstatistik hat das Projekt eine Indikatorik zur Bildung nach Sek. I entwickelt, die als Grundlage von bildungspolitischen und -theoretischen Bewertungen des Ausbildungsgeschehens im Übergangsbereich hinzugezogen werden kann.
Die Indikatoren konnten mithilfe der neuentwickelten Datenbank der schulischen Ausbildungsgänge (Bildungsgängematrix) eine trennscharfe, nach ISCED-Kriterien eindeutige Zuordnung der Bildungsgänge vornehmen. Diese Bildungsgänge wurden dann anhand ihrer Ausrichtung in vier Zielbereiche (Bildungssektoren) eingeteilt:
BIBB/ BERTELSMANN (2011): Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung. Aktuelle Vorschläge im Urteil von Berufsbildungsexperten und Jugendlichen. Bonn, Gütersloh. Online: https://www.expertenmonitor.de/index.php?cmd=usrInquiryResults&inq_id=62 (01-04-2011).
BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (BIBB) (Hrsg.) (2010): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2010. Bonn. Online: http://datenreport.bibb.de (01-04-2011).
BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (BIBB) (Hrsg.) (2011): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2011. (Vorversion). Bonn. Online: http://datenreport.bibb.de (01-04-2011).
DESTATIS (2010): Genesis Online-Datenbank, Tabelle 124 Bevölkerungsstand, -vorausberechnung. STATISTISCHES BUNDESAMT (Hrsg.), Wiesbaden. Online: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online (01-04-2011).
HESSISCHES STATISTISCHES LANDESAMT (Hrsg.) (2010): Integrierte Ausbildungsberichterstattung. Ergebnisse der integrierten Ausbildungsberichterstattung nach Ländern Anfänger im Ausbildungsgeschehen 2009 nach Sektoren/Konten und Ländern. Online: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/BildungForschungKultur/Ausbildungsberichterstattung,property=file.pdf (01-04-2011).
KMK (2007): Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz, NR. 182 - Mai 2007. Vorausberechnung der Schüler- und Absolventenzahlen 2005 bis 2020. Bonn.
MAIER, T./ DORAU, R. (2010): Chancen auf vollwertige Beschäftigung nach Abschluss einer dualen Ausbildung. In: BWP 2/2010, 4-5.
SCHELTEN, A. (2005): Berufsbildung ist Allgemeinbildung - Allgemeinbildung ist Berufsbildung. In: Die berufsbildende Schule, 57, 6, 127-128.
STATISTISCHES BUNDESAMT 2010: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2009. Wiesbaden.
STEGMAIER, J. (2008): Betriebliche Berufsausbildung und Weiterbildung in Deutschland. Nürnberg.
SCHIER, F. (2011): Übergänge ins Beschäftigungssystem – Herausforderungen an der ersten und zweiten Schwelle. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 15, hrsg. v. JUNG, E./ KENNER, M./ LAMBERTZ, H.-G., 1-14. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft15/schier_ft15-ht2011.pdf (26-09-2011).