Titel:
Zwischenbilanz des Lernfeldkonzepts – erfolgreiche Neuorientierung oder Irrweg
Beitrag von Michael SCHOPF (Behörde für Bildung und Sport, Hamburg)
Seit wesentliche Teile der Berufsbildung durch das Berufsbildungsgesetz strukturiert werden, versuchte die KMK vergeblich, Curricula der Lernorte Berufsschule und Ausbildungsbetrieb einheitlich zu gestalten. Aber die Länderseite sah sich auch schon erheblicher Kritik bei der Gestaltung des schulischen Teils der Berufsausbildung ausgesetzt: die Ausbildung galt als theorie- und inhaltslastig, die Fächer orientierten sich nur an Wissenschaftsdisziplinen und den Auszubildenden gelang der Transfer auf betriebliche und gesellschaftliche Anforderungen unzureichend. 1992 beginnt die Überarbeitung der „Handreichung“ für die Gestaltung von KMK-Rahmenlehrplänen durch eine Arbeitsgruppe aus 15 Ländern (zu der auch der Autor gehörte). Diese wird 1999 vom Unterausschuss Berufliche Bildung der KMK beschlossen. Als Ziel der Berufsausbildung wird „Handlungskompetenz“ definiert, aufgefächert in 5 Dimensionen. Inhalte werden nur beispielhaft angegeben. Etwa 15 Lernfelder orientieren sich an Handlungs- und Geschäftsprozessen. Diese „Philosophie“ findet sich aktuell wieder im DQR (Deutscher Qualifikationsrahmen), so dass sich das Lernfeldkonzept in alle Bildungsbereiche verbreiten dürfte. Konkrete Folgen (am Beispiel Hamburgs): KMK-Rahmenlehrpläne werden von den Ländern direkt übernommen; auf schulischer Ebene erfolgt die Konkretisierung im Rahmen der Lernortkooperation. Die bisherigen berufsspezifischen Fächer werden ersetzt durch Lernfelder. Aus allgemeinbildenden Fächern werden berufsübergreifende. Statt Wochenstundentafeln gibt es pauschalierte Bildungsgangstundentafeln. Lehrerteams organisieren den Unterricht selbständig. Es werden Lernfeldräume eingerichtet. Problematisch bleiben das Fehlen eines integrierten Bildungsplanes (der auch die berufsübergreifenden Fächer einbezieht), die Gestaltung der Abschlussprüfungen und der zu langsame Bewusstseinswandel bei den Lehrkräften (woran die Wissenschaft nicht ganz unschuldig ist).
In der Bundesrepublik Deutschland hat die „Kulturhoheit der Länder“ Verfassungsrang, allerdings wird Berufsbildung nur begrenzt dem Bereich Kultur zugeordnet (Art. 70 und 74 GG). Demnach hat der Bund die Gestaltungshoheit für die bundeseinheitliche formale Gestaltung der Berufe nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) sowie die curriculare Gestaltung der Ausbildung am Lernort Ausbildungsbetrieb. Die Länder gestalten die Ausbildung am Lernort Berufsschule, wobei durch Rahmenvereinbarungen der KMK auch hier eine weitgehende Bundeseinheitlichkeit sichergestellt wird. Die Regeln für die strukturelle und inhaltliche Abstimmung der beiden Lernorte wurden 1972 im „Gemeinsamen Ergebnisprotokoll von Bund und Ländern (GEP 72)“ vereinbart. Die Anwendung des GEP 72 war mitunter schwierig. Letztlich hat es aber immer Lösungen gegeben, weil sich alle Seiten zu konsensualem Verhalten verpflichtet sahen und auch rechtlich bisher keine Alternativen zu sehen waren.
Wenn die KMK bundesweite Innovation anstoßen will, benötigt sie dafür die personellen und sachlichen Ressourcen der Länder. Ihr eigenes Budget reicht im Wesentlichen zur Erfüllung von Sekretariatsfunktionen. Sie verfügt nicht (wie z.B. das Bundes-Bildungsministerium mit der Dienststelle Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB)) über eigene Forschungskapazitäten und kann auch nur selten Forschungsaufträge (wie z.B. zur Einführung von Bildungsstandards) vergeben.
