Titel:
Vom Übergangslabyrinth zur arbeits- und kulturorientierten Alternativen Oberstufe – Editorial zur Workshopdokumentation
Beitrag von Claudia SCHREIER (Nationale Agentur Bildung für Europa beim BIBB)
Es ist kein Zufall, dass gerade in Deutschland die Diskussion um Modularisierung auffällig kontrovers geführt wird, während andere europäische Länder modulare Strukturen in der beruflichen Bildung einführen, bereits eingeführt haben oder zumindest damit experimentieren, ohne dass der Prozess von vergleichbaren Kontroversen begleitet wird. Ein systematischer Überblick verdeutlicht, dass unterschiedliche Berufstraditionen und sozialstaatliche Grundprinzipien prägend auf die Diskussion wirken. An einigen Länderbeispielen wird aufgezeigt, wie der wohlfahrtstaatliche Kontext den Zugang zu modularen Konzepten in der beruflichen Bildung bestimmt, ihre Umsetzungsform prägt und den Platz, der benachteiligten Jugendlichen im jeweiligen System zugewiesen wird, beeinflusst. Schließlich werden Ansatzpunkte identifiziert an denen von den Konzepten anderer Länder für die Benachteiligtenförderung in Deutschland gelernt werden kann.
Verschiedene Wissenschaftler haben den Versuch unternommen, die europäischen Staaten im Hinblick auf ihre (Berufs-)Bildungssysteme zu kategorisieren. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem GREINERT, der zunächst drei Grundtypen für die berufliche Bildung ausmacht und diese in einem zweiten Schritt durch Mischformen weiter ausdifferenziert (GREINERT 2004) sowie BJØRNÅVOLD, der sich bei der Bildung seiner fünf Länderkategorien auf den Stellenwert von nicht formal erworbenen Kompetenzen konzentriert (BJØRNÅVOLD 2000). HEIDEGGER et.al. haben den wohlfahrtstaatlichen Kontext in den Mittelpunkt gerückt und vier Prototypen beschrieben:
Anders als GREINERT, der sich auf die Ausbildungsmodelle konzentriert und drei Grundformen identifiziert, analysieren HEIDEGGER et. al. den sozio-politischen Kontext und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die beschriebenen Länderkategorien stellen deshalb nicht nur geographische Räume dar. Die Art und Weise, mit der gelernt und ausgebildet wird, ist eng verknüpft mit den zugrunde liegenden und historisch gewachsenen wohlfahrtstaatlichen „Philosophien“. So ist die schulische Ausbildung im universalistischen Kontext eine andere als etwa in Frankreich, obwohl beide z. B. bei GREINERT demselben Grundmodell zuzuordnen sind. Im beschäftigungsbasierten Kontext erfüllt Ausbildung auch die Funktion der sozialen Inklusion: Einkommen werden durch tarifliche Abschlüsse geregelt und eine abgeschlossene Ausbildung sichert nicht nur das Recht auf tarifliche Entlohnung, sondern beinhaltet auch einen gewissen sozialen Status.
In diesem Beitrag soll der Zusammenhang zwischen dem gewachsenen wohlfahrtstaatlichen Modell und dem gewählten Weg der Modularisierung in der beruflichen Bildung aufgezeigt werden. Eine Orientierung an der Typologie von HEIDEGGER et. al. bietet sich aus diesem Grund als Analyseraster an. HEIDEGER et. al haben sich auf ihren Forschungszusammenhang konzentriert und die dafür relevanten wohlfahrtstaatlichen Kontexte beschrieben. Hier wird jedoch der Blickwinkel auf alle europäischen wohlfahrtstaatlichen Modelle erweitert, weshalb die Typologie um zwei Kategorien ergänzt wird:
Insgesamt ergeben sich somit sechs wohlfahrtstaatliche Kontexte, die durch folgende Anlagen der beruflichen Bildung geprägt sind:
Im universalistischen Kontext ist die berufliche Bildung schulisch organisiert und Teil des Bildungssystems mit einem stark integrativen Ansatz. Theorie und Praxis werden hierbei miteinander verknüpft, betriebliche Erfahrungen haben jedoch einen geringeren Stellenwert. Die persönliche Entwicklung Jugendlicher wird als Bürgerrecht wahrgenommen. Integrationsprogramme sind auf das Aufzeigen individueller Alternativen ausgerichtet.
Im liberalen Kontext sind die Inhalte der Ausbildung eng an den Bedarf des Marktes angelehnt. Gelernt wird sowohl in der Schule als auch in authentischen Arbeitssituationen. Ausbildung wird als Mittel zum Zweck wahrgenommen, um eine frühe ökonomische Unabhängigkeit zu erreichen. Dementsprechend zielen Integrationsmaßnahmen auf Employability und den Zugang zum Arbeitsmarkt.
Im beschäftigungsbasierten Kontext erfolgt die berufliche Bildung im dualen System mit geteilter Verantwortung zwischen Wirtschaft und Bildungsverwaltung. Die Ausbildung findet alternierend im Betrieb und in der Berufsschule statt. Die Ausbildung dient sowohl der sozialen als auch der beruflichen Sozialisation. Die Maßnahmen der Benachteiligtenförderung zielen darauf ab, individuelle und soziale Defizite auszugleichen.
Im traditionell eher wenig formalisierten Kontext mit geringen Ausprägungen formaler beruflicher Bildung sind informelle Strukturen stark ausgeprägt. Nicht formale Ausbildung findet oft im familiären Kontext sowie kleinen und mittleren Betrieben statt. Benachteiligte Jugendliche werden durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert (HEIDEGGER 2004). In den letzten beiden Dekaden haben in Südeuropa, wo dieser Typ anzusiedeln ist, starke Anstrengungen zum Aufbau formaler beruflicher Systeme stattgefunden. Familiäre Netzwerke spielen bei der Zuordnung jedoch nach wie vor eine starke Rolle.
