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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS03 - Konzept Hauptschuloberstufe
Herausgeber: Wiebke Petersen & Gerald Heidegger


Titel:
Vom Übergangslabyrinth zur arbeits- und kulturorientierten Alternativen Oberstufe – Editorial zur Workshopdokumentation


Die Bedeutung der Übergangsphase für die Entwicklung des Selbstkonzepts

Beitrag von Günter RATSCHINSKI (IfBE, Universität Hannover)

Abstract

Die Rolle der kognitiven, affektiven und der Handlungskomponente des Selbstkonzepts in der Berufsorientierung wird anhand von empirischen Ergebnissen aus veröffentlichten und bisher unveröffentlichten Studien illustriert. Kognitive Aspekte werden durch die Entwicklung der mentalen Repräsentation der Berufswelt nach Geschlechtstyp, Prestige und Interessenorientierung beschrieben. Effekte der affektiven Komponente, des Selbstwertgefühls, werden an selbstwertdienlichen Einschätzungen illustriert und an globalen Selbstbeschreibungen zu Beginn und am Ende von Berufsvorbereitungsmaßnahmen. Selbstwirksamkeitsüberzeugen, die die Handlungskomponenten des Selbst beschreiben, entstehen in erster Linie durch eigene praktische Erfahrungen. Deshalb bekommen Berufspraktika für die Berufsorientierung eine hohe theoretische Bedeutung. Empirische Ergebnisse zur Rolle von Berufspraktika für die individuelle Berufsentscheidung und für die Bewerberauswahl der Ausbildungsbetriebe bestätigen den hohen Stellenwert. Die Gestaltung der Übergangsphase hat sowohl Einfluss auf die Entwicklung des Selbstkonzepts als auch auf die Übergangschancen von der Schule in eine Ausbildung.

1 Die Bedeutung der Übergangsphase für die Entwicklung des Selbstkonzepts

Später einen guten Beruf zu haben, ist persönlich bedeutsam, nicht nur für Jugendliche in der beruflichen Entscheidungsphase, sondern auch schon für (ältere) Kinder. Im LBS-Kinderbarometer von 2007 hielten 81% später „einen guten Beruf zu haben“ für sehr wichtig. Im Vergleich dazu war es für nur 62% sehr wichtig, später „eine Familie zu haben“ (LBS-INITIATIVE JUNGE FAMILIE 2007). Die Erwartung, Berufswünsche auch verwirklichen zu können, ist jedoch nicht für alle gleich hoch. Die letzte Shellstudie konstatiert von 2002 bis 2010 ein Absinken des Prozentsatzes der Jugendlichen aus der Unterschicht, die „sehr oder eher sicher“ sind, ihren Berufswunsch verwirklichen zu können. Dagegen wird bei Jugendlichen mittlerer und höher Schichten ein Gleichbleiben oder Ansteigen von einem deutlichen höheren Ausgangsniveau verzeichnet (LEVEN/ QUENZEL/ HURRELMANN 2010).

Je persönlich bedeutsamer Einstellungen werden, desto stärker sind sie im Selbstkonzept verankert. Selbstkonzept ist eine Einstellung zu uns selbst. Sie besteht – wie Einstellungen zu anderen sozialen Objekten auch - aus drei Komponenten: einer kognitiven, einer affektiven und einer Handlungskomponente(vgl. SCHRADER/ HELMKE 2008). Die kognitive Komponente, das Selbstkonzept, kennzeichnet das Wissen über uns selbst und ist als Beschreibung definiert. Die affektive Komponente ist das Selbstwertgefühl oder besser die Selbstwertschätzung, die als Ergebnis einer Selbstbewertung aufgefasst wird, und die Handlungskomponente ist die Erwartung, komplexe Handlungen ausführen zu können. Als Selbstwirksamkeit kann sie als subjektive Spiegelung der Handlungskompetenz interpretiert werden. An dieser Dreiteilung orientiert sich die folgende Erörterung der Beziehung von Beruf, Selbstkonzept und Übergangsphase. Als Belege ziehen wir auch Daten aus eigenen (zum Teil unveröffentlichten) Untersuchungen heran.

