Ausgabe 32
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bwp@ 32 - Juni 2017
Betrieblich-berufliche Bildung
Hrsg.:
, &Zum Verständnis von Natur und Arbeit bei Auszubildenden - Ergebnisse einer quantitativen Studie
Angesichts der Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses wird die Einsicht in die Zusammenhänge von menschlicher Arbeit, Produktion und Natur immer wichtiger. Menschliche Arbeit zielt auf die Umwandlung natürlicher Rohstoffe in menschliche Gebrauchsgüter, die auch in beruflichen Bildungsprozessen reflektiert werden sollten. In dem Forschungsbeitrag werden die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt und diskutiert, bei der 1475 Auszubildenden aus 16 Berufsfeldern zu ihrem Naturverständnis befragt wurden. Die Forschungsperspektive der Untersuchung wurde von der Prämisse geleitet, dass das Naturverständnis von Auszubildenden eine ethische Perspektive und eine mögliche Bereitschaft zu einem ökologisch verträglicheren Arbeitshandeln beeinflussen. Dabei interessiert hier weniger die kausale Verknüpfung von Wissen, Verständnis, Bewusstsein oder Einstellung einerseits und einem „moralisch richtigen“ Handeln andererseits. Im Zentrum der Befragung steht vielmehr das Interesse an der Klärung der Frage, ob und in welchem Umfang Auszubildenden überhaupt bewusst ist, dass sie mit ihrer Arbeitstätigkeit in der einen oder anderen Art und Weise an der Gestaltung, aber zugleich auch Zerstörung der Natur beteiligt sind. Die Befunde sollen darüber hinaus Einblicke verschaffen über das gegenwärtige Naturverständnis von Auszubildenden und insbesondere darüber, wie sie den eigenen Arbeitsprozess im Hinblick auf Naturveränderungen bewerten und ob sie bereit sind, Verantwortung für die Mitgestaltung einer zukunftsorientierten Arbeitswelt zu übernehmen. Die Diskussion der Ergebnisse eröffnet neue Perspektiven einer kritisch orientierten betrieblich-beruflichen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung.
Trainees’ understanding of nature and work – results of a quantitative study
Given the crisis of society’s relationship with nature, insights into the environmental impact of human activity are becoming increasingly important. The aim of human production is to convert natural resources into goods for human use, and this fact should be reflected in vocational training courses. In this research paper, we present and discuss the results of a study in which 1475 trainees from 16 professional fields are questioned about their understanding of nature. The research was based on the hypothesis that trainees’ understanding of nature would considerably influence their ethical outlook and willingness to take part in working practices aimed at sustainable development. At it, the causal link between knowledge, understanding, consciousness or attitude and as well "morally correct" actions are less interesting. At the centre of the survey is rather the interest in clarifying the question of whether and to what extent trainees are aware that they are involved in shaping, but also destroying nature in one or another way. The results provide insights into the following areas: trainees’ current understanding of nature; trainees’ assessment of the impact of their own work processes on nature; and the extent to which trainees’ are prepared to play their part in shaping a future-oriented working world. The discussion of the results opens up the prospect of teaching a critical stance as part of vocational education and training in sustainable development.
Theoretische Grundlagen und Forschungsinteresse
1.1 Vorbemerkungen
Die ökologische Diskussion gilt in den auf die Arbeit der Zukunft gerichteten Debatten neben den Megathemen wie Digitalisierung, Dienstleistungsgesellschaft, Industrie 4.0, wachsende soziale Ungleichheit und demografischer Wandel bislang als eher randständig. Jedoch ist es spätestens seit 1972, dem Erscheinen des Berichts des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“, der den Beginn der modernen ökologischen Debatte einläutete, eindeutig, dass jegliche Zukunftsentwürfe, so auch die von der (Erwerbs-)Arbeit, neben den gesellschaftlichen und ökonomischen auch die ökologischen Zusammenhänge sowie – darin eingebettet – die des Naturverständnisses zu berücksichtigen haben (Schneidewind 2015); denn jede Konzeption von Nachhaltigkeit beruht notwendig auf einer deskriptiven und normativen Integration sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Aspekte der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (vgl. Rink/Wächter/Potthast 2004).
Der Forschungsansatz dieser Untersuchung geht davon aus, dass die gegenwärtige gesellschaftliche Naturkrise nicht ausschließlich durch den Nachhaltigkeitsdiskurs lösbar ist. Rink u.a. verweisen kritisch darauf, dass im gegenwärtigen Naturverständnis des Nachhaltigkeitsdiskurses konzeptionell die vollständige ‚Kolonisierung der Natur‘ beziehungsweise ihre totale ‚Hybridisierung‘ angelegt sei. Das dort verbreitete Naturverständnis folge einer Erkenntnistheorie für eine präventive Beobachtung und Kontrolle der Naturausbeutung. Es sei jedoch eine Anmaßung, so die Autoren, sozusagen durch „erkennungsdienstliche“ Methoden möglichst alle Wirkungszusammenhänge und Reaktionen in der Natur verstehen und vorhersagen zu wollen (vgl. Rink/Wächter/Potthast 2004, 29).
Dingler (2003) hat das Nachhaltigkeitskonzept aus diskurstheoretischer Perspektive kritisch analysiert und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nachhaltigkeitsstrategie zum Scheitern verurteilt sei, weil sie letztlich ökonomisch und gesellschaftspolitisch genau jene Konzepte reproduziere, die die ökologische Krise verursacht haben (vgl. Dingler 2003). Aus diesem Dilemma ergibt sich, dass das Problem der ökologischen Krise innerhalb des Diskurses der Moderne nicht lösbar ist, sondern adäquate Reaktionen auf diese Krisentendenzen eine Transzendenz des Diskurses der Moderne erforderlich machen. Zur Lösung der gesellschaftlichen Naturkrise eignen sich dieser Kritik folgend eher (berufs-)pädagogische Konzepte einer postmodernen Dekonstruktion moderner Denkstrukturen, Werte und Normen, in dessen Zentrum unter anderem der Subjekt-Objekt-Dualismus, die Wissenschaft, das moderne gesellschaftliche Naturverhältnis, das Subjekt selbst und der Fortschritt stehen (vgl. Dingler 2003). Dekonstruktion heißt dabei, diese Denkstrukturen und Wertorientierungen – insbesondere auch gegenüber der Natur (vgl. Vogel 2000) – in ihrem Absolutheitsanspruch für Auszubildende durchschaubar und kritisierbar zu machen oder zu relativieren.
Dieser Position entsprechend reicht es nicht aus, dass arbeitende Menschen lediglich in ihrer instrumentellen Vernunft gegenüber dem Wirken und Gestalten von Natur geschult werden, um den Herausforderungen der ökologischen Krise gerecht zu werden. Vielmehr muss zur Lösung der gesellschaftlichen Naturkrise „Natur als Politikum“ betrachtet werden; d.h. die nicht-menschliche als auch die eigene Natur ist als ein gesellschaftlich-politisch definierter Bereich zu verstehen, 'Natur' ist in diesem Sinne als 'Umfeld' und Basis von Gesellschaft und Politik zu begreifen und das eigene wie das gesellschaftlich-politische Handeln entsprechend zu orientieren (vgl. Höll/Maurer 2003, 7). Diese Sichtweise bedeutet für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik einen Paradigmenwechsel – weg von einer weitgehend „blinden“ kulturell-technisch bestimmten Zurichtung des Lebendigen hin zu deren Gestaltung. Voraussetzung eines solchen Paradigmenwechsels ist eine Aufklärung und Reflektion über das gesellschaftliche und individuelle Naturverständnis.
