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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS26 - Berufslaufbahnkonzepte
Herausgeber: Matthias Becker, Reiner Krebs & Georg Spöttl


Titel:
Berufslaufbahnkonzepte im Handwerk – Abschlüsse, Anschlüsse, Übergänge und Qualifikationsrahmen


Darf die Weiterbildung im Handwerk den demografischen Wandel ignorieren? Anforderungen und Handlungsmöglichkeiten am Beispiel des Projekts "Zukunftsfaktor Mensch"

Beitrag von Klaus NETZER, Anneli RÖHR, Paula ALEKSANDROWICZ, Tuko ROY-NIEMEIER & Reiner KREBS (HandWERK gGmbH Bremen, DemografieNetzwerk Nordwest e.V. Bremen, Universität Vechta, Handwerkskammer Bremen & HandWERK gGmbH Bremen)

Abstract

Der demografische Wandel ist inzwischen im Handwerk angekommen. Allerdings wird die Bandbreite der daraus resultierenden Folgen bisher erst von wenigen Betrieben in zukunftsorientierter Personalpolitik bearbeitet. Das von INQA geförderte Kooperationsprojekt der Handwerkskammer Bremen „Zukunftsfaktor Mensch – Handwerk im demografischen Wandel“ hatte deshalb u.a. das Ziel, zu einer frühzeitigen Sensibilisierung künftiger Personalverantwortlicher im Rahmen der Weiterbildung beizutragen. Es wurden Curricula-Module zum demografischen Wandel für die Meister-Ausbildung Teil III und Teil IV / AEVO sowie für den Betriebswirt des Handwerks entwickelt.

1 Anforderungen an die Weiterbildung im demografischen Wandel

Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass bedenkliche bis alarmierende Meldungen über die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland veröffentlicht werden:

  • v. a. Handwerksbetriebe suchen verzweifelt – geeignete – Auszubildende,
  • Schüler der Abgangsklassen präferieren eine schulische Weiterbildung,
  • Ausbilder beklagen mangelnde Kenntnisse und Motivation von Jugendlichen,
  • Betriebe warnen vor einem zunehmenden Facharbeiter–Mangel,
  • mangels Wissens-Transfer droht mit dem Ausscheiden Älterer der Verlust von Know-How,
  • KMU haben Probleme, geeignete Nachfolger zu finden.

Diese Situation erfordert ein Bündel von Informationen, Initiativen, arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Schritten. Es werden erhebliche finanzielle Mittel bereit zu stellen sein, damit man Handwerk und Industrie zukünftig ausreichend mit gut und hoch qualifizierten Fachkräften versorgen kann. Nur so kann der Wirtschaftsstandort mit einer gesunden Mischung von Industrie-, Dienstleistungs- und letztlich Wissensgesellschaft erhalten und auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereitet werden.

Ein Teil dieser Aufgabe ist durch das Bildungssegment „Fort- und Weiterbildung“ abzudecken. Die meisten Berufstätigen befinden sich aufgrund des rasanten technischen Fortschritts oder wegen ihrer Karriere-Planung in einem ständigen Lernprozess. Die Lerninhalte orientieren sich überwiegend an durch technologischen Wandel oder in Curricula und Prüfungsordnungen fest gelegten Inhalten.

Die Aufstiegsfortbildung zu Meistern oder Betriebsleitern muss darauf untersucht werden, ob sie ihren Möglichkeiten gerecht wird, einen erheblichen Anteil am Abfedern der Folgen des demografischen Wandels zu leisten: Indem den Lernenden die vielfältigen Aspekte dieses Wandels bewusst gemacht und mit ihnen geeignete Lösungsansätze erarbeitet werden, weil sie im Verlauf ihres weiteren Berufslebens mit Sicherheit und zunehmend dramatischer damit konfrontiert werden.

