Titel:
Ziel- und Risikogruppen im Übergangssystem
Beitrag von Joachim Gerd ULRICH (Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn)
In den letzten Jahren haben sich die Ausbildungsmarktverhältnisse zugunsten der Jugendlichen verbessert. Gleichwohl mündete 2010 immer noch eine sechsstellige Zahl von ausbildungsinteressierten und offiziell auch zur Ausbildung befähigten Jugendlichen nicht in eine Lehrstelle ein. Der vorliegende Beitrag der Frage nach, welche Jugendlichen weiterhin zu den Risikogruppen im Übergangsgeschehen zählen. Empirische Basis bildet eine zum Jahreswechsel 2010/2011 durchgeführte Erhebung bei Ausbildungsstellenbewerbern. Als analytischer Bezugsrahmen fungiert ein ressourcentheoretisches Modell zu den Gütern, Mitteln und Qualifikationen, über die Jugendliche verfügen müssen, um sich erfolgreich eine Berufsausbildungsstelle zu erschließen. Wie die Ergebnisse zeigen, variieren die erforderlichen Ressourcen in Abhängigkeit der institutionellen Rahmenbedingungen des Ausbildungszugangs. Dementsprechend unterschiedlich fällt die Zusammensetzung der Risikogruppen aus. Besondere Risiken eröffnen sich für jene Jugendliche, die bei begrenztem Ausbildungsangebot vor Ort auf Vorbehalte der Betriebe stoßen, andererseits aber nicht zum Kreis der Personen gehören, denen auf institutionalisiertem Wege vollqualifizierende Ersatzangebote eröffnet werden. Deutlich wird einmal mehr, dass ein grundlegendes Verständnis zum Übergangsgeschehen ohne eine institutionelle Analyse der Zugangsbedingungen in Berufsausbildung nicht möglich ist.
Die Eckdaten der jüngeren Ausbildungsmarktentwicklung in Deutschland sind in mehrerer Hinsicht mit einem positiven Vorzeichen versehen. Denn seit 2005, dem kritischsten Jahr seit der Wiedervereinigung, haben sich die Ausbildungschancen der Jugendlichen wieder verbessert. So lag das betriebliche Ausbildungsplatzangebot 2010 ungeachtet der noch nicht vollständig überwundenen Wirtschafts- und Finanzkrise höher als 2005 (vgl. Spalte 4 in Tabelle 1). Zugleich fiel die Zahl der Schulabgänger aus demografischen Gründen niedriger aus (Sp.1 und Sp.2). Es stand somit ein größeres Ausbildungsplatzangebot einer geringeren Zahl von zu versorgenden Jugendlichen gegenüber.
Infolgedessen stieg der Anteil unter den institutionell erfassbaren ausbildungsinteressierten Jugendlichen, der in eine Berufsausbildung einmündete (in Tabelle 1 durch Division der Spalten 6 und 5 errechenbar), von 59,2% im Jahr 2005 auf nunmehr 66,3% (vgl. auch GERICKE/ UHLY/ ULRICH 2011). Die Zahl der „unversorgten Ausbildungsstellenbewerber“ (Bewerber, für die weder der Verbleib in einer Berufsausbildungsstelle noch irgendein alternativer Verbleib festgestellt werden konnte) fiel mit 12.300 sogar auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung (Sp.8). Die Eintrittszahl in das „Übergangssystem“ (MÜNK/ RÜTZEL/ SCHMIDT 2010) sank um 94.000 bzw. 22,5% (Sp.9). Und bereits jetzt ist absehbar, dass sich der positive Trend in 2011 fortsetzen wird: Aufgrund der guten Konjunktur ist mit einem weiteren deutlichen Anstieg des dualen Ausbildungsangebots zu rechnen (MAIER/ ULRICH 2011). Die ersten Zwischenbilanzen für 2011 bestätigen den Aufwärtstrend (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2011, DEUTSCHER INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMERTAG 2011).
Tabelle 1: Quantitative Entwicklungen in den für berufliche Bildung relevanten Sektoren 2005 bis 2010
Die heutigen Bedingungen auf dem Ausbildungsmarkt sind mit den früheren Verhältnissen somit nicht mehr uneingeschränkt vergleichbar, und es müssen aktuelle Antworten auf die Frage gesucht werden, wie viele Jugendliche mit welchen Merkmalen zu den Risikogruppen im Übergangsgeschehen zu zählen sind. Andererseits sind die Verhältnisse keinesfalls so, dass die Frage nach den Risikogruppen obsolet geworden ist.
So mündeten im Jahr 2010 immer noch 284.400 Ausbildungsstellenbewerber nicht in eine duale Berufsausbildung ein (Sp.7), obwohl ihnen die Beratungs- und Vermittlungsdienste bescheinigt hatten, den Eignungsvoraussetzungen zur Aufnahme einer Berufsausbildung zu genügen. Zu vermuten ist, dass sich hierunter zahlreiche Personen befinden, die bei ihren Bewerbungen erfolglos geblieben waren. Allerdings lässt sich hierzu aus der Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit keine konkrete Aussage ableiten. Denn es werden zwar die verschiedenen Verbleibsformen detailliert erfasst (vgl. Kapitel 3), doch liegen zu den Beweggründen für die jeweiligen Verbleibe keine Informationen vor.
