Titel:
Berufslaufbahnkonzepte im Handwerk – Abschlüsse, Anschlüsse, Übergänge und Qualifikationsrahmen
Beitrag von Matthias BECKER (Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Universität Flensburg)
Seitdem der Trend hin zu immer höheren Bildungsabschlüssen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel seit einigen Jahren das Gespenst eines aufkommenden Fachkräfte- und Facharbeitermangels beschwört, werden Bestrebungen sichtbar, durchgängige und attraktive Berufslaufbahnen für Personen zu schaffen, die ihre Bildungskarriere im Handwerk gestartet haben. Zugleich ist das Handwerk bestrebt, akademisch geprägte Personen für das Handwerk zu gewinnen. Die Übergänge zwischen handwerklich und akademisch geprägten Welten werden durch politische Absichtserklärungen und auch durch verbesserte Rahmenbedingungen für die Anerkennung von Leistungen, Erfahrungen und Bildungsabschlüssen verbessert. Dabei gerät leicht aus dem Blick, wie und wodurch jeweilige Karrieren geprägt sind und welche Voraussetzungen dabei jeweils für Übergänge vorhanden sind und geschaffen werden. Dieser Beitrag widmet sich dieser Problematik und analysiert die entstehenden Karriereoptionen.
Unter einer Karriere (frz. carrière) wird für gewöhnlich die persönliche Laufbahn eines Menschen in seinem Berufsleben verstanden. Gesprochen wird aber auch von sozialen Karrieren (Unter-, Mittel-, Oberschicht), Unternehmer- und Managementkarrieren (im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Erfolg) oder gar kriminellen Karrieren. Die persönliche „Laufbahn“ beginnt mit Übergängen vom Kind zum Jugendlichen und schließlich Erwachsenen im Zusammenhang mit Bildungskarrieren in Kindergarten, Schule und Ausbildung, die von einer Entwicklung von Erfahrungen und zu bewältigenden (Lebens)Aufgaben begleitet sind (vgl. HAVIGHURST 1971). Der persönliche Entwicklungsweg mit Blick auf eine Karriere ist zunächst nur vom persönlichen Umfeld – in erster Linie der Familie – geprägt, dann vom Umfeld der Bildungsinstitutionen und mündet so schließlich in einem Beruf. Wer in einem bestimmten Milieu aufwächst, verbleibt dort auch oft, so dass Kinder von Lehrern auch solche werden und Kinder von Handwerkern entsprechend Handwerker. Selten ist jedenfalls, dass Kinder von Akademikern beispielsweise Handwerker werden. Diese Prägung begegnet uns häufig z. B. als „Lehrerkarrieren“ oder „Handwerkerkarrieren“.
Der (erste) Beruf ist sicher heutzutage nicht mehr immer einer, der über die gesamte Lebenszeit hält, sondern in verschiedenste Erwerbsbiografien mündet. Die dabei stattfindende berufliche Sozialisation spielt für die Erwerbsbiografie eine entscheidende Rolle; darauf wird noch einzugehen sein. Die entstehenden Muster in einer Erwerbsbiografie werden nicht nur durch die eigenen Vorstellungen, Motivationen und Zielsetzungen (Lebensentwurf), sondern auch durch die Anforderungen, Anreize und Hürden in der Gesellschaft entschieden. Die Durchgängigkeit von Berufsbiografien wird dabei immer häufiger in Frage gestellt und dem „Beruf“ Auflösungserscheinungen nachgesagt (vgl. BAETHGE et al. 1998), während DOSTAL (2002, 463) die Dynamisierung der Arbeitswelt eher zum Anlass nimmt, dem Beruf eine steigende Bedeutung zuzumessen. Dafür sprechen auch die Entwicklungen in Ländern, in denen es keine Tradition der Berufe gibt und in denen deutliche Bestrebungen erkennbar sind, identitätsbildende Entwicklungen in Ausbildung und Arbeitswelt (u. a. durch Beschreibungen von Berufen) einzuleiten. So ist in den USA ein massiver Trend hin zu „Berufen“ feststellbar, etwa durch das vom US-amerikanischen Arbeitsministerium und anderen Organisationen entwickelte Occupational Information Network O*NET (http://www.onetonline.org/). In den Schwellenländern der Industrialisierung ist ebenso erkennbar, dass die Komplexität der Arbeit in einer modernen Industriegesellschaft nur durch die Etablierung von Berufsstrukturen zu beherrschen ist. Ein Indikator dafür ist die Entwicklung sogenannter „National Occupational Core Curricula“ (NOCC) – Berufestandards – in Malaysia und im Oman (vgl. SPÖTTL/ BECKER 2008). Schließlich hat SENNETT (1998) die soziologischen Auswirkungen einer Entberuflichung von Karrieren eindrucksvoll geschildert, so dass die Frage offensichtlich zu beantworten ist, wie in diesem Spannungsfeld eine moderne Karriere ausgehend von der Tradition des Handwerks gestaltbar ist. Bedeutet das Zeitalter der Wissensgesellschaft eine Entwertung handwerklicher Karrieren? Ist das neue Leitbild für das Handwerk daher die akademische Welt, für die das Generieren und Absichern – auch das Transferieren? – von Wissen im Mittelpunkt steht?