2 Das Selbstkonzept

Die Entwicklung des Selbstkonzepts beginnt, sobald Kinder Aussagen über sich selbst machen können, verbal oder nonverbal. Nur wenige Jahre später können sie Aussagen über Berufe machen. Wenn man Kinder im Alter von drei oder vier Jahren fragt, was sie einmal werden wollen, kann es zwar sein, dass sie „Weihnachtsmann“ sagen oder „Bob der Baumeister“, aber sie nennen auch reale Berufe.

Das ist die erste Form der Berufsorientierung. Diese beginnt nicht erst in der siebten oder achten Klasse, wenn sie auf den Lehrplänen der Schulen erscheint, sondern sie ist Teil der Weltaneignung von Kindern. Dass die ersten Berufswünsche kleiner Kinder irgendwas mit der späteren Berufswahl zu tun haben können, mag nicht unbedingt einleuchten. Es gibt jedoch eine Theorie, die plausible und überprüfbare Annahmen über den Zusammenhang von sehr frühen und späten Berufswünschen vorlegt und gleichzeitig eine Verbindung von Selbstkonzept und Berufskonzept herstellt. Es ist die Eingrenzungs- und Kompromisstheorie von Linda GOTTFREDSON (1981).

Nach ihrer Theorie grenzen wir den Suchraum für passende Berufe in vier Entwicklungsphasen ein – und zwar analog zu unserer Selbstkonzeptentwicklung. Selbstkonzepte sind zwar individuell und einzigartig, aber ihre Entwicklung beginnt kollektiv.

Kleine Kinder wollen in Entwicklungsphase eins (von 3 bis 5 Jahren) erwachsen sein und drücken das auch in ihren Berufswünschen aus. Sie wollen sein wie ihre Eltern, mit denen sie sich identifizieren, oder wie andere – aus ihrer Sicht mächtige - Erwachsene. Eine Folgerung aus dieser Annahme ist, dass die Kinder in dieser Phase zunehmend seltener Phantasieberufe nennen und häufiger reale Berufe, die ihnen in ihrer Umwelt begegnen(vgl. CARE/ DEANS/ BROWN 2007).

Eine Bestätigung dieser Annahmen haben wir in kleinen empirischen Erhebungen in Hannover zeigen können. SCMELZER (2010) befragte 135 Kinder (64 Jungen, 71 Mädchen) im Alter von drei bis sechs Jahren nach ihren Berufsvorstellungen und verglich die Ergebnisse mit Befragungen vor 40 und vor 80 Jahren von LEHR (1970) und FRANK/ HETZER (1931). Die Kinder besuchten drei Kindergärten im Süden Hannovers und wurden dort vom Autor mit Unterstützung der Erzieherinnen nach den Berufen der Eltern und den eigenen Berufswünschen befragt. Das Frageschema entsprach im Kern dem der beiden Vergleichsuntersuchungen. Viele Dreijährige waren zu schüchtern und ängstlich, so dass sie auf Anraten der Erzieherinnen nicht in Befragung einbezogen wurden. Die insgesamt 30 Dreijährigen der Stichprobe erweisen sich als anfällig für Suggestiveffekte. So gaben sie häufig den letzten Teil einer Frage als Antwort zurück. Die Hälfte der Kinder hatte noch keinen Berufswunsch. Die Quote fiel von 87% bei den 3-jährigen auf 23% bei den 6-jährigen. Gleichzeitig stieg der Anteil realer Berufe unter den Nennungen. Über 80% der Sechsjährigen nannten reale Berufe. Bei den Jungen dominerte das Motiv „Abenteuer erleben“, bei den Mädchen „Pflegetätigkeiten“. Manuelle Tätigkeiten, die vor 40 und 80 Jahren noch am häufigsten genannt wurden, fielen hinter Pflege und Abenteuer-Tätigkeiten zurück. Eine zweite - strengere Annahme -, dass die Kinder meist Berufe der Eltern nennen, konnte SCHMELZER nicht belegen. Nur 4 der 135 befragten Kinder nannten den Beruf der Eltern als Berufswunsch. 26% der Kinder kannten den Beruf ihrer Eltern nicht.

