Beitrag von Michaela JONACH, Franz GRAMLINGER & Sigrid HARTL (ARQA-VET)
Qualitätsmanagementsysteme für berufsbildende Schulen befinden sich im deutschsprachigen Raum seit mehreren Jahren im Aufbau. Die Implementation von Strukturen, Instrumenten und Berichtssystemen ist weit gediehen, in Österreich etwa gibt es seit 2004 mit der QualitätsInitiative BerufsBildung (QIBB) ein übergreifendes Qualitätsmanagement für alle berufsbildenden Schulen Österreichs. Im Hochschulbereich wird bereits länger über die Frage, wie Anwender/innen von Qualitätsmanagementsystemen mit diesen Strukturen bzw. Systemen tatsächlich arbeiten, unter dem Begriff Qualitätskultur („quality culture“) diskutiert. Die Frage nach der Qualitätskultur auch im Bereich von (berufsbildenden) Schulen zu stellen und damit die formalen Strukturen mit individuellen und kollektiven Überzeugungen und Engagement (Commitment) zur Qualitätsarbeit in Beziehung zu setzen, ist das Anliegen dieses Beitrags. HARVEY/ STENSAKER (2008) haben das Quality Culture Konzept mit Bezugnahme auf die Cultural Theory weiterentwickelt und vier Idealtypen von organisationaler Qualitätskultur unterschieden: abwehrende, reagierende, sich reproduzierende und sich erneuernde Qualitätskulturen. Die Autor/innen untersuchen diese Idealtypen für den schulischen Bereich und regen zu einer Auseinandersetzung mit dem Konzept anhand einer Reihe von Fragen zur Selbstreflexion schulischer Qualitätskultur an. Die Wirkung soll ein Bewusstseinsprozess über eine mögliche Balance zwischen formaler Struktur und Haltungen und Überzeugungen sein.
Quality needs culture: The Quality Culture Concept and its applicability in the context of (vocational) schools
Quality management systems for vocational schools have been being developed for some years now in the German-speaking regions. The implementation of structures, instruments and reporting systems has progressed well; in Austria, for example, there has been an over-arching quality initiative for vocational education (QIBB) for all vocational schools in Austria since 2004. In the higher education sector there have long been discussions about the question of how users of quality management systems actually work with these structures or systems, using the term “quality culture”. The concern of this paper is to question the quality culture in the field of (vocational) schools, and thereby to relate the formal structures with individual and collective convictions and commitment to work regarding quality. HARVEY/ STENSAKER (2008) developed the concept of quality culture further with reference to cultural theory, and differentiated between four ideal types of organizational quality culture: defensive, reactive, reproductive and renewal of quality cultures. The authors examine these ideal types for the school sector, and encourage a debate about the concept using a series of questions on self-reflection of school-based quality culture. The effect should be a process of awareness about a possible balance between formal structure and positions and convictions.
1 Einleitung
Qualitätsmanagementsysteme haben inzwischen schon beinahe „Tradition“ im Kontext von Schule und Unterricht. In Österreich entstanden seit Mitte der 1990er Jahre erste Ansätze zur Implementierung von schulischen QM-(Qualitätsmanagement-)Systemen, und seit 2004 gibt es mit der QualitätsInitiative BerufsBildung (QIBB) ein übergreifendes Qualitätsmanagementsystem für das österreichische berufsbildende Schulwesen (vgl. GRAMLINGER/ NIMAC/ JONACH 2010). Vergleichbare Entwicklungen gibt es in Deutschland und der Schweiz, aber auch weitere europäische Länder haben, mit systemspezifischen, national unterschiedlichen Akzentuierungen, ihre Governance-Strukturen mit Hilfe von Qualitätsmanagementsystemen umgestellt[1]. Die Implementierung dieser QM-Ansätze und der damit verbundenen Strukturen auf der Ebene der Berufsbildungssysteme waren vielfach mit erheblichem Aufwand und nicht unbedeutenden Kosten verbunden: Die Systeme wurden oft mit wissenschaftlicher Begleitung entwickelt und pilotiert (EULER 2005; ZÖLLER 2009).
