Titel:
ECVET und DECVET: Zu den Potenzialen von Leistungspunktsystemen zur Förderung von Übergängen in der beruflichen Bildung.
Beitrag von Thilo LANG & Michael DAMBACHER (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg)
Der Artikel beschreibt auf Basis des baden-württembergischen Projekts „Eurolevel“ als Teil der Pilotinitiative DECVET des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein Verfahren zur Kompetenzfeststellung unter Berücksichtigung der Vorgaben von ECVET und den Besonderheiten des dualen Systems. Dabei wird besonderer Wert auf die Belange von kleineren und mittleren Ausbildungsbetrieben gelegt. Neben konzeptionellen Zwischenergebnissen werden auch erste praktische Erfahrungen vorgestellt. Dazu wird zunächst ein Konzept zur Definition von Lerneinheiten erläutert. Anschließend wird mit den Instrumenten Klassenarbeit, Fachgespräch und Lerndokument ein Verfahren zur Feststellung der in den Lerneinheiten festgelegten Kompetenzen vorgestellt. Nach den ersten praktischen Erfahrungen scheinen die Instrumente geeignet, die horizontale und vertikale Mobilität sowie die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungswegen zu fördern. Am Ende der Berufsausbildung steht dann - nicht zuletzt mit Blick auf die Progression der Handlungskompetenz - die Abschlussprüfung als umfassende Kompetenzfeststellung im dualen System.
Nach dem Vorbild des Leistungspunktesystems im Hochschulbereich schlägt die Europäische Union die Einführung eines Europäischen Leistungspunktesystems für die berufliche Bildung vor (ECVET - European Credit System for Vocational Education and Training). Oberstes Anliegen der europäischen Initiative ist es, die Mobilität in der beruflichen Bildung zu erhöhen und die Durchlässigkeit der Bildungswege durch Anrechnung, Anerkennung und Akkumulierung von Kompetenzen zu fördern.
Die Europäische Union kann allerdings aufgrund der Kultushoheit der Nationalstaaten für den Bildungsbereich nur Empfehlungen und keine verbindlichen Vorgaben erlassen. Es bleibt den EU-Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie ECVET national umsetzen. Daher schlägt die Europäische Kommission die schrittweise Einführung von ECVET nach einer Erprobungsphase ab 2012 auf freiwilliger Basis durch die Mitgliedsstaaten vor. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat daraufhin die Pilotinitiative DECVET zur systematischen Entwicklung und Erprobung eines Leistungspunktesystems für Berufsbildung unter Beachtung der nationalen Besonderheiten in Deutschland gestartet.
Der Artikel stellt zunächst den ECVET-Ansatz kurz vor. Anschließend wird ein Vorschlag zur Definition von kompetenzorientierten Lerneinheiten erläutert. Davon abgeleitet wird dann ein Verfahren zur Feststellung der Kompetenzen beschrieben und werden erste Zwischenergebnisse der praktischen Erprobung vorgestellt. Der Aufbau und die Definition der Lerneinheiten nimmt ebenso wie das Verfahren der Kompetenzfeststellung Rücksicht auf Besonderheiten des dualen Systems, andererseits trägt beides den Vorgaben von ECVET Rechnung. Ausgeblendet werden Fragen zur Vergabe, Erfassung und Dokumentation von Leistungspunkten. Der Artikel beruht auf ersten Zwischenergebnissen des baden-württembergischen Projekts „Eurolevel“ als Teil der Pilotinitiative DECVET des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und versteht sich auch als Beitrag zur besseren Anerkennung von Kompetenzen beim Wechsel des Bildungsgangs im Sinne von ECVET.