Um mehr zu den Verbleibsgründen zu erfahren und jene Risikogruppen unter den Ausbildungsstellenbewerbern zu identifizieren, die bei ihren Bewerbungsversuchen erfolglos blieben, ist man auf Stichprobenuntersuchungen angewiesen. Deshalb wird für die folgenden Analysen auf die BA/BIBB-Bewerberbefragung zurückgegriffen, einer repräsentativen Erhebung bei rund 4.700 Ausbildungsstellenbewerbern des Jahres 2010. Die Studie wurde von Dezember 2010 bis Ende Januar 2011 gemeinsam von der Bundesagentur für Arbeit und vom Bundesinstitut für Berufsbildung durchgeführt. Zwar vermag die BA/BIBB-Bewerberbefragung infolge des begrenzten Fragenprogramms keine vollständige Rekonstruktion der bildungsbiografischen Entwicklung der Ausbildungsstellenbewerber zu liefern – im Gegensatz etwa zur 2006 durchgeführten BIBB-Übergangsstudie (BEICHT/ FRIEDRICH/ ULRICH 2008). Ihr Vorzug besteht aber in ihrer Aktualität; zudem liefert sie eine detailreiches Bild zu den jüngsten Übergängen von ausbildungsinteressierten Jugendlichen, denen die Beratungs- und Vermittlungsdienste eine ausreichende Ausbildungseignung attestiert hatten.
Im nachfolgenden Kapitel 2 werden zunächst anhand eines aktuellen Fallbeispiels die ressourcentheoretischen Grundlagen skizziert, auf deren Basis die Risikogruppen unter den ausbildungsinteressierten Jugendlichen definiert werden. In Kapitel 3 wird dann beschrieben, wie die Ausbildungsstellenbewerber Ende 2010 verblieben, wie sie selbst ihren Verbleib bewerteten und wie viele der Bewerber, die sich nicht in einer dualen Berufsausbildung befanden, dies mit erfolglosen Bewerbungen in Verbindung brachten. Diese Gruppe der erfolglosen Bewerber bildet zusammen mit den erfolgreichen Bewerbern die Untersuchungsstichprobe, um auf der Grundlage regressionsanalytischer Verfahren Risikogruppen beim Übergang in eine Berufsausbildung zu identifizieren (Kapitel 4). Im abschließenden Kapitel 5 werden die Ergebnisse auch in Hinblick auf den künftigen Reformbedarf an der „ersten Schwelle“ diskutiert.
„Ohne meine Eltern wäre ich nicht zurechtgekommen. Es wird sich nur um Problemfälle gekümmert. Normal Benotete (Schulnoten) müssen selber sehen, wie sie klarkommen.“
Diese Worte stammen von einem im Jahr 2010 registrierten, 22-jährigen Ausbildungsstellenbewerber, der erst nach rund 100 Bewerbungen eine Lehre als Tischler beginnen konnte. Es lohnt sich, mit dem Zitat etwas näher zu beschäftigen, denn es spiegelt in kompakter Form die Komplexität der Bedingungen beim Übergang Schule-Beruf wider. Zum einen verweist der Jugendliche darauf, dass er ungeachtet der eigenen „normalen“ Qualifikation auf familiäre Hilfestellung zurückgreifen musste, um die Zeit der Ausbildungssuche erfolgreich zu beenden („ohne meine Eltern wäre ich nicht zurechtgekommen“). Und zum anderen führt er seine Übergangsprobleme auf aus seiner Sicht fragwürdigen Besonderheiten der institutionalisierten Unterstützungssysteme zurück, die Leistungsschwächere privilegieren und durchschnittlich Leistungsfähigen die Hilfeleistung verwehren („normal Benotete müssen selber sehen, wie sie klarkommen“). Der junge Mann fordert offenbar dazu auf, sich kritisch mit den Regeln auseinanderzusetzen, die in Deutschland bestimmen, nach welchen Kriterien der Zugang in eine Berufsausbildung eröffnet bzw. unterstützt wird.
Indirekt verweist der junge Tischlerlehrling damit auf eine zentrale Forderung aus der Soziologie: Wer die „Logik einer Situation“ (hier: des Zugangs in Berufsausbildung) verstehen möchte, muss sich die in der Situation gültigen bzw. Geltung beanspruchenden Regeln verstehen lernen, oder in der Sprache Hartmut Essers: Die institutionelle Analyse (hier: die Analyse der Zugangsregeln in berufliche Bildung) ist „der Kern einer jeden Analyse der Logik der Situation und damit Anfang und Ende einer jeden soziologischen Erklärung“ (ESSER 2000b, 4). Denn diese Regeln bestimmen, was ein Jugendlicher überhaupt tun kann, welche persönlichen oder sozialen Ressourcen (BOURDIEU 1983) er einsetzen könnte und muss, um sich die Unterstützung jener Organisationen zu erschließen, über die ein Zugang in Ausbildung ermöglicht werden kann (EBERHARD 2011, ULRICH 2011). Mit anderen Worten: Die Institutionen sind die entscheidenden Determinanten der für einen Ausbildungszugang nutzbaren Ressourcen (vgl. Abbildung 1).
