bwp@ 36 - Juni 2019

Historiografische Berufsbildungsforschung

Hrsg.: Karin Büchter, Anna Lambert, Mathias Götzl & Franz Gramlinger

Von der Wanderschaft des Weißgerbergesellen Ludwig Junkermann (1803–1868) zur mehrfachen Meisterschaft in Mengeringhausen – ein Beispiel für „lebenslanges Lernen“ im 19. Jahrhundert

Beitrag von Martin Kipp
Schlüsselwörter: lebenslanges Lernen, historiografische Berufsbildungsforschung, Handwerk, Zunfttradition, Gesellenwandern

Moderne Wissens- und Lerngesellschaften haben das Problem, die nachwachsenden Generationen auf eine unbeständige, unsichere, komplexe und mehrdeutige Zukunft vorzubereiten, ohne dass dafür schon „bewährte“ Pfade bekannt sind. In traditionellen Gesellschaften, die durch überkommene gesellschaftliche Muster und „bewährte“ Karrierewege Stabilität und berufliche Identität verhießen, war die Problemstellung gewissermaßen entgegengesetzt, weil die „bewährten“ Pfade längst ausgetrampelt waren: Viele auf diese Pfade verwiesenen Individuen wurden dadurch in ihren persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten mitunter unnötig begrenzt.

Dieser Beitrag zeigt, wie solche gesellschaftlichen Vorgaben der Zunftverfassung von einem lernenden Handwerker gleichsam unterlaufen wurden. Dass diese aktive Gestaltung seiner beruflichen Karriere dem Zeitgeist um mehr als hundert Jahre vorauseilt, zeigt ein berufspädagogisch-historisch interessantes Phänomen – nämlich dass das moderne Konzept „lebenslanges Lernen“ schon gelebt wurde, bevor es als solches für eine demokratische Lerngesellschaft ausformuliert wurde.   

Anmerkung: Dieser Beitrag ist zuvor erschienen in: Geschichtsblätter für Waldeck, Band 104, 2016, 51-78.

1 Vorbemerkung

Der Blick auf den in diesem Beitrag skizzierten Lern- und Lebensweg eines Handwerkers in einer Waldeckischen Kleinstadt des 19. Jahrhunderts zeigt zahlreiche für diese Zeit eher typische Entwicklungsverläufe – etwa die Lossprechung des Lehrlings, die Wanderjahre als Geselle, die Meisterprüfung und Familiengründung – aber auch einige eher individuelle und dem Zeitgeist gleichsam vorauseilende Entwicklungen, die es nahelegen, das moderne Konzept des „lebenslangen Lernens“ als Interpretationsfolie heranzuziehen, weil der hier rekonstruierte Lern- und Lebenslauf dem damaligen Denken gewissermaßen um mehr als ein Jahrhundert  vorauseilte: Wie tausende seiner handwerklich ausgebildeten Altersgenossen geht der junge Weißgerbergeselle Ludwig Junkermann auf die „Walz“, macht also gleichsam „eine Art Hochschulstudium in der freien Schule des Lebens“ (Wissel 1971, 301), kehrt „bewandert“ in seine Heimatstadt zurück, leistet die „Muthjahre“ ab, bevor er als Endzwanziger die Meisterprüfung ablegt und eine Familie gründet. Schon früh zeigt sich, dass ihm gesellschaftliche Teilhabe und lokalpolitisches Engagement wichtig sind, denn er übernimmt gesellschaftlich wichtige Ämter und Verantwortung als „Viertelmeister“, als „Gerichts-Deputierter“, als „Stadtrat“ und als „Gemeindebürgermeister“. In seinem Beruf als Weißgerbermeister ist er tüchtig – als Lehrmeister bildet er mehrere Lehrlinge aus, wird zweiter und erster Zunftmeister (was in der „löblichen Zunft der Schuhmacher, Roth- und Weißgerber zu Mengeringhausen“ den Ämtern des stellvertretenden Obermeisters und des Obermeisters entsprach) und legt schließlich als Endvierziger noch die Meisterprüfung zum Loh- bzw. Rothgerber ab. Fraglos ein lernhaltiges und erfülltes Leben, das dadurch noch abgerundet wird, dass Junkermann seine drei Söhne, die erwachsen werden, motiviert, ihm beruflich nachzufolgen.

2 Wer war Ludwig Junkermann und woher kam er? – Quellenkritische Vorbemerkungen und Notizen zum historischen Kontext der Dokumente

Ludwig Junkermann (30. März 1803 – 15. Februar 1868) entstammt einem traditionsreichen Gerber-Geschlecht in dem Ackerbürgerstädtchen Mengeringhausen im Fürstentum Waldeck: Sein Vater Carl Christian Ludwig Junkermann (1. Juni 1773 – 31. August 1829) war Weißgerbermeister und Stadtsenior, sein Großvater Johann Friedrich Junkermann (5. September 1738 – 25. Oktober 1796) war – laut Ortssippenbuch Mengeringhausen (Waldeckischer  Geschichtsverein (2014)) – ebenfalls „Weißgerber und Stadtsenior“. Dieser war Schützenkönig beim Freischießen 1791 und wird in den Listen der Mengeringhäuser Schützenkönige als „Lohgerbermeister und Stadtsenior“ (Meuser 1958, 14) bzw. als „Lohgerber und Stadtsenior“ (Meuser 1965, 17; Müller 2000, 148) geführt – ebenso wie dessen Großvater Conrad Wilhelm Junkermann (15. Oktober 1679 – 4. November 1745), Schützenkönig  beim Freischießen 1708, der als „Lohgerber und Bürgermeister“ (Meuser 1965, 16; Müller 2000, 148) geführt wird. Diese Informationen deuten darauf hin, dass es sich bei der Herkunftsfamilie unseres Weißgerbergesellen um eine wohlhabende Familie gehandelt hat, die man zur lokalen Führungsschicht zählen kann. Dass Ludwig Junkermann der Familien-Berufs-Tradition folgt und demzufolge auch die vorgeschriebene Wanderschaft absolviert, versteht sich gleichsam von selbst.

Mengeringhausen, das Ackerbürger-Städtchen im Fürstentum Waldeck, hat zu dieser Zeit mehrere Gerberei-Betriebe, die sich mit der Veredelung von Tierhäuten beschäftigen. Das Fürstentum Waldeck gehört zu den eher finanzschwachen und rückständigen kleinen Flächenstaaten, in denen die Uhren langsamer zu gehen scheinen als in Preußen. Während beispielsweise in Preußen der Wanderzwang im Sommer 1831 aufgehoben worden war, wurde er im Fürstentum Waldeck im Juni 1844 erneut bekräftigt: Am 3. Juni 1844 forderte der Magistrat der Stadt Mengeringhausen die dortige Schuhmacherzunft auf (Abb. 1 u. 2),  

thumb kipp 1Abbildung 1: Schreiben des Magistrats der Stadt Mengeringhausen an die Schuhmacher-, Rot- und Weißgerberzunft bezüglich der Lossprechung vom 3. Juni 1844 (Foto: Kipp, M. Archiv)

Abbildung 2: Schreiben des Magistrats der Stadt Mengeringhausen an die Schuhmacherzunft bezüglich der Anzeige der Lossprechung vom 22. August 1844 (Foto: Kipp, M. Archiv)Abbildung 2: Schreiben des Magistrats der Stadt Mengeringhausen an die Schuhmacherzunft bezüglich der Anzeige der Lossprechung vom 22. August 1844 (Foto: Kipp, M. Archiv)

„jedes Lossprechen eines Lehrlings“ binnen 8 Tagen beim Bürgermeisteramt anzuzeigen, „damit dieses ihn zu sofortiger Antretung der Wanderschaft anhalten könne“.[1]

Die „Walz“, von der dieser Beitrag zunächst handelt, war als zünftig reglementierte Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungsreise mit extremer sozialer Kontrolle geradezu normiert – sie stellte keinesfalls eine Vergnügungsreise dar. Das nächste Dokument, das diesem Beitrag zugrunde liegt, ist ein „Wander-Buch“ (Abb. 3 bis 5), das am 27. Juni 1825 in Schaffhausen in der Schweiz ausgestellt wurde.[2] Das ursprüngliche „Fürstlich Waldeckische Wander-Buch“, das Ludwig Junkermann am April 1823 in Mengeringhausen ausgestellt worden war, ist bei seinem Schaffhausener Meister, bei dem er ein Jahr und drei Wochen in Arbeit gestanden hatte, verloren gegangen. Deshalb wissen wir nicht, über welche Wanderstrecke der Weißgerbergeselle von Mengeringhausen in das mehr als 500 km entfernte Schaffhausen gelangte und wie lange er unterwegs war. Ein Brief seines Vaters, abgestempelt in Arolsen am 11. Mai 1823, erreichte ihn in Mannheim, wo er zu dieser Zeit bei Weißgerbermeister Hofmann „in Arbeith“ stand[3] – wie lange Ludwig Junkermann in Mannheim gearbeitet hat und welche Wegstrecke er dann nach Schaffhausen zurücklegte, bleibt einstweilen im Dunkeln.