Beispielsweise in den Bereichen „Volkswirtschaft“, „Marketing“ „Personalentwicklung“, „Sozialversicherung“, „Berufs- und Arbeitspädagogik“ bieten sich zahllose, wichtige Anknüpfungspunkte. Zum Teil wurden dabei bislang schon Demografie-Probleme angeschnitten.

Wir wollen im Folgenden zeigen, welche Möglichkeiten sich bei einer systematischen Analyse der Themengebiete erschließen: Nämlich alle wichtigen Erscheinungsformen im Rahmen der Stoffpläne herauszuarbeiten bzw. in diese zu integrieren, ohne den oftmals engen zeitlichen Rahmen zu sprengen und ohne das Stigma des „Aufgepfropften“ entstehen zu lassen.

2 Projektbeschreibung „ZuM Handwerk“ mit dem Fokus: Weiterbildungsmodule

Mit dem von INQA geförderten Projekt „Zukunftsfaktor Mensch – Handwerk im demografischen Wandel“ (kurz: ZuM) haben sich die Kooperationspartner Handwerkskammer Bremen, ihr Kompetenzzentrum HandWERK gGmbH, das Demografie Netzwerk Nordwest e.V. (DNN) und die Universität Vechta die Aufgabe gestellt, einerseits für die Betriebe Hilfestellungen zu entwickeln. Andererseits wurde sich zum Ziel gesetzt, schon mit den angehenden Ausbildern und Betriebsleitern Lösungsansätze für die vielfältigen Ausformungen des demografischen Wandels zu entwickeln.

Im HandWERK werden seit vielen Jahren Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung (Teil III und Teil IV), die Prüfung entsprechend der AEVO und für den Betriebswirt des Handwerks durchgeführt. Sie beinhalten u.a. die Vermittlung grundlegender wirtschaftlicher und rechtlicher bzw. pädagogischer Kenntnisse für die angestrebten Aufgaben im Betrieb.

Eine erste Gegenüberstellung der Lehrgangsinhalte mit den für die Demografie zentralen Aspekten hat ergeben, dass sich folgende Punkte – in unterschiedlicher Gewichtung – als Kerngedanken eignen:

·   Personalgewinnung
Die Zahl junger Menschen, die als Auszubildende und qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen, nimmt ab. Umso wichtiger ist es, sich als Betrieb bei der Personalrekrutierung auf neue Zielgruppen einzustellen und das eigene Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Außerdem gewinnt der Erhalt der Arbeitsfähigkeit der bestehenden Belegschaft zunehmend an Bedeutung.

·   Gesundheitsförderung/Gesundheitsmanagement
Gesundheit ist wesentlich zum Erhalt der Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit: Verhaltens- und verhältnispräventive betriebliche Gesundheitsförderung sollte daher frühzeitig beginnen. Wichtig ist ein strukturiertes Vorgehen (das sog. Gesundheitsmanagement), das mit einer Bedarfsanalyse anfängt. Maßnahmen können beispielsweise die ergonomische Optimierung am Arbeitsplatz, Verbesserung der Mitarbeiterführung, die Förderung der körperlichen Fitness, Entspannungsangebote oder Ernährungsseminare sein.
Eine gesetzliche Voraussetzung für weitergehende gesundheitsförderliche Aktivitäten bildet der Arbeitsschutz bzw. Maßnahmen zur Arbeitssicherheit.

·   Alternsgerechte Arbeitsgestaltung und –organisation
Alternsgerechte Arbeitsgestaltung zielt auf einen ausgewogenen Belastungs-Mix, der die  körperlichen und psychischen Leistungspotenziale der Beschäftigten angemessen fordert und damit auch fördert. Anzustreben sind Aufgabenwechsel und Mischtätigkeiten, um einseitigen Belastungen vorzubeugen. Veränderter Arbeitsfähigkeit mit zunehmendem Alter kann durch Anpassung von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung begegnet werden. Möglich ist auch ein alternsgerechter Personaleinsatz, indem etwa neue Ein­satz­möglichkeiten geschaffen werden. In Bezug auf die Arbeitszeit sind generelle Regeln schwierig. Tendenziell gilt: Je älter ein und Mitarbeiter / eine Mitarbeiterin ist, desto kürzer sollte der durchschnittliche Arbeitstag sein, desto mehr flexible (kurze) Pausen ermöglichen es, die Arbeitskraft zu erhalten. (Langzeit)- Arbeitszeitkonten sind beispielsweise eine sinnvolles Instrument zur flexiblen Anpassung von Arbeitszeiten.