Der Tischlerlehrling sieht sich nun als Opfer einer aus seiner Sicht fragwürdigen Regel, die zwar den „Problemfällen“ staatlich organisierte Hilfe beim Ausbildungszugang zukommen lässt, rein marktbenachteiligte Jugendliche aber mit ihren Übergangsproblemen weitgehend alleine lässt. Dies führt zu eigenartigen, dem meritokratischen Prinzip (vgl. dazu auch SOLGA 2005) widersprechenden Konsequenzen: Denn durchschnittliche schulische Leistungen sind damit plötzlich keine nutzbaren personale Ressource mehr, um sich wirksame Hilfe bei der Ausbildungsplatzsuche zu erschließen, sondern unterdurchschnittliche Leistungen bzw. soziale Verhaltensauffälligkeiten (denn „es wird sich nur um Problemfälle gekümmert“).
Abb. 2: Institutionen als die Determinanten der für einen Ausbildungszugang nutzbaren Ressourcen
Der Tischlerlehrling hat damit tatsächlich insofern Recht, dass es in allen Regionen Deutschlands zwar Fördermöglichkeiten für sozial benachteiligte oder lernbeeinträchtigte ausbildungsinteressierte Jugendliche gibt (bis hin zur Bereitstellung einer außerbetrieblichen dualen Berufsausbildung), dass für Marktbenachteiligte aber – mit Ausnahme des Ostens – fast keine vollqualifizierenden Ausbildungsalternativen im dualen System zur Verfügung stehen (EBERHARD/ ULRICH 2011). Damit werden zwei weitere wichtige Aspekte berührt. Zum einen gibt es eine institutionelle Varianz beim Ausbildungszugang: Denn innerhalb desselben dualen Ausbildungssystems existieren unterschiedliche Ausbildungsformen mit unterschiedlichen Eintrittsbedingungen. Und zum anderen ist mit einer regionale Varianz zu rechnen (IMDORF/ SEIBERT/ HUPKA 2009): Dieser Effekt resultiert nicht nur aus örtlichen Unterschieden in der Bereitstellung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze (ULRICH 2011), sondern natürlich ebenso aus den beträchtlichen regionalen Differenzen in der Höhe des vorhandenen betrieblichen Lehrstellenangebots (ULRICH/ FLEMMING/ GRANATH 2011). Diese Differenzen produzieren ebenfalls unterschiedliche Zugangslogiken, denn vom Angebots-Nachfrage-Verhältnis vor Ort hängt es ab, welche Eintrittshürden und Selektionslogiken sich die Betriebe leisten können, ohne eine Besetzung ihrer Lehrstellen zu gefährden (IMDORF 2007). Beide Varianzquellen – die institutionelle und regionale – überlagern sich und führen in der Konsequenz zu von Ort zur Ort stark variierenden Bedingungen und Zugangslogiken beim Zugang in Berufsausbildung. So ist es möglich, dass in der einen Region ein unterdurchschnittlicher Schulabschluss ausreicht, um sich eine Ausbildungsstelle zu erschließen, während er in einer anderen Region nicht genügt und er in einer dritten Region unter bestimmten institutionellen Bedingungen (widergespiegelt in der Zahl der bereitstehenden außerbetrieblichen Plätze) vielleicht sogar von Vorteil ist.
Aus Sicht des Tischlerlehrlings waren die gegenwärtigen Institutionen, was die Erschließbarkeit organisationaler Unterstützung beim Ausbildungszugang betrifft, für ihn persönlich keinesfalls vorteilhaft. Immerhin konnte er jedoch auf die Hilfe seiner Eltern zurückgreifen, ohne die er „nicht zurechtgekommen“ wäre. Aber auch diese Unterstützungsmöglichkeit ist – nimmt man einmal an, dass die Hilfe der Eltern nicht nur im guten Zuspruch bestand – Folge der Zugangslogik, die sich aus den bestehenden Institutionen (Zugangsregeln) ergibt. Denn der arbeitsmarktförmig gestaltete Verteilungsmechanismus von Ausbildungsplätzen (bei dem die Betriebe als Träger des praktischen Teils der Ausbildung entscheiden, wer ausgebildet wird) eröffnet den Eltern auch die Möglichkeit, ihre sozialen Netzwerke einzusetzen und bei den ihnen bekannten Ausbildungsplatzanbietern zugunsten ihrer Kinder um Privilegien beim Einstellungsverfahren zu bitten (eine Strategie, die im Zusammenhang mit der Vergabe von Studienplätzen wohl kaum zu beobachten ist). Somit zeigt sich auch an dieser Stelle, dass die Institutionen (hier die Regelung, dass die Betriebe über den Ausbildungszugang entscheiden) jene personalen und sozialen Ressourcen determinieren, die für die Erschließung einer Ausbildungsstelle eingesetzt werden können (EBERHARD 2011, ULRICH 2011).