In der zweiten Entwicklungsphase des GOTTFREDSON-Modells (von 6 bis 9 Jahren) definieren sich Kinder als Junge oder Mädchen und wählen entsprechende Berufe. Die geschlechtstypische Berufswahl von Kindern im Grundschulalter ist gut belegt und häufig repliziert (z.B. MEIXNER 1996).

Die Bevorzugung von Berufen des eigenen Geschlechts markiert die erste Eingrenzung des Suchraums für passende Berufe. Die zweite Eingrenzung sind soziale Bewertungen: arm – reich, gut-schlecht in der dritten Entwicklungsphase (von 10 bis 12 Jahre). Kinder in dieser Phase wissen, was gute und schlechte Berufe sind. Sie wissen allerdings auch, wie viel Aufwand notwendig ist, oder was sie von ihren Eltern an Unterstützung erwarten können, um Berufswünsche zu verwirklichen. Berufe, die eine zu lange Ausbildungszeit haben oder deren Anforderungen zu hoch sind, werden nicht in Betracht gezogen. Sie liegen oberhalb einer akzeptablen Aufwandsgrenze. Ebenso wenig werden Berufe gewählt, die ein zu geringes Ansehen haben und damit eine untere Toleranzgrenze unterschreiten.

Die Prozesse gehen einher mit der kognitiven Entwicklung. Mit der Orientierung an der sozialen Bewertung von Berufen ist die Eingrenzung abgeschlossen. Im Suchraum von Geschlechtstyp und Prestige von Berufen entscheiden sich Jugendliche in der vierten Phase (ab 13 Jahren) nach Interessen, Werthaltungen. Fähigkeiten und Bedürfnissen für den passenden Beruf. Die Eingrenzung wird nach Inhalten des sichtbaren sozialen Selbst (wie Geschlecht und Prestige) vorgenommen. Innerhalb der Akzeptanzzone entscheiden Jugendliche nach dem nicht sichtbaren persönlichen Selbst.

Wir haben GOTTFREDSONS Theorie ausschnittweise überprüft. Erfasst wurde die Entwicklungsstufen drei und vier ihres Modells mit n=556 Schülerinnen und Schülern der 7. bis zur 10. Klasse aus je einer Hauptschule, Realschule und einem Gymnasium in Hannover (RATSCHINSKI 2009).

Allen Schülern gelang es, 162 vorgegebene Berufe nach Geschlechtstyp und Prestige in ähnlicher Weise zu bewerten. Die Übereinstimmungen mit den Einschätzungen Erwachsener (n=60 Studenten der BWP) lagen bei r(162)=.86 bis .94 für den Geschlechtstyp der Berufe und bei r(162)=,72 bis .81 für das Prestige. Die Werte stiegen von Klasse 7 bis 10 nahezu linear an. Beide Dimensionen erwiesen sich als unkorreliert (r(162)=.04, .n.s.) so dass sie als Dimensionen eines Koordinatensystems der Berufe dienen konnten, über das individuelle Akzeptanzzonen definiert werden konnten.

Anhand der Einschätzungen von fünf Wunschberufen konnten individuelle Akzeptanzzonen bestimmt werden. Dazu wurden die Wertebereiche (ranges) von Geschlechtstyp und Prestige multipliziert (vgl. LEUNG/ HARMON 1990). Das resultierende Rechteck sollte von Stufe drei nach Stufe vier kleiner werden. Die Hypothese konnte für Realschüler und Gymnasiasten bestätigt werden. Sowohl Jungen als auch Mädchen zeigten einen signifikanten Abfall. Die Akzeptanzzonen der Mädchen waren in beiden Schulformen deutlich größer als die der Jungen.