Das vorliegende Wander-Buch gibt detailliert Auskunft über die am 27. Juni 1825 in Schaffhausen angetretene weitere Wanderschaft Junkermanns, der dabei, wie wir später sehen werden, eine sehr beachtliche Wanderstrecke zurücklegte, bevor er nach knapp dreieinhalbjähriger Wanderschaft Ende September 1826 in seine Heimatstadt Mengeringhausen zurückkehrte. Das Wander-Buch ist, wie noch gezeigt werden wird, eine Art Arbeitszeugnis – es löst die zuvor gebräuchlichen Wanderpässe und sogenannten „Kundschaften“ ab und ist zugleich ein Vorläufer moderner  Zertifikate und Portfolios. Die Wanderschaft des Weißgerbergesellen Ludwig Junkermann fand rund dreißig Jahre vor Eröffnung der ersten Fortbildungsschulen im Fürstentum Waldeck (1855) statt und rund einhundert Jahre vor der Eröffnung einer Bezirks-Fortbildungsschule in Mengeringhausen (Kipp 2019)  – insofern geht es hier um die Vorgeschichte der „Gründerjahre der Berufsschule“ (Kipp 1989) und des „Dualen Systems“ der Berufsbildung.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das städtische Handwerk mit Zunfttradition noch immer der wichtigste Schauplatz gewerblicher Arbeit. Insofern erlebte unser Weißgerbergeselle auf der „Walz“ in den frühen 1820er-Jahren noch die tradierte korporative Lebensordnung der Zunft, bevor sich mit der Aufhebung des Wanderzwanges in Preußen am 1. August 1931 ein die Zunftordnung auflösendes Element zeigte, das nach der 1848er-Revolution an Schubkraft gewann und begleitet von Umbrüchen in Verkehr, Siedlung und Arbeitsorganisation die geordnete handwerkliche Welt aus den Fugen geraten ließ. Der aus dem kleinen Ackerbürgerstädtchen Mengeringhausen im Fürstentum Waldeck stammende Weißgerbergeselle war also in der Endphase der „guten alten Zeit“ auf der „Walz“, in einer Zeit, in der noch keine Eisenbahn verkehrte und in der die von Bahnhofsuhr und Fahrplan ausgehende neue Zeitdisziplin noch ebenso wenig in Mode war wie die straffe industrielle Betriebsorganisation und der unerbittliche Maschinentakt. Nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt legte er die Meisterprüfung ab und wurde Mitglied in der „Löblichen Schumacher-, Roth- und Weißgerberzunft“[4], deren Dokumente in diesem Beitrag erstmals ausgewertet werden. Überliefert sind ein „Zunftbuch“ (mit handschriftlichen Eintragungen vom 5. März 1773 bis zum 12. Dezember 1853), ein „Rechnungs-Buch“ (mit Einträgen von Johanni 1751 bis zum 1. Juli 1861), zwei „Meister-Bücher“ (mit Einträgen vom 21. Mai 1735 bis 5. Juli 1852 bzw. vom 20. März 1852 bis 25. November 1861) und ein „Lehrlings-Buch“ (mit Einträgen vom 10. Juli 1841 bis 1. Juli 1861).[5]

Abbildung 3: Auszug aus dem Wanderbuch des Ludwig Junkermann, 1825–1826 (Foto: Kipp, M. Archiv)Abbildung 3: Auszug aus dem Wanderbuch des Ludwig Junkermann, 1825–1826 (Foto: Kipp, M. Archiv)

Abbildung 4: Auszug aus dem Wanderbuch des Ludwig Junkermann, 1825–1826 (Foto: Kipp, M. Archiv)Abbildung 4: Auszug aus dem Wanderbuch des Ludwig Junkermann, 1825–1826 (Foto: Kipp, M. Archiv)

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Abbildung 5: Auszug aus dem Wanderbuch des Ludwig Junkermann, 1825 –1826
(Foto: Kipp, M. Archiv)

3 „Durchmisst die Welt am Wanderstabe“ – Ziele, Chancen und Risiken des Gesellenwanderns

Über mehrere Jahrhunderte, vom Spätmittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung, war das Gesellenwandern eine Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung. Auf dem Wege vom Lehrling zum Meister stellte die „Walz“ eine bedeutsame Statuspassage dar, eine Zeit der permanenten Prüfung und obrigkeitlichen Kontrolle fernab der vertrauten Heimat. Zugleich eine Zeit zahlreicher Gefährdungen und Herausforderungen auf der „Straße“, zum Zwecke der Vervollständigung des handwerklichen Könnens und des Erwerbs von Menschenkenntnis, kurzum der Weitung des Gesichtskreises. In dieser allgemeinen Zielstellung, durch das Kennenlernen fremder Sitten und Gebräuche eine gewisse Weltläufigkeit zu erwerben, stimmt das Gesellenwandern durchaus überein mit der sogenannten „Kavalierstour“ (Leibetseder 2004; Stannek 2001) der jungen Adligen oder der Beschäftigung junger Kaufleute (Bruchhäuser 1989 und 1999) in der Fremde. Aber im Unterschied zum jungen Adligen, der zum Zwecke der Vollendung seiner Ausbildung und zur Erweiterung seines Gesichtskreises eine begrenzte Zeit am Hofe befreundeter Adliger zubrachte, oder des jungen Kaufmanns, der bei einem Geschäftspartner seines Vaters befristet Anstellung nahm und von daher seinen „Prinzipal“ als verlässlichen Mentor einschätzen konnte, musste der junge Handwerksgeselle in einer ihm absolut fremden Umgebung um Arbeit nachsuchen. Er musste buchstäblich seine Arbeitskraft oder – wie die Redewendung sagt – „seine Haut zu Markte tragen“. Schon beim Verlassen seines Heimatortes und dann jeweils beim Aufbruch zu einem neuen Wanderziel musste er sich bei der örtlichen Polizeibehörde den „Pass“ für den nächsten Ort mit Siegel in sein Wanderbuch eintragen lassen. Das Wanderbuch war also sowohl Ausweis als auch Reisedokument, mit dem der Inhaber nachweisen konnte, dass er gleichsam „auf dem richtigen Wege“ war. Am neuen Orte angekommen, hatte er umgehend nach Arbeit zu fragen und sich um ein Quartier in der Gesellenherberge zu kümmern. Blieb die Nachfrage nach Arbeit erfolglos, weil die ortsansässigen Meister aktuell keine zusätzliche Arbeitskraft benötigten, dann hieß es für den Handwerksgesellen, am nächsten oder spätestens übernächsten Tag auf „Schusters Rappen“ weiter zu tippeln, nachdem er sich zuvor bei der örtlichen Polizeibehörde bzw. beim Bürger- meister sein nächstes Reiseziel ins Wanderbuch hatte eintragen lassen. Während  junge Adlige und wohlhabende Kaufmannssöhne zu Pferde oder in der Kutsche reisten, waren Handwerksgesellen auf „Schusters Rappen“ verwiesen, denn im frühen 19. Jahrhundert, bevor Eisenbahnen, Autos und Flugzeuge existierten, gab es für sie zum Wandern keine Alternative. Mit der Vorschrift, sich drei Jahre und einen Tag nicht näher als auf eine Distanz von 50 km seinem Heimatort zu nähern, sollte sichergestellt werden, dass die „Fremde“ eine tief gehende erzieherische Wirkung auf den Handwerksgesellen ausüben würde. Neben beruflicher Vervollkommnung und Technologie-Transfer sollte und konnte auf diese Weise vor allem Welt- und Menschenkenntnis erworben werden.