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen seinen deshalb im Folgenden als „Risikogruppen im Übergangsgeschehen“ jene Personenkreise definiert, die nach Maßgabe der bestehenden Zugangsregelungen eine geringere Chance haben, sich erfolgreich um eine duale Berufsausbildung zu bewerben (weil sie nicht über jene personalen, sozialen und organisationalen Ressourcen verfügen, um sich einen Zugang in eine Berufsausbildungsstelle zu erschließen. Die Risiken können demnach nur unter Berücksichtigung der jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen untersucht werden und resultieren stets aus drei möglichen Quellen: aus personalen, sozialen und organisationalen Ressourcendefiziten. Anhand des Verbleibs der Ausbildungsstellenbewerber 2010 sollen im Folgenden die Chancen und Risiken verschiedener Gruppen in Abhängigkeit der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen untersucht werden.
Im Berichtsjahr 2010 (genauer: zwischen dem 01.10.2009 und dem 30.09.2010) hatten die Beratungs- und Vermittlungsdienste der Agenturen für Arbeit, Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) und zugelassenen kommunalen Träger (zkT) insgesamt 551.998 Bewerber registriert, die ihren Wohnsitz in Deutschland hatten. Da die Beratungs- und Vermittlungsdienste nur jene Jugendlichen als Bewerber führen, „die im Berichtsjahr individuelle Vermittlung in eine betriebliche oder außerbetriebliche Berufsausbildungsstelle in anerkannten Ausbildungsberufen nach dem BBiG wünschen und deren Eignung dafür geklärt ist bzw. deren Voraussetzung dafür gegeben ist“, handelt es sich allesamt um offiziell „ausbildungsreife“ Personen. Allerdings konnte nur für 267.717 (48,5%) der 551.998 Bewerber eine Einmündung in eine Berufsausbildungsstelle verbucht werden (vgl. Tabelle 2).
Tabelle 2: Offizieller Verbleib der registrierten Ausbildungsstellenbewerber zum Abschluss des Berichtsjahres 2010 am 30.09.2010
Die restlichen 284.281 Bewerber
Leider lassen sich aus der Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit keine Hinweise zu den individuellen Motiven für den alternativen Verbleib entnehmen; eindeutige „Zuordnungen und qualifizierte Differenzierung nach den Ursachen für den alternativen Verbleib sind mit statistischen Mitteln nicht möglich“ (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2010, 4). Der Bogen möglicher Gründe spannt sich von freiwilliger Umorientierung bis hin zu Ausweichreaktion infolge erfolgloser Bewerbungen. Um nun Näheres zur Lage der Bewerber und ihren Beweggründen zu erfahren, wurden Sonderauswertungen der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2010 vorgenommen.
Bei der sog. „BA/BIBB-Bewerberbefragung“ handelt es sich um eine schriftlich-postalische Erhebung, die zum Jahreswechsel 2010/2011 stattfand. Der Umfang der Bruttostichprobe mit Zufallsauswahl betrug n = 13.714; die Nettostichprobe umfasste bei einer Rücklaufquote von 34% 4.621 Probanden. Zu den Befragten zählten auch Bewerber, die offiziell unbekannt verblieben waren. Themen der Befragung waren u.a. das Bewerbungsverhalten, der aktuelle Verbleib, die subjektiven Gründe hierfür und die weiteren Ausbildungspläne. Die Ergebnisse lassen auf die Grundgesamtheit aller 551.998 registrierten Bewerber hochrechn
Demnach befanden sich zum Jahreswechsel 2010/2011 von den insgesamt 551.998 Bewerbern hochgerechnet
Zusammen mit den 265.263 in Berufsausbildung verbliebenen Bewerbern war somit für insgesamt 411.863 (74,6%) der 551.998 Bewerber ein explizites Ausbildungsinteresse nachweisbar. Die restlichen Bewerber 140.135 (25,4%) brachten ihren alternativen Verbleib in keinen expliziten Zusammenhang mit erfolglosen Bewerbungsversuchen.
Tabelle 3 gibt wieder, wie die drei hier unterschiedenen Bewerbergruppen zum Jahreswechsel 2010/2011 im Einzelnen verblieben waren.
Tabelle 3: Verbleib der Ausbildungsstellenbewerber 2010 zum Jahreswechsel 2010/2011
Es verwundert nicht, dass insbesondere diejenigen Ausbildungsstellenbewerber, die ihren Verbleib auf ihre erfolglosen Bewerbungen zurückführen, ihren aktuellen Verbleib kritisch bewerteten (vgl. Tabelle 4). Knapp zwei Fünftel bezeichneten ihn als letztlich nicht akzeptable Alternative („nur eine Notlösung“, „Sackgasse“); lediglich ein Fünftel betrachtete ihn als weitgehend plangemäß (Sp.3).
Tabelle 4: Bewertung ihres Verbleibs durch die Ausbildungsstellenbewerber des Jahres 2010
Ebenso wenig überrascht es, dass sich die Bewerber in dualer Ausbildung (Sp.2) insgesamt am zufriedensten zeigten. Die sonstigen Bewerber, die ihren alternativen Verbleib nicht explizit mit erfolglosen Bewerbungsversuchen in Verbindung brachten (Sp.4), nahmen eine Zwischenstellung ein. Knapp die Hälfte sah den Verbleib als (weitgehend) plangemäß an, ein knappes Viertel als zumindest zweckmäßige Alternative und das restliche Fünftel als letztlich nicht akzeptabel.
