Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS01 - Die erste Schwelle
Herausgeber: Tobias Brändle

Titel:
Übergänge im Bildungssytem - Brüche oder Brücken? Die Rolle der Berufsschule im Prozess des Lebenslangen Lernens


Berufsvorbereitende Bildungsgänge - Weiterqualifizierung oder Warteschleife?

Beitrag von Sylvia MÜLLER & Tobias BRÄNDLE (Universität Münster)

Abstract

Lange Zeit fanden benachteiligte Jugendliche in der empirischen Bildungsforschung kaum Beachtung. Insbesondere das Übergangssystem, in das eine Vielzahl dieser Jugendlichen einmündet, wurde bislang nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Somit war das Übergangsverhalten von Jugendlichen in berufsvorbereitenden Bildungsgängen bisher weitgehend unklar. Aktuellere Studien, wie das DJI-Übergangspanel oder auch die BIBB-Übergangsstudie haben sich verstärkt mit dieser Thematik auseinandergesetzt und tragen damit zu einer Verkleinerung der bestehenden Forschungslücke bei. Auch in der nachfolgend skizzierten Untersuchung wurde dieses Desiderat fokussiert und Interviews mit Schülern aus verschiedenen berufsvorbereitenden und – grundbildenden Bildungsgängen durchgeführt. Im Speziellen fand dabei eine Auseinandersetzung mit den Schulkarrieren der Jugendlichen statt, im Zuge derer auch die Zukunftsperspektiven der Befragten thematisiert wurden. Mit Hilfe von leitfadengestützten Interviews mit über 30 Schülern konnte gezeigt werden, dass die Zukunft für diese Jugendlichen im Wesentlichen von Unsicherheit geprägt ist. Zudem wurden die Bildungsgänge oftmals nicht gezielt, sondern auf Grund der Verfügbarkeit von Schulplätzen, ausgewählt. Dies führte auch zu einer fehlenden Passung zwischen den Schwerpunkten der Bildungsangebote und den Interessen der Schüler. Darüber hinaus lassen sich bei den Schülern oftmals unkonkrete Berufswünsche und ein gering ausgeprägtes Bewerbungsverhalten beobachten. Letztendlich wird durch mehrere Faktoren ein erneutes Durchlaufen der Bildungsgänge verursacht, auch wenn die Befragten eigentlich andere Ziele verfolgen.

1 Einleitung

In der jüngsten Vergangenheit lässt sich nach einer über Jahre hinweg bedenklichen Situation auf dem Ausbildungsmarkt eine leichte Entspannung feststellen. Damit geht unter anderem ein Rückgang an Neuzugängen in das Übergangssystem einher. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch heute noch ein nicht zu verachtender Anteil an Jugendlichen in berufsvorbereitende und –grundbildende Bildungsgänge des Übergangsystems einmündet. Eben dieser Gruppe Jugendlicher soll sich im Weiteren angenommen werden, um dabei auch der Frage nachzugehen, ob berufsvorbereitende Bildungsgänge als Weiterqualifizierung oder als Warteschleife zu verstehen sind. Hierzu werden Ergebnisse einer qualitativen Studie, welche an verschiedenen Berufskollegs im Münsterland durchgeführt wurde, vorgestellt. Im Rahmen dieser Forschungen wurden die Bildungsbiografien und Zukunftsperspektiven von Schülern in berufsvorbereitenden und -grundbildenden Bildungsgängen untersucht. Anhand der retrospektiv erfassten Bildungsbiografien werden die Übergänge von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Bildung und teilweise auch innerhalb des beruflichen Bildungssystems nachgezeichnet.

Im Zuge dessen werden die Motive für den Bildungsgangbesuch unter Berücksichtigung des sozialen Nahumfelds und dessen Bedeutung auf das Übergangs- und Berufswahlverhalten analysiert. Daneben wird die Bedeutung von Praktika für die berufliche Orientierung thematisiert werden.

Im Folgenden wird, nachdem zunächst aktuelle und relevante Forschungsergebnisse vorgestellt wurden, das Untersuchungsdesign der Erhebungen skizziert. Im Anschluss werden die Bildungsgangerfahrungen der interviewten Jugendlichen betrachtet, um die zuvor erwähnten Aspekte näher zu thematisieren. Zum Abschluss wird sich der Frage zugewandt, ob die berufsvorbereitenden Bildungsgänge aus Sicht der befragten Schüler als Weiterqualifizierung oder als Warteschleife zu verstehen sind.

