Titel:
ECVET und DECVET: Zu den Potenzialen von Leistungspunktsystemen zur Förderung von Übergängen in der beruflichen Bildung.
Beitrag von Anita MILOLAZA (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)
Der vorliegende Beitrag ist die Verschriftlichung des gleichnamigen Kurzvortrages, gehalten auf den 16. Hochschultagen Berufliche Bildung 2011 in Osnabrück. Im Fokus des Beitrags stehen die Beweggründe für die Durchführung der BMBF-Pilotinitiative "DECVET – Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung". Zum besseren Verständnis werden zunächst die europäischen Hintergründe, die zu der Pilotinitiative geführt haben, und die strukturellen Entwicklungen der Berufsbildung in Deutschland der letzten Jahre skizziert. Im Anschluss werden die Ziele der Pilotinitiative und die zu bearbeitenden Aufgaben der beteiligten Projekte aufgeführt. Der Beitrag endet mit einem Fazit, in dem die Herausforderung und auch die Chancen, die mit der Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung verbunden sind, dargestellt werden. Weitere Informationen zur Pilotinitiative sind auf der Website www.decvet.net abrufbar.
Vor dem Hintergrund der Empfehlung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Leistungspunktesystems für die Berufsbildung (ECVET) wird zurzeit im Rahmen einer Pilotinitiative ein (deutsches) Leistungspunktesystem in der beruflichen Bildung entwickelt und erprobt. Auch wenn mit dem Begriff „Leistungspunktesystem“ ggf. zuerst numerische oder quantitative Konnotationen verbunden sind, ist ein Leistungspunktesystem ein primär beschreibendes und qualitatives Instrument. In der Initiative wird in Anlehnung an die Definition der oben genannten Empfehlung ein Leistungspunktesystem als ein „Instrument zur Förderung der Durchlässigkeit durch Verfahren der Anerkennung, Anrechnung und ggf. Akkumulierung von Lernergebniseinheiten mit dem Ziel des Qualifikationserwerbs“ definiert. So besteht das Ziel der Initiative in der Identifikation von Anrechnungspotenzialen verschiedener Qualifikationen und basierend darauf in der Entwicklung und Erprobung von Anrechnungsmodellen, um dadurch einen Beitrag zur Erhöhung der horizontalen und vertikalen Durchlässigkeit im deutschen Berufsbildungssystem zu leisten. Konkret sollen Möglichkeiten geschaffen werden, in anderen Berufsbildungskontexten erworbene Kompetenzen auf den angestrebten Berufsbildungsabschluss anzurechnen.
Die hier dargestellte Pilotinitiative hat ihre europäischen Wurzeln zum einen in der Absicht, einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens zu schaffen und zum anderen in der sogenannten Lissabon-Strategie, deren Ziel es war, bis 2010 Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu entwickeln. Als einen wesentlichen Beitrag für die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung der Mitgliedsländer wurde die Modernisierung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung hervorgehoben (vgl. FROMMBERGER 2006).
Im Kontext der weiteren Entwicklungen wurden verschiedene Instrumente zur Förderung des lebenslangen Lernens entwickelt. Dazu zählen u.a. der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) sowie die beiden Kreditsysteme in der hochschulischen Bildung (ECTS) und in der beruflichen Bildung (ECVET). Beide Kreditsysteme sind an den Europäischen Qualifikationsrahmen gekoppelt, sollen der Förderung lebenslangen Lernens und der (trans)nationalen Mobilität von Arbeitnehmern und Lernenden dienen, um darüber wiederum die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Europa zu erhöhen. Zur Ergänzung dieser Instrumente wurden ebenfalls die Grundsätze für die Qualitätssicherung in der Aus- und Weiterbildung (CQAF) empfohlen.
Sowohl der EQR als auch ECTS und ECVET sind Instrumente, die die transparente Darstellung und darüber den Vergleich von Qualifikationen und Qualifikationseinheiten ermöglichen sollen. Daher sind für den Einsatz dieser Instrumente bestimmte Beschreibungs- und Strukturierungsgrundsätze hinterlegt, die die Vergleichbarkeit verschiedener Qualifikationen über interstaatliche und auch intrastaatliche Systemgrenzen vereinfachen sollen.