Inzwischen haben schon einige nationale Systeme die ersten Zyklen durchlaufen, entsprechende Erfahrungen wurden gesammelt und die QM-Systeme weiter verbessert. Fokussiert wurde, aus Sicht der Autoren/innen, vor allem auf den Aufbau und die Implementierung der Qualitätsmanagementsysteme (inklusive externer Evaluation) an sich und hier vor allem auf Strukturen, Instrumente/ Tools sowie Berichtssysteme[2].
Funktionierende Systeme sowie die dazugehörigen Prozesse und Regeln sind also vielfach implementiert, Daten werden über Berichts- und Monitoringsysteme generiert, und über die Wirksamkeit der eingesetzten Maßnahmen wird zumindest diskutiert. Das Vorhandensein von formalen Strukturen allein stellt jedoch, so konstatieren HARVEY und STENSAKER (2008) zumindest für den Hochschulbereich, keine Garantie dafür dar, dass Bildungsorganisationen den Qualitätsgedanken tatsächlich leben und umsetzen oder sich kontinuierlich zu verbessern versuchen: „Available evidence rather suggests that while systems, procedures and rules are being laid down, creating much data, many reports and much attention, there is still a lack of staff and student attachment and active involvement in these processes“ (HARVEY/ STENSAKER 2008, 428).
Über die reine Systemimplementierung hinaus gibt es weitere interessante Fragen, die aus Sicht der Autoren/innen für den Bereich Schule bislang wenig diskutiert wurden: konkret beziehen wir uns auf die von HARVEY und STENSAKER als “attachment and active involvement“ beschriebene Disposition der Anwender/innen – also z. B. der Schulleitungen, der Lehrer/innen und Schüler/innen – und die Art und Weise, wie mit den Qualitätsmanagementsystemen gearbeitet wird. Dazu gehören auch Fragen hinsichtlich der Verantwortlichkeiten, der Praktikabilität und der Akzeptanz dieser Systeme und die Art und Weise wie ein QM-System an einer Schule „gelebt“ und umgesetzt wird. All diese „weichen Faktoren“ möchten wir, in Anlehnung an ein Konzept aus dem Hochschulbereich unter dem Begriff „Qualitätskultur“ (Quality Culture) thematisieren, zur Diskussion stellen und entsprechende Anwendungsmöglichkeiten im Kontext Schule aufzeigen.
Im Hochschulbereich spielt das Thema Qualitätsmanagement auf europäischer Ebene zumindest seit dem Bologna Prozess, initiiert 1999 mit dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes, eine entsprechend große Rolle (vgl. EUROPÄISCHE KOMMISSION 2011). Schon seit 2002 beschäftigen sich die Hochschulen vor allem im Rahmen von Projekten der European University Association (siehe dazu auch www.eua.be) mit dem Thema Quality Culture (vgl. EUA 2006).
Ausgangspunkt dafür war der Umstand, dass die rein „technische“ Implementierung von Qualitätsmanagementsystemen im Kontext des Bologna Prozesses vergleichsweise zügig voran ging, die Etablierung einer Qualitätskultur im Sinne von „shared values“ und gemeinsamer (Qualitäts-) Verantwortlichkeit möglichst vieler Mitglieder einer Hochschulorganisation hingegen wesentlich zäher vorankam. Insbesondere der Management-Aspekt rund um das Thema Qualität wurde von zahlreichen Mitgliedern der scientific community abgelehnt und zwar besonders dann, wenn Top-down-Implementierungsansätze vorherrschten (vgl. VETTORI 2012). Das Ziel des Quality Culture Projekts war es daher, die Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer internen Qualitätskultur in Hochschuleinrichtungen zu fördern (vgl. EUA 2006, 6 f.).
