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bwp@ Ausgabe Nr. 21 | Dezember 2011
Qualität und Qualitätsmanagement in der Berufsbildung
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 21 sind Karin Büchter, Franz Gramlinger & Karl Wilbers

Qualität in der beruflichen Ausbildung – Ansatz und Ziel der Reflexion von Berichtshefteinträgen

Beitrag von Joanna BURCHERT & Sven SCHULTE (Universität Bremen)

Abstract

Das Berichtsheft wird aus betrieblicher Sicht oftmals als Instrument der Qualitätssicherung für die berufliche Ausbildung gesehen, aber nur selten in dieser Richtung nachhaltig genutzt. Mit Hilfe der Web2.0-Technologie wird im Projekt expertAzubi das Berichtsheft als Online-Variante entwickelt. Das BerichtsheftOnline vereinfacht es, durch den interaktiven Charakter der neuen Medien, die klassische Nachweispflicht des Berichts über die Ausbildung mit Reflexionsfragen zu verknüpfen um dadurch nachhaltige Lernprozesse über die Ausbildung und die eigene Person zu initiiern. Die Reflexion bezieht sich im vorliegenden Ansatz auf die Beschreibung der durchgeführten Handlungen der Auszubildenden und orientiert sich dabei an den Reflexionskategorien Arbeitsprozess, Institution und Rolle der Auszubildenden. Im Reflexionsprozess sind die Ausbilder und die Lehrkräfte der Berufsschule im Sinne der Lernortkooperation als Auslöser und als Qualitätsverbesserungsinstanz eingebunden. Die Lernfortschritte des Reflexionsprozess können darüber hinaus seitens der Jugendlichen mit Hilfe eines Portfolios dokumentiert und genutzt werden. Der vorliegende Beitrag stellt die Rahmenbedingungen und Ziele des Projektes expertAzubi vor, um daran anschließend das zugrunde liegende Qualitätsverständnis und das Konzept zur Einbindung der Reflexion in den Prozess der Berichtsheftführung zur Qualitätsverbesserung zu erläutern. Dieses Konzept berücksichtigt einerseits schon vorliegende Ansätze der beteiligten Unternehmen und andererseits die zu untersuchenden Forschungsfragen und Projektziele.

Quality in vocational education and training – approach and aims of the reflection of training journal entries

From the perspective of the company, the training journal is often viewed as an instrument for quality assurance for vocational education and training, but it is only rarely used consistently in this way. With the help of Web2.0 technology the project expertAzubi develops the training journal in an online form. The online training journal simplifies, through the interactive character of the new media, the combination of the standard evidence requirements of the report with the training and reflection questions, in order to initiate sustainable learning processes regarding the training and the individual person. The reflection refers in the approach presented to the description of the actions carried out by the trainees and orients itself to the reflective categories of working process, institution and role of the trainees. The trainers and the teachers at the vocational school are involved in the reflection process in the sense of learning site co-operation as triggers and as an instance for improving quality. In addition the learning progress of the reflection process can be documented and used by the young people with the help of a portfolio. This paper presents the framework conditions and the aims of the project expertAzubi, in order, in a next step, to develop the underpinning understanding of quality and the concept for the inclusion of reflection in the process of keeping training journals for improving quality. This concept takes account, on the one hand, of the existing approaches of the participating companies and, on the other hand, of the research questions and project aims that will be investigated.

1 Einleitung

Das Berichtsheft ist ein Mittel zur Kontrolle betrieblicher Ausbildung durch die Kammern, und auch aus Sicht der Unternehmen beinhaltet es Potential zur Sicherung guter Bildungsarbeit. Als gezieltes Instrument der Qualitätssicherung wird es allerdings selten genutzt. Im Projekt expertAzubi wird das Berichtsheft als Online-Variante auf Basis der Web2.0-Technologie entwickelt. Das BerichtsheftOnline ermöglicht nicht nur das Ausfüllen des Ausbildungsnachweises am Computer und von verschiedenen Orten aus; vielmehr verknüpft es durch den interaktiven Charakter der Neuen Medien die klassische Nachweispflicht mit Reflexionsfragen, persönlichem Austausch mit Auszubildenden und Experten sowie mit fachlichen Informationen.

Der vorliegende Beitrag stellt die Rahmenbedingungen und Ziele des Projektes expertAzubi vor, um daran anschließend das zugrunde liegende Qualitätsverständnis und das Konzept zur Einbindung der Reflexion in den Prozess der Berichtsheftführung zur Qualitätsverbesserung zu erläutern. Dieses Konzept berücksichtigt einerseits die Anforderungen der beteiligten Unternehmen und andererseits die zu untersuchenden Forschungsfragen und Projektziele. Das Reflexionskonzept baut auf dem Ansatz der Entwicklungsaufgaben von HAVIGHURST (1972) und GRUSCHKA (1985) auf und orientiert sich an den Kategorien Arbeitsprozesse und Arbeitsaufgaben, Arbeitsplatz Betrieb und Rolle als Auszubildende(r).