Die relativ unterschiedlichen Bewertungen in der Gruppe der „sonstigen Bewerber“ resultieren letztlich daraus, dass sich hier zum einen diejenigen Bewerber häufen, welche sich freiwillig umorientieren, dass hier aber andererseits auch noch viele Bewerber sind, die ihren Wunsch nach einer dualen Ausbildung nicht aufgegeben haben. Immerhin 40.000 aus dieser Gruppe gaben an, weiter an einer Berufsausbildung interessiert zu sein. Dass sie ihren alternativen Verbleib nicht explizit auf erfolglose Bewerbungen zurückführten, hatte unterschiedliche Gründe. Einige personalisierten die Ursache, sahen den Grund also darin, dass sie noch zu jung waren oder aber ihre Lebensumstände sie gezwungen hatten, erst etwas anderes zu tun. Andere hatten sich durchaus erfolgreich beworben, ihre Lehre aber zwischenzeitlich abgebrochen.
Da nun in Kapitel 2 als Risikogruppen im Übergangsgeschehen
Wie in Abschnitt 2 erörtert wurde, sind die Zugangslogiken in Ausbildungsplätze des dualen Systems je nach Ausbildungsform – betrieblich, außerbetrieblich – unterschiedlich (EBERHARD 2011, ULRICH 2011). Deshalb wurden neben einem globalen Regressionsmodell zur Ermittlung der Einmündungschancen in duale Berufsausbildung zwei weitere Regressionsmodelle berechnet, eines zur Berechnung der Zugangschancen in betriebliche Berufsausbildung, und für diejenigen, die den Zugang in eine betriebliche Lehre nicht schafften, ein weiteres zur Ermittlung der Zugangschancen in außerbetriebliche Berufsausbildung. Die Ergebnisse aller drei Modelle sind in Tabelle 5 aufgeführt.
Tabelle 5: Determinanten der Verbleibschancen in dualer Ausbildung bei Bewerbern mit explizit erkennbarem Ausbildungsinteresse
Die Ergebnisse spiegeln die unterschiedlichen Logiken beim Verbleib in die verschiedenen Organisationsformen der Berufsausbildung wider. So stellen für den Verbleib in betrieblicher Berufsausbildung (Sp.2) ein möglichst hoher Schulabschluss, gute Noten, berufliche Flexibilität, ein junges Lebensalter, körperliche Unversehrtheit und der Abschluss einer Einstiegsqualifizierung förderliche personale Ressourcen dar. Blieben die Bemühungen um eine betriebliche Lehrstelle allerdings erfolglos, sind diese Aspekte bedeutungslos oder sogar hinderlich, um sich eine außerbetriebliche Berufsausbildungsstelle zu eröffnen. Denn der institutionelle Rahmen des Zugangs in außerbetriebliche Ausbildung konzentriert sich auf der Förderung bereits älterer Jugendlicher mit maximal Hauptschulabschluss, die zuvor bereits eine Berufsvorbereitung absolviert haben (DIETRICH 2010), sowie auf Jugendliche mit Behinderungen (Sp.3). Für erfolglose Ausbildungsstellenbewerber, die diese Merkmale nicht mitbringen, sind die Einmündungschancen in eine alternativ organisierte vollqualifizierende Berufsausbildung somit gering (vgl. dazu auch EBERHARD 2011).
Alle drei Modelle belegen zudem, dass es signifikante regionale Einflüsse gibt, hier berechnet über die Zahl der in einem Bundesland zur Verfügung stehenden Bildungsangebote. So steigt die Chance, dass einer der hier untersuchten Bewerber in einer Berufsausbildung verblieben war, mit jeder betrieblichen Lehrstelle, die im Land (jeweils 100 institutionell erfassten ausbildungsinteressierten Jugendlichen) mehr zur Verfügung stand, um etwa fünf Prozent. Gleiches gilt für das außerbetriebliche Angebot. Eine höhere Zahl an Plätzen im Übergangssystem korreliert dagegen mit einer signifikant geringeren Verbleibswahrscheinlichkeit in außerbetrieblicher Berufsausbildung (Sp.3).
Was den Einsatz sozialer Ressourcen angeht, so ergibt sich ein widersprüchliches Bild. Erwartungsgemäß fördert die intensive Rücksprache mit den Eltern die Verbleibswahrscheinlichkeit in betrieblicher Berufsausbildung (vgl. COLEMAN 1988, 110). Die an sonstige Dritte (Verwandte, Bekannte, Freunde) gerichtete Bitte um Hilfe und der Versuch, „Beziehungen“ zu nutzen, sind dagegen sogar mit einer geringeren Verbleibswahrscheinlichkeit in Berufsausbildung verbunden. Dies erstaunt zunächst; das Phänomen ist jedoch mit aller Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass der Einsatz dieser strategischen Mittel einem Eskalationsmodell folgt und somit erst dann in Erwägung erzogen wird, wenn die Suche nach Ausbildungsplätzen bereits längere Zeit erfolglos war. Rasch erfolgreiche Bewerber können dagegen auf solche Strategien verzichten, und die Umkehrung der Kausalität erklärt an dieser Stelle den statistisch negativen Zusammenhang.
