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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT19 - Wirtschaft und Verwaltung
Herausgeber: H.-Hugo Kremer & Tade Tramm

Titel:
Zwischenbilanz des Lernfeldkonzepts – erfolgreiche Neuorientierung oder Irrweg


Bilanz und Perspektiven aus der Sicht der Kultusverwaltung

Beitrag von Richard STIGULINSZKY (Ministerium für Schule und Weiterbildung, Düsseldorf)

Abstract

Bei der Aufgabe aus Sicht der Kultusverwaltung über die Bilanz und Perspektiven des Lernfeldkonzeptes zu referieren, ist meine erste Assoziation die der Anstrengungen und Herausforderungen beim Bergsteigen. Dies aufgreifend sind die nachfolgenden Ausführungen in die Kapitel „Schwieriger Einstieg“, „Mühsal des Anstiegs“, „Ruhe im Basislager“, „Aufbruch zum Gipfel“ und „Ankunft“ unterteilt.

1 Zum schwierigen Einstieg

Das Lernfeldkonzept wurde von den Kultusverwaltungen der dualen Ausbildung unter Koordinierung des Sekretariats der Kultusministerkonferenz ohne vorhandene wissenschaftliche Grundlage entwickelt. Bereits damals lagen die Möglichkeiten, einheitlicher Ordnungsmittel für den Berufsschulunterricht und die betriebliche Ausbildung zu gestalten auf der Hand. Trotz aller Bemühungen konnte hinsichtlich der gemeinsamen Gestaltung von Rahmenlehrplänen und Ausbildungsordnungen mit dem Bund jedoch keine Einigung erzielt werden.

Was zum Schluss gelang, war ein Konzept, das in KMK-Rahmenlehrplänen die Beschreibung von Lernfeldern enthielt, deren verbindliche Umsetzung in allen Ländern festlegte und durch eine Entsprechungsliste mit den Ausbildungsrahmenlehrplänen geerdet war. Die Freiheitsgrade der Länder bei der Umsetzung lagen schon damals in der Möglichkeit, die Zielformulierungen und inhaltlichen Konkretisierungen der Lernfelder in eigenen Lehrplänen zu veröffentlichen, durch ergänzende Informationen oder Handreichungen für die Bildungsgangarbeit in den Schulen zu konkretisieren und für Zeugnisse als notwendig erachtete Bündelungen von Lernfeldern zu Fächern vorzunehmen.

2 Zur Mühsal des Anstiegs

Bei der schulischen Umsetzung des Lernfeldkonzeptes gab es Herausforderungen für die Schulen und Herausforderungen für die Schulaufsicht. In der Schule war zunächst einmal die einzelne Lehrkraft gefordert. Vielfach mussten lange bewährte Unterrichtsreihen und
-vorhaben auf den Prüfstand gestellt werden, ob sie vor dem Hintergrund der Umsetzung von Lernsituationen mit praxisrelevanter Ausgangsproblemstellung zur Durchdringung aller Phasen handlungsorientierten Unterrichts noch genutzt werden konnten. Doch damit nicht genug, die einzelne Lehrkraft musste die oftmals geübte Praxis des Einzelkämpfertums perspektivisch für eine gemeinsame Entwicklung von Unterrichtsszenarien mit anderen Lehrkräften im Team aufgeben. Es ging nun weniger um die Sicherstellung von Input für die Schülerinnen und Schüler als um die Organisation didaktischer Prozesse. Die Abfolge von Lernsituationen sollte auf einmal koordiniert zwischen allen im Bildungsgang unterrichtenden Lehrkräften geplant, umgesetzt und evaluiert werden. Einen solchen Prozess einem meist wohl organisiert und strukturiert funktionierenden Gebilde wie einer Berufsbildenden Schule zu oktroyieren, verlangt Veränderungsprozesse und  verursacht Widerstände. Vor diesem Hintergrund waren gerade die Leitungen von Berufsbildenden Schulen mit den von Ihnen bestallten Führungskräften in erheblichem Umfang in diesem Feld in die Pflicht genommen.