Der Handwerksmeister, bei dem der Handwerksgeselle vergeblich nach Arbeit fragte, war in aller Regel in seiner Jugend selbst auf der „Walz“ gewesen und wusste aus eigener Erfahrung, wie dankbar der wandernde Geselle einen Zehrgroschen annahm, um die beschäftigungslosen Tage der „Walz“ zu überstehen. Die Phasen der Beschäftigung wechselten immer wieder mit Wanderphasen – und zwar je nach den aktuellen Beschäftigungschancen. Diese arbeitsmarktpolitischen Zufälligkeiten spiegeln sich auch in den Einträgen des Mengeringhäuser Wanderbuchs wider. Neben dem erwartbaren Risiko, längere Zeit und in verschiedenen Städten vergeblich nach Beschäftigung zu fragen und so länger als erstrebt wandern zu müssen, bestand ein ernst zu nehmendes Risiko darin, auf der Wanderschaft zu erkranken. Wer sich beispielsweise auf der „Walz“ eine Infektionskrankheit zuzog, war nicht nur selbst in hohem Maße gefährdet, sondern stellte auch ein Infektionsrisiko für all jene Menschen dar,  mit denen er in Kontakt kam. Die Hygienestandards in den Gesellenherbergen der damaligen Zeit sind mit denen heutiger Hotels zumeist nicht vergleichbar und die Obrigkeit war aus gutem Grunde darauf bedacht, der epidemischen Ausbreitung gefürchteter Krankheiten rechtzeitig wirksame Schranken zu setzen. Im frühen 19. Jahrhundert flackerten insbesondere Pockenepidemien bzw. Blatternseuchen immer wieder auf, und es waren nicht zuletzt wandernde Handwerksgesellen, die – unwissentlich und unwillentlich – deren Verbreitung beförderten. In der medizinischen Literatur dieser Zeit wird ausdrücklich bestätigt, dass Pockenfieber und Blattern durch wandernde Handwerksgesellen verschleppt wurden, wenn sie durch Ortschaften, wo die Blattern grassierten, in andere Städte einwanderten. In vielen Städten blühte das Impfwesen auf – so auch in Mengeringhausen, von wo aus der Weißgerbergeselle Ludwig Junkermann am 5. April 1823 seine Wanderschaft antrat: „Ab ca. 1805 wurden in Mengeringhausen die ‚Blattern‘ (Pocken) durch vorbeugende Schutzimpfungen der Kinder mit Kuhpocken erfolgreich bekämpft“ (Alexi 1986, 148).

4 Funktionen des Wanderbuchs

Das Wanderbuch hatte die Funktion eines Reisepasses, der den Inhaber genau beschrieb, so dass er zweifelsfrei identifizierbar war. Da es vor 1860 noch keine Passbilder gab, mussten die Eintragungen möglichst genau sein und rasch durch Inaugenscheinnahme überprüft werden können; im vorliegenden Falle lauteten die Angaben: „Alter 22 Jahre, Größe Schuh 5 Zoll 1, Gesicht verlängt, Haare braun, Stirne rund, Augen blau, Nase länglich, Mund klein, Kinn oval, Sonstige Zeichen keine.“

Neben dieser Identifikationsfunktion erfüllte das Wanderbuch eine wichtige Dokumentationsfunktion, indem es genaue Auskunft über den Aufenthalt und das Betragen seines Inhabers gab. In den Vorschriften für die Führung des „Fürstlich Waldeckischen Wander-Buchs“ ist diese Dokumentationspflicht ausdrücklich genannt: „Bey jeder Orts-Obrigkeit soll der Wandernde, auch wenn er in dem Orte keine Arbeit erhält, sein Buch visieren lassen; hat er aber in Arbeit gestanden, so ist ein gerichtliches Attestat über sein sittliches und fleißiges Betragen durchaus nothwendig“ (Fürstlich Waldeckisches Wander-Buch, 4). Im Fürstentum Waldeck waren Wander-Bücher mit Wirkung vom 1. August 1811 eingeführt worden. Sie lösten die zuvor gebräuchlichen Wanderpässe und sogenannte Kundschaften ab, die zumeist mit Ortsansichten versehene Arbeitsattestate wandernder Handwerksgesellen darstellten.[6]

Neben den eher spärlichen Informationen über die auf der Wanderschaft eingegangenen Arbeitsverhältnisse gibt das Wanderbuch auch Auskunft über den Gesundheitszustand des Wandernden. Die Vorschrift für die wandernden Handwerksgesellen, welche ein Fürstlich Waldeckisches Wander-Buch führten, sah das ausdrücklich vor: „Sollte der Wandernde auf irgend eine Art eine Veränderung an seinem Körper erleiden, die in dem angegebenen Signalement nicht bemerkt wäre, und ihn doch auszeichnete; so hat er doch bey der Orts-Obrigkeit, wo die Veränderung geschehen, solche anzuzeigen, und um ein Attestat darüber zu bitten“ (ebd., 6).

Und schließlich ist noch bemerkenswert, dass im Wanderbuch gelegentlich attestiert wird: „Inhaber ist mit dem nöthigen Reisegelde versehen.“ Der Hintergrund dieser Mitteilung ist die Vorschrift, dass Wanderbücher nur solchen Gesellen ausgehändigt werden sollten, die „außer den erforderlichen Kleidungsstücken nebst Wäsche ein baares Reisegeld von mindestens fünf Thalern beim Antritt der Wanderschaft besitzen“ (ebd., 33).

5 Die beachtliche Wanderstrecke des Weißgerbergesellen Ludwig  Junkermann

Das in Rede stehende Wanderbuch wurde, wie bereits erwähnt, am 27. Juni 1825 in Schaffhausen in der Schweiz ausgestellt, weil Ludwig Junkermanns ursprünglich am 5. April 1823 in Mengeringhausen ausgestelltes Wanderbuch bei seinem Schaffhausener Meister, bei dem er ein Jahr und drei Wochen in Arbeit gestanden hatte, verloren gegangen war. Laut Zeugnis dieses Meisters hat Ludwig Junkermann sich in dieser Zeit „zur vollkommensten Zufriedenheit betragen“ (1) und ist dann laut Eintrag der Kantonspolizei von Schaffhausen am 27. Juni 1825 nach Zürich aufgebrochen. Unterwegs passierte er Eglisau, was ihm die dortige Polizeistation am 28. Juni 1825 bestätigte. Von Zürich, das er am 29. Juni erreichte, brach Junkermann nach St. Gallen auf, um sich dann am 2. Juli von dort aus auf den Weg nach Lindau zu machen. Diese und alle folgenden Wanderbewegungen sind jeweils mit Datumsangabe von der örtlichen Polizeibehörde mit Unterschrift(en) und amtlichem Siegel attestiert: Von Lindau (3.7.) über Wangen (4.7.), Kempten (5.7.), Kaufbeuren (6.–8.7.), Augsburg (9.7.), München (11.7.), Landshut (13.7.), Passau (16.7.) und Linz (18.7.) gelangte Junkermann nach Wien, wo er für sechs Wochen bei dem Fabrikanten Michael Trümpen – wie das Wanderbuch ausweist, „fleißig und ordentlich“ (ebd., 3) – arbeitete. Am 30. August verließ er Wien, passierte am 7. September Pest und war dann für 18 Wochen in Komorn (Komarom) beschäftigt. Darauf folgte ab 14. Januar 1826 erneut eine mehr als einen Monat dauernde Wanderphase, die von Raab/Györ (17.1.) über Hainburg (19.1.), Wien (24.1.), Prag (8.2.), Teplitz (10./11.2.) und Pernau (12.2.) – hier wird vermerkt: „Fand hier keine Arbeit, besitzt aber noch Reisemittel“(ebd., 6) – nach Dresden (13.2.), Meißen (14.2.), Oschatz (15.2.), Grimma (17.2.) und Leipzig (19.2.) führte. Vom 19. Februar bis zum 6. März 1826 hat Junkermann, wie der „Rath zu Taucha“ attestierte, „mit dem besten Betragen allhier gearbeitet“ (ebd., 7).