Das European Credit System in Vocational Education and Training (ECVET) ist als Kreditsystem auf alle formalen Bildungsgänge und Qualifikationen in der beruflichen Bildung und darüber hinaus auf auch auf non-formal und informell (z.B. Berufserfahrung) erworbene Lernergebnisse anwendbar. Die zentrale Funktion des ECVET liegt in der Akkumulierungsfunktion, die den Lernenden die Möglichkeit bietet, Lerneinheiten zu sammeln, bis die angestrebte Qualifikation erreicht ist; darüber hinaus wird mit dem Ansatz die Transferfunktion verbunden, die die Übertragung von Lernergebnissen aus einem Bildungsgang oder einer erworbenen Qualifikation auf andere angestrebte Bildungsgänge oder Qualifikationen ermöglicht (vgl. EUROPÄISCHES PARLAMENT UND RAT 2009).
Das ECVET ist ein Produkt des sogenannten Brügge-Kopenhagen-Prozesses. Es wurde 2002 im Rahmen der Kopenhagener Erklärung als ein Instrument zur Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen auf die bildungspolitische Agenda genommen (vgl. FROMMBERGER 2006). Nach der Entwicklungsphase (2002 – 2005) und der Konsultation (2006 – 2007) wurde am 18. Juni 2009 die Empfehlung zur Einrichtung des ECVET verabschiedet. Allerdings ist damit der Entwicklungsprozess des ECVET noch nicht abgeschlossen. Es wird zwar den Mitgliedstaaten empfohlen, die Voraussatzungen dafür zu schaffen, dass das ECVET basierend auf Erprobungen ab 2012 auf berufsbildende Qualifikationen angewandt werden kann. Aber im Jahr 2014 sollen die Mitgliedsstaaten dem Europäischen Parlament und dem Rat über die Erprobungserfahrungen berichten, um eine Überprüfung und ggf. eine Anpassung der Empfehlung vorzunehmen (vgl. EUROPÄISCHES PARLAMENT UND RAT 2009). So kann die DECVET-Initiative wichtige Erkenntnisse für die Evaluation der ECVET-Empfehlung liefern.
Sieht man von der in Deutschland noch relativ geringen Bedeutung der vorberuflichen Bildung in der Sekundarstufe I ab, so beginnt die berufliche Bildung mit dem Übergang an der Ersten Schwelle in die Sekundarstufe II. Dort ist das Spektrum beruflicher Bildungsgänge sehr breit. Neben der allgemein bildenden Schulform der gymnasialen Oberstufe, die zum (Fach-)Abitur führt und mit einer Studienberechtigung verbunden ist, steht ein breit gefächertes Angebot beruflicher Bildungsgänge zur Verfügung.
Die berufliche Erstausbildung in Deutschland wird häufig verkürzt auf das duale System bezogen, das traditionell etwa 50 Prozent der Absolventen der Sekundarstufe I aufnimmt. Hinzu kommt die besondere Situation, dass auch eine relativ große Zahl der Abiturienten eine Berufsausbildung im dualen System aufnimmt, so dass durchschnittlich etwa zwei Drittel eines Jahrganges eine Berufsausbildung in dieser Form der beruflichen Bildung absolvieren. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass quantitative und strukturelle Veränderungen im Rahmen der beruflichen Erstausbildung innerhalb des dualen Systems stattfinden. Die Versorgung der Schulabgänger der Sekundarstufe I mit betrieblichen Ausbildungsplätzen wird insbesondere dadurch erschwert, dass sich – wie oben bereits erwähnt - vermehrt Abiturienten für eine Ausbildung im dualen System entscheiden, obwohl sie ‑ formal betrachtet – so die Sekundarstufe II doppelt durchlaufen. Dies führt dazu, dass Bewerber mit Bildungsabschlüssen auf unterschiedlichen Niveaus um die gleichen Ausbildungsstellen konkurrieren und die Bewerber mit formal geringer wertigen Abschlüssen diesen Wettbewerb verlieren (vgl. BOSCH 2009). Diese Entwicklungen führten zu weiteren Ausdifferenzierungen des Berufsbildungssystems, da die unvermittelten und nicht studienberechtigten Schulabsolventen auf Alternativen ausweichen mussten. Inzwischen wird die Berufsausbildung in die folgenden drei Sektoren untergliedert (KONSORTIUM BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2006):