Nach den Vorgaben von ECVET sollen Qualifikationen (z.B. Ausbildungsberufe) in kompetenzorientierte Lerneinheiten aufgegliedert werden. Damit sollen Ausbildungswege transparenter, durchlässiger und flexibler werden. Wo und wie ein Lernender die Lernergebnisse erwirbt, ist unerheblich. Für die Vergabe von Leistungspunkten ist nur erforderlich, dass ein Lernender erfolgreich die in den Lerneinheiten beschriebenen Kompetenzen nachweist. Leistungspunkte geben Auskunft darüber, welche Lerneinheiten ein Lernender erworben und akkumuliert hat. Pro Jahr sollen bis zu 60 Leistungspunkte für erfolgreich nachgewiesene Kompetenzen vergeben werden.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat im Jahr 2007 zur Entwicklung und Erprobung eines deutschen Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung die Pilotinitiative DECVET ausgeschrieben. Ziel ist es, das nationale Bildungssystem transparenter zu machen und die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bereichen der beruflichen Bildung rund um das duale System zu verbessern. Dies soll helfen, doppelte Qualifizierungen zu vermeiden und Übergänge beruflicher Bildungswege zu optimieren. Betreut und koordiniert werden die zehn Projekte der Pilotinitiative DECVET durch das Bundesinstitut für Berufsbildung. Mit der wissenschaftlichen Begleitung wurden die Universitäten Magdeburg (Lehrstuhl für Berufspädagogik) und Jena (Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik) beauftragt.
Die Arbeitsgemeinschaft des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages, des Baden-Württembergischen Handwerkstages und des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg hat sich erfolgreich um eines der Projekte der Pilotinitiative DEVCET beworben („Eurolevel“). „Eurolevel“ soll bis März 2012 ein Leistungspunktesystem zur Übertragung vollschulisch erworbener Qualifikationen am Beispiel des Berufskollegs auf eine duale Berufsausbildung entwickeln und erproben.
Aufbauend auf einem mittleren Bildungsabschluss vermittelt das Berufskolleg I und II in Baden-Württemberg berufliche Kenntnisse und vertieft die Allgemeinbildung. Die Anwendung der theoretischen Kenntnisse in dem Vollzeitbildungsgang erfolgt in der Übungsfirma (Kaufmännisches Berufskolleg), dem Werkstattunterricht (Gewerblich-technisches Berufskolleg) und in Projekten. In den beiden Jahren absolvieren die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs zudem ein jeweils vierwöchiges betriebliches Praktikum. Als Beispiele für das duale System dienen bei „Eurolevel“ die Berufe des Anlagenmechanikers (m/w) für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und des Kaufmanns (m/w) im Groß- und Außenhandel. Sie gehören zu den beliebtesten Berufen gemessen an der Zahl der Lehrverträge und repräsentieren die beiden wichtigsten Ausbildungsbereiche: In Baden-Württemberg entfielen 2009 auf den Bereich „Industrie- und Handel“ rd. 56% und auf den Bereich „Handwerk“ 25% aller neu abgeschlossener Ausbildungsverträge. Die Ausbildung in den beiden Pilotberufen bei „Eurolevel“ findet vorwiegend in Klein- und Mittelbetrieben statt.
Lerneinheiten sind gemäß den Vorgaben von ECVET als Bündel aus Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen näher zu spezifizieren. Sie müssen außerdem einzeln bewertbar sein. „Eurolevel“ definiert Kompetenz im Sinne der Kultusministerkonferenz als berufliche Handlungskompetenz. Zentrales Leitmotiv bei der Definition von Lerneinheiten war deshalb eine in sich geschlossene berufliche Handlung, die sich an einem berufstypischen Arbeits- und Geschäftsprozess orientiert. Auf Basis dieser Vorgabe wurde der Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau im Groß- und Außenhandel handlungssystematisch in dreizehn und der Ausbildungsberufe Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik in zehn Lerneinheiten gegliedert. Abbildung 1 zeigt den bei „Eurolevel“ gewählten formalen Aufbau der Lerneinheiten.