·   Weiterbildung/Qualifizierung/Personalentwicklung
Die Zeiten, in denen eine Ausbildung das ganze Leben reichte, sind vorbei. Wissensbestände müssen ständig gepflegt und erweitert werden. Ökonomisch ist es sinnvoller, das Know-How von vorhandenen Arbeitskräften durch Weiterbildung zu steigern, anstatt dieses durch Jüngere mit weniger Erfahrungswissen zu ersetzen. Gefördert wird eine Unternehmenskultur, die lebenslanges Lernens als generationenübergreifende Aufgabe der Personalentwicklung versteht.

·   Erfahrungsmanagement und Wissenstransfer
Erfahrungs-/Wissensmanagement ermöglicht, das vielfältige Wissen und die Erfahrungen der Mitarbeiter im Betrieb zu erfassen und besser nutzbar zu machen. Wissensverlust durch die Pensionierung von einzelnen Schlüsselpersonen kann durch Wissenstransfer-Strategien wie Jobrotation mit gefördertem Stellvertretereinsatz entgegengewirkt werden.

·   Führung und Unternehmenskultur
Für den Erhalt und die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit ist nichts so wichtig wie gutes Führungsverhalten und gute Arbeit von Vorgesetzten. Erwerbstätige wünschen sich mehr Anerkennung der eigenen Arbeitsleistung durch die Vorgesetzten und sehen hierin eine zentrale Motivation, um ihrer derzeitigen Berufstätigkeit bis zum 65. Lebensjahr nachzugehen. Aspekte guter Führung sind beispielsweise eine wertschätzende Einstellung gegenüber dem Alter und eine Kommunikationsfähigkeit, die alle Generationen dabei unterstützen, respektvoll und produktiv zusammenzuarbeiten.

·   Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Verpflichtungen ist für viele Erwerbstätige eine wesentliche Voraussetzung, um ihrer gegenwärtigen Arbeit bis zum Renteneintritt nachgehen zu können. Für älter werdende Beschäftigte steht dabei die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege von Angehörigen im Vordergrund.

·   Unternehmensnachfolge
Die Vorbereitung und Umsetzung der Übertragung eines Unternehmens an einen geeigneten internen oder externen Nachfolger kann geplant werden. Dies kann mit der Entwicklung einer Konzeption beginnen und beinhaltet anschließend u. a. die Ergreifung von begleitenden Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Unternehmens sowie die Ermittlung des Unternehmenswertes, die Gestaltung der Modalitäten (Finanzierung) bis hin zur Begleitung des Nachfolgers.

·   Produktentwicklung/Marktorientierung
Der demografische Wandel ist eine Entwicklung, die für Unternehmen neue Möglichkeiten bieten kann, wenn sie sich in ihrer Produktentwicklung und Marktorientierung auf die Bedarfe einer älter werdenden Bevölkerung einstellen. Hierzu können auch neue Formen der Kooperation mit anderen Betrieben sowie neue Kommunikations- und Vertriebswege gehören. Möglicherweise bedingen die Veränderungen des Marktes entsprechende neue Anforderungen an die Kompetenzen und Qualifikationen der Mitarbeiter.