Ein Ausdruck der „Wissensgesellschaft“ (vgl. WINGENS/ SACKMANN 2002) ist die These, dass Jedermann und jede Frau eine möglichst „hohe“ Bildung benötigt, um in unserer Gesellschaft und insbesondere im Arbeitsleben zurecht zu kommen und Anerkennung zu erfahren. Der entscheidende Punkt hierbei ist die Bestimmung der Attributierung „hohe Bildung“. Ist hier fernab von Ideologien die Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung unterstellt, oder wird hier der Ideologie nachgegeben, nur das akademische Wissen führe zu hoher Bildung? Politisch gesehen wird diese Frage vor allem im internationalen Kontext mit der Zielsetzung beantwortet, es müsse eine Zunahme akademisch geprägter Karrieren geben, weil Deutschland hier allenfalls einen Platz im hinteren Drittel des internationalen Vergleichs bei allgemein bildenden Abschlüssen und Eintritten in Hochschulen belegt (vgl. Abb.1). OECD-Vertreter fordern gar mitunter einen tertiären Abschluss für alle. Durch die Zurechnung der Fachschulen und Berufsakademien zum tertiären Sektor ist zwar die berufliche Bildung zunächst nicht ausgegrenzt, jedoch ist hier vordergründig das Hochschulwesen gemeint (vgl. BILDUNGSBERICHT 2010). Im Jahr 2008 hatten 45,1 % der 18 bis 20-jährigen Schulabgänger eine Studienberechtigung und etwa drei Viertel von diesen nehmen ein Studium auf (ebd. 118). Dies bedeutet, dass immer noch deutlich mehr Menschen in Deutschland (zunächst) im Berufsbildungsbereich ihren Platz finden als im Hochschulbereich.
Abb. 1: Allgemeinbildende Abschlüsse mit Studienberechtigung und Eintritte in die Hochschulbildung im internationalen Vergleich
Im Berufsbildungssystem qualifizierte Menschen richten ihre Karrieren eher „auf die Herausbildung von beruflicher Handlungskompetenz“ (SPÖTTL et al. 2008, 52) und weniger „auf die Entwicklung wissenschaftlichen Wissens“ (ebd.) aus. Der Wert wissenschaftlichen Wissens wird dabei recht unterschiedlich eingeschätzt. Die Einen weisen diesem die Funktion zu, Grundlage für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz zu sein, die Anderen betonen die unterschiedlichen Qualitäten dieser beiden „Wissenstypen“ (vgl. RAUNER 2004) und damit verbundenen Karrieren und plädieren sogar für eine generelle Ausrichtung von Bildungsprozessen an der Berufsfähigkeit bzw. beruflichen Handlungskompetenz (vgl. vierzehnte Handlungsempfehlung in BERTELSMANN STIFTUNG 2009).