Im staatlich regulierten Kontext findet Ausbildung in besonderen staatlichen, gewerblich-technischen und kaufmännischen Schulen statt. Der Staat und die Sozialpartner streben dabei nicht die direkte Anwendbarkeit in Betrieben an, sondern setzen auf eine allgemeine, auch theoretische Bildung. Für ein festgesetztes Kontingent an Bewerbern wird die Ausbildung vom Staat finanziert. Die staatlichen Zertifikate berechtigen zum Besuch weiterführender Schulen (WOLLSCHLÄGER/ REUTER-KUMPMANN 2004). Neben dem Prototyp Frankreich sind auch die Niederlande und Belgien aufgrund ihres staatlich regulierten und überwiegend schulischen Ausbildungssystems diesem Kontext zuzuordnen. Zwar besteht bei der teilzeitschulischen beruflichen Bildung in diesen Ländern die Möglichkeit, gleichzeitig in einem Betrieb zu arbeiten, dies ist jedoch nicht obligatorisch, unterliegt keiner Kontrolle und weist auch mehr die Charakteristika eines Jobs als einer Ausbildung auf.
Die ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas befinden sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einer umfangreichen Phase des Umbaus und der Transformation aller gesellschaftlichen Bereiche. Dies betrifft auch den Bildungsbereich und den Bereich der beruflichen Bildung. In diesem Prozess schlagen zwar nicht alle osteuropäischen Staaten den gleichen Weg ein, dennoch sind übergreifende Gemeinsamkeiten festzustellen. Neben den tief greifenden Transformationsprozessen ist eine gewisse Orientierung am angelsächsischen Modell erkennbar.
Die Tabelle auf der folgenden Seite erlaubt einen Überblick der sechs Länderkategorien, ihrem wohlfahrtsstaatlichen Kontext und ihrem Berufsbildungssystem. Es sei betont, dass es sich hierbei um idealtypische Vereinfachungen handelt und in der Realität oft Mischformen vorzufinden sind.
Tabelle 1: Typologie der wohlfahrtsstaatlichen Regime
Förderphilosophie | Aufzeigen individueller Alternativen | Herstellung von „Employability“ | soziale Integration | Ausgleich individueller Defizite | verlängerte Schulbildung, ABM | soziale Absicherung, Reintegrations-programme |
Jugendstatus | persönliche Entwicklung Bürgerrecht | frühe ökonomische Unabhängigkeit | breite theoretische Ausbildung | Vorbereitung auf berufliche Position | soziale Inklusion durch familiäre Strukturen | Prävention durch erweiterte Grundbildung |
Berufliche Bildung | Teil des Bildungs-systems | marktbasiert, unmittelbare Verwertbarkeit | schulisch, etatistisch-bürokratisch | Ausbildung im dualen System | Relevanz informeller Strukturen | schulisch, dual, modular |
Wohlfahrtspolitik | soziale Sicherheit als Bürgerrecht | soziale „Gerechtigkeit“ statt soziale Gleichheit | soziale Rechte an Status gebunden | lohnarbeits- und sozialversicherungs-zentriert | stark fragmentiert | breite Streuung wohlfahrtsstaatlicher Regime |
Wohlfahrts-staatlicher Kontext | universalistisch | liberal markt-orientiert | staatlich reguliert | beschäftigungsbasiert | traditionell eher gering formalisiert | transformatorisch |
Geographischer Raum | Skandinavien | Britische Inseln | Westeuropa | Zentraleuropa | Südeuropa | Osteuropa |
Anhand von Beispielen wird im Folgenden überblicksartig aufgezeigt, in welcher Weise in verschieden Ländern Europas modulare Konzepte in der beruflichen Bildung umgesetzt werden. Dabei steht jeweils ein Land beispielhaft für einen wohlfahrtstaatlichen Kontext.
Skandinavischer universalistischer Kontext: Dänemark
Dänemark ist trotz dualer Ausbildungsstruktur dem universalistischen Kontext zuzuordnen. Die persönliche Entwicklung der Jugendlichen als Ausgangspunkt nehmend, werden alle Handlungsempfehlungen nationaler und internationaler Organisationen zur Verbesserung der Chancengleichheit, zur Senkung der Schul- bzw. Ausbildungsabbruchrate und zur Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen benachteiligter Jugendlicher berücksichtigt. Team-Teaching, fächerübergreifender Unterricht, flache Hierarchien, Works-Shop-Lernen, Projektunterricht, Feedbackkultur, Portfoliosysteme usw. haben Eingang in die Praxis gefunden. Die pädagogische Arbeit fokussiert auf Vertrauen und Respekt sowie die Schaffung eines kreativen, sicheren Lernumfeldes, in dem es Platz für Fehltritte gibt. Die Jugendlichen sollen nicht nach den Kriterien „richtig oder falsch“ geprüft, sondern dazu befähigt werden, ihren eigenen Lernprozess zu reflektieren.
Das skandinavische Selbstverständnis eines Sozialstaates, das die Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher als Bürgerrecht begreift, kommt stark im gewählten Modularisierungsansatz zum Ausdruck: Im universalistischen Kontext wurde Modularisierung eingeführt, um dem Aus- und Weiterbildungssystem mehr Flexibilität und Individualität zu verleihen. Ziel ist es hierbei, das System unter dem Leitbild der Inklusion zu gestalten, das genug Raum sowohl für schwache als auch für starke Lerner und die Befriedigung ihrer individuellen Bedürfnisse schafft.