Von Taucha wanderte Junkermann weiter nach Eilenburg (7.3.) und Dessau (9.3.), um dann vom 11. März bis zum 29. Mai in Zerbst zu arbeiten – hier wurde ihm bescheinigt, sich „stets gut betragen“ zu haben (ebd., 8).  An diese Arbeitsphase schloss sich wiederum eine rund zweimonatige Wanderphase an. Die Stationen lauteten: Magdeburg (31.5.), Berlin (7.6.), Wriezen (10.6.), Schwedt (13.6.), Stettin (15.6.), Pasewalk (17.6.), Prenzlau (18.6.), Neubrandenburg  (20.6.),  Anklam (22.6.), Stralsund (24.6.), Damgarten (25.6.), Rostock (26.6.), Wismar (28.6.), Lübeck (30.6.), Hamburg (4.7.), Kiel (8.7.). Eine kurze Arbeitsphase in Glückstadt vom 8.Juli 1826 bis zum 18. Juli unterbrach die weitere Wanderschaft, die über Stade (19.7.), Osten (20.7.), Ottendorf (21.7.), Bremen (24.7.), Hannover (29.7.) und Wolfenbüttel (1.8.) nach Wernigerode und Quedlinburg führte, wo Junkermann sieben Wochen arbeitete. Am 18. September 1826 verließ er Quedlinburg, um über Göttingen (22.9.) und Kassel nach seinem Heimatort Mengeringhausen zu wandern, wo er sich nach dreieinhalbjähriger Wanderschaft niederließ.

6 Drei Jahre und ein Tag

Wer im Lenzen seiner Jahre
will was lernen und erfahren,
der muß in die Fremde ziehn,

der muß Wein und Jungfraun fliehn,
 sonsten wird er nimmermehr
 
mit sich bringen Kunst und Ehr

Viele Handwerke schrieben eine mehrjährige Wanderschaft der Gesellen vor. Im Fürstentum Waldeck war die Gesellenwanderung als Status-Passage zur Meisterschaft in der „Vorschrift für die wandernden Handwerksgesellen, welche ein Wanderbuch hiesigen Landes führen“ eindeutig geregelt: „Nur der kann dereinst zum hiesigen Meister-Recht gelangen, der, nach überstandenen Wander-Jahren, durch Vorzeigung seines zurückgebrachten Wanderbuchs beweisen kann, dass er durch fleißiges Arbeiten in fremden Werckstellen sich vervollkommnet, und durch sittliches Betragen die Achtung seiner Meister erworben habe“ (ebd., 4).

Wird in dieser Vorschrift noch die Doppelfunktion der beruflichen Vervollkommnung und der einwandfreien Lebensführung erwähnt, so tritt in der Attestier-Praxis die berufliche Expertise bzw. fachliche Kompetenz eindeutig hinter das gesittete Betragen zurück. Fast formelhaft lauten die Attestate, dass der Wanderbuch-Inhaber für einen genau bezeichneten Zeitraum „in Arbeit gestanden, und sich während dieser Zeit treu, fleißig und gesittet betragen habe“. Wenn in der eben genannten Vorschrift von „überstandenen Wander-Jahren“ die Rede ist, dann deutet das darauf hin, dass das Gesellenwandern immer auch eine Zeit der Erprobung war, in der der wandernde Geselle Entbehrungen auf sich nehmen musste und dabei mancherlei Gefährdungen ausgesetzt war. Die „Straße“ war geradezu das Synonym für sittliche Gefährdung, der viele unerfahrene Handwerksgesellen erlagen, indem sie zwielichtigen Gestalten auf den Leim gingen und sich von ehrlicher Erwerbsarbeit abbringen und zum Herumlungern und Vagabundieren verführen ließen. Auch diesbezüglich ist die Vorschrift aus dem Fürstentum Waldeck eindeutig:

„Gröbliche Vergehungen, z. B. Untreue, Theilnahme an öffentlichen Aufständen und dergleichen mehr, schließen jeden Handwerksgesellen von der Erlangung des Meister-Rechts auf immer aus“ (ebd., 5).

Die Wanderschaft – „eine Art Hochschulstudium in der freien Schule des Lebens“ (Wissel 1971, 301)  – vermittelte nicht nur berufliche Fertigkeiten, sondern vor allem auch Welt- und Menschenkenntnis. Sein geographisches Wissen konnte der Handwerksgeselle beispielsweise dadurch unter Beweis stellen, dass er am Ende seiner Wanderschaft eine Landkarte seiner Wanderroute zeichnete und sie  mit  jener  Karte verglich, die er am Tage  seines Aufbruchs aus dem Kopf gezeichnet und in einer leeren Schnapsflasche in der Nähe des Ortsschildes vergraben hatte. Die vorsorglich daneben vergrabene volle Schnapsflasche diente gleichsam als „Willkommensgruß“ und erste Entschädigung nach  „überstandener“ Wanderschaft. Bei vielen Handwerken war diese Form der eigenen Lernerfolgskontrolle in die Verabschiedungs- und Begrüßungs-Zeremonie eingelassen. Der zur Wanderschaft aufbrechende Handwerksgeselle wurde – „mit Saus und Braus zu dem obern Tor hinaus“ – von Freunden, Kollegen und einer Menge Schaulustiger mit klingendem Spiel ans Ortsschild vor dem Stadttor begleitet, begrub dort seine beiden Schnapsflaschen, verabschiedete sich von seiner Familie und seinen Freunden, kletterte über das Ortsschild und wanderte los, ohne noch einmal zurückzuschauen. Damit er den Schritt in die Fremde nicht ganz allein gehen musste, war es üblich, dass ein „erwanderter“ Zunftgenosse ihn das erste Stück des Weges begleitete und ihn mit den Gebräuchen des Gesellenwanderns vertraut machte (vgl. Bohnenkamp/Möbus 1997). Auf „Schusters Rappen“, also zu Fuß, wurde gewandert – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es dazu ohnehin wenig Alternativen. Und auch heute noch ist es beim Gesellenwandern verpönt, sich per Anhalter, per Bahn oder per Flugzeug fortzubewegen, es sei denn, das überseeische Ausland würde angesteuert.

Schon die Frage nach Arbeit bei einem fremden Meister enthielt das Risiko des Scheiterns, denn die Grußformeln waren nur  den  Eingeweihten  bekannt. Sagte der Schlossermeister zur Begrüßung „Katzenkopf“, so musste der Handwerksgeselle antworten „Stück davon“, um sich als gelernter Schlosser auszuweisen. Das war kurz und eindeutig – ebenso wie die Frage, ob es für den Durchreisenden für eine gewisse Zeit Arbeit gab oder zum Trost einen Zehrgroschen, damit er seinen Weg nicht allzu hungrig und durstig fortsetzen musste. Der „Gesellengruß“ war fehlerfrei herzusagen – er war von Beruf zu Beruf verschieden und zum Teil recht umfangreich[7]. Gab es keine Arbeit, so war der Handwerksgeselle gehalten, sich auf der Ortspolizeibehörde vorzustellen und sich in seinem Wanderbuch die Genehmigung für sein nächstes Wanderziel mit Unterschrift und Stempel eintragen zu lassen. Im Höchstfalle durfte er sich als Arbeitsuchender zwei Tage in einer Stadt aufhalten – danach griff unerbittlich der Wander-Zwang.