2 Forschungsstand

Im Allgemeinen zeichnet sich die empirische Bildungsforschung durch eine Vielfalt an Schwerpunktsetzungen aus (vgl. BECKER 2009). Trotz dieser generellen Offenheit wird das Berufsbildungssystem, wohl auch auf Grund dessen höherem Grad an Ausdifferenzierung, weniger intensiv betrachtet und beforscht als das allgemeinbildende Schulsystem. Im Speziellen zum Bereich des Übergangssystems gibt es, im Vergleich zu anderen Bereichen des deutschen Bildungssystems, relativ wenige Forschungsbefunde. Mit dem DJI-Übergangspanel und der BIBB-Übergangsstudie liegen allerdings mittlerweile Daten vor, mit welchen die Übergangsprozesse Jugendlicher beschrieben werden können. So wurde mit Hilfe des Übergangspanels mehrfach gezeigt, dass Probleme bei der Lehrstellensuche oftmals zu einer kurzfristigen Revision der Zukunftspläne der befragten Hauptschüler führten (vgl. GAUPP/ LEX/REIßIG et al. 2008, LEX 2007, REIßIG/ GAUPP/ LEX 2008). Dabei suchten die Jugendlichen aktiv nach Alternativen zu ihrem ursprünglichen Ziel, das in der Aufnahme einer regulären Berufsausbildung lag, und stoßen dadurch auf die Bildungsgänge des Übergangssystems, in das etwa ein Viertel der Befragten einmündet (vgl. GAUPP/ LEX/REIßIG et al. 2008, 20). Auch die Wahrnehmung des Besuchs berufsvorbereitender Bildungsgänge variiert in Abhängigkeit der ursprünglich verfolgten Pläne. So schätzen Jugendliche, die den Bildungsgang gezielt auswählten, den Besuch desselben weniger häufig als Notlösung ein als Schulabgänger, die beabsichtigt hatten eine reguläre Ausbildung aufzunehmen (vgl. GAUPP/ LEX/ REIßIG et al. 2008, 33). Der Besuch der berufsvorbereitenden Bildungsgänge vermag jedoch nicht, so legen es die Auswertungen der BIBB-Übergangsstudie nahe, zuvor bestehende Ungleichheiten aufzulösen (vgl. BEICHT 2009, BEICHT/ FRIEDRICH/ ULRICH 2007, BEICHT/ GRANATO 2010, BEICHT/ ULRICH 2008). Beispielsweise haben Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich schlechtere Übergangschancen, selbst wenn sie in der Schule dieselben Leistungen erbringen, wie ihre Altersgenossen deutscher Herkunft. Weiterhin weisen junge Frauen geringere Einmündungsquoten als junge Männer auf (vgl. BEICHT/ GRANATO 2010, 10 ff.). Darüber hinaus hat der soziale Status der Herkunftsfamilie einen gewichtigen Einfluss auf die Pläne der Jugendlichen, denn „Jugendliche aus besser gebildeten, statushöheren Elternhäusern, […] neigen […] selbst bei gleichen schulischen Voraussetzungen seltener zu einer betrieblichen Ausbildung als Jugendliche aus weniger günstigen sozialen Verhältnissen, und zwar auch dann, wenn sie nicht über eine Studienberechtigung verfügen“ (BEICHT/ GRANATO 2010, 14). Des Weiteren variiert auch die faktische Übergangswahrscheinlichkeit mit der sozialen Herkunft der Jugendlichen. Letztlich scheinen es dabei die Eltern zu sein, die im Falle einer selbst abgeschlossenen Berufsausbildung ihre Erfahrungen an ihre Kinder weitergeben und diese so bei der eigenen Ausbildungsplatzsuche unterstützen können (vgl. BEICHT/ GRANATO 2010, 14). Neben der Rolle des sozialen Umfeldes darf die Bedeutung von Betriebspraktika nicht unterschätzt werden, da diesen eine entscheidende Rolle im Prozess der schulischen Berufsorientierung der Jugendlichen beigemessen wird. Bergzog kommt auf Grundlage der vom BIBB durchgeführten Studie „Beruf fängt in der Schule an“ zu dem Schluss, dass Praktika eine wesentliche Bedeutung bei der Entstehung, aber auch der Korrektur von Berufswünschen haben (vgl. BERGZOG 2008, 5). Weiterhin kann er aufzeigen, dass für die Betriebe neben der Vermittlung von Informationen über die Ausbildungsberufe, auch die Rekrutierung von Auszubildenden von Bedeutung ist. Gleichzeitig versuchen die Schüler durch gute Leistungen während des Praktikums ihre Chancen auf eine Übernahme durch den Betrieb zu erhöhen und auf diese Weise den Einfluss von eventuell schlechten Schulnoten zu vermindern (vgl. BERGZOG 2008, 14).