In Dänemark wurde die Modularisierung des ersten Ausbildungsabschnittes der insgesamt dreijährigen Ausbildung eingeführt, um die Jugendlichen auf den Hauptteil der Ausbildung vorzubereiten. Weil sich der erste Ausbildungsabschnitt sowohl an starke als auch an schwache Lerner richtet, ist er in seiner Dauer flexibel gehalten. Er wird in Gruppen von verwandten Berufen organisiert, wobei gemeinsame und übertragbare Elemente identifiziert werden. Die Jugendlichen absolvieren zunächst allgemeinere, später, wenn sie sich über ihre Berufswahl im Klaren sind, auch spezifischere Module. Die Module haben hierbei eine Orientierungsfunktion, weil sie den Jugendlichen die Möglichkeit bieten, zunächst mehrere, miteinander verwandte Ausbildungen zu erproben, bevor sie sich für einen Beruf entscheiden und in den Hauptteil der Ausbildung übergehen. Die modulare Struktur bietet hierbei den Einzelnen die Möglichkeit, ihr eigenes Lernprogramm auf Basis der angebotenen Lernaktivitäten der Berufsschulen zusammenzustellen. Gleichzeitig wird im dänischen Modularisierungskonzept das Ideal des Lernfortschritts und der Ganzheitlichkeit aufrechterhalten. Modularisierung wurde auch als ein Expansionskonzept eingeführt, das es den Schülern erlaubt, zusätzlich anspruchsvollere Module zu belegen, die ihnen den Zugang zu höheren Schulen gewähren.
Angelsächsischer liberaler Kontext: Großbritannien
In Großbritannien wurde die Modularisierung während der 1980er Jahre zunächst als eine Methode gesehen, dem Lernen, das außerhalb des formalen Qualifikationssystems stattfindet, eine Struktur zu geben und eine Bewertung zu ermöglichen. Seitdem kommt der Modularisierung eine wachsende Bedeutung im britischen Bildungssystem zu. Derzeit wird das Berufsbildungswesen einer grundlegenden Reform unterzogen, die auf einem modularen Konzept aufbaut. Mit der Reform wird das Qualifications and Credit Framework (QCF) eingeführt, ein neues System zur Anerkennung und zum Vergleich verschiedener Qualifikationen im britischen Bildungsbereich. Das neue System soll die Lerner in die Lage versetzen, Qualifikationen im eigenen Lerntempo und auf selbst gewählten Lernwegen zu erwerben, indem einzelne Units bewertet und zertifiziert werden. Besser als das bisherige National Vocational Qualification (NVQ) -System soll das QCF es ermöglichen, Qualifikationen in „mundgerechten Häppchen“ zu erwerben und ein Portfolio anzulegen, das den individuellen Bedürfnissen der Lernenden entspricht. Wie schon beim NVQ-System wird auch beim QCF-System nicht zwischen vorberuflicher und beruflicher Bildung unterschieden. Beide Systeme beinhalten sowohl persönlichkeitsstabilisierende Module für benachteiligte Jugendliche als auch fachliche Module, die miteinander kombiniert zu einer Vollqualifizierung führen können.
In Großbritanniens marktliberaler Tradition mit dem Fokus auf Freiheit vor staatlichen Eingriffen ist Berufsbildung auf die Anwendung eng begrenzter Fertigkeiten hin ausgerichtet, die sich an spezifischen Bedarfen der Arbeitgeber orientieren. Dabei entspricht es dem Grundcharakteristikum von Modulen, dass sie frei „vagabundieren“ können: Module werden frei kombiniert, ohne jegliche Vorgaben und Einschränkungen. Sie haben keinen Bezug zu einer festgelegten, definierten Qualifikation – es ist der Lernende, der die Qualifikation definiert. Dieses Konzept gibt den Auszubildenden die größte Flexibilität und Eigenverantwortung für ihre eigene Einstellungsattraktivität und ist sowohl im NVQ-System als auch im neuen QCF-System immanent.
In Großbritanniens beruflichem Kontext wird diese Form der Modularisierung mehrheitlich als eine positive Entwicklung gesehen, die es ermöglicht, auf sich ändernde Teilnahmestrukturen zu reagieren und die diversen Trainingsangebote zu vereinfachen. Damit wird die erforderliche Flexibilität gewährleistet, um den immer wechselnden Anforderungen des Marktes entgegenzutreten, die Fortbildung mit einzubeziehen, lebenslanges Lernen zu ermöglichen und Berufswechsel zu erleichtern. Zudem können Ausbildungseinrichtungen ihren Klienten individuell zugeschnittene Qualifizierungsmöglichkeiten anbieten. Darin kommt die marktliberale Tradition zum Ausdruck, die es zum Ziel hat, Jugendliche möglichst schnell und geradlinig zur ökonomischen Unabhängigkeit zu führen.