Durch die konkrete Analyse der einzelnen Curricula sowie durch Beratung mit den eingesetzten Dozenten wurde deutlich, dass die genannten Themenstellungen im Kern im Lehrplan enthalten sind, sich problemlos daraus entwickeln lassen oder zumindest als aktueller Teilaspekt eingefügt werden können. Im Folgenden wird das an den Lehrgängen „Betriebswirt/in des Handwerks“ bzw. „Meisterprüfung Teil IV – Berufs- und Arbeitspädagogik“ beispielhaft aufgezeigt, indem den oben dargestellten Themen Leitfragen für den Unterricht zugeordnet werden. Dabei wird auf die jeweiligen Kapitel in den Curricula Bezug genommen. (Die genannten Aspekte treffen auch auf entsprechende Themen in anderen Lehrgängen der Erwachsenenbildung zu.)

A    AEVO/ Meisterprüfung Teil IV:

1.2.  Unternehmensnachfolge

Leitfragen: Liegt für unseren Betrieb eine entsprechende, mittelfristige Planung vor, die die Altersstruktur berücksichtigt? Werden innerbetriebliche Potenziale gesucht und gefördert?

1.5.  Wissenstransfer (auch 1.7 und 2.1.)

Leitfragen: Droht die Gefahr, dass mit dem Ausscheiden älterer Mitarbeiter wertvolles fachliches oder Erfahrungswissen verloren geht? Welche Schritte können dagegen eingeleitet werden? Werden z.B. die Azubis in altersgemischten Teams eingesetzt und angeleitet? Werden die kognitiven Schätze der langjährigen Berufspraxis systematisch dokumentiert und vermittelt?

1.6.  Personalgewinnung/-entwicklung (auch 3.5. und 4.4.)

Leitfragen: Welche Anforderungen ergeben sich für die Ausbilder aus dem Wandel der kognitiven Voraussetzungen der Jugendlichen und ihrer soziokulturellen Herkunft? Welche Kompetenzen müssen sie zusätzlich oder stärker als bisher einsetzen, um Integration und Lernfortschritte zu erreichen? Vgl.  außerdem A 6.

3.1.  Gesundheitsmanagement (auch 1.7.)

Leitfragen: Sind die Arbeits- bzw. Ausbildungsplätze altersgerecht  eingerichtet? Bezieht die Gesundheitsprävention auch speziell für Jugendliche relevante Bereiche mit ein? Wird Wert gelegt auf ihre Integration in die betriebliche Gestaltung der Gesundheit förderlicher Verfahren, Einrichtungen und Übungen?

3.7.  Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Leitfragen: Wird die persönliche Situation der Azubis bzgl. ihrer familiären Situation berücksichtigt (frühe Elternschaft, Betreuung von Partnern oder Verwandten o.ä.)? Kann z.B. eine betriebliche Kinderbetreuung organisiert werden? Sind flexible Lösungen bei Arbeits- oder Pausenzeiten erforderlich? Wird Hilfe angeboten bei schulischen oder häuslichen Problemen?

B    Betriebswirt/in des Handwerks bzw. Meisterprüfung Teil III:

1. Organisation und Planung der Ausbildung

Leitfragen: Wie können Aufgaben altersgerecht eingeteilt werden? Sind neue Gesichtspunkte für die Bildung von gemischten Teams umzusetzen? Muss der Führungsstil um Facetten erweitert werden, die den Erfahrungsschatz älterer Mitarbeiter stärker berücksichtigt?

2. Marketing

Leitfragen: Bietet der demografische Wandel die Chance, neue Dienstleistungen oder Produkte zu entwickeln? Muss das bisherige Angebot durch die Änderung der Altersstruktur der Kunden modifiziert werden? Ist dazu evtl. die Kooperation mit anderen Partnern (z.B. aus den Bereichen Migration oder Altenpflege) erforderlich?

5. Volkswirtschaft

Leitfragen: Was bedeutet der demografische Wandel für die Unternehmen? Wie macht er sich konkret bemerkbar? Welche Handlungsperspektiven zeichnen sich ab?

6. Personalentwicklung

Leitfragen: Welche neuen Zielgruppen müssen angesprochen werden? Sind Jugendliche über Kontakte mit Schulen zu interessieren? Wie muss die Arbeit im Betrieb ggf. neu organisiert werden? Welche Fortbildungen sind erforderlich? Können bzw. müssen passende Kurse zur Gesundheitsfürsorge integriert werden?