Da die berufliche Erstausbildung an den beiden Lernorten Ausbildungsbetrieb und Berufsschule stattfindet, hätte es nahe gelegen, die jeweiligen Bildungsziele nicht nur formal abzustimmen, sondern ein gemeinsames „Grundraster“ für beide Lernorte zu entwickeln. Dies scheitert aber nach mehrjährigen Bemühungen 1980 an der Weigerung des Bundes, die im Wesentlichen die Haltung der Sozialpartner widerspiegelt. Die Länderseite entwickelt deshalb weiterhin KMK-Rahmenlehrpläne, aus denen dann in meist aufwendigen Verfahren Landeslehrpläne für den berufsspezifischen Teil der Ausbildung am Lernort Berufsschule entwickelt werden. Um eine gewisse Einheitlichkeit zumindest der KMK-Rahmenlehrpläne zu gewährleisten, wird eine „Handreichung“ erarbeitet („Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmungen mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe). Die aus den KMK-Rahmenlehrplänen dann abgeleiteten Landeslehrpläne und Stundentafeln weisen oft erhebliche Unterschiede auf.
Generell wird in den achtziger Jahren dann die Gestaltung der Ausbildung in der Berufsschule kritisiert.
Angesichts dieser Situation beschließt der zuständige Unterausschuss für Berufliche Bildung der KMK (UABBi) 1992 eine Überarbeitung der „Handreichung“. Ziel war
In etwa zeitgleich hatten Bund und Länder begonnen, als Ergänzung zum Einzelhandelskaufmann einen „Kaufmann für Warenwirtschaft“ zu entwickeln, der dreijährig angelegt war und letztlich den zweijährigen Beruf Verkäufer überflüssig machen sollte. Daraus wurde dann bekanntlich nichts, aber die Länder-Sachverständigen hatten für diesen Beruf einen KMK-Rahmenlehrplan entwickelt, der nach „Handlungslernfeldern“ strukturiert war und viele Anregungen zur Überarbeitung der „Handreichung“ gab.
In der Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der KMK-Handreichung waren 15 der 16 Länder vertreten. Ganz überwiegend handelte es sich dabei um „Gestalter“, womit Menschen aus Ministerien und Landesinstituten gemeint sind, die sich im Wesentlichen um die curriculare Gestaltung von Bildungsgängen kümmern. Die Gruppe der „Aufsichten“, die eher Einhaltung von Curricula und die Ressourcen zuständig ist, war nur mit zwei Personen vertreten. Die nur schwache Beteiligung der bei einer holzschnittartigen Betrachtung eher strukturkonservativen Aufsichten dürfte mit dazu beigetragen haben, dass bei der Überarbeitung der Handreichung mit dem Lernfeldkonzept ein sehr großer Schritt gewagt wurde, in der Umsetzung aber auch nicht unbeträchtliche Herausforderungen zu bewältigen waren.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe nahmen für sich in Anspruch, den „mainstream“ der wissenschaftlichen Diskussionen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zu kennen. Sie hatten in der Erarbeitungsphase auch häufiger Kontakt zu ihnen bekannten Vertretern der Disziplin und brachten oft sehr widersprüchliche oder hinsichtlich der Umsetzungsmöglichkeiten zum Teil völlig realitätsferne Anregungen in die Diskussionen ein. Das Verfahren insgesamt kann man als nicht einfach bezeichnen, weil letztlich alle Ländervertreter im Konsens den Überarbeitungsentwurf erstellen sollten.