Die Strömungen der Bildungspolitik weisen in die Richtung akademischer Karrieren, ohne dass es hierfür wirklich tragfähige Begründungen gäbe. Auf dem Arbeitsmarkt werden sogar in den Facharbeitsmärkten teils höhere Einkommen erzielt als Akademiker erzielen können, weil die Erfahrungen von Experten der Facharbeit auch von den Betrieben wertgeschätzt werden. Gerade an dieser Stelle darf die Tatsache, dass Akademiker im Durchschnitt 56 % mehr als Absolventen des Dualen Systems verdienen, nicht mit dem Problem verwechselt werden, dass es (noch) viele ausgebildete, aber bereits jetzt zu wenig gut ausgebildete (nicht akademisch ausgebildete!) Facharbeiter gibt. In manchen Handwerksbereichen wird es zusehends schwieriger, gut ausgebildete Fachkräfte zu rekrutieren. Es verwundert daher schon, dass die objektiv zunehmende Menge an Wissen in der Welt gleich Anlass dazu geben soll, anzunehmen, dass „es in immer mehr Bereichen, auch in handwerklichen Arbeitsabläufen, theoretischen Wissens, um Funktionszusammenhänge verstehen, Fehlersuche und Problemlöseverhalten erfolgreich praktizieren zu können“ (BAETHGE 2010, 94) bedürfe. Es liegt hier vielmehr nahe, dass wissensintensivierte Entwicklungs- und Produktionsprozesse zu vorschnell gleichgesetzt werden mit denjenigen Aufgabenstellungen, für die handwerklich geprägte berufliche Kompetenzen benötigt werden. Letztere sind auf das Durchschauen und Durchdringen von Arbeitsstrukturen „mit anderem“ Wissen angewiesen, welches durch Erfahrung gebildet, von Gespür (BAUER et al. 2006) abhängig, informell gewonnen und verwoben ist und so zur Grundlage für handwerklich geprägte Karrieren wird. Dass dabei die Modernisierung des Handwerks auch durch wissensintensive Prozesse vorangetrieben wird und die Objektivierung und Nutzbarmachung wissenschaftlich geprägten Wissens eine Rolle spielt (vgl. BECKER 2005), ist unstrittig. Jedoch ist es die Erfahrung des Anlagenmechanikers SHK, die elektronisch geregelte Pumpen in thermischen Solaranlagen in ihre effizienteste Einstellung versetzen und nicht die ingenieursmäßig ausgelegte Regelung an sich, immer noch die geübte Hand des Lackierers, die trotz elektrostatisch aufgeladener Lackierpistolen für optimale Oberflächen sorgt und immer noch die Kreativität und Könnerschaft des Metallbauers, die mit der Hilfe von Biegemaschinen und neuen Schweißverfahren für schön anzuschauende, funktionale und haltende Geländer sorgt.
Akademische Karrieren – so scheint es – sind derzeit gesellschaftlich geprägt als ein Leitbild anzusehen. Hat Martin Luther mit der Betonung der inneren Berufung des Menschen durch Gott noch einen Weg zu einer Demokratisierung gesellschaftlicher Statuszuweisung von Arbeit und Beruf gewiesen (indem die Berufung so nicht mehr dem Klerus vorbehalten war), verkehrt sich dieses Bild derzeit in Richtung Akademisierung und durchbricht die Durchgängigkeit der traditionellen Karrierestränge (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Durchgehende akademische und traditionelle handwerkliche Karrieren
Die akademische Karriere ist die durch Bildungsleistungen legitimierte Berufung in einen Beruf, der eher als Status denn als Verwirklichung auf der Basis der erworbenen Kompetenzen zu verstehen ist. Der Karriereweg im Bildungsstrang ist von Berechtigungen abhängig – dies könnte man auch dem rechten, handwerklichen Strang zuordnen. Der klassische handwerkliche Strang ist aber eher geprägt durch eine zunehmende Verwirklichung der erworbenen Kompetenzen im Beruf. Der akademische Strang ist demgegenüber eher offener gehalten; man erwirbt zusätzliches Wissen, ohne dieses unmittelbar einem Arbeitsumfeld zuzuordnen. Beim „Bachelor“ streiten sich die Geister quer durch alle Gruppen der Gesellschaft, ob die proklamierte „Berufsfähigkeit“ mit diesem Abschluss nun gegeben ist oder nicht. Solche Fragen stellen sich z. B. bei einem Facharbeiter mit Gesellenbrief nicht in dieser Weise.