Westeuropäischer staatlich regulierter Kontext: Belgien (Flandern)
Symptomatisch für das gesamte belgische Ausbildungssystem ist seine hohe Fragmentierung, denn es spielen nicht nur zahlreiche horizontale und vertikale Ebenen eine Rolle, sondern auch verschiedene Bildungsnetzwerke und Gebietskörperschaften. Abstimmungsprozesse erweisen sich als langwierig. Sie werden von der Regierung koordiniert, die auch die Initiative zur Einführung und Ausgestaltung des Modularisierungskonzeptes übernommen hat. Dabei wurden die bestehenden beruflichen Qualifikationen in der beruflichen Bildung in ein Modulsystem reorganisiert. Die Regierung gibt Konzept und Module, die im Hinblick auf den Erwerb bestimmter Teilkompetenzen und Fertigkeiten entwickelt werden, vor, überlässt den Einzelschulen jedoch gewisse Gestaltungsspielräume. Eine bestimmte Anzahl von Modulen führt zu einer Qualifikation, die als Berufsabschluss anerkannt wird. Die Module wurden im Hinblick auf den Erwerb bestimmter Teilkompetenzen und Fertigkeiten entwickelt. Das Modularisierungskonzept wurde zunächst als Experiment eingeführt, begleitend evaluiert und gruppenspezifisch ausgewertet. Insgesamt wurde das modulare System überaus positiv wahrgenommen und erfreut sich breiter Zustimmung bei allen Beteiligten. Mittlerweile ist es flächendeckend eigeführt worden.
Es ist typisch für einen flämischen Ansatz, zunächst den Fokus auf die Förderung sozialer Kompetenzen und die Hinführung zur Berufsvorbereitung zu legen. Später gewinnen der berufliche Aspekt und die Integration in den Arbeitsmarkt an Bedeutung. Bei der Konzeptentwicklung werden Förderketten stets mitgedacht, die mit niedrig-schwelligen Einstiegsangeboten beginnen und über definierte Schnittstellen und zunehmend anspruchsvollere Kurse auch benachteiligte Jugendliche zu einer Vollausbildung führen sollen. In diesem System haben auch Module Platz, die sich ausschließlich der Förderung sozialer Kompetenzen widmen.
Südeuropäischer traditionell eher gering formalisierter Kontext: Portugal
Die portugiesische Strategie der Novas-Oportunidades-Initiative (Neue-Möglichkeiten-Initiative) konzentriert sich darauf, den Jugendlichen mehrere Optionen bezüglich der Berufsbildung zu eröffnen und die Qualifikationslevels der Erwachsenen (aktive Population) zu erhöhen. Als Antwort darauf wurde das Ausbildungssystem grundlegend neu strukturiert. Dies ist vor dem Hintergrund, dass in Portugal ein hoher Bevölkerungsanteil über einen sehr geringen Bildungsstand verfügt und nur eine Minderheit der erwachsenen Bevölkerung eine formale Ausbildung durchlaufen hat, wenig überraschend. Hinzukommt, dass das Land mit 39 % die höchste Schulabbruchquote in Europa aufweist. Die Anstrengungen der portugiesischen Regierung richten sich deshalb gezielt darauf, den Bildungsstand der Bevölkerung zu erhöhen, die Partizipation an allgemeiner und beruflicher Bildung zu begünstigen sowie die berufliche Bildung zu strukturieren und zu stärken.
In Portugal wurde die Modularisierung in das berufliche Aus- und Weiterbildungssystem eingeführt, um Jugendlichen Gelegenheit zu bieten, ihre Lernwege durch ein anpassungsfähiges und flexibles Ausbildungskonzept selbst zu gestalten und professionelle Kompetenzen zu erlangen, die zertifiziert und vom Arbeitsmarkt anerkannt werden. An Berufsschulen haben die Ausbildungsgänge eine Durchschnittsdauer von drei Jahren. Diese Kurse haben eine modulare Struktur, die es ermöglicht, bereits erbrachte Leistungen zu berücksichtigen. Alle Kurse zur Berufsvorbereitung sind ebenfalls modular organisiert.
Insbesondere die neuesten Reformen hatten eine verstärkte Regulierung und Strukturierung der beruflichen Bildung zum Ziel. Im 2007 eingeführten Nationalen Qualifizierungssystem (Sistema National de Qualificações – SNQ) werden die verschiedenen Arten von Kursen sowie die Ausbildungsmodalitäten definiert. Angestrebt wird eine Annäherung an den Europäischen Qualifikationsrahmen, um einen besseren Vergleich unter den verschiedenen Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Dabei wurden nicht nur die entsprechenden Module, deren Dauer und Reihenfolge festgeschrieben, sondern auch die ihnen zu behandelnden Inhalte, Methoden und Aktivitäten. Während also in den Ländern mit einem traditionell eher stark regulierten Berufsbildungssystem die Tendenz dahin geht, die Ausgestaltung und Umsetzung der Lehrpläne dezentral zu organisieren und in die Verantwortlichkeit der Einzelschulen zu legen (wie beispielsweise in Dänemark), ist hier der umgekehrte Weg der Fall: fort von schwach formalisierten Strukturen, hin zu starker Regulierung.
Osteuropäischer transformatorischer Kontext: Rumänien
Beim Umbau des rumänischen Bildungssystems spielt der Blick auf die Integration in die EU eine tragende Rolle. So liegt ein Hauptschwerpunkt auf der Kompatibilität mit den europäischen Transparenzinstrumenten. Mit einem modularen System als durchgängigem Prinzip im Bildungswesen kann dieser Prämisse Rechnung getragen werden. Ein anderes Hauptaugenmerk liegt auf der Erhöhung der Qualität der beruflichen Bildung. Es entsteht ein System, das auf nationale Vorgaben setzt und verbindliche Curricula vorschreibt. Es verbleiben jedoch Handlungsspielräume, die auf lokaler Ebene und unter explizitem Einbezug der betrieblichen Vertreter den lokalen und betrieblichen Bedürfnissen entsprechend ausgestaltet werden können. Hierin kommt eine gewisse Nähe zum angelsächsischen Modell zum Ausdruck, das ausdrücklich auf die betrieblichen Bedarfe hin qualifiziert.