2 Das Projekt expertAzubi – Rahmenbedingungen und Ziele

Nicht nur in der Berufswelt, sondern auch schon im Rahmen der Ausbildung begegnet Fachkräften bzw. Auszubildenden die so genannte Digitalisierung der Arbeitswelt. Der Bedeutung der immer stärkeren Einbindung der neuen Medien in die Arbeits- und Lernprozesse hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) durch entsprechende Förderinitiativen Rechnung getragen. Eines der durch das BMBF geförderten Forschungsvorhaben in dem Programm „Neue Medien in der beruflichen Bildung“ ist das am 01.11.2010 gestartete und mit einer Förderlaufzeit von genau drei Jahren ausgestattete Projekt expertAzubi[1]. Hinter dem Kurztitel verbirgt sich ein Projekt, welches anstrebt,

  • den Wissenstransfer zwischen Facharbeiter/innen und Auszubildenden zu verstärken,
  • Prozesse lebenslangen Lernens zu unterstützen und
  • die Verzahnung der Ausbildung durch den Einsatz von Web2.0-Technologien zu verbessern.

Um diese Ziele zu erreichen wird eine Plattform aufgebaut, die auf der Web2.0-Technologie basiert. Diese Plattform wird Auszubildenden, Lehrerpersonen, Ausbildern und anderen fachlichen Expertinnen/Experten als Medium des Austauschs dienen, indem Kontakte und Diskussionen miteinander erleichtert und die Bereitstellung fachlicher Texte, Photos und Zeichnungen ermöglicht werden.

Das Berichtsheft ist in diese Plattform eingebunden. Auch hier können Auszubildende gleichermaßen Texte und Bilder einstellen. Daneben werden sie über eine Empfehlungssoftware (Recommender) darüber informiert, welche Beiträge und Expertinnen/Experten es zu dem Eintrag gibt, den sie aktuell ins Berichtsheft schreiben. Wenn Ausbilderinnen/Ausbilder und Auszubildende den Zugang ermöglichen, können Berufsschullehrkräfte durch das Lesen des Berichtsheftes erkennen, welche Themen aktuell im Betrieb bearbeitet werden und folglich im Unterricht Brücken dazu schlagen. Ein letzter wesentlicher Aspekt schließlich ist, dass Auszubildende unmittelbar nach dem Eintrag ins Berichtsheft zu einer Reflexion angeregt werden (siehe Kapitel 4: Das Berichtsheft als Anreiz zur Reflexion).

Zum jetzigen Zeitpunkt (September 2011) befindet sich das Projekt in einer Erprobungsphase. Die Plattform mit einer Vorversion des Berichtsheftes und mit der Möglichkeit, Dokumente hochzuladen, zu bewerten und zu kommentieren, wird von zwei kaufmännischen Klassen getestet. Nach und nach werden weitere Projektklassen hinzukommen. Eine Öffnung für alle wird spätestens Ende 2013 erwartet. Der Projektstand kann auf der Homepage http://www.expertazubi.de/ verfolgt werden.

2.1 Projektpartner und Aufgaben

Das Projekt ist ein Verbundvorhaben, bei dem folgende Projektpartner ihre jeweiligen Aufgaben angehen:

  • Der Centers of Competence e.V. (CoC) als ein Unternehmensbündnis von ca. 200 Unternehmen im Nordwesten Deutschlands hat die Projektleitung inne und sorgt im Vorhaben sowohl für die Netzwerkbildung und Zusammenarbeit der Wissenschaft mit den Betrieben als auch für die Nachhaltigkeit was die Produkte und Ziele des Vorhabens angeht.
  • Das Institut Technik und Bildung (ITB) der Universität Bremen ist seit mehr als 20 Jahren unter der Leitidee der Gestaltung von Arbeit, Technik und Bildung in der Berufsbildungsforschung tätig. Im Projekt expertAzubi ist das ITB für die innovative und reflexive Gestaltung eines Berichtsheft-Online, für eine Untersuchung der Kompetenzentwicklung bei Jugendlichen und Experten durch die Nutzung von Web2.0-Technologien im beruflichen Kontext und für eine Qualitätsstudie zum User-Generated-Content verantwortlich.
  • Das Technologiezentrum Informatik und Informationstechnik (TZI) der Universität Bremen ist mit der Arbeitsgruppe „Digitale Medien in der Bildung“ (dimeb) im Projekt beteiligt, indem es die Benutzeroberfläche (Frontend) der Plattform gestaltet und die Usability (Nutzerfreundlichkeit) für die verschiedenen Zielgruppen untersucht.
  • Das 1991 als An-Institut der Universität Oldenburg gegründete Institut OFFIS ist im Projekt expertAzubi hauptsächlich für die Programmierung des Backend der Plattform und für die Umsetzung eines umfangreichen Recommender-Systems verantwortlich.

2.2 Berufspädagogische Ziele des Vorhabens

Trotz der interdisziplinären Zusammenarbeit im Projekt liegt der Fokus im vorliegenden Beitrag auf den Zielen des Teilprojekts „Interaktion und Didaktik - Erforschung und Entwicklung neuer Interaktionsmöglichkeiten und didaktischer Konzepte zum beruflichen Lernen mit Web2.0“ des ITB und TZI. Vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstands über Qualität in der beruflichen Bildung werden Antworten auf die folgenden drei Fragen gesucht:

  1. Wie kann das Berichtsheft so gestaltet werden, dass es sowohl aus pädagogischer Hinsicht Sinn macht als auch mit betrieblichen und persönlichen Routinen kompatibel ist?

  2. Welche Lernfortschritte entstehen in Abhängigkeit der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten beim beruflichen Lernen mit Web2.0-Technologien?

  3. Wie können wir sicherstellen, dass Auszubildende und Experten an unserer Plattform partizipieren wollen, z.B. indem sie Inhalte erstellen, und dass die Qualität dieser Inhalte hoch ist?