Nach ausführlichen Diskussionen und Analysen kam es zu einer Einigung auf folgende Annäherung an eine Definition von Quality Culture:
„(…) quality culture refers to an organisational culture that intends to enhance quality permanently and is characterised by two distinct elements: on the one hand, a cultural/psychological element of shared values, beliefs, expectations and commitment towards quality and, on the other hand, a structural/managerial element with defined processes that enhance quality and aim at coordinating individual efforts.” (EUA 2006, 10)
Die folgende Grafik zeigt die Zusammenhänge des Quality Culture Konzepts auf:
Abb. 1: Das Quality Culture Konzept der European University Association (Grafik in Anlehnung an LOUKKOLA/ ZHANG 2010, 17)
Qualitätskultur setzt sich entsprechend diesem Konzept zusammen aus den formalen Elementen eines Qualitätssicherungs- bzw. -managementsystems (Instrumente, Werkzeuge, Prozesse, Indikatoren usw.) und dem Commitment (Haltung, Einstellung, Engagement) der einzelnen Mitglieder einer Organisation zum Thema Qualität. Dieses Commitment stellt einen essentiellen Teil der Qualitätskultur einer Organisation dar. Nur wenn sich möglichst viele Mitglieder einer (Bildungs)Organisation dem Qualitätsgedanken persönlich verpflichtet fühlen, kann Qualitätsmanagement sinnvoll und wirksam umgesetzt werden. Beide Teilbereiche – die formalen Strukturen bzw. Prozesse und die Haltung der Organisationsmitglieder zum Qualitätsthema – sind notwendig und hängen eng miteinander zusammen (vgl. LOUKKOLA/ ZHANG 2010, 16 f.). Zentrale Begriffe für ein gelingendes Zusammenspiel dieser beiden Seiten sind Kommunikation, Partizipation und die Schaffung von Vertrauen (in dieser Reihenfolge), wobei hier der Führungsebene selbstredend eine Schlüsselfunktion zukommt (vgl. GORDON 2002).
HARVEY/ STENSAKER (2008) entwickelten das Konzept der EUA weiter, indem sie den Versuch einer neuen theoretischen Fundierung des Qualitätskulturkonzepts unternahmen. Auf Basis der Cultural Theory (DOUGLAS 1982; THOMPSON et al. 1990) unterschieden sie zwei Dimensionen, die wichtig für die Erklärung des Sozialverhaltens eines Individuums sind: die Bedeutung bzw. den Einfluss von Gruppenkontrolle (group control) und das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein externer Regeln und Vorschriften (external rules and regulations).
Abb. 2: Idealtypische Qualitätskulturen nach HARVEY & STENSAKER
(in Anlehnung an HARVEY 2009, 2)
Die Kombination dieser beiden Dimensionen ergibt vier Idealtypen von Qualitätskultur, wobei die Autoren betonen, dass jede Organisation ihre eigene, spezifische Qualitätskultur hat und die im folgenden beschriebenen Idealtypen als theoretisches Konzept zu verstehen sind; mit anderen Worten: in der Realität kommen diese Ausprägungsformen nicht in Reinkultur vor.
· Abwehrende (reactive) Qualitätskultur: Mitglieder dieser Organisationen sind voller Zurückhaltung und hegen Zweifel gegenüber dem Qualitätsthema. Sie handeln vorschriftenorientiert. Die Qualitätsarbeit wird an einen Qualitätsbeauftragten delegiert, dieser ist im Selbstverständnis der Organisation für Qualität zuständig, eine breitere Partizipation weiterer Organisationsmitglieder ist nicht vorhanden. Aktivitäten rund um das Thema Qualitätsmanagement stehen relativ zusammenhangslos nebeneinander, ein integriertes, sinnstiftendes Gesamtsystem ist nicht erkennbar.
· Reagierende (responsive) Qualitätskultur: In diesen Organisationen erfolgt die Steuerung vor allem durch Anforderungen von außen. Das Management und die Organisationsmitglieder sind bemüht, den äußeren Ansprüchen gerecht zu werden, man handelt rechenschafts- und vorschriftenorientiert. Das Qualitätsmanagement wird als Parallelstruktur gesehen, der man sich ab und an widmet, die Verbindung zur Alltagsarbeit fehlt.
· Sich reproduzierende (reproductive) Qualitätskultur: Organisationen dieses Typs versuchen vor allem den Status Quo zu reproduzieren und die Einwirkung äußerer Faktoren so weit wie möglich zu limitieren. Die Qualitätskultur wird als Teil der täglichen Arbeit gesehen, allerdings sind die Abläufe wenig transparent, implementierte Prozesse und Praktiken werden nicht in Frage gestellt. Versuche, selbstkritischere Ansätze zu forcieren, werden eher abgewehrt. Über das Qualitätsmanagement werden keine selbstkritischen Fragen gestellt, die den Status Quo gefährden könnten.