Doch auch die Schulaufsicht war in vielen Bereichen zu neuen oder verstärkten Aktivitäten aufgefordert. Zur Curriculumentwicklung musste grundsätzlich entschieden werden, ob sie entfallen konnte. Die KMK-Rahmenlehrpläne konnten unbearbeitet in Kraft gesetzt werden oder es konnten unter Beibehaltung der Inhalte und Zielformulierungen Konkretisierungen oder Ergänzungen über Landeslehrpläne für die Bildungsgangarbeit vor Ort geleistet werden. Die Schulaufsichtsbeamten in den einzelnen Ländern waren mit Blick auf die organisatorischen und didaktischen Herausforderungen des Lernfeldkonzeptes bei dem auch zahlenmäßig größten und bedeutendsten Flaggschiff der Beruflichen Bildung aufgefordert, systemisch die einzelnen Berufsbildenden Schulen auf dem Weg zu einer konsequenten Umsetzung des neuen Konzeptes zu beraten und zu unterstützen.

Diese Unterstützung kam übrigens den Schulen von betrieblicher Seite nicht immer zu, da hier oftmals Unverständnis über das neue Erklimmen einer Metaebene durch die ohnehin so theorielastige Berufsschule vorzufinden war. Nur durch intensive didaktische Beratung und Unterstützung und den Erfolg des Unterrichts konnten nach und nach bei den Lehrkräften und Ausbilderinnen und Ausbildern die tatsächlichen Vorteile des Konzeptes bewusst gemacht werden, die in der Praxisrelevanz von Problemstellungen und der didaktische Durchdringung von Arbeits- und Geschäftsprozessen der realen Betriebswelt liegen.

Um dem Lernfeldkonzept zum Durchbruch qua Umsetzung zu verhelfen, bedurfte es auch systematischer und umfänglicher Fortbildung der Lehrkräfte, die die schwierige Aufgabe, handlungssystematisch zu unterrichten ohne im Verlauf der Ausbildung die fachsystematischen Notwendigkeiten zu vernachlässigen nicht ohne Unterstützung leisten konnten oder wollten. Auch die Lehrerausbildung musste sich den Erfordernissen der entsprechenden konzeptuellen Umsetzung stellen und den Lehrkräftenachwuchs möglichst zielgerichtet auf die neuen Szenarien in einem Teil der Berufsbildenden Schule vorbereiten.

Es besteht kein Zweifel, dass sich sowohl die einzelnen Berufsbildenden Schulen als auch die einzelnen Schulaufsichtsbehörden der Länder durchaus unterschiedlich koordiniert und im Schulterschluss in verschiedensten Konstellationen den großen Herausforderungen gestellt haben. Es besteht genauso wenig Zweifel, dass dabei einzelne Berufsbildende Schulen und einzelne Schulaufsichten in den Ländern besonders erfolgreich oder weniger erfolgreich agiert haben. Eine Einzelbilanzierung der Qualität der Umsetzung erscheint jedoch sowohl anmaßend als auch müßig, da die Umsetzung des Lernfeldkonzeptes sicher seinen Beitrag dazu geleistet hat, dass das duale System weiterhin und nachhaltig als große Stärke des Beruflichen Bildungssystems in Deutschland hoch angesehen ist und in vielen Ländern als kopierwürdig betrachtet wird.

3 Zur Ruhe im Basislager

Betrachtet man über die gesamte Republik verteilt die Performance des Lernfeldkonzeptes, ist in allen Ländern in unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlicher Ausprägung ein Unterstützungsinstrumentarium etabliert. Dabei sind natürlich je nach vorhandenen Ressourcen bzw. Erwartungshaltungen von Lehrerverbänden, Schulleitungen oder Politik erhebliche Spannbreiten festzustellen. Nur beispielhaft sei erwähnt, dass das Land Baden-Württemberg stets als Vorbild präsentiert wird, wenn es darum geht, Bildungsgangarbeit vor Ort z. B. durch Bereitstellung elaborierter Lernsituationen für Ausbildungsberufe zu unterstützen. Eher bescheidenere Ansätze konnte bzw. musste das Land Nordrhein-Westfalen wählen. Hier wurden im Wesentlichen dezidierte, exemplarische Hinweise zur möglichen Verknüpfung berufsübergreifender Fächer mit den Zielformulierungen in Lernfeldern zu gemeinsamen Lernsituationen sowie eine Handreichung zur didaktischen Jahresplanung bereitgestellt. Letztere ist vor kurzem vollständig überarbeitet worden und hat nicht ohne Grund im Titel den Begriff pragmatisch. Es wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass durchaus erhebliche (Qualitäts-)Unterschiede bei der Gestaltung lernfeldorientierten Unterrichts in den einzelnen Schulen und auch in den einzelnen Bildungsgängen der Schulen anzutreffen sind.  Oftmals resultierten diese nämlich auch aus den teils sehr hohen Erwartungen der Schulaufsicht und der ersten Handreichung hinsichtlich Umfang und Dezidiertheit der didaktischen Planungen. Verknüpft mit einer – wenn auch nicht ganz einfach zu bedienenden – Dokumentationssoftware, hat diese neue Handreichung die hohen Erwartungen der Lehrkräfte und Lehrerverbände hinsichtlich einer effektiven Unterstützung und Entlastung der Lehrkräfte vor Ort in erheblichem Umfang befriedigen können.