Durch Modularisierung als durchgängiges Prinzip werden die Reform der Ausbildungsordnungen und die Maximierung ihrer Flexibilität angestrebt. Ein Modul im beruflichen Ausbildungszweig bezeichnet eine unabhängige Lehreinheit, die sowohl Theorie als auch praktische Ausbildung im angestrebten Berufsfeld des Absolventen beinhaltet. Die Module sind so konzipiert, dass sie das Selbstvertrauen der Schüler, sich im Arbeitsfeld zu bewegen, stärken. Die Lehrplanstruktur besteht zu 70 % aus einem Pflichtlehrplan, der die national vorgegebenen Bildungsinhalte abdeckt. Die übrigen 30 % sind Lehrplaneinheiten, die auf die lokalen Bedürfnisse abgestimmt sind und eine vertiefte Spezialisierung in einem oder mehreren Tätigkeitsbereichen des Handwerks ermöglichen.
In Rumänien richten sich die Bemühungen zur Benachteiligtenförderung auf die Integration von armen Bevölkerungsgruppen und ethnischen Minderheiten, wie die Roma, die bislang am Rande der Gesellschaft standen. Zum Teil war die Exklusion selbst gewählt und ging bis zur kompletten Verweigerung des Schulbesuchs ganzer Generationen. So wird oft betont, dass benachteiligte Gruppen, die zur Schule zurückkehren, nachdem sie daran gescheitert sind, eine minimale Grundbildung zu erlangen, spezifische Module benötigen, um erfolgreich integriert zu werden. Themen von herausragender Bedeutung sind spezifische Beratungsmodule, um den Teilnehmern emotionalen Halt zu geben, der Umgang mit Stress und Krisensituationen sowie psychologische Unterstützung. Insbesondere stehen die Förderung sozialer Kompetenzen und die Befähigung der Lehrkräfte in diesem Feld im Vordergrund. Diese Forderungen schlagen sich in der Ausgestaltung des landesweit umgesetzten Förderprogramms „Second Chance Program“ nieder, das ebenfalls modular organisiert ist.
Zentraleuropäischer beschäftigungsbasierter Kontext: Deutschland
In Deutschland hat Modularisierung für eine hitzige Debatte zwischen den Beteiligten im Berufsbildungssystem gesorgt. Zum Teil kursiert die Angst um das Tarifsystem und die Beschäftigungsstruktur des deutschen Arbeitsmarktes sowie um die Ganzheitlichkeit und Entwicklung des deutschen Ausbildungssystems und damit vor einer Unterminierung des Berufsprinzips; zum Teil bestehen Befürchtungen vor einer Senkung des Bildungsniveaus, wenn ein System eingeführt wird, das sich eher an „Outcome und Output“ an Stelle von „Input“ orientiert. So wird befürchtet, dass Lernergebnisse zu eng definiert und damit eine breite theoretische Fundierung und der für Aufstiege und Arbeitsplatzwechsel wichtige Gesamtzusammenhang von Produktionsprozessen aus den Augen verloren werden. Befürworter sehen in der Modularisierung die Chance, berufliche Bildung unter Beibehaltung des Berufsprinzips flexibler und durchlässiger zu gestalten. Dies würde auch die Chance bieten, das viel kritisierte Übergangssystem in die Strukturen regulärer beruflicher Bildung einzubinden und damit deren Erfolgsstatistik zu verbessern.
Der weltweite Trend zum Neoliberalismus in den Industrienationen hat die deutsche wirtschafts- uns arbeitsmarktpolitische Diskussion beeinflusst und damit indirekt auch zu den Abwehrreaktionen gegen modulare Ansätze geführt. Monolithische Systeme[1] erweisen sich jedoch in einem zunehmend dynamischen wirtschaftlichen und technischen Umfeld als zu starr. Deshalb streben die Sozialpartner heute eine Flexibilisierung der Ausbildungsstrukturen an, die in ein berufliches Gesamtsystem eingebettet sind. Berufsbildung in berufsbezogenen Modellen wie in Deutschland fördert Fähigkeiten innerhalb eines breit angelegten Berufsfeldes, wobei die Berufsbilder unter Mitwirkung der Sozialpartner entwickelt werden. Expertenbefragungen (SCHREIER 2010) zeigen deutlich, dass die traditionsbedingte gesellschaftliche Bedeutung eines Ausbildungsplatzes und Berufes stets mitgedacht und neue Konzepte im Zusammenhang mit dem bestehenden beruflichen Ausbildungssystem reflektiert werden. So spielt eine abgeschlossene Berufsausbildung, vorzugsweise im dualen System, nach wie vor nicht nur für die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft eine maßgebliche Rolle, sondern wirkt über die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe und das eigene Expertentum stark sinn- und identitätsstiftend. Hierin kommen die traditionelle Verankerung des deutschen Berufsbildungssystems in den Zünften und ein immer noch vorhandenes „ständisches“ Denken zum Ausdruck. Dies spielt eine wichtige Rolle bei den Ressentiments gegen modulare Strukturen, deren Einführung eine Auflösung der monolithischen Strukturen der beruflichen Bildung und eine vertikale und horizontale Durchlässigkeit der Ausbildungen bedeuten würde. Zudem würde die Gestaltung gemeinsamer Grundmodule für verwandte Berufsgruppen den „ständischen Protektionismus“ aufweichen. Hierin liegt auch die weit verbreitete Auffassung begründet, dass eine schulische Ausbildung gegenüber der dualen „minderwertig“ sei.