Kostspielige Hotels kamen für wandernde Gesellen als  Quartiere  selbstredend nicht in Betracht – in jeder Stadt gab es eine eher schlichte und preiswerte Gesellen-Herberge. In Mengeringhausen war sie seit 1663 im Haus „Marktstraße 6“ (Hess 1993, 62) untergebracht. Der Herbergsvater (Ladenvater) hatte u. a. dafür Sorge zu tragen, dass die Gesellen ihre Versammlungen und Trinkgelage nicht übermäßig  laut und ausdauernd veranstalteten. Wie die Zunftmeister kannten viele Gesellen  auch das Institut der „Lade“ (Kipp 2000), in der wichtige Dokumente und auch Münzen für den Notbedarf aufbewahrt wurden. In der Gesellenlade war dieser Notgroschen im sogenannten „Hund“ versteckt, der ganz unten in der Lade angebracht war. Ein wandernder Handwerksgeselle, der seine ganze Barschaft aufgebraucht hatte und deshalb die Unterstützung seiner Mitgesellen in Anspruch nehmen musste, war – wie die bekannte Redewendung besagt – „auf den Hund gekommen“. Wer mehrfach „auf den Hund gekommen“ war oder wem gar das Ohr geschlitzt war – daher die Bezeichnung „Schlitzohr“ –, der galt bei seinen Mitmenschen als nicht kreditwürdig bzw. unzuverlässig. Der goldene Ohrring, der den wandernden Gesellen zierte, war eigentlich dazu gedacht, im Bedarfsfalle die Beerdigungskosten zu decken, wurde aber gelegentlich dem lebendigen Gesellen herausgerissen, wenn er seine Zeche nicht bezahlen konnte – er wurde damit für jedermann sichtbar zum „Schlitzohr“. In seinem Überblick über die Handwerkskultur bezeichnet Michael Stürmer die Gesellen als „unbehausten Stand“ (Stürmer 1979).  „Wichtigstes Problem des Gesellen“, so Stürmer, „war es, regelmäßig Arbeit zu finden. Mißlang ihm dies, so konnte der Geselle doch auf ,Handwerksgeschenke‘ hoffen, eine bescheidene Wegzehrung, die ihm zustand […]. Auf die Dauer aber half ihm nur Arbeit, um ihn vor dem Abgleiten in Armut und Vagabundentum zu bewahren“ (Stürmer 1979, 158).

Ein Handwerksgeselle auf der traditionellen Wanderschaft galt als Fremder oder Fremdgeschriebener – nach der Rückkehr von der Wanderschaft konnte er sich, sofern er schuldenfrei war, einheimisch melden und hatte in der Regel noch ein oder zwei Jahre, die sogenannten „Mutjahre“, in einer Werkstatt am Ort zu arbeiten, bevor er zur Meisterprüfung zugelassen wurde und damit das Recht erwarb, sich niederzulassen und zu heiraten. Gab das Wanderbuch sehr verlässlich darüber Auskunft, wie sich der Handwerksgeselle in der Fremde verhalten hatte, so waren die Mutjahre eine erneute Zeit der Prüfung und Bewährung, in der der Geselle sich gesittet benehmen musste.

Der Weißgerbergeselle Ludwig Junkermann, dessen beachtliche Wanderstrecke hier dokumentiert wird, hat die „Walz“ gut überstanden. Das war keineswegs selbstverständlich, denn ungezählte Familien warteten vergeblich auf die Rückkehr ihrer Söhne von der Wanderschaft. Ludwig Junkermann kehrte gesund und „bewandert“ in seine Heimatstadt zurück, legte die Meisterprüfung ab und übernahm die Gerberei seines Vaters. Als tüchtiger Weißgerber, der, wie noch gezeigt werden wird, später auch noch Rothgerbermeister wurde, trug er mit dazu bei, dass Mengeringhausen den Ruf erwarb, eine „Stadt ehrbarer Handwerkskunst“ (Schorbach 1937) zu sein.

7 Meisterschaft und Familiengründung in Mengeringhausen

Ludwig Junkermann hatte das Glück, nach der Wanderschaft in das elterliche Geschäft eintreten zu können, das er noch etwa drei Jahre gemeinsam mit seinem Vater Carl Ludwig Junkermann (1773–1829) betrieb und ab dem 22. September 1830[8] als selbständiger Handwerksmeister weiterführte. Carl Ludwig  Junkermann war von Beruf Lohgerber und Weißgerber, sein Sohn Ludwig Junkermann Weißgerber.[9] Beide waren also damit beschäftigt, Tierhäute zu bearbeiten und zu veredeln – Lohgerber verwendeten dazu u. a. Eichenrinde (Lohe), Weißgerber u. a. Aluminiumsulfat und Kochsalz. Lohgerber stellten aus schwerer Tierhaut überwiegend hartes Leder her, das vorzugsweise für die Herstellung von Schuhsohlen und Pferdegeschirren Verwendung fand, während Weißgerber vorzugsweise aus Kalbs-, Schafs- und Ziegenhaut weiches Leder herstellten. Die berufliche Nähe zwischen

Gerbern und Schuhmachern ist offensichtlich und hat in kleineren Städten dazu geführt, dass Gerber, Sattler und Schuhmacher sich in einer Zunft zusammenschlossen – so auch in Mengeringhausen, wo die „Löbliche Schumacher-, Roth- und Weißgerber-Zunft“ bestand, in der Ludwig Junkermann eine prominente Rolle  spielte.

Der Weißgerber Ludwig Junkermann wird im Ortssippenbuch Mengeringhausen zweimal aufgeführt, denn er war zweimal verheiratet: Zunächst als „Louis Junkermann, Bürger u. Weißgerber“ (Nr. 3482), dann mit seinem vollständigen Namen Ludwig August Carl Junkermann (30.03.1803–15.02.1868) als  „Viertelmeister und Weißgerber“[10].  

Aus der ersten Ehe, die am 26.12.1829 mit Caroline Johannette Charlotte Engelhard (1805–1836) geschlossen wurde, gingen vier Kinder  hervor, von denen der zweitgeborene Sohn Friedrich Junkermann (1832–1906) später Lohgerbermeister wurde. Sein ein Jahr jüngerer Bruder Julius Junkermann (1833–1884) wurde, wie im „Lehrlings-Buch“ [11] vermerkt, am 26. Januar 1850 „aufgedungen“ – allerdings findet sich kein Hinweis auf seine Lossprechung. Louis Junkermanns erste Ehefrau verstarb am 30. Juni 1836 bei der Geburt ihres vierten Kindes, das die Geburt ebenfalls nicht überlebte. Am 20. Januar 1837 heiratete Ludwig Junkermann Dorothea Caroline Charlotte Albertine Pape (1806–1867),  mit der er sechs Kinder hatte – mit Blick auf die Familien-Berufs-Tradition ist der fünftgeborene Sohn Gottlob Junkermann (1847–1928) von Interesse, weil er wie sein Vater Weißgerber wurde.

Das Ortssippenbuch zeigt, dass neben den hier genannten  Vertretern der Familie Junkermann noch einige weitere Träger dieses Familiennamens in Mengeringhausen als „Lohgerber“ und „Weißgerber“ tätig waren – da überrascht es nicht, dass auch Ludwig Junkermanns Söhne Friedrich Junkermann (25.03.1832– 09.06.1906), Julius Junkermann (10.10.1833–19.05.1884) und Gottlob Junkermann (16.03.1847–08.02.1928) diese Familientradition fortsetzten und ebenfalls „Lohgerber“ und „Weißgerber“ wurden. Von ihnen ist allerdings kein Wander-Buch überliefert. Friedrich Junkermann – in den Zunftdokumenten wird er durchgängig als Fritz Junkermann geführt – wurde dem „Lehrlings-Buch“ [12] zufolge am 27. Juli 1847 „aufgedungen“ und am 4. April 1850 losgesprochen. Ein mit dem Siegel   des Kreisrats des Kreises der Twiste versehenes Dokument, das sich in dem oben genannten Konvolut „lose Blätter“ befindet (Anm. 6), bescheinigt ihm unter dem Datum 10. Januar 1859, dass er seine Wanderzeit abgeleistet habe und deshalb   zum Meisterrecht zuzulassen sei. Diese Zulassung erfolgte eine Woche  später in  der Zunftversammlung vom 17. Januar 1859, in der der „Rothgerbergesell Fritz Junkermann“ nach Annahme seines Meisterstückes bei offener Zunftlade zum Mit-Meister eingeschrieben wurde: „Weil derselbe ein Meistersohn, so zahlt derselbe nichts, jedoch für die Mahlzeit baar 5 Rthlr.“

Sein Bruder Julius Junkermann wird im „Lehrlings-Buch“ unter Nr. 21 geführt. Seine Lossprechung ist in den Zunft-Dokumenten nicht vermerkt. Julius Junkermann wanderte im Jahre 1853 in die USA aus, heiratete dort Katharina Kiefaber, mit der er 9 Kinder hatte, und starb am 19. Mai 1884 in den USA.[13] Friedrichs Stiefbruder Gottlob Junkermann wurde dem „Lehrlings-Buch“[14] zufolge am 1. Juli 1861 „aufgedungen“; seine Lossprechung ist in den Zunftdokumenten nicht vermerkt; im Ortssippenbuch Mengeringhausen er unter Nr.  3485  als „Weißgerber“ geführt.