Abb. 1: Formaler Aufbau der Lerneinheiten
Der horizontale Aufbau orientiert sich an den europäischen Vorgaben und teilt die Tabelle in die Spalten „Kenntnisse“, „Fertigkeiten“ und „Berufliche Kompetenz“ auf. Die „Berufliche Kompetenz“ umfasst sowohl die Fach- als auch die Personalkompetenz. Auf eine Untergliederung der „Beruflichen Kompetenz“ in weitere Subkategorien wurde bewusst verzichtet. Solche im Projekt ursprünglich verfolgten Ansätze haben sich bei der Ausformulierung der Lerneinheiten nicht bewährt. Insbesondere die Formulierung von Personalkompetenz war von vielen Redundanzen geprägt.
„Berufliche Kompetenz“ schließt „Kenntnisse“ und „Fertigkeiten“ mit ein. Sie ist - mathematisch gesprochen - größer oder gleich der Summe aus „Kenntnisse“ und „Fertigkeiten“. Die inhaltliche Grundlage für die Spalte „Kenntnisse“ bildete der Rahmenlehrplan des jeweiligen Ausbildungsberufs. Der inhaltlichen Ausformulierung der Spalte „Fertigkeiten“ lag die Ausbildungsordnung zugrunde. Rahmenlehrplan und Ausbildungsordnung sind damit weiterhin die unverändert gültigen Grundlagen der Ausbildung. Neu ist vor allem die Zusammenführung der beiden Ordnungsmittel in einem Dokument. Dadurch erhöhen die Lerneinheiten die Transparenz und werden dem Grundsatz der „Lernortunabhängigkeit“ von ECVET gerecht. Die Lernziele in den Lerneinheiten bei „Eurolevel“ wurden in Form von Halbsätzen und Verben ausformuliert.
In der Matrix werden die Lerneinheiten in der Vertikalen gemäß Abbildung 1 in die Schritte „Planen“, „Durchführen“ und „Bewerten“ gegliedert. Dies soll das Berufsprinzip als Befähigung zum selbstständigen Handeln als Endziel der Berufsausbildung verdeutlichen. Jede Zeile und Spalte der Lerneinheit lässt sich für sich alleine lesen, was die Transparenz fördert und die Abstimmung der Lerninhalte von Schule und Betrieb erleichtert.
Die Lerneinheiten bei „Eurolevel“ bilden sowohl die Grundlage für den Unterricht im Berufskolleg wie auch für die duale Berufsausbildung. Seit 2009 werden die Lerneinheiten praktisch in Schule und Betrieb erprobt. Insgesamt beteiligen sich daran rund vierhundert Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs und der Berufsschule der Kaufmännischen Schule Göppingen und der Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule Freiburg. Der Schwerpunkt im Berufskolleg liegt dabei stärker auf der Theorie und in der dualen Ausbildung eher auf der Praxis. Bei einem Wechsel vom Berufskolleg in eine affine duale Ausbildung können nach diesem Konzept zumindest die Theoriekenntnisse angerechnet werden. Ein Absolvent des Berufskollegs II verfügt über die kompletten Kenntnisse des Ausbildungsberufs eines Kaufmanns im Groß- und Außenhandel sowie über erste kaufmännische Fertigkeiten. Die noch fehlenden Fertigkeiten kann er nach dem Übergang vom Berufskolleg II in eine duale Ausbildung in einem Praxisjahr erwerben. Er kann dann von der Kammer zur Abschlussprüfung zugelassen werden. Ganz im Sinne von ECVET wird so die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungswegen erhöht und eine Doppelqualifizierung durch Wiederholung bekannter Inhalte vermieden.