Die Arbeitsgruppe legte 1996 eine überarbeitete „Handreichung“ vor, in die relativ unscheinbar das eingebettet war, was man als „Lernfeldkonzept“ bezeichnet. Die Handreichung (und damit auch das Lernfeldkonzept) ist – wie alles, was die KMK beschließt – eine Empfehlung, die dadurch ihr politisches Gewicht erhält, dass alle Länder versprechen, sich an sie zu halten, und die ihr rechtliches Gewicht erst erhält, wenn jedes Land für sich das Konzept in länderspezifische Vorschriften, Verordnungen oder gar Gesetze einbaut. Der UABBi hat den Entwurf der Handreichung sofort zur Erprobung freigegeben, so dass sie zwischen November 1996 und März 1998 gleich für 32 Neuordnungs- oder Aktualisierungsverfahren Anwendung finden konnte. Außerdem wurde ein Prüfraster erstellt, mit dem der UABBi feststellt, ob von Länderexperten erstellt Entwürfe für neue KMK-Rahmenlehrpläne den Bedingungen des Lernfeldkonzepts genügen.
Nach Auswertung der Erfahrungen in den Neuordnungsverfahren und nach ein paar Verzögerungen wegen Bedenken aus zwei Ländern hat dann der UABBi der KMK am 05.02.1999 die neue Handreichung beschlossen. Sie wurde inzwischen ein paar Mal geändert (zuletzt im September 2007), allerdings nur redaktionell, nicht substanziell.
Das erneute Angebot an den Bund, künftig nach dem Lernfeldkonzept einen „Integrierten Bildungsplan“ für beide Lernorte zu erstellen, blieb ohne Reaktion. Immerhin enthält die „Handreichung“ die Option, Lernfelder an den Berufsbildpositionen der Ausbildungsordnung zu orientieren, sofern diese nach Arbeits- und Geschäftsprozessen strukturiert sind.
Das Lernfeldkonzept besteht im Kern aus Maßnahmen, die Auszubildende dabei hilft Handlungskompetenz zu erwerben. Diese wird in einem sehr umfassenden Sinn verstanden „als Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (KMK 2007, 10 f). Handlungskompetenz wird dann differenziert in sechs Dimensionen:
Der wissenschaftliche Gebrauch des Begriffes Handlungskompetenz ist ebenso schillernd wie der der einzelnen Dimensionen (z.B. WEINERT 2001, KLIEME 2007, EU 2008). Auch die Verwendung anderer Begrifflichkeiten für einzelne Dimensionen (wie Sachkompetenz statt Fachkompetenz oder Personale bzw. Selbstkompetenz statt Humankompetenz) wurde diskutiert, fand aber letztlich keine Zustimmung. Auch matrixartige Auffächerungen der Handlungskompetenz nach Umgangsbereichen (Sachen, andere Personen, eigene Person) und Bloomschen Taxonomiegruppen (Kognition, Fertigkeiten, Affektion) wurden als zu komplex und nicht vermittelbar angesehen (siehe auch EULER 2010, 322). Wichtig erschien vor allem, dass der Begriff der Handlungskompetenz und seiner Dimensionen anschaulich, praktikabel und widerspruchsfrei definiert wurde.
KMK-Rahmenlehrpläne sind nach Lernfeldern strukturiert. „Lernfelder sind durch Ziel, Inhalte und Zeitrichtwerte beschriebene thematische Einheiten, die an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsfeldern orientiert sind und den Arbeits- und Geschäftsprozess reflektieren“ (KMK 2007, 17). Im Einzelnen:
Über das primäre Ziel, den Expertengruppen eine Hilfestellung bei der Formulierung von KMK-Rahmenlehrplänen zu geben, hat sich das Lernfeldkonzept inzwischen weit hinaus entwickelt und vielfältige direkte und indirekte Konsequenzen für die Gestaltung der Berufsbildung bewirkt. Da die Folgen in den Ländern nicht ganz einheitlich sind, erfolgt zur Vermeidung einer Überfrachtung mit Eindrücken eine Fokussierung auf das Land Hamburg.
Nachdem die ersten KMK-Rahmenlehrpläne nach dem Lernfeldkonzept erschienen waren, haben einige Länder (wie Hamburg) diese direkt als Landeslehrpläne übernommen. In anderen Ländern ist dies dann später geschehen.