8 Ludwig Junkermann als Zunftmeister und Lehrmeister, Viertelmeister, Gerichts-Deputierter und Gemeindebürgermeister

Im „Zunftbuch“ ist – wie aus dem bereits zitierten Protokoll im „Meister- Buch I“ ersichtlich – unter dem Datum 22. September 1830 vermerkt, dass Ludwig Junkermann als „Mit-Meister“ in die Zunft aufgenommen wurde. Als Sohn eines Mit-Meisters brauchte er weder „gnädigster Herrschaft“ noch der Stadt Mengeringhausen Abgaben für die Aufnahme in diese Zunft zu entrichten. Wie seinerzeit üblich, gab er die den Zunftkollegen geschuldete Mahlzeit „in Natura“. Recht bald nach der Aufnahme in die Zunft wurde Ludwig Junkermann, der fortan als Louis Junkermann[15]  unterschrieb, zum „zweiten Zunftmeister“ gewählt – als solcher unterzeichnete er beispielsweise das Protokoll über die Aufnahme des aus Zierenberg stammenden Lohgerbers Wilhelm Döhne am 3. November 1836.

In den „Acten wegen der Lohmühle, die der Zunft gehört“[16], wird von Seiten der Klägerin, der „Gerber- und Schuhmacherzunft zu Mengeringhausen“, neben dem ersten Zunftmeister und einem Mit-Meister „Viertelmeister und Weißgerber Ludwig Junkermann als 2ter Zunftmeister“ im Protokoll vom 1. Juni 1837 erwähnt.

„Zunftbuch“ und  „Lehrlings-Buch“ weisen aus, dass Louis Junkermann mehrere Lehrlinge erfolgreich ausbildete: Sein erster Lehrling, Heinrich Müller, trat am 2. Januar 1835 in die Lehre ein und wurde am 21. Januar 1840 – bei offener Zunftlade – „frey- und losgesprochen“. Der zweite Lehrling, Adolph Linnekugel, trat seine Lehre am 29. September 1839 an und wurde am 7. Oktober 1844 – bei offener Zunftlade – „frey- und losgesprochen“. Stammten die ersten beiden Lehrjungen aus Mengeringhausen[17], so kamen in der Folge auch Lehrlinge aus anderen Orten zum Zuge. Am 7. Mai 1850 „nahm unser Mittmeister Lui Junkermann einen Lehrling von Vöhl namens Julius Schaumburg,[18] Sohn des Moses Schaumburg in  die Lehre, um das Weißgerberhandwerk zu erlernen“; ab 23. August 1851 erlernte ein „Lehrling gebürtig von Höringhausen namens Adolph Mebus“ das Lohgerber-Handwerk bei Junkermann.

Bei den letzten beiden Einschreibungen der Mengeringhäuser Zunftmeister fällt auf, dass Julius Schaumburg zum Erlernen des Weißgerberhandwerks, Adolph Mebus zum Erlernen des Lohgerberhandwerks bei Louis Junkermann zugelassen wurden. Üblicherweise achteten die Zunftgenossen peinlich genau darauf, dass kein Zunftkollege die jeweils gültigen Kompetenzgrenzen überschritt und benachbarten Berufen „ins Handwerk pfuschte“ und deren Einkommenschancen schmälerte. Das war auch in Mengeringhausen so und die Zulassung als Ausbilder im Lohgerber-Handwerk setzte allemal die Meisterprüfung voraus, die Louis Junkermann ja bereits im Jahre 1830 für das Weißgerberhandwerk abgelegt hatte. Die Aufnahme als Lohgerbermeister strebte Louis Junkermann am 17. November 1849 an – ein ungewöhnlicher Vorgang, der hier aus dem Protokoll zitiert wird: „Am heutigen Tage war die Schumacher- und Gerber-Zunft versammelt und gab Herr Gemeindebürgermeister Ludwig Junkermann sein Gebot um Meister als Lohgerber zu werden; derselbe legte der Zunft seine Legitimation von fürstlicher Staats-Regierung vor, und wurde von den anwesenden und hier unterzeichneten Meistern beschlossen, daß derselbe nächsten Dienstag zum Meister angenommen, hinsichtlich des Meisterstückes erklären die unterzeichneten Meister,  daß noch nie bei der Zunft  ein Lohgerber ein Meisterstück habe zu produzieren brauchen, weshalb auch Herr Gemeindebürgermeister Junkermann dieses sollte erlassen werden. Junkermann erklärte er habe sein Meisterstück fertig, und werde es der Zunft vorzeigen, welches von unterzeichneten angenommen wurde.“ (Zunftbuch, wie Anm. 6). Darauf folgen die Unterschriften von 16 Zunftmeistern.

Die Erlangung des Lohgerbermeisterrechts war Louis Junkermann damit aber noch nicht gelungen, denn wenige Tage  später trat die Zunft erneut zusammen,   wie im „Zunftbuch“ vermerkt: „Geschehen Mengeringhausen am 29. November 1849. Am heutigen Tage war die Zunft zusammen geladen, und den anwesenden Meistern die Verfügung fürstlicher Staatsregierung bekannt gemacht, wie dem Gemeindebürgermeister Ludwig Junkermann die  Gewinnung  des  Meisterrechts  als Lohgerber frei geben sei, auch die dagegen protestierenden Lohgerber mit ihrer Gegenbeschwerde abgewiesen sind, und der Zunft aufgegeben, dem gedachten L. Junkermann, nach herkömmlichen Gebrauch zum Meister anzunehmen, so wurde nach Beschluß derzeitigen Zunftvorstände und der übrigen anwesenden Mitglieder Gemeindebürgermeister L. Junkermann zum Meister als Lohgerber angenommen und als solcher in das Meisterbuch eingeschrieben, und braucht als eines Meisters Sohn nichts an gnädige Herrschaft, sowie an hiesige Stadt zu bezahlen, die Meistermahlzeit hat derselbe in Natur gegeben, auch hat derselbe für den Jungmeisterdienst wie dies schon mehr geschehen 25 S[ilber]gr[oschen] bezahlt, wodurch derselbe von diesem Dienste befreit ist“ (ebd.).