Bei der Konzeption der Plattform und bei den pädagogischen Überlegungen bauen die Projektpartner auch auf vorangegangenen Untersuchungen und bestehende Erkenntnisse auf.

2.3 Abgrenzung von bisherigen Projekten und Untersuchungen

Bei der Untersuchung des Internets als Entwicklungsmedium stand bisher vor allem die Entwicklung als Person im Vordergrund (vgl. SCHMIDT et al. 2009; ANNEN 2004). Hervorgehoben wird, dass die vielfachen Möglichkeiten der Selbstdarstellung im Netz die Reflexion über die eigene Person anregen. Auch auf der Plattform expertAzubi wird ein Profil zur Selbstbeschreibung erstellt werden können. Da wir die berufliche Entwicklung ganzheitlich fördern möchten, liegt das Augenmerk aber auch auf sozialen und fachlichen Aspekten. Die Förderung berufspraktischer und sozialer Kompetenzen wird insbesondere durch die (Lern)Community erfolgen: Hier wird Raum für fachliche Fragen der Auszubildenden gegeben, die durch andere Auszubildende, aber auch durch Experten aus Betrieben und beruflichen Schulen diskutiert werden. Ein wichtiger didaktischer Leitgedanke ist dabei die Selbstorganisationsfähigkeit von Online-Communities. Zum einen beeinflusst sie den Argumentationsstil: Weil aufgrund fehlender Hierarchien mehr Argumente für oder gegen eine Lösung vorgebracht werden, kann diese besser verstanden und verinnerlicht werden (vgl. WUTTKE 2006). Zum anderen finden die Auszubildenden im Forum einerseits einen neuen Lernort vor, werden aber gleichzeitig dazu ermuntert, ihre eigenen Erfahrungen weiterzugeben und gleichberechtigt zu diskutieren. Die Möglichkeit der (zunehmenden) Mitgestaltung ist dabei ein wichtiger Antrieb sowohl für das Lernen (vgl. LAVE/ WENGER 1999) als auch für die Nutzung einer Lernplattform (vgl. ARNOLD 2003).

Sowohl in der betrieblichen Ausbildungspraxis als auch in der berufspädagogischen Forschung ist das Berichtsheft teilweise bereits als Online-Version zu finden (vgl. u.a. http://www.aubi-plus.de/ausbildung/berichtsheft.html / http://www.azubi.net/apps/berichtsheft/report.php). So wiesen  Ausbilder und Berufsschullehrer in den vorbereitenden Leitfadeninterviews darauf hin, dass z.B. Versicherungskaufleute schon unternehmensinterne Versionen einer Online-Berichtsheftführung umsetzen. Diese besteht allerdings aus einer 1:1-Umsetzung der Vorlage der IHK in eine digitale Version, also ohne weitere Überlegungen zur Reflexions- oder Feedback-Nutzung. Außerdem ist das Projekt „BLok – Das Online-Berichtsheft zur Stärkung der Lernortkooperation“ unter der Projektleitung der TU Dresden zu nennen. Es fokussiert in erster Linie auf die Zusammenarbeit der Betriebe und Schulen, während expertAzubi stärker den Community-Gedanken und den Austausch zwischen Auszubildenden und Expertinnen/Experten hervorhebt. Darauf aufbauend ergeben sich für beide Projekte auch Fragen der Reflexion und der Kompetenzentwicklung der Auszubildenden, so dass insgesamt ein Erfahrungsaustausch für die weitere Entwicklung beider Projekte anzustreben ist.

3 Qualität in der beruflichen Ausbildung

Wenn Qualität als Begriff oder als Ziel für betriebliche Ausbildungsprozesse diskutiert wird, ist zunächst ein gemeinsames Qualitätsverständnis wichtig. Das Problem dabei ist, dass derzeit trotz einer langen Diskussions- und Forschungstradition und trotz der Einflüsse aus verschiedenen Disziplinen (u.a. Betriebswirtschaftslehre, Psychologie, Erziehungswissenschaften) ein eher schwach ausgeprägtes und gleichzeitig sehr unterschiedliches Qualitätsverständnis existiert (vgl. SCHEIB/ WINDELBAND/ SPÖTTL 2006). Einigkeit besteht prinzipiell und in einer großen Breite über den positiven Nutzen von Qualität (vgl. u.a. SPÖTTL/ BECKER 2006; BLINGS/ GESSLER 2007), und der Begriff ist per se schon positiv besetzt (vgl. EULER 2005, 13). Unabhängig davon zielt Qualität der beruflichen Bildung immer auf ein konkretes Ziel, wie im Berufsbildungsgesetz formuliert:

„Die Berufsausbildung hat die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln. Sie hat ferner den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrung zu ermöglichen“ (§ 1 BBiG Abs. 3).