Mit der Veröffentlichung des Berufslaufbahnkonzepts des Handwerks (ZDH 2007) hat das Handwerk eine Antwort auf die Entwicklungen der „Wissenswirtschaft und -gesellschaft“ (ebd., 3) geben wollen. Eine der zentralen Zielsetzungen war dabei die Verzahnung von Berufsbildung und Hochschulbildung (ebd., 7)und die Anschlussfähigkeit von Berufsbildung zur Hochschulbildung (ebd., 6). Die Verortung der handwerklichen Abschlüsse in den europäischen und nationalen Qualifikationsrahmen und die Schaffung von Strukturen, um am unteren Bildungsniveau angesichts der Übergangsproblematik ebenso Anschlüsse zu schaffen, überlagerten diese Zielsetzungen, die dann im recht komplex wirkenden Abbild des Berufslaufbahnkonzeptes ihren Ausdruck fand (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Berufslaufbahnkonzept des Handwerks (ZDH 2007, 17)
Konkretisiert man das Berufslaufbahnkonzept in einzelnen Domänen und berücksichtigt dabei die oben genannten Zielsetzungen konsequent, entstehen „aufeinander zulaufende“ Karrierestränge aus handwerklichen und akademischen Karrieren (vgl. Abb. 4 und 5). Handwerklich geprägte Karrierewege finden sich im unteren, akademisch geprägte im oberen Strang. Nicht berufsqualifizierende oder zumindest nur berufsorientierte Bildungsabschlüsse wie das Abitur sind nicht farblich unterlegt.
Abb. 4: Beispiel für Berufslaufbahnen in der Fahrzeugtechnik
Diese Darstellungsform erlaubt die Analyse der Stellung und Bedeutung der jeweiligen Karrierestufen in mehrfacher Hinsicht:
Diese Fragen sind keineswegs einfach zu beantworten, da entsprechende Entwicklungsverläufe nur selten wirklich homogen und durchgängig sind und die Aussagekraft solcher Betrachtungen stets vorsichtig bewertet werden muss. Im Grunde müsste die Beantwortung jeder Frage vor dem Hintergrund eines einzelnen Berufes und unter Einbeziehung jedes möglichen Entwicklungsweges erfolgen. Wie schwierig das ist, wird bei der Betrachtung holztechnischer Karrieren offensichtlich. Sind fahrzeugtechnische Karrieren zumindest auf den ersten Blick einigermaßen kontinuierlich und unter Heranziehung dominierender Berufe analysierbar, sind holztechnische Karrieren bereits vielschichtiger. Eine Fachkraft für Holz- und Bautenschutzarbeiten wird zwar in der Regel seine Karriere als Holz- und Bautenschützer und dann als Fachkraft für Holz- und Bautenschutz fortsetzen; jedoch ist der Weg zum Tischlermeister heute nicht mehr allein dem Tischler vorbehalten und Industriemeister im Bereich Holztechnik werden handwerklich wie industriell ausgebildete Personen, die etwas im Bereich der Holztechnik gelernt haben. Es ist auch zu erkennen, dass der traditionelle handwerkliche Entwicklungspfad das EQR-Niveau 5 zunächst nicht vorgesehen hat. Ein Holzbildhauer wird eher nach einschlägiger Erfahrung ohne einen zusätzlichen Karriereschritt Holzbildhauermeister werden. Der Regelfall industrieller Karrieren war darüber hinaus noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet durch die Ausbildung im Handwerk vor dem Beginn des Arbeitslebens in der Industrie, was auch bis heute noch in einigen Bereichen spürbar ist.