Der Charakter eines Rahmen-Lehrplans mit oft knappen und abstrakten Formulierungen bringt es mit sich, dass auf schulischer Ebene oder auch schulübergreifend Konkretisierungen vorgenommen werden. Dafür sind handlungsorientierte Lernarrangements zu entwickeln, was häufig im Rahmen von Lernortkooperationen geschieht.
Nach Abschluss eines Neuordnungsverfahrens für einen Beruf wird regelmäßig vom Landesinstitut des jeweils federführenden Landes ein Seminar für Teilnehmer aus allen Bundesländern angeboten, um gemeinsam Vorschläge für handlungsorientierte Lernarrangements zu entwickeln.
Mit der Einführung des Lernfeldkonzeptes wurden zunächst die wissenschaftsbezogenen Fächerbezeichnungen obsolet. An ihre Stelle traten in einigen Fällen die Lernfelder. Die Stundentafel und das Zeugnis führten also sämtliche Lernfelder auf und zusätzlich noch die berufsübergreifenden Fächer. Die große Anzahl und das unterschiedliche Volumen der Lernfelder wurde aber von den meisten Ländern als wenig praktikabel für Stundentafeln und Zeugnisse angesehen. Zudem hätte man zur Ermittlung der Berufsschulnote für den Ausweis im Kammerzeugnis womöglich noch Gewichtungen vornehmen müssen. Hier entschied man sich für das „Bündelungskonzept“, bei dem die Lernfelder in drei bis vier handlungsbezogenen Fächern „gebündelt“ werden. In einem Anhang enthalten Stundentafeln und Zeugnisse dann in der Regel noch eine Liste aller Lernfelder, oft auch noch mit Noten für die einzelnen Lernfelder.
Im Übrigen ist die Gestaltung von Stundentafeln und Zeugnissen hinsichtlich anderer Elemente in den Ländern uneinheitlich. Hamburg z.B. hat „Bildungsgangstundentafeln“ entwickelt, die neben dem oben beschriebenen Bündelungskonzept eine Reihe weiterer, aus dem Lernfeldkonzept abgeleiteter Veränderungen enthält:
Tabelle 1: Beispiel: Bildungsgangstundentafel „Kaufmann im Einzelhandel“ (Hamburg, 2004)
Beruf: Kaufmann im Einzelhandel / Kauffrau im Einzelhandel
Ausbildungsdauer: 3 Jahre
Organisation: Tagesform / Blockform
Organisationsfrequenz/Basisfrequenz: 28 / 22 Personen je Klasse
Grundstunden: 12 Unterrichtsstunden je Woche (bei Tagesform)
34 Unterrichtsstunden je Woche (bei Blockform
Erprobung ab: 1. 8. 2004
Lernbereiche, Unterrichtsfächer und Wahlpflichtbereich | Unterrichtsstunden | Zugeordnete Lernfelder des KMK-Rahmenlehrplans | |
Lernbereich I Warenverkauf Kaufmännische Steuerung Betriebsgestaltung Fachenglisch | 1000 |
280 300 300 120 |
2, 4, 5, 10, 12 6, 7, 8, 9, 11 1, 3, 13, 14 |
Lernbereich II Sprache und Kommunikation Wirtschaft und Gesellschaft Wahlpflicht | 440 |
| |
Summe der Schülergrundstunden | 1440 |
|
b
KMK-Rahmenlehrplan | ||||
Lernfelder | Zeitrichtwerte | |||
|
| 1. Jahr | 2. Jahr | 3. Jahr |
01 | Das Einzelhandelsunternehmen repräsentieren | 80 |
|
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02 | Verkaufsgespräche kundenorientiert führen | 80 |
|
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03 | Kunden im Servicebereich Kasse betreuen | 80 |
|
|
04 | Waren präsentieren | 40 |
|
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05 | Werben und den Verkauf fördern | 40 |