In Zusammenarbeit mit den Dozentinnen und Dozenten sind im Projekt-Verlauf konkrete Unterrichtseinheiten entstanden. Sie werden überall dort eingesetzt, wo es im Rahmen der z.T. sehr engen Zeitvorgaben möglich ist. Um den Anreiz für Weiterbildungsteilnehmer, sich mit Aspekten des demografischen Wandels zu beschäftigen, zu erhöhen, werden im Zuge des Projekts entsprechende Fragen für den Prüfungsrahmen formuliert und in Prüfungen aufgenommen.

3 Vorläufige Ergebnisse der Evaluation der Weiterbildungsmodule

Die vorläufige Evaluation der demografieorientierten Weiterbildungsmodule im Kompetenzzentrum HandWERK bezieht sich auf eine Stichprobe von 125 Personen, die zwischen Oktober 2010 und April 2011 an Kursen „Teil III“ und „Teil IV“ der Meisterausbildung teilgenommen haben. Bei einer Rücklaufquote von 38,4% basieren die hier dargestellten Ergebnisse auf den Antworten von 48 Personen.

Die Weiterbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden unter anderem gefragt, welche Inhalte der Weiterbildung ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind. Mehr als der Hälfte der Befragten sind die allgemeine Einführung in den demografischen Wandel, die Sensibilisierung für die Inklusion von älteren Beschäftigten und Personen mit Migrationshintergrund in die Ausbildung und das Thema lebenslanges Lernen in Erinnerung geblieben. Das Thema Seniorenwirtschaft („Entwicklung von handwerklichen Produkten für Ältere“) nahm den letzten Platz ein. Dies kann entweder darauf hindeuten, dass das Thema von den Teilnehmenden als nicht wichtig erachtet wurde, oder dass es schwer zugänglich und daher nicht in Erinnerung geblieben ist. Es ist aber auch möglich, dass das Thema nicht auf dem Curriculum des betreffenden Kurses stand oder aus Zeitgründen (beispielsweise in einem Wochenend-Kurs) nicht behandelt werden konnte.

Die Mehrheit der Befragten sprach sich dafür aus, demografieorientierte Module dauerhaft in die Weiterbildung für handwerkliche Berufe in Bremen zu integrieren (siehe Abb. 1). Im Sinne einer nachhaltigen Verankerung haben schon die ersten Prüfer begonnen, Fragen zum demografischen Wandel in die Prüfungsordnung zu integrieren.

 

Abb. 1:  Interesse an weiterer Einbindung des Themas Demografie in die Weiterbildung im Handwerk

4 Erfahrungen aus den Betriebsberatungen

Die verstärkte Thematisierung des Querschnittsthemas „demografischer Wandel“ gewinnt insbesondere dann in der Weiterbildung an Bedeutung, wenn sie auf individuelle Erfahrungen der Weiterbildungsteilnehmer trifft und ihnen darüber hinaus Umsetzungsmöglichkeiten des Gelernten in ihren betrieblichen Settings bekannt sind.

Um der Frage, inwieweit Handwerksbetriebe aktuell schon für das Thema sensibilisiert sind, nachzugehen, werden im folgenden Ergebnisse aus den ebenfalls im Rahmen des Projekts „ZuM Handwerk“ durchgeführten Demografieberatungen in bremischen Handwerksbetrieben zusammengefasst. Es lassen sich konkrete Anknüpfungspunkte zu den genannten curricularen Feldern ableiten.

Weiterbildung und betriebliche Umsetzungsbeispiele wurden im Projektkontext in sog. „Demografie-Präsenztagen“ eng verknüpft. Hierbei stellten Demografieberater die aus den Demografieberatungen gewonnenen Erkenntnisse, aber auch übergreifende Fragestellungen, Methoden und Maßnahmen aus der betrieblichen Praxis in einer Ausstellung und in Kursen beim Weiterbildungsträger vor.