· Sich erneuernde (regenerative) Qualitätskultur: Organisationen dieses Idealtyps haben klare Ziele vor Augen, erfinden sich jedoch ständig neu; externe Ansprüche an die Organisation werden klar gesehen, aber nicht immer ausreichend berücksichtigt. Qualitätsmanagement ist Teil der täglichen Arbeit und wird nicht als zusätzliche Bürde empfunden; diese Organisationen definieren sich als lernende Organisationen (vgl. HARVEY/ STENSAKER 2008, 436 f.).
HARVEY (2009, 2) betont, dass dieses zweidimensionale Modell gewählt wurde, um mit einer möglichst einfachen Darstellung die Reflexion über die eigene Organisation zu unterstützen. Außerdem wird explizit keine Wertung damit verbunden, eher im Gegenteil – die richtige Qualitätskultur gibt es demnach nicht: „The four resulting types represent different modes of operating. None are ‘correct’ or desirable in general, albeit some approaches may be preferable in a specific context.” (ebenda)
Auch wenn es weitreichende Unterschiede zwischen Hochschuleinrichtungen und berufsbildenden Schulen gibt (z. B. unterschiedlicher Grad der Autonomie, Unterschiede in den vorgegebenen Aufgaben, bei den Zielgruppen der Lehrenden und Lernenden u. v. m.) halten wir das Quality Culture Konzept für grundsätzlich auf den Schulbereich anwendbar und übertragbar und die Auseinandersetzung damit für sinnvoll und wichtig. Das Konzept zeigt auf, dass die rein instrumentelle Implementierung von formalen Qualitätssicherungsprozessen in jeder Bildungsorganisation ein wichtiger Faktor ist; dazu kommt aber noch als zweite essentielle Voraussetzung das „Quality Commitment“ – die Selbstverpflichtung und Überzeugung einer Organisation und ihrer Mitglieder, Qualitätsarbeit ernst zu nehmen und nachhaltig in der eigenen Organisation umzusetzen. Es gilt demnach, die formale/technokratische Seite mit der kulturellen Seite in Verbindung zu bringen.
Um zu überprüfen, ob das Quality Culture Konzept auch auf den schulischen Bereich umsetzbar ist, haben wir zunächst versucht festzustellen, ob die vier Idealtypen nach HARVEY und STENSAKER (wenn auch nicht in „Reinform“, die es so ja nicht gibt) in den berufsbildenden Schulen denkbar sind. Die unten stehende Skizze zu den Idealtypen resultiert aus unserer inzwischen fast fünfjährigen Erfahrung in der Arbeit mit berufsbildenden Schulen in Österreich und Deutschland, bei denen wir beratend oder evaluierend (z. B. als externe Evaluatoren/innen) tätig waren. Folgende Beobachtungen haben wir im Hinblick auf die vier Idealtypen gemacht und exemplarisch zusammengefasst, wobei betont werden soll, dass es sich hier selbstverständlich nicht um die Beschreibung von Einzelorganisationen handelt, sondern um ein Konglomerat an Einzelbeobachtungen, die an vielen verschiedenen Schulen gemacht und inhaltlich zusammengeführt wurden.