Zu den positiven Auswirkungen dieser eingetretenen Ruhe bei der Diskussion und Umsetzung des lernfeldorientierten Unterrichts gehört die Tatsache, dass wiederum unterschiedlich in den Ländern die didaktische Konzeption sich auch formal auf weitere Bildungsgänge bzw. Schulformen Berufsbildender Schulen auswirkt. So finden sich durchaus lernfeldstrukturierte Bildungs- bzw. Lehrpläne in Angeboten z. B. der Berufsfachschulen, so hat die Umsetzung von Unterrichtsvorgaben durch Lernsituationen und ihre systematische Abfolge in dokumentierten didaktischen Jahresplanungen Eingang in einen Großteil von Bildungsgangarbeit in Berufsbildenden Schulen gefunden.

Ein weiteres Zeichen für Verstetigung ist sicherlich die Verzahnung der Lernfelder mit den Ausbildungsbausteinen, die für unterschiedliche Klientel aber mit einer im Wesentlichen gleichen Zielperspektive in den letzten Jahren entwickelt worden sind. Der erste Ansatz, Ausbildungsbausteine zu generieren und sie dabei zugleich mit den Lernfeldern zu verknüpfen, kam aus Nordrhein-Westfalen. Hier hatte Politik mit Blick auf besonders förderbedürftige Jugendliche einen 3. Weg der Berufsausbildung gefordert. Dieser wurde damals in der Strukturierung von Ausbildung in einzelne Bausteine gesehen. Der 3. Weg wurde verbunden mit einem Gesamtkonzept, das ein intensives Bildungscoaching, konsequente Förderung in Kleingruppen in Berufsschule, bei Bildungsträgern und in betrieblichen Praxisphasen und bis auf 5 Jahre verlängerte Lernzeit sowie die Zertifizierung von Teilqualifikationen ermöglicht. Es entstand ein Konzept, das bis heute in seinen Grundzügen realisiert wird. Nach 3 Jahren wissenschaftlich begleiteter Erprobung konnte das Konzept als Regelförderinstrument der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen etabliert werden. Erstmals gab es damit ein gemeinsames Ordnungsmittel für ein Angebot, indem die Lernfelder maximal aufgeteilt auf zwei Ausbildungsbausteine direkt mit den entsprechenden Inhalten der Ausbildungsrahmenpläne verknüpft waren.

Diese Vorgehensweise stand auch zumindest Pate bei der Entwicklung von Ausbildungsbausteinen im JOBSTARTER-Projekt des Bundes. Eine Entwicklung, die ebenfalls unter Beteiligung von Lehrkräften aus den entsprechenden KMK-Rahmenlehrplanausschüssen und mit direkter Verknüpfung der Vorgaben für die betriebliche Ausbildung mit denen für die berufsschulische Ausbildung auf Altbewerber ausgerichtet war. Hier wurden als zusätzliche Strukturierung erstmals zusammengehörige Arbeits- und Geschäftsprozesse – also Handlungsfelder – systematisch genutzt.  

Ein letztes Indiz für die Ruhe im Basislager sind die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz im Zusammenhang mit der dualen Ausbildung aus den Jahren 2007 bis 2010 die alle die selbstbewusste Haltung der Länderseite gegenüber dem Bund bei den Umsetzungen und Perspektiven der dualen Ausbildung zum Ausdruck bringen. Das Selbstbewusstsein war und ist auch motiviert und gestärkt durch das tragfähiges Konzept, das die schulische Seite mit dem Lernfeldkonzept vorzuweisen hat. Die Beschlüsse im Einzelnen sind: „Erklärung der Kultusministerkonferenz gegen die Überspezialisierung in der dualen Berufsausbildung“, „Zugang zu den Hochschulen für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung“, „Erklärung der Kultusministerkonferenz zur zukünftigen Stellung der Berufsschule in der dualen Berufsausbildung“ und „Erklärung der Kultusministerkonferenz für eine zukunftsorientierte Gestaltung der dualen Berufsausbildung“.