Ziel der Berufsausbildungsvorbereitung ist es, die Jugendlichen durch die Vermittlung von fachlichen Grundlagen eines Berufsfeldes an eine Berufsausbildung heranzuführen. Unter bestimmten Voraussetzungen können die absolvierten Vorbereitungsmaßnahmen auf Ausbildungen im dualen System oder im Schulberufssystem zeitlich und inhaltlich angerechnet werden. Während die Anteile des Schulberufssystems an den Neuzugängen in der beruflichen Erstausbildung in den letzten Jahren relativ konstant blieben, stiegen die Anteile des Übergangssystems proportional zum Rückgang im dualen System. Im Jahr 2008 betrug der Anteil des Übergangssystems an den Neuzugängen 34,1 % (vgl. AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2010). So führt die Konkurrenzsituation im marktgesteuerten Ausbildungsstellensystem zu systemfremden Entwicklungen in der beruflichen Erstausbildung, da das Übergangsystem als Schwamm für die nicht vermittelten Ausbildungsplatzbewerber fungiert und sich strukturell immer mehr verfestigt – ohne konkrete Anschlussmöglichkeiten zu bieten (vgl. DOBISCHAT/ MILOLAZA/ STENDER 2009).
Das Schulberufssystem umfasst eine breite Palette an voll- und teilqualifizierenden Berufsfachschulen unterschiedlicher Fachrichtungen und Qualifikationen. Die Bildungsgänge dauern je nach beruflicher Fachrichtung und Zielsetzung ein bis drei Jahre. Unter den beruflichen Vollzeitschulen weisen die Berufsfachschulen die höchsten Schülerzahlen auf. Diese Schulen bereiten die Teilnehmer auf eine Berufstätigkeit oder auch auf eine Berufsausbildung im dualen System vor, auf die der Besuch der Berufsfachschule unter bestimmten Voraussetzungen zeitlich angerechnet werden kann. Die vollqualifizierenden Berufsabschlüsse der Berufsfachschulen werden wie folgt unterschieden (vgl. DOBISCHAT/ MILOLAZA/ STENDER 2009; REINISCH 2001):
Im dualen System wird, wie der Name impliziert, die berufliche Ausbildung in der Regel an mindestens zwei Lernorten durchgeführt: Betrieb und Berufsschule, die einen gemeinsamen Bildungsauftrag erfüllen. Allerdings ist die Dualität des dualen Systems nicht nur in Bezug auf die Existenz von zwei Lernorten zu betrachten; vielmehr sind mit diesen Lernorten, die im Zuge des föderalistischen deutschen Bildungssystems unterschiedlichen rechtlichen Sphären zugehören, weitere Dualitäten verbunden (vgl. GREINERT 1988).
Eine für die DECVET-Initiative wichtige Dualität ist die Existenz der zwei curricularen Ordnungen, die der Berufsausbildung zu Grunde liegen: Die Berufsausbildung im dualen System orientiert sich am Ausbildungsberufskonzept; das betriebliche Ausbildungsziel ist die Vermittlung einer breit angelegten beruflichen Grundbildung und beruflicher Handlungsfähigkeit. Ziel der schulischen Berufsausbildung im dualen System ist die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz, die sich aus einem Bündel von Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und personalen Kompetenzen zusammensetzt (vgl. BADER/ MÜLLER 2002). Die Abstimmung der Curricula erfolgt vor allem unter der Zielsetzung, dass in der gemeinsamen Abschlussprüfung zum einen die erforderlichen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten und zum anderen die Beherrschung der Inhalte des Berufsschulunterrichts nachgewiesen werden.