Abwehrende Qualitätskultur im Kontext Schule:
In diesen Organisationen steht die Schulleitung häufig nicht hinter dem Qualitätsmanagement, der Nutzen des QM-Systems wird mehr oder weniger offen in Frage gestellt und angezweifelt. Darunter leiden vor allem die (häufig dennoch engagierten) Qualitätsverantwortlichen, weil sie einen Auftrag haben, der von der Leitung nicht ausreichend unterstützt wird. Viele von ihnen vorangetriebene Projekte versanden bzw. laufen ins Leere, weil sich weder Lehrende noch das Verwaltungspersonal dazu verpflichtet fühlen, Engagement im Bereich QM zu zeigen. In der Schule gibt es kein gemeinsames Verständnis darüber, was Qualität für bzw. an der Schule bedeutet oder woran man feststellt, dass Qualität erzeugt wurde. Auf Nachfrage, wie einzelne Lehrpersonen Qualität z. B. im Unterricht umsetzen, wird auf die Qualitätsverantwortlichen verwiesen, die dafür „zuständig“ sind. Das QM-System erscheint insgesamt nur sehr bruchstückhaft implementiert: Einzelne Qualitäts-Projekte stehen relativ zusammenhanglos nebeneinander, es gibt keine verbindende Strategie, die von der Leitung kommuniziert wird und die Sinn stiftet. Evaluationen werden vor allem anlassbezogen und weil Druck von außen entsteht durchgeführt, z. B. weil ein Qualitätsbericht zu verfassen ist oder weil eine externe Evaluation ansteht. Mit den Evaluationsergebnissen wird nicht weitergearbeitet, es folgen keine Konsequenzen daraus. Verschiedene Gruppen (Schüler/innen, Lehrer/innen, Eltern, Arbeitgeber), die sich an Evaluationen beteiligen, fühlen sich deshalb nicht ernst genommen und erleben die Evaluation als bürokratischen Aufwand. Schulen mit abwehrender Qualitätskultur entwickeln keine Feedbackkultur, gravierende Qualitätsdefizite werden in der Regel nicht als solche erkannt.
Reagierende Qualitätskultur im Kontext Schule:
Charakteristisch für diesen Typus ist es in erster Linie den Ansprüchen, die von außen kommen (z. B. über die Schulaufsicht), so gut wie möglich gerecht zu werden. Die Planung der Schulprogramme richtet sich nach diesen äußeren Ansprüchen. Die Leitung fragt wenig nach der Relevanz bestimmter Qualitätsthemen oder -projekte für die eigene Organisation; im Zentrum der strategischen Planung steht die Frage, ob die Themen von den externen Stakeholdern als relevant eingeschätzt werden. Die Schulleitung ist bemüht, die äußeren Ansprüche nach innen so gut wie möglich zu kommunizieren. Rechenschaftslegung nach außen spielt eine zentrale Rolle, das Verfassen von Qualitätsberichten oder die Performance bei externen Evaluationen wird sehr ernst genommen, wobei es darum geht, sich möglichst gut zu präsentieren. Es fällt den Organisationen schwer, mit dem QM-System Entwicklungsthemen bzw. Felder, in denen man noch nicht so gut ist, anzugehen. Evaluationen werden durchgeführt, aber eher nicht zu Themen, die der Schule wirklich wichtig sind. Das Qualitätsmanagement wird als eine Art Parallelstruktur eingerichtet, der man sich immer wieder widmet; zum integrativen Bestandteil der Organisation, mit dem die eigenen Ziele verfolgt werden, wird es aber eher nicht. Wichtige Themen werden anderswo abgehandelt. Die Lehrenden wenden QM-Instrumenten an, verstehen die Qualitätsarbeit aber nicht als Teil ihrer Alltagsarbeit, die ohnehin zu erledigen ist. Insgesamt wird das Qualitätsmanagement nicht zur Weiterentwicklung der eigenen Organisation genützt, sondern zur Befriedigung externer Ansprüche.
Sich reproduzierende Qualitätskultur im Kontext Schule:
Bezeichnend für diese Art von schulischer Qualitätskultur ist, dass das Qualitätsmanagement dazu genützt wird, den bisherigen Status Quo aufrechtzuerhalten. Im Notfall wird dafür durchaus auch manipulativ vorgegangen: Daten werden z. B. in eine bestimmte Richtung hin interpretiert, damit es “offensichtlich“ ist, warum bestimmte Maßnahmen umgesetzt werden müssen und andere Maßnahmen nicht in Frage kommen. Äußere Einflüsse (z. B. rückläufige Schüler/innenzahlen, neue Arbeitsmarktentwicklungen) werden soweit wie möglich zurückgedrängt bzw. ignoriert, damit keine Veränderungen in der Organisation eingeleitet werden müssen. Das führt z. B. dazu, dass bestehende Ausbildungsangebote nicht kritisch hinterfragt bzw. gegebenenfalls adaptiert werden. Das Qualitätsmanagement bleibt insgesamt intransparent und undurchsichtig, die Organisation nützt es nicht dahingehend, sich selbstkritisch zu hinterfragen. Bestehendes darf nicht in Frage gestellt werden. Lehrende die das tun, begeben sich in Gefahr diskreditiert zu werden. Evaluationen werden durchgeführt, beziehen sich allerdings nicht auf die eigentlichen Fragen und Probleme, die die Schule zu lösen hat. Mit Evaluationsergebnissen wird weitergearbeitet, allerdings gibt es wenig Offenheit hinsichtlich der Interpretationsmöglichkeiten, die geplanten Maßnahmen stehen eigentlich unabhängig davon fest.