Nach den Vorgaben von ECVET kann ein Lernender nur für erfolgreich nachgewiesene Lerneinheiten Leistungspunkte erwerben. Nach der Definition der Lerneinheiten ging es bei „Eurolevel“ also darum, Verfahren zu entwickeln, wie die in den Lerneinheiten geforderten Kompetenzen überprüft werden könnten. Gemäß dem Projektauftrag der Pilotinitiative DECVET sollen die Verfahren reliabel, praktikabel, verfahrensökonomisch und anwenderfreundlich sein. Diesen Vorgaben wohnt ein Zielkonflikt inne: Verfahren der Kompetenzfeststellung, die eine hohe Aussagekraft haben, gehen mit einem hohen Prüfungsaufwand einher. Letztlich ging es also um die Entwicklung eines Verfahrens, das einerseits zuverlässige Aussagen über die erworbene Kompetenzen der Lernenden ermöglicht und andererseits den bereits hohen Prüfungsaufwand der beruflichen Schulen und Kammern nach Möglichkeit nicht noch weiter erhöht.
Im europäischen Sinne soll eigentlich nach jeder Lerneinheit eine Kompetenzfeststellung vorgenommen werden. Mit Rücksicht auf die kleineren und mittleren Ausbildungsbetriebe der beiden Pilotberufe sowie auf den hohen personellen und finanziellen Prüfungsaufwand wurde davon jedoch bei „Eurolevel“ abgesehen. Da der Kompetenzerwerb in den Betrieben häufig auftragsabhängig erfolgt, ist ein solches Verfahren nicht praktikabel. Verworfen wurde auch die Idee einer umfassenden Prüfung, die gleichzeitig sowohl die Berufstheorie wie auch die Berufspraxis abdeckt. Trotz aller Bemühungen im Rahmen der Lernortkooperation können die Berufsschule und die Ausbildungsbetriebe ihre Inhalte zeitlich nicht immer exakt aufeinander abstimmen, was die Umsetzung eines solchen Ansatzes nachhaltig erschwert.
Hinzu kommt, dass Kompetenz an die Person gebunden ist und nicht vollständig anhand objektiver Indikatoren beschreibbar und überprüfbar ist. Vielmehr kann Kompetenzerwerb häufig nur indirekt, beispielsweise durch Beobachtung, Erfassung und Bewertung bei der Bewältigung von Handlungssituationen, erschlossen werden. Dies und die Suche nach praktikablen Lösungen für Klein- und Mittelbetriebe waren wesentliche Eckpunkte bei der Festlegung eines Verfahrens zur Kompetenzfeststellung. Bei „Eurolevel“ muss ein Lernender sowohl die in den Lerneinheiten festgelegten Kenntnisse als auch Fertigkeiten erfolgreich nachweisen, um Kompetenzen bescheinigt zu bekommen und Leistungspunkte zu erwerben. Abbildung 2 veranschaulicht den gewählten Ansatz grafisch.
Abb. 2: Verfahren der Kompetenzfeststellung
Die Kenntnisse werden in schriftlicher Form durch handlungsorientierte Klassenarbeiten nachgewiesen. Dies hält den Prüfaufwand in Grenzen und vermeidet Redundanzen. Abgeleitet aus dem Aufbau der Lerneinheiten müssen nun noch die Fertigkeiten geprüft werden. Wie Abbildung 2 veranschaulicht, wird erwartet, dass der Lernende über die geforderten beruflichen Kompetenzen verfügt, wenn er sowohl die notwendigen Kenntnisse als auch die Fertigkeiten erfolgreich nachweist.
Der Zeitpunkt der Zwischenprüfung oder von Teil 1 der Abschlussprüfung als Überprüfung der Fertigkeiten wurde als zu spät eingestuft. Das Berufskolleg I endet beispielsweise nach einem Jahr, womit eine Feststellung der erworbenen Fertigkeiten innerhalb des Bildungsgangs gar nicht möglich gewesen wäre, da bei Berufen mit drei- oder dreieinhalbjähriger Ausbildungsdauer die Zwischenprüfung vor dem Ende des zweiten Ausbildungsjahres stattfinden soll. Aber auch Berufsschülerinnen und Berufsschüler, die ihre Ausbildung vor der Zwischenprüfung beenden, hätten ihre erworbenen Kompetenzen - wie bisher auch - nur schwer nachweisen und keine Leistungspunkte erwerben können. Dies aber ist kaum mit dem Anliegen von ECVET vereinbar, Mobilität und Durchlässigkeit zu fördern. Daher wurden bei „Eurolevel“ zum Nachweis der Fertigkeiten die Instrumente „Lerndokument“ und „Fachgespräch“ entwickelt.