Allgemein zielt berufliche Bildung auf die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz. Diese soll in ganzheitlichen, handlungsorientierten Lehr-/Lernkonzepten vermittelt werden, die die Menschen zu selbständigem Planen, Durchführen und Beurteilen beruflicher Arbeitsaufgaben befähigt. Die Handlungen, die in solchen Lernprozessen als Orientierungspunkte dienen, sollen der Kultusministerkonferenz zufolge „ein ganzheitliches Erfassen der beruflichen Wirklichkeit“ fördern und „technische, sicherheitstechnische, ökonomische, rechtliche, ökologische [sowie] soziale Aspekte einbeziehen“ (Kultusministerkonferenz 2004, 5). In der beruflichen Bildung geht es also nicht allein um die Befähigung zu einer fachgerechten Bewältigung einer Arbeitsaufgabe, sondern zugleich auch um die Reflektion ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen. Es wäre erforderlich, den Menschen in und durch berufliche Bildungsprozesse ein Problembewusstsein für gesellschaftliche Fragestellungen wie die ökologische Krise zu vermitteln. Beim Bewusstsein um die ökologische Krise unterscheidet man verschiedene Komponenten (vgl. Kuckartz 2008): Das Wissen um die Problematik, die Einstellung und Werthaltung gegenüber den Problemen, die Handlungsbereitschaft, an den Problemen etwas ändern zu wollen sowie das tatsächliche Verhalten, etwas in relevanten Alltagssituationen zur Lösung der Probleme beizutragen. Die Umweltpsychologie hat in der Vergangenheit bereits mehrfach nachgewiesen, dass man von den Kenntnissen, Einstellungen oder Wertorientierungen und den Intentionen nicht unmittelbar auf ein entsprechendes Handeln schließen kann, (Kuckartz 2010; Schahn u. Matthies 2008; Jäggi u.a.1996). In Bezug auf die ökologische Krise und angemessene Berufsbildungskonzepte erscheint es aber aufschlussreich, das Naturverständnis und die ethische Orientierung von Auszubildenden zu analysieren, um (berufs-)pädagogisch eine entsprechende Erweiterung der Kenntnisse, Einstellungen oder Intentionen zu fördern; denn erst auf der Grundlage eines erweiterten Bewusstseins können die Auszubildenden mögliche Widersprüche und Handlungsrestriktionen in der Arbeitswelt erkennen und bewerten sowie realistische Lösungsansätze und Veränderungspotenziale entwickeln.
1.2 Zur Grundfrage des Verhältnisses von Natur und menschlicher Arbeit
Die Potenz menschlicher Naturbearbeitung ist mit der Phase der Industrialisierung um ein Vielfaches gestiegen. Man schätzt, dass die Produktivität in den vergangenen 150 Jahren Industriegeschichte etwa um den Faktor 20 zugenommen hat. Ernst Basler schätzt, dass der vom Menschen erzeugte Fortschritt sich heute rund eine Million mal schneller als die Evolutionsgeschwindigkeit der Natur vollzieht (Basler 1973, 17). Die technische Macht des Menschen ist mittlerweile so groß, dass er Pflanzen- und Tierarten erhalten oder vernichten kann (vgl. Moscovici 1990, 15). Er besitzt alle Fähigkeiten zur Umformung kleinster Teile der organischen und anorganischen Natur. Er kann Atome in Energie umwandeln und Gene verändern. Gleichzeitig ist er in der Lage, die Erde nahezu gänzlich von Natur zu „befreien“, d.h., das Potential an Energie, das er erzeugen kann, ist so groß, dass er damit nahezu das gesamte natürliche Leben einschließlich seines eigenen vernichten kann – und dies, wie man in Zeiten des kalten Krieges der 1980er Jahre berechnet hatte, nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach.
Der Produktivitätsanstieg hat zwar einerseits zu einem enormen Anstieg des materiellen Wohlstands geführt, andererseits aber die natürlichen Ökosysteme in bedrohlichem Umfang zerstört. Dabei wurden von der Ökonomie und der Politik lange Zeit ausschließlich die Wohlstandssteigerungen im materiellen Sinne zur Kenntnis genommen. Dass materieller Wohlstand mit Naturverzehr verbunden ist, fiel in den Anfängen der Industrialisierung zunächst nur wenig auf oder wurde verdrängt. Erst mit Beginn der 1970er Jahre kamen Stimmen auf, die insbesondere im Hinblick auf das menschliche Potential der Naturbearbeitung auf Grenzen hinwiesen. Diese Grenzen zeigten sich dort, wo der Glaube an unbeschränkte menschliche Gestaltungsoptionen der Natur schwere Rückschläge erfuhren, z.B. durch das Aussterben von Pflanzen- und Tierarten, durch die langfristige Zerstörung von Lebensraum durch technische Unfälle, durch die Belastungen von Luft und Wasser mit Schad- bzw. Giftstoffen, durch die Abnahme der Quantität fruchtbaren Bodens durch Überbauung u.a. Diese sind Symptome einer Entwicklung, deren eigentliche Ursache in den massiven und schnell anwachsenden Materialverschiebungen liegt, die der Mensch durch seine Arbeit bewirkt und die zu einer Veränderung der globalen evolutionären Balance führt. Die Segnungen menschlichen Potentials der Naturbearbeitung, die den Menschen in den vergangenen 200 Jahren – zumindest in ihrem Bewusstsein – von ihrer ursprünglichen (Natur-) Notwendigkeit befreite, laufen heute Gefahr, sich in ihr Gegenteil zu verkehren.
Eine bedeutsame Ursache der Krise besteht in der einseitigen ökonomischen Perspektive auf Natur, wonach diese reduktionistisch und kolonialistisch lediglich als Ressourcenquelle für menschliche Lebens- und Produktionsprozesse angesehen wird (vgl. Gruhl 1981). Die Ökonomie misst den wirtschaftlichen Erfolg daran, welche Mengen an Rohmaterial die Industrie bearbeitet und in Produkte umformt. Das Bruttosozialprodukt als Zeichen des Erfolgs ist ein Maßstab für den durch Technologie und Arbeit hervorgerufenen Stoffstrom, der letztendlich und möglichst schnell natürliche Rohstoffe zu Abfall macht. Dem herrschenden Begriff der Produktivkraft liegt, wie Hans Immler überzeugend nachgewiesen hat, „der Gegensatz von Arbeit und Natur zugrunde“, d.h. es wird ein „Ausbeutungsverhältnis zwischen Arbeit und äußerer Natur manifestiert“ (Immler 1981, 70). Produktivkraft wird hierbei schlechthin als die „aneignende Unterwerfung der Natur durch die Menschen mittels der Arbeit begriffen“ (ebd.). Diese Vorstellung ist jedoch unzureichend; denn in diesem Begriff der Produktivkraft „wird jede Arbeit zur produktiven Arbeit, wenn sie sich unter dem Kriterium der Verwertung ein Stück Natur anzueignen vermag. Also wird auch jede Arbeit, die die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört, dann als produktiv bewertet, wenn der Zerstörungsprozess an der Natur in einem abstrakten Sinn gesellschaftlichen Wert hervorbringt. So mangelt es dem herrschenden industriellen Produktivkraftbegriff vollständig an der Fähigkeit, produktive Arbeit und contraproduktive Arbeit überhaupt unterscheiden zu können. Zerstörungsprozess und Vermehrungsprozess des Naturreichtums sind bei ihm identisch mit der schlimmen Logik, dass die vollzogene Zerstörung im herrschenden gesellschaftlichen Maßstab als produktive Wertmehrung registriert wird“ (ebd.).