3 Einbettung der eigenen Untersuchung

In den im Folgenden vorgestellten Untersuchungen fand ebenso eine Auseinandersetzung mit diesen drei Punkten, der Wahrnehmung des besuchten Bildungsgangs durch die Schüler, der Bedeutung des sozialen Nahumfelds sowie absolvierten Praktika statt. Dazu wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts Befragungen von Schülern und deren Lehrkräften durchgeführt. Die Befragungen wurden, unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Grundmann, mit Hilfe von Leitfäden durchgeführt, welche auf die Bewertungen der aktuellen Situation im Berufskolleg sowie die bisherige Bildungsbiografie und die Zukunftsperspektive der Jugendlichen ausgerichtet waren. Zusätzlich wurde der soziale Hintergrund der Befragten anhand der aktuellen beruflichen Tätigkeit und des Schulabschlusses der Eltern sowie der Peers erfasst. Mit einem, an den jeweiligen Bildungsgang geringfügig angepassten Leitfaden wurden auf freiwilliger Basis insgesamt 36 Schüler an den drei Berufskollegs befragt. Die Befragten verteilten sich auf technische und hauswirtschaftliche Bildungsgänge des Übergangssystems sowie auf Ausbildungsgänge des Dualen Systems. Zudem konnten sechs Lehrkräfte, welche in den jeweiligen Klassen unterrichteten, interviewt werden. Die Zusammensetzung der befragten Jugendlichen im Übergangssystem gestaltete sich dabei wie folgt: 

Tabelle 1:           Charakteristika der Bildungsgänge

 

Berufsorientierungsjahr

Berufsqualifizierungsklasse/

Dualisierung der Berufsvorbereitung

Berufsgrundschuljahr

Stichprobe

(Anzahl der SchülerInnen, Geschlecht)

·   Ernährung/Hauswirtschaft: (4 w)

·   Technik: (4 m)

·   Ernährung/Hauswirtschaft:

(4 w, 5 m)

·   Technik: (3 m)

·   Metalltechnik: (7 m)

Voraussetzung

·   Vollzeitschulpflicht erfüllt

·   kein Hauptschul- oder gleichwertiger Abschluss

·   Vollzeitschulpflicht erfüllt

·   kein Hauptschul- oder gleichwertiger Abschluss

·   Vollzeitschulpflicht erfüllt

·   mindestens Hauptschulabschluss nach Klasse 9

Aufbau des Bildungsgangs

·   vollzeitschulisch

·   schulinterne Praxisanteile

·   externes Pflichtpraktikum (min. 3 Wochen)

·   zwei Tage pro Woche Unterricht am Berufskolleg

·   drei Tage pro Woche externes Praktikum

·   vollzeitschulisch

·   schulinterne Praxisanteile

erreichbarer Abschluss

·   Hauptschulabschluss

·   Hauptschulabschluss

·   Hauptschulabschluss nach Klasse 10, ggf. Fachoberschulreife

 Wie der Tabelle zu entnehmen ist, unterscheiden sich die Bildungsgänge hinsichtlich ihrer Zugangsvoraussetzung, dem erreichbaren Schulabschluss sowie des Curriculums, inklusive der Praktikumsanteile. So sind im Berufsorientierungsjahr und den Berufsqualifizierungsklassen/ Dualisierungsklassen Schüler, die während ihrer allgemeinbildenden Schulzeit keinen Hauptschulabschluss erreicht haben. Im Berufsgrundschuljahr ist hingegen mindestens ein Hauptschulabschluss nach Klasse 9 die Eingangsvoraussetzung. Darüber hinaus haben die verschiedenen Bildungsgänge unterschiedliche Praxisanteile, die von 60% in der dualisierten Form, was drei Praktikumstagen pro Woche entspricht, bis zu einem zweiwöchigen Betriebspraktikum in der Berufsorientierung und im Berufsgrundschuljahr reichen. Zudem wurden angehende Friseurinnen sowie Chemielaboranten des dualen Systems befragt. Im Anschluss an die Durchführung der Interviews wurden diese transkribiert und mit dem von Mayring entwickelten Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. MAYRING 2008) ausgewertet. Dieses Verfahren wurde gewählt, da insbesondere in den berufsvorbereitenden und -grundbildenden Klassen die Antworten der Befragten oft sehr kurz waren und nur selten Erzählflüsse generiert werden konnten. Im Zentrum des Interesses standen demnach die Reduktion von Komplexität und die Entwicklung von zentralen Aussagen aus den Interviews.