Für den Ausbildungsberuf „Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik“ und das Technische Berufskolleg wird das „Lerndokument“ erprobt. Dabei wird ein betrieblicher Auftrag vom Ausbilder vorgegeben, vom Lernenden durchgeführt und dann vom Lernenden schriftlich dokumentiert. Der Lernende soll nachweisen, dass er eine Arbeitsaufgabe vorbereiten, planen, durchführen, auswerten, dokumentieren und abschließen kann. Maßgeblich für die Bewertung durch den Ausbilder sind die praktische Umsetzung des betrieblichen Auftrags sowie die planvolle Arbeits- bzw. Vorgehensweise und der zielgerichtete Einsatz von Unterlagen durch den Lernenden. Während in der dualen Berufsausbildung „Lerndokumente“ im Betrieb und in überbetrieblichen Berufsbildungszentren angefertigt werden, werden sie im Berufskolleg in Zeiten des Werkstattunterrichts und der Praktikaphasen geschrieben. Je nach Umfang und Komplexität sind pro Lerneinheit bis zu drei „Lerndokumente“ anzufertigen.
Für den Ausbildungsberuf „Kaufmann/-frau im Groß- und Außenhandel“ und das Kaufmännische Berufskolleg wird das „Fachgespräch“ erprobt. Das „Fachgespräch“ dauert pro Lernendem rund zwanzig Minuten und wird von einer Lehrkraft einer beruflichen Schule sowie einem von der Kammer beauftragten Prüfer abgenommen. Um die berufliche Handlungskompetenz der Lernenden festzustellen, wird auf die im Unterricht eingeführten Geschäftsbelege der Übungsfirma zurückgegriffen und von einem Geschäftsfall ausgegangen. „Fachgespräche“ finden jährlich am Ende des Schuljahres im Berufskolleg und der Berufsschule im ersten und zweiten Lehrjahr statt. Aufgrund der Abschlussprüfung gibt es im dritten Lehrjahr kein „Fachgespräch“.
Seit dem Schuljahr 2009/10 werden das „Fachgespräch“ und das „Lerndokument“ praktisch erprobt. Bisher nahmen rund fünfzig Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs und der Berufsschule der Kaufmännischen Schule Göppingen an dem Fachgespräch teil. Zudem wurden bisher rund dreihundert Lerndokumente im fachpraktischen Unterricht des Berufskollegs der Richard-Fehrenbach Gewerbeschule Freiburg und von Auszubildenden im Betrieb beziehungsweise in der Überbetrieblichen Ausbildungsstätte Freiburg angefertigt.
Die praktische Erprobung bisher hat gezeigt, dass das „Fachgespräch“ eine gute Vorbereitung für die Abschlussprüfung ist. Zudem erhält der Lernende frühzeitig eine Rückmeldung über seine Stärken und Schwächen. Die Praktiker betrachten die Zeit von zwanzig Minuten als ausreichend, um eine valide Aussage über den Leistungsstand des Lernenden zu machen. Die Erfahrungen zeigen, dass die Ergebnisse der „Fachgespräche“ nicht signifikant von den Noten der Lernenden in den Klassenarbeiten abweichen. Der zeitliche und organisatorische Prüfungsaufwand bei dem „Fachgespräch“ wird von den Prüferinnen und Prüfern als hoch eingestuft.