|
|
06 | Waren beschaffen |
| 60 |
|
07 | Waren annehmen, lagern und pflegen |
| 60 |
|
08 | Geschäftsprozesse erfassen und kontrollieren |
| 60 |
|
09 | Preispolitische Maßnahmen vorbereiten und durchführen |
| 40 |
|
10 | Besondere Verkaufssituationen bewältigen |
| 60 |
|
11 | Geschäftsprozesse erfolgsorientiert steuern |
|
| 80 |
12 | Mit Marketingmaßnahmen Kunden gewinnen und binden |
|
| 60 |
13 | Personaleinsatz planen und Mitarbeiter führen |
|
| 60 |
14 | Ein Unternehmen gründen und entwickeln |
|
| 80 |
| Summe | 320 | 280 | 280 |
Eine weitere Konsequenz des Lernfeldkonzepts ist der unterrichtliche Einsatz von Lehrerteams. Diese sind schon in der „Handreichung“ vorgesehen (KMK 2007, 18), vor allem weil flexibilisierte Stundentafeln auf der Basis von Lernfeldern zu erheblichen Abstimmungsbedarfen zwischen den Lehrkräften führen. Hinzu kommt speziell für Hamburg, dass die für eine Klasse insgesamt zur Verfügung stehende Lehrerarbeitszeit nach dem Arbeitszeitmodell zwischen den Lehrkräften selbst aufgeteilt werden kann auf unterrichtliche, konzeptionelle und sonstige Tätigkeiten.
Eine notwendige, aber besonders schwierig umzusetzende Konsequenz ist die Einrichtung von „Lernfeldräumen“, also Unterrichtsräumen, in denen handlungsorientierter Kompetenzerwerb in einer Mischung von Theorie und Praxis ermöglicht wird. Dies bedeutet die Aufhebung der starren Trennung in Theorieräume (Stühle und Tische) und Praxisräume (z.B. Werkstätten, Labore und Lernbüros). Wegen der erheblichen finanziellen Konsequenzen waren hier nur langsame Veränderungen möglich. In Hamburg z.B. werden aber bei allen Neubau- und Umbauvorhaben Lernfeldräume eingerichtet.
Das Lernfeldkonzept fand seine ersten Anwendungen für Berufe, die ab 1996 neu geordnet oder aktualisiert wurden. Da die „Sachverständigen der Länder“, die den KMK-Rahmenlehrplan entwickeln, aber zunächst das Lernfeldkonzept nicht kannten und auch nicht immer von seiner Attraktivität überzeugt werden konnten, war die Qualität der nach und nach erstellten KMK-Rahmenlehrpläne durchaus unterschiedlich. Die durch den Unterausschuss für Berufliche Bildung der KMK durchgeführte Qualitätssicherung führte dann auch nicht immer zu den wünschenswerten Ergebnissen - und so entstanden mitunter Rahmenlehrpläne, die als Werbung für das Lernfeldkonzept wenig geeignet waren.
Für neue Berufe wurden dann zwar auch von dem für die Neuordnung federführenden Land Seminare für Lehrkräfte aus allen Ländern durchgeführt. Auf der schulischen Ebene waren das dann aber immer Einzelpersonen, denen es unterschiedlich gut gelang, die Fachkollegen für diesen Beruf zu „missionieren“. Und für alle anderen Berufe und Schulformen galten ja weiterhin die alten didaktischen Konzepte. Auch in Landesausschüssen für Berufsbildung und in Berufsbildungsausschüssen der Kammern sowie bei vielen Ausbildern waren langwierige Überzeugungsarbeiten zu leisten. Wenn dann noch Schulleitungen und Schulaufsichten eher hemmend als förderlich waren, konnten die Prozesse sehr mühsam werden.