Abb. 5: Beispiel für Berufslaufbahnen in der Holztechnik
Anhand einiger Indikatoren soll im Folgenden den oben aufgestellten Fragen nachgegangen werden, um die Relevanz von Karriereoptionen unter besonderer Berücksichtigung der Übergänge und Durchlässigkeiten anhand von Berufslaufbahnen im Kfz-Bereich ansatzweise zu klären.
Die jeweiligen Voraussetzungen für einen Karrieresprung im Handwerk sind schnell und übersichtlich mit Hilfe der Handwerksordnung zu überblicken. Eine Mindestqualifikation zur Aufnahme einer Berufsausbildung ist in der Handwerksordnung nicht vorgesehen. Insofern kann jeder Schulabgänger eine Berufsausbildung beginnen. Nach erfolgreichem Berufsabschluss ist eine Fortbildung möglich, die zum Teil zusätzliche Berufserfahrung erfordert. Interessant ist hier, einen groben Überblick über diejenigen „Bildungsströme“ zu gewinnen, die gewöhnlich einen Karrierepfad prägen (Abitur hier, Berufsabschluss im Dualen System dort).
Im Jahr 2010 sind 847.726 Schülerinnen und Schüler von einer allgemein bildenden Schule abgegangen, davon hatten 273.782 eine Studienberechtigung (32,3%), 346.847 einen mittleren Bildungsabschluss (40,9%), 171.149 einen Hauptschulabschluss (20,2%) und 55.948 keinen Schulabschluss (6,6%) (vgl. Datenreport 2011, 16). Die Zahl der studienberechtigten Schulabgänger steigt seit Jahren kontinuierlich an. Das statistische Bundesamt weist im Jahr 2008 442.091 studienberechtigte Schulabgänger im Alter von 18 bis 21 Jahren aus (vgl. DESTATIS, Fachserie 11, Reihe 4.3.1). Im betreffenden Jahr wurden 607.066 Neuabschlüsse im dualen System verzeichnet (vgl. Datenreport 2010, Tabelle A5.5.1-1; Jahr 2010: 560.073 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge), 115.803 (20,7%) von diesen hatten eine Studienberechtigung. Es wandern also ca. 26% der Studienberechtigten in das Duale System, oder mit anderen Worten: sie durchbrechen den akademischen Karrierestrang.
Andersherum haben landesbezogene und bundesweite Regelungen die formale Durchlässigkeit von der beruflichen Bildung in die akademische Bildung erleichtert. So hat die Kultusministerkonferenz der Berufsschule eine neue Aufgabe zugewiesen, indem sie erklärt (KMK 2009b):
„Aufstieg durch Bildung und lebensbegleitendes Lernen sind die Schlüssel zu einem erfolgreichen Berufsleben. In Zeiten eines immer schneller werdenden sozialen, technologischen und informationstechnischen Wandels bereitet die duale Ausbildung deshalb auf selbstorganisiertes Lernen vor und ebnet damit Wege auch zu weiterführender akademischer Bildung. Um Bildungsbiografien so effizient wie möglich zu gestalten, müssen Abschlüsse und nachgewiesene Teilleistungen bewertet und auf Studiengänge und Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen angerechnet werden.“
Bereits neun Monate zuvor hat die KMK die Durchlässigkeit zur Hochschulbildung für Meister und Techniker erleichtert (vgl. KMK 2009a). Der Beschluss sieht vor, dass Meister und Techniker eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erwerben, was in den Bundesländern auch in den meisten Fällen umgesetzt ist. Sogar Personen mit einem Berufsabschluss sollen demnach eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung haben, wenn diesem eine mindestens 2 jährige Ausbildung und eine Berufspraxis von 3 Jahren vorausging (alternativ: Eignungsfeststellungsverfahren). Ob dies Auswirkungen auf die Einmündung beruflich Qualifizierter in die Hochschulen haben wird, sollte angesichts der durchschnittlich nur 1,1 % betragenden Quote gründlich analysiert werden (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Der Anteil der Studienanfänger an Hochschulen mit Berufsabschluss beträgt nur 0,6% (Universitäten) bzw. 1,8% (Fachhochschulen) (Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Hochschulstatistik. Nationaler Bildungsbericht 2010)