Beim „Lerndokument“ kommt zu der zeitpunktbezogenen Erfassung der Kenntnisse durch Klassenarbeiten eine fortlaufende Leistungsfeststellung im Bereich der Fertigkeiten. Die Praktiker sehen die Vorteile vor allem darin, dass der Lernende seine Tätigkeit besser reflektiert, gezielter auf die Prüfung vorbereitet wird und eine zeitnahe Rückmeldung über seinen Leistungsstand durch den Ausbildungsverantwortlichen erhält. Das „Lerndokument“ ermöglicht eine auftragsorientierte Ausbildung und damit eine zeitliche Flexibilität in der Vermittlung der Fertigkeiten. Es unterstützt gerade kleinere und mittlere Betriebe, das systematische Lernen am Arbeitsplatz noch besser zu verankern. Die Ausbilder stufen das Lerndokument als praktikables und anwenderfreundliches Instrument zur weiteren Verbesserung der Ausbildungsqualität ein. Den Zeitaufwand für die Erstellung beziffern die Praktiker pro Lerndokument auf zwei bis drei Stunden. Gemäß Absprache zwischen Handwerkskammer und dem Prüfungsausschuss ersetzt ein Lerndokument insgesamt vier Wochenberichte des Ausbildungsnachweises, um die zeitliche Belastung in Grenzen zu halten. Das „Lerndokument“ wird von den Ausbildungsbetrieben als valides Instrument eingestuft, um Aussagen über erworbene Kompetenzen zu treffen. Nach Aussagen der Betriebe und der Gewerbeakademie übersteigt der Mehrwert den zusätzlichen Aufwand deutlich. Befragt wurden auch Auszubildende zu ihren Erfahrungen mit dem „Lerndokument“. Übereinstimmend berichteten sie, dass sie mehr lernen würden, weil sie ihre Tätigkeit reflektieren müssten. Das „Lerndokument“ fördert außerdem das Bewusstsein der Jugendlichen hinsichtlich ihrer eigenen Fertigkeiten und Berufserfahrung.
„Lerndokument“ wie „Fachgespräch“ dienen als Bestandsaufnahme und können andererseits die Grundlage für Maßnahmen der Personalentwicklung sein. Frühzeitig und systematisch werden Fertigkeiten der Lernenden und deren Praxiserfahrungen dokumentiert und transparent gemacht. Dabei werden die spezifischen Voraussetzungen von Klein- und Mittelbetrieben berücksichtigt, die die Mehrzahl aller Jugendlichen in Deutschland ausbilden. Beide Instrumente sind hinreichend flexibel handhabbar und lassen sich problemlos in die betriebliche Abläufe integrieren. „Fachgespräch“ und „Lerndokument“ können auch als Hilfe bei der Entscheidung über eine Anrechnung vollzeitschulisch erworbener Kompetenzen auf eine duale Ausbildung dienen. Gleichzeitig leiten die beiden Instrumente die Lernenden dazu an, sich systematisch mit den eigenen Fertigkeiten und den erworbenen und ggf. noch zu erwerbenden Kompetenzen auseinanderzusetzen. Insofern unterstützen sie auch den Prozess der Selbstreflexion des Kompetenzerwerbs bei den Lernenden.
Zu Beginn der Ausbildung stehen zunächst einfache Tätigkeiten im Vordergrund, während im weiteren Verlauf dann zunehmend komplexere betriebliche Arbeitsaufträge und Tätigkeiten dominieren. Klassenarbeiten sowie Lerndokumente und Fachgespräche können den Zwischenstand der Kompetenzen des Einzelnen sichtbar machen. Lerneinheiten sind aber keine in sich abgeschlossenen Module. Vielmehr wird in der Ausbildung immer wieder auf Inhalte vorausgegangener Lerneinheiten zurückgegriffen, diese werden dann weiter vertieft oder variiert. Abbildung 3 veranschaulicht die Progression der Handlungskompetenz im Verlauf der Ausbildung grafisch.