Auf anderem Wege sind positive Einflüsse von Netzwerken durchaus zu belegen; so führten immerhin 10% der Bewerber, die sich in betrieblicher Berufsausbildung befanden, dies u.a. darauf zurück, dass sich andere (Eltern, Freunde, Bekannte) beim Betrieb für sie eingesetzt hätten. Hochgerechnet waren dies 21.200 Personen.
Hinsichtlich der Personenmerkmale fällt zunächst der Geschlechtseffekt zulasten der jungen Frauen auf (vgl. IMDORF 2005, GRANATO 2006). Von den Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist nur (noch) der Kreis der Ausbildungsstellenbewerber türkischer, kurdischer oder arabischer Herkunft von niedrigeren Verbleibschancen in Berufsausbildung betroffen, welche auch unter Kontrolle der Qualifikation und anderer Merkmale inferenzstatistisch bedeutsam bleiben. Bezüglich des Verbleibs in betrieblicher Berufsausbildung ist die Benachteiligung türkischer und arabischer Bewerber bereits aus anderen Studien bekannt (vgl. EBERHARD/ ULRICH 2010, 155, LEX/ GEIER 2010, 181, BEICHT/ GRANATO/ ULRICH 2011, BOOS-NÜNNING 2011, 243); es überrascht aber, dass dieses Herkunftsmerkmal auch beim Verbleib in außerbetrieblicher Berufsausbildung mit einer signifikant niedrigeren Chance verbunden ist.
Eine Erklärung mag in der institutionellen Bindung der Bewerber an die Beratungs- und Vermittlungsdienste liegen. Wie weitere Analysen zeigen, zählen Bewerber türkischer, kurdischer oder arabischer Herkunft überdurchschnittlich häufig zu denjenigen, bei denen während einer Vermittlungsperiode der Kontakt zu den Behörden verloren geht. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, dass diese Jugendlichen gehäuft in großstädtischen Räumen leben, in denen die Bindungskraft an die Beratungs- und Vermittlungsdienste grundsätzlich niedriger ausfällt als in ländlichen Regionen. Ein anderer Grund ist ihre längere Erfolglosigkeit. Denn Bewerber, die bereits seit Jahren suchen, brechen den Kontakt rascher ab. Der Kontaktverlust ist deshalb von großem Nachteil, weil das Angebot und der Zugang in außerbetriebliche Ausbildungsplätze über die Beratungs- und Vermittlungsdienste organisiert werden. Wird im Rahmen des oben aufgeführten Regressionsmodells zusätzlich kontrolliert, ob der Kontakt aufrecht erhalten wurde, lässt sich ein signifikanter Zusammenhang (alpha = .050) zwischen diesem Herkunftsmerkmal und dem Verbleib in außerbetrieblicher Ausbildung nicht mehr feststellen.
Bei der Interpretation der in Tabelle 5 aufgeführten Kennwerte ist zu berücksichtigen, dass die Begriffe der Chance bzw. des Risikos im Gegensatz zur Umgangssprache nicht mit dem Begriff der Wahrscheinlichkeit gleichzusetzen sind.
Vielmehr spiegeln sie (wie dies auch bei Wetten der Fall ist) das Verhältnis der Auftretenswahrscheinlichkeit zur Gegenwahrscheinlichkeit wider. Beträgt somit z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Bewerbergruppe erfolgreich ist, 20%, und liegt die Gegenwahrscheinlichkeit somit bei 80%, so beziffert sich die Chance, erfolgreich zu sein, auf 0,25 (=20/80) und das Risiko, nicht erfolgreich zu sein, beläuft sich auf 4,00 (=80/20). Dies erschwert eine anschauliche Interpretation, zumal das relative Ausmaß der (anhand der Effektkoeffizienten ablesbaren) Chancenabweichungen davon abhängig ist, wie hoch die Chance der Referenzgruppe ist. Je niedriger diese ist, desto eher werden hohe Effektkoeffizienten erzielt.
Um nun die Interpretation zu erleichtern, sollen deshalb zum Schluss für ausgewählte Gruppen Verbleibswahrscheinlichkeiten berechnet und durch die Identifikation der Personenkreise mit niedrigen Wahrscheinlichkeiten aktuelle Risikogruppen benannt werden. Grundlage hierfür bilden die ermittelten Regressionsgleichungen.