 

4 Bildungserfahrungen der Jugendlichen in der Berufsvorbereitung

Nachfolgend werden die Bildungserfahrungen der Jugendlichen in den genannten Bildungsgängen entlang zweier Punkte beschreiben. Zum einen werden die Wege der Schüler in das Übergangssystem, in diesem Fall ausschließlich berufsvorbereitende und ‑grundbildende Bildungsgänge, betrachtet. Hierbei wird hervorgehoben, dass die Einmündun

gen in die jeweiligen Klassen je nach Bildungsgang Ähnlichkeiten aufweisen. Zum anderen werden die Wahrnehmung der aktuellen Situation und der Zukunftsperspektiven der Schüler fokussiert. Die Aussagen der Befragten aus dem Dualen System und der Lehrer, werden ergänzend behandelt (vgl. hierzu ausführlicher BRÄNDLE/ MÜLLER 2010). Bezüglich der Wege der Jugendlichen in das Übergangssystem lässt sich konstatieren, dass hier generell drei Möglichkeiten unterschieden werden können. So erscheinen die Wege entweder als gezielt eingeschlagen, zufällig beschritten oder der Erfüllung der Berufsschulpflicht geschuldet. Bei den Befragten gestaltet sich das Bild hinsichtlich dieser drei Optionen unterschiedlich. Die Schüler in hauswirtschaftlichen Berufsqualifizierungs- und den Berufsorientierungsklassen sind überwiegend zufällig in den Bildungsgang gelangt. Von den Schülern im Berufsgrundschuljahr wurde der Bildungsgang hingegen vornehmlich bewusst gewählt, während sich in den anderen dualisierten Bildungsgängen das Bild diffus gestaltet. Dies würde bedeuten, dass mit einem formal höher anzusiedelnden Bildungsgang verstärkt eine Beschäftigung mit der eigenen Bildungslaufbahn stattfindet und vermehrt rationale Entscheidungskriterien zum Tragen kommen. Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass die Auswahl der Bildungsgänge durch vorhergehende Erfahrungen, wie Praktika und zuvor besuchte Bildungsgänge, beeinflusst wird und zudem das soziale Nahumfeld bei der Entscheidung für ein bestimmtes Angebot von Bedeutung ist. Darüber hinaus kann vermutet werden, dass die Schwerpunkte der jeweiligen Bildungsgänge Einfluss auf die Rekonstruktionen der eigenen Bildungsbiografie haben. So kann konstatiert werden, dass die jungen Männer in den untersuchten hauswirtschaftlichen Klassen ihren Weg eher als zufällig darstellen, während in den technischen, auch heute noch typisch männlichen, Bildungsgängen die Wahl als gezielt präsentiert wird.

Auch hinsichtlich des Zeitraums zwischen dem Ausscheiden aus dem allgemeinbildenden Schulsystem und dem zum Interviewzeitpunkt besuchten Bildungsgang zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Befragten. So hat mehr als ein Drittel der Schüler schon zuvor einen Bildungsgang im Übergangssystem besucht. In den Berufsorientierungsklassen ist dabei eine Häufung dieser Maßnahmekarrieren zu beobachten. Von den acht Interviewten gaben hier sechs an, bereits zuvor einen berufsvorbereitenden Bildungsgang, oder während der Sekundarstufe I eine BUS-Klasse, besucht, jedoch die formalen Ziele nicht erreicht zu haben. Im Zuge dessen versuchen die Schüler durch den erneuten Besuch eines Bildungsgangs im Übergangssystem nun einen Schulabschluss zu erreichen. Dies zeigt sich auch in dem Wunsch einiger Schüler, die in jedem Fall nach dem Abschluss des jetzigen Bildungsgangs einen erneuten Schulbesuch anstreben, um im Idealfall einen höheren Schulabschluss zu erwerben. Eine größere Zahl Schüler sieht eine weitere Teilnahme an einem berufsvorbereitenden, beziehungsweise -grundbildenden Bildungsgang als allenfalls zweitbeste Lösung an, falls ihre Suche nach einem Ausbildungsplatz nicht von Erfolg gekrönt sein sollte. Exemplarisch kann dies an der Aussage eines achtzehnjährigen Schülers nachvollzogen werden: „Da war ich Hauptschule, da hab ich verhauen, blau gemacht und so. Dann war ich auf einer Berufsschule, hab ich auch verhauen, weil ich auch blau gemacht hab und so, weil ich mit den Lehrern nicht klar kam. Und jetzt meine letzte Chance, seh ich auch ein. Hab ich auch alles geändert.“ (Schüler, Dualisierung der Berufsvorbereitung Technik). Der Besuch der Bildungsgänge erscheint somit als eine Zwischenlösung auf dem Weg zum eigentlichen Ziel, der Einmündung in eine reguläre Ausbildung.