Auch aktuellere ökonomische Konzepte zur Lösung der gesellschaftlichen Naturkrise, wie die zu einer nachhaltigen Wirtschaft (Binswanger 2009), einer Postwachstumsökonomie (Paech 2013) oder zur Suffizienzstrategie (Sachs 1993; Linz 2004; Linz 2013) reichen kaum über die von Immler herausgearbeiteten Widersprüchlichkeiten im reduktionistischen und ideologischen Naturverständnis kapitalistischer Systeme hinaus. Binswanger widmet in deutlicher gedanklicher Nähe zu Immler ein ganzes Kapitel der „Ausblendung der Natur aus der ökonomischen Theorie“ (Binswanger 2009, 73 ff.). Paech spricht ebenfalls analog zu Immler von einer „Selbsttäuschung“ ökonomischer „Errungenschaften“ (Paech 2013, 10). Linz charakterisiert den Suffizienzgedanken als „ein neues Verständnis von Werten und Wohlstand, die Freiheit zum Genug und das Anerkennen, dass die Inanspruchnahme der Natur Grenzen hat“ (Linz 2013, 26). Der Suffizienzgedanke erscheint als ein weiterer Baustein im bereits oben kritisierten Nachhaltigkeitsdiskurs; Suffizienz mag im Hinblick auf eine Lösung der gesellschaftlichen Naturkrise durchaus eine Lösungsperspektive darstellen, bedarf aber einer gründlichen Reflektion der Gründe, warum sich die gegenwärtige Gesellschaft bis heute nicht aus ihren Wachstumszwängen befreien konnte.
Nach Immler verführt der gegenwärtige Produktivkraftbegriff die Menschen zu der Wahnvorstellung, man könne die Produktivkraft der Natur einfach ignorieren. Der umstrittene „Erfolg“ der Industriegesellschaften in Form einer Steigerung ihres Bruttosozialprodukts ist jedoch naturgesetzlich durch den Faktor „Zeit“ begrenzt. Selbst wenn man nur äußerst geringe Mengen von Rohstoffen verbraucht, werden die nicht nachwachsenden Stoffe einmal erschöpft sein. Auch das sogenannte Recycling löst dieses Problem nur in begrenztem Umfang. Erforderlich ist also ein verändertes Produktivkraftverständnis, das den unauflösbaren Zusammenhang zwischen Natur und Arbeit anerkennt. Hierfür ist es erforderlich, dass die arbeitenden Menschen diesen engen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und den Wirkungen auf die Natur zunächst einmal erkennen und zugleich den Beitrag der Natur zur Produktion, insbesondere den Teil, den sie zwangsläufig durch jede Arbeit verändernd zerstören, sehen und wertschätzen.
In der vorliegenden Untersuchung stellte sich auf dieser theoretischen Grundlage die Frage, welches Verständnis von Natur junge Menschen am Beginn ihres Berufslebens mitbringen und in wie weit dieses Naturverständnis letztlich den hier dargestellten Konsequenzen gerecht wird, ob ihnen der Zusammenhang ihrer beruflichen Arbeit und dem Verbrauch oder die Zerstörung der Natur im Kontext der Produktion überhaupt bewusst ist. Des Weiteren sollten die Forschungsergebnisse Auskunft darüber geben, ob die Auszubildenden Möglichkeiten sehen, auf diese Prozesse aktiv und mit Erfolgschancen Einfluss zu nehmen.
1.3 Die Bedeutung des Naturverständnisses
In einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie „Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung“ (BBnE) heißt es, in der beruflichen Umweltbildung dominiere „ein instrumentelles Naturverständnis“ (BMBF 2001). In erster Linie geht es hierbei um Stoff- und Energieströme, um Emissionen, den Umgang mit Gefahrstoffen und Abfallwirtschaft. Flora und Fauna, die Besonderheiten einzelner Tier- und Pflanzenarten sowie deren (Über-) Lebensbedingungen kommen in der BBnE im Prinzip nicht vor. Auch umweltethische Reflexionen und die Frage, welches Lebens- und Entfaltungsrecht nichtmenschlichen Lebewesen eingeräumt werden soll, spielen hier – wenn überhaupt – eher eine geringe Rolle (ebd., 76). Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung sind das festgestellte instrumentelle Naturverständnis und die fehlende Auseinandersetzung mit anderen Fragestellungen zum Verhältnis von Natur und Arbeit völlig unzureichend.
Wie die Kulturgeschichte des Menschen zeigt, sind der Begriff und das Verständnis von Natur ausgesprochen vielschichtig. Jede historische Epoche hat ein eigenes Naturverständnis und – daraus resultierend – ein eigenes Naturverhältnis hervorgebracht (Radkau 2000). Die Frage nach dem Verständnis der Natur ist grundlegend für das Naturverhältnis der Gesellschaften beziehungsweise der Menschen und für das Problem einer nachhaltigen Entwicklung. In der Sichtweise, im Zugang, in der Perspektive, mit der man sich der Natur nähert, liegt eine besondere ethische Relevanz. „Schon (a) im Vorverständnis von Natur, im Zugang zur Natur und (b) im Vollzug des Umgangs mit Natur sind ethische und normative Momente zu finden – und nicht erst in (c) den Folgen von Naturwissenschaft und Technik auf Natur und Lebenswelt, wie es in der Technikfolgenforschung heute oftmals unterstellt wird“ (Schmidt 2000, 89). Entsprechend seinem jeweiligen Naturverständnis agiert und handelt der Mensch in der Natur und gestaltet sie. „Je nachdem wie der Mensch ‚Natur’ versteht, wird er über ‚Natur’ verfügen, und im Verfügen über die Natur verfügt er zugleich über die Bedingungen seines eigenen Lebens“ (Picht 1993, 94). Im Hinblick auf eine zielgerichtete BBnE wäre es aus dieser Perspektive wichtig zu untersuchen, wie Auszubildende gegenwärtig ihre Arbeit im Verhältnis zur Natur sehen und bewerten und wie sie die Handlungsmöglichkeiten zu einer Veränderung eines gegebenenfalls im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung problematischen Arbeits- und Produktionsprozesses beurteilen. Die Sichtbarmachung und Klärung des Naturverständnisses von Auszubildenden wäre ein wichtiges Desiderat im Hinblick auf die BBnE; denn der Erfolg einer BBnE-Strategie hängt davon ab, welches Verständnis und welches Bewusstsein von Natur und welche Sichtweise Auszubildende auf das Verhältnis zwischen Arbeit und Natur haben beziehungsweise situativ einnehmen. Wenn sich Auszubildende als zukünftige Arbeitnehmer als „Treuhänder der Natur“ verstehen, müssten sie ein integrales Bewusstsein zur Natur entwickeln. Hierfür benötigen sie
- eine möglichst genaue Kenntnis der natürlichen Gegebenheit und der Einbindung ihres Arbeitshandelns in die Naturprozesse
- ein Gefühl für ihr eigenes Arbeitshandeln, das sie als eingebunden in den natürlichen Lebenszusammenhang erkennen müssten
- ein Bewusstsein für den Eigenwert natürlicher Gegebenheiten, der nicht unreflektiert und ohne Grund durch das Arbeitshandeln verändert werden darf
- die Bereitschaft, auch auf Arbeitshandlungen ggf. zu verzichten, sofern die zerstörerischen Wirkungen auf die Natur nicht abschätzbar sind
- ein Wertbewusstsein von Ehrfurcht vor der Natur, das ihnen ein Handeln mit Empathie und Maß ermöglicht (vgl. Gottwald 1997, 266).