Bei den Hauptschülern war jedoch kein Abfall zu verzeichnen und die Akzeptanzzonen waren bei den Jungen und bei den Mädchen etwa gleich groß. Systematische Veränderungen, die eine Berufsentscheidung erleichtern können, waren nicht zu verzeichnen.

3 Das Selbstwertgefühl

Die zweite Komponente des Selbst, das Selbstwertgefühl, umfasst Bewertungen, die allgemeine Wertschätzung der eigenen Person und die Zufriedenheit. Selbstwertschätzungen variieren mit dem Schulabschluss. Hauptschüler sind weniger zufrieden mit sich selbst als Realschüler und Hochschulabsolventen. In einer Umfrage des INSTITUTS FÜR DEMOSKOPIE ALLENSBACH im Jahre 2007 (n=1700) bezeichneten sich 26% der Hauptschüler ohne Abschluss als glücklich. Mit Abschluss stieg der Prozentsatz auf 32%. Absolventen höherer Schulen ohne Abitur wären zu 36% glücklich, Abiturienten ohne Studium zu 43% und mit abgeschlossenem Studium zu 45%.

Die Rolle des Selbstwertgefühls in der Berufsorientierung konnte ebenfalls in der Befragung hannoverscher Sekundarschüler demonstriert werden. Die Schüler haben zwar das Prestige von Berufen relativ einheitlich und in Übereinstimmung mit denen Erwachsener eingeschätzt. Wenn es jedoch um den eigenen Wunschberuf ging, wurde das Prestige dramatisch überschätzt. Auf einer Einschätzskala von 1 bis 9, lag der mittlere Prestigewert des eigenen Wunschberufes bei 7,14. Die Einschätzungen der erwachsenen Vergleichspersonen lagen bei 5,87. Der Unterschied ist hochsignifikant (t=11,21, p<.0001). Die Überschätzungen variierten deutlich mit der Schulform. Je niedriger das Bildungsniveau, desto deutlicher fiel die Überschätzung aus. Die durchschnittliche Abweichung der Hauptschüler-Einschätzungen von den Einschätzung der Erwachsenen lag bei 1,7, der Realschüler bei 1,3 und der Gymnasiasten bei 0,7. Die Annahme selbstwertdienlicher Einflüsse ist naheliegend.

Zur Erklärung der Prestige-Überschätzung des Wunschberufes bieten sich vier Theorien an. Die Schematheorie von MARKUS (1977) geht davon aus, dass persönlich Bedeutsames schematisch und damit positiv verzerrt wahrgenommen und beurteilt wird. Die Theorie der sozialen Identität(TAJFEL/ TURNER 1986) nimmt an, dass identitätsrelevante distinkte Gruppenmerkmale positiv von anderen Gruppen abgegrenzt werden. Die Theorie der Selbstergänzung(GOLLWITZER/ BAYER/ WICKLUND 2002) betrachtet Berufswünsche als Identitätsziele, die durch Symbole repräsentiert werden. Das Berufsprestige ist (wie Leistungen, Selbstbeschreibungen, materielle Dinge u.a.) ein solches Symbol. Gemäß dem Kompensationsprinzip der Selbstergänzungstheorie sollten sich Personen alternative Symbole zulegen, wenn sie einen Mangel an identitätsstiftenden Symbolen erleben.

Eine vierte Theorie schließlich geht – wie klassische Theorien der Sozialpsychologie - davon aus, dass wir in unseren Urteilen zu Konsonanzen neigen. Das balancierte Identitätsdesign(GREENWALD et al. 2002) postuliert positive Beziehungen zwischen dem Selbst, der Gruppe und den Merkmalen. Die Gruppe –Selbst-Verknüpfung wird als Identität definiert, die Gruppe-Merkmal-Verknüpfung als Stereotyp oder Einstellung und die Selbst-Merkmal-Verknüpfung als Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl, wenn Merkmale Valenzen enthalten. Die zentrale Annahme der Theorie ist, dass zwischen diesen drei Verknüpfungen positive Beziehungen herrschen sollten. Überprüfbar ist die Theorie anhand expliziter Maße (Fragebogen, Selbstauskünfte) und impliziter Maße mit dem Impliziten Assoziationstest (IAT). Der IAT erfasst die Assoziationsstärke zwischen Konzepten über Reaktionszeiten (GREENWALD/ MCGHEE/ SCHWARTZ 1998).