Hinsichtlich der angestrebten Berufsfelder zeigen sich dabei bei den Jugendlichen im Übergangssystem ebenfalls Regelmäßigkeiten. In diesem Zusammenhang kann generell festgehalten werden, dass die Berufsorientierung unter anderem entlang der Berufe der Eltern vollzogen wird. Dabei treten jedoch wiederum Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervor. Beispielsweise orientieren sich die jungen Frauen weitaus seltener an den Berufen der Mütter, während die jungen Männer oftmals im selben Berufsfeld, wie ihre Väter, nach Ausbildungsstellen suchen. Diese Differenzen lassen sich auf die traditionalen Rollenverständnisse innerhalb der Herkunftsfamilie zurückführen, so ist eine Vielzahl der Mütter als Hausfrau tätig. Darüber hinaus spielen die Geschwister, wie auch die Peers eine zentrale Rolle bei der Berufsorientierung der befragten Jugendlichen. Insbesondere bei der Wahl der Praktika zeigt sich deren Bedeutung. So absolvieren viele der Befragten ihre Praktika in den Betrieben, die sie durch Freunde oder Geschwister kennen. Eine siebzehnjährige Schülerin beschreibt ihre Praktikumssuche entsprechend: „Das Praktikum, da bin ich dadurch drangekommen, weil der Kindergarten sowieso fast bei mir vor der Haustür liegt, ich da schon mein erstes Schulpraktikum gemacht hab und meine Schwester da auch im Kindergarten war.” (Schülerin, Dualisierung Ernährung & Hauswirtschaft). Allerdings ist diese Suchstrategie nicht auf die Jugendlichen im Übergangssystem beschränkt, sondern auch bei den interviewten Auszubildenden zu beobachten, wie das Beispiel einer angehenden Friseurin im dritten Lehrjahr zeigt: „Ich wollte nie Friseurin werden. Nie eigentlich. Ich hab erst ne Ausbildung als Arzthelferin gemacht. Und hatte aber nen scheiß Betrieb erwischt. Und deswegen durch meine beste Freundin, beste Freundin war in dem Betrieb und sie so, mach doch mal ‘n Praktikum. Vielleicht gefällts dir und ich wollte eigentlich gar nich. Aber ich habs versucht und es hat mir gefallen und also durch das Praktikum bin ich darauf gekommen. Weil, ich hatte zu der Zeit halt keinen Job und ich hab das erste genommen, was mir entgegen gesprungen ist. Und durch das Praktikum hab ich gemerkt, dass es auf jeden Fall mein Fall is.“ (angehende Friseurin, drittes Ausbildungsjahr).

Zudem lässt sich feststellen, dass die Praktikumssuche der Jugendlichen nicht auf das direkte soziale Umfeld beschränkt bleibt, sondern auch lose Kontakte in räumlicher Nähe ihres Wohnortes einbezogen werden, wie an folgendem Statement eines achtzehnjährigen Schülers deutlich wird: „Erst wollte ich Bochum machen bei meiner Cousine im Restaurant, da habe ich mir anders überlegt, kein Lust da zu schlafen und so, dann da zu machen. Bei meiner Schwester wollte ich auch machen. Hab ich gesagt, ich such mal lieber in dieser Umgebung und hier kenn ich ja alle Läden in- und auswendig. Also die Leute und die Chefs auch so. Da habe ich mir eins ausgesucht und bin dahin gegangen. Bin auch mit jedem klargekommen und so, hab auch alles gemacht. War gut eigentlich.“ (Schüler, Berufsorientierungsjahr Technik).