In der berufspädagogischen Forschung wird eine ähnliche Definition beschrieben: „Qualität in der betrieblichen Ausbildung bezieht sich auf den Ausbildungsprozess und bedeutet, dass die Auszubildenden qualifiziert werden, die relevanten beruflichen Arbeitsaufgaben nach Abschluss der Ausbildung fehlerfrei zu bewältigen. Das bedingt eine hohe Input-, Prozess-, Output- und Outcomequalität“ (SCHEIB/ WINDELBAND/ SPÖTTL 2008, 36). Darüber hinaus hat eine BMBF-Studie zur Qualität in der Ausbildung mit vorrangig qualitativen Methoden (Interview-Leitfäden und Gruppeninterviews) untersucht, welches Verständnis von Qualität in der beruflichen Bildung zu finden ist und wie Qualitätssicherung und -entwicklung in der (betrieblichen) Aus- und Weiterbildungspraxis stattfinden (vgl. SCHEIB/ WINDELBAND/ SPÖTTL 2006) und folgende Erkenntnisse gewonnen:

A.      Es existiert ein heterogenes Qualitätsverständnis

Das Qualitätsverständnis ist sehr unterschiedlich und hängt dabei von den gegebenen Umständen, also bspw. von dem Ausbildungsberuf, von den beteiligten Personen, von dem Unternehmen etc. ab. Indikatoren für komplexere Ausbildungsprozesse sind selten vorhanden, und dazu haben die berufsbildenden Schulen scheinbar ein eigenes, von der betrieblichen Ausbildung entkoppeltes Verständnis von Qualität. Die „Qualitätsstandards, die bisher existieren, orientieren sich vor allem an den Rahmenbedingungen und Abschlüssen. Qualitätskriterien für die Gestaltung von Lehr-, Lern- und Ausbildungsprozessen fehlen weitgehend“ (ebenda, 4).

Diese Unsicherheit in der Praxis korrespondiert mit dem Stand der Forschung hinsichtlich der Frage, wie gute Lernprozesse gestaltet und ganzheitliche Kompetenzen definiert werden können. So vermittelt bspw. das Modell der DREYFUS-Brüder (vgl. DREYFUS/ DREYFUS 1987) zwar einen Eindruck von den inneren Konzepten und Problemlöseansätzen, die sich im Verlauf der Entwicklung vom Anfänger zum Experten verändern. Dafür, wie lange eine solche Entwicklung dauert oder wie sie unterstützt werden kann, gibt es aber nur wenige Befunde. So schwankt die Einschätzung der Zeit, die es braucht, um kompetent handeln zu können, zwischen wenigen Wochen und 10.000 Stunden (vgl. WETTSTEIN 2010, 68 ff., vs. SENNETT 2008, 231). Aus methodischer Sicht gilt selbstorganisiertes Lernen als lernförderlich (vgl. SOSIC-VASIC et al. 2011), aber auch als voraussetzungsreich, soll es nicht lernschwache Schüler benachteiligen (vgl. NICKOLAUS 2008). Was die Inhalte beruflicher Bildung angeht gibt es derzeit erstaunlich wenig Kontroversen; es überwiegt die Forderung nach grundlegender und handlungsorientierender Bildung (vgl. STOMMEL/ STOMMEL 1998; vgl. ADOLPH in JENEWEIN/ RAUNER 2002) – die allerdings im Zusammenhang mit vehementer Kritik an der derzeitigen Unterrichtspraxis an Berufsschulen geäußert wird (dazu allgemeiner auch GRUSCHKA 2011).

B.       Qualitätssicherung ist problemorientiert und in der Regel informell

Oftmals findet Qualitätssicherung im Rückblick auf problemorientierte Situationen statt. Dies ist grundsätzlich nicht verkehrt, vernachlässigt aber insgesamt das Potential der Qualitätssicherung für die Ausbildung. Feedbackgespräche bspw. sind den beteiligten Personen zwar als ein Instrument der Qualitätssicherung bekannt, werden aber in der Regel informell und situationsabhängig genutzt. In der Umsetzung werden diese Gespräche also nicht dokumentiert oder auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

C.       Unterstützung zur Qualitätsentwicklung des Ausbildungsprozesses wird nicht wahrgenommen

Unterstützende Maßnahmen für die Qualitätssicherung finden entweder singulär im Betrieb, auf Betreiben der Vorgesetzten, statt oder sie werden, ebenfalls als Einzelmaßnahme, in der Berufsschule durchgeführt. Austausch zwischen Ausbildern respektive Lehrern sowie gezielte Weiterbildungsmaßnahmen für fortlaufende Qualitätssicherung sind aus Sicht der Betroffenen zu selten. Besonders die kleinen und mittelständischen Betriebe fühlen sich oftmals zu wenig gefördert und finden nicht die Zeit und die personalen Ressourcen, um aufwendige und fortwährende Qualitätssicherungsprozesse durchzuführen.

D.      Qualitätsentwicklung findet nicht durchgängig statt

Sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Perspektive ist die Transparenz hinsichtlich einer Qualitätsentwicklung nicht deutlich genug. Innerhalb des Unternehmens und auch zwischen den beiden Lernorten Betrieb und Berufsschule findet oftmals keine ausreichende Verzahnung der beteiligten Akteure und der verschiedenen (hierarchischen) Ebenen statt.

Als ein Ergebnis der Modellinitiative des BMBF und weiterer Studien des BIBB ist es damit insgesamt ein notwendiges Ziel der berufspädagogischen Forschung, „vor allem kleine und mittlere Betriebe (…) durch die Entwicklung und Erprobung modellhafter Verfahren und Instrumente zur Sicherung und Weiterentwicklung ihrer Ausbildungsqualität“ (KREMER 2009, 3) zu unterstützen. Eine qualitativ hochwertige Ausbildung bereite die kleinen und mittelständischen Betriebe besser auf die kommenden Anforderungen vor, die durch den demographischen Wandel, einen damit verbundenen (möglichen) Fachkräftemangel (vgl. u.a. ESSER, 2011) und einen verstärkten Wettbewerb um Fachkräfte und Auszubildende gekennzeichnet sind.