4 Zum Aufbruch zum Gipfel

Der Begriff Gipfel hat auch die Konnotation eines engen und durchaus nicht stabilen Standpunktes. Vor diesem Hintergrund ist das Hochplateau wohl sicherlich der geeignetere Begriff, da das Lernfeldkonzept sich nach den vorstehend geschilderten Bewährungen natürlich nun nicht auf ungesichertes Terrain begeben sollte. Dass dies nicht notwendig ist, zeigen deutliche Bewegungen der Bundesseite, die nach ersten gemeinsamen Überlegungen zwischen BMBF, BIBB und Kultusseite Entwicklungen hin zu kompetenzorientierten Ausbildungsordnungen betrieben hat. Entwicklungen, die nun in einer pilothaften Gestaltung kompetenzorientierter Ausbildungsordnungen gemündet sind. Die dort durch die Sachverständigen des Bundes im Konzert mit Vertretern der KMK-Rahmenlehrplanerstellung erstellten Handlungsfelder mit Kompetenzbeschreibungen zeigen sich als deutlich dem Lernfeldkonzept verbundene Beschreibungen. Vor dem Hintergrund dieser neuen Zielperspektive, vielleicht doch irgendwann einmal entweder sehr eng aufeinander abgestimmte oder gar gemeinsame Ordnungsmittel für die dualen Ausbildungsberufe zu gestalten, ist die Kultusministerkonferenz, hier der Unterausschuss Berufliche Bildung gemeinsam mit dem Sekretariat bereit und auf dem Weg, auch die Rahmenvereinbarungen zur Berufsschule zu modernisieren und die Beschreibungsmuster für die KMK-Rahmenlehrpläne zu optimieren.

Bei aller Freude über die gewonnene Einsicht der betrieblichen Seite, die sich jedoch erst durch ein abschließendes Votum der Bundesressorts bestätigen müsste, besteht dazu auch die Notwendigkeit. Denn mit der Annäherung der Formulierungen in Ausbildungsordnungen an die bisherigen Beschreibungen in den Lernfeldern der KMK-Rahmenlehrpläne wird es erforderlich, die Rolle der Berufsschule bei der Kompetenzentwicklung der jungen Menschen eindeutig sowohl in Ergänzung als auch in Abgrenzung zum betrieblichen Partner zu formulieren. Derzeit werden daher u. a. Überlegungen angestellt, die Lernfelder über den gesamten Ausbildungsverlauf hinweg gezielt zu strukturieren, Zusammenhänge zwischen den Lernfeldern auszuweisen, die Kompetenzformulierungen detaillierter und wissensorientierter auszulegen und sich zugleich an der absehbaren Wirkung und Präsenz des Deutschen Qualifikationsrahmens zu orientieren. Der Problematik, dass in einzelnen Lehrplänen entweder eine unüberschaubare Vielzahl oder eine nahezu verschwindende Anzahl von inhaltlichen Konkretisierungen zu finden ist, soll durch transparente und einheitliche Vorgaben begegnet werden.

5 Zur Ankunft

Wenn die vorstehenden Szenarien alle ihre Wirkung in vollem Umfang entfalten, könnten bei der Ankunft auf dem Hochplateau tatsächlich gemeinsame Ordnungsmittel für den schulischen und den betrieblichen Teil der dualen Ausbildung gefeiert werden. Dies würde eine erhebliche Stärkung der dualen Ausbildung und dabei insbesondere der Berufsbildenden Schulen bedeuten. Sie liefe jedoch Gefahr, ihre Wirkung zu verfehlen, wenn Fehler der Vergangenheit bei der Einführung neuer Vorgaben wiederholt würden. Auf dem Weg muss also frühzeitig daran gedacht werden, dass die Umsetzung solch neuer Vorgaben an gewachsene Strukturen anknüpfen muss und die Lehrkräfte konsequent durch möglichst koordinierte Maßnahmen in den Ländern bei der Umsetzung in effiziente Bildungsgangarbeit vor Ort mitgenommen und unterstützt werden müssen.


Zitieren dieses Beitrages

STIGULINSKY,. R. (2011): Bilanz und Perspektiven aus der Sicht der Kultusverwaltung. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 19, hrsg. v. KREMER, H.-H./ TRAMM, T., 1-6. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft19/stigulinsky_ft19-ht2011.pdf (19-11-2011).



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