Obwohl das Protokoll diesmal von 18 Zunftmitgliedern unterzeichnet wurde, war die Angelegenheit damit noch immer nicht ausgestanden, denn ein knappes halbes Jahr später, am 5. April 1850, wurde Ludwig Junkermann von den Lohgerbern Wilhelm Dähne, Christian Klapp, Daniel Figge, Friedrich Emde und Wilhelm Klapp in Mengeringhausen wegen „unbefugter Ausübung der Lohgerberei“ verklagt.[19] Advokat Langenbeck stellte zwar einen Vergleich in Aussicht, doch ist nicht bekannt, ob dieser zustande kam. Am 3. Juni 1850 befasste sich die Zunft erneut mit diesem Vorgang. Über die Motive der protestierenden Lohgerber kann nur spekuliert werden. Sicher dürften ihnen Louis Junkermanns berufliche Expansionspläne ein Dorn im Auge gewesen sein. Dass Junkermann sein Vorhaben beharrlich weiter verfolgte und schließlich erfolgreich zum Abschluss brachte, ist durchaus bemerkenswert. Das Ergebnis der Auseinandersetzung hat im „Zunftbuch“ ebenfalls seinen Niederschlag gefunden: „Geschehen Mengeringhausen am 3ten Juni 1850. Nachdem der Gemeindebürgermeister Ludwig Junkermann unterm 29ten November 1849 zum Meister als Lohgerber eingeschrieben war, protestierten die klägerischen Rothgerbermeister dagegen, und verlangten, L. Junkermann solle ein Meisterstück verfertigen, es wurde dieses durch Erkenntnis des Magistrats bewilligt, und wurde demselben ein Meisterstück aufgegeben; und mußte derselbe nach Aufgabe der Meister eine Rinderhaut und ein Kalbfell bereiten und der Zunft demnächst zur Prüfung vorlegen. Am heutigen Tage präsentierte der Stückmeister L. Junkermann nun der anwesenden Zunft die zum Meisterstück aufgegebenen Stücke, und erkannten die beiden von der Zunft gewählten Schaumeister Schuhmachermeister Karl Kesting sen. und Lohgerbermeister Carl Figge als die von ihnen vor dem Bereiten gezeichneten Felle als richtig an, nachdem dies geschehen war, traten die übrigen umstehenden Meister zusammen, und erkannten das vorgezeigte Leder als Meisterhaft gearbeitet an, auch mußte L. Junkermann nach Vorschrift einen Schnitt durch das Leder thun, und auch hier  nach wurde das Leder noch als richtig Lohgahr und Meisterhaft bereitet anerkannt, da nun alle Anforderungen von dem Stückmeister L. Junkermann erfüllt waren, so wurde derselbe nunmehr als richtiger Lohgerbermeister angenommen, und die frühere Einschreibung vom 29ten November 1849 […] bestätigt“ (Zunftbuch, wie Anm. 6).

Abbildung 6: Bescheinigung der Schneiderzunft Mengeringhausen für den Gesellen Ludwig Krantz vom 2. Dezember 1803 (Foto: Kipp, M. Archiv)Abbildung 6: Bescheinigung der Schneiderzunft Mengeringhausen für den Gesellen Ludwig Krantz vom 2. Dezember 1803 (Foto: Kipp, M. Archiv)

Nach mehreren Anläufen war es dem Gemeindebürgermeister Ludwig Junkermann 1850 gelungen, nach seiner bereits 1830 abgelegten Prüfung zum Weißgerbermeister von der Mengeringhäuser Zunft, in der er bereits Zunftmeister war, auch als Lohgerbermeister anerkannt und angenommen zu werden. Damit wurde ihm das Recht zugestanden, nicht nur Weißgerber, sondern auch Lohgerber auszubilden und damit die Anzahl seiner „Lehrknechte“ zu verdoppeln. Mit dem Erwerb der Meisterrechte auch im Lohgerberhandwerk expandierte Louis Junkermanns Betrieb, der neben der zuvor schon betriebenen Weißgerberei nun auch die Lohgerberei umfasste, was durchaus ungewöhnlich war. Mit diesem produktiven Akt lebenslangen Lernens unterlief Louis Junkermann auch die limitierende Vorschrift bezüglich der Lehrlingshaltung. Damit gelang ihm genau das, was im Zunftbrief des Grafen Christian Ludwig aus dem Jahre 1701 bei Strafe untersagt worden war: „[…] soll auch kein Zunftmeister zwey Lehrknechte zugleich zu lernen vergönnt seyn bey Strafe eines Ohm Biers.“[20]

Ludwig Junkermanns Wirken als „Zunftmeister“ und als „Gerichts-Deputierter“ hat sowohl in den im Stadtarchiv Mengeringhausen verwahrten Zunftakten – beispielsweise in den Bescheinigungen über die Meisterstücke von Heinrich Kesting, Friedrich Emde und Wilhelm Schmidt vom 10. und 12. Januar 1849[21] – als auch  in den hier erstmals ausgewerteten Zunftdokumenten aus der „Zunftlade“ des Mengeringhäuser Heimatmuseums immer wieder seinen Niederschlag gefunden. Im bereits mehrfach genannten „Lehrlings-Buch“ unterzeichnete Louis Junkermann insgesamt neunmal als „Zunftmeister“, neunmal taucht seine Unterschrift auch in der Spalte „Gerichts-Deputierter“ auf. Bei der „Aufdingung“ seines Sohnes Fritz am 27. Juli 1847 war er als „Gemeindebürgermeister“ zugegen.[22] Mit seinen Ämtern und seinem beharrlichen und schließlich erfolgreichen Streben nach Anerkennung als Lohgerbermeister stellte er seinen beruflichen Ehrgeiz, sein Durchsetzungsvermögen und seine Zugehörigkeit zur Mengeringhäuser Führungsschicht eindrucksvoll unter Beweis.

Literatur

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Wissell, R. (1986): Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit. Bd. V. Berlin.

Wissell, R. (1988): Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit. Bd. VI. Berlin.

[1]     Verordnung der Fürstlich Waldeckischen Regierung über die Ableistung der Wanderjahre, 1806, 1844, Stadtarchiv Mengeringhausen, Abt. XXIII, Abschn. 5 F, Konv. 19, Fasc. 16. – Das entsprechende Dokument für die „Schuhmacher-, Roth- und Weißgerberzunft“ findet sich im Konvolut „Lose Blätter“ in deren Zunftlade und wird als Abb. 1 wiedergegeben. Am 22. August 1844 wird die Zunft erneut angehalten, „jedes Lossprechen eines Lehrlings sofort“ dem Magistrat der Stadt Mengeringhausen anzuzeigen. Werde ein Auswärtiger hier losgesprochen, so sei „dessen Obrigkeit davon ohne Hinhalt Anzeige zu machen“. Das in der Zunftlade im Konvolut „Lose Blätter“ aufgefundene Dokument wird als Abb. 2 wiedergegeben.

[2]     Das Wanderbuch von Ludwig Junkermann befindet sich im Besitz seines Ur-Ur-Enkels Dr. Klaus von der Emde, Bad Arolsen-Mengeringhausen, dem ich für die Möglichkeit der Einsichtnahme danke (Abb. 3).

[3]     Der Brief von Carl Christian Ludwig Junkermann an seinen Sohn Ludwig befindet sich im Besitz seines Ur-Ur-Ur-Enkels Dietrich Junkermann, Bad Arolsen, dem ich für die Möglichkeit der Einsichtnahme danke.

[4]     Die Bezeichnung der Zunft ist in den hier herangezogenen Dokumenten nicht einheitlich: Im hier in Rede stehenden Zeitraum ist oft von der „Gerber- und Schumacherzunft“ die Rede, häufiger allerdings von der „Schumacher-, Roth- und Weißgerberzunft“; anstelle der „Rothgerber“ findet sich häufig die Berufsbezeichnung „Lohgerber“. – Im Gründungsdokument der Zunft, dem Zunftbrief Graf Franz’ III. von Waldeck aus dem Jahre 1590, ist von der „Zunfftgilde und Bruderschaft“ der „Schuster, Löher und Weißgerber“ die Rede. Eine Kopie des Zunftbriefes, verfasst am Tage Michaelis (= 29. September) 1590, befindet sich im Stadtarchiv Mengeringhausen, Abt. XXIII, Abschn. 5 F, Konv. 27, Fasc. 1.

[5]     „Zunftbuch“, „Rechnungs-Buch“, „Meister-Buch I und II“, „Lehrlings-Buch“ sowie zwei stattliche Konvolute, bestehend aus einzelnen Blättern – nachfolgend als Konvolut „lose Blätter“ bzw. „Acten wegen der Lohmühle, die der Zunft gehört“ zitiert – befinden sich im Museum Mengeringhausen, Haus und Handwerk, Hintere Str. 7. Ich danke dem Vorstand des Heimat- und Museumsvereins Mengeringhausen, insbesondere Wolfgang Rest, für die Möglichkeit der Einsichtnahme und die Erlaubnis, Auszüge als Faksimile zu verwenden.