Letzt genannter Aspekt, dass die schulische Ausbildung in der Wahrnehmung hinter der dualen steht, wirkt sich auch auf die Benachteiligtenförderung aus. So spielen die berufsbildenden Schulen rein quantitativ in der Benachteiligtenförderung in Deutschland zwar eine große Rolle, anders als im dänischen Modell kommt ihnen jedoch keine Scharnierfunktion im Rahmen der Ausbildung zu. Eine Anrechnung der erreichten Qualifikationen auf die Ausbildungszeit ist nicht möglich. Eine Abstimmung der Benachteiligtenförderung mit dem Ausbildungssystem erfolgt bisher kaum. Würde dies geschehen, wären die berufsvorbereitenden Angebote der berufsbildenden Schulen nicht mehr als kurzatmiger Reparaturbetrieb zu sehen, sondern als standardmäßig eingesetzte Bausteine in der Bildungsbiographie auf dem Weg zur Herstellung der Ausbildungsreife. Bislang ist jedoch die Erfolgsbilanz der berufsvorbereitenden Maßnahmen an den berufsbildenden Schulen gering. Gleiches gilt für die von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Maßnahmen.
Deutlich besser schneidet die Einstiegqualifizierung für Jugendliche (EQJ) ab, die eine betriebliche Einbindung der Jugendlichen zum Programm erhebt, und deren relativer Erfolg sicher auch, aber nicht nur, in der höheren Leistungskraft der betroffenen Jugendlichen begründet ist. Hier kommt eine systemspezifische Besonderheit für den beschäftigungsbasierten Kontext zum Ausdruck, die den stark fachlichen Charakter der dualen Ausbildung widerspiegelt. Insofern wurde ein für das deutsche Berufsbildungswesen typischer Ansatz gewählt: Konzepte, wie das der Qualifizierungsbausteine, stellen die Integration in eine Ausbildung – und damit letztendlich in den Arbeitsmarkt – eindeutig in den Vordergrund. Auch das duale Prinzip, in dem betriebliche und schulische Ausbildungsphasen miteinander kombiniert werden, spiegelt sich im Ansatz der Qualifizierungsbausteine wider.
Im Unterschied zur konfliktreichen Diskussion um Modularisierung im dualen System wird sie also in der Berufsvorbereitung für benachteiligte Jugendliche weitgehend akzeptiert und verwendet, wie in Form der Qualifizierungsbausteine. Dies gilt auch für die Ausbildungsbausteine, die Teile anerkannter Ausbildungsberufe abbilden und beispielsweise in der Nachqualifizierung zum Einsatz kommen. Mit dem Konzept der Ausbildungsbausteine wurde jedoch ein Ansatz gefunden, der Chancen für eine echte Strukturreform des deutschen Berufsbildungswesens in sich birgt, und nicht „nur“ für die Förderung benachteiligter Jugendlicher „verbrannt“ werden sollte.
In diesem Beitrag wurden die Abhängigkeit der Konzepte vom jeweiligen kulturellen Kontext und seine Einbettung in ihn aufgezeigt. Modularisierung muss immer angepasst an das jeweilige System und die wohlfahrtstaatlichen Traditionen stattfinden und in bestehende rechtliche und politische Rahmenbedingungen eingebettet werden. Die strukturelle Ausgestaltung der Modularisierung ist immer länderabhängig und in Anlehnung an das bestehende Ausbildungskonzept zu konzipieren, um eine optimale Anpassung an die gegebenen spezifischen Rahmenbedingungen und Erfordernisse zu gewährleisten. Wird diesen Anforderungen Rechnung getragen und zugleich gesichert, dass die modularen Strukturen zu wirklichen Verbesserungen für die betroffenen Stakeholder führen, können sie echte Vorteile und Nutzen mit sich bringen und zu Verbesserung und Effektivierung des Ausbildungssystems beitragen.
Für Deutschland bedeutet dies, bei modularen Konzepten keinesfalls auf einen Ordnungsrahmen zu verzichten. Weder Auswahl noch Reihenfolge noch Kombinierbarkeit der Module dürfen beliebig sein. Vielmehr müssen Auswahl und Kombinierbarkeit innerhalb eines vorgegebenen Rahmens erfolgen, so dass sich sowohl der Einfluss der Betriebe als auch die Wahlfreiheit der Auszubildenden auf für den jeweiligen Beruf spezifische Pflicht- und Wahlpflichtmodule beschränkt. Modularisierung bedeutet auch nicht, eine additive Liste von Teilthemen zu bestimmen, die über Module abzuarbeiten sind. Es geht nicht um die analytische Segmentierung eines Berufsbildes, sondern es muss die qualitative Seite beruflicher Handlungskompetenz in den Blick genommen werden, das heißt, dass es um die Einbindung eines Moduls als Teileinheit in ein Gesamtkonzept beruflicher Bildung geht, bei der den Auszubildenden die Möglichkeit gegeben wird, berufliche Kompetenzen zu erwerben.
RÜTZEL bringt es auf den Punkt: „Entscheidend für die reale Gestalt sowohl von Berufskonzepten als auch von Modulkonzepten sind die Leitideen und normierenden Leitprinzipien. Individualisierung, Flexibilisierung und Kooperation sowie stärkere Regionalisierung sind Modernisierungsstrategien, die in ihrer Bedeutung für die Weiterentwicklung der Berufsbildung unstrittig sind und folglich auch für die Modularisierung gelten.“ (RÜTZEL 1999, 91)
Inwieweit kann von den Ansätzen anderer Länder insbesondere für die Förderung benachteiligter Jugendlicher gelernt werden?
Bei der Frage nach dem Transfer geeigneter Konzepte taucht zwangsläufig auch die Frage nach der Kompatibilität auf. Positive Praktiken sind in den seltensten Fällen direkt übertragbar: Ein Ansatz kann sich in einem Land durchaus bewährt haben, versagt jedoch übertragen auf andere Gruppen bzw. einen anderen Zusammenhang möglicherweise völlig. Ansätze aus anderen Ländern müssen deshalb immer an die spezifischen nationalen Rahmenbedingen und Erfordernisse angepasst werden. Die folgenden Beispiele illustrieren diese Anpassungsproblematik im Hinblick auf die mögliche Adaption „guter Beispiele“ aus dem internationalen Kontext in Deutschland.