Angesichts der sich zuspitzenden gesellschaftlichen Naturkrise (Binder 1981; Fetscher 1985; Fischer-Kowalski u.a. 1997; Taylor 2005; Vogel 2011) sind politische und pädagogische Lösungsansätze vonnöten, die geeignet sind, gesellschaftliche Umdenkprozesse und einen Wandel der Lebens- und Arbeitsweisen hervorzubringen, die mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen aller Lebewesen kompatibel sind. Gesellschaften wohlhabender (post-)industrieller Nationen sind insbesondere in der Verantwortung, durch geeignete politische Entscheidungen den Gefährdungen von Mensch, Flora und Fauna entgegenzuwirken und zu einer langfristigen Sicherung der Lebensgrundlage aller beizutragen. Somit sind auch (berufs-)pädagogische und bildungspolitische Gestaltungsräume in Deutschland auszuloten, die den Blick auf geeignete Instrumente oder Lösungsansätze lenken und damit einen konstruktiven Beitrag leisten. Hier setzt das Forschungsprojekt „Naturbildung im Beruf“ – fortan kurz „NaBiBer“ – an, das neue Perspektiven für eine Berufsbildung in der gesellschaftlichen Naturkrise sucht. Durch die Untersuchung und Offenlegung der normativen Prämissen und Konsequenzen eines vorhandenen Naturverständnisses von Auszubildenden lassen sich Ansätze hinsichtlich einer möglichen und notwendigen Veränderung von Naturvorstellungen durch eine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung formulieren. Auf Basis der Analyse des Naturverständnisses von Auszubildenden werden mögliche Defizite einer gegenwärtigen Didaktik beruflicher Bildung aufgespürt und Lösungsansätze angesichts der gesellschaftlichen Naturkrise sowie neue Perspektiven auf Natur und Arbeit(sprozesse) entwickelt. Als eine mögliche Option wird ein Transfer eines neuen didaktischen Konzepts beruflicher Bildung vorgeschlagen, das im Rahmen einer berufsbildungstheoretischen Untersuchung unter der Bezeichnung einer „naturgemäßen Berufsbildung“ (Vogel 2011) entwickelt wurde.
2 Design der Untersuchung
2.1 Forschungsstand
Untersuchungen zum Naturverständnis von Auszubildenden und zum Vorhandensein sowie zur Entwicklung von Kompetenzen im Hinblick auf die Gestaltung von Natur sind für den Bereich der beruflichen Bildung bisher nicht durchgeführt worden. Eine qualitative Befragung Auszubildender aus dem Jahr 2000 liegt vor, die auf deren Umweltbewusstsein zielte (Lappe/Tully/Wahler 2000). Des Weiteren werden in aktuelleren Untersuchungen Bezüge zu Naturkenntnissen, zum Naturverständnis sowie zur Werthaltung gegenüber Natur von Kindern und Jugendlichen hergestellt (Brämer 2010). Für den „Jugendreport Natur 2010“ wurden 3032 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsklassen 6-9 anhand von 150 Fragen zu ihren Naturkenntnissen, zum Naturverständnis und -bewusstsein sowie zur Nachhaltigkeit befragt. Die Studie zeigt, dass junge Menschen gravierende Defizite im Alltagswissen über Kosmos, Wild, Wald, Landwirtschaft und Garten besitzen, stellt zusammenfassend „eine erschreckende Naturvergessenheit“ (ebd., 3) fest und macht deutlich, dass in diesem Bereich ein großer Entwicklungsbedarf besteht.
2.2 Forschungsdesign
Die NaBiBer-Studie stellt eine erste Untersuchungsphase eines umfassenderen Forschungsvorhabens dar. In einer quantitativen und darauf aufbauend zusätzlich geplanten qualitativen Studie soll das Naturverständnis von Auszubildenden verschiedener beruflicher Fachrichtungen im dualen System analysiert werden. Außerdem soll in Expertengesprächen untersucht werden, wie gegenwärtig in der Berufsbildungspraxis ein Verständnis für die Einbindung von menschlichen Arbeits- in Naturprozesse, deren Auswirkungen sowie eine Werthaltung bezüglich einer nachhaltigen Entwicklung von Produktions- und Dienstleistungsprozessen gefördert wird.
Für die Untersuchung des Naturverständnisses wurde ein Fragebogen mit 58 Fragen entwickelt. Die Fragestellungen zielten auf die Bereiche eines allgemeinen Naturverständnisses der Auszubildenden, auf die Einschätzung eigener Kenntnisse über Natur und Arbeit und auf ihre Bereitschaft zur persönlichen Verantwortungsübernahme bei der Gestaltung von nachhaltigen Naturprozessen durch ihre Arbeit.
Ein Teil der Fragestellungen wurden aus einer bundesweiten durchgeführten Umfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und des Bundesamts für Naturschutz (BfN) zum Naturbewusstsein übernommen (BMUB/BfN 2014). Die Befunde der „Naturbewusstseinsstudie 2013“ wurden auf Basis der Aussagen einer repräsentativen Stichprobe von 2.007 Personen aus der deutschsprachigen Wohnbevölkerung formuliert, wobei Menschen ab 18 Jahren aus allen Regionen Deutschlands und in allen soziodemographischen Lagen berücksichtigt wurden. Der Vorteil einer teilweisen Übernahme von Fragestellungen dieser Studie bestand darin, dass diese Fragestellungen einerseits wissenschaftlich erprobt waren. Gleichzeitig wurde es dadurch möglich, die Forschungsergebnisse zum Natur- und Nachhaltigkeitsbewusstsein von Auszubildenden mit dem Bundesdurchschnitt zu vergleichen. Ein weiterer Teil der Fragestellungen, deren Auswertung Gegenstand dieses Beitrags ist, zielte auf die spezifische Sicht der Auszubildenden auf das Verhältnis von Natur und Arbeit sowie ihren diesbezüglichen Kenntnisstand und Informationsbedarf.
Die Befragung wurde im Herbst 2015 unter 1475 Auszubildenden an Berufsbildenden Schulen dreier unterschiedlicher Wirtschaftsregionen (Industrieregion/eher ländlich strukturiert/Großstadt) durchgeführt. Die technische Umsetzung der Online-Befragung erfolgte mithilfe einer open source-Anwendung.
2.3 Teilnehmer_innen-Merkmale
Die Teilnehmer_innnen stammten aus insgesamt sechszehn Berufsfeldern, wobei die Verteilung auf die einzelnen Berufsfelder nicht gleichmäßig paritätisch/gewichtet ausfiel. Die Befragten der Untersuchung waren junge Auszubildende, wobei ein Großteil (45 %) der Befragten sich aus der Altersgruppe der zwischen 18- bis 20-Jähriger rekrutieren ließ. Eine signifikant große Teilgruppe von 16 % war älter als 24 Jahre. Im Hinblick auf den bisher erreichten Schulabschluss gaben die meisten Auszubildenden (42,2 %) den Realschulabschluss an. 33,7 % hatten die allgemeine, 13,4 % die Fachhochschulreife. Eine Minderheit von 9,4 % besaß den Hauptschulabschluss. Ohne Abschluss waren 0,9 %, einen Sonderschulabschluss gaben 0,3 % der Befragten an. 57 % der Teilnehmenden ordneten sich dem männlichen und 43 % dem weiblichen Geschlecht zu.
Die Verteilung der Auszubildenden auf die verschiedenen Berufsfelder war sehr heterogen. 49 % der Befragten gehörten zum Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung und 31,8 % befanden sich in einem technischen Ausbildungsberuf. Ein relativ kleiner Teil der Befragten von 5 % absolvierte eine Ausbildung in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Pflege, Ernährung oder Agrar. Ein großer Teil (47 %) der Befragten befand sich zum Zeitpunkt der Befragung noch im ersten Ausbildungsjahr. 25 % durchliefen das zweite Ausbildungsjahr und 28 % befanden sich im letzten (3./4.) Ausbildungsjahr. Eine relativ hohe Zahl von Befragten (14,2 %) hat sich keinem der vorgegebenen Berufsfelder zugeordnet.