In einigen Ländern (so in Hamburg) wurde das Lernfeldkonzept das hervorragende Thema in der Lehrerweiterbildung, in anderen Ländern wurde die Thematik eher vernachlässigt. Die Hoffnung, Berufsanfänger wären gut qualifiziert und motiviert, bei der Einführung des Lernfeldkonzepts voran zu gehen, erfüllte sich in den Anfangsjahren nur sehr selten. Die Studienseminare wandten sich bei der Qualifizierung von Referendaren nur zögerlich dem Lernfeldkonzept und seinen unterrichtlichen Implikationen zu. Die meisten Wissenschaftler der Berufs- und Wirtschaftspädagogik blendeten in der Tradition der „selbstreferentiellen Diskursgemeinschaft“ (BRUCHHÄUSER 2009, 434) das Lernfeldkonzept zunächst aus oder kritisierten es in Grund und Boden (z.B. STRAKA 2002). Durchaus typisch ist in diesem Zusammenhang der Titel von bwpat, Ausgabe 4 „Lernfeldansatz zwischen Feiertagsdidaktik und Alltagstauglichkeit“, wobei die wissenschaftlichen Beiträge immerhin als konstruktiv-kritisch und die konkreten Umsetzungsbeispiele aus Schulen als mutmachende Muster bezeichnet werden können (GRAMLINGER 2003). In den letzten Jahren hat sich in der „scientific community“ ein gewisser Wandel vollzogen. Das Lernfeldkonzept wird zwar immer noch nicht als gelungen angesehen, aber man kommt wegen der allgemeinen Verbreitung nicht mehr darum herum, sich mit ihm auseinanderzusetzen und künftigen Lehrkräften ein Basis-Rüstzeug mit auf den Weg zu geben.
Auch die bis zur Föderalismusreform bestehende Möglichkeit, wünschenswerte Innovationen über Modellversuche der BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung) voran zu bringen, wurde von den Ländern sehr unterschiedlich genutzt. Wo Versuche durchgeführt wurden waren die wissenschaftlichen Begleitungen auch insofern meist recht positiv als Schule und Hochschule über ihre Tellerränder sehen mussten und oft viel gegenseitiges Verständnis entwickelt wurde. Insgesamt hatten die Modellversuche aber eher punktuelle Wirkungen und in einem Fall hat der Projektträger für eine Gruppe von Modellversuchen sich sogar bemüßigt gefühlt, in der Begleitung von Modellversuchen zum Lernfeldkonzept ein Gegenkonzept zu entwickeln.
So zog sich die Einführung des Lernfeldkonzepts oft recht mühsam über etwa 10 Jahre hin, bis in den meisten Berufen nach diesem Ansatz der Kompetenzerwerb gefördert wurde. Vielleicht wäre es einfacher geworden, hätte man zu einem bestimmten Stichtag und begleitet von einer Fachtagung mit hoher medialer Präsenz für alle Berufe gleichzeitig „den Lernfeld-Hebel umgelegt“ - aber so funktioniert das föderale System nun einmal nicht.
Das Lernfeldkonzept wurde entwickelt für den Lernort Berufsschule der Ausbildungen nach BBiG und dort auch nur für den berufsspezifischen Bereich.
Es war nahe liegend, das Lernfeldkonzept auch auf schulische Berufsausbildungen, die meist als „Assistenten-Ausbildungen“ bezeichnet werden und in der Schulform Berufsfachschule verortet sind, zu übertragen. Soweit es sich Berufsausbildungen in der Zuständigkeit der Länder handelt, also vor allem Technische und Kaufmännische Assistenten, war dies grundsätzlich unproblematisch und wurde es auch durchweg gemacht. Das Ergebnis ist allerdings zwiespältig, weil die KMK in diesen Berufen keinen Rahmenlehrplan erstellt, sondern sich lediglich auf Rahmenvereinbarungen mit strukturellen Gestaltungsmerkmalen beschränkt. Die Länder haben dann sehr hohe Freiräume bei der curricularen Gestaltung, was zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führt. Schwieriger ist die Einführung des Lernfeldkonzepts bei Berufen, die vor allem im Gesundheitsbereich (z.B. bei der Diätassistenz) in der Zuständigkeit des Bundes liegen und von den Ländern lediglich umgesetzt werden. Diese Berufe sind durchweg über Gesetze und Verordnungen geregelt, die auch in der Gestaltung des Curriculums sehr enge Vorgaben machen. Die neuen oder aktualisierten Berufe in diesem Bereich (z.B. im Rahmen des Altenpflegegesetzes) sind aber schon nach dem Lernfeldkonzept gestaltet (und verwenden auch diese Begrifflichkeit).