Zwei zentrale Merkmale wurden dafür in den Untersuchungen identifiziert: Zum einen wird das Berichtsheft von den Betrieben in Workshops und Studien „unabhängig von der Unternehmensgröße … als Instrument der Qualitätssicherung genannt“ und intensiv diskutiert (SCHEIB/ WINDELBAND/ SPÖTTL 2006, 38), wobei das Berichtsheft in der Regel immer noch als Nachweis für die Kammern geführt wird und viele Chancen für eine Einbindung in bspw. Qualitäts- und Feedbackgelegenheiten nicht genutzt werden. Das Feedback ist als Instrument der Reflexion das zweite Merkmal. Die Betonung der „Wichtigkeit von intensiven Rückkoppelungsgesprächen in Bezug auf die Arbeitsergebnisse der Auszubildenden“ durch die Jugendlichen selbst zeigt sich u.a. bei BEICHT und KREWERTH (BEICHT/ KREWERTH 2009, 11). Die BMBF-Studie zeigt, dass die Stärke des dualen Systems aus Sicht der Auszubildenden und Expertinnen/Experten in der größtenteils sehr arbeitsprozessorientiert ausgerichteten betrieblichen Ausbildung liegt. Entwicklungsbedarf zeigt sich allerdings u.a. in der Feedbackkultur innerhalb der betrieblichen Ausbildung (vgl. ebenda, 13) und in der Lernortkooperation (vgl. SCHEIB/ WINDELBAND/ SPÖTTL 2006).

In der beruflichen Bildung fokussiert Qualitätssicherung respektive -entwicklung also auf berufliche Kompetenzentwicklung von Auszubildenden. Dies schließt neben der Einbindung in Arbeitsprozesse, der Bereitstellung relevanter Aufgaben und der Möglichkeit zu üben auch die Förderung kognitiver Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Leistungsmotivation, der Zielperspektiven und des sozialen Agierens ein. Verbessert werden kann die Qualität betrieblicher Ausbildung z.B. durch verstärktes Feedback als Anreiz zur Reflexion sowie mehr Lernortkooperation. Das BerichtsheftOnline hat hier viel Potential. Die Vernetzung von Lernorten wird dadurch ermöglicht, dass das Berichtsheft prinzipiell online verfügbar ist. Unter der Voraussetzung, dass die betreffenden Ausbilder und Auszubildenden die Leserechte freigeben, können Berufsschullehrkräfte in den Berichtsheften lesen und versuchen, Brücken zwischen dem Lernen im Betrieb und dem Lernen in der Schule zu schlagen. Dadurch würden Auszubildende ein stückweit von der unhinterfragten Anforderung erleichtert, selbst den Transfer zwischen den zwei Lernorten herzustellen. Der Aspekt der Reflexion wird als Schwerpunkt des Beitrags im folgenden Kapitel erörtert.

4 Das Berichtsheft als Anreiz zur Reflexion

4.1 Das Berichtsheft als Ausbildungsnachweis

Das Berichtsheft als Ausbildungsnachweis stellt sicher, dass die Ausbildung im Betrieb gesetzeskonform durchgeführt worden ist. Im Berufsbildungsgesetz ist dieser Anspruch allerdings recht frei formuliert: so kann das Führen eines Ausbildungsnachweises Teil einer beruflichen Ausbildungsordnung sein (§5 (2) BBiG); in diesem Fall gehört es zu den Aufgaben von Ausbildern, das Führen des Ausbildungsnachweises zu beaufsichtigen (§14 (1) BBiG) und diese sind eine Voraussetzung für die Zulassung zur Abschlussprüfung (§43 (1) BBiG). Da Ausbildungsnachweise auf formale Angaben fokussieren, werden sie (inhaltlich) von den meisten Auszubildenden vielfach eher stichwortartig ausgefüllt und von einigen Ausbildern eher wenig beachtet.

4.2 Reflexion zur Unterstützung beruflichen Lernens

Reflexion im Arbeitsprozess – als bewusste Bewertung und kritische Distanznahme – gilt als zentrales Moment der Kompetenzentwicklung. Sie kann vor, während oder nach der Arbeit stattfinden und auf die Arbeit, ihre Bedingungen oder die Ausführenden selbst bezogen sein (zusammenfassend DEHNBOSTEL 2008, 33 ff.). Für die Projektziele ist es sinnvoll, diese Reflexionsebenen mit der Forschung über Entwicklungsaufgaben zu verknüpfen. Entwicklungsaufgaben markieren einen Paradigmenwechsel in der pädagogischen Forschung: Seit den 1980er Jahren wird das Einleben von Menschen in neue Situationen nicht mehr als bloße Anpassung interpretiert, sondern als komplexer Prozess, in dessen Verlauf objektiv vorliegende Strukturen und Ansprüche mit individuellen Vorstellungen in Einklang gebracht werden (vgl. HERICKS 2006, 40f.). Im Verlauf beruflicher Sozialisation findet sich eine Person also in der betrieblichen Realität und im Arbeitsalltag zurecht, bringt dabei aber auch die eigene Persönlichkeit und ein subjektives Rollenverständnis ein. Anhand von konkreten Aufgaben und Situationen, in denen berufliche und subjektive Anforderungen zusammentreffen, findet eine (Weiter-)Entwicklung der Persönlichkeit statt. Als Wegbereiter der Forschung um Entwicklungsaufgaben gilt HAVIGHURST (1972), der diese in Bezug auf den gesamten Lebensverlauf formulierte. So benennt er als Aufgaben in der Adoleszenz u.a. (ebd., 43 ff.; eigene Übersetzung):