Aus dem Sample kann zwar keine Repräsentativität für alle Auszubildenden, die ihre Ausbildung in Deutschland erhalten, abgeleitet werden. Die hohe Teilnehmer_innenanzahl und die Streuung der befragten Gruppen ermöglicht jedoch Aussagen über Trends zum Naturverständnis von Auszubildenden und ihre Sicht auf das Verhältnis von Natur und Arbeit und liefert aussagekräftige Antworten auf die Forschungsfragen.
3 Ergebnisse der Untersuchung
3.1 Wie sehen Auszubildende das Verhältnis zwischen ihrer Arbeit und der Natur?
Die Frage, wie Auszubildende das Verhältnis ihrer Arbeit zur Natur einschätzen, erschließt uns Einblicke, ob sie den Zusammenhang zwischen beiden Bereichen und die Eingebundenheit menschlicher Praxis erkennen und gegebenenfalls auch in Form einer Werthaltung anerkennen. Bei einigen Arbeiten/Tätigkeiten wie zum Beispiel dem Tischler/der Tischlerin ist der Zusammenhang zwischen Arbeit und Naturveränderung unmittelbar einsichtig, bei anderen wie dem Bankkaufmann/der Bankkauffrau ist er vielfältig vermittelt und nur schwer nachvollziehbar. Entgegen der eingangs erörterten Tatsache sind etwa drei Viertel (74,2 %) der Auszubildenden der Auffassung, dass ihre Arbeit/Tätigkeit in der Ausbildung nur wenig mit dem Schutz und der Nutzung der Natur zu tun hat (s. Abb. 1). Die weit überwiegende Zahl der Auszubildenden sieht also kaum einen Zusammenhang zwischen Natur und Arbeit. In diesem Ergebnis wird unter anderem sehr deutlich, dass das gesellschaftliche und natürliche Leben des Menschen von Entfremdung geprägt ist.
Entfremdung bezieht sich nicht nur auf die Arbeitsverhältnisse, sondern auch auf das Verhältnis des Menschen zur eigenen wie zur Gesamtnatur. Karl Marx hatte in der Entfremdung nicht allein ein gesellschaftspolitisches Problem gesehen, sondern hierin auch die Entfremdung des Menschen von der Natur erkannt. Marx stellte fest, dass die Menschen durch die Entfremdung der Arbeit zugleich vom eigenen Leib, von der äußeren Natur und von ihrem Wesen entfremdet werden. Er sieht die Entfremdung des Menschen von der Natur im Kontext der entfremdeten Arbeitsverhältnisse, in denen die eigene Arbeit nicht als schöpferische Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und des eigenen Wesens gesehen wird, sondern als eine Entselbstung der eigenen Kräfte erfahren wird (vgl. MEW 1956 ff., EB 1, 516 f.). Die produzierten Güter werden in der höchst ausdifferenzierten, arbeitsteiligen Industriegesellschaft nicht als bewusste menschliche Gestaltung der Natur erfahren, die Marx als wesentliches Ziel menschlichen Gattungslebens betrachtete. Die Arbeitsverhältnisse spiegeln vielmehr eine Zerstückelung der Arbeits- und Lebenszusammenhänge wieder, in denen die äußere Natur kaum eine Rolle spielt.
Diese Zerstückelung von Arbeits- und Lebenszusammenhängen, wie sie in der kapitalistischen Industrie- und Konsumkultur verbreitet ist, liefert eine mögliche Erklärung dafür, warum fast drei Viertel der Auszubildenden keine Zusammenhänge zwischen ihren Arbeitstätigkeiten und den natürlichen Lebensgrundlagen erkennt. Die Arbeitsprozesse in der entwickelten Industriegesellschaft sind so vielfältig vermittelt und nahezu undurchschaubar, dass den jungen Menschen die vielfältigen Verbindungen zwischen Arbeit und Natur fremd erscheinen. Berufliche Bildungsprozesse, die über die Ursachen und mögliche Lösungen der ökologischen Krise aufklären, müssten zunächst an dieser Problemstellung ansetzen; denn nur wenn die jungen Menschen diese Zusammenhänge erkennen und verstehen, können sie auch entsprechend verantwortungsbewusst handeln. Um die Einbindung der eigenen Arbeit in einem zerstückelten Ablauf zu durchschauen, soziale und ökologische Folgen der eigenen Arbeit zu sehen und hierdurch zumindest kognitiv eine Vorstellung der Verbindung zwischen Arbeit und Natur zu entwickeln, sollte man in der beruflichen Bildung grundsätzlich mit den Auszubildenden Produktlinienanalysen durchführen oder Produktfolgematrizes erstellen (vgl. Müller-Witt 1985; Vogel 1997).
3.2 Wie beurteilen Auszubildende die Auswirkungen menschlicher Arbeit?
Bei dieser Fragestellung geht es um die grundsätzliche Perspektive: Ob und inwieweit der Mensch durch seine (berufliche) Tätigkeit der Natur Schaden zufügt. Zur Selbsterhaltung war und ist der Mensch ebenso wie alle Lebewesen auf der Erde gezwungen, sich Teile der Natur in Form von Nahrung und Rohstoffen anzueignen, sie umzuformen und dabei eben auch zu zerstören. Der Mensch ist deshalb, wie es der Sachverständigenrat für Umweltfragen formuliert, zuallererst „auf Ausbeutung programmiert“ (Sachverständigenrat 1987, 124). Probleme aus der Grundtatsache des vorhandenen Selbsterhaltungstriebs des Menschen ergeben sich erst dann, wenn der Mensch aufgrund technischer Möglichkeiten und/oder durch Zunahme der Bevölkerung seinen Lebensraum überbeansprucht und dadurch selbst zur Gefährdung seiner Lebensgrundlagen beiträgt. Allerdings tritt dieses Phänomen erst in der neueren Zeit auf. In der bisherigen Menschheitsgeschichte seit der Phase des menschlichen Jäger- und Sammler-Daseins war eine Überbeanspruchung des Lebensraums aufgrund einer geringen Eingriffskapazität und einer relativ geringen Bevölkerungszahl kaum möglich. Die Menschheit war in dieser Phase ihrer Geschichte nicht in der Lage, sich selbst zu gefährden. Eine natur- und ressourcenschonende Werthaltung, wie sie heute im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung gefordert wird, war zum Beginn der industriellen Revolution nicht not-wendig. Es war, wenn man es auch aus pädagogischer Perspektive betrachtet, nicht erforderlich, entsprechende Wertorientierungen zu fördern beziehungsweise auszubilden.
Entsprechend der bei der vorherigen Frage festgestellten mehrheitlichen Auffassung der Auszubildenden, dass ihre Arbeit nur wenig mit dem Schutz oder der Nutzung der Natur zu tun hat, glaubt auch nur eine Mehrheit von ihnen (tendenziell ein gutes Drittel, 36,7 %), dass sie mit ihrer Arbeit der Natur Schaden zufügen (s. Abb. 2). Knapp zwei Drittel der Auszubildenden stimmen der Aussage, dass sie mit ihrer Arbeit der Natur Schaden zufügen,
überhaupt nicht (19,3 %) oder eher nicht (44,0 %) zu. Dieses Ergebnis ist zunächst sowohl gesellschafts- und bildungspolitisch wie auch bildungstheoretisch von besonderer Bedeutung; denn es führt zur Problemstellung, welche Funktion und welche Ergebnisse man überhaupt durch eine Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung erreichen kann, wenn den meisten Auszubildenden ein Problembewusstsein für den Zusammenhang von Naturveränderung / -zerstörung und eigener Arbeitstätigkeit fehlt.