In einer bisher unveröffentlichten Studie ließen wir 54 männliche Hauptschüler der 9. Klassen aus Hannover das Prestige von 9 vorgegebenen Berufen und ihrem Wunschberuf einschätzen. Außerdem sollten sie ihr Interesse für die zehn Berufe angeben und die deutsche Fassung des Selbstwertfragebogen von Rosenberg (COLLANI/ HERZBERG 2003; FERRING/ FILIPP 1996) ausfüllen. Im Dreieck Selbst, Beruf und Valenz wurde die Selbst-Beruf-Verknüpfung als Berufsbindung über das Interesse definiert, die Beruf-Valenz-Verknüpfung über das Prestige und die Selbst-Valenz-Verknüpfung über das Selbstwertgefühl. Die erste Hypothese lautete: Je höher die Bindung an den Beruf (Identität) ist, desto stärker sollte das Berufsprestige überschätzt werden. Die entsprechende Korrelation betrug r(54)=.33 (p<.05), die Hypothese ist bestätigt. Nach der zweiten Hypothese sollte das Berufsprestige umso mehr überschätzt werden, je höher das Selbstwertgefühlist. Hier betrug die Korrelation r(54)=.01 (n.s.), die Hypothese ist nicht bestätigt. Bei einer Nullkorrelation spricht auch nichts für die Alternativhypothese einer Kompensation im Sinne des selfservingbias.

Mit impliziten Maßen des IAT konnten beide Hypothesen nicht bestätigt werden. Die Korrelation zwischen Berufsbindung und Prestige betrug r(54)=.06 und die zwischen Selbstwertgefühl und Prestige r(54)=-.03. Das Selbstwertgefühl wurde durch positive Assoziationen zwischen Selbst und Positivnomen erfasst und das Prestige durch Assoziationen zwischen Beruf und Positivnomen. Somit konnte weder Konsistenztheorien noch Kompensationstheorien bestätigt werden.

Die globale Selbstwertschätzung ist relativ stabil und über pädagogische Maßnahmen nur dann vermittelbar, wenn die Teilnehmer persönlich bedeutsame Erfolge erzielen können. In Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Modells Berufseinstiegsklasse in Niedersachsen wurde das Selbstwertgefühl mit den Rosenberg-Fragebogen zu Beginn und am Ende des Schuljahres erfasst(STRAßER/ RATSCHINSKI/ BOJANOWSKI 2008). Die Werte der n=128 Schüler haben sich nur unwesentlich erhöht. Noch geringer war der Anstieg von n=53 Schülern in Berufsvorbereitungsjahren, während gleichzeitig befragte Schüler eines Wirtschaftsgymnasiums (n=41) einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen hatten.

4 Selbstwirksamkeit

Die Handlungskomponente des Selbst wird als Selbstwirksamkeit definiert. Selbstwirksamkeit ist die Erwartung, eine Handlung ausführen zu können. Sie ist abzugrenzen von er Ergebniserwartung, die sich auf die Folgen einer Handlung bezieht (BANDURA 1997). Selbstwirksamkeitserwartungen sind domänenspezifisch. Für die Erfassung der beruflichen Selbstwirksamkeit liegt im deutschen Sprachraum ein Fragebogen von Abele vor (ABELE/ STIEF/ ANDRÄ 2000), der im BEK- Projekt eingesetzt wurde.