Überträgt man in erster Annäherung die derzeit feststellbare Durchlässigkeit auf Karrierewege im Kraftfahrzeughandwerk, so lässt sich abschätzen, dass
Abb. 7: Karrieren im Bereich der Fahrzeugtechnik
Im weiteren Karriereverlauf lassen sich Abschätzungen der Übergänge vornehmen, wobei unberücksichtigt bleibt, dass hier Differenzierungen und Übergangsmodelle notwendig wären, wollte man genauere Aussagen zu Bildungsströmen treffen. Hier werden die Abschätzungen auf das Abschlussjahr 2008 der Kfz-Mechatroniker bezogen. Auf ca. 70.000 Auszubildende und rund 18.000 bestandene Prüfungen zum Kfz-Mechatroniker im Jahr 2008 entfallen so 1929 bestandene Fortbildungsprüfungen in Handwerk sowie Industrie und Handel zum Kfz-Servicetechniker im Jahr 2009 (10,7%) und 3.586 Absolventen der Prüfung zum Kfz-Technikermeister (19,9%) sowie 102 Betriebswirte im Kraftfahrzeuggewerbe (vgl. DESTATIS 2010, Tab. 5), zu denen nochmals ca. 100 Betriebswirte des Handwerks angenommen werden, die ebenfalls im Kfz-Gewerbe tätig sind (insg. ungefähr 1%). Die „Einordnung“ dieser Abschlüsse in ein DQR/EQR-Niveau 7 (vgl. Abb. 7) ist dabei nicht unstrittig, da bspw. der Abschluss des Betriebswirtes im Kfz-Gewerbe erst die Aufnahme eines – wenn auch verkürzten – Bachelor-Studiums ermöglicht. Zudem ist der Betriebswirt eine kaufmännische Fortbildung, die nicht unbedingt die typische Karrierefortsetzung für Kfz-Technikermeister darstellt. Vielmehr entscheiden sich Meister, die nicht als solche im Gewerbe verbleiben ebenso häufig zur Aufnahme eines Ingenieur- oder Wirtschaftsingenieurstudiums an einer Fachhochschule. Schließlich sind Führungskräfte im Handwerk mit seiner durchschnittlichen Betriebsgröße von 12 Mitarbeitern pro Betrieb in der Regel die Meister selbst, in größeren Betriebseinheiten zuweilen die oben angesprochenen Betriebswirte und nur in den seltensten Fällen promovierte „Manager“.
Die hier angestellte Betrachtung soll lediglich die Größenordnungen verdeutlichen, die auf entsprechende Laufbahnen der höheren Qualifikationsniveaustufen entfallen. Überträgt man zudem die durchschnittliche Übergangsquote in die Hochschulen beruflich Qualifizierter von 1,1% auf das Kfz-Handwerk, so ist mit ca. 230 bis 250 Studierenden in Deutschland zu rechnen, die aus dem handwerklich geprägten Karrierestrang stammen und nicht bereits vor Beginn der Berufsausbildung über einen Hochschulzugang verfügten.
Die niedrigen Übergangsquoten sind zunächst als Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der Karrierewege zu werten und weniger als Indikator für fehlende Übergangsmöglichkeiten in akademische Welten (vgl. Abschnitt 2.2). Es stellt sich eher die Frage, wie im Zeitalter der Kompetenzorientierung „Studierfähigkeit“ zu definieren ist und welche Angebote Hochschulen Praktikern bieten können und wollen, damit diese ihr praktisches und anwendungsorientiertes Wissen vertiefen und erweitern können. Die propädeutische Funktion einer Vorbereitung auf ein akademisch ausgerichtetes Studium nach humboldtscher Prägung ist schon für die einen Hochschulzugang schaffenden Berufsbildungsgänge der Fachoberschulen, Berufsoberschulen und beruflichen Gymnasien nicht mehr zutreffend.