Die Antworten der Auszubildenden auf die Frage, ob man ihre Arbeit naturverträglicher gestalten könnte (s. Abb. 3), stehen in einem gewissen Widerspruch zu ihrer Einschätzung, der Natur durch die eigene Arbeit Schaden zuzufügen; denn obwohl 63,3% der Auszubildenden der Meinung sind, dass sie mit ihrer Arbeit der Natur keinen Schaden zufügen, glauben dementgegen 56,9% von ihnen (17,4% stimmen voll zu, 39,5% stimmen eher zu), dass es in
ihrer Arbeit Bereiche gäbe, die man naturverträglicher gestalten könnte. Diese 56,9 % sehen also durchaus in ihrem Arbeitsumfeld Bereiche, in denen man durch ein anderes Vorgehen der Natur letztlich weniger Schäden zufügen würde. Es mag nun sein, dass die Auszubildenden, die die Meinung vertreten, mit ihrer Arbeit der Natur keinen Schaden zuzufügen, in ihrem breiteren (nicht unmittelbaren) Arbeitsumfeld durchaus Bereiche sehen, die man naturverträglicher gestalten könnte. Bemerkenswert ist, dass eine deutliche Mehrheit der Auszubildenden überhaupt in der Arbeit Bereiche erkennt, die naturverträglicher gestaltet werden könnten.
Dieses Ergebnis zeigt zumindest, dass eine deutliche Mehrheit der Auszubildenden das Arbeitsumfeld reflektiert betrachtet, Defizite erkennt und Alternativen für andere, naturverträglichere Vorgehensweisen zumindest benennen kann. Hier könnte eine tiefergehende qualitative Untersuchung ansetzen, wo Auszubildende Möglichkeiten sehen, ihr Arbeitsumfeld naturverträglicher zu gestalten, welche Vorkenntnisse sie mitbringen, um solche Probleme beurteilen zu können und warum sie (gegebenenfalls nicht) aktiv werden, um einzelne Bereiche entsprechend umzugestalten.
3.3 Wie hoch ist die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme?
Die Frage nach der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme und zum aktiven Handeln in Beziehung zur Nutzung und/oder Schädigung von Natur durch Arbeit rückt immanente Diskrepanzen und Verwerfungen der modernen Arbeitswelt in den Fokus. In unserer arbeitsteilig stark ausdifferenzierten Arbeitswelt erscheint eine Verantwortungsübernahme und selbstbestimmtes ethisches Handeln nahezu ausgeschlossen, zumindest aber für den Einzelnen schwer möglich.
Verantwortung stellt für die Lösung der industriellen Naturkrise eine zentrale Kategorie dar. Als Voraussetzung einer wie auch immer gearteten Lösung dieser Krise gehört die Reflexion über die Realisierungsbedingungen von Verantwortung in Gesellschaft und Arbeitswelt. Der Begriff der Verantwortung beinhaltet die Reflexion über die Beziehung des Menschen zur Gesellschaft, zur Natur und zu sich selbst (vgl. Baran 1990, 690). Grundsätzlich geht man in der Philosophie davon aus, dass der Mensch die Fähigkeiten und Mittel besitzt, die Wirklichkeit rational zu interpretieren und die Welt vernünftig zu beherrschen. Als Bedingung von Verantwortung ist kausale Macht erforderlich: „Der Täter muss für seine Tat antworten [...]“ können (Jonas 1984, 172). Für die Zurechnung von Verantwortung ist es notwendig, dass jemand aktive Ursache gewesen ist und in enger kausaler Verbindung mit der Tat stand. Die Folge einer Tat darf sich nicht im Unvorhersehbaren verlieren (vgl. ebd.). Aber gerade der Zusammenhang zwischen der Tat und ihren zurechenbaren Folgen innerhalb von arbeitsteilig organisierten Produktionsprozessen stellt für die Lösung der Naturkrise ein Problem dar. Die zunehmende Komplexität und Kompliziertheit der Produktionsprozesse hat die Verantwortlichkeit für Folgen und Nebenfolgen in das Unvorhersehbare verdrängt. Die Parzellierung der Arbeit konnte in den vergangenen Jahren durch Neuzusammensetzung und Aufwertung der Arbeit, durch technische Selbstverwaltung komplexer Aufgaben in autonomen und teilautonomen Gruppen teilweise aufgehoben werden (vgl. Kern/Schumann 1985). Eine „makrosoziale Arbeitsteilung“ führt jedoch nach wie vor dazu, „dass die Masse der in einem Industrieprodukt – selbst in einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand – verkörperten Wissens bei weitem die Aufnahmefähigkeit eines einzelnen oder auch Tausender einzelner übersteigt“ (Gorz 1989, 86) und den Nachvollzug der Folgen und Nebenfolgen von Arbeit verhindert. In Großorganisationen, die in arbeitsteilig differenzierten Prozessen ihre Waren produzieren, ist Verantwortung meist kaum noch persönlich zuzuordnen. Die Menschen werden hier mehr oder weniger zu reinen Funktionären degradiert, die auf das, was sie tun und bewirken, kaum noch unmittelbar Einfluss haben und deshalb auch keine Verantwortung für ihr tun übernehmen können. Ihnen fehlt die kausale Macht als Grundlage für die Übernahme von Verantwortung. Deshalb fühlen sich die Auszubildenden auch kaum dafür verantwortlich, wenn sie durch ihre Arbeit der Natur
Schäden zufügen (s. Abb. 4). Knapp 63 % von ihnen stimmen der Aussage eher nicht oder überhaupt nicht zu, für die Schäden, die sie durch ihre Arbeit der Natur zufügen, sich verantwortlich zu sein. Umgekehrt fühlen sich lediglich rund 37 % dafür mehr oder weniger verantwortlich, dass sie durch ihre Arbeit möglicherweise Schäden an der Natur hervorrufen. Was die Einzelnen hierbei unter Schäden verstehen und inwiefern sie ihre eigene Verantwortung in den Gesamtkontext des Arbeitsprozesses einordnen, konnte durch die Fragestellung nicht ergründet werden und müsste durch eine qualitative Folgeerhebung näher untersucht werden. Es ist jedoch bemerkenswert, dass nahezu zwei Drittel der Auszubildenden kaum oder keine eigene Verantwortlichkeit für den Zusammenhang von Natur und Arbeit sehen. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die Frage, welche Wirkungen eine Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung bei dieser Gruppe von Auszubildenden erzeugen könnte. Wenn die Einzelnen keine eigene Verantwortung erkennen (können), wären sie vermutlich nur für explizite gesetzliche Vorschriften zum Umweltschutz in Arbeitsprozessen zugänglich. Es würde sich hierbei die Frage stellen, ob Auszubildende gesetzliche Vorschriften auch dann einhalten, wenn ihre Nichtbeachtung keine persönlichen negativen Konsequenzen hätte. In jedem Fall zeigt das Ergebnis der Befragung, dass den Auszubildenden die Einsicht der eigenen Verantwortlichkeit für mögliche Schäden durch Arbeitshandeln – unabhängig davon, ob sie rechtlich geregelt sind oder nicht – stärker durch Bildungsprozesse aufgezeigt werden müsste. Solche Einsicht wäre auch erforderlich, um die Auszubildenden für die nachhaltige Gestaltung von Arbeitsprozessen auf anderen Ebenen, die sie nicht unmittelbar beeinflussen können, zu sensibilisieren.