Sich erneuernde Qualitätskultur im Kontext Schule:
Schulen dieses Typs verfügen über Schulleitungen, die vom Sinn und Nutzen von Qualitätsmanagement überzeugt sind und ihren Aufgaben in diesem Zusammenhang zielgerichtet verfolgen. Es gibt Qualitätsverantwortliche (oft auch Qualitäts-Teams), aber grundsätzlich fühlen sich fast alle an der Schule dem Qualitätsgedanken verpflichtet. Die Qualitätsarbeit ist in das Alltagshandeln integriert und wird nicht als zusätzlicher Aufwand empfunden. Die Schule verfügt über gemeinsame Werte und Haltungen zum Thema Qualität, das Leitbild wird in einem partizipativen Prozess erstellt, und man versucht es umzusetzen. Im Zentrum aller Qualitätsbemühungen stehen die Schülerinnen und Schüler, es ist der Schulleitung, den Lehrenden und dem Verwaltungspersonal klar, dass alle Anstrengungen in diese Richtung gehen müssen. Die Schüler/innen fühlen sich als Feedbackgeber/innen ernstgenommen, weil sie wahrnehmen, dass ihr Feedback Konsequenzen nach sich zieht. Evaluationen werden regelmäßig durchgeführt, sie betreffen Themen, die der Schule ein Anliegen sind. Die Evaluationsergebnisse werden sorgfältig analysiert, darauf basierende Maßnahmen werden geplant und umgesetzt. Äußere Ansprüche werden wahrgenommen, allerdings nicht immer ausreichend umgesetzt.
Die von HARVEY/ STENSAKER (2008) beschriebenen Idealtypen für unterschiedliche Ausprägungen von Qualitätskultur finden sich, unserer Einschätzung nach, auch im Bereich berufsbildender Schulen – wenn auch nicht in Reinkultur. Den verschiedenen Typen relativ klar zuordenbare Strukturen, Vorgehens- und Verhaltensweisen haben wir in zahlreichen von uns beratenen Schulen vorgefunden.
Förderliche Faktoren, um die formale und die kulturelle Seite, die beide erst miteinander die Qualitätskultur einer Organisation ausmachen, sinnvoll zusammenwirken zu lassen, sind entsprechend den Arbeiten der European University Association (vgl. EUA 2006, 20; siehe auch oben Abb. 1):
· Kommunikation: es gibt passende und ausreichende Kommunikationsstrukturen und ‑anlässe zum Thema Qualität und Qualitätsmanagement
· Partizipation: möglichst viele Akteure/innen an der Schule sind in QM-Projekte und Prozesse eingebunden
· Vertrauen: Fehlerkultur und Vertrauenskultur im Umgang mit Feedback und Evaluationsergebnissen ist aufgebaut
Einen „Königsweg“ oder die „richtige“ Qualitätskultur gibt es nicht, da jede Organisation anders funktioniert bzw. vor anderen Herausforderungen steht. Was das Quality Culture Konzept aber anbieten kann, ist ein gemeinsamer Ausgangspunkt: die Analyse der bereits bestehenden Qualitätskultur in einer Organisation. VETTORI (2012, 4 f.) betont, dass das Quality Culture Konzept als analytisches Instrument genutzt werden kann, um jeweils aktuelle Strategien, Praktiken und Prinzipien in Organisationen zu reflektieren und so einen Grundstein für die nächsten Entwicklungen zu legen.
Wiederholt wird darauf hingewiesen, dass es wichtiger ist, Fragen zu stellen, als Antworten zu haben oder Umsetzungsmöglichkeiten zu finden: „… our main conclusion is that ‚quality culture‘ (…) can be a tool for asking questions about how things work, how institutions function, who they relate to, and how they see themselves” (HARVEY/ STENSAKER 2008, 438).