Von den drei Vergleichsgruppen des BEK-Projekts zeigten lediglich die Wirtschaftsgymnasiasten einen Anstieg in ihrer beruflichen Selbstwirksamkeit. Die Werte des BEK-Schüler bleiben nahezu unverändert und die der BVJ –Schüler nahmen deutlich ab. Vermutlich bot der Lehrplan in den BVJ-Klassen Möglichkeiten zu Validierung der eigenen Kompetenzerwartungen, die nicht immer zur Bestätigung der eigenen Überzeugungen führten.

In einem zweiten Modellversuch wurden n=36 Schülerinnen zweier Berufsfachschulen für Sozialpflege in Hannover zu Beginn und am Ende des Schuljahres zu ihren Selbstwirksamkeitsüberzeugen befragt (RATSCHINSKI 2002). Die schon anfangs hohe soziale Selbstwirksamkeit hatte sich kaum verändert, aber die schulische Selbstwirksamkeit konnte signifikant erhöht werden.

Personen erhalten Informationen über ihre Selbstwirksamkeit aus vier Quellen: aus der direkten Erfahrung erfolgreicher Handlungsvollzüge, aus der stellvertretenden Erfahrung bei der Beobachtung erfolgreicher Handlungen anderer, aus symbolischen Erfahrungen (durch sprachliche Überzeugung) und aus propriozeptiven Erfahrungen, wie Angst, Gefühlsregungen oder auch Erregungsreduktion.

Wichtigste Quelle ist die direkte Erfahrung. Wenn Jugendliche die Möglichkeit bekommen, berufliche Tätigkeiten kennenzulernen und eigene berufliche Kompetenzen zu erproben, dann hat das den höchsten Informationswert für die berufliche Selbstwirksamkeit.

Im Rahmen des DJI-Panels 2004 wurden ca. 3900 Schüler aus 126 Hauptschulen im Schulbesuchsjahr befragt, was ihnen bei der Berufsfindung geholfen hat. Berufspraktika haben 58% sehr geholfen, Testerfahrungen haben dagegen nur 17% sehr geholfen und die Berufsberatung 25% (GAUPP/ LEX/ REIßIG/ BRAUN 2008).

Praktika sind nicht für die Laufbahnplanung wertvoll, sondern sie bieten auch die meisten Anregungen zu selbstgesteuerten Berufsorientierung. In einer Befragung an Thüringer Regelschulen der 7. bis 10. Klassen und Gymnasien der 10. bis 12. Klassen wurden Betriebspraktika jeweils der höchste Anregungswert zugesprochen (KRACKE/ HANY/ DRIESEL-LANGE/ SCHINDLER 2011)

Auch für Ausbildungsbetriebe bieten Praktika eine gute Entscheidungsbasis für die Übernahme von Praktikanten in die Ausbildung. In EQJ-Programm wurden im ersten Jahr 61% der Praktikanten in Ausbildung übernommen. In einer Kontrollgruppe (n=750), waren es nur 22%. Zwei Jahre später, als sich die Konjunktur erholt hatte, betrug des Verhältnis 75% zu 59% (GIB, 2007).

Auf die Frage, wie sie passende Bewerber für ihre Ausbildungsstellen finden, nannten 53% der 1850 befragten Unternehmen im Bereich der IHK Hannover Betriebspraktika. Lediglich die Arbeitsagentur (61%) und Initiativbewerbungen (56%) wurden häufiger genannt.

5 Fazit

Berufsvorbereitungsmaßnahmen sind ebenso wie Betriebspraktika in dem Maße erfolgreich, wie sie den Bedürfnissen der Teilnehmer gerecht werden. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat inzwischen gezeigt, dass in Lernsituationen drei Bedürfnisse wichtig sind, das Bedürfnis nach Autonomie, nach Kompetenz und nach sozialer Eingebundenheit (DECI/ RYAN 1993). Werden sie befriedigt, ist in höherem Maße selbstbestimmtes und selbstreguliertes Lernen zu beobachten (PRENZEL/ DRECHSLER/ KRAMER 1998).