  • den eigenen Körper zu akzeptieren und sinnhaft mit ihm umzugehen,
  • neue und reifere Beziehungen mit Gleichaltrigen beider Geschlechter herzustellen,
  • emotional unabhängig von Eltern und anderen Erwachsenen zu werden,
  • Werte und Normen als Leitlinien des Verhaltens – und insbesondere soziales Verantwortungsbewusstsein – zu entwickeln.
  • sich auf eine berufliche Karriere vorzubereiten,

GRUSCHKA (1985) eruierte, dass Erzieher bei ihrer beruflichen Kompetenzentwicklung in vier Bereichen neue Konzepte zu erwerben haben: In Bezug auf ihre eigene Berufsrolle, die Adressaten ihres Handelns, das pädagogische Handeln selbst sowie das Umfeld ihrer Professionalisierung. STEIN (2009) arbeitete vier Kompetenzfacetten als besonders wichtig für den Ausbildungserfolg heraus: Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten (insbesondere in Bezug auf das berufspraktische Handeln), die Leistungsmotivation der Auszubildenden, die Erarbeitung eigener Zielperspektiven und das erfolgreiche Agieren in sozialen Kontexten. Allgemein formuliert betonen alle oben genannten Autoren also die Entwicklung auf der Ebene des Selbst, das fachliche Lernen und die zunehmende soziale Einbindung. In Bezug auf das Lernen während der Ausbildung umfasst dies:

  1. Die Auseinandersetzung mit Arbeitsaufgaben: Das umschließt das Nachdenken über die gelernte Handlung an sich, die Bedingungen, unter denen gearbeitet wurde und auch den damit verbundenen Lernprozess. In Bezug auf das Ergebnis der Handlung können Qualität, Sicherheit und Geschwindigkeit reflektiert werden. Schwierigkeiten und Erfolge können expliziert werden. Auch das in der Schule Gelernte soll in Verbindung mit der betrieblichen Tätigkeit gebracht werden.

  2. Die institutionelle Einbindung: Eine Reflexion zielt hier auf die Frage, welche Bedeutung das eigene Handeln im Gesamtprozess hat. Die Gestaltungsspielräume, Qualitätskriterien und Qualitätssicherungsmechanismen eines Betriebes sollen deutlich, vielleicht auch kritisch hinterfragt werden. Schließlich gehört in diesen Bereich auch der Umgang mit Kollegen.

  3. Die Rollenfindung: Hierzu gehört die persönliche Auseinandersetzung mit dem Berufserleben, aber auch eine Auseinandersetzung mit der Ausbildungsordnung bzw. dem Berufsbild.

Eine reflexionsorientierte Handhabung des Berichtsheftes schlagen auch HAASLER und RAUNER (2008) vor. In der von ihnen vorgeschlagenen (aber noch nicht umgesetzten) Variante sollen sich Auszubildende zum einen mit dem in der Ausbildungsordnung beschriebenen Berufsbild als Ganzes auseinandersetzen, zum anderen die alltägliche Arbeit ausführlich dokumentieren und unter den in Tabelle 1 dargestellten Aspekten reflektieren. Die hier benannten Reflexionsaspekte boten wichtige Anregungen für das Projekt expertAzubi.

Tabelle 1:     Dokumentationsanspruch und Reflexionskategorien bei RAUNER/ HAASLER (RAUNER/ HAASLER 2008, 42)

Dokumentation

Fragen zur Reflexion

Der Arbeitsauftrag:

Wird so dokumentiert, wie er erteilt wurde. Liegt er in schriftlicher Form vor, wird er als Anlage dokumentiert.

Worin besteht die Herausforderung des Arbeitsauftrags

-       fachlich…

-       organisatorisch…

-       persönlich…

Dokumentation:

·         des Arbeitsplans

dabei ist kenntlich zu machen, welche Planungselemente vorgegeben und welche Teile der Planung eigenständige sind

Zeitvorgaben: Qualitätsvorgaben soweit sie nicht bereits im Auftrag erhalten sind

·         Der Arbeitsablauf soweit dieser vom Arbeitsplan abweicht. In diesem Fall sollte auf die Ursachen hingewiesen werden.

Was habe ich erstmals gemacht?

Was beherrsche ich jetzt schon gut?

Was mir immer noch Schwierigkeiten bereitet

-       fachlich…

-       organisatorisch…

-       persönlich…

Das Arbeitsergebnis:

Zur Dokumentation des Arbeitsergebnisses gehört auch die Begründung des Ergebnisses, so dass es vom Auftraggeber nachvollzogen werden kann. Darzustellen ist auch, warum alternative Lösungen und Arbeitswege verworfen wurden.

Gab es Gestaltungsspielräume?

Wie wurden sie genutzt?

War eine Präsentation der Arbeitsergebnisse vorgesehen? Ist sie gelungen?

Qualitätssicherung:

Wie wurde die Qualität des Arbeitsproduktes und Arbeitsprozesses sichergestellt? Welches waren die Qualitätssicherungsverfahren und die Qualitätskriterien? Wurden die Qualitätskriterien erreicht?