Im Zusammenhang mit den Qualifizierungsbausteinen wird immer wieder auf ihre Bedeutung für die Berufswahl der Jugendlichen hingewiesen. In der Literatur zum Konzept der Qualifizierungsbausteine wird jedoch an keiner Stelle auf die Erarbeitung von Strategien für diesen Entscheidungsprozess, der zu den wichtigsten eines jeden Menschen gehört, hingewiesen. Im Berufsbildungsgesetz ist eine sozialpädagogische Begleitung für Jugendliche in Qualifizierungsbausteinen vorgesehen (BBiG Teil 2 §§ 68 und 69), so dass diese auch berufsorientierende Elemente und Strategien zur Gestaltung eines Lebenskonzeptes implizieren könnte. Eine explizite Ausführung erfolgt jedoch nicht (HIDDE 2005).
In diesem Zusammenhang ließe sich auf Anregungen aus Dänemark zurückgreifen, wo dem Aspekt der Beratung und Begleitung ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Die Integration der Berufsorientierung in das Curriculum der allgemeinbildenden Schulen kann als nachahmenswert hervorgehoben werden. Hier kommen allerdings systemspezifische Unterschiede zum Tragen: In Dänemark wird sozialpädagogische Arbeit als Bestandteil von Bildungsarbeit begriffen, in Deutschland sind dies aber traditionell völlig getrennte Systeme mit unterschiedlichem Selbstverständnis. Deshalb müsste zunächst eine Überwindung der Systemgrenzen in Angriff genommen werden, bevor die entsprechenden Ansätze adaptiert und implementiert werden können.
Im britischen Zusammenhang wurden Qualifikationen bislang in GNVQs und NVQs erworben, die modular angelegt sind und auf dem Sammeln von Leistungsnachweisen beruhen. Auffällig ist, dass die Qualifikationen nicht innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens erworben werden müssen. Die Jugendlichen können sich zur Prüfung melden, wann immer sie sich in einem bestimmten Fach kompetent fühlen. Ein solches Konzept kommt den Bedürfnissen benachteiligter Jugendlicher entgegen, weil sie sich ihren individuellen Voraussetzungen entsprechend Zeit für den Erwerb der Kompetenzen nehmen können. Dieser Weg kann in Deutschland bislang nicht beschritten werden, weil die Jugendlichen nur für ein bestimmtes Zeitfenster durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert werden und der Zeitrahmen beispielsweise für die Qualifizierungsbausteine genau festgelegt ist.
In Dänemark besteht eine starke Konkurrenzsituation zwischen unterschiedlichen Bildungsanbietern, beruflichen Schulen und Bildungsinstitutionen verschiedenster Art. Die Produktionsschulen – die allerdings in letzter Zeit zurückgefahren werden – treten auf dem Markt im höchsten Maße eigenständig auf. Sie können wirtschaftlich agieren und damit den Jugendlichen die Möglichkeit bieten, ihre Produkte zu verkaufen. Ihre Arbeit hat so einen Realcharakter und damit einen ganz anderen Stellenwert, als wenn „nur zur Übung“ produziert wird, wie dies bei den deutschen Pendants, den Jugendaufbauwerken, der Fall ist. Letztere durften ihre Produkte bislang nicht auf dem freien Markt verkaufen, weil sie als soziale Ziele verfolgende Einrichtungen staatlich subventioniert wurden. Mit der Überführung der Jugendaufbauwerke in GmbHs hat sich die Situation jedoch geändert. Allerdings stellt sich jetzt die Frage nach den Konsequenzen für die sozialpädagogische Arbeit, wenn eine vormals sozialpolitische Ziele verfolgende Einrichtung nun primär erwerbswirtschaftlichen Zielen nachgeht.
Dänische Berufsschulen weisen traditionell eine große Autonomie auf. Sie bemühen sich eigenständig um Mittel für die pädagogische Arbeit und haben freie Hand bei der Festlegung von Schwerpunkten. In Deutschland ist die verwaltungstechnische Eigenständigkeit von Berufsschulen relativ neu, die in einigen Modellprojekten erprobt wurde. Die so genannten Regionalen Berufsbildungszentren haben dabei Entscheidungsspielraum, welche Bildungsgänge sie anbieten möchten, hängen aber nach wie vor stark vom finanziellen Rahmen des zuständigen Landesministeriums und der Kommunen ab. Inwieweit sich dieses Modell bewährt und ob es neue Impulse für die Benachteiligtenförderung setzen kann, bleibt abzuwarten. Auch hier gilt: Eine Übertragung hängt von genauer Kenntnis der förderlichen und hinderlichen Faktoren bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen ab, um überhaupt eine Systemanpassung vornehmen zu können. Eine entsprechende Systemevaluation ist deshalb dringend erforderlich.
Ein großes Manko der Benachteiligtenförderung in Deutschland ist es, dass die einzelnen Maßnahmen zur Förderung der Jugendlichen unverbunden nebeneinander stehen und ein wenig wie „Reparaturinseln“ zwischen den Phasen der Arbeitslosigkeit anmuten. Bestechend ist in diesem Zusammenhang der belgische Ansatz, der als Förderkette mit definierten Übergängen und Anschlüssen angelegt ist. Die einzelnen Maßnahmen greifen ineinander und ergänzen sich sinnvoll mit dem Ziel, zu einer Vollausbildung zu führen.