Abb. 3: Progression der Handlungskompetenz
Wie Abbildung 3 verdeutlicht, kann erst eine umfassende Abschlussprüfung am Ende der Berufsausbildung valide feststellen, ob der/die Auszubildende über die geforderten relevanten Kompetenzen eines Berufes verfügt. Eine Abschlussprüfung sichert außerdem die Vergleichbarkeit von Leistungsfeststellungen und dient als Instrument der Qualitätssicherung. Sie kann zudem der Gefahr der Subjektivität bei der Bescheinigung von Fertigkeiten durch das Lerndokument beziehungsweise Fachgespräch entgegenwirken.
Bei „Eurolevel“ wird die Abschlussprüfung nach dem Modell von Baden-Württemberg vorgenommen. In Baden-Württemberg wird die landeseinheitliche gemeinsame Theorieprüfung an der Berufsschule durchgeführt. Die Ergebnisse werden an die Prüfungsausschüsse der Kammern weitergeleitet. Paritätisch besetzte Landesfachausschüsse aus Lehrkräften und Berufspraktikern erstellen gemeinsam die Theorieprüfung. Dies garantiert aktuelle und praxisnahe Prüfungsaufgaben und fördert die Verzahnung der beiden Lernorte Schule und Betrieb. Bei der Formulierung von Prüfungsaufgaben ist von einer komplexen Handlungssituation auszugehen, in denen die erworbenen Kompetenzen gezeigt werden müssen. Den praktischen Prüfungsteil organisieren und betreuen die Kammern allein. Nach den Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes besteht ein Prüfungsausschuss aus mindestens drei Mitgliedern. Neben Betriebsvertretern wirken auch Lehrkräfte beruflicher Schulen ehrenamtlich daran mit. Konzeptionell und inhaltlich orientiert sich das Verfahren der Kompetenzfeststellung bei „Eurolevel“ mit Klassenarbeit sowie „Fachgespräch“ und „Lerndokument“ an der seit Jahrzehnten bewährten Abschlussprüfung nach dem Modell von Baden-Württemberg.
In der noch verbleibenden Laufzeit des Projekts gilt es nun noch mehr praktische Erfahrung mit dem Verfahren der Kompetenzfeststellung zu sammeln und folgende Fragen noch näher zu untersuchen:
Darüber hinaus gilt es noch zu prüfen, ob das Verfahren der Kompetenzfeststellung bei „Eurolevel“ mit den derzeitigen rechtlichen Bestimmungen kompatibel ist. Dies betrifft beispielsweise die Frage der Vereinbarkeit mit den Regelungen des Berufsbildungsgesetzes oder dem Betriebsverfassungsgesetz.
Die Maßnahmen dienen dazu, die beruflichen Perspektiven für die Jugendlichen und zugleich den Fachkräftebedarf der Wirtschaft zu sichern. Durch die Instrumente Klassenarbeit, Lerndokument und Fachgespräch kann zeitnah mit überschaubarem Aufwand erfasst werden, über welche Kompetenzen ein Jugendlicher verfügt. In Fällen des Ausbildungsabbruchs, des Ausbildungswechsels oder des Wechsels des Bildungsganges können so besser als bisher die Kompetenzen erfasst werden. Dadurch können Betriebe beispielsweise besser als bisher über die Anrechnung von Kompetenzen beim Übergang eines Jugendlichen von einer vollzeitschulischen Ausbildung in eine duale Ausbildung entscheiden. Dies verhindert unnötige Doppelqualifizierungen und könnte dazu beitragen, dass junge Menschen ihre Ausbildung schneller abschließen und dem Betrieb früher als bisher als qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen.
LANG, T./ DAMBACHER, M. (2011): Das europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung und Verfahren der Kompetenzfeststellung im Projekt „Eurolevel“. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 23, hrsg. v. FROMMBERGER, D./ DIETTRICH, A./ REINISCH, H., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws23/lang_dambacher_ws23-ht2011.pdf (26-09-2011).