bwp@ 46 - Juni 2024

Demografische Entwicklung im Blickwinkel der beruflichen Bildung

Hrsg.: Karl Wilbers, Lars Windelband, Marie-Ann Kückmann & Stefanie Velten

Editorial bwp@46

Beitrag von Karl Wilbers, Lars Windelband, Marie-Ann Kückmann & Stefanie Velten

EDITORIAL zur Ausgabe 46:
Demografische Entwicklung im Blickwinkel der beruflichen Bildung

Die demografische Entwicklung in Deutschland ist durch eine tiefgreifende, langfristige Veränderung der Bevölkerungsstruktur gekennzeichnet, die insbesondere durch sinkende Geburtenzahlen, eine steigende Lebenserwartung und einen Anstieg an Pflegebedürftigen sowie einen positiven Saldo von Zu- und Fortzügen charakterisiert ist. Markant für die Berufsbildung ist vor allem die Abnahme der Bevölkerung im Erwerbsalter sowie die sinkende Zahl der Abgänger:innen aus allgemeinbildenden Schulen in den letzten Jahren. Damit verbunden ist der Fachkräftemangel in Deutschland schon heute deutlich spürbar und wird sich zukünftig weiter verschärfen. Diese Ausgabe der bwp@ thematisiert die Herausforderungen in verschiedenen Bereichen und zeigt unterschiedliche Dimensionen und Gestaltungsperspektiven auf.

Teil 1: Demografische Entwicklung und Fachkräftesicherung: Potentiale, aber auch Grenzen spezifischer Zielgruppen

Wenn es nicht genug junge Fachkräfte aus dem Inland gibt, rücken verstärkt auch andere Zielgruppen in den Fokus, die zur Deckung des Fachkräftebedarfs beitragen könnten. So nimmt in Zeiten des demografischen Wandels etwa der Anteil der Älteren im Beschäftigungssystem zu. In ihrem Beitrag denken Laura Naegele und Selina Staniczek aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) dies weiter. Die Autorinnen entwerfen dabei, auf der Basis eines systematischen Literaturreviews, eine alter(n)sgerechte Arbeitswelt, die explizit auch Prozessperspektiven aufnimmt und somit vielfältige Bezugspunkte für eine moderne Berufsbildung aufweist. Eine weitere ‚Reserve‘ für das inländische Fachkräftepotential könnten ausländische Fachkräfte sein. Tobias Maier und Michael Kalinowski aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) widmen sich zusammen mit Jonas Krinitz von der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) dieser Frage mit Hilfe der Szenario-Technik. Dabei legen sie als Referenzszenario eine Projektionswelle aus dem QuBe-Projekt zugrunde. Die Daten zeigen deutlich, welche Rolle Berufsbildung hier in der Zukunft spielen muss und sollte.

Teil 2: Demografischer Wandel in einzelnen Branchen

Der mit dem demografischen Wandel verbundene Fachkräftebedarf ist regional und je nach Branche sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zwei Beiträge dieser Ausgabe bearbeiten diese Perspektive exemplarisch. Anja Sonnenburg und Florian Bernardt von der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung reflektieren den Fachkräftebedarf für die Altenpflege. Die Fachkräfteversorgung wird nach der Autorin und dem Autor maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, genügend Personen für die Ausbildung zu gewinnen, wie Berufswechsler:innen, ältere Erwerbstätige und Ausländer:innen. Auch die Digitalisierung des Berufsfelds könnte perspektivisch helfen, den hohen Fachkräftebedarf zu mildern. Der Beitrag von Ansgar Klinger vom QUA-LiS NRW beleuchtet den Lehrkräftebedarf für die beruflichen Schulen. Aus der Gegenüberstellung von Einstellungsbedarf und Einstellungsmöglichkeiten zeigt der Autor deutlich, inwieweit die Länder unter Fortschreibung der bisherigen Bedingungen ihren eigenen Bedarf mit von ihnen qualifizierten Lehrkräften erfüllen können.