Gab es Qualitätskriterien, die im Auftrag nicht ausdrücklich benannt wurden, die aber trotzdem

a)    eingehalten werden mussten

b)    beachtet werden sollten

c)    mir persönlich wichtig waren

Lernen:

Welche Klippen musste ich bei der Lösung der Probleme und der Bearbeitung des Arbeitsauftrags überwinden? Und wie ist mir dies gelungen?

Was ich bei nächster Gelegenheit (noch einmal) ausprobieren will. Was hat mich besonders interessiert und was hat mich eher gestört?

Was habe ich gelernt?

-       Fachliche/Soziale/Personale Kompetenzen

-       Fühlte ich mich eher

Überfordert

 

 

 

 

 

Unterfordert

 
Diese Reflexionsebenen entsprechen den durch die Entwicklungsaufgaben geprägten Ebenen, aber sie sind so ausführlich, dass sie zwar als Nachtrag zu Projekten denkbar, jedoch nicht als Mittel der regulären Beschreibung im Berichtsheft umzusetzen sind. Daher streben wir im Projekt eine andere Art der Implementierung an.

4.3 Das Berichtshefts als Anlass zur Reflexion im Projekt expertAzubi

Durch Reflexionsaufgaben erhält das Berichtsheft eine zusätzliche Dimension, nämlich die der Lernunterstützung für Auszubildende. Reflexion kann zur Vermeidung trägen Wissens beitragen (vgl. HARTINGER et al. 2001), aber auch den Dialog zwischen Auszubildenden und Ausbildern anregen. Aus Sicht der im Projekt expertAzubi involvierten IHK Ostfriesland/Papenburg ist die Einbindung von Reflexionsfragen sinnvoll und erwünscht, und es gibt keine Umfangsgrenze. Das Berichtsheft sollte dennoch anschaulich, les- und handhabbar bleiben. Aus diesem Grund, und auch um die Privatsphäre des Auszubildenden zu respektieren, erfolgt in expertAzubi die Reflexion zwar im Anschluss an das Berichtsheft, aber sie wird nicht in diesem abgebildet, sondern in einem privaten Lernportfolio. Sie findet zudem auf freiwilliger Basis statt. Als Schema lässt sich der Prozess des Berichtsheftschreibens und der darauf folgenden Reflexion wie folgt darstellen:

Initiates file download

Abb. 1:   Reflexion, die durch das Berichtsheft angestoßen und im Lernportfolio dokumentiert wird

Ausgehend von den Kategorien, über die Reflexion stattfinden kann (s.o.), formulierten wir mögliche Reflexionsfragen. Fragen zur fachlichen Entwicklung können z.B. lauten:

  • Was hast Du in der letzten Woche zum ersten Mal gemacht? Was beherrschst Du schon gut? Was möchtest Du noch lernen?
  • Hättest Du die Arbeit, die Du diese Woche gemacht hast, auch mit anderen Techniken oder mit anderen Materialien umsetzen können? Wie wäre das Ergebnis gewesen?
  • Unter welchen Bedingungen hast Du diese Woche gearbeitet (Kolleginnen/Kollegen, Raum, Geräte)? Hättest Du Dir etwas andere Bedingungen gewünscht?
  • Wie waren Deine Arbeitsergebnisse diese Woche in Bezug auf Qualität, Schnelligkeit und Menge?
  • Was hast Du in der Schule über solche Tätigkeiten gelernt? Gibt es etwas, das im Betrieb anders gemacht wird als Du es in der Schule gelernt hast?

Zum Bereich institutioneller Einbindung kann gefragt werden:

  • Welche Bedeutung haben die Tätigkeiten, die Du diese Woche gemacht hast, für den Betrieb?
  • Wie hast Du diese Woche mit Kollegen zusammengearbeitet? In welchen Bereichen war Teamarbeit besonders wichtig? Warum war Teamarbeit wichtig?
  • Wie viel Freiraum hattest Du bei den Arbeiten diese Woche?
  • Welche Qualitätsmaßstäbe hat der Betrieb an die Arbeiten, die Du diese Woche gemacht hast? Gibt es Qualitätskriterien, die in Deinen Arbeitsaufträgen letzte Woche nicht ausdrücklich benannt wurden, die aber trotzdem eingehalten werden mussten, beachtet werden sollten oder Dir persönlich wichtig waren? Wie wird normalerweise sichergestellt, dass solche Arbeiten, wie Du sie diese Woche gemacht hast, in der Qualität stimmen?

Reflexionsfragen im Bereich persönlicher Rollenfindung können sein:

  • Wie hast Du diese Woche erlebt? Hast Du Dich wohl gefühlt in der Ausbildung?
  • Wie passt das, was Du diese Woche gemacht hast, zu Deinem Berufsbild?
  • Welche Verantwortung war mit diesen Tätigkeiten verbunden? Was passiert, wenn Du diese Verantwortung nicht ernst nimmst?
  • Wie unterscheidet sich Deine Arbeit von der Arbeit Deiner Freunde/ Deiner Familie?

Es werden jeweils nur Fragen zu einer Kategorie gestellt, und zwar nicht zu jedem einzelnen Berichtshefteintrag, sondern zu einem Wochen- oder Monatsbericht, um den Aufwand der Beantwortung handhabbar zu halten. Die zusammengestellten Reflexionsaufforderungen können vom Ausbilderpersonal auch im Sinne einer Anregung verändert oder ganz neu formuliert werden. Geplant ist, auch die neuen Fragen des Ausbildenden in einen Reflexionsfragepool zu integrieren. Dieses flexible Verfahren stellt sicher, dass die Aufforderung zur Reflexion auch zu den Einträgen im Berichtsheft passt. Dass nicht „das System“, sondern die Ausbilderinnen/Ausbilder die Fragestellenden sind, führt dabei zu einer anderen Verbindlichkeit: Die Fragen werden von den Auszubildenden ernster genommen.