Den hypothetischen Ausgangsfall für den Verbleib in betrieblicher Berufsausbildung bildet ein 17-jähriger männlicher Hauptschulabsolvent ohne Migrationshintergrund mit befriedigenden Noten in Deutsch und Mathematik, der in einer Region mit durchschnittlichem betrieblichem Bildungsangebot lebt. Für ihn ergibt sich eine rechnerische Wahrscheinlichkeit des Verbleibs von 52% (bezogen auf die hier untersuchte Gruppe der Ausbildungsstellenbewerber mit explizit geäußertem Ausbildungsinteresse). Würde derselbe Jugendliche nun in einer Region mit einer überdurchschnittlich guten Ausbildungsmarktlage wie in Bayern leben, stiege die Wahrscheinlichkeit auf 66%; befände sich sein Wohnort dagegen in einer Region mit einer unterdurchschnittlichen Marktlage wie in Berlin, läge die Wahrscheinlichkeit nur noch bei 40% (vgl. Tabelle 6). Der regionale Effekt auf die Verbleibswahrscheinlichkeit ist also nicht nur statistisch, sondern auch praktisch sehr bedeutsam. Ähnliches gilt, wie Tabelle 6 an verschiedenen Beispielen zeigt, für den Schulabschluss, für die Noten und für die Herkunft. Für viele Teilgruppen liegt die Wahrscheinlichkeiten deutlich unter 50%, obwohl all diesen Jugendlichen ja attestiert wurde, die individuellen Voraussetzungen zur Aufnahme einer Berufsausbildung zu erfüllen (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2010, 5).
Tabelle 6: Rechnerische Wahrscheinlichkeit des Verbleibs in einer betrieblichen Berufsausbildungsstelle in Abhängigkeit von den Ressourcen, die einem Bewerber zur Verfügung stehen 1)
In der nachfolgenden Tabelle 7 werden nun die regressionsanalytisch ermittelten Wahrscheinlichkeiten des Verbleibs in außerbetrieblicher Berufsausbildung für diejenigen Bewerber aufgeführt, die bei ihren Bewerbungen um eine betriebliche Ausbildungsstelle erfolglos blieben. Den hypothetischen Ausgangsfall für den Verbleib in außerbetrieblicher Berufsausbildung bildet hier ein 20-jähriger männlicher Hauptschulabsolvent ohne Migrationshintergrund mit ausreichenden Noten in Deutsch und Mathematik, der in einer Region mit durchschnittlichem nichtbetrieblichem und teilqualifizierendem Bildungsangebot lebt und bereits Verwandte, Freunde und Bekannte um Unterstützung gebeten hatte. Die Verbleibswahrscheinlichkeit in außerbetrieblicher Ausbildung beträgt in diesem Fall 45%, steigt aber auf 67%, wenn es in seiner Region ähnlich viele vollqualifizierende Ersatzangebote und ähnlich wenig teilqualifizierende Angebote wie in Sachsen gäbe. Dagegen würde sie auf 35% sinken, sähe die Relation zwischen vollqualifizierenden Ersatzangeboten und teilqualifizierenden Angeboten ähnlich wie in Niedersachsen aus. Auch hier lässt sich also ein bedeutender regionaler Effekt beobachten, resultierend aus unterschiedlichen Gewichten, die der außerbetrieblichen Ausbildung und der integrativen Ausbildung im „Übergangssystem“ beigemessen wird.
Tabelle 7: Rechnerische Wahrscheinlichkeit des Verbleibs in einer außerbetrieblichen Berufsausbildungsstelle in Abhängigkeit von den Ressourcen, die einem Bewerber zur Verfügung stehen 1)
Erkennbar wird zudem die gegenwärtige Förderlogik beim Verbleib in außerbetrieblicher Ausbildung. Diese Variante dualer Ausbildung ist institutionell derzeit so gestaltet, dass junge Bewerber, die sich erfolglos um eine betriebliche Lehrstelle bemühten, nur eine geringe Zugangschance haben – trotz der attestierten Ausbildungsreife. Gleiches gilt für erfolglose Bewerber mit mittlerem Abschluss.
Auch wenn die berichteten Wahrscheinlichkeiten unmittelbar aus den Regressionsmodellen und somit nur noch mittelbar aus der Empirie abgeleitet wurden (so dass sie mit Vorsicht zu interpretieren sind), veranschaulichen sie jedoch recht gut die praktische Bedeutsamkeit der diversen Ressourcen für den Verbleib in einer vollqualifizierenden Berufsausbildung. Art und Ausmaß der jeweils erforderlichen Ressourcen variieren nicht nur in Abhängigkeit der institutionellen Rahmenbedingungen des Ausbildungszugangs, sondern auch über die Regionen hinweg. Dementsprechend unterschiedlich fällt die Zusammensetzung der Risikogruppen aus. Spezielle Risiken eröffnen sich für jene Jugendliche, die bei begrenztem Ausbildungsangebot vor Ort auf Vorbehalte der Betriebe stoßen, andererseits aber nicht zum Kreis der Personen gehören, denen auf institutionalisiertem Wege vollqualifizierende Ersatzangebote eröffnet werden.