Abschließend sollen darum hier (in Anlehnung an VETTORI 2012) erste Überlegungen angestellt werden, welche Fragestellungen im schulischen Kontext und im Rahmen des Quality Culture Konzepts sinnvoll und hilfreich sein können; die unten stehende Liste kann keinesfalls abschließend sein, sondern ist – im Gegenteil – beinahe unbegrenzt erweiterbar. Die Fragen sollen dazu dienen, den Status quo, also die gerade gelebte Qualitätskultur, analytisch zu hinterfragen und darauf aufbauend zukünftige strategische Entscheidungen zu treffen. „From self-reflection to enhancement“ ist nicht zufällig der Untertitel der EUA Publikation „Examining Quality Culture Part III“ (VETTORI 2012).
Fragen für die Selbstreflexion schulischer Qualitätskultur:
· Welche Werte und Haltungen zeichnen unsere Schule aus?
· Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Werten und Haltungen (Leitbild) und den strategischen Zielen bzw. den dazugehörigen Instrumenten an unserer Schule?
· Werden diese Werte und Haltungen an unserer Schule gelebt?
· Wer ist in welchen Projekten/Aktivitäten involviert?
Wer ist gar nicht involviert?
· Haben alles unsere QM-Aktivitäten einen klaren Sinn und Zweck?
Gibt es eine klare und allen kommunizierte Verbindung zur Strategie?
· Wie werden die bestehenden QM-Instrumente verwendet und von wem?
Wie sieht die Akzeptanz der Instrumente aus?
Welche Gruppen halten welche Instrumente für sinnvoll?
· Was sind die wichtigsten Aktivitäten und Instrumente innerhalb des QM-Systems?
Gibt es Aktivitäten auf die verzichtet werden könnte?
· Was tragen die bestehenden Strukturen zur Qualität unserer Schule bei?
· Wie gehen wir mit Fehlern bzw. Qualitätsdefiziten um?
· Wie gehen wir mit Evaluationsergebnissen um?
· Wie wirkt sich unser QM-System auf den Unterricht aus?
· Was wollen wir für unsere Schüler/innen erreichen?
· Wie gehen wir mit Ansprüchen von außen um?
· Wie gehen wir mit Veränderungen der Umweltbedingen (z. B. Demographische Entwicklungen) um?
„Richtige“ Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Unserer Meinung nach ist vielmehr die Auseinandersetzung mit solchen oder ähnlichen Fragen in einer Organisation wichtiger als die Antworten darauf (vgl. auch VETTORI 2012).
Abb. 3: Komponenten der Qualitätskultur und die Bedeutung von Fragen
Wie bereits oben herausgearbeitet, setzt sich die Qualitätskultur einer (Bildungs-)Organisation nach dem hier behandelten Konzept aus den Komponenten formale Strukturen einerseits und Haltungen und Überzeugungen andererseits zusammen – beide Komponenten sind notwendig und wichtig und stehen zueinander in einer Wechselwirkung. In Abbildung 3 werden dieser Zusammenhang und die Funktion von Fragen dargestellt: Fragen zur Selbstreflexion können und sollen helfen, beide Bestandteile der Qualitätskultur voranzutreiben und synergetisch das Wechselspiel bzw. die Balance der beiden Teile zu fördern; oder anders formuliert: ein von uns häufig zugunsten der formalen Strukturen vermutetes Ungleichgewicht auszugleichen.
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EULER, D. (2005): Qualitätsentwicklung in der Berufsausbildung. Materialien zu Bildungsförderung Heft 127. Bonn. Online: http://www.blk-bonn.de/papers/heft127.pdf (30-05-2012).
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[1] Einen Überblick über die QM-Systeme in der Berufsbildung in verschiedenen europäischen Ländern bietet die Homepage des Europäischen Netzwerks für Qualität in der Berufsbildung (EQAVET) unter www.eqavet.eu.
[2] Eine gute Übersicht über die in den deutschen Ländern bestehenden Systeme gibt es online unter www.deqa-vet.de/de/478.php, für Österreich bspw. unter www.qibb.at bzw. www.peer-review-in-qibb.at.
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