Es ist nahe liegend, dass auch die an Fachschulen angesiedelten Weiterbildungsberufe Erzieher, Techniker, Betriebswirt und Gestalter durchweg inzwischen ganz überwiegend nach dem Lernfeldkonzept curricular gestaltet werden. Auch in den berufsvorbereitenden Maßnahmen wird meist nach dem Lernfeldkonzept gearbeitet, zumal die Einstiegsqualifizierung und die Ausbildungsbausteine in der curricularen Gestaltung dem Lernfeldkonzept sehr nahe kommen.
Grundsätzlich schwieriger ist die Situation an den Berufsfachschulen, die lediglich berufliche Teilqualifikationen vermitteln und gleichzeitig allgemeine Berechtigungen vergeben. In diesen oft als „Warteschleifen“ diskriminierten Bildungsgängen fehlt ja der duale Partner. Dennoch wird auch hier zunehmend versucht, durch die Einbeziehung von Werkstätten, Laboren und Lernbüros eine Theorie und Praxis integrierende Qualifizierung zu ermöglichen und Handlungskompetenz (z.B. vergleichbar dem ersten Lahrjahr bei BBiG-Berufen) zu fördern.
Lediglich bei Fachoberschulen, Fachgymnasien und Berufsoberschulen finden sich keine Lernfeld-Ansätze, was durch die Zielsetzung „Hochschulzugangsberechtigung“ dieser Bildungsgänge verständlich ist.
Mehr Personal für Bildungsgänge zu bekommen, ist eine gängige Forderung, für die sehr nahe liegend auch die Einführung des Lernfeldkonzeptes herhalten musste. Dies spielt momentan auch auf gewerkschaftlicher Seite keine große Rolle mehr. Positiv dürften sich die oft gegebenen Möglichkeiten ausgewirkt haben, in Lehrerteams selbstverantwortlich über den Einsatz der zu Verfügung stehenden Zeit zu entscheiden.
Ein gravierenderes Problem sind derzeit die oft noch fehlenden räumlichen Ressourcen, vor allem in kaufmännischen Bildungsgängen, da es um erhebliche Mittel für Neu- und Umbauten geht und ganz überwiegend als Schulträger nicht das Land für bauliche Maßnahmen zuständig ist. Vielleicht könnte man durch Lösungen wie für Ganztagsschulen im allgemein bildenden Bereich auch Verbesserungen für beruflich bildende Schulen erreichen.
Bei der Ausbildung in BBiG-Berufen regelt sich die Ausbildung am Lernort Betrieb nach dem Ausbildungsrahmenplan. Dieser unterscheidet sich bei den meisten Berufen noch grundlegend von KMK-Rahmenlehrplan und ist z.B. inputorientiert nach Funktionsbereichen und Anforderungsarten strukturiert und enthält oft keine konkreten Lernzeit-Angaben. Es gibt allerdings Bemühungen, die Ausbildungsrahmenpläne in der Konzeption an KMK-Rahmenlehrpläne anzugleichen und somit vielleicht zu einem integrierten Bildungsplan zu kommen. Ein Schritt in diese Richtung sind z.B. die vor ein paar Jahren erstellten Ausbildungsbausteine für die Berufsvorbereitung, z.B. für den Kaufmann im Einzelhandel (BIBB 2007).
In der „Handreichung“ findet sich schon die Forderung „Mit der Orientierung der Struktur von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz an den Arbeits- und Geschäftsprozessen werden auch ganzheitliche, handlungsorientierte Prüfungen erforderlich“ (KMK 2007, 18). Von der Erfüllung dieser Forderung kann allerdings bis heute keine Rede sein. Nach wie vor werden Berufsabschluss-Prüfungen von zentralen Kammer-Einrichtungen wie PAL oder AKA erstellt, ohne dass die angewandten diagnostischen Verfahren (bis hin zu Multiple-Choice-Aufgaben) in der Lage wären, die in der Berufsausbildung geforderte umfassende Handlungskompetenz auch nur im Mindesten zu belegen. Hier bleiben momentan unlösbare Diskrepanzen zwischen Lernfeldkonzept und Abschlussprüfungen, was noch dadurch verstärkt wird, dass von den zentralen Prüfungseinrichtungen erstellte „Stoffpläne“ mitunter den Charakter von heimlichen Lehrplänen bekommen.