Gesammelt werden die Antworten auf Reflexionsfragen im Lernportfolio der Auszubildenden. Im Sinne der Web 2.0-Logik können diese entscheiden, wer in welchen Teil seines Portfolios Einsicht erhält. Den vielfältig nutzbaren Begriff des Portfolios haben wir im Projekt expertAzubi auf zwei mögliche Verwendungsmöglichkeiten hin präzisiert:

  1. Das Lernportfolio ist eine Struktur, in der Auszubildende ihre in formellen und in informellen Zusammenhängen erworbenen Kompetenzen dokumentieren können. Sie können auch notieren, was sie noch zu lernen haben oder vertiefen möchten und erhalten dazu vom automatischen Recommender-System Empfehlungen zu Dokumenten und Personen, die ihnen weiterhelfen könnten. Wichtig ist dabei, dass dieses Lernportfolio nicht nur während der Ausbildung, sondern auch anschließend im Berufsleben weiter verwendet werden kann.

  2. Aus dem Lernportfolio kann ein Bewerbungsportfolio generiert werden. Hierfür werden Strukturen bereitgestellt, die an offizielle Vorgaben, wie z.B. Europass, anknüpfen. Dokumente über besondere Fähigkeiten, Erfolge, Arbeitsergebnisse etc. können je nach Zusammenhang in einer virtuellen Mappe zusammengestellt werden.

Durch den Einbau einer Erinnerungsfunktion werden Auszubildende daran erinnert, das Berichtsheft auszufüllen – auch dies kann zur Verstetigung des Gelernten beitragen.

5 Ausblick

Es wurden beispielhaft Reflexionsfragen für das Berichtsheft-Online auf drei Ebenen, auf denen berufliche Kompetenzentwicklung stattfindet, formuliert: auf der Ebene fachlichen Lernens, der Ebene persönlicher Rollenfindung sowie der Ebene sozialer Einbindung. Um Reflexion an das betriebliche Geschehen anzuknüpfen, sind Einträge in das Berichtsheft als Anstöße zu nutzen. Ausbilderinnen/Ausbilder sind aufgefordert, die Reflexionsfragen zu stellen und dabei entweder aus dem von den Projektforschern entworfenen Fundus zu schöpfen oder aber eigene Fragen (ggf. mithilfe unseres Rasters) zu formulieren. Dadurch kann die Reflexion präzisiert werden, und der persönliche Bezug schafft mehr Verbindlichkeit für Auszubildende, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen. Die Antworten auf die Reflexionsfragen werden im persönlichen Lernportfolio gespeichert, um die Privatsphäre der Auszubildenden zu respektieren. Im Sinne der Logik des Web2.0 steht es ihnen dabei frei zu entscheiden, für wen welche Beiträge sichtbar sind.

Insgesamt scheint mit diesem Konzept einen Weg gefunden zu sein, pädagogische Ansprüche und betrieblichen sowie persönliche Routinen zu vereinbaren. Das Nutzerverhalten wird zeigen, ob die Theorie auch praktisch ist. Gleichzeitig sind in dem Forschungsprojekt weitere Fragen und Herausforderungen von Bedeutung:

  • Der Lernansatz, der mit der Plattform expertAzubi verfolgt wird, zielt auf Eigenaktivität, intrinsische Motivation und Selbstorganisation. Wie NICKOLAUS (2008) zusammenfasst, sind gerade lernschwächere Jugendliche mit einem solchen Setting oft überfordert. Andererseits scheinen gerade neue Technologien von Jugendlichen sehr gut akzeptiert zu werden. Wie also verhält es sich mit den Lernfortschritten, gerade von bildungsfernen Jugendlichen, beim beruflichen Lernen mit Web2.0-Technologien? Welche Inhalte tragen solche Jugendlichen zur Plattform bei und genügen diese lernförderlichen Qualitätskriterien? Wie müssen die Inhalte der Plattform beschaffen sein, um den verschiedenen Bedarfen der Nutzergruppen gerecht zu werden?
  • Durch das Berichtsheft-Online wird die Plattform in betriebliche Routinen eingebunden. Die Pilotklassen an berufsbildenden Schulen bringen erste Beiträge ein und beleben das Forum. Genügt das um sicherzustellen, dass die Lerncommunity für Auszubildende und Experten tatsächlich genutzt wird und nicht zu einer weiteren „Geisterhomepage“ verkommt?

Wenn es uns nicht gelingt, in zwei Jahren Wissensfortschritte zu diesen grundlegenden Fragen der Berufsausbildung mit Neuen Medien zu liefern, steht es den Kollegen frei, die Qualität unserer Forschung in Frage zu stellen.

6 Literatur

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[1]     Das Projekt expertAzubi wird mit Mitteln des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Europäischen Union (Europäischer Sozialfond – ESF) gefördert.


Zitieren dieses Beitrages

BURCHERT, J./ SCHULTE, S. (2011): Qualität in der beruflichen Ausbildung – Ansatz und Ziel der Reflexion von Berichtshefteinträgen. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 21, 1-15. Online:  http://www.bwpat.de/ausgabe21/burchert_schulte_bwpat21.pdf  (20-12-2011).


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