Im Rahmen des Projekts „ZuM“ wurden 50 Betriebe im Hinblick auf Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten im demografischen Wandel sensibilisiert. Die Betriebe wurden über die Medien, per Post sowie durch direkte persönliche und telefonische Ansprache über das Projekt informiert. Das Interesse an einer Teilnahme war hoch; eine Vielzahl von Gewerken ist somit im Projekt vertreten. Das Beratungsangebot umfasste ein Erstgespräch mit einem Kurz-Check zum Handlungsbedarf, anschließend eine Erfassung der Personaldaten, Erstellung einer differenzierten Altersstrukturanalyse sowie ein Auswertungsgespräch mit Diskussion von Handlungsmöglichkeiten.

Nach vorliegenden Dokumentationen von 48 Betrieben liegt die durchschnittliche Mitarbeiterzahl in den hier beteiligten Betrieben bei 29 Beschäftigten. Die Projekt-Unternehmen liegen damit deutlich über der durchschnittlichen Mitarbeiterzahl im Handwerk, die bei laut Institut für Mittelstandsforschung im zulassungspflichtigen Vollhandwerk bei 6 Beschäftigten liegt. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten der Projektbetriebe beträgt 39,6 Jahre und der Anteil der Beschäftigten über 50 Jahre liegt bei 17,8 Prozent. Das Durchschnittsalter der Betriebsinhaber liegt bei 47,0 Jahren.

Im Folgenden werden Ergebnisse der Zwischenevaluation (N=39) dargestellt, die von der Universität Vechta durchgeführt wurde. Die Betriebe wurden hierbei schriftlich in anonymisierter Form zu ihrer Bewertung der Demografieberatungen befragt. Die ausgesprochen hohe Rücklaufquote von 81,3 % gewährleistet eine hohe Repräsentativität der Ergebnisse.

Die vorläufige Evaluation der Demografieberatungen zeigt eine sehr hohe Zufriedenheit mit der Leistung (vgl. Abb. 2). Das Ziel der Beratung war eine Sensibilisierung und keine Umsetzungsberatung. Somit begründet sich die geringfügige Unzufriedenheit bzgl. der „Darstellung von Handlungshinweisen“ vermutlich in der Erwartung der Betriebe, noch konkreter über mögliche Maßnahmen beraten zu werden.

Die positive Bewertung der Demografieberatungen kommt besonders darin zum Ausdruck, dass 79% der befragten Betriebe eine Aufnahme des Demografie-Beratungsangebots in das reguläre Beratungs-Portfolio für sinnvoll und wünschenswert halten.

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Abb. 2:  Zufriedenheit mit der Demografieberatung

Die Betriebe wurden weiterhin nach ihrem Nutzen aus den Demografieberatungen gefragt (vgl. Abb. 3). Die Auswertung lässt darauf schließen, dass ein großer Teil der teilnehmenden Unternehmen schon Personal-Maßnahmen durchführt, deren Bedeutung durch die Beratung hervorgehoben wurde. Eine deutliche Mehrheit stimmt dennoch den Aussagen zu, dass die Demografieberatung für die Bedeutung des Themas und die Breite der Handlungsfelder sensibilisiert hat. Außerdem wurde damit erreicht, das Thema vom Alltagsgeschäft abzusetzen. Nur eine Minderheit der Betriebe schätzt die praktische Relevanz der Beratung gering ein. Es ist anzunehmen, dass die im Projekt vertretenen Unternehmen dem Thema schon vorab aufgeschlossen gegenüberstanden und die Demografieberatung zur Konkretisierung und spezifischen Bearbeitung ihrer Anliegen genutzt haben.