Die Beziehungen im sozialen Nahraum stellen somit das primäre Hilfsmittel bei der Suche nach einem Praktikum und der Berufsorientierung im Allgemeinen dar. Die Rolle der Schule bei der Praktikumsfindung ist nach diesen Erhebungen, demgegenüber auf die Vermittlung von Praktika in Einzelfällen beschränkt. Das Praktikum, insbesondere das Jahrespraktikum, stellt insgesamt eine wichtige Instanz bei der Bewältigung der ersten Schwelle dar. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Übergangsquote in den dualisierten Bildungsgängen gegenüber der vollzeitschulischen Form, nach Aussage der befragten Lehrer, höher ist. Diese Aussagen bleiben jedoch vage, da es sich bei der Untersuchung lediglich um eine Querschnittsbefragung, zur Mitte des Schuljahres, handelt. Dabei gilt es aber auch zu beachten, dass oftmals, gerade bei kürzeren Praktika in den vollzeitschulischen Klassen, eine hohe Fluktuation bei den Praktikumsstellen zu beobachten ist und die Schüler häufig ein zweiwöchiges Praktikum schon nach wenigen Tagen abbrachen. So sagt eine achtzehnjährige Schülerin bezüglich ihrer Praktika: „Ersten Tag war ich Friseur, dann bin ich rausgegangen. Dann bin ich Grillstation gegangen nach Greven. Komm’ ja aus Greven.” (Schülerin, Berufsorientierungsjahr Ernährung & Hauswirtschaft). Das Praktikum im Friseurbetrieb brach sie, nach eigener Aussage, aufgrund einer zu eintönigen und lediglich beobachtenden Rolle ab. Wird hier der Vergleich zu dem Tätigkeitsprofil der angehenden Friseurinnen gezogen, so wird deutlich, dass diese Rollenverteilung innerhalb der ersten Lehrjahre nicht ungewöhnlich ist. Entsprechend konstatiert eine künftige Friseurin: „Das ist also auch in den ersten beiden Lehrjahren, war es eigentlich immer eintönig und dasselbe, weil man viel zugearbeitet hat. Und im dritten Lehrjahr wird das wirklich so, dass man selbstständiger arbeiten kann.“ (angehende Friseurin, drittes Ausbildungsjahr).

Demnach zeigt sich, dass die Praktikumswechsel häufig durch bestimmte Vorstellungen von Berufen und den entsprechenden Ausbildungen verursacht werden. Hier ist feststellbar, dass diese Bilder nicht mit dem tatsächlichen Alltag in dem jeweiligen Bereich übereinstimmen. Eine Phase des Kompetenzerwerbs, beziehungsweise eines Zeitraums, der primär dem Erlernen benötigter Fähigkeiten dient, scheint somit für die befragten Schüler des Übergangssystems oftmals schwer vorstellbar zu sein. Eher haben sie ein Bild der daran anschließenden und sichtbaren Berufstätigkeit, das auf ihren Alltagserfahrungen beruht.

Unabhängig von den häufigen Wechseln und der tatsächlichen Übergangswahrscheinlichkeit in eine berufliche Ausbildung lässt sich festhalten, dass auch bei der Suche nach einem regulären Ausbildungsplatz die oben genannten Strategien zum Tragen kommen. Demnach kommt dem sozialen Nahumfeld eine zentrale Rolle bei der beruflichen Orientierung zu. Im Falle eines fehlenden Netzwerks scheint es somit von großer Bedeutung zu sein, diesen Mangel institutionell aufzufangen.

5 Weiterqualifizierung oder Warteschleife?

Nachdem die unterschiedlichen Bildungserfahrungen der befragten Jugendlichen skizziert wurden, soll nun auf die eingangs aufgeworfene Frage, ob es sich bei den untersuchten Bildungsgängen um eine Weiterqualifizierung oder eine Warteschleife handelt, eingegangen werden.

Betrachtet man diese Frage im Hinblick auf das eigentliche Ziel der Jugendlichen, das in der Aufnahme einer regulären Berufsausbildung besteht, so stellt das Durchlaufen der untersuchten Bildungsgänge, unabhängig von dem Weg der Jugendlichen in selbigen, eine Warteschleife dar. Verstärkt wird dieser formale Warteschleifencharakter im Falle eines faktischen erneuten Durchlaufens der Bildungsgänge, wie bei einem Drittel der Befragten. Zudem deutet sich ein weiterer Verbleib im Übergangssystem für einige der Schüler an, da zum Zeitpunkt der Befragung Unsicherheit bezüglich des Erreichens des Abschlusses bestand und zudem kaum Bewerbungen geschrieben wurden, was insbesondere für die Schüler in den Berufsorientierungsklassen gilt.