Reflektiert man die einschlägigen begrifflichen und inhaltlichen Klärungen der KMK und Bildungsforscher zur Studierfähigkeit, rücken die Begriffe der „Allgemeinbildung“, der „Reflexionsfähigkeit“ und neuerdings im Zeitalter des lebenslangen Lernens und der Wissensgesellschaft die „Selbstregulationsfähigkeit“ in den Mittelpunkt. Formal ist studierfähig, wer eine Hochschulzugangsberechtigung erhält, also nach der Öffnung der Hochschulen durch die KMK auch Techniker, Meister und Gesellen mit Berufserfahrung. Ob damit allerdings weitere, inhaltliche Voraussetzungen für ein Hochschulstudium gegeben sind, hängt von der inhaltlichen Ausgestaltung der Studierfähigkeit ab. BAUMERT hebt hier die „vertiefte Allgemeinbildung“, die „Wissenschaftspropädeutik“ und die Studierfähigkeit als eine Trias hervor und beschreibt die Studierfähigkeit aus der Sicht der Gymnasien im Sinne der
Eine Schlüsselrolle dabei hat die Wissenschaftspropädeutik als
Wird das unter der Prämisse der Gleichwertigkeit beruflicher Bildung ernst genommen, dann müsste Studierfähigkeit daran gemessen werden, ob eine Person das praktischem Handeln zugrunde liegende Wissen (einschließlich impliziter Wissensformen) erschließen, hinterfragen und erweitern sowie dem zukünftigen Handeln zugrunde legen kann.
Die berufliche Bildung steht bei der Einlösung eines solchen Anspruches an Studierfähigkeit im Vergleich zu den klassischen allgemein bildenden Bildungswegen der Sekundarstufe II recht gut aufgestellt da. Allerdings ist das berufliche Handeln bislang kaum Bezugspunkt eines wissenschaftlichen Studiums, weil berufliches Wissen an den Hochschulen kaum Anerkennung und auch keine für die Zielgruppe attraktive Vertiefung bei den vorhandenen Studienangeboten erfährt. Hier bleibt abzuwarten, ob duale Studiengänge beispielsweise eine wirkliche Vernetzung praktischer und theoretischer Kompetenzen wird leisten können, oder ob es bei einem unvernetzten Nebeneinander der Studien- und Ausbildungsanteile bleiben wird.
Unterstützung einer oben dargelegten, andersartigen Auslegung der Studierfähigkeit lässt sich aus den Deskriptoren der Qualifikationsrahmen (EQR, DQR) ableiten, auch weil den Niveaus 5 bis 8 ausdrücklich kein bestimmter Bildungsweg zugeordnet ist. Die akademische Bildung stiehlt sich durch die unzureichende und zu verändernde Kompetenzdefinition, die das nicht kontextbefreite Handeln mit einschließen müsste, mit der Formulierung von „Lernbereichen und -umgebungen“ aus ihrer Verantwortung, sich einem lebensweltbezogenen Kompetenzbegriff zu stellen. Die Lernwelt der Hochschule wird zur Lebenswelt.
Durchlässigkeit ist derzeit eher dort gegeben, wo sich die berufliche Bildung den Allgemeinbildungs-Ansprüchen nähert. Das kann allerdings nicht der einzuschlagende Weg sein, denn die Trennung der Bildungstypen mit den Zielsetzungen „(berufliche) Kompetenz“ hier und „Wissen“ da, zementiert die Dominanz der Stellung des Allgemeinbildungstyps in der Gesellschaft und negiert die in der beruflichen Kompetenz verankerten Wissensformen. Die zur Zeit in Deutschland stark an „Fächern“ ausgerichteten Studiengänge schaffen bislang kaum Voraussetzungen für die Anerkennung beruflicher Qualifikationen, auch wenn die Wege dazu durch die Kultusbürokratie geebnet werden. Hier wäre die betreffenden Hochschulen einmal zu fragen, warum sie ihr Studium so wenig auf die späteren Aufgaben der Absolventen ausrichten.
Zieht man eine vorläufige Bilanz zu den praktisch gewählten und eingeschlagenen Karrierewegen, kann man konstatieren, dass
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