Zwar wird auch in Deutschland die Wichtigkeit der Förderung sozialer Kompetenzen von allen Beteiligten betont, jedoch besteht eine gewisse Scheu, diese auch zum expliziten Gegenstand der Förderung zu machen. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass soziale Kompetenzen implizit beim beruflichen Handeln gefördert werden. In Belgien ist eine solche Scheu unbekannt. Hier wird zunächst gezielt und grundlegend an der Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen gearbeitet, bevor eine Berufsvorbereitung angegangen wird. Neu in Deutschland ist, dass persönlichkeitsstabilisierende Maßnahmen einer berufsvorbereitenden Maßnahme nach dem neuen Fachkonzept vorgeschaltet werden können (§ 46 SGB III). Entscheidend für den Erfolg des neuen Konzeptes wird es sein, ob es gelingt, beide Maßnahmen sinnvoll miteinander zu verknüpfen und Anschlussperspektiven aufzuzeigen. Das neue Förderprogramm „Förderketten“ zielt in diese Richtung.
Ebenfalls nachahmenswert am belgischen Ansatz ist die systematische Verbindung von beruflichem Lernen mit einer Vielzahl an sozialen, psychologischen und alltagsrelevanten Unterstützungsleistungen. Zwar existiert auch in Deutschland ein gut ausgebautes Unterstützungssystem, dessen Segmente stehen jedoch unverbunden nebeneinander, und miteinander kooperiert wird selten, so dass oftmals eine parallele Förderung stattfindet (SCHREIER 2010).
Übertragung kann nur funktionieren, wenn systemisch gedacht wird. Produktionsschulen konnten in Deutschland nicht funktionieren, weil der Marktverkauf nicht möglich war. Erst durch externe Systemanpassungen wurde eine Übertragung sinnvoll. Als Ergebnis lässt sich festhalten: Lernen von anderen bietet Inspiration, dann aber muss die eigene Systemanpassung erfolgen. Ein verengter Blick auf einzelne Bausteine hilft nicht weiter.
BJØRNÅVOLD, J. (2000): Making Learning Visible: Identification, Assessment and Recognition of Non-Formal Learning in Europe. Centre for the Development of Vocational Training. Luxemburg.
GREINERT, W.-D. (2004): Die europäischen „Berufsausbildungssysteme“ – Überlegungen zum theoretischen Rahmen der Darstellung ihrer historischen Entwicklung. In: Europäische Zeitschrift Berufsbildung Nr. 32 Mai – August 2004/II, 18-26. Online: http://www2.trainingvillage.gr/download/journal/bull-32/32_de_greinert.pdf (27-05-2011).
HEIDEGGER, G. (Hrsg.) (2004): Re-Integration Final Report. Re-Integration – Transitional Evaluation of Social and Professional Re-Integration Programmes for Young People. A Leonardo II Reference Material Project 2001-2004. Flensburg.
HIDDE, B. (2005): Europäische Ansätze zur Modularisierung der Benachteiligtenförderung und empirische Exploration der Auffassung deutscher Betriebe. Unveröffentlichte schriftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für die Laufbahn des Lehramtes „Lehrer an Beruflichen Schulen“ in Schleswig-Holstein. Flensburg.
KONDILY, D./ NIEMEYER, B. (2004): Cultural and historical contextualisation of integration approaches. In: HEIDEGGER, G. (Hrsg.): Re-Integration Final Report. Re-Integration – Transitional Evaluation of Social and Professional Re-Integration Programmes for Young People. A Leonardo II Reference Material Project 2001-2004. Flensburg, 39-60.
REINISCH, H./ FROMMBERGER, D. (2004): Zwischen Schule und Betrieb. Aspekte der historischen Entwicklung beruflicher Bildung in den Niederlanden und in Deutschland aus vergleichender Sicht. – In: Europäische Zeitschrift Berufsbildung, Nr. 32 Mai – August 2004/II, 27-34.
RÜTZEL, J. (1999): Modularisierung in Aus- und Weiterbildung: Taylorisierung ganzheitlicher Ausbildungsgänge und Auflösung der Berufsbilder? In: GEWERKSCHAFT, ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT (Hrsg.): Krise und Aufbruch in der beruflichen Bildung. Dokumentation der GEW-Fachtagung am 3./4. Dezember 1999. Frankfurt am Main, 68-94.
SCHREIER, C. (2010): Modularisierung in der beruflichen Bildung? Ansätze aus der Benachteiligtenförderug in ausgewählten europäischen Ländern. Paderborn.
WOLLSCHLÄGER, N./ REUTER-KUMPMANN, H. (2004): Zur Geschichte der beruflichen Bildung in Europa. Von der Divergenz zur Konvergenz. In: CEDEFOP (EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE FÖRDERUNG DER BERUFSBILDUNG): Europäische Zeitschrift Berufsbildung Nr. 32/2004 II. Thessaloniki, 6-17. Online: http://www.CEDEFOP.europa.eu/etv/Upload/Information_resources/Bookshop/399/32-de.pdf (27-05-2011).
[1] Monolithisch bezeichnet in diesem Zusammenhang ein strikt lineares System mit jeweils einem vorgegebenen Einstiegs- und Ausstiegspunkt, ohne zwischenzeitliche Wechselmöglichkeiten und in anderen Ausbildungsgängen anerkennungsfähige Teilleistungen.
SCHREIER, C. (2011): Europäische Impulse für das Übergangssystem. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 03, hrsg. v. PETERSEN, W./ HEIDEGGER, G., 1-14. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws03/schreier_ws03-ht2011.pdf (26-09-2011).