Dabei bleibt jedoch anzumerken, dass trotz dieser formalen Warteschleife auch eine formale (Weiter-)Qualifizierung durch die Erlangung bzw. Verbesserung eines Schulabschlusses durch eine erfolgreichen Beendigung des Bildungsgangs möglich ist. Diesbezüglich lässt sich für die hier untersuchten Befragten, aufgrund des Querschnittsdesigns, jedoch keine Aussage treffen.

Der Weiterqualifizierungsaspekt lässt sich allerdings nicht nur mit dem Erreichen des formalen Schulabschlusses begründen, sondern auch durch inhaltliche Aspekte. So liegt eines der Ziele der Bildungsgänge in der Vermittlung von beruflichen Grundkenntnissen. Die diffusen Wege der befragten Jugendlichen in die Bildungsgänge legen dabei nahe, dass nur in seltenen Fällen eine inhaltliche Weiterqualifizierung, im strengen Sinne, also mit konkretem Bezug zum angestrebten Berufsfeld, vordergründig ist. Sieht man von dieser starken Auffassung des Weiterqualifizierungsbegriffes ab und legt einen Begriff von „Qualifizierung“ zu Grunde, der kein vorheriges Interesse am Schwerpunkt des Bildungsgangs voraussetzt und damit Umorientierungen, in Richtung des Schwerpunkts, während des Schuljahres miteinschließt, so erhöht sich die Zahl der Jugendlichen, für die dieser Aspekt gültig ist. Damit sind die Jugendlichen gemeint, die anfangs zwar kein Interesse an dem jeweiligen Bildungsgang hatten, im Zuge desselben jedoch ihre späteren Berufswünsche in Richtung des Schwerpunkts geändert haben. Für diese beiden Gruppen stellt der Besuch des Bildungsgangs damit eine genuine berufliche Qualifizierung, im Hinblick auf die später angestrebte Berufstätigkeit, dar.

Für die Jugendlichen, die sich zwar bewusst für den Bildungsgang entschieden haben, sich während des Schuljahres aber auf ein anderes Berufsfeld fokussieren, ist der Besuch des Übergangssystems damit lediglich eine Qualifizierung in einem Bereich, in welchem sie sich keine spätere Berufstätigkeit vorstellen können. Ebenso steht der unfreiwillige Besuch eines Bildungsgangs bei einem Interesse an einem anderen Berufsfeld, mit dieser Begriffsauffassung von „Qualifizierung“ im Widerspruch. Demnach kann konstatiert werden, dass das Übergangssystem für viele der Befragten in erster Linie eine Warteschleife darstellt und Weiterqualifizierungsaspekte demgegenüber nachrangig sind.

Im Licht der drei grundsätzlichen Funktionen des Übergangssystems, der Verbesserung des formalen Schulabschlusses, der Vermittlung beruflicher Grundkenntnisse und der Überbrückung der Zeit bis zur Aufnahme einer regulären Ausbildung, betrachtet, bedeutet dies, dass die interviewten Jugendlichen die letztgenannte Eigenschaft besonders betonen. Die Möglichkeit zur Verbesserung des Schulabschlusses wird demgegenüber zwar erkannt und insbesondere von den Schülern, die zuvor über keinen Hauptschulabschluss verfügten, als wichtig eingeschätzt. Es bleibt jedoch fraglich, inwieweit die Schüler dieses Ziel tatsächlich erreichen konnten. So münden, nach Aussage eines Lehrers zwischen 30 und 50 Prozent der Schüler einer dualisierten Klasse im Anschluss in eine Ausbildung ein. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass für mindestens die Hälfte der Schüler der Besuch des jeweiligen Bildungsgangs tatsächlich keine Weiterqualifizierung darstellt und in der Folge die Aufbewahrungsfunktion des Übergangssystems betont wird.