Solche Aufklärung wäre auch deshalb dringlich, weil knapp ein Viertel der Auszubildenden Arbeiten übernehmen würden, durch die sie offen erkennbar der Natur schaden (s. Abb. 5). 24,3 % der Auszubildenden sagten, die Aussage „Ich übernehme keine Arbeiten, die die Natur gefährden könnten.“ treffe für sie überhaupt nicht zu. Diese Gruppe ist sich also bewusst, dass sie durch ihr Arbeitshandeln der Natur schadet; sie sieht aber vermutlich keine direkten Möglichkeiten zu einer anderen Handlungsweise. Nimmt man die Gruppe von Auszubildenden hinzu, für die die Aussage eher nicht zutrifft – das sind noch einmal 41,8% –, dann nehmen insgesamt rund zwei Drittel der Auszubildenden bewusst immer oder gelegentlich in Kauf, der Natur durch ihre Arbeit zu schaden. Auch wenn die Antworten keine Rückschlüsse auf die Quantität und die Qualität der naturgefährdenden Arbeiten zulassen, ist dieses Ergebnis alarmierend. Diese Gruppe nimmt zumindest die naturgefährdenden Auswirkungen ihrer Arbeit bewusst wahr und gerät bei der Arbeit permanent – sofern sie zugleich ein ökologisches Bewusstsein besitzen – in Gewissenskonflikte.
Einem Anteil von 60,2% der Auszubildenden wäre es sehr wichtig oder eher wichtig, dass die Verfahren, Produkte und Dienstleistungen, an denen sie mit ihrer Arbeit beteiligt sind, mit der Natur verträglich sind (s. Abb. 6). Es scheint also vielen Auszubildenden durchaus von Relevanz zu sein, mit ihrer Arbeit an naturverträglichen Produktionsverfahren oder
Dienstleistungen beteiligt zu sein. Womöglich wünschen sich die Auszubildenden ein Arbeitsumfeld, in dem sie mit einem guten Gefühl und einem ruhigen Gewissen tätig sein können.
Die Antworten der Auszubildenden auf die verschiedenen Aspekte von Verantwortung deuten an, dass sich viele von ihnen über die Widersprüchlichkeit ihrer eigenen Arbeitssituation bewusst sind. Sie scheinen sich über das moralische Dilemma, Arbeiten ausführen zu müssen, durch die sie der Natur schaden, ohne viel an dieser Situation ändern zu können, bewusst zu sein. Gleichzeitig wünscht sich jedoch die Mehrheit der Auszubildenden ein naturverträgliches Arbeitsumfeld.
3.4 Welchen Informationsbedarf zum Wechselverhältnis Natur-Arbeit sehen Auszubildende?
Um überhaupt in Arbeitsprozessen nachhaltig agieren und Verantwortung übernehmen zu können, ist eine möglichst genaue Kenntnis natürlicher Gegebenheiten erforderlich. Die Auszubildenden müssten wissen, wie die jeweiligen Betriebsabläufe in Naturprozesse eingebunden sind und welche Folgen und Nebenfolgen diese auf die Natur haben. In diesem Frageblock wurde deshalb untersucht, wie die Auszubildenden selbst ihren diesbezüglichen Kenntnisstand beurteilen und welchen eigenen Informationsbedarf sie sehen.
Zunächst wurden die Auszubildenden gefragt, wie wichtig es für sie ist, mehr über mögliche naturschädigende Einflüsse ihrer Arbeit zu erfahren. 57,6% der Auszubildenden gaben auf diese Frage an, es wäre für sie sehr oder eher wichtig, mehr über solche Einflüsse zu erfahren (s. Abb. 7). Die Auszubildenden spiegeln mehrheitlich den Eindruck wieder, nicht hinreichend über die ökologischen Folgen ihrer Arbeit informiert zu sein und wünschen sich weitergehende Aufklärung über naturschädigende Auswirkungen durch ihre Arbeit. Bedenkt man, dass Auszubildenden erfahrungsgemäß nicht immer und grundsätzlich ein ausgeprägtes Interesse an außercurricularen, zusätzlichen Lerninhalten mitbringen, erscheint dieses Ergebnis sehr
bedeutsam. Vermutlich bringen die Auszubildenden hiermit nicht allein ein individuell spürbares Wissensdefizit zum Ausdruck, sondern sehen auch Möglichkeiten, durch mehr Informationen entsprechend verantwortungsbewusster handeln zu können. Lediglich 34,8% der Auszubildenden scheint es eher oder vollkommen unwichtig zu sein, mehr über mögliche naturschädigende Einflüsse ihrer Arbeit zu erfahren. Diese Gruppe ist entweder der Überzeugung, schon hinreichend informiert zu sein, oder hat eine eher resignative Haltung entwickelt nach dem Motto, man könne auch durch weitere Information keinen Einfluss auf die Situation gewinnen.
Unabhängig davon, wie man die Ergebnisse zum Informationsbedarf über die Folgen der eigenen Arbeit auch interpretiert, zeichnet sich insgesamt bei der Befragung der Auszubildenden ein großes Interesse daran ab, über die Auswirkungen ihrer Arbeit auf Natur und die Möglichkeiten einer naturverträglicheren Arbeitsweise mehr zu erfahren (s. Abb. 8). Viele Auszubildende zeigen nicht nur ein großes Interesse an den Folgen ihrer gegenwärtigen Arbeit, sondern auch an möglichen alternativen Arbeitsverfahren oder Dienstleistungen. Auf die Fragestellung, inwieweit es für sie wichtig sei, mehr über naturverträgliche Arbeitsverfahren/Dienstleistungen zu lernen, geben 61,5% der Auszubildenden an, dies sei für sie sehr (17,4 %) oder eher (44,1 %) wichtig. Eine deutliche Mehrheit der Auszubildenden scheint also ein Problembewusstsein in Hinblick auf das Verhältnis von Natur und Arbeit zu besitzen.
Lediglich 31,8% halten es für eher oder ganz unwichtig, mehr über naturverträglichere Arbeitsverfahren oder Dienstleistungen zu lernen. Auch hier gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Möglicherweise sind diese Auszubildende der Ansicht, bereits genug über naturverträgliche Arbeitsverfahren zu wissen und sind auch überzeigt, dass ein solches Wissen eher wenig hinsichtlich Veränderungen oder Alternativen nützen würde. Möglich ist auch, dass sie einfach „lernmüde“ sind oder ihr Antwortverhalten nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Problem steht. Eine qualitativ angelegte Untersuchung könnte diesen spekulativen Interpretationen auf den Grund gehen.
Bekanntlich haben Inhalte, die in Abschlussprüfungen abgefragt werden, für Auszubildende grundsätzlich eine größere Bedeutung, weil sie über den weiteren beruflichen Werdegang mitentscheiden. Deshalb kann man durch die Frage, ob Kenntnisse und Fähigkeiten über naturverträgliche Arbeitsverfahren und Dienstleistungen künftig auch in Abschlussprüfungen mehr Gewicht erhalten sollten, die Ernsthaftigkeit, die Auszubildenden dem Problem beimessen, besser beurteilen. unter anderem die Ernsthaftigkeit, die sie dem Problem beimessen, besser zu beurteilen. Zwar sind solche Prüfungen tendenziell für Auszubildende etwas Unangenehmes, aber oft sind sie der Auffassung, dass Inhalte abgeprüft werden sollen, die sie selbst als sinnvoll und interessant halten. Insofern ist die Frage, wie wichtig es für die Auszubildenden wäre, dass Kenntnisse über naturverträgliche Arbeitsverfahren und Dienstleistungen auch in Abschlussprüfungen mehr Gewicht erhalten, ein Gradmesser für die Bedeutung des Problems. Vor diesem Hintergrund ist es überraschend und im Hinblick
auf eine Problemlösung tendenziell positiv zu bewerten, dass es für 45,1 % der Auszubildenden sehr oder eher wichtig ist, solchen Inhalten und Fähigkeiten in Abschlussprüfungen mehr Gewicht zu verleihen (s. Abb.9). Andererseits ist für etwa die gleiche Anzahl von Auszubildenden (45,7 %) diese Frage eher oder auch ganz unwichtig. Eine Erklärung für dieses Antwortverhalten könnte darin bestehen, dass Prüfungen und die hierin abgefragten Kenntnisse für Auszubildende grundsätzlich negativ konnotiert sind, d.h. die Auszubildenden sind nicht daran interessiert, das Prüfungswissen auszudehnen.