Die Vorbereitung auf den Beruf ist nach klassischer Berufswahlforschung und nach Überzeugung berufspädagogischer Experten ein Reifungsprozess. Zu erreichen ist – je nach Perspektive – Berufsreife,  Berufswahlreife oder Ausbildungsreife. Erst dann ist die Aufnahme einer Ausbildung sinnvoll.

Paradoxerweise führt jedoch gerade der Eintritt in Berufsleben oder in die Ausbildung dazu, dass Personen psychosozial reifen. Vier Merkmale der Big Five der Persönlichkeit verändern sind in Richtung auf soziale Reifung, wenn wir Verantwortung in sozialen Erwachsenenrollen übernehmen. Personen werden verlässlicher, gewissenhafter, emotional stabiler und sozial dominanter (eine Facette der Extraversion). Lediglich die Offenheit für Erfahrungen nimmt ab (ROBERTS/ CASPI/ MOFFITT 2003).Jugendliche, die sich für einen Beruf entschieden haben und bereit sind, eine Ausbildung aufzunehmen, werden wahrscheinlich von den beruflichen Erfahrungen auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung profitieren.

Wer sich der Verantwortung in Erwachsenenrollen noch nicht stellen will oder kann, ist ebenso wahrscheinlich mit einer Ausbildung überfordert. Auch Zugeständnisse an den Arbeitsmarkt bei der Berufsentscheidung zahlen sich nicht aus. Eine nicht dem Wunschberuf entsprechende Ausbildung erhöht die Wahrscheinlichkeit von Ausbildungsabbrüchen, führt zu vermehrten Ausbildungskonflikten und zum Erleben höherer Stressbelastungen, wie zuletzt an Ausbildenden im Einzelhandel gezeigt werden konnte (KUTSCHA 2011). Für ihn wäre die Hauptschuloberstufe eine angemessene Form der Vorbereitung.

Der Erfolg von Betriebspraktika im Rahmen der schulischen Berufsorientierung ist theoretisch erklärbar. Aus der Perspektive der „sozialökologischen“ Entwicklungstheorie BRONFENBRENNERS (1981) findet Entwicklung immer an biografischen Übergängen von einem sozialen Mikrosystem (der Lebenswelt) zum nächsten statt. Allgemeines Ziel der Entwicklung ist, in vielen neuen ökologischen Sozialsystemen handlungsfähig zu werden. Durch die Qualität der Vernetzung können Übergange gefördert und die Zeit bis zur Handlungsfähigkeit verkürzt werden. Je besser die neuen Systeme erschlossen und bekannt sind, desto harmonischer gelingen die Übergänge. Erste Übergänge in die Arbeit werden durch das System Familie vorbereitet, indem Kontakt zu den beruflichen Arbeitsfeldern der Eltern hergestellt wird. Können Eltern diese Kontakte nicht bieten, muss die Schule kompensatorisch einwirken, z.B. durch Kompetenzreflexionen, praktische Übungen, Exkursionen und Praktika.

Nach BRONFENBRENNER sind die entwicklungsfördernden Effekte ökologischer Übergänge umso größer, je mehr Vorerfahrungen möglich waren, je besser Rollenanforderungen vereinbar sind, je mehr Lebensbereiche unterstützend einbezogen werden und je leichter neue Erfahrungen in Vertrautes integriert werden können. Außerdem haben vertraute Personen, die beiden Lebensbereichen angehören und den Übergang begleiten, fördernde Effekte (ECKERT 2008). Die Theorie bietet praktikable Anhaltspunkte für die Gestaltung von beruflichen Erprobungen und Einstiegsprozessen.

Literatur

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Zitieren dieses Beitrages

RATSCHINSKI, G. (2011): Die Bedeutung der Übergangsphase für die Entwicklung des Selbstkonzepts. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 03, hrsg. v. PETERSEN, W./ HEIDEGGER, G., 1-10. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws03/ratschinski_ws03-ht2011.pdf (26-09-2011).



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