[6]     Vgl. dazu Stopp (1982). Für die waldeckischen Städte gab es einheitliche Vordrucke, in denen der Name der Zunft, der Name der Stadt, der Name des Gesellen, sein Heimatort und Alter, seine Statur und Haarfarbe sowie die Dauer seiner Beschäftigung handschriftlich eingetragen werden konnten. Der jeweilige Obermeister der Zunft sowie der Meister, bei dem der Geselle bis zum Tage seiner Abreise gearbeitet hatte, unterschrieben diese „Kundschaft“, die dem Inhaber bescheinigte, wie lange er „in Arbeit gestanden, und sich solche Zeit über treu, fleißig, still, friedsam und ehrlich, wie einem jeglichen Handwerks-Gesellen gebühret, verhalten hat, welches wir also attestieren, und deshalben unsere sämtlichen Mit-Meistere, diesen Gesellen nach Handwerks-Brauch überall zu fördern, geziemend ersuchen wollen.“ Kundschaft der Schneider-Zunft zu Mengeringhausen vom 2. Dezember 1803 (Abb. 6). Die Kopie dieser „Kundschaft“ befindet sich im Besitz von Henner Syring, Mengeringhausen, dem ich für die Möglichkeit der Einsichtnahme und die Abdruckerlaubnis danke.

[7] Vgl. Wissel (1971), (1981), (1985), (1986) und (1988), wo im Rahmen der  Brauchtumsschilderung die Gesellenbräuche verschiedener Handwerke dargestellt sind, darunter auch die obligatorischen Begrüßungsreden der zuwandernden Gesellen. – Der Handwerksbrauch der Gerber findet sich in Wissel (1988), 69-112.

[8]     Im „Meister-Buch“, Bd. I, ist unter dem 22. September 1830 vermerkt, dass Ludwig Junkermann junior bei offener Zunftlade den Antrag auf Aufnahme in die Zunft als Mit-Meister erfolgreich stellte und dass er als Sohn eines Mit-Meisters von Abgaben an „gnädige Herrschaft“ und an die Stadt Mengeringhausen befreit war; die fällige Meister-Mahlzeit wollte er in Natura geben.

[9]     Zu den Arbeitstechniken und Organisationsformen der Gerber siehe Reith (1991), und Wissell (1985), 74-112: „Der Handwerksbrauch der Gerber“.

[10]   Ortssippenbuch Mengeringhausen, Nr. 3483. Viertelmeister waren für Stadtviertel zuständige Vollzugsorgane des Magistrats. Sie hatten u. a. die Aufgabe, der Bevölkerung des Stadtviertels die Anordnungen des Magistrats bekannt zu geben, ihre Befolgung zu überwachen, etwaige Klagen entgegenzunehmen, die Preise für Brot, Fleisch und Bier zu kontrollieren, die Feuerstellen hinsichtlich ihrer Sicherheit zu überwachen und leitende Funktionen bei der Brandbekämpfung wahrzunehmen.

[11]   Das „Lehrlings-Buch“ – auf dem Umschlagdeckel steht handschriftlich „Buch für Lerlinge“ (sic!) – dokumentiert die von der „Löblichen Schumacher-, Roth- und Weißgerberzunft zu Mengeringhausen“ vorgenommenen Handlungen des Aufdingens und Lossprechens von Lehrlingen. Im aufgeklappten Zustand ist die gebundene Kladde 44 cm breit. Sie enthält 32 mit vorgedrucktem Text versehene Spalten, in denen die Nummern und Namen der eingeschriebenen Lehrlinge, ihr Geburtsort und Geburtstag, der Name des Vaters oder bei Unehelichen der Mutter, das Datum der Aufdingung, die dabei erhobenen Abgaben „An gnädigste Herr- schaft“, „An die Stadt“ und „An die Zunft“ sowie die Unterschriften des Gerichtsdeputierten und des Zunftmeisters verzeichnet sind. Diese Informationen, die auf der linken Seite vermerkt sind, betreffen die „Handlung des Aufdingens“. Die entsprechenden Einträge zur „Handlung des Lossprechens“ stehen in derselben Zeile auf der rechten Seite: Datum des Lossprechens, Abgaben „An gnädigste Herrschaft“, „An die Stadt“ und „An die Zunft“ sowie die Unterschriften des Gerichtsdeputierten und des Zunftmeisters. Pro Seite finden sich 11 Zeilen, im ganzen Buch sind die Daten von 57 Lehrlingen verzeichnet – angefangen mit der „Aufdingung“ des Heinrich Blume am 10. Juli 1841, endend mit der „Aufdingung“ des Gottlob Junkermann am 1. Juli 1861.

[12]   „Meister-Buch II“ für die „löbliche Schumacher-, Roth- und Weißgerberzunft zu Mengering- hausen“, Protokoll vom 17. Januar 1859. Im Ortssippenbuch Mengeringhausen wird Friedrich Junkermann unter Nr. 3484 als „Lohgerbermeister“ geführt.

[13]   Diese Information verdanke ich Dietrich Junkermann, Bad Arolsen.

[14]   S. o. Fußnote 6; Gottlob Junkermann darin unter Nr. 56. Sowohl bei Gottlob Junkermann als auch bei dem als Nr. 57 geführten Friedrich Lüteke aus Gembeck ist lediglich die „Handlung des Aufdingens“ vermerkt – die „Handlung des Lossprechens“ ist nicht dokumentiert, denn der letzte Eintrag im „Lehrlings-Buch“ wurde am 1. Juli 1861 getätigt.

[15]   In einigen Dokumenten wird er als Lui oder Luis Junkermann bezeichnet.

[16]   S. o. Fußnote 6. Um die Lohmühle bei Leiborn wurde in den Jahren 1837 bis 1839 ein Rechtsstreit geführt, der zahlreiche Prozesstermine erforderte, die in etlichen Protokollen ihren Niederschlag gefunden haben.

[17]   Heinrich Müller (*04.12.1820) war der jüngste Sohn des verstorbenen Zimmermeisters Karl Müller (1758–1833), Ortssippenbuch Mengeringhausen, Nr. 5193; Adolph Linnekugel (14.04.1824–13.11.1888), Ortssippenbuch Mengeringhausen, Nr. 4413, war der älteste Sohn des Pförtners Johann Friedrich Linnekugel, Ortssippenbuch Mengeringhausen, Nr. 4408.

[18]   Im „Lehrlings-Buch“ unter Nr. 24 geführt, allerdings mit leicht abgeändertem Familiennamen „Schomburg“. Datum der Aufdingung: 7. Mai 1850, Datum der Lossprechung: 19. Oktober 1852.

[19]   Das Dokument befindet sich im Besitz von Dietrich Junkermann, Bad Arolsen, dem ich für die Möglichkeit der Einsichtnahme und die Abdruckgenehmigung danke.

[20]   Zunftbrief des Grafen Christian Ludwig (1701), Stadtarchiv Mengeringhausen, Abt. XXIII, Abschn. 5 F, Konv. 27, Fasc. 1a.

[21]   Stadtarchiv Mengeringhausen, Abt. XXIII, Abschn. 5 F, Konv. 27, Fasc. 34.

[22]   In der im Stadtarchiv Mengeringhausen befindlichen Liste „Bürgermeister und Rat der Stadt Mengeringhausen sowie Stadtrichter seit 1314“ wird Ludwig Junkermann von 1839 bis 1842 als „Gemeindebürgermeister“ geführt; 1848 ist er als „2. Ratsherr“ vermerkt. Ich danke dem Stadtarchivar Christian Meuser für die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Unterlagen. Zur Verfassung und Verwaltung der Stadt Mengeringhausen siehe Weber (2001), 52.

Zitieren des Beitrags

Kipp, M. (2019a): Von der Wanderschaft des Weißgerbergesellen Ludwig Junkermann (1803–1868) zur mehrfachen Meisterschaft in Mengeringhausen – ein Beispiel für „lebenslanges Lernen“ im 19. Jahrhundert. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspäda­gogik – online, Ausgabe 36, 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe36/kipp_a_bwpat36.pdf (24.06.2019).