Insgesamt ist die Befragtengruppe also im Hinblick auf die Bedeutung der Prüfungsrelevanz des Themas „Naturverträgliche Arbeitsverfahren und Dienstleistungen“ geteilt, wobei sich ein hoher Anteil von 9,2 % der Auszubildenden bei dieser Frage nicht festgelegt hat. Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung, die ja allgemein als notwendig angesehen und politisch weitgehend unumstritten ist, ist es wichtig, dass das Thema „Naturverträgliche Arbeitsverfahren und Dienstleistungen“ zukünftig verstärkt in Prüfungen aufgenommen wird. Insofern ist es positiv zu bewerten, dass bereits knapp 50 % der Auszubildenden sich für eine Aufnahme dieses Themenbereichs in die Abschlussprüfungen aufgeschlossen zeigt.
4 Berufspädagogische Schlussfolgerungen und weiterführende Fragen
Die hier dargestellten zentralen Befunde der NaBiBer-Untersuchung zeigen auf, wie bedeutsam das Naturverständnis von Auszubildenden für ihr persönliches und berufliches Handeln im Hinblick auf eine Lösung der gesellschaftlichen Naturkrise anzusehen ist und wie berufspädagogische Impulse dieses Verständnis aufgreifen und konstruktiv nutzen können. Die Untersuchung liefert umfangreiches Material für eine Diskussion über eine kritische Sicht auf die Ergebnisse der gegenwärtig praktizierten Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung und für eine Reform der Berufsbildung, die einen wirksameren Beitrag zur Lösung der gesellschaftlichen Naturkrise in Erwägung zieht. Auf Basis der Befunde zum Naturverständnis der jungen Auszubildendengeneration sind wertvolle Impulse für die berufliche Bildung und auch für die Bildungspolitik erkennbar, die es aufzugreifen gilt.
Im Hinblick auf ausgewählte Bereiche von Natur- und Umweltschutz sowie des Nachhaltigkeitsdiskurses verweisen die Befunde zunächst auf ein generelles Problembewusstsein der Auszubildenden im Hinblick auf die gesellschaftliche Naturkrise. Zugleich zeigen die Umfrageergebnisse eine vorhandene, aber entwicklungsbedürftige Informationsbasis über die Zerstörung und den Schutz der Natur und einen relativ hohen Motivationsgrad, sich an Problemlösungen zu beteiligen. Das Naturbewusstsein ist bei den Auszubildenden in allen Altersgruppen und Fachrichtungen der beruflichen Bildung stark bis sehr stark ausgeprägt. Die naheliegende Fragestellung, ob es in den verschiedenen Berufsgruppen auch ein unterschiedliches Naturverständnis und eine differente Perspektive auf das Verhältnis von Natur und Arbeit gibt, konnte in der ersten Auswertungsphase noch nicht untersucht werden und bleibt einer späteren Analyse der Ergebnisse vorbehalten. Auch im Hinblick auf das Ausbildungsjahr wird man von den Befragten in Bezug auf das Forschungsziel vermutlich unterschiedliche Aussagen erhalten, die in einer späteren Phase untersucht werden sollen.
Junge Auszubildende zeigen sich gut bis sehr gut über Potenziale und Grenzen eigener naturverträglicher Gestaltungsmöglichkeiten informiert. Sie sind besorgt darüber, der Natur im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Schäden zufügen zu müssen. Angesichts vorhandener Diskrepanzen zwischen generellen Aussagen über Natur als schützenswertes und hochgeschätztes aber fragiles und gefährdetes Gut bei gleichzeitiger Konzeption von Naturschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die kaum eigenes Zutun erfordert bzw. zulässt, scheint eine weitere und differenziertere Aufklärung der Auszubildenden einerseits und eine detaillierte Erforschung ihrer Einstellungen, Denk- und Handlungsweisen andererseits, erforderlich.
Die besorgte und interessierte Haltung der Auszubildenden erfordert im Hinblick auf eine Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung curriculare Reformen, eine stärkere Unterstützung der Berufsbildungspraxis und entsprechende bildungspolitische Maßnahmen. Allein die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Auszubildenden angaben, im Rahmen ihrer Ausbildung das Thema Nachhaltigkeit noch nicht behandelt zu haben, erfordert ein Überdenken der bisherigen Praxis einer BBnE, zumal mittlerweile, wie bereits betont, in allen Ordnungsmitteln der beruflichen Bildung die Behandlung dieser Thematik vorgeschrieben ist. Darüber hinaus äußert sich eine deutliche Mehrheit der Auszubildenden aufgeschlossen, mehr über das Verhältnis von Natur und ihrer Arbeit, über naturschädigende Auswirkungen ihrer Arbeit sowie über Möglichkeiten einer naturverträglicheren Arbeit zu erfahren. Auch diesem Informationsbedarf müsste die Berufsbildung im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung dringend nachkommen. Hierzu würden sich beispielsweise die bildungstheoretischen und didaktischen Ansätze einer naturgemäßen Berufsbildung (Vogel 2011) anbieten, deren Fokus explizit im Verhältnis von Natur und Arbeit im Kontext beruflicher Bildung liegt und dabei die Vereinbarkeit von menschlichen Arbeitsprozessen und Naturprozessen betrachtet. Die in der Befragung festgestellten Diskrepanzen zwischen generellen Aussagen der Auszubildenden über Natur als schützenswertes und hochgeschätztes aber fragiles und gefährdetes Gut bei gleichzeitiger Konzeption von Naturschutz als externalisierte gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die kaum eigenes Zutun erfordert bzw. zulässt, machen eine weitere und differenziertere Aufklärung im Rahmen von Naturgemäßer Berufsbildung erforderlich. Es stellt sich die Frage, wie Elemente einer Naturgemäßen Berufsbildung in die berufliche Bildung so integriert werden könnten, dass Auszubildenden über Denkmuster und begriffliche Konzepte hinaus Handlungselemente zur Verfügung gestellt werden, die im Alltag abrufbar und durchführbar sind.
Eine Stärkung der Partizipation der jungen Menschen als entscheidungsfähige Mitgestalter zukünftiger Entwicklungen ist außerdem als Notwendigkeit aus der Umfrage hervorgegangen: Auszubildende sehen nur wenig Chancen der Einflussnahme auf naturverträgliche Arbeitsprozesse in der betrieblichen Realität. Diesbezüglich wären aktuelle Bildungsprozesse daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie die Mündigkeit des Einzelnen unter betrieblichen Bedingungen aufgreifen und zu einem Mehr an Teilhabe und Partizipation des Einzelnen beitragen können.
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Vogel, T. (2017): Zum Verständnis von Natur und Arbeit bei Auszubildenden – Ergebnisse einer quantitativen Studie. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 32, 1-23. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe32/vogel_bwpat32.pdf (22-06-2017).