Teil 3: Inklusive Berufsbildung: Auch eine Antwort auf den demografischen Wandel

Auch Menschen mit Behinderung rücken durch den Fachkräftemangel verstärkt ins Blickfeld. Spätestens seit dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) gewinnt in der Berufsbildung das – eigentlich klassische – Thema der Inklusion weiter an Bedeutung. Initial und zentral kann und muss die Konvention als eine Konkretisierung grundlegender Menschenrechte verstanden werden. Eine andere Perspektive einnehmend, kann die inklusive Berufsbildung aber auch als ein Beitrag zur Bewältigung des demografischen Wandels diskutiert werden. Gleich zwei Beiträge in dieser Ausgabe widmen sich diesem Fokus. René Wüthrich von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) in Zollikofen in der Schweiz reflektiert Unterstützungsmaßnahmen für lernende Personen vor dem Hintergrund eines spezifischen Bildungsgangs, nämlich der zweijährigen beruflichen Grundbildung EBA in der Schweiz. Eine größere Gruppe von Autor:innen greift die Diskussion um inklusive Berufsbildung auf, nämlich Birgit Beierling (ehem. Paritätischer Gesamtverband Berlin), Ruth Enggruber (Hochschule Düsseldorf), Frank Neises (Bundesinstitut für Berufsbildung BIBB), Andreas Oehme (HAWK Hildesheim), Leander Palleit (Deutsches Institut für Menschenrechte Berlin), Wolfgang Schröer (Stiftung Universität Hildesheim), Marc Thielen (Leibniz Universität Hannover) und Frank Tillmann (Deutsches Jugendinstitut, Außenstelle Halle). Diese Gruppe arbeitet pointiert heraus, dass trotz des vielfach dargestellten Fachkräftebedarfs der Zugang zum Ausbildungs-, aber auch zum Beschäftigungssystem deutlich zu selektiv sei. Als Problem wird dabei insbesondere das nach Rechtskreisen strukturierte Unterstützungssystem identifiziert. Dies führt unmittelbar zur aktuellen Diskussion um Jugendberufsagenturen und der Beitrag konkretisiert die Idee eines „echten One-Stop-Government“.

Teil 4: Gestaltung des demografischen Wandels jenseits spezifischer Zielgruppen: Optimierungen im System der Berufsausbildung

Diese Ausgabe der bwp@ macht deutlich, wie fruchtbar zielgruppenspezifische Betrachtungen sind. Aber es ist letztlich wenig überraschend, dass auch Optimierungen des Ausbildungssystems auf der Agenda stehen (müssen).

Sowohl die Teilzeitausbildung als auch die Validierung beruflich erworbener Kompetenzen wird als Innovation bzw. als Ergänzung des traditionellen Ausbildungssystems diskutiert. Gleich beide Innovationen verweben Janika Grunau und Lena Sachse von der Universität Osnabrück. Sie zielen damit auf eine Gruppe, die sie als „nicht-traditionelle Auszubildende“ benennen.

Schulsozialarbeit ist ein heute weit verbreitetes Unterstützungsangebot an beruflichen Schulen. Chantal Mose und Monique Ratermann-Busse von der Universität Duisburg-Essen arbeiten dabei auf der Grundlage von Fallstudien an nordrhein-westfälischen Berufskollegs die Rolle der Schulsozialarbeit heraus. Dabei systematisieren die Autorinnen aus dem Datenmaterial mehrere Typen schulischer Sozialarbeit.

Vor dem Hintergrund einer für deutsche Leser:innen vermutlich überraschenden Erwartung in der Schweiz, nämlich einem markanten Wachstum der Lernenden in der Sekundarstufe II, diskutieren Belinda Aeschlimann, Lukas Graf, Jörg Neumann, Filippo Pusterla und Jürg Schweri von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung (EHB) in Zollikofen langfristige Strategien der Fachkräftesicherung, und zwar indem – bildlich gesprochen – in den fetten Jahren für die dürren vorgesorgt wird.

Einen Ansatz der – vor allem regionalen – Steuerung der Berufsbildung legen Bernhard Hübers und Rabea Pfeifer vom Institut für Soziale Arbeit e. V. vor. Die sogenannten Berufsgruppenprofile verdichten dabei Kennzahlen, die eine bessere Ableitung von Steuerungsmaßnahmen erlauben soll.

Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren für die unkomplizierte und immer konstruktive Zusammenarbeit. Ebenfalls bedanken wollen wir uns beim Redaktionsteam und unserer Webmasterin – das Team im Hintergrund sichert wie immer reibungslose Abläufe und ein mehr als pünktliches Erscheinen dieser Ausgabe 46.

Damit bleibt uns noch, allen Leserinnen und Lesern eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre zu wünschen.

Karl Wilbers, Lars Windelband, Marie-Ann Kückmann & Stefanie Velten  
(im Juni 2024)

 

Zitieren des Beitrags

Wilbers, K., Windelband, L., Kückmann, M.-A./Velten, S. (2024). Editorial zu Ausgabe 46: Demografische Entwicklung im Blickwinkel der beruflichen Bildung. bwp@ Berufs- und Wirtschafts­päda­gogik – online, 46, 1–3. https://www.bwpat.de/ausgabe46/editorial_bwpat46.pdf