Zum Berufsbildungssystem zählt des Weiteren die berufliche Weiterbildung. Die berufliche Weiterbildung in Deutschland zeichnet sich durch ein hohes Maß an Heterogenität aus. Der Staat besitzt hier ein unterschiedliches Ausmaß der Ordnungsfunktion. Die berufliche Fortbildung und Umschulung sind durch das bundesweit gültige BBiG geregelt bzw. geordnet. Die berufliche Fortbildung setzt in der Regel eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine angemessene Dauer an Berufserfahrung voraus. Bei der beruflichen Fortbildung ist zu differenzieren zwischen der Anpassungsfortbildung, die das Ziel hat, die beruflichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erhalten, zu erweitern oder technischen bzw. wirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen, sowie der Aufstiegsfortbildung, die einen beruflichen Aufstieg ermöglichen soll. Besonders die Aufstiegsfortbildungen ermöglichen den Berufstätigen einen Einstieg bis in die mittlere Führungsebene, die in Deutschland traditionell über die Berufsbildung rekrutiert wird. In ihrem Niveau können deutsche Fortbildungsabschlüsse also durchaus hochschulischen Abschlüssen entsprechen. Allerdings berechtigen diese Fortbildungsabschlüsse in der Regel nicht ohne Zusatzprüfungen zum Hochschulstudium, was auch als ein Kennzeichen der Statusunterschiede und Abschottungen zwischen akademischer und beruflicher Bildung zu sehen ist (vgl. BOSCH 2009). Projekte zur Gestaltung der Durchlässigkeit an dieser Schnittstelle im deutschen Bildungssystem werden im Rahmen der Pilotinitiative ANKOM durchgeführt, deren Ziel die Entwicklung von Anrechnungsverfahren für berufliche Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge ist (vgl. MUCKE/ BUHR 2008).
Nach GREINERT (1988) ist das duale System oder auch das staatlich gesteuerte Marktmodell u.a. dadurch gekennzeichnet, dass der Staat Betriebe und sonstige private Ausbildungsträger zu seinen Konditionen an der Berufsausbildung beteiligt. Dieses Merkmal ist auch als die Achillesferse des dualen Systems zu sehen: Es ist zu großen Teilen abhängig von der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe. Deren Beteiligung aber erfolgt auf freiwilliger Basis und richtet sich primär nach markt- und betriebswirtschaftlichen und weniger nach sozialen Gesichtspunkten. So sind die strukturellen Entwicklungen in der Berufsausbildung neben den starken Geburtenkohorten auch der schwankenden Ausbildungsbereitschaft der Betriebe geschuldet. Um den ständig wachsenden Nachfrageüberhang nach Ausbildungsplätzen im dualen System zu befriedigen, wurden in den letzten Jahren verschiedene Maßnahmen initiiert und durchgeführt, wie z.B. die Aufstockung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze, der Ausbildungspakt, die Aussetzung der Ausbildereignungsverordnung und die Revision bestehender und der Erlass neuer Ausbildungsordnungen. Diese Maßnahmen richteten sich vornehmlich auf das Verhältnis des dualen Systems zum Beschäftigungssystem und blendeten Beziehungen innerhalb des (Berufs-)Bildungssystems sowie die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Ausbildungsformen weitgehend aus (vgl. BAETHGE 2003).
Die Pilotinitiative DECVET setzt in ihrer Zielsetzung an diesem Punkt an. Ziel der Initiative ist es, transferfähige Anrechnungsmechanismen zwischen Teilsystemen der beruflichen Bildung zu entwickeln und real zu erproben. Konkret sollen Möglichkeiten geschaffen werden, in anderen Berufsbildungskontexten erworbene Kompetenzen auf den angestrebten Berufsbildungsabschluss anzurechnen. Die Vermutung ist, dass ein Leistungspunktesystem durch die inhärenten Funktionen der Übertragung und der Akkumulation dazu beitragen kann, die horizontale und vertikale Durchlässigkeit im deutschen Berufsbildungssystem zu erhöhen.