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Abb. 3:  Nutzen der Demografieberatung

Nach der Wichtigkeit verschiedener Themenfelder für die eigene Firma befragt, benennen die Betriebe vorrangig die Felder „Weiterbildung“ sowie „Führung/Unternehmenskultur“ (vgl. Abb. 4). Am unteren Ende der Bedeutungs-Skala  rangiert Unternehmensnachfolge, Personalgewinnung hat eine mittlere Bedeutung. Dieses Ergebnis ist insoweit überraschend, als die Unternehmer bei der eigenen Bedarfseinschätzung zu Beginn der Beratung Personalgewinnung, Gesundheitsförderung und Weiterbildung als die prioritären Felder nannten.

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Abb. 4:   Wichtigkeit verschiedener Handlungsfelder aus Sicht der Betriebe

Eingangs wurde die Erwartung formuliert, dass die demografie-bezogenen Lerninhalte aus den Weiterbildungen vor allem dann greifen, wenn die Teilnehmer sie in ihrer betrieblichen Praxis wiederfinden und einsetzen können. Aus den Rückmeldungen der im Projekt beteiligten Betriebe lässt sich schlussfolgern, dass die Sensibilität für demografie-bedingten Handlungsbedarf und die Offenheit für entsprechende Personalmaßnahmen inzwischen insbesondere in den mitarbeiterstärkeren Betrieben vorhanden ist.

5 Schlussfolgerungen für Weiterbildungsträger

Die Tatsache, dass Weiterbildung als Handlungsfeld im Zuge der demografischen Entwicklung von den Unternehmen besonders hoch gewichtet wird, ist ein sehr positives Signal für die Bildungseinrichtungen. Damit ist hoffentlich künftig eine noch größere Wertschätzung für Weiterbildungswillige und ein transparenterer Umgang mit dem erworbenen Wissen im Betrieb verbunden. Außerdem zeigt diese Aussage, dass die Betriebe die wenig konstruktive Konkurrenz um Nachwuchskräfte zugunsten einer Förderung der Kompetenzen der vorhandenen Belegschaften zurückschrauben. Damit wird auch der Weg geebnet für betriebsübergreifende kooperative Formen der Weiterbildung, zum Beispiel für Kleinstbetriebe. Dieses Interesse gilt es bedarfsgerecht zu nutzen!

Auch verschiedene andere Projekte und Initiativen auf diesem Gebiet seitens ITB, HPI, ZWH u.a. zeigen, dass die Weiterbildungs-Institutionen im Handwerk die Bedeutung des demografischen Wandels nicht ignorieren, sondern ihre besondere Rolle dabei erkannt haben. Wichtig wird es sein, die Betriebe und ihre Beschäftigten darin zu unterstützen, die Komplexität der Zusammenhänge zu erkennen und Handlungsbedarfe zielgerichtet und strukturiert anzugehen.

Weiterführende Literatur

GEORG, A./ BARKHOLDT, C./ FRERICHS, F. (2005): Modelle alternsgerechter Arbeit aus Kleinbetrieben und ihre Nutzungsmöglichkeiten. Dortmund/Berlin/Dresden..

INQA (Hrsg.): Mit Prävention die Zukunft gewinnen. Strategien für eine demografiefeste Arbeitswelt. Zweites Memorandum. Dortmund/Berlin/Dresden.

INSTITUT FÜR MITTELSTANDSFORSCHUNG (2009): Das Handwerk in Zahlen. Bonn.

JAHN, F./ ULBRICHT, S. (2010): Mein nächster Beruf – Personalentwicklung für Berufe mit begrenzter Tätigkeitsdauer, IGA-Report 17.

ZOCH, B. (2008): Beschäftigungssituation von älteren Arbeitnehmern im Handwerk. Ludwig-Fröhler-Institut.


Zitieren dieses Beitrages

NETZER, K. et al. (2011): Darf die Weiterbildung im Handwerk den demografischen Wandel ignorieren? Anforderungen und Handlungsmöglichkeiten am Beispiel des Projekts "Zukunftsfaktor Mensch" In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 26, hrsg. v. BECKER, M./ KREBS, R./ SPÖTTL, G., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws26/netzer_etal_ws26-ht2011.pdf (26-09-2011).



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