Der nach einem langen Vorlauf 2008 vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedete „Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (EQR) entspricht in seinem Grundkonzept dem outcomeorientierten Lernfeldkonzept. In ihm wird z.B. empfohlen, „bei der Beschreibung und Definition von Qualifikationen einen Ansatz zu verwenden, der auf Lernergebnissen beruht …“ (EU 2008, 2) „Kompetenz wird fast wie in der „Handreichung“ definiert als „die nachgewiesene Fähigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- und Lernsituationen und für die berufliche und/oder persönliche Entwicklung zu nutzen“ (EU 2008, 4). Noch dichter am Lernfeldkonzept befindet sich der mit dem EQR kompatible „Deutsche Qualifikationsrahmen“ (DQR) hinsichtlich der Outcomeorientierung und der Terminologie, wie z.B. Handlungskompetenz, Fachkompetenz oder Sozialkompetenz. Den EQR kann man auch als „Magna Charta des Europäischen Bildungsraumes bezeichnen, womit ausgedrückt werden soll, dass er die Grundlage für eine Vereinheitlichung der Bildung in Europa werden wird. In diesem Kontext kann man den Verfassern des Lernfeldkonzeptes fast schon prophetische Fähigkeiten unterstellen und feststellen, dass das Lernfeldkonzept noch lange Bestand haben wird.
BIBB (Hrsg.) (2007): Entwicklung von Ausbildungsbausteinen im Rahmen der BMBF-Pilotinitiative „Ausbildung von Altbewerbern“. 9. Kaufmann/-frau im Einzelhandel. Verkäufer/-in. Bonn.
BRUCHHÄUSER, H.-P. (2009): Lernfeldkonzept in der beruflichen Bildung - Absicht und Realität. In: ZBW 105, H. 3, 428-436.
EUROPÄISCHE UNION (2008): Empfehlungen des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen. Amtsblatt der Europäischen Union C 111/1 vom 6.5.2008.
EULER, D. (2010): Didaktische Herausforderungen zwischen Programmatik und Implementierung. In: ZBW 106, H. 3, 321-331.
GRAMLINGER, F./ TRAMM, T. (2003): Lernfeldansatz zwischen Feiertagsdidaktik und Alltagstauglichkeit. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online. Ausgabe 4. Online: www.bwpat.de/ausgabe4/ (10-06-2011).
KLIEME, E./ HARTIG, J. (2007): Kompetenzkonzepte in den Sozialwissenschaften und im erziehungswissenschaftlichen Diskurs. In: PRENZEL, M,/ GOGOLIN, H/ KRÜBER, H.-H. (Hrsg.): Kompetenzdiagnostik. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 8, Wiesbaden, 11-29.
KMK (2007) (Hrsg.): Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes. Bonn (Frühere Fassungen: 1996, 1999, 2000, 2004).
KMK/ BMBF (Hrsg.) 2011): Entwurf eines Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen, verabschiedet vom Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen am 22.März 2011. Berlin.
LIPSMEIER, A./ PÄTZOLD, G. (Hrsg.) (2000): Lernfeldorientierung in Theorie und Praxis. ZBW Beiheft 15.
STRAKA, G. (2002): Handlungsorientierung und Lernfelder - viel Lärm um nichts? In: ZBW 98, 276-295.
WEINERT, F.E. (2001): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim.
SCHOPF, M. (2011): Motive, Erwartungen und Bilanz aus „Vätersicht“. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 19, hrsg. v. KREMER, H.-H./ TRAMM, T., 1-13. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft19/schopf_ft19-ht2011.pdf (19-11-2011).