Für die Entwicklung und Erprobung geeigneter Anrechnungsmodelle wurden an den folgenden Schnittstellen des deutschen Berufsbildungssystems jeweils zwei bis drei Projekte aus unterschiedlichen Regionen und Branchen bzw. Berufsgruppen ausgewählt:
Wissenschaftlich begleitet wird die DECVET-Pilotinitiative von einem Konsortium der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Lehrstuhl für Berufspädagogik) und der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik). Das Bundesinstitut für Berufsbildung nimmt im DECVET-Projekt neben administrativen Funktionen sowohl beratende als auch koordinierende Aufgaben wahr (zur Struktur der DECVET-Pilotinitiative vgl. ausführlicher MILOLAZA et al. 2008).
Weitere Ziele, die mit der Entwicklung und Erprobung von Anrechnungsmechanismen verbunden werden, ist ihr Beitrag zur Öffnung und durchgängigen Gestaltung von Bildungswegen und zu einer besseren Verknüpfung von Lernformen sowie Kooperation der Bildungsinstitutionen. Dabei werden folgende Prämissen seitens des Auftraggebers, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, angeführt: Die Struktur eines Leistungspunktesystems soll auf Basis des bestehenden Bildungssystems einschließlich nationaler Besonderheiten (duales System, Berufskonzept etc.) unter Berücksichtigung der auf europäischer Ebene entwickelten Rahmenbedingungen und Eckpunkte entwickelt und erprobt werden. Zudem werden folgende konzeptionelle Teilschritte vorgegeben, die die einzelnen Pilotprojekte bei der Entwicklung und Erprobung von Anrechnungsmechanismen berücksichtigen sollten (vgl. BMBF 2007):
Des Weiteren wurden in den bisherigen Projekttätigkeiten Äquivalenzuntersuchungen als ein weiterer erforderlicher Teilschritt auf dem Weg zu Anrechnungsmodellen identifiziert. Im Rahmen der Erfassung und Bewertung von Lernergebnissen zeigte sich ebenfalls die Notwendigkeit, Qualifizierungsmaßnahmen für das Bildungspersonal zu entwickeln und zu erproben.
Einige Inhalte der ECVET-Empfehlung bringen besondere Herausforderungen für die Curriculumentwicklung und insbesondere für das Prüfungswesen mit sich. Bei der Untergliederung von Qualifikationen in einzelne Teilqualifikationen soll eine übermäßige Fragmentierung vermieden und die Gesamtkohärenz der Qualifikation, auch im Sinne des deutschen Berufsprinzips, beibehalten werden. Zudem stehen bei der Beschreibung von Lerneinheiten im Sinne des ECVET-Vorschlages die Performanzebene sowie die Formulierung erworbener beruflicher Kompetenzen im Vordergrund. Dies bedeutet u. a., dass die Eingrenzung auf bestimmte Lernprozesse sowie auch die Trennung nach schulischen und betrieblichen Einheiten überwunden werden muss. Die Entwicklung eines Leistungspunktesystems beinhaltet somit auch eine Rekonstruktion der inhaltlichen Grundlagen der Berufsbildung; d. h. die Überprüfung der Rahmenlehrpläne, der Aus- und Fortbildungsordnungen sowie auch der Prüfungsordnungen und bestehender Prüfungsmodalitäten unter der Perspektive der Outcome-Orientierung. Da über die traditionellen Input-Regelungen in gewisser Weise auch eine Qualitätssicherung der formalen Bildungsgänge stattfand, müssen nun darüber hinaus auch Qualitätssicherungsinstrumente und -verfahren, die der Outcome-Orientierung Rechnung tragen, erprobt und etabliert werden. Darüber hinaus erfordert die Entwicklung funktionierender Anrechnungsmodelle die vertrauensvolle Zusammenarbeit der relevanten Akteure im (Berufs) Bildungssystem.
Insgesamt stellt die Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der deutschen Berufsbildung eine komplexe und facettenreiche Aufgabe dar und bietet die Chance, strukturelle Schwächen des deutschen Berufsbildungssystems, wie die unzureichende Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Subsystemen und den Mangel an etablierten Verfahren für die Anerkennung non-formalen und informellen Lernens, auszugleichen und zur Erhöhung individueller Bildungschancen beizutragen. Die Erprobung verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Pilotinitiative kann wesentliche Beiträge in die Modernisierungsdebatten um das deutsche Berufsbildungssystem liefern.
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