Folglich gilt es zukünftig die Potenziale, welche insbesondere in den dualisierten Klassen der Berufsvorbereitung durch den ausgeprägten Praxisanteil stecken, besser auszuschöpfen. Wie bereits erwähnt kommt den Betriebspraktika hier eine bedeutende Rolle zu. Im Zuge dessen ist es unerlässlich zuvor die Interessen und Fähigkeiten der Jugendlichen mit möglichen Ausbildungsberufen abzugleichen und den Schülern ein realitätsnahes Bild des jeweiligen Berufs, aber auch der tatsächlichen Betriebsabläufe, während des Praktikums zu vermitteln. Dies gilt nicht nur für im Übergangssystem durchlaufene Praktika, sondern auch für Praktika in der Sekundarstufe I, weil dadurch die Möglichkeit besteht, die Zahl an Jugendlichen, welche eher zufällig einen Bildungsgangschwerpunkt besuchen, oder sich deplatziert fühlen, zu verringern. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass insbesondere mit Blick auf die verschiedenen Wege der interviewten Jugendlichen in das Übergangssystem sowie deren Plänen nach Beendigung des Bildungsgangs, ein Übergangsmanagement essentiell ist, welches die Begleitung der Jugendlichen, vom allgemeinbildenden Schulsystem bis in eine Berufsausbildung, durch den regelrechten Dschungel an Maßnahmen, Bildungsgängen, Trägerschaften und nicht zuletzt der Vielzahl an Ausbildungsberufen gewährleistet.

 

Literatur

BECKER, R. (2009): Bildungssoziologie – Was sie ist, was sie will, was sie kann. In: BECKER, R. (Hrsg.): Lehrbuch der Bildungssoziologie. Wiesbaden, 9-34.

BEICHT, U. (2009): Verbesserung der Ausbildungschancen oder sinnlose Warteschleife? Zur Bedeutung und Wirksamkeit von Bildungsgängen am Übergang Schule - Berufsausbildung. In: BIBB Report. Heft 11, 3. Jahrgang.

BEICHT, U./ FRIEDRICH, M./ ULRICH, J. G. (2007): Deutlich längere Dauer bis zum Ausbildungseinstieg. Schulabsolventen auf Lehrstellensuche. In: BIBB Report. Heft 2, 1. Jahrgang.

BEICHT, U./ GRANATO, M. (2010): Ausbildungsplatzsuche: Geringere Chancen für junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund. In: BIBB Report. Heft 15, 4. Jahrgang.

BEICHT, U./ ULRICH, J. G. (2008): Welche Jugendlichen bleiben ohne Berufsausbildung? Analyse wichtiger Einflussfaktoren unter besonderer Berücksichtigung der Bildungsbiografie. In: BIBB Report. Heft 6, 2. Jahrgang.

BERGZOG, T. (2008): Beruf fängt in der Schule an. Die Bedeutung von Schüler Betriebspraktika im Rahmen des Berufsorientierungsprozesses. Bielefeld.

BRÄNDLE, T./ MÜLLER, S. (2010): Die feinen Unterschiede. Eine qualitative Untersuchung zur Wahrnehmung der Berufsperspektiven von Schülerinnen und Schülern am Berufskolleg. In: SOEFFNER, H.-G. (Hrsg.): Herausforderungen gesellschaftlicher Transformationen. Verhandlungen des 34. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Jena 2008. Wiesbaden.

GAUPP, N./ LEX, T./ REIßIG, B./ BRAUN, F. (2008): Von der Hauptschule in Ausbildung und Erwerbstätigkeit: Ergebnisse des DJI-Übergangspanels. Online: www.dji.de/bibs/276_9896_Von_der_HS_in_Ausbildung_und_Erwerbsarbeit.pdf (18-11-2009).

LEX, T. (2007): Migrantenjugendliche auf dem Weg von der Schule ins Arbeitsleben: AussiedlerInnen, Jugendliche türkischer Herkunft sowie Jugendliche deutscher Herkunft im Vergleich. In: Jugend, Beruf, Gesellschaft. Heft 1, 58. Jahrgang, 30-40.

MAYRING, P. (2008): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Technik. Weinheim und Basel.

REIßIG, B./ GAUPP, N./ LEX, T. (2008): Hauptschüler auf dem Weg von der Schule in die Arbeitswelt.


Zitieren dieses Beitrages

MÜLLER, S./ BRÄNDLE, T. (2011): Berufsvorbereitende Bildungsgänge - Weiterqualifizierung oder Warteschleife? In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 01, hrsg. v. BRÄNDLE, T., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws01/mueller_braendle_ws01-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/