Es verwundert nicht, dass gerade der Gruppe der „ausbildungsreifen“, aber erfolglosen Bewerber um eine betriebliche Lehrstelle ein zentraler Stellenwert bei den Überlegungen zur Reform des Übergangssystems zukommt. Die Überlegungen laufen darauf hinaus, sie nicht länger auf teilqualifizierende Bildungsgänge des Übergangssystems zu verweisen, sondern ihnen subsidiär Plätze in nichtbetrieblich organisierten Formen der dualen Berufsausbildung anzubieten (EULER/ SEVERING 2011, 39ff.). In einer im Herbst 2010 durchgeführten Befragung von Berufsbildungsexperten räumten die meisten der Fachleute diesem Vorschlag allerdings nur wenig Realisierungschancen ein, Wirtschaftsvertreter lehnten ihn mehrheitlich sogar ab (GEI/ KREWERTH/ ULRICH 2011, 11f.).
Für die Skepsis mag es mehrere Gründe geben. Zum einen handelt es sich – da für das duale System typische Eingliederungsprinzip der Marktinklusion (ESSER 2000a, 233ff.) stark relativiert würde, um einen durchaus größeren systemischen Eingriff mit nicht vollständig absehbaren Nebenfolgen. Die durch die demografische Entwicklung genährte Hoffnung auf weitere Besserung der Ausbildungschancen (vgl. dazu auch den Beitrag von SCHMIDT 2011) mag dabei die bildungspolitische Risikobereitschaft zugunsten eines solchen systemischen Eingriffs weiter absenken. Und die starke Stellung der Arbeitgeber innerhalb des korporatistisch-staatlichen Steuerungssystems der dualen Berufsbildung (BAETHGE 2006) dürfte viele Bildungsexperten zweifeln lassen, dass eine solche Reform ohne Zustimmung der Wirtschaft umsetzbar ist. Spätestens dieser Stelle kommt somit ein weiterer wichtiger Aspekt zum Tragen. Die Logik des institutionellen Gefüges kann ohne eine Reflektion der spezifischen Interessen der Organisationen, die den Zugang in das duale Ausbildungssystem regeln, nicht verstanden werden (ULRICH 2011).
MÜNK (2010, 44f.) hat das „Übergangssystem“ einmal als „Kollateralschaden des dualen Systems“ bezeichnet, da im „Übergangssystem“ viele junge Menschen herumirren, weil sie „herkunfts- und qualifikationsbedingt ganz offenkundig nicht in dieses Duale System integrierbar“ sind. Womöglich hat aber das „Übergangssystem“ in der Vergangenheit auch deshalb einen so hartnäckigen Bestand gehabt, weil sich in diesem „Labyrinth“ (MÜNK/ RÜTZEL/ SCHMIDT 2010) auch viele zur Ausbildung befähigte Jugendliche ohne Lehrstelle verliefen und somit statistisch nicht mehr als erfolglose Ausbildungsplatznachfrager sichtbar wurden. Das jährliche Bilanzierungsergebnis der Ausbildungsmarktentwicklung wurde somit durch ihren Misserfolg nicht belastet, und in diesem Sinne war das „Übergangssystem“ auch ein „Retter des dualen Systems“, da es erheblich zu dessen Legitimierung beitrug (ULRICH 2011).
Wie dem auch sei, die obigen Analysen haben somit einmal mehr deutlich gemacht, dass ein grundlegendes Verständnis zum Übergangsgeschehen ohne eine institutionelle Analyse der Zugangsbedingungen in Berufsausbildung nicht möglich ist (siehe dazu auch ENGGRUBER 2011, ULRICH 2011). Denn diese definieren, welche Art von Ressourcen überhaupt eingesetzt werden können, um sich einen Ausbildungszugang zu erschließen (vgl. dazu auch die jüngste Veröffentlichung von HUPKA-BRUNNER/ SACCHI/ STALDER 2011).
BAETHGE, M. (2006): Staatliche Berufsbildungspolitik in einem korporatistischen System. In: WEINGART, P./ TAUBERT, N. C. (Hrsg.): Das Wissensministerium. Ein halbes Jahrhundert Forschungs- und Bildungspolitik in Deutschland. Weilerswist, 435-469.
BEICHT, U./ FRIEDRICH, M./ ULRICH, J. G. (Hrsg.) (2008): Ausbildungschancen und Verbleib von Schulabsolventen. Bielefeld.
BEICHT, U./ GRANATO, M./ ULRICH, J. G. (2011): Mindert Berufsausbildung die soziale Ungleichheit von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund? In: GRANATO, M./ MÜNK, D./ WEIß, R. (Hrsg.): Migration als Chance. Ein Beitrag der beruflichen Bildung. Bielefeld, 177-208.
BOOS-NÜNNING, U. (2011): Blinde Flecken? Bedarf von Forschung und Praxis vor dem Spiegel der Migrationsforschung. In: GRANATO, M./ MÜNK, D./ WEIß, R. (Hrsg.): Migration als Chance. Ein Beitrag der beruflichen Bildung. Bielefeld, 239-258.
BOURDIEU, P. (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: KRECKEL, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen, 183-198.
BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (2010): Arbeitsmarkt in Zahlen. Ausbildungsstellenmarkt. Bewerber und Berufsausbildungsstellen. Deutschland. September 2010. Nürnberg.
BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (2011): Arbeitsmarkt in Zahlen. Ausbildungsstellenmarkt. Bewerber und Berufsausbildungsstellen. Deutschland. April